Geographischer Raum und Lebensform der Germanen Kommentar zu Tacitus’ Germania, c. 1-20 Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor philosophiae (Dr. phil.) vorgelegt dem Rat der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena von Roland Schuhmann, M.A. geboren am 06.10.1972 in Leuven (Belgien) Gutachter: 1. Prof. Dr. Rosemarie Lühr 2. Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich 3. Prof. Dr. Johann Tischler Tag des Kolloquiums: 04.12.2006 Aan K.J. Schuhmann 19.03.1941-18.03.2003 VORWORT Diese Arbeit geht letztendlich auf ein abgehaltenes Seminar zurück und hat einen langen Weg hinter sich. An dieser Stelle ist es daher eine Freude mich bei den Personen zu bedanken, die das Zustandekommen dieser Arbeit ermöglicht und unterstützt haben. An erster Stelle sei Frau Prof. Dr. Rosemarie Lühr genannt, die die Betreuung dieser Arbeit übernommen hat und mir mit fachlicher und sachlicher Kritik, Hilfe, Geduld stets unterstützt hat. Ebenfalls danke ich Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich (Jena) für die Übernahme des Zweitgutachtens und für den bei ihr genossenen Unterricht, sowie Prof. Dr. Johann Tischler (Dresden) für das Drittgutachten. Schließlich bei allen, deren Zahl für eine namentliche Auflistung zu groß ist, die mich bei Fragen und Problemen durch geduldiges Zuhören und Ratschläge weitergeholfen haben. Eine besondere Freude ist es mir, mich bei meiner Frau Katrin Rosemann für ihren steten Beistand zu bedanken, sowie bei allen Haustieren, die über lange Zeit weniger Zuwendung und Aufmerksamkeit bekamen. Schlußendlich geht mein größter Dank an meinen Eltern, die diese Arbeit von Anfang an in unterschiedlicher Weise unterstützt und begeleitet haben. Ohne sie wäre ich nicht hier. Da mein Vater das Ende dieser Arbeit nicht mehr erleben durfte, sei sie seinem Andenken gewidmet. Jena, im kalten Frühling 2009 INHALTSVERZEICHNIS Einleitung …………………………………………………………………… i Kapitel 1 …………………………………………………………………… 1 Kapitel 2 …………………………………………………………………… 35 Kapitel 3 …………………………………………………………………… 88 Kapitel 4 …………………………………………………………………… 116 Kapitel 5 …………………………………………………………………… 140 Kapitel 6 …………………………………………………………………… 170 Kapitel 7 …………………………………………………………………… 221 Kapitel 8 …………………………………………………………………… 255 Kapitel 9 …………………………………………………………………… 275 Kapitel 10 …………………………………………………………………… 299 Kapitel 11 …………………………………………………………………… 326 Kapitel 12 …………………………………………………………………… 352 Kapitel 13 …………………………………………………………………… 379 Kapitel 14 …………………………………………………………………… 403 Kapitel 15 …………………………………………………………………… 429 Kapitel 16 …………………………………………………………………… 448 Kapitel 17 …………………………………………………………………… 478 Kapitel 18 …………………………………………………………………… 496 Kapitel 19 …………………………………………………………………… 515 Kapitel 20 …………………………………………………………………… 547 Literaturliste …………………………………………………………………… 576 Anhang …………………………………………………………………… 610 Als nämlich der römische Historiograph Tacitus etwa um 100 nach Christus ein Buch (das erste überhaupt) über die kuriosen Stämme nördlich der Alpen, die Germanen also, schrieb, hatte er weniger eine Demonstration römischer Überlegenheit im Sinn als vielmehr – von ängstlichem Schauder begleitetes – Lob der »barbarischen« Moral. Sir Peter Ustinov, Achtung! Vorurteile, S. 79. EINLEITUNG Einen neuen (Teil-)Kommentar zur Germania des römischen Schriftstellers Cornelius Tacitus1 vorzulegen, ist ein Unterfangen, das kaum einer weiteren Erklärung bedarf. Die Zahl der vorhandenen Erläuterungen ist nämlich inzwischen so unendlich groß geworden,2 dass es auf eine mehr oder weniger kaum ankommen dürfte. Die Menge der Kommentare hat u.a. ihre Ursache darin, dass die Germania (”die einzige ethnographische Monographie.3 des klassischen Altertums, die auf uns gekommen ist), wie Norden im Jahre 1920 schreibt, ein Werk ist, ”das eine gütige Fee unserem Volke als Patengeschenk in die Wiege seiner vaterländischen Geschichte gelegt hat - kein Volk darf sich eines gleichen Kleinods rühmen -, … auf jede Generation seine Anziehungskraft mit unverminderter Stärke aus<übt>..4 Das Werk hat seitdem kaum etwas von dieser seiner Anziehungskraft eingebüßt.5 Sie resultiert sicherlich zu einem großen Teil daraus, dass die Germania Forschungsgegenstand zahlreicher Disziplinen ist: nicht nur der klassischen Philologie, sondern auch der (indo-)germanischen Sprachwissenschaft, der (indo-)germanischen Altertumskunde, der Geschichtswissenschaft, der Archäologie, der Religionsgeschichte, der Rechts- und Verfassungswissenschaft, der Volkskunde, der Onomastik sowie der Naturgeographie. Diese 1 Zum Autor vgl. ausführlich Syme 1958. 2 Vgl. Städele 1997: 524: ”Kein Werk der lateinischen Literatur ist in Deutschland so oft herausgegeben, übersetzt und erläutert worden wie die G. des Tacitus.. Sogar die Liste bei Lund 199b1: 2341-2344, welche die Ausgaben zwischen 1880 und 1989 erfasst, ist mit ihren immerhin schon 86 Ausgaben, die in der Mehrheit einen Kommentar enthalten, nicht vollständig. Seit 1989 sind natürlich weitere Ausgaben mit Kommentar hinzugekommen. 3 Lund 1988: 17. 4 Norden 1959: 5. 5 Es ist somit auch nicht weiter verwunderlich, dass die Germania auch außerhalb der Universitäten einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt. So werden bei der Eingabe der Suchbegriffe Tacitus + Germania im Internet etwa 160000 Treffer angezeigt. Vielfalt der wissenschaftlichen Ansätze und die damit verbundene Flut an Publikationen6 haben aber nur in den wenigsten Fällen zu einem gesicherten Erkenntnisstand über den Text und den mit ihm verbundenen Problemen geführt. 6 Vgl. Lund 1991b: 1993: ”Die Vielfalt der Beiträge spiegelt demnach die Vielzahl der daran beteiligten Forschungsdisziplinen wider.. 7 Lund 1988: 11. 8 Wissowa 1916: 656. 9 Wissowa 1916: 656. 10 Städele 1991: 185. 11 Wissowa 1916: 656. 12 Norden 1959: 59. 13 Müllenhoff 1900. 14 Much 1967. 15 Baumstark 1875. 16 Lund 1988 und 1991a. 17 Perl 1990. 18 Vgl. hierzu Lund 1988: 12-13. Eben wegen dieser geringen Sicherheit bei der Interpretation des Textes braucht es daher ”einen ernsthaften Grund., ”einen neuen Kommentar zur Germania des Tacitus herauszugeben..7 Denn der Herausgeber eines neuen Kommentars ”hat für diesen den Nachweis der Daseinsberechtigung zu führen..8 Innerhalb der bisherigen Erläuterungen des Textes der Germania sind grob betrachtet zwei Erklärungsmodelle feststellbar. Das erste, vereinfacht gesagt, ältere geht davon aus, ”daß die Germania ausschließlich oder doch in erster Linie als Quellenbuch für germanische Altertumskunde aufzufassen sei.,9 wobei fehlerhafte Darstellungen ”auf einen ‚Mangel an Fassungsvermögen‘.10 zurückgeführt werden. Das zweite, vereinfacht gesagt, neuere geht demgegenüber davon aus, ”daß die Schrift ein Bestandteil der reichen antiken ethnographischen Literatur … darstellt und aus dem Werdegang und den Entwicklungstendenzen dieser Gattung heraus verstanden werden will..11 Die Germania wäre dieser Ansicht zufolge ”von völkerkundlichen Wandermotiven wie übersät.,12 so dass aus dem angeblichen ‚Patengeschenk‘ ein Werk (fast) ohne Wert wurde. Das erste Erklärungsmodell gipfelte in den großen Kommentaren von Müllenhoff13 und Much,14 das zweite – bereits teilweise vorweggenommen von Baumstark15 – ist von Lund16 und Perl17 exemplarisch durchgeführt worden. Beide Verfahren sind jedes für sich genommen jedoch kaum Erfolg versprechend, da sie bereits von ihrem Ansatz her nicht zu überzeugen vermögen. Das erste Modell übergeht zumeist den geistesgeschichtlichen Hintergrund, d.h. die römische Optik der Schrift,18 – die Germania ist nämlich primär eine Schrift von einem Römer für Römer. Ebenfalls, vielleicht noch schwerwiegender, wird vielfach das Problem einer Kontinuität zwischen altgermanischer und mittelalterlicher Zeit übergangen, manchmal ist man sich dessen nicht einmal bewusst.19 Es werden dabei Angaben aus der Germania mit denen aus späterer Zeit verglichen. Natürlich steht es außer Frage, dass Angaben aus späterer Zeit dazu beitragen können, Verhältnisse aus früherer Zeit erklären zu helfen. So ist zum Beispiel der Beiname *Hranno des Merkur identisch mit dem in einer aisl. Sage bezeugten Beinamen des Odin (= Wodan), nämlich Hrani ‚grober Kerl, Krakeeler‘ (vgl. c. 9). Ein solcher Fall zeigt somit, ”daß der Norden in manchem konservativ war und dadurch das eine oder andere auf dem römerzeitlichen Kontinent zu erhellen vermag, was da sonst isoliert stünde..20 Jedoch dürfen aus späteren Angaben nicht einfach Rückschlüsse auf germanische Verhältnisse zu Tacitus’ Zeit gezogen werden, ohne dass solche sich (etwa sprachlich oder archäologisch) erhärten lassen. Die Ausfüllung von Lücken in der Darstellung des Tacitus mit Mitteilungen aus später bezeugten Quellen ist somit nur selten statthaft bzw. äußerst schwierig.21 19 Vgl. die berechtigte Kritik bei Städele 1991: 185-186 berechtigt: ”Selbst Zeugnisse aus der erst im 13. Jahrhundert zusammengestellten ‚Edda‘ zog man zur Stützung Taciteischer Aussagen heran und verlor dabei über Veränderungen in den sozialen und ökonomischen Gegebenheiten und damit über das Kontinuitätsproblem kein Wort.. 20 Neumann 1994: 104. 21 Vgl. vor allem die lang andauernde Diskussion um die Gefolgschaft bei den Germanen (vgl. dazu zusammenfassend und mit Ausblick Wenskus 1992; Steuer 1992). Allgemein zur Kontinuitätsproblematik RGA 17: 205-237. 22 Bringmann 1989: 59. 23 Vgl. hierzu u.a. Bringmann 1989. Aber auch das zweite Modell ist als alleinige Erklärung nicht geeignet. So ist zum Beispiel die Frage nach den Wandermotiven, den so genannten Topoi, die lange als geklärt galt, wieder ins Wanken geraten. Denn ”[d]aß die Germania des Tacitus von Topoi wie übersät sei, ist eine Überzeugung, die ihrerseits die Qualität eines Topos angenommen hat..22 Es konnte an etlichen Einzelbeispielen gezeigt werden, dass Tacitus mit den herkömmlichen Topoi spielt und sie bewusst umformt, so dass sie keine bloßen Topoi mehr sind.23 Bei der Frage ”nach einer möglichen Beeinträchtigung des Quellenwertes …, muß ohnehin in jedem einzelnen Fall geprüft werden, was sich hinter der egalisierenden Bezeichnung Topos verbirgt, ob eine literarisch tradierte sprachliche Formulierung, eine Form der Darstellung, ein Axiom – oder ob sich hinter dem schillernden Schlagwort in Wahrheit individuelle Züge oder originelle Versuche verstecken, von konkreten Beobachtungen zu einer Deutung der Realität voranzuschreiten..24 Auch ist der geistesgeschichtliche römische Hintergrund keinesfalls immer so klar, wie gerne behauptet wird.25 24 Bringmann 1989: 78. 25 Vgl. Städele 1991: 186: ”Doch auch diesem Verfahren sind Grenzen gesetzt, weil wir an mancher Stelle den ihr zugrundeliegenden römischen Sachverhalt nicht oder nicht genügend kennen.. 26 Diesen Versuch unternimmt Rives 1999. 27 Vgl. etwa Lund 1988: 13: ”Ich habe überall versucht, den Text aus einer römischen Sicht zu deuten und zwar mit den Erwartungen eines antiken Ethnographen oder Ethnologen. Denn wer einen antiken Text ohne Sonderkenntnisse seiner literarischen Gattung … herausgeben will, der ist insofern inkompetent, als seine Textinterpretation und Textkonstitution, denn schon mit dieser beginnt ja die Interpretation, vom Zufall geleitet ist.. 28 Müllenhoff 1900: 211. 29 Lund 1988: 131. 30 Städele 1997: 524. Ein neuer Kommentar kann sich jedoch nach so langem Forschungsstreit zweier aufeinander prallender Modelle nicht damit begnügen, dass er versucht, beide Positionen zu vereinen, indem das Vorteilhafte beider herausgesucht und nebeneinander gestellt wird.26 Es stellt sich nämlich die Frage, auf welcher textlichen Grundlage ein solcher Kommentar beruht. Denn die Vertreter beider Erklärungsmodelle haben im Laufe der letzten 150 Jahre so viel am Text der Germania herumemendiert, dass kaum ein Satz frei von einem Emendationsvorschlag geblieben ist. Dabei sind die üblichen Grenzen der Textkritik längst verlassen worden. Für die Vertreter beider Erklärungsmodelle war nämlich das Ziel der Emendationen, einen für ihr Erklärungsmodell passenden Text zu erlangen.27 Aus diesem Grund werden Emendationen denn auch häufig mit außertextlichen Argumenten verteidigt. So wird zum Beispiel einerseits die Emendation von Auriniam in Albrunam (c. 8,2) von Müllenhoff mit den Worten ”der name lautet in den früheren ausgaben Auriniam, was kein deutscher name sein kann.28 gutgeheißen, andererseits eine aus der Schreibung letissimis der Hs. C geschlossene Lesart laetissimis (c. 6,1) von Lund mit dem Argument ”Zu dem Faktum, daß die Junktur laetus color wohl bezeugt und sinnvoll ist, kommt ferner der Umstand, daß der Kontext einen Vergleich mit römischen Reiterübungen auf dem Campus enthält.29 begründet. Besonders den Vertretern des zweiten Erklärungsmodells ist ein gewisser Zwang zum Emendieren nicht abzusprechen, wie man besonders bei Lund wahrnehmen kann, der im Laufe der Zeit immer weitere und weiterreichende Emendationsvorschläge, die seinem Erklärungsmodell dienlich sind, gemacht hat. Diese zu beobachtende Emendierfreudigkeit resultiert sicherlich nicht zuletzt aus der Annahme, dass es sich bei der Germania um ”einen schlecht überlieferten … Text.30 handelt. So wurde etwa an der Textausgabe durch Önnerfors31 kritisiert, dass ”besonders hohe Erwartungen … [d]urch Ö.’ äußerst konservativ gestaltete Arbeit … nicht erfüllt. werden, denn es sei ”mit modernen editorischen Grundsätzen kaum vereinbar, einen schlecht überlieferten, inhaltlich wie sprachlich gleich anspruchsvollen Text von immerhin 32 Teubnerseiten durchgehend als (ge)heil(t) zu betrachten. Das tut Ö. aber; denn er setzt an keiner Stelle eine crux oder ein Auslassungszeichen. Die wenigen Konjekturen, Ergänzungen und Tilgungen beschränken sich fast nur auf Selbstverständlichkeiten; eigene Vorschläge zur Textgestaltung gibt er nicht..32 Ebenso wird zur Ausgabe von Perl33 angemerkt: ”Auch sonst führt die Überlieferungsgläubigkeit zu zweifelhaften Ergebnissen..34 Es lässt sich aus dem oben Angeführten jedoch ohne weiteres mutmaßen, die Meinung von der schlechten Überlieferung der Germania habe in einer streckenweisen Divergenz von Text und Interpretationsmodell ihre Ursache, die mithilfe von Emendationsvorschlägen beseitigt werden soll. 31 Önnerfors 1983. 32 Städele 1997: 524. 33 Perl 1990. 34 Städele 1997: 526. 35 Vgl. hierzu die allgemeine Warnung von Boer 1904: 141, dass dem Interpreten unangenehme Textpassagen ”nicht fortemendiert werden. dürfen. 36 Dass die Werke des Tacitus bereits frühzeitig nicht mehr verbreitet waren, geht auch aus SHA, tac. 10.3 hervor: Cornelium Tacitum, scriptorem historiae Augustae, quod parentem suum eundem diceret, in omnibus bibliothecis conlocari iussit. ne[c] lectorum incuria deperiret, librum per annos singulos decies scribi publicitus in † evicos archis iussit et in bybliothecis poni ‚er befahl, daß Cornelius Tacitus, der Schrifsteller der augusteischen Geschichte, den er sagte auch sein Urheber zu sein, in allen Bibliotheken zusammengestellt wurde. Damit er nicht durch die Sorglosigkeit der Leser verloren ginge, befahl er, daß das Buch in den einzelnen Jahren zehnmal auf Kosten des Staates geschrieben wurde ... und in die Bibliotheken gestellt wurde‘. 37 Zur Überlieferungsgeschichte im Mittelalter vgl. u.a. Haverfield 1916; Perl 1990: 52-56; Perret 1997: 45-51. 38 Zur Auffindungsgeschichte vgl. u.a. Robinson 1991: 1-14; Donenfeld 1997: 14-16. 39 Cornelii taciti liber reperitur Rome visus 1455 de Origine et situ Germanie. Incipit: „Germania omnis a Gallis retiisque et panoniis Rheno et danubio fluminibus a Sarmatis dacisque mutuo metu aut montibus seperatur. cetera Es ist somit, ganz abgesehen von der Frage nach dem prinzipiellen Umgang mit einem überlieferten Text,35 nach dem Wert der Überlieferung der Germania zu fragen. Die drei kleinen Schriften des Tacitus, Germania, Agricola und Dialogus de Oratoribus, stellen innerhalb der Überlieferung lateinischer Texte einen Sonderfall dar. Es ist überhaupt einem Glücksfall zu verdanken, dass sie nicht unwiderruflich verloren gegangen sind,36 denn das Mittelalter haben sie nur in einer einzigen Handschrift aus dem 9. Jahrhundert, dem Codex Hersfeldensis, überdauert.37 Diese Handschrift, die sich – nach langem Suchen seitens italienischer Humanisten –38 nach der Nachricht von Pier Candido Decembrio spätestens im Jahre 1455 in Rom befand,39 ist nicht erhalten geblieben.40 Wichtig für die richtige occeanus ambit.“ Opus est foliorum XII in columnellis. Finit: „Cetera iam fabulosa helusios et oxonas ora hominum vultusque corpora atque artus ferarum gerere. quod ego ut incompertum in medium relinquam.“ utitur autem cornelius hoc vocabulo inscientia non Inscitia. ‚das Buch de Origine et situ Germanie des Cornelius Tacitus wurde in Rom angetroffen und gesehen. Es fängt an: ”Germania omnis a Gallis retiisque et panoniis Rheno et danubio fluminibus a Sarmatis dacisque mutuo metu aut montibus seperatur. cetera occeanus ambit.. Das Werk von 12 Folien ist in Kolumnen (geschrieben). Es endet: ”Cetera iam fabulosa helusios et oxonas ora hominum vultusque corpora atque artus ferarum gerere. quod ego ut incompertum in medium relinquam.. Aber Cornelius verwendet dieses Wort inscientia, nicht inscitia.‘ 40 Der einzige erhalten gebliebene Teil des Codex Hersfeldensis, ein Quaternio des Dialogus (c. 13,1 munia bis c. 40,2 missum), der im Codex Aesinas eingebunden war, ist 1945 infolge von Hochwassereinfluss ebenfalls zerstört worden. 41 Vgl. zu diesem humanistischen Archetyp Perret 1950: 111-134. 42 Vgl. auch Heubner 1989b: 17: ”Im Übrigen ist der Hersfeldensis ebenso wie die ersten Abschriften von ihm, auf die unsere Handschriften zurückgehen, als Ganzes zumindest, verloren.. 43 Die Zahl dieser Abschriften ist unklar (vgl. Heubner 1989b: 19-21). 44 Vgl. etwa Robinson 1991: 1. Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Handschriften findet sich bei Robinson 1991: 79-90; Perret 1997: 56-64. 45 Vgl. zu den frühen Drucken allgemein Hirstein 1995. 46 Vgl. zu den Versuchen Önnerfors 1983: V-VI; Heubner 1989b. So nimmt Koestermann 1970: XVI-XXIII drei Familien an, Perl 1990: 61 dagegen fünf. 47 Önnerfors 1983: VI; vgl. auch Heubner 1989b: 25: ”Jedes wohlausgetüftelte Stemma … ist vor allem durch die schon für den nichterhaltenen Archetypus anzusetzenden Varianten und durch die alsbald wildwuchernde Kontamination eine Illusion.. Einschätzung der Überlieferung der Germania ist, dass keine einzige der erhaltenen Handschriften direkt auf diesen mittelalterlichen Kodex zurückführbar ist. Vom Codex Hersfeldensis wurde womöglich eine Abschrift, der so genannte ‚humanistische Archetyp‘,41 angefertigt, welcher die Grundlage der gesamten Überlieferung wurde. Dieser humanistische Archetyp ist aber ebenso wenig wie der Codex Hersfeldensis erhalten geblieben, und auch auf ihn führt keine vorhandene Abschrift direkt zurück. Von diesem sind nämlich wiederum nicht mehr erhaltene Abschriften verfertigt worden,42 welche die Grundlagen für die überlieferten Handschriften geworden sind.43 Die früheste datierbare Handschrift Q stammt aus dem Jahr 1464, also neun Jahre später als die Erstsichtung durch Decembrio. Sämtliche Handschriften stammen aus dem späteren 15. und früheren 16. Jahrhundert44 und sind somit teils zeitgleich mit den frühen Drucken, deren erster 1472 erschienen ist.45 Obwohl die Handschriftenproduktion in einer verhältnismäßig kurzen Zeit vonstatten ging, es somit zu erwarten wäre, dass die Handschriften sich zusammen mit den frühen Drucken in einem eindeutigen Stemma codicorum einordnen ließen, ist dies bis heute nicht gelungen.46 Die Situation ist sogar so desolat, dass Önnerfors den Versuch eines Stemma völlig aufgegeben hat: ”Tamen, cum nulla harum rerum aestimatio atque ratiocinatio nullumque stemma codicum ‚Germaniae‘ sibi consentaneum aut omnibus numeris perfectum mihi videatur, de classibus vel catervis librorum manu scriptorum huius opusculi Tacitei loqui penitus desistam..47 Das heißt aber, dass die handschriftliche Überlieferung offenbar nicht so, wie bei lateinischen Autoren üblich, abgelaufen ist. Es stellt sich die Frage, warum dies so ist. Bei der Beantwortung sind zwei Punkte zu berücksichtigen. Erstens wurde die Germania schon sehr frühzeitig als ideologische Schrift in die Auseinandersetzung zwischen italienischen und deutschen Humanisten einbezogen.48 Es liegt der Verdacht nahe, dass dabei die Überlieferung ‚umgebogen‘ werden konnte. Unterschiede in der Überlieferung können somit vielleicht zu Lasten einer bewussten Umformung gehen, obwohl dies nur in wenigen Fällen eindeutig erkennbar ist.49 Dies mag mit ein Grund für das Nichtgelingen eines Stemma codicorum sein, da sich solche Arten von Abweichungen in der Überlieferung nicht genealogisch, d.h. durch Abschreibefehler, erklären lassen. Zweitens – gewichtiger – handelt es sich bei einem größeren Teil der Abschreiber um gelehrte Humanisten, also um Personen, für die das Latein eine tägliche Gebrauchssprache war. Die Annahme, dass womöglich verderbte Textstellen von ihnen ‚verbessert‘ wurden, liegt somit a priori nahe. Auch dies wird eine Ursache für die Schwierigkeit bei der Erstellung eines Stemma sein. Insgesamt ist es aber bei einer solchen Situation kaum wahrscheinlich, dass die textliche Überlieferung als ‚schlecht‘ eingestuft werden kann. Ein Herausgeber sieht sich jedoch anderen Herausforderungen gegenüber, als das bei anderen Textausgaben klassisch-römischer Autoren der Fall ist. 48 Vgl. dazu Perret 1950: 134-157; Donenfeld 1997: 20-55; jetzt ausführlich Krebs 2005: 111-250. 49 Am auffälligsten hier ist die Verbindung von Tuisco mit dem Wort ‚deutsch‘ (vgl. c. 2,2). Ebenfalls hierher zu setzen ist wohl die Lesart Herthum in der Hs. p, die offensichtlich als ‚Erde‘ verstanden wurde. 50 Natürlich gibt es innerhalb der textlichen Überlieferung Tendenzen, die einzelne Handschriften mehr oder weniger zueinander gehörig erscheinen lassen. So steht die Hs. E etwa dem Druck k sehr nahe, aber der Handschrift W oder s ferner. 51 Heubner 1989: 25; vgl. auch Städele 1991: 208. 52 Die ausführlichste Sammlung der Textvarianten findet sich in Robinson 1991. Da es kein eindeutiges Stemma gibt,50 kann ein Herausgeber nicht eine einzige Handschrift zur (fast) alleinigen Grundlage seiner Textausgabe machen, sondern er muss ”jeweils den inneren Kriterien entscheidendes Gewicht einräumen..51 Somit sind jeweils alle wesentlichen textlichen Varianten bei der Herstellung einer Ausgabe in die Überlegung einzubeziehen.52 Es ist dabei aber nicht aus dem Auge zu verlieren, dass es natürlich bessere und schlechtere Handschriften gibt, so dass man einigen Handschriften mehr folgen wird als anderen. Auf Grund der Überlieferungssituation müssten dann aber in solchen Fällen, in denen sämtliche Handschriften eine einzige Lesart überliefern, die sich zumeist auch noch in der Mehrheit der frühen Drucke findet, schon sehr schwerwiegende Gründe vorliegen, gegen die Überlieferung eine Emendation vorzunehmen. Denn offenbar ist allen Abschreibern, also auch solchen, die mit dem Text ‚gearbeitet‘ haben, an einer solchen Stelle kein textlicher Fehler aufgefallen. Es ist dann doch erstaunlich, wie häufig gerade in solchen Fällen die modernen Herausgeber den Text abgeändert haben (etwa in c. 1,1 die alleinige Lesart R[h][a]etiis- in Raetis- [s.d.]). Besonders auffällig ist, dass auch Robinson53 und Perret,54 die beide das gesamte handschriftliche Material zur Verfügung hatten und ausgewertet haben, in solchen Fällen an den traditionellen, eingebürgerten Emendationen festgehalten haben. Es lässt sich jedoch bei all solchen Textstellen zeigen, dass eine Abänderung der Überlieferung für das Verständnis des Textes nicht notwendig ist. Im Durchschnitt haben sich Lesarten der Hs. E (die sich in der Mehrheit der Fälle auch in anderen Handschriften finden) als verlässlicher herausgestellt als die Lesarten anderer Handschriften. Aus diesem Grund wurde auch solchen Lesarten, die hauptsächlich in E erscheinen, ein höheres Gewicht beigemessen. Hier hat es sich an etlichen Textstellen gezeigt, dass die Überlieferung der Handschrift E einen guten Sinn ergibt. So findet sich in c. 4,1 zwar in den allermeisten Handschriften die Lesart assueverunt, dagegen in EBbrzuRs2 assueverint; letztere hat aber schon als forma difficilior den Vorzug und vermag auch noch inhaltlich zu überzeugen (s.d.). In einigen Fällen kann aber auch inhaltlich zwischen unterschiedlichen Lesarten nicht entschieden werden. So liest zum Beispiel der größere Teil der Handschriften in c. 2,3 zwar primi, das daneben stehende primum ist jedoch ebenso gut möglich. Die Wahl zugunsten von primi erfolgt hier einzig und allein deswegen, weil es in Handschriften steht, die durchschnittlich verlässlicher sind als die, welche primum bieten (s.d.). 53 Robinson 1991. 54 Perret 1997. 55 Ein Herausgeber wäre also fast berechtigt, an derartigen Stellen eine Parallelfassung in seinen Text aufzunehmen. Es zeigt sich hierbei eine gewisse Nähe zur Überlieferung der mittelhochdeutschen Minnesänger- Lieder. Auch bei diesen Texten ist der Versuch, ein Stemma codicorum aufzustellen, fehlgeschlagen, so dass in den neueren Ausgaben Parallelfassungen einzelner Gedichte nebeneinander gestellt werden (vgl zur Problematik im Mittelhochdeutschen etwa Bumke 1996). Da es sich bei der Germania jedoch um einen klassisch-lateinischen Text handelt, würde ein solches Verfahren wohl kaum Anklang finden. Ein solcher Fall zeigt dabei die Grenzen der Textkritik bei einer Überlieferung auf, wie sie bei der Germania vorliegt. Es ist nämlich durchaus nicht gesagt, dass primi die echte alte Lesart ist. Denn kaum etwas würde einen Herausgeber hindern können, in primum die alte Lesart zu sehen, da nicht auszuschließen ist, dass primi eine humanistische Verbesserung eines alten primum darstellt. Die Zahl sowie die sonstige Qualität der Handschriften, die primi lesen, sind keine (zumindest keine wirklich) entscheidenden Argumente.55 Aber es zeigt sich, dass, wie an den Stellen, wo die Überlieferung nur eine Lesart bietet, auch bei mehreren Lesarten die Überlieferung dann nicht anzutasten ist, wenn eine oder mehrere Lesarten einen grammatisch korrekten und interpretierbaren Text liefern. Auch im letztgenannten Fall zeigt sich, dass der überlieferte Wortlaut der Germania ausreicht, einen solchen Text herzustellen. Selbst im so genannten Namensatz, der durchweg als völlig verderbt angesehen wird, ist keine Emendation zum Verständnis notwendig. Es ist somit die Art der Überlieferung der Germania selbst, die es nahe legt, sich enger als sonst üblich an den überlieferten Wortlaut zu halten. Das mag vielleicht einen Interpreten der Germania, der eine bestimmte Auffassung in dem Text (wieder)finden möchte, nicht zufrieden stellen, es ist jedoch die einzig sichere Art und Weise (solange der Codex Hersfeldensis oder der humanistische Archetyp verschollen bleibt), sich mit diesem Text auseinander zu setzen, ohne von vornherein einem vorgeprägten Interpretationsschema zu unterliegen. Aus diesem Grund nimmt die Besprechung von Textvarianten im vorliegenden Teil- Kommentar mehr Platz ein, als sonst in den Kommentaren zur Germania der Fall ist. An allen relevanten Stellen sind die Lesarten der Handschriften (soweit sie greifbar waren) angeführt, ebenso die der frühen Drucke, falls sie zur Klärung der Überlieferung beitragen. Die so gewonnene Textgrundlage, die vielfach von der der sonstigen neueren Ausgaben abweicht, ist die Basis der Kommentierung. In vielen Fällen, in denen der Text von der üblichen Fassung abweicht, finden sich damit zusammenhängend auch neue Interpretationen. Der Kommentar will als ‚echter‘ Kommentar verstanden sein. Es findet sich in ihm also keine Auseinandersetzung mit sämtlichen Forschungspositionen zu einzelnen Textstellen, was den Rahmen eines Kommentars völlig sprengen würde. Weniger Nachdruck liegt im Kommentar auf dem archäologischen Befund, bei dem lediglich auf allgemeine Werke verwiesen wird. Ausführlicher als in den neueren Kommentaren ist dagegen der sprachwissenschaftliche Befund herangezogen. Für alle wesentlichen Erscheinungen, die Tacitus den Germanen zuschreibt, wird der germanische Wortschatz berücksichtigt. Da der belegte Wortschatz durch die Rekonstruktion Rückschlüsse auf frühere Zeiten zulässt, kann und sollte er ausgewertet werden, um Schilderungen des Tacitus überprüfen zu können. Denn trotz der Tatsache, dass die Germania von einem Römer für einen Römer geschrieben ist, d.h. der Text aus dem Lateinischen zu erklären ist, handelt sie dennoch vom geographischen Raum und von der Lebensform der Germanen. Unter dem geographischen Raum ist hier der Raum verstanden, in dem sich der Einzelne oder die Gemeinschaft bewegt. Unter den geographischen Raum fällt somit neben der Beschreibung des Landes in all seinen Formen bei den Germanen auch die Herkunft des Volkes selbst, da diese mit dem Land unmittelbar verwoben ist. Und Lebensform ist zum einen die Lebensweise, d.h. die Sitten und Gebräuche der Germanen, zum anderen ist es die Art, in der sich das Leben organisiert, also ihre Organisationsstruktur. KAPITEL 1 1 Germania omnis] Tacitus beginnt das Werk ohne Proömium, was teilweise zu Spekulationen über Anlass und Intention der Schrift Anlass geführt hat.1 Jedoch kann das Fehlen kaum etwas zur Erfassung der Intention des Werkes beitragen. 1 So etwa Beck 1998: 60, der u.a. wegen des Fehlens eines Proöms darauf schließt, dass die Germania ”kein rein literarisch intendiertes Produkt. ist. 2 Melin 1960: 113-121, wobei allerdings festzuhalten ist, dass es ihm letztendlich unmöglich ist, ”eine Entscheidung zu treffen. (S. 121); so bereits früher auch etwa Gudeman 1916: 50: ”Der Anklang an Caes. … dürfte … zufällig sein.; Reeb 1930: 16: ”Der Anklang an Caes. … ist nur Zufall.; Anderson 1997: 33: ”The formula was a stock one in ethnographic literature …, a fact which rules out the idea that Tacitus’ readers would recognize in Germania omnis a compliment to Caesar.; ebenso Städele 1991: 301, Anm. 154. 3 So auch etwa Müllenhoff 1900: 100; Schweizer-Sidler 1923: 1; Lundström 1927: 264; Urban 1989: 81; Perl 1990: 23-24, 126; Wolters 1994: 77; Beck 1998: 9, 14; Rives 1999: 99. Die genaue Verbindung ist u.a. offen gelassen bei Much 1967: 29; Benario 1999: 63: ”Whether the first words of the monograph … were meant to recall the beginning of Caesar’s Bellum Gallicum … or were part of customary ethnographical vocabulary is unknown. Certainly a sensitive reader would have been immediately struck by Tacitus’ link to his predecessor.. Trotz des Einwands von Melin,2 dass es sich bei den Eröffnungswörtern um einen traditionellen Eröffnungstopos eines ethnographischen Werkes mit der Nennung des zu besprechenden geographischen Raumes handelt, liegt dennoch sicherlich eine direkte Anleihe aus Caes. Gall. 1,1,1: Gallia est omnis … ,das Gesamtgebiet Galliens …‘ vor3 (so wie dieses Werk ohne Proömium einsetzt, so auch die Germania). Diese Annahme wird u.a. dadurch gestützt, dass Caesar der einzige Gewährsmann ist, der von Tacitus in der Germania namentlich genannt wird (vgl. c. 28,1: validiores olim Gallorum res fuisse summus auctorum divus Iulius tradit ,dass die Gallier einst an Macht überlegen waren, überliefert als vornehmster Gewährsmann der göttliche Julius‘). Ebenfalls steht die Wendung bei beiden Autoren am Anfang des Werkes, so dass sie in der Germania kaum als nur ,traditionell‘ zu bezeichnen ist (die Bezeichnung eines Landes in seiner Gesamtheit gehört selbstverständlich an sich zur Ausdrucksweise der ethnographisch-geographischen Literatur; vgl. u.a. Hekat. in Diod. 1,51,3 (FGrH 264 F 25): ..µpa.a. ..pa. ‚das ganze Land‘; Diod. 5,24,3: ..µpa.a Ga.at.a ‚ganz Galatien (Gallien)‘; Strab. Geogr. 4,1,14 p. 189C: t... ..µpa.ta. G..ata. ‚sämtliche Galater‘; Apoll. bibl. 2,1: ..pa .pa.a ‚die ganze Gegend‘; Plin. hist. 6,117: Mesopotamia tota ‚ganz Mesopotamien‘). Zu einem dritten, entscheidenden Argument vgl. die Ausführungen zu omnis weiter unten. So hatten schon – doch wohl ebenfalls (direkt oder indirekt) in Nachfolge von Caesar – Mela 3,20 von regio … omnis Comata Gallia ,die Landschaft … heißt insgesamt Gallia Comata‘ und Plin. nat. 4,105 von Gallia omnis Comata uno nomine appellata ,ganz Gallien, das mit einem Begriff das ‚Langhaarige‘ heißt‘ (AG 1, 108-109) gesprochen.4 Die Wendung Germania omnis findet sich ebenfalls in der Divisio orb. 11, einem um 435 n.Chr. verfassten geographischen Leitfaden;5 ob diese Schrift jedoch in Zusammenhang mit ihren Vorgängern steht, und wenn ja, in welchem, bleibt ungewiss. Unbeweisbar jedenfalls ist die Annahme, wie sie sich etwa bei Much findet,6 dass die Formulierung aus den Commentarii des M. Vipsanius Agrippa (64/63-12) zu dessen Weltkarte stammt, die er im Auftrag von Kaiser Augustus hergestellt hatte.7 4 Zum Verhältnis zwischen Mela und Plinius vgl. Melin 1960: 113-114. Von Norden 1959: 279 werden die Eingangsworte einzig auf Plinius zurückgeführt. Norden erblickt in Plinius generell die Hauptquelle für die Germania. 5 Hierzu vgl. RE V,1: 1236-1237. 6 Much 1967: 29; vgl. auch Reeb 1930: 16. 7 Zu Agrippa und dessen Weltkarte vgl. RE IX A,1: 1226-1275; speziell zu dessen Commentarii 1270-1271. 8 Much 1967: 29. 9 Perl 1990: 23; vgl. auch Forni – Galli 1964: 53; Anderson 1997: 33. 10 Dass Tacitus die römischen Gebiete namens Germania nicht zur Germania omnis zählt, ist somit nicht weiter verwunderlich (anders etwa Much 1967: 29-30). 11 Zu weiteren Belegen vgl. RGA 1998: 69. 12 Das älteste Dokument ist ein Diplom eines thrakischen Reiters vom 27. Oktober 90 (CIL XIII 6821: in Germania superiore ‚in Germania superior‘); zu weiteren Dokumenten vgl. RGA 1998: 69. 13 Vgl. auch etwa Benario 1999: 63: ”The reference is to ‚free‘ Germany, excluding those Germans under Roman domination, largely those living west of the Rhine.. Nach Much ändert das beigefügte omnis wenig an der Bedeutung Germania, ”denn Germania schlechtweg ist selbstverständlich auch das ganze Germanien..8 Dies ist jedoch, wie u.a. Perl überzeugend gezeigt hat,9 nicht ganz richtig. Denn Germania omnis beinhaltet in Übereinstimmung mit Caesars Gallia … omnis, wo das gesamte Gallien ohne die römische Provinzen Gallia Transalpina (und Cisalpina) gemeint ist, nur das so genannte freie Germanien ohne die römischen Gebiete namens Germania,10 für die Tac. Agr. 15,3 den Plural Germaniae verwendet: sic Germanias excussisse iugum ,so habe Germanien sein Joch abgeworfen‘. Die zwei linksrheinischen, zwischen 83 und 90 n.Chr. (nach den Chattenkriegen) aus Militär- und Verwaltungsbezirken in Provinzen verwandelten Gebiete Germania superior (auch prima genannt; bei Ptol. 2,9,9: Gepµa..a . ... ,Obergermanien‘ [AG 1, 174-175]), mit dem Hauptort Mainz, und Germania inferior (auch secunda genannt; bei Ptol. 2,9,8 Gepµa..a . ..t. ,Niedergermanien‘ [AG 1, 172-173])11 mit dem Hauptort Köln,12 die beide der Provinz Gallien unterstellt waren, brauchten daher nicht eigens genannt zu werden.13 Diese Übereinstimmung in der Verwendungsweise von omnis ist somit das überzeugendste Argument dafür, dass die Anfangswörter des Tacitus in Anlehnung an die Caesars gewählt sind. Germania omnis bezeichnet also das Gebiet, das später von Ptol. 2,9,2: t.. µe..... Gepµa..a. ,Großgermanien‘ (AG 1, 172-173) genannt wurde (vgl. auch Ptol. 2,11 als Titel: Gepµa..a. .e..... ,Gross-germanien‘; vgl. ebenfalls Oros. 7,32,12: interiore Germania ,des inneren Germanien‘).14 a Gallis Rhaetiisque et Pannoniis] Im Archetyp der Hss. ist bei Rhaetiis eine Schreibung mit -h- anzunehmen, die wohl ohne Einfluss von Rhenus zustande kam, da sich in den anderen Belegen der Germania ebenfalls zumeist Schreibungen mit -h- finden. 14 Anders selbstverständlich Much 1967: 30: ”Den Gedanken an diese linksrheinischen Germanen muß Tac. hier völlig ausschalten, sonst würde er allenfalls von einer Germania magna sprechen nach Art des Ptolemaios … nicht aber von einer Germania omnis.. 15 Vgl. zum Folgenden ausführlich Schuhmann 2004b. 16 Vgl. Hirstein 1995: 90. 17 Dagegen anders begründet in RGA 10: 407: ”Unberechtigtes -ii in Fremdnamen läßt sich im Text der ‚Germania‘ … mehrfach nachweisen: c. 1,1 raetiisque statt raetisque.. Dieser Fall gleicht den sonst angeführten Belegen (u.a. Gambrivii und Burii) jedoch nicht, da zum einen hier das -ii nicht im Auslaut steht, es sich zum anderen bei Raetiis kaum um einen vergleichbaren Fremdnamen handelt, da die Provinz schließlich dem Imperium Romanum schon längst angegliedert war; schließlich gibt es eben einen Bedeutungsunterschied zwischen Raetis und Raetiis, was bei Gambrivis : Gambriviis nicht der Fall ist. 18 Vgl. etwa Much 1967: 31; Lund 1988: 108. 19 Much 1967: 31. 20 Vgl. Robinson 1991: 210; so auch Seebode 1815: 3. Die in den Ausgaben übliche Lesart ist Raetisque,15 die zuerst im Druck S aus dem Jahre 1515 aus der in allen Handschriften und sonstigen frühen Drucken vorkommenden Lesart r(h)(a)etiisque emendiert wurde (die Urheberschaft dieser Emendation ist also nicht, wie zumeist geschieht, Cellarius zuzuschreiben).16 Ziel dieser Emendation war es, eine Reihung von Nachbarvölkern der Germanen zu erhalten,17 wobei also in Kauf genommen wurde,18 dass Tacitus dem Land Germania nicht die Nachbarländer entgegenstellt, sondern die Nachbarvölker, wie dies auch bei a Sarmatis Dacisque ‚von den Sarmaten und Dakern‘ der Fall ist. Dass dieses Vorgehen willkürlich ist, wird etwa von Much selbst eingeräumt: ”die Überlieferung ergibt Raetiisque und ebenso leicht wie dies in Raetisque ließe sich das Gallis der Handschriften in Galliis ändern.,19 eine Emendation, die sich denn auch in der Hs. a und am Rand der Hs. u findet (ebenfalls im Druck J); diese Lesart wurde zwar auch von Lipsius in der zweiten Auflage seiner Ausgabe eingesetzt,20 sie hat sich allerdings zu Recht nicht durchsetzen können. Sie zeigt jedoch an, dass die hss. Überlieferung durchaus ernst zu nehmen ist. Und die Tatsache, dass solch ein direkter Wechsel zwischen Völker- und Ländernamen auftreten kann, wird durch c. 37,3: non Samnis, non Poeni, non Hispaniae Galliaeve, ne Parthi quidem saepius admonuere ,nicht der Samnite, nicht die Punier, nicht die Landesteile Spaniens oder Galliens, ja nicht einmal die Parther haben uns übler mitgespielt‘ bestätigt, wo eine Reihung ebenfalls zerfällt in Völkernamen (Samnis, Poeni) – Ländernamen (Hispaniae, Galliae) – Völkernamen (Parthi). In c. 1,1 hat man also der Konzinnität wegen einen Gleichlauf emendiert,21 während etwa Much zu c. 37,3 schreibt: ”Vorliebe für Variation und Inkonzinnität ist für Tac. kennzeichnend.,22 was nur bedeuten kann, dass die Inkonzinnität hier ebenfalls beizubehalten ist. Eine Inkonnizität hatte im Übrigen auch Baumstark für stilistisch besser gehalten.23 Das Nebeneinander braucht somit nicht weiter erklärt zu werden, da die Völker- und Ländernamen in der gleichen Geltung stehen. Die Lesart Raetiisque hat man aber abgelehnt mit der Begründung, dass ”man zu seiner [= Tacitus’] Zeit mehrere Raetiae überhaupt noch nicht kannte..24 Sie lässt sich dennoch rechtfertigen, da die Provinz Raetia aus den Verwaltungsgebieten Raetien und Vindelikien hervorgegangen war (s.u.). Der Plural nimmt also lediglich darauf Bezug, dass nicht das eigentliche Rätien, sondern vielmehr Vindelikien an Germanien grenzt.25 Es kann hier daher eben nicht der Völkername stehen, da die Räter an sich gar nicht an Germanien grenzen, sondern die Vindeliker, die durch den Plural des Provinznamens deutlich mit eingeschlossen sind. Falls hier eine Völkergruppe genannt wäre, hätte man eher die Vindeliker erwartet, wie sie auch Tac. ann. 2,17,4: Raetorum Vindelicorumque … cohortes ,die Kohorten der Raeter und Vindeliker‘ (AG 2, 108-109) explizit genannt sind. 21 Vgl. Müllenhoff 1900: 101. 22 Much 1967: 421; vgl. auch Perl 1990: 226: ”mit gesuchter Variatio.; ähnlich Lund 1988: 207. 23 Baumstark 1875: 4: ”Wird diese Conjectur festgehalten, so haben wir ohne Ausnahme nur Namen von Völkern, was in rhetorisch stilistischer Beziehung weniger sich empfiehlt, als wenn unter den fünf Namen auch ein oder zwei Ländernamen vorkämen.. 24 Much 1967: 31; vgl. auch Müllenhoff 1900: 101, Reeb 1930: 16; dagegen ist das Argument von Lund 1988: 108: ”da die Stämme Germaniens den Stämmen der Nachbarvölker entgegengesetzt werden. hinfällig, da dies erst nach der Emendation der Fall ist. 25 Unverständlich ist die Meinung von Baumstark 1875: 5, der trotz des stilistischen Vorzugs Raetiisque abändert, weil ”nicht das ganze Rätien, das der Plural Raetiae bezeichnen würde, sondern nur der vindelicische Theil des Ganzen als Grenzland gegen Germanien erscheint.; eben genau das ganze Rätien (die beiden Gebiete) und nicht das eigentliche Rätien grenzt an Germanien. 26 Auch hier ist der Einwand von Baumstark 1875: 6, dass ”nur der nördliche Theil von Pannonien hier in Sprache kommt, nicht aber ganz Pannonien, welches durch den Plural Pannoniae bezeichnet würde., nicht durchschlagkräftig. Die Bedeutung von Pannoniis ist zweideutig, da die Form sowohl zum Völkernamen Pannonii als zum Ländernamen Pannonia gehören kann. Man hat sich durchweg für die erstere Möglichkeit entschieden. Da jedoch Raetiis unzweifelhaft zum Ländernamen zu stellen ist, scheint auch für Pannoniis eine solche Verknüpfung wahrscheinlich, weil beide Namen eng zusammengehörig sind.26 Weil Pannonien allerdings in Gegensatz zu Rätien nicht aus zwei Verwaltungsgebieten hervorgegangen ist, muss gefolgert werden, dass die Germania erst nach 103-106 verfasst wurde, da Pannonien in dieser Zeit in zwei Teile aufgeteilt wurde (s.u.). Es liegt somit unter Einbeziehung der nachstehenden Sarmaten und Daker eine Reihung von Völkername – Landesname – Landesname – Völkername – Völkername vor. Da sich in c. 37,3 nun genau diese Reihung, allerdings in umgekehrter Folge, also Völkername – Völkername – Landesname – Landesname – Völkername, findet, liegt die Annahme durchaus nahe, dass beide Reihungen aufeinander abgestimmt sind. Mit den Galliern (lat. Galli; gr. nur der Ländername Ga...a) sind nur die westlichen Nachbarn gemeint. Hinfällig ist die Annahme von Lund, ”daß die germanischen Stämme nicht nur von den Bevölkerungsgruppen Galliens, sondern auch von den übrigen gallischen (= keltischen) Stämmen, die in Helvetien, Vindelikien und Norikum wohnten, abgegrenzt wurden.,27 da etwa das vindelikische Gebiet unter Raetiae miterfasst ist. Die Gallier sind also nur die Einwohner der Provinz Gallien. Auch die Germanen in Teilen der Provinz Gallien sind unter sie subsumiert, da sie ebenfalls Einwohner der Provinz Gallien waren. Die Gallier waren ursprünglich nur einer der drei Hauptstämme in Gallien, aber ihr Name wird schon bei Caesar stellvertretend für alle Einwohner und das Gesamtgebiet der späteren Provinz Gallien verwendet; vgl. etwa Caesar, Gall. 2,6,2: Gallorum eadem atque Belgarum oppugnatio est haec ,die Belger gehen bei der Belagerung genau so vor wie die Gallier‘ gegenüber ebd. 1,1,1-2: Gallia est omnis divisa in partes tres … hi omnes … inter se differunt ,das Gesamtgebiet Galliens zerfällt in drei Teile … sie unterscheiden sich alle …‘. Die Eroberung Galliens wurde unter Augustus abgeschlossen (vgl. Mon. Anc. 26: Gallias … provincias … pacavi ,die gallischen … Provinzen … habe ich befriedet‘), obwohl es auch noch im 1. Jh. n.Chr. mehrere Aufstände gab.28 27 Lund 1988: 108. 28 Vgl. RE VII,1: 656-658; RGA 10: 383-385. 29 Vgl. arm. kalaw ‚ergriff, fing‘ (< *gélH-/g.H-), mkymr. geill ‚kann‘ (< *g.-né/n-H-), lit. gal.ti ‚können‘ (< *ge-gólH/g.H-); vgl. LIV 2001: 185-186. 30 Vgl. Birkhan 1997: 47-48; RGA 10: 369-370. 31 Vgl. RGA 24: 80. Der Name Galli ist wohl eine Ableitung mit n-Suffix von der Verbalwurzel uridg. *gelH-/*galH- ,Macht bekommen über‘29 und bedeutet demnach ,die Mächtigen, Starken‘.30 Die Provinz Rätien ist ein aus vielen unterschiedlichen Stämmen zusammengesetztes Gebiet. Die Namengeber, die Räter, wohl mit den Etruskern verwandt, sind eine aus zahlreichen Einzelstämmen bestehende Völkergruppe in den Zentralalpen.31 Ihnen werden über 100 Inschriften zugeschrieben,32 die alle in derselben Sprache abgefasst sind, welche dementsprechend ,rätisch‘ genannt wird.33 Unter ihnen finden sich auch einige wenige Felsinschriften. Unter der Leitung von Tiberius und Drusus wurde das Gebiet der Räter im Sommerfeldzug von 15 v.Chr. von den Römern unterworfen (vgl. Mon. Anc. 26: Alpes a regione ea, quae proxima est Hadriano mari, ad Tuscum pacari feci … ,die Alpen ließ ich von der Gegend nahe der Adria bis zum Tyrrhenischen Meer besetzen …‘; Suet. Aug. 21,1: domuit autem … Raetiam et Vindelicos … gentes Inalpinas ,wurden … Rätien und das Gebiet der Vindeliker … Alpenvölker, unterworfen‘; Vell. 2,39,3: at Ti. Caesar … Raetiam autem et Vindelicos … novas imperio nostro subiunxit provincias ,Tiberius Caesar aber … Rätien aber, das Land der Vindeliker … hat er als neue Provinzen unserem Reich eingefügt‘).34 Verwaltet wurde das Land zusammen mit dem Gebiet der Vindeliker unter einem praefectus Raetis Vindolicis Vallis Poeninae et levis armaturae. Beide Gebiete wurden nicht sofort zu einer Provinz Raetia zusammengefasst, wie aus der Bezeichnung Raeti (et) Vindolici hervorgeht (vgl. CIL IX 3044: praef. Raetis Vindolicis ,Praefekt von Raetien und Vindelikien‘; vgl. auch Vell. 2,39,3: Raetiam autem et Vindelicos ,Rätien aber, das Land der Vindeliker‘; Suet. Aug. 21,1: Raetiam et Vindelicos ,Rätien und das Gebiet der Vindeliker‘; Ptol. 2,12,1: t.. .a.t.a. .a. ....de....a. ,von Rätien und Vindelikien‘). Erst unter Tiberius oder Caligula wurde das Gebiet mit Einschluss der Vindeliker zur Provinz Raetia.35 Die Vindeliker, ein keltisches Volk, sind hier durch den Plural des Ländernamens miteingeschlossen (explizit werden sie dagegen bei Tac. in ann. 2,17,4 genannt: Raetorum Vindelicorumque … cohortes ,die Kohorten der Raeter und Vindeliker‘ (AG 2, 108-109), da hier die Völker genannt werden, aus denen die Kohorten ausgehoben wurden). 32 Zu den rätischen Inschriften vgl. Schumacher 2004. 33 Zur rätischen Sprache vgl. RGA 24: 86-88. 34 Zur Eroberung vgl. RE IA,1: 46-47; RGA 24: 80; ausführlich Grimmeisen 1997. 35 Vgl. RGA 24: 81. 36 Vgl. RGA 24: 80, 86. 37 Vgl. RE S IX: 540-541; RGA 22: 470. Der Name der Räter, der den Römern seit dem 2. Jh. v.Chr. bekannt war, ist etymologisch nicht geklärt.36 Der größte Teil der späteren Provinz Pannonien wurde zwischen 13-8 v.Chr. durch Tiberius erobert (vgl. Mon. Anc. 30: Pannoniorum gentes … imperio populi Romani subiecti … ,die pannonischen Völkerschaften … habe ich … der Herrschaft des römischen Volkes unterwerfen lassen …‘).37 Sie umfasste das Gebiet der Westhälfte des heutigen Ungarns, des heutigen Burgenlands, Sloweniens und des nördlichen Kroatiens. Die Bewohner waren teils Pannonier, teils Kelten (das keltische Element ging erst im Verlauf des 3. Jh.s in der pannonischen Bevölkerung auf). Die Provinz Pannonien wurde zwischen 103-106 n.Chr. von Kaiser Traian in die Gebiete Pannonia superior und inferior geteilt.38 Die Etymologie des Namens der Pannonier ist nicht geklärt. 38 Vgl. RGA 22: 470. 39 Vgl. Gerber – Greef 1962: I, 1263: ”subst. per et coniuncta unum membrum efficiunt.; Forni – Galli 1964: 53: ”in particolare, il -que congiunge le due populazioni danubiane (unite in gruppo da et) con quelle renane dei Galli menzionate prima.. 40 Vgl. zu dieser Funktion Kühner – Stegmann II,2: 30-31. 41 So Lund 1988: 108. 42 Menge 2000: 584. 43 Vgl. zu Norikum RGA 21: 324-340; RE XVII,1: 971-1048. 44 Vgl. Perl 1990: 128: ”weil eine eintönige Aufzählung von Namen … sich mit einer kunstvollen Darstellung nicht vereinbaren ließ.; so auch u.a. Müllenhoff 1900: 102; Schweizer-Sidler 1923: 1; Much 1967: 33; Städele 1991: 301. Ein anderes Urteil fällt Baumstark 1875: 7: ”so dass auch in diesem Punkte die … Grenzbestimmung mangelhaft erscheint.. Die Partikel -que scheint Gallis stärker von den anderen zwei Namen zu trennen39 (vgl. auch c. 28,2 inter Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes ,zwischen dem Herkynischen Wald und den Flüssen Rhein und Main‘; c. 46,1 Peucinorum Venetorumque et Fennorum nationes ,die Stämme der Peuciner und Veneter und Fennen‘; Tac. hist. 2,97,1: e Germania Britanniaque et Hispaniis ,aus Germanien und Britannien und Spanien‘; ebd. 3,15,1: Britannia Galliaque et Hispania ,von Britannien, Gallien und Spanien‘).40 Allerdings ist die Interpretation von -que et im Sinne nec non41 wohl zu stark, da hier keiner der Begriffe nachdrücklich hervorgehoben zu werden scheint.42 Tacitus nennt bei seiner Auflistung der Grenzen nicht die Provinz Norikum, die zwischen Rätien und Pannonien gelegen war (in Gegensatz zu c. 5,1, wo Norikum neben Pannonien genannt wird). Norikum wurde etwa 10 v.Chr. in das römische Reich eingegliedert.43 Von den Grenzgebieten konnte am ehesten die mittlere Provinz ausgelassen werden, vermutlich aus stilistischen Gründen,44 da ansonsten ein zu großes Ungleichgewicht zwischen den Grenzen im Westen (Galli) auf der einen Seite und im Süden (Raetiae, Noricum und Pannoniae) entstanden wäre. Rheno et Dannubio fluminibus] Die beiden Flüsse Rhein und Donau bilden die äußeren Grenzen des Landes Germanien im Westen und Süden. Im Westen trennt der Rhein Germanien von den Galliern, im Süden scheidet die Donau Germanien von Rätien (Norikum) und Pannonien. Die beiden Flüsse funktionieren somit als Grenze zwischen der Zivilisation (Römisches Reich) und den ,Barbaren‘; vgl. zu dieser Funktion Cic. Pis. 81: cuius ego imperium, non Alpium vallum, contra ascensum transgressionemque Gallorum, non Rheni fossam gurgitibus illis redundantem Germanorum immanissimis gentibus obicio et oppono ,sein Imperium, nicht den Wall der Alpen werfe ich den sie erkletternden und übersteigenden Galliern entgegen, sein Imperium setze ich gegen die furchtbaren Germanenhorden, nicht den Graben des Rheins mit seinen überströmenden Wassermassen‘; Sen. nat. 1, praef. 9: Danuuius Sarmatica ac Romana disterminet, Rhenus Germaniae modum faciat ,die Donau soll sarmatisches und römisches Land scheiden, der Rhein soll Germaniens Grenze bilden‘; ebd. 6,7,1: hinc qui medius inter pacata et hostilia fuit, Danuvius ac Rhenus, alter Sarmaticos impetus cohibens et Europam Asiamque disterminans, alter Germanos, avidam belli gentem, repellens ,die Donau und der Rhein, die eine die sarmatischen Angriffe hemmend und Europa und Asien scheidend, der andere die Germanen zurückstoßend, ein Volk begierig auf Krieg‘; Ios. bell. Iud. 2,16,4(§377): ..... t.. .pµ.. .p.. ....... ,setzt der Rhein ihrem Ansturm eine Grenze‘ (AG 2, 258-259).45 45 Zur Vorliebe für Flussgrenzen in der Antike vgl. Nesselhauf 1952: 234-235, Fn. 1. Die Funktion des Rheins als Grenze zwischen Galliern und Germanen war von Caes. Gall. 1,1,3 begründet worden: proximique sunt Germanis, qui trans Rhenum incolunt ,auch weil sie [= die Belgier] den Germanen am nächsten leben, die jenseits des Rheins wohnen‘ (AG 1, 276-277), obwohl schon er (Gall. 2,3,4) von Germanosque, qui cis Rhenum incolant ,und die Germanen, die diesseits des Rheins lebten‘ wusste. Allerdings war der Rhein zwischen Gallien und Germanien seit der Einrichtung der Provinz Germania superior und der Eingliederung der Decumates agri in das Römische Reich de facto nicht mehr der Grenzfluss; doch behielt er diese Rolle in der geographischen Literatur bei; vgl. Tac. hist. 4,73,2: nec ideo Rhenum insedimus, ut Italiam tueremur, sed ne quis alius Ariovistus regno Galliarum potiretur ,und nicht deshalb haben wir den Rhein besetzt, um Italien zu schützen, sondern damit kein zweiter Ariovist die Zwingherrschaft über Gallien an sich reiße‘; Ptol. 2,9,2: . d. .p’ ..at.... p.e.p. pep..p..eta. t. e.p.µ... p.taµ. pap. t.. µe..... Gepµa..a. ,die Ostseite wird gegen Großgermanien begrenzt durch den (bereits) erwähnten Fluß (Rhein)‘ (AG 1, 172-173); ebd. 2,11,1: t.. Gepµa..a. t.. µ.. d..µ.... p.e.p.. .f.p..e. . ..... p.taµ.. ,die westliche Seite Germaniens begrenzt der Rheinstrom‘ (AG 1, 174-175); Ios. bell. Iud. 3,5,7(§107): pp.. .p.t.. ...tp.. te .a. ..... t.. ..eµ...a. .p.. ,die Grenzen seiner Herrschaft … im Norden bis zu Donau und Rhein reichen‘; App. prooem. 4,15: .. d. t. ..p.p. p.taµ.. d.., ..... te .a. ...tp.., µ....ta t.. ..µa... .p... .p....... ,in Europa begrenzen in erster Linie zwei Flüsse, Rhein und Donau, das römische Reich‘ (Quellen 3, 242-243; jedoch mit der Einschränkung, dass durchaus einige Kelten und Daker jenseits dieser Flüsse den Römern unterstehen); Cass. Dio 39,49,2: ..t.. ..p . .p.., .f’ .. .e .a. .. t. d..f.p.. t.. .p.....e.. .f....t., de.p. .e. ..µ..eta. ,seitdem diese Völker unterschiedlich bezeichnet werden, gilt dieser Strom als deren Grenze, und zwar bis heute‘ (AG 1, 198-199); Divisio orb. 11: Germania omnis et Dacia finiuntur … ab occidente flumine Rheno ,ganz Germanien und Dacien werden im Westen her durch den Fluss Rhein begrenzt‘; Dimens. prov. 19: Germania … ab occidente flumine Rheno ,Germanien … im Westen durch den Fluss Rhein‘. Es liegt somit kein Grund vor, Tacitus vorzuwerfen, er hätte seine Quelle nicht aktualisiert.46 Tacitus gibt lediglich eine knappe Übersicht über die Grenzen Germaniens, und dafür eigneten sich besonders Flüsse.47 Der Rhein wird in c. 28,1 denn auch als faktische Grenze aufgehoben (eoque credibile est etiam Gallos in Germaniam transgressos ,es ist daher glaubhaft, daß auch Gallier nach Germanien übergewechselt sind‘). Die Donau gilt auch bei Strabo als Südgrenze Germaniens; vgl. Geogr. 2,5,30 p. 128 C: µet. d. t.. .ta..a. .a. t.. .e.t.... t. pp.. .. ...p. ..t. t.. ..p.p.., . d..a t.µ.eta. t. ...tp. p.taµ. ,nach Italien und dem Keltenland folgen nach Osten hin die übrigen Gebiete Europas, die durch die Donau geteilt werden‘ (AG 1, 82-83); ebd. 7,1,1 p. 289 C: d.a.pe. ..p ..t.. .pa.a. .. ....t.t. d..a t.. .e..e..a. ... ,dieser Fluss [= Istros] nämlich zerteilt das ganze genannte Land [= Europa] nahezu in zwei gleiche Hälften‘; ebenso Ptol. 8,7,2: pep.p..eta. d. . p..a. … .p. d. .p.t.. t. .e.... Gepµa... d.. t.. p.taµ.. .a...ß... ,die Karte wird … begrenzt … im Norden durch Gross-Germanien entlang der Donau‘; Divisio orb. 11: Germania omnis et Dacia finiuntur … a meridie flumine Danuvio ,ganz Germanien und Dacien werden von Süden her durch den Fluss Donau begrenzt‘. Dagegen wurden auf der Weltkarte Agrippas die Alpen als Südgrenze Germaniens angegeben; vgl. Mela 3,3,25: Germania … a meridie ipsis Alpibus … obducta est ,Germanien wird … im Süden von eben den Alpen … umschlossen‘ (AG 1, 100-101); Plin. nat. 3,132: Alpes … Germaniam ab Italia summovent ,die Alpen … trennen Germanien von Italien‘. Beide Grenzangaben miteinander verbunden in Dimens. prov. 19: Germania, Raetia, ager Noricus … a meridie iugis Alpium et flumine Danubio ,Germanien, Rätien, der norische Landstrich … vom Süden des Bergrückens der Alpen und vom Fluss Donau‘. 46 So etwa angenommen von Lundström 1927: 254-255; Norden 1959: 278. 47 Vgl. dazu Melin 1960: 121-125. Zur Etymologie der beiden Flussnamen s.u. a Sarmatis Dacisque] Die gleiche Wendung findet sich auch bei Tac. hist. 4,54,1: a Sarmatis Dacisque ,von den Sarmaten und Dakern‘. Nach den Grenzen Germaniens im Westen und Süden wendet Tacitus sich nun denen im Osten zu. Er listet jetzt wieder an Germanien angrenzende Völker auf. Der Grund wird (außer dem der Inkonzinnität) bei den Sarmaten zu suchen sein. Es wird teils behauptet, dass ”man zuerst die Daker, dann die Sarmaten erwarten. müsse und Tacitus ”auf Genauigkeit in solchen äußerlichen Fakten … keinen Wert. lege,48 dass also eine Reihung von Osten (Sarmatae; vgl. zur Positionierung der Sarmaten Plin. nat. 4,97: quidam haec habitari ad Vistlam usque fluvium a Sarmatis … tradunt ,einige überliefern, daß [die Gebiete] bis zur Weichsel von Sarmaten … bewohnt sind‘ [AG 1, 107-109]) nach Südosten (Daci) vorliege.49 Damit zusammenhängend besteht ebenfalls Unklarheit darüber, ob Tacitus unter Sarmaten alle Völker im Osten zusammenfasst, also hier den weiteren Sarmatenbegriff verwendet, wie auch Mela und andere tun (vgl. Mela 1,3,19: ab ea Germani ad Sarmatas porriguntur ,von [Gallien aus] breiten sich die Germanen bis zu den Sarmaten‘ [AG 1, 98-99]; ds. 3,3,25: Germania … ab oriente Sarmaticarum confinio gentium … obducta est ,Germanien wird … im Osten vom Grenzgebiet der Sarmatenstämme … umschlossen‘ [AG 1, 100-101]; ds. 3,4,33: Sarmatia intus quam ad mare latior, ab his quae secuntur Vistula amne discreta, qua retro abit usque ad Histrum flumen immittitur ,Sarmatien, das sich im Innern wie am Meer entlang weit [hinstreckt], ist von den [Germanen], die folgen, durch die Weichsel getrennt; von dort zieht es sich landeinwärts und erstreckt sich bis zur Donau‘ [AG 1, 102-103]; ebenfalls Strab. Geogr. 7,2,4 p. 294 C: ..te ..p t... .a.t.p.a. ..te t... .a.p.µ.ta. .a. .p... t... .p.p t.. ...t.. ......ta. ..µe. … ,denn wir kennen weder die Bastarner noch die Sauromaten noch überhaupt die oberhalb des Schwarzen Meeres lebenden Menschen …‘ [AG 1, 98-99]; Ptol. 3,5,1: . .. ..p.p. .apµat.a pep..p..eta. .p. µ.. .p.t.. t. te .apµat... ..ea.. .at. t.. ..e.ed.... ...p.. ,das in Europa liegende Sarmatien wird im Norden begrenzt durch den Sarmatischen Ozean am Venedischen Meerbusen entlang‘ [AG 1, 190-191]), was u.a. von Rives abgelehnt wird: ”It seems more likely, however, that he simply chose two specific peoples outside the empire as a match for the Raeti and Pannonii within it..50 Letzteres ist jedoch kaum zutreffend, was erstens aus der Formulierung cetera Oceanus 48 Perl 1990: 128. 49 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 2: ”Die Beschreibung der Ostgrenze beginnt also wieder im Norden.. 50 Rives 1999: 102; vgl. auch Müllenhoff 1900: 102: ”Unter den Sarmatae sind genau genommen zunächst nur die Iazyges … zu verstehn. (ebenso S. 103); vgl. auch Städele 1991: 302: ”sie [= Sarmaten] bewohnten die südrussische Steppe und stehen stellvertretend für alle Völkerschaften bis zu Ostsee.. ambit ‚den Rest umgibt der Ozean‘ und zweitens aus c. 46,1 hervorgeht, wo er die Finnen nicht eindeutig den Germanen oder Sarmaten zuzurechnen vermag. Die unter dem Namen Sarmaten zusammengefassten Völker grenzen also auch noch ganz im Norden (am Ozean) an die Germanen.51 Aber nicht nur im Nordosten finden sich Sarmaten, sondern ein Teilstamm von ihnen sind die Iazygen (von Tac. hist. 3,5,1 Sarmatae Iazuges genannt: principes Sarmatarum Iazugum ,die Häuptlinge der sarmatischen Jazygen‘), die sich im heutigen Ungarn, also neben Pannonien, niedergelassen hatten (s.u. und c. 43,1: partem tributorum Sarmatae … imponunt ,zum Teil erlegen ihnen … diese Abgaben die Sarmaten auf‘). Und auch diese wird Tacitus im Auge gehabt haben,52 so dass die Erstnennung der Sarmaten von Pannonien der Donau folgend aus gesehen sogar richtig ist. Und um die Unbequemlichkeit zu vermeiden, zwei von den Dakern getrennte Gebiete als Sarmatien zu bezeichnen,53 gab er den Völkernamen Sarmaten als Grenze an. 51 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 13; Anderson 1997: 34. 52 So auch Much 1967: 35; Anderson 1997: 34. 53 Vgl. auch Much 1967: 35: ”Er hätte daher im Osten als Grenzländer Sarmatia, Dacia und nochmals Sarmatia anführen müssen.. 54 Vgl. hierzu ausführlich RE IA,2: 2542-2550; RGA 26: 503-512. 55 Zur Ausbreitung der Sarmaten und der einzelnen Stammesabteilungen vgl. RE IA 2: 2543-2547. Die Sarmaten (gr. .apµ.ta., .a.p.µ.ta., ..pµ.ta., lat. Sarmatae),54 die sich in zahlreiche Stämme gliederten, waren ein Volk iranischer Abstammung, das vermutlich einen skythischen Dialekt sprach (vgl. Hdt. 4,117,1: f... d. .. .a.p.µ.ta. ..µ...... ....... ,die Sauromaten sprechen die skytische Sprache‘; Ov. Pont. 3,2,37-40: hic quoque Sauromatae iam vos novere Getaeque, / et tales animos barbara turba probat. / cumque ego de vestra nuper probitate referrem / (nam didici Getice Sarmaticeque loqui) ,hier selbst seid ihr bereits bekannt bei Sarmaten und Geten: solche Gesinnungen lobt selbst ein barbarisches Volk, und als ich hier von eurer Beständigkeit neulich erzählte – hab’ ich sarmatisch und auch getisch doch sprechen gelernt –‘). Der Name verdrängte allmählich den der Skythen als Oberbegriff all dieser Stämme. Um 50 n.Chr. zogen die Jazygen in die ungarische Tiefebene ein, wo sie sich niederließen, nachdem sie die dortigen Daker verdrängt hatten. Die Roxolanen werden bei Tacitus im Jahre 69 n.Chr. an der unteren Donau lokalisiert; vgl. Tac. hist. 1,79,1: audentius Rhoxolani, Sarmatica gens … magna spe Moesiam inruperant ,die Verwegenheit der Roxolaner, eines Sarmatenstammes … waren sie mit großen Erwartungen in Mösien eingefallen‘; ebd. 1,79,4: pauci, qui proelio superfuerant, paludibus abderentur , versteckten sich die wenigen, die den Kampf überlebt hatten, in den Sümpfen‘.55 Die Daker (gr. .a..., ....., lat. Daci)56 waren ein thrakisches Volk mit keltischen Einsprengseln. Gegen sie führte Domitian 85-88 einen ersten Feldzug, nachdem Augustus das Stammesgebiet nach seiner Eroberung nicht hatte halten können. Aber erst Traian konnte es in zwei Feldzügen (101-102 und 105-106) endgültig erobern und 106 zu einer römischen Provinz machen. 56 Vgl. RE IV,2: 1948-1976; RGA 5: 185-189. 57 Vgl. RE IV,2: 1949. 58 Vgl. Baumstark 1875: 12; anders etwa Holtzmann – Holder 1873: 85; Timpe 1992: 265: ”Tacitus scheint zu meinen, daß die östliche Ebene eine feste Grenze unmöglich mache (deshalb metus neben montes) …, aber eben nur eine unsichere und deshalb auch nicht genau beschreibbare.. Die Rheingrenze ist jedoch ebenfalls keine feste Grenze (s.o.). Der Name der Daker, deren ältere Form .a... ist (zum Verhältnis vgl. Gpa... : Graeci) ist etymologisch unklar.57 mutuo metu aut montibus] Diese Grenzangaben sind kaum weniger der Wahrheit entsprechend oder ungenau als die vorhergehenden.58 Auch hier liegt wieder eine stilistisch kunstvolle Wendung vor – eine Verbindung eines Abstraktums mit einem Konkretum (so ebenfalls Tac. hist. 2,4,3: duro magis et arduo opere ob ingenium montis et pervicaciam superstitionis ,eine Aufgabe, hart und schwierig mehr wegen der Beschaffenheit des Berges und der Verbissenheit des Fanatismus‘) –, die zudem durch Alliteration zusammengehalten wird. In Abweichung hiervon war auf der Weltkarte Agrippas wohl als Ostgrenze Germaniens die Weichsel angegeben worden (vgl. Mela 3,4,33: Sarmatia … ab his quae secuntur Vistula amne discreta ,Sarmatien … ist von den [Germanen], die folgen, durch die Weichsel getrennt‘ [AG 1, 102-103]; Plin. nat. 4,81: Agrippa totum eum tractum … quattuor milibus minus CCCC in latidudinem, ad flumen Vistlam a desertis Sarmatiae prodidit ,Agrippa berichtet, daß der gesamte Landstrich … 369 Meilen in der Breite von den Einöden Sarmatiens bis zur Weichsel messe‘ [AG, 1, 106-107]; ebd. 4,97: quidam haec habitari ad Vistlam usque fluvium a Sarmatis … tradunt ,einige überliefern, daß [die Gebiete] bis zur Weichsel von Sarmaten … bewohnt sind‘ [AG 1, 106-109]; Ptol. 2,11,4: t.. d. ..at...... p.e.p.. .p..e. … .a. . µet. t. .p. .p. t.. e.p.µ.... .efa... t.. .....t...a p.taµ.. ,die östliche Seite begrenzt … das hinter diesen Bergen [= den Sarmatischen Bergen] liegende Gebiet bis zu der schon genannten Quelle des Stromes Weichsel‘ [AG 1, 178-179]; Dimens. prov. 19: Germania … ab oriente flumine Vistula ,Germanien … im Osten von dem Fluss Weichsel‘; Divisio orb. 11: Germania omnis et Dacia finiuntur ab oriente flumine Vistla ,ganz Germanien und Dakien werden im Osten von dem Fluss Weichsel begrenzt‘; Iord. Get. 3: haec a fronte posita est Vistulae fluminis, qui Sarmaticis montibus ortus … Germaniam Scythiamque disterminans ,sie [= Scandza] liegt vor der Mündung der Vistula, welche auf den sarmatischen Gebirgen entspringt …, Germanien und Scythien scheidend‘; ebd. 5: Scythia … ab occidente Germanos et flumen Vistulae ,Scythien … grenzt … im Westen an die Germanen und an den Fluß Vistula‘), die natürlich auch Tacitus bekannt war.59 Doch wird zum einen im Osten die ethnische Grenze fließend, wie aus der unsicheren Zugehörigkeit der Peuciner, Veneter und Finnen zu den Germanen oder Sarmaten hervorgeht (c. 46,1: Peucinorum Venetorumque et Fennorum nationes Germanis an Sarmatis ascribam, dubito ,ob ich die Stämme der Peuciner und Veneter und Fennen zu den Germanen oder Sarmaten rechnen soll, ist mir zweifelhaft‘), zum anderen geht im Osten aufgrund mangelhafter Kenntnis die Welt ins Märchenhafte über (c. 46,4: cetera iam fabulosa ,alles weitere gehört schon in den Bereich der Fabel‘), so dass eine scharfe Ostgrenze hier weniger in Frage kam.60 Vielleicht unter Einfluss der fehlenden Weichsel oder überhaupt wegen den genannten Flüssen haben die Hss. lezuARce meatu in den Text gesetzt. 59 Dass Tacitus diesen Fluss nicht angibt, weil ”die Germanen vermutlich auch auf einem Streifen des Ostufers. saßen (Reeb 1930: 16), ist wenig wahrscheinlich. 60 Vgl. auch Schweizer-Sidler 1923: 2; Much 1967: 36; Perl 1990: 128. Anstelle einer geographischen Angabe steht die Junktur mutuo metu, die auch bei Livius vorkommt (2,32,5 [33,7,5]: metuque mutuo suspensa erant omnia ,und einer hatte Angst vor dem andern‘). Zur inhaltlichen Seite, dass Angst wie eine natürliche Grenze wirkt, vgl. Caes. Gall. 4,3,1: publice maximam putant esse laudem quam latissime a suis finibus vacare agros. hac re significari magnum numerum civitatum suam vim sustinere non potuisse ,sie halten es offen für den größten Ruhm, wenn das Land um ihre Grenzen herum möglichst weit unbewohnt ist. Damit geben man zu erkennen, daß eine große Anzahl von Stämmen ihrer Macht nicht hätte standhalten können‘ [AG 1, 72-73]; ebd. 6,23,1-2: civitatibus maxima laus est quam latissime circum se vastatis finibus solitudines habere. hoc proprium virtutis existimant, expulsos agris finitimos cedere neque quemquam prope se audere consistere ,zum höchsten Lob gereicht es den Stämmen, in möglichst weitem Umkreis die Gebiete zu verwüsten und Einöden zu haben. Sie halten es für ein Kennzeichen ihrer Tapferkeit, wenn die Nachbarn vertrieben werden und ihr Land verlassen und niemand es wagt, sich in ihrer Nähe niederzulassen‘ [AG 1, 74-75]; Mela 3,3,27: bella cum finitimis gerunt … ut circa ipsos quae iacent vasta sinnt ,sie führen Kriege mit den Nachbarn …, damit das umliegende Land unbesiedelt bleibt‘ [AG 1, 100-101]). Hier wird speziell die Grenze zu den Teilen der Sarmaten gemeint sein, die im Osten an die Germanen angrenzten, ein unbesiedelter Landstrich, der in anderen Quellen als deserta Sarmatiae bezeichnet wird und an unterschiedliche Gebiete grenzt; vgl. Plin. nat. 4,81: a desertis Sarmatis ,von den Einöden Sarmatiens‘ (AG 1, 106-107); Dimens. prov. 8: Dacia Getica finiuntur ab oriente desertis Sarmatiae ,Dacia und Getica werden im Osten von den Einöden Sarmatiens begrenzt‘; Divisio orb. 14: Dacia finitur ab oriente deserto Sarmatiae ,Dacia wird im Osten von der Einöde Sarmatiens begrenzt‘; Hipp. aer. 18,2: . d. ....... .p.µ.. .a...µ... ped... ..t. .a. .e.µa..d.. .a. .... .a. ...dp.. µetp... ,der Landstrich, der als skythische Steppe bekannt ist, ist eine kahle Ebene voller Wiesen und ziemlich gut bewässert‘; Aischyl. Prom. 2: ...... .. ..µ.., .ßat.. e.. .p.µ.a. ,in Skythiens Raum, in menschenöder Einsamkeit‘; Hdt. 5,9,1: .... t. p.p.. .d. t.. ...tp.. .p.µ.. ..p. fa..eta. ....a .a. .pe.p.. ,das Land jenseits des Istros scheint bereits unbewohnt und grenzenlos zu sein‘; Aristoph. Ach. 704: t. ...... .p.µ.. ,in dem skythischen Wüstensand‘; Curt. 7,8,23: Sytharum solitudines Graecis etiam proverbiis audio eludi ,ich höre, auch griechische Sprichwörter verspotten die Wüsten des Skythenlandes‘; vgl. ebenfalls die deserta Getarum bei Verg. georg. 3,462: cum fugit in Rhodopen atque in deserta Getarum ,wenn er des Nordlands Gebirge durchstreift und getische Steppen‘; Strab. Geogr. 7,3,14 p. 305 C: µeta.. d. t.. ...t.... .a..tt.. t.. .p. ...tp.. .p. S.pa. .a. . t.. Get.. .p.µ.a pp..e.ta. ,dazwischen liegt vor dem Schwarzen Meer vom Istros bis zum Tyras auch die Einöde der Geten‘. Tacitus selbst spricht hist. 4,73,3 von solitudinibus, die sich allerdings in Germanien befinden. aut dient hier zum Herabsteigen vom stärkeren zum schwächeren Begriff.61 Gemeint ist also, dass teils Angst, teils nur Berge trennen.62 61 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 101-102. 62 Vgl. Anderson 1997: 35; auch Benario 1999: 63 gesteht den Bergen lediglich eine geringere Trennungskraft zu: ”mountains, whose precision in separating people is less than that of rivers.. Anders jedoch Baumstark 1875: 15: ”da wo die montes nicht trennen, trennt nur mutuus metus.. Mit den montes sind die Karpaten gemeint, wo die Daker und auch die iazygischen Sarmaten (aus diesem Grund werden die Berge auch nach ihnen benannt bei Ptol. 2,11,4: .apµat... .p. ,Sarmatischen Berge‘ [AG 1, 178-179]; vgl. auch 2,11,5: .a...µe.a .apµat... ,die die Bezeichnung ”Sarmatische. haben‘ [AG 1, 178-179]; Iord. Get. 3: qui Sarmaticis montibus ortus ,der Vistula, welche auf den sarmatischen Gebirgen entspringt‘) an germanische Stämme, wie die Bastarnen (daher werden diese auf der Tabula Peut. Alpes Bastarnicae genannt; vgl. auch Plin. nat. 4,80-81: superiora … usque ad … Germanorumque ibi confinium … montes … et saltus … Daci … aversa Basternae tenent aliique inde Germani ,die oberen [Gegenden] … bilden die Grenzen zu den Germanen; Gebirge und Wälder [bewohnen] … die Daker … [das Gebiet] jenseits … halten die Basternen und von da an weitere Germanen‘ [AG 1, 106-107]), grenzten; es handelt sich also um die Grenze im Südosten. separatur] Die meisten Hss. geben seperatur, entweder ausgeschrieben oder gekürzt, was auf eine Kürzung sep.tur in einer Vorlagenstufe weist.63 Lediglich E (und das daraus abgeschriebene T) scheint separatur zu haben.64 63 Vgl. Müllenhoff 1900: 102. Hierzu weder bei Robinson 1991 noch bei Perret 1997 eine Bemerkung. 64 Vgl. auch Maßmann 1847: 45. 65 Lund 1988: 109 behauptet, dass man nicht ”zwischen der Nordsee und der Ostsee. unterschied, was aber durch die ausdrückliche Nennung des Suebicum mare in c. 45,2 widerlegt wird, wozu Lund 1988: 232 schreibt: ”geht Tac. zur Beschreibung … des suebischen Meeres (d.h. der Ostsee) über.; er nimmt also letztendlich ebenfalls eine Scheidung zwischen Nord- und Ostsee an. cetera Oceanus ambit] Hier nennt Tacitus die Nordgrenze von Germanien, nämlich das Meer, das Germanien von den Galliern bis zu den Sarmaten umgibt, also Nord- und Ostsee zusammen; vgl. zu dieser Vorstellung die Angabe auf dem Mon. Arc. 26: item Germaniam, qua includit Oceanus … pacavi ,ebenso Germania habe ich befriedet, ein Gebiet, welches … durch den Ozean umschlossen wird‘; der Ozean als Nordgrenze wird naturgemäß von allen geographischen Beschreibungen, die eine Nordgrenze angeben, genannt, vgl. etwa Ptol. 2,11,1: t.. d. .p.t.... . Gepµa..... ..ea... ,die nördliche der germanische Ozean‘ (AG 1, 174-175). Die Ostsee wird zwar in c. 45,2 mit einem eigenen Namen – Suevici maris ,das suebische Meer‘ – genannt, gilt aber trotzdem als Teil des Oceanus, da nach c. 44,2 die Suionen in Oceano leben. Tacitus unterscheidet also entgegen Lunds Meinung65 sehr wohl zwischen beiden. Die Ostsee wurde erst durch die Flottenexpedition des Tiberius (s.u.) bekannt. Die Grenzbeschreibung Germaniens bei Tacitus ist vergleichbar mit der bei Isid. orig. 14,4,4: Germania post Scythiam inferiorem a Danubio inter Rhenum fluvium Oceanumque conclusa cingitur a septentrione et occasu Oceano, ab ortu vero Danubio, a meridie Rheno flumine dirimitur ,Germanien, begrenzt nach dem unteren Scythien hin durch die Donau, wird zwischen dem Rhein und dem Ozean im Norden und Westen vom Ozean umgeben, im Süden durch den Rhein abgebrochen‘. latos sinus et insularum inmensa spatia complectens] Die Bedeutung von sinus ist umstritten. Der Ausdruck wird teils als ,Meerbusen‘ teils als ,Landvorsprung‘ gedeutet.66 Diejenigen, die als Bedeutung ,Meerbusen‘ ansetzen, müssen jedoch zum einen das Partizip complectens im Sinne von efficiens auffassen,67 zum anderen einen Gegensatz zwischen lati sinus und immensa spatia insularum konstruieren.68 Für beides gibt es aber keinen Grund. Als Argument für die Bedeutung ,Meerbusen‘ wird angeführt, dass Tacitus ”außer der kimbrischen Halbinsel … keine andere aufzählen. könnte.69 Der Plural wird jedoch kein eigentlicher Plural sein, sondern entweder in Angleichung an den folgenden immensa spatia insularum stehen70 oder als ”vague generalization.71 aufzufassen sein. Ebenfalls wird bei den beiden durch et zusammengehaltenen Gliedern kein Gegensatz vorliegen, sondern unter beiden sind wohl Landstücke zu verstehen, die entweder mit dem Festland verbunden oder nicht damit verbunden sind. Dies wird auch durch das einmalig gesetzte complectens nahe gelegt, das hier in der Bedeutung ,in sich begreifen, in sich schließen‘ steht (vgl. die syntaktische Parallele bei Liv. 44,1,12: vires … populi Romani … terrarum orbem complectentis ,die Kräfte … des römischen Volks … umfassten den Erdkreis‘72), was also heißt, dass der Ozean die sinus ,in sich einschließt, umfasst‘. Ebenfalls hat sinus in c. 29,3 (mox limite acto promotisque praesidiis sinus imperii et par provinciae habentur ,seitdem dann der Grenzwall angelegt und die Posten vorgeschoben wurden, gelten sie als Vorsprung des Reiches und provinzähnliches Gebilde‘) die Bedeutung ,Vorsprung‘ (vgl. auch Tac. ann. 4,5,2: dehinc initio ab Suriae usque ad flumen Euphraten, quantum ingenti terrarum sinu ambitur ,dann das Landgebiet, das sich von der Grenze Syriens bis zum Euphrat in einer gewaltigen Ausbuchtung erstreckt‘; diese Verwendung von sinus lässt sich ebenfalls bei Plin. nat. 4,1 belegen: tertius Europae sinus ,der dritte Landvorsprung Europas‘ [von Griechenland gesagt]), und die lati sinus sind dem ingenti flexu ,nach einer gewaltigen Biegung‘ in c. 35,1 parallel (in septentrionem ingenti flexu redit ,nach Norden zu tritt es nach einer gewaltigen Biegung wieder zurück‘), so dass auch hier die kimbrische Halbinsel gemeint sein wird. 66 Für ‚Meerbusen‘ treten z.B. ein: Baumstark 1875: 17; Reeb 1930: 17; Melin 1960: 126; für ‚Landvorsprung‘ z.B.: Müllenhoff 1900: 103; Gudeman 1916: 51; Schweizer-Sidler 1923: 2; Forni - Galli 1964: 55; Much 1967: 37; Lund 1988: 109; Perl 1990: 128; Anderson 1997: 35; Rives 1999: 103; als unentscheidbar angesehen von Städele 1991: 302, Anm. 155. 67 Wie Reeb 1930: 17, der von der normalen Bedeutung von complectens ausgeht, dann auf ”die Meerbusen der Nordsee. kommt, die der Ozean in sich schließen soll, ist unklar, da der Ozean Subjekt von complectens ist. 68 Vgl. Baumstark 1875: 17. 69 Reeb 1930: 17. 70 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 51; Schweizer-Sidler 1923: 2; Galli - Forni 1964: 55; Much 1967: 37. 71 Rives 1999: 103. 72 Weitere Beispiele ThLL III: 2084,62-67. Unter den unermesslich großen Inseln ist wahrscheinlich neben den dänischen Inseln vor allem Skandinavien zu verstehen,73 da Letzteres nach der Auffassung der Antike als eine Insel galt; vgl. etwa Mela 3,6,54: septem Haemodae contra Germaniam vectae in illo sinu quem Codanum diximus; ex iis Scadinavia (Codannovia), quem adhuc Teutonai tenent, {et} ut fecunditate alias ita magnitudine antestat ,sieben Hämodes-Inseln [Dänemark] liegen gegenüber von Germanien in dem bereits erwähnten Codanus-Golf; von diesen übertrifft Scandinavia, das noch heute die Teutonen innehaben, die anderen an Fruchtbarkeit und ebenso an Größe‘; Plin. nat. 4,96: qui Codanus vocatur, refertus insulis, quarum clarissima est Scatinavia, inconpertae magnitudinis ,der [Meerbusen] der Kodanische heißt und voll von Inseln ist; deren berühmteste ist Skandinavien; ihre Größe kennen wir nicht‘ (AG 1, 106-107); ebd. 4,104: sunt, qui et alias prodant: Scandias ,manche erwähnen noch andere (Inseln): Scandiae‘; Ptol. 2,11,16: d’ ..... a. .a...µe.a. ..a.d.a. ,vier Inseln, die sogenannten Skandischen‘ (AG 1, 190-191); ebd.: .a.e.ta. d. .d... .a. a.t. ..a.d.a ‚diese Insel selbst hat auch die eigenen Bezeichnung Skandia‘ (AG 1, 190-191); Iord. Get. 3: insula magna … in modum folii cetri, lateribus pandis, per longum ducta concludens se ,eine große Insel … von der Gestalt eines Zitronenblatts mit krummen Seitenkanten, weit in die Länge gezogen‘. Da Skandinavien mit eingeschlossen ist, steht inmensus hier wohl nicht ”in abgeschwächter Bedeutung.,74 sondern in der normalen Bedeutung ,unermesslich‘ (über die unermessliche Größe der im Norden gelegenen Inseln berichtet auch Plin. nat. 4,96: Scatinavia, inconpertae magnitudinis ,Skandinavien; ihre Größe kennen wir nicht‘ (AG 1, 106-107); als größte der Inseln auch bei Mela 3,6,54 genannt: ex iis Scadinavia …et ut fecunditate alias ita magnitudine antestat ‚(die Insel) Skandinavien … und sie übertrifft die anderen an Fruchtbarkeit wie an Größe‘(AG 1, 102-103); diese Vorstellung galt bis in das Mittelalter hinein; vgl. Ad. Brem. 4,15, der an einem Festland Skandinavien zweifelt: asserunt etiam periti locorum a Sueonia terrestri via permeasse quosdam usque in Graeciam ,Ortskundige versichern sogar, es gebe Leute, die von Schweden aus auf dem Landwege bis ins Byzantinische Reich gezogen seien‘.75 73 Abzulehnen ist die Annahme von Wolters 1994: 85-91, dass unter den Inseln die britischen Inseln zu verstehen seien, und hier eine Anspielung auf die Eroberung (quos bellum aperuit) von Tacitus’ Schwiegervater Agricola vorliege; als Möglichkeit auch bei Städele 1991: 302, Anm. 156. 74 Lund 1988: 109; so schon Wölfflin 1867: 159; Schweizer-Sidler 1923: 2. 75 So etwa auch Baumstark 1875: 17; Gudeman 1916: 51; Reeb 1930: 17. Dass Skandinavien ebenfalls von seinen Namengebern als eine Insel vorgestellt wurde, zeigt das Zweitglied des Namens, welches urgerm. *-a..o- ,Aue, Land am Wasser, Insel‘ (> ahd. ouwa, ae. ig, aisl. ey) fortsetzt. Das Erstglied stellt eine Ableitung mittels des Zugehörigkeit bildenden Suffixes urgerm. *-ina- von urgerm. *skada- ,Maifisch‘ dar.76 Das Toponym urgerm. *Skadina-a..o- bedeutet somit ,die maifischene Au‘, so dass das Benennungsmotiv im Fischreichtum des umliegenden Gewässers zu suchen ist.77 76 Fortgesetzt in nddt. schade(n) ‚Maifisch‘. 77 Wagner 1994-1995; RGA 28: 582-587. 78 So Lund 1988: 109; anders Lund 1991a: 1870: ”, das offensichtlich keine Gestalt hat, die sich durch irgendeine geometrische Figur oder einen Gegenstand veranschaulichen ließe.. 79 Gudeman 1916: 51; vgl. auch Schweizer-Sidler 1923: 2; Reeb 1930: 17; Perl 1990: 128; Anderson 1997: 35. 80 Lediglich von Wolters 1994: 85-91 auf Agricolas Eroberungen in Brittanien bezogen. 81 Vgl. Melin 1960: 129 für Beispiele. 82 Rives 1999: 103. 83 Der Erklärungsversuch von Melin 1960: 130 ist nicht überzeugend: ”Führt uns Tacitus nicht durch diese Schilderung [= cetera Oceanus ambit, latos sinus et insularum immensa spatia complectens] gewissermaßen in die Urzeit zurück, malt er nicht ein mächtiges Bild des Ozeans, der jahrtausendelang die Nordgrenze Germaniens bespült hat? Das nuper ist nicht so schwerverständlich: erst in neuerer Zeit hat man dort gewisse Völker und Könige kennengelernt.. Man hätte an dieser Stelle nach dem t.p.. pe.. s..µat.. einen Vergleich des Landes mit einem Gegenstand oder einer geometrischen Figur erwarten können (vgl. Tac. Agr. 10,3: formam totius Britanniae ... eloquentissimi auctores oblongae scutulae vel bipenni adsimulavere ,die Gestalt Britanniens im ganzen haben ... sehr sprachgewandte Schriftsteller, mit einer länglichen Raute oder einer Doppelaxt verglichen‘). Ob der Verzicht jedoch anzeigt, dass Tacitus keine genaue Vorstellung von der Gestalt Germaniens hatte,78 muss zumindest zweifelhaft bleiben. nuper cognitis quibusdam gentibus ac regibus] Zum Ausdruck vgl. Plin. nat. 4,97: XXIII inde insulae Romanis armis cognitae ,von da an sind den Römern dank ihrer Kriege 23 Inseln bekannt‘ (AG 1, 108-109). Das Zeitadverb nuper kann die Bedeutung ,vor nicht langer Zeit‘ und ,vor längerer Zeit‘ haben. Von den meisten wird dem Wort die erstere Bedeutung beigelegt, wodurch jedoch eine ”relative Bedeutung. angenommen werden muss.79 Unumstritten ist, dass sich die Aussage auf die Flottenfahrt des Tiberius ins Kattegatt im Jahre 5 n.Chr. (s.u.) bezieht.80 Diese relative Bedeutung kann jedoch nur bei einem Vergleich mit der Urzeit auftreten, dann jedoch ”einen ungeheuren Zeitraum umspannen..81 So wird nuper etwa in c. 2,3 verwendet, bei einem Vergleich zwischen vera et antiqua nomina und vocabulum recens et nuper additum, so dass hier ,in neuerer Zeit‘ meint ,rezenter als die graue Vergangenheit‘. Ein solcher Vergleich existiert hier jedoch nicht, was von Rives zwar gefühlt wurde (”Although the point of comparison ist not so clear ….),82 aber ohne Konsequenz blieb.83 Daher hatte auch Lundström angenommen, das Wort sei einer älteren Quelle entnommen.84 Aber das vermag ebenfalls wegen der Stilisierung des ganzen Kapitels nicht zu überzeugen. Es scheint somit unbedenklich, die zweite Bedeutung von nuper heranzuziehen (vgl. u.a. Caes. Gall. 1,6,2: Allobrogum, qui nuper pacati erant ,Allobroger, die vor einiger Zeit unterworfen worden sind‘; Cic. nat. 2,126: nuper, id est paucis ante saeclis ,in neurer Zeit, d.h. vor wenigen Jahrhunderten‘). Die Völkerschaften waren also schon vor längerer Zeit bekannt geworden. Somit ist es durchaus möglich, aus dieser Stelle eine versteckte Kritik an der römischen Eroberungspolitik herauszulesen: damals haben wir noch durch Krieg neue Völkerschaften kennen gelernt, jetzt unternehmen wir nichts mehr und lernen keine weiteren mehr kennen (auch etwa nicht die Nachfolger jener damals bekannt gewordenen Könige). 84 Lundström 1927: 256-262; in dessen Nachfolge Much 1967: 38. 85 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 788. 86 Vgl. Much 1967: 38: ” gibt als Abl. abs. den Grund an, warum die Strecken, Halbinseln und Inseln, weit und ungemessen genannt werden. Das mussten sie wohl sein, wenn dort Völker und Königreiche Platz fanden.; so auch etwa Müllenhoff 1900: 104; Schweizer-Sidler 1923: 2. 87 So auch Gudeman 1916: 52: ”Der Abl. absol. ist weder kausal noch temporal.; Baumstark 1875: 18-19; Anderson 1997: 35. 88 So auch Reeb 1930: 17. Vielleicht steht der Abl. abs. anstelle eines Relativsatzes, wie Gudeman 1916: 52 meint. 89 Etwa Reeb 1930: 17; Lund 1988: 109; Perl 1990: 128. 90 So Schweizer-Sidler 1923: 2; Much 1967: 38; zu älterem vgl. Baumstark 1875: 19. Der locker angefügte Abl. abs.85 cognitis quibusdam gentibus ac regibus wird zumeist als Begründung dafür aufgefasst, dass die genannten Gebiete latus und inmensus genannt werden.86 Aber die Größe eines Gebiets ist nicht kausal von der Bevölkerungszahl abhängig87 (auch die Antarktis ist sehr groß), und da die Römer zeitgleich mit der Kenntnisnahme der Völker und Könige (zum Begriff ,König‘ vgl. c. 7,1) auch die Landvorsprünge und Inseln kennen gelernt hatten (nämlich ebenfalls durch die Flottenexpedition des Tiberius), gibt der Abl. abs. wohl eher einen Nebenumstand an.88 gentibus ac regibus wird häufig entweder als ,gentibus sub regibus‘ aufgefasst,89 da ac bei Tacitus manchmal für enge Verbindungen oder Ergänzungen verwendet wird, oder als ”Völker ohne und mit Königen.,90 wobei auf Sall. Iug. 14,17: nationesne an reges ,etwa Völker oder Könige‘ verwiesen wird, was jedoch kaum zu überzeugen vermag, da hier an und eben nicht ac steht. Bei dem ersten Vorschlag entsteht allerdings die Schwierigkeit, dass dann gentibus ac regibus sich nur auf die in c. 44,1 genannten Stämme beziehen könnte, was doch problematisch ist, da diese Stämme nie mit den Römern Krieg geführt haben (s.u.). Am einfachsten scheint es daher, die Wörter genau so zu verstehen, wie sie geschrieben sind, also als ,Stämme und Könige‘.91 Dabei steht ac in der Bedeutung ,und zwar, und besonders‘ zur Anknüpfung eines gewichtigeren Gedankens: Es war für die Römer sicher wichtiger, mit den Regierenden eines Stammes in Kontakt zu treten als mit dem Stamm in seiner Gesamtheit. Vielleicht ist der Begriff rex hier etwas weiter gefasst als an den anderen Belegstellen (vgl. c. 7,1). Auf jeden Fall ist dieser rex-Beleg von denen in der climax regia (vgl. c. 44,1: trans Lygios Gothones regnant paulo iam adductius quam ceterae Germanorum gentes, nondum tamen supra libertatem. protenus deinde ab Oceano Rugii et Lemonii, omniumque harum gentium insigne rotunda scuta, breves gladii et erga reges obsequium ,jenseits der Lugier üben die Gotonen ihre Königsherrschaft aus, schon etwas straffer als die übrigen Völkerschaften der Germanen, jedoch noch nicht bis zum Verlust ihrer Freiheit. Unmittelbar anschließend folgen weiterhin am Ozean die Rugier und Lemovier, und kennzeichnend für all diese Völkerschaften sind runde Schilde, kurze Schwerter und Gehorsam gegen ihre Könige‘) zu trennen.92 91 Vgl. Much 1967: 38 in der Zufügung; Büchner 1985: 149; Anderson 1997: 36; Rives 1999: 77. 92 Vgl. etwa Gudeman 1916: 52; Lund 1988: 109; Perl 1990: 128-129. 93 gens steht hierbei zumeist für mehrere kleinere Völkerschaften, die einen gemeinschaftlichen Stammesnamen führen. Ausgeweiteter findet gens sich in der Fügung ius gentium, das allen Völkern gemeinsame Recht, dessen Gegensatz das ius civile, das den römischen Bürgern vorbehaltene Recht, ist. 94 Und zwar die, die von gleicher Abkunft, die einem Stammvater entsprossen ist. 95 Vgl. Perl 1983: 57: ”für die Gesamtheit aller Germanen (bzw. Gallier usw.).; Lund 1988: 40: ”die gesamte Bevölkerung eines bestimmten geographischen Raumes von anderen entsprechenden Gruppen abgegrenzt.. 96 Perl 1983: 57: ”für einen einzelnen Stamm.; Lund 1988: 40: ”eine kleinere Bevölkerungsgruppe.. 97 Perl 1990: 83 und 135. Das Wort gens hat im Lateinischen zwei große Bedeutungsfelder. Erstens bedeutet es ,Volk‘,93 zweitens ,Sippe‘.94 Es bezeichnet damit einen Verband, der zwischen Familie und Staat anzusetzen ist. Der Verband führt denselben Gentilnamen, und seine Mitglieder berufen sich auf eine gemeinsame Abstammung. Im Laufe der römischen Geschichte verringert sich der Status der gens, da die übergeordnete Rolle des populus die der gens herabsetzt. Später steht der Begriff gens fast gleichwertig neben dem Begriff familia (vgl. Ulpian. dig. 50,16,195,4: quae ab eiusdem ultimi genitoris sanguine proficiscuntur (sicuti dicimus familiam Iuliam) ,welche [= mehrere Personen, die] von dem Blute eines und desselben Erzeugers abstammen, wie wenn wir familia Julia sagen‘). Im ersten Teil der Germania hat der Begriff gens verschiedene Bedeutungsinhalte. Er wird erstens für alle Germanen verwendet,95 und zwar in c. 4, 10,2, 14,2, 19,2, 21,2 und 22,3. Zweitens steht der Begriff für eine Einzelvölkerschaft,96 nämlich in c. 1,1, 2,1, 10,2, 13,3, 15,2, 25,2 und 27,2. Schließlich kann er zur Bezeichnung eines Stammesverbandes dienen, so in c. 2,2 und 2,3.97 quos bellum aperuit] Die Bezugswörter des Relativpronomens quos sind gentibus ac regibus; das Relativpronomen steht im Pl. m. wenn es sich auf zwei Substantiva unterschiedlichen Geschlechts bezieht.98 Die Verwendung von aperire als ,ans Licht bringen, eröffnen‘ findet sich noch bei Tac. Agr. 22,1: tertius expeditionum annus novas gentes aperuit ,das dritte Feldzugsjahr ließ neue Völkerschaften sehen‘; ds. hist. 2,17,1: aperuerat iam Italiam bellumque transmiserat … ala Siliana ,den Zugang nach Italien geöffnet und den Krieg hinübergetragen hatte bereits … die Reiterschwadron Siliana‘ (vgl. auch Liv. 3,15,9: lux deinde aperuit bellum ,das Tageslicht ließ dann den Krieg sichtbar werden‘; ds. 27,2,10: ubi lux fugam hostium aperuit ,als das Tageslicht die Flucht der Feinde offenbarte‘; Lucan. 4,352: aperimus eoas ,wir … öffnen dir den Weg zum Osten‘). 98 Kühner – Stegmann II,1: 57. 99 Zumindest ist die Begründung bei Much 1967: 38, dass die bei diesen Gelegenheiten entdeckten Inseln ”nicht immensae und mehrere gentes ac reges … auf ihnen nicht unterzubringen. waren, nicht ausreichend, um nicht auch an diese Expeditionen zu denken. Die Stelle bezieht sich wohl am ehesten auf die Flottenexpedition des Tiberius 5 n.Chr. möglicherweise aber ebenfalls auf die Unternehmungen unter Drusus im Jahr 12 v.Chr. und Germanicus 16 n.Chr.99 Während der Germanenexpedition zwischen 4 und 6 n.Chr. drang Tiberius Claudius Nero 5 n.Chr. bis zur Elbe vor, wobei seine Flotte den Ozean befuhr; vgl. Plin. nat. 2,167: septentrionalis vero oceanus maiore ex parte navigatus est, auspiciis Divi Augusti Germaniam classe circumvecta ad Cimbrorum promunturium et inde inmenso mari prospecto aut fama cognito Scythicam ad plagam et umore nimio rigentia ,das Nordmeer wurde größtenteils mit Schiffen befahren, als eine Flotte im Auftrag des göttlichen Augustus um Germanien herum bis zum Vorgebirge der Kimbern fuhr und dahinter ein unermeßlich weites Meer erblickte oder gerüchteweise davon hörte, daß es sich mit seinen gewaltigen, erstarrenden Wassermassen bis zum Land des Skythen (erstreckte)‘ (AG 1, 104-105); Vell. 2,106,3: classis, quae Oceani circumnavigaverat sinus, ab inaudito atque incognito ante mari flumine Albi subvecta, plurimarum gentium victoria cum abundantissima rerum omnium copia exercitui Caesarique se iunxit ,vereinigte sich … die Flotte, die den Meerbusen umfahren hatte und von dem bis dahin völlig unbekannten Meer aus die Elbe hinaufgefahren war, nach einem Sieg über zahlreiche Völker mit einer überreichen Menge aller möglichen Güter mit dem Heer und mit Casear‘ (AG 2, 40-41); Mon. Anc. 26,4: cla[ssis m]ea per Oceanum] ab ostio Rheni ad solis orientis regionem usque ad fines Cimbroru]m navigavit, quo neque terra neque mari quisquam Romanus ante id tempus adit, Cimbrique et Charydes et Semnones et eiusdem tractus alii Germanorum popu[l]i per legatos amicitiam meam et populi Romani petierunt ,meine Flotte segelte von der Rheinmündung gegen Sonnenaufgang über den Ozean bis zum Gebietder Kimbern, wohin weder zu Lande noch zu Wasser je zuvor ein Römer gelangte; und die Kimbern, Charyden, Semnonen und andere Germanenvölker dieser Gegend erbaten durch Gesandte meine Freundschaft und die des römischen Volkes‘ (AG 2, 42-43); Cass. Dio 55,28,5: .a. µ..p. .e t.. p.taµ.., pp.tep.. µ.. t.. ......p..., µet. d. t..t. .a. t.. ..ß..., pp.e..p..e. ,Tiberius drang dabei bis zum Strom vor, zunächst bis zu Weser, dann bis zur Elbe‘ (AG 2, 44-45).100 100 Vgl. RE X,1: 489. 101 Vgl. RE III,2: 2710-2714. Während der Germanenfeldzüge zwischen 12 und 9 v.Chr. gelangte Nero Claudius Drusus im Jahre 12 v.Chr. mit seiner Flotte auf den Ozean und eroberte die Insel Borkum; vgl. Suet. Claud. 1,2: is Drusus … deinde Germanici belli Oceanum septemtrionalem primus Romanorum ducum nauigauit transque Rhenum fossas naui et immensi operis effecit, quae nunc adhuc Drusinae uocantur ,dieser Drusus, der …dann im Germanischen Krieg war, durchfuhr als erster Feldherr der Römer mit dem Schiff den nördlichen Ozean und ließ jenseits des Rheins in einem neuen gewaltigen Werk ‚Gräben‘ bauen, die bis heute die ‚Drusischen‘ heißen‘ (AG 2, 22-23); Cass. Dio 54,32,2: .. te t.. ..ea... d.. t.. ..... .atap.e..a. t... te .p...... ..e...at., .a. .. t.. Fa...da d.. t.. ..µ... .µßa... ....d..e..e, t.. p..... .p. t.. t.. ..ea... pa..pp..a. .p. t.. ..p.. .e..µ.... ,nachdem er dann rheinabwärts in den Ozean gefahren war, traf er ein Abkommen mit den Friesen und fiel nach Überquerung des Sees ins Land der Chauken ein, wo er in Gefahr geriet, da die Schiffe bei Ebbe aufliefen‘ (AG 2, 18-19).101 Während der Germanenfeldzüge gelangte Germanicus Iulius Caesar sowohl im Jahre 15 wie 16 n.Chr. zu Schiff an die Emsmündung; vgl. Tac. ann. 1,60,2: et ne bellum mole una ingrueret, Caecinam cum quadraginta cohortibus Romanis distrahendo hosti per Bructeros ad flumen Amisiam mittit, equitem Pedo praefectus finibus Frisiorum ducit. ipse impositas navibus quattuor legiones per lacus vexit ,und damit der Krieg nicht mit seiner ganzen Gewalt hereinbreche, schickte er [= Germanicus] Caecina mit 40 römischen Kohorten durch das Brukterer(land) an die Ems, um die feindlichen (Kräfte) auseinanderzureißen; der Präfekt Pedo führte die Reiterei durch das Gebiet der Friesen. Er selbst bemannte Schiffe mit vier Legionen und fuhr durch die Seen‘ (AG 2, 84-85); ebd. 2,8,1: lacus inde et Oceanum usque ad Amisiam flumen secunda navigatione pervehitur ,von dort aus durchfuhr er [= Germanicus] auf einer zweiten Schiffsreise die Seen und das Meer bis zur Ems‘ (AG 2, 100- 101).102 102 Vgl. RE X,1: 444-450. 103 Zum Flussverlauf des Rheins vgl. RGA 24: 525-526. 104 Im Kelt. lediglich einmal belegt in air. Rían (cen rian n-etrom ‚cis Rhenum‘); vgl. RGA 22: 525. 105 Das Benennungsmotiv des Flusses ist somit dessen starke Strömung. 106 Fortgesetzt in ved. ri.a.ti ‚versetzt in unruhige Bewegung, lässt wirbeln‘ (< *h3ri-né/n-H-) und ved. riyate ‚wirbelt, befindet sich in unruhiger Bewegung‘ (< *h3riH-.é/ó-), vgl. LIV 2001: 305-306. 2 Rhenus] Nach dem groben Überblick wendet sich Tacitus jetzt den natürlichen Grenzen im Westen und Süden genauer zu. Der Rhein wurde den Römern zuerst durch Caesar näher bekannt103 (Gall. 4,10,3-5: Rhenus autem oritur ex Lepontiis qui Alpes incolunt, et longo spatio per fines Nantuatium, Helvetiorum, Sequanorum, Mediomatricorum, Tribocorum, Treverorum citatus fertur, et ubi Oceano adpropinquavit, in plures diffluit partes multis ingentibusque insulis effectis, quarum pars magna a feris barbarisque nationibus incolitur …, multisque capitibus in Oceanum influit ,der Rhein aber entspringt bei den Lepontiern, die in den Alpen wohnen, fließt dann eine lange Strecke schnell durch das Gebiet der Nantuaten, Helvetier, Sequaner, Mediomatriker, Triboker und Treverer, und sobald er sich dem Ozean nähert, teilt er sich in mehrere Arme und bildet zahlreiche, riesige Inseln, die zum großen Teil von wilden Barbarenvölkern bewohnt werden; … und in vielen Mündungen ergießt er sich dann in den Ozean‘ [AG 1, 322-323]). Der FlN Rhein ist keltischen Ursprungs und wurde noch in der frühkelt. Form *re.nos104 ins Germ. entlehnt, was sich im Germ. zu *rinaz entwickelte (> ahd. Rin), wogegen lat. Rhenus aus der gall. Weiterentwicklung *renos stammt. Das urkelt. Adj. *re.nos ,wirbelnd fließend‘105 ist eine Ableitung mit dem Suffix *-no- zu uridg. *h3re.H- ,wallen, wirbeln‘.106 Es sind im keltischen wie im germanischen Raum mehrere Flüsse mit diesem Namen bezeugt, wie etwa Reno (Oberitalien), Reins (Loire), Rhein (Bitterfeld) oder Rhin (Havelland). Rheticarum Alpium inaccesso ac praecipiti vertice ortus] Diese Beschreibung lässt nicht erkennen, welcher der beiden Quellflüsse des Rheins gemeint ist, der Vorderrhein, der im 2345 Meter hoch gelegenen Toma-See entspringt, oder der Hinterrhein, der am Fuß des Gletschers des Rheinwaldhorns, dessen Höhe 3402 Meter beträgt, entspringt. Die nachfolgende Bestimmung inacesso … vertice lässt zwar eher an letzteren denken, aber der Vorderrhein war den Römern wohl besser bekannt; es mag sich also um eine reine Stilisierung handeln. Die beiden Quellflüsse vereinigen sich bei Reichenau zum eigentlichen Rhein. Über die Quelle des Rheins berichten Caes. Gall. 4,10,3: Rhenus autem oritur ex Lepontiis, qui Alpes incolunt ,der Rhein aber entspringt bei den Lepontiern, die in den Alpen wohnen‘ (AG 1, 322-323); Strab. Geogr. 4,3,3 p. 192 C: t.. d’ .p. t. .... pp.t.. t.. .p..t.. ........ .....tt..., pap’ ... e.... a. p..a. t.. p.taµ.. .. t. .d...a .pe.. t..t. d’ ..t. µ.p.. t.. ..pe.. … ,das Land am Rhein bewohnen als erste von Allen die Helvetier, bei denen sich die Quellen des Flusses im Adulagebirge befinden; dieses ist ein Teil der Alpen …‘; ebd. 4,6,6 p. 204 C: ... .p..e. d. t..t.. ..d. t.. ..... a. p..a. ,nicht weit davon [= von der Quelle der Rhône] sind auch die Quellen des Rheins‘; ebd. 7,5,1 p. 292 C: ..t. d. p...... a.t.. . te t.. ...tp.. p... .a. . ..... ,in dessen Nähe [= des Herkynischen Waldes] ist die Quelle des Istros und die des Rheins‘; Plin. nat. 3,135: Raetorum Vennonenses Sarunetesque ortus Rhenus amnis accolunt, … ,von den Rätern wohnen die Vennonensen und Saruneten am Ursprung des Stromes Rheins, …‘; Mela 3,2,24: Rhenus Alpibus decidens prope a capite duos lacus efficit Venetum et Acronum ,der Rhein strömt von den Alpen herab und bildet nicht weit von seiner Quelle zwei Seen, der See der Veneter und der See der Acronen‘ (AG 1, 100-101); Amm. 15,4,2-4: inter montium celsorum amfractus immani pulsu Rhenus … scopulos extenditur … amnes adoptans, ut per cataractas inclinatione praecipiti funditur Nilus. et nauigari ab ortu poterat primigenio copiis exuberans propriis, ni ruenti curreret similis potiusquam fluenti … iamque ad … solutus altaque diuortia riparum adradens lacum inuadit rotundum et uastum, quem Brigantiam accola Raetus appellat, perque quadringenta et sexaginta stadia longum parique paene spatio late diffusum horrore siluarum squalentium inaccessum … hanc ergo paludem spumosis strependo uerticibus amnis irrumpens et undarum quietem permeans pigram mediam uelut finali intersecat libramento et tamquam elementum perenni discordia separatum nec aucto nec imminuto agmine, quod intulit, uocabulo et uiribus absoluitur integris nec contagia deinde ulla perpetiens oceani gurgitibus intimatur ,in den Weiten der hohen Berge entspringt der Rhein aus reißenden Gebirgsgewässern und schwillt über gefährliche Klippen hin an, ohne Nebenflüsse in sich aufzunehmen. Ähnlich wie der Nil ergießt er sich mit steilem Gefälle über Stromschnellen dahin. Bereits von seiner Quelle wäre er schiffbar, da er reichlich Wasser mit sich führt, wenn sein Lauf nicht mehr einem Sturzbach als einem Flusse gliche. Bald, aus der Enge befreit, bespült der Strom hohe Uferwege und ergießt sich in einen rundlichen weiten See, den die rätischen Anwohner Brigantia nennen. Er ist 460 Stadien lang und mißt fast ebensoviel in der Breite. Wegen der schrecklich rauhen Wälder gibt es keinen Zugang … In diesen See ergießt sich also der Strom, tosend mit schäumenden Strudeln, und zerteilt ihn, die träge Ruhe seiner Wogen durcheilend, in der Mitte wie in schnurgerader Linie, als ob er ein durch ewige Zwietracht von ihm geschiedenes Element wäre und ohne daß sich die von ihm herbeigeführte Wassermenge vermehrt oder vermindert. Sein Name und seine Gewalt bleiben unverändert, und so tritt er aus dem See wieder heraus, um sich, weiterhin keine Berührungen duldend, schließlich mit dem Ozean zu vereinigen‘; Avien. orb. terr. 425-429: porro inter cautes et saxa sonantia Rhenus, / vertice qua nubes nebulosus fulcit Adulas, / urget aquas, glaucoque rapax rotat agmine molem / gurgitis, Oceani donec borealis in undas / effluat, et celeri perrumpat marmora fluctu ,sodann treibt der Rhein zwischen Klippen und tönenden Felsen vom Gipfel, wo das neblige Adulagebirge die Wolken stützt, die Wassermassen und schleudert reißend die Wogenmasse des Strudels in bläulichem Strom, bis er in die Wellen des nördlichen Ozeans mündet und die glänzende Meeresfläche mit schneller Strömung durchbricht‘; Cass. Dio 39,49: . d. d. ..... ..ad.d... µ.. .. t.. ..pe.. t.. .e.t...., ...... ... t.. .a.t.a. ,der Rhein aber entspringt auf den Keltischen Alpen in geringer Entfernung von Raetien‘ (AG 1, 198-199); Lyd, mag. 3,32: .. t.. ..t.... .p.. .. µ... p.... . te ..... . te ...tp.. ,aus dem Rätischen Gebirge aus einer Quelle sowohl der Rhein als die Ister‘; Himer. or. 9,8: ,diese Flüsse [= Rhein und Istros], die aus einer einzigen Quelle entspringen‘; Isid. orig.: Rhenus a Rhodani societate fertur vocatus, quoniam cum eodem ex una provincia oritur ,man sagt, dass der Rhein nach der Verbindung mit der Rhône benannt sei, weil er mit demselben aus einer Provinz entspringt‘. Die Behauptung, dass inacesso ”einigermaßen einen Gegensatz zu aperuit. bildet,107 ist nicht zutreffend; vielmehr steht diese Aussage in Gegensatz zu der Beschreibung der Donau als molli et clementer edito montis Abnobae iugo.108 Sachlich ist diese Angabe (vertice) – wie auch die bezüglich der Donau (iugo) – nicht exakt zutreffend, sondern lediglich soweit richtig, als die Quellflüsse des Rheins in einem sehr unzugänglichen Gebiet liegen. 107 Lund 1988: 110. 108 So auch Baumstark 1875: 25; Müllenhoff 1900: 106; Much 1967: 42; Perl 1990: 129. Durch den großen anfänglichen Höhenunterschied109 fließt der Rhein zunächst auch sehr schnell; vgl. Caes. Gall. 4,10,3: longo spatio per fines Nantuatium, Helvetiorum, Sequanorum, Mediomatricorum, Tribocorum, Treverorum citatus fertur ,fließt dann eine lange Strecke schnell durch das Gebiet der Nantuaten, Helvetier, Sequaner, Mediomatriker, Triboker und Treverer‘ (AG 1, 322-323); Cic. Pis. 81: non Rheni fossam gurgitibus ,nicht den Graben des Rheins mit seinen überströmenden Wassermassen‘; Strab. Geogr. 4,3,3 p. 193C: .a. ..p .... ..t., d.a t..t. d. .a. d...ef.p.t.. ,denn er ist (zwar) schnell und deswegen schwer zu überbrücken‘ (AG 1, 84-85); Tac. ann. 2,6,4: Rhenus … velut in duos amnes dividitur, servatque nomen et violentam cursus, qua Germaniam praevehitur, donec Oceano misceatur ,der Rhein … teilt sich gleichsam in zwei Ströme auf; der eine Arm, der an Germanien vorbeifließt, bis er ins Meer mündet, bewahrt seinen Namen und seine starke Strömung‘ (AG 2, 98-99); Amm. 15,4,2: ni ruenti curreret similis potiusquam fluenti ,wenn sein Lauf nicht mehr einem Sturzbach als einem Flusse gliche‘. 109 Der Vorderrhein überwindet bis zur Vereinigung mit dem Hinterrhein auf 70 km Länge fast 600 Höhenmeter, der Hinterrhein benötigt dafür sogar nur etwas mehr als 60 km. 110 Daher ist die Behauptung von Lund 1988: 110, dass der Rhenus danach ”wiederum gegen Norden fließt, denn es heißt ja septentrionali Oceano., nicht überzeugend, da es ja gerade heißt, dass der Rhenus sich nach dieser Biegung mit dem Oceanus vermischt (s. auch unter septentrionali Occeano). 111 So etwa Müllenhoff 1900: 105, Reeb 1930: 73. Offen gelassen bei Baumstark 1875: 24-25. 112 So etwa Gudeman 1916: 52; Much 1967: 40, Rives 1999: 104. 113 Lund 1988: 110. modico flexu in occidentem versus] Unklar ist, ob mit dieser Biegung nach Westen110 der ganze Verlauf des Flusses beschrieben wird111 oder nur die Krümmung des Niederrheins112 (wenn diese Annahme das Richtige trifft, ist Tac. ann. 2,6,4 zu vergleichen: nam Rhenus uno alveo continuus aut modicas insulas circumveniens apud principium agri Batavi velut in duos amnes dividitur ‚denn der Rhein, der ununterbrochen in einem Bett (fließt) oder nur unbedeutende Inseln umschließt, teilt sich dort, wo das Bataverland beginnt, gleichsam in zwei Ströme auf‘ [AG 2, 98-99]). Nach den antiken Vorstellungen floss der Rhein entweder in Süd-Nordrichtung (vgl. Strab. Geogr. 4,3,3 p. 193 C: .µf.tep.. d. ....... .p. t.. .p.t... .p. t.. ..t... µep.. ,beide Ströme [= Rhein und Sequana] fließen von Süden nach Norden‘ [AG 1, 84-85]), oder in Ost-Westrichtung (vgl. Strab. Geogr. 4,1,1 p. 177 C: . ..... pap....... .. t. ..p... ,der Rhein, der den Pyrenäen parallel läuft‘; ebenso die Abbildung des Rheins auf der Tabula Peutingeriana); daher ist auch die Bemerkung von Lund, dass man in der Antike glaube, ”daß die großen Flüsse der Erde gegen Norden fließen.113 dementsprechend zu modifizieren. septentrionali Oceano] Ob Tacitus hiermit nur die Nordsee meint oder den ganzen Ozean, der nach c. 1,1 Germanien von den Galliern bis zu den Sarmaten umgibt, ist unklar. Die Zufügung septentrionalis besagt jedoch nicht unbedingt, dass der Rhein nach seiner Westbiegung wieder nach Norden fließt.114 miscetur] Das Verbum misceri steht hier, wie häufiger bei Tacitus, mit Dativ, anstelle des üblicheren cum + Abl. (vgl. u.a. ann. 2,6,4: donec Oceano misceatur ,bis er ins Meer mündet‘ [AG 2, 98-99]). Zum Verb misceri in Bezug auf den Rhein, vgl. Tac. ann. 2,6,4: donec Oceano misceatur ,bis er ins Meer mündet‘ (AG 2, 98-99). 114 So Lund 1988: 110. 115 Aus diesem Ausdruck wurde der Eigenname Bicornis abstrahiert; vgl. RE IA 1: 737. Tacitus nennt hier die Mündungsarme des Rheins nicht, obwohl er davon durchaus Kenntnis hatte; vgl. ann. 2,6,4: nam Rhenus … apud principium agri Batavi velut in duos amnes dividitur ‚denn der Rhein … teilt sich dort, wo das Bataverland beginnt, gleichsam in zwei Ströme auf‘ (AG 2, 98-99). Über die Mündung des Rheins vgl. Caes. Gall. 4,10,4-5: et ubi Oceano adpropinquavit, in plures diffluit partes multis ingentibusque insulis effectis … multisque capitibus in Oceanum influit ,und sobald er sich dem Ozean nähert, teilt er sich in mehrere Arme und bildet zahlreiche, riesige Inseln … und in vielen Mündungen ergießt er sich in den Ozean‘ (AG 1, 322-323); Strab. Geogr. 4,3,3 p. 193 C: f... d. .a. d..t.µ.. e..a. µeµ..µe... t... p.e.. .....ta. ,er (Asinius) behauptet auch, daß der Rhein zwei Mündungen habe, wobei er diejenigen tadelt, die mehr angeben‘ (AG 1, 84-85); Verg. Aen. 8,727: Rhenusque bicornis ,der Rhein mit zweifacher Mündung‘115; Claud. bell. get. 335-336: te Cimbrica Tethys / diuisum bifido consumit, Rhene, meatu ,die Kimbrische Tethys nimmt dich, Rhein, getrennt in zweigeteiltem Lauf auf‘; Mela 3,2,24: haud procul a mari huc et illuc dispergitur, sed ad sinistram amnis etiamnum et donec effluat Rhenus, ad dextram primo angustus et sui similis … , teilt sich nicht weit weg vom Meer in verschiedene Arme; in seinem linken Arm aber bleibt der Rhein bis zu seiner Mündung immer noch ein Strom, der rechte Arm ist zuerst schmal und sich selbst ähnlich‘ (AG 1, 100-101). Dagegen zählt Plin. nat. 4, 101 drei Mündungen: quae sternuntur inter Helinium ac Flevum. ita appellantur ostia, in quae effusus Rhenus a septentrione in lacus, ab occidente in amnem Mosam se spargit, medio inter haec ore modicum nomini suo custodiens alveum ,(Insel), die sich zwischen Waal und Flie ausbreiten. So heißen die Mündungen, in die sich der Rhein ergießt, der sich im Norden in die Seen, im Westen in die Maas teilt und zwischen diesen Armen ein bescheidenes Flußbett mit seinem eigenen Namen bewahrt‘ (AG 1, 108-109). Dannubius] Die Donau trug in der Antike zwei Namen: erstens einen griechischen für den Unterlauf (da die Griechen diesen zuerst kennen lernten) ...tp.. (lat. [H]ister; zuerst Hes. theog. 339: .tp.µ..a .a.a.dp.. te .a. ...tp.. .a...p.e.p.. ,Strymon, Maiandros, Istros mit herrlich wogender Strömung‘), zweitens einen lateinischen für den Ober- und Mittellauf (da dieser den Römern zuerst bekannt wurde) Danuvius116 (gr. .....ß...; zuerst Caes. Gall. 6,25,2: oritur ab Helvetiorum et Nemetum et Rauracorum finibus rectaque fluminis Danubii regione pertinet ad fines Dacorum et Anartium ,er [= der Herkynische Wald] beginnt im Gebiet der Helvetier, Nemeter und Rauraker und zieht sich in gerader Richtung mit der Donau ins Gebiet der Daker und Anartier hin‘ [AG 1, 76-77]). Letzterer Name breitete sich erst um die Mitte des 1. Jh.s v.Chr. mit der Ausdehnung des Römischen Reichs auf den gesamten Fluss aus, wobei der alte griechische Name bis zum Ende der Antike ebenfalls beibehalten wurde. Die Identität beider Flüsse wurde zuerst von Sallust festgestellt: hist. frg. 3,79: nomenque Danuvium habet, ut ad Germanorum terras adstringit ,und hat den Namen Donau, sowie er an den Ländern der Germanen anschließt‘ (vgl. auch Strab. Geogr. 7,3,13 p. 304-305 C: .a. ..p t.. p.taµ.. t. µ.. ... … .a...... pp.....pe... … t. d. ..t. µ..p. t.. ...t.. … .a...... ...tp.. ,den oberen Teil des Flusses nämlich … nannte man Danuvius, den unteren bis zum Schwarzen Meer … nennt man Istros‘; Mela 2,8: nam … diu Danubius est, deinde aliter eum appellantibus accolis fit Hister ,denn lange fließt er … als Danubius [Donau], dann nennen ihn seine Anwohner anders und er wird zum Ister‘; Plin. nat. 4,79: Danuvi nomine … et unde primum Illyricum adluit Hister appellatus ,unter dem Namen Donau … sobald sie Illyrien durchströmt, wird sie Hister genannt‘ [AG 1, 106-107]). 116 Zur Übernahme ins Germ. vgl. RGA 6: 15-17. 117 Vgl. RGA 6:14; vielleicht ist die Verbalwurzel auch als *h1e.sh2- anzusetzen (vgl. LIV 2001: 234). 118 Vgl. RGA 6: 14-15. Bei dem Namen Hister handelt es sich um eine r-Ableitung zur Wurzel uridg. *h1e.s- ,heftig bewegen, antreiben‘.117 Dem Namen Danuvius liegt wohl eine Ableitung des u-St. *danu- ,Fluss‘ zugrunde (> ai. dánu- ,Flüssigkeit, Tropfen, Tau‘, av. danuš ,Fluss, Strom‘, osset. don ,Wasser, Fluss‘; vgl. arm. tamuk ,feucht‘).118 molli et clementer edito – iugo effusus] Zum Ausdruck vgl. Colum. 2,2,1: collem clementer et molliter assurgentem ,Hügelland, das sanft und maßvoll ansteigt‘; Sil. 1,274: clementer crescente iugo ,sanft … auf ragendem Hügel‘ (zu clementer in dieser Bedeutung auch etwa: Tac. hist. 3,52,1: si qua Appennini iuga clementius adirentur ,ob irgendwelche Apenninenpässe leichter zugänglich seien‘; ds. ann. 13,38,3: colles erant clementer adsurgentes ,aus sanft ansteigenden Hügeln‘). Dies ist fast wortwörtlich das Entgegengesetzte zu dem, was Tacitus zur Quelle des Rhenus gesagt hat: molli et clementer steht inacesso ac praecipiti und iugo steht vertice gegenüber. Tatsächlich ist das Quellgebiet der Donau (der Schwarzwald) nicht so hoch wie das Quellgebiet des Rheins; der höchste Gipfel, der Feldberg, ist nur 1493 m. hoch. Den Griechen wie auch den Römern vor 15. v.Chr. war das Quellgebiet der Donau unbekannt. Daher setzten sie die Quelle der Donau auch durchweg falsch an: Hdt. 2,33,3: ...tp.. te ..p p.taµ.. .pe..µe... .. .e.t.. .a. ..p.... p..... ..e. µ.... ...... t.. ..p.p.. ,dieser [= der Fluss Istros] nämlich entspringt im Lande der Kelten bei der Stadt Pyrene und fließt mitten durch Europa‘; Aristot. meteor. 1,13 350b: .. d. t.. ..p.... – t..t. d’ ..t.. .p.. pp.. d..µ.. ..µep.... .. t. .e.t... – ....... . te ...tp.. .a. . Sapt..... ,aus dem Pyrene- Gebirge – das ist ein Gebirge zum Wsten hin im Keltenland – kommen die Donau und der Guadalquivir‘ (Quellen 1, 54-555). Später werden die Alpen als Quellgebiet vermutet, vgl. Apoll. Rhod. 4,286-287: p..a. ..p .p.p p..... ß.p.a. / ..pa.... .. .pe.... .p.pp... µ.pµ.p..... ,denn seine Quellen sprudeln jenseits des Nordwinds fern in den Rhipäischen Bergen‘. Bei Caes. Gall. 6,25,2 wird er noch als Teil des herkynischen Waldes begriffen: oritur ab Helvetiorum et Nemetum et Rauracorum finibus rectaque fluminis Danubii regione pertinet ,er [= der Herkynische Wald] beginnt im Gebiet der Helvetier, Nemeter und Rauraker und zieht sich in gerader Richtung mit der Donau‘ (AG 1, 76-77); Hor. carm. 4,14,45-46: te fontium qui celat origines / Nilusque et Hister, te rapidus Tigris ,der Nil gehorcht dir, der seine Quellen birgt, der Isterstrom, des reißenden Tigris Flut‘.119 119 Zur Entdeckungsgeschichte der Donau vgl. RGA 6: 17-20. 120 Zur hss. Überlieferung vgl. Perret 1950: 50; Robinson 1991: 104-105, 272; Perret 1997: 70. 121 Vgl. u.a. CIL XIII 6283: Deanae Abnobae ‚der Diana Abnoba‘; ebd. 6356: Abnobae sacrum ‚Heiligtum der Abnoba‘; ebd. 6357: Abnobae ‚der Abnoba‘; ebd. 11746: Abnobae sacrum ‚Heiligtum der Abnoba‘; ebd. 11747: Abnobae sacrum ‚Heiligtum der Abnoba‘. montis Arnobae] In den Hss. der Germania finden sich ausnahmslos entweder Arnob(a)e oder Arbon(a)e. Nur h hat – gelehrt – Abnobe,120 was die richtige (und sicherlich auch taciteische) Form ist, da sie inschriftlich als eine nach dem Gebirge (sämtliche Inschriften stammen aus dem näheren Schwarzwaldumkreis) benannte Gottheit dea/Diana (De-) Abnoba belegt ist,121 für die auch ein Tempel bei Rötenburg entdeckt wurde. Die Verschreibung Arnobae ist vermutlich aus einer alten Verwechselung zwischen B und R zu erklären,122 hinter die die Hss. allerdings nicht zurückzugehen erlauben. Die Nebenform Arbonae ist dagegen kaum als Angleichung an den Ort Arbon am Bodensee bei St. Gallen zu erklären,123 der als Überfahrtsort für Pilger diente. Eine solche Angleichung wird als ein Hinweis auf eine Hs.-Vorlage gewertet, die im benachbarten St. Gallen hergestellt wäre. Allerdings kann damit die zweite varia lectio in E norie nicht weiter erklärt werden124 (an eine Anlehnung an Noricum ist wohl nicht zu denken). Auch ist es unwahrscheinlich, dass jemand, der diese Gegend näher kannte, diesen Ort eingefügt hätte, da gerade er wissen müsste, dass die Donau hier nicht entspringt. 122 Vgl. Havet 1890: §611. 123 So Müllenhoff 1900: 62-63; Till 1943: 89; Perret 1950: 93-94; Robinson 1991: 105. 124 Vgl. Till 1943: 89: ”Seinen Vorschlag noriae vermag ich nicht zu deuten.. Erst nachdem Tiberius im Jahre 15 v.Chr. vom Bodensee aus zur Quelle der Donau vorgedrungen war (vgl. Strab. Geogr. 7,1,5 p. 292 C: .µep..... d’ .p. t.. ..µ... pp.e.... .d.. S.ß.p... e.de t.. t.. ...tp.. p.... ,als er eine Tagesreise von dem See weitergezogen war, hat Tiberius die Quellen des Istros gesehen‘), kann Plinius diese richtig angeben (Plin. nat. 4,79: ortus hic in Germania iugis montis Abnouae ex adverso Raurici Galliae oppidi, multis ultra Alpes milibus … lapsus ,sie entspringt in Germanien auf den Höhen des Schwarzwaldes gegenüber der gallischen Stadt Rauricum, viele Meilen jenseits der Alpen und gleitet jenseits der Alpen über viele Meilen‘ (AG 1, 106-107); vgl. auch Amm. 22,8,44: amnis uero Danubius oriens prope Rauracos montesque confines limitibus Raeticis ,der Donaustrom, der in der Nähe von Augusta Rauracocum und den Rätien benachbarten Bergen entspringt‘; Solin. 13,1: Hister Germanicis iugis oritur effusus monte, qui Rauracos Galliae aspectat ,die Donau entspringt auf germanischen Bergketten; sie strömt herab von einem Gebirge, das sich nach dem Gebiet der Rauraker in Gallien hin erstreckt‘ (Quellen 3, 364- 365). Unklarheit über die genaue Quelllage findet sich bei Strab. Geogr. 4,6,9 p. 207C: .a. ..p . ...tp.. t.. .p... .p. t..t.. .aµß..e. t.. .p.. ,denn auch die Donau entspricht auf diesen zerklüfteten Bergen [= Apenninen-Gebirge]‘ (AG 1, 86-87); Sen. nat. 4,1,1-2: cui Danuuium similem habere naturam philosophi tradiderunt, quod et fontis ignoti et aestate quam hieme maior sit. Utrumque apparuit falsum: nam et caput eius in Germania esse comperimus, et aestate quidem incipit crescere sed, adhuc manente intra mensuram suam Nilo, primis caloribus, cum sol uehementior intra extrema ueris niues mollit, quas ante consumit quam tumescere Nilus incipiat; reliquo uero aestatis minuitur et ad hibernam magnitudinem redit atque ex ea demittitur ,die Philosophen behaupten, seine Natur [= die des Nils] sei der Donau ähnlich, weil auch seine Quellen unbekannt und er im Sommer größer sei als im Winter. Beide Annahmen stellten sich als irrig heraus. Wissen wir doch, daß die Quellen der Donau in Germanien liegen, und sie beginnt zwar im Sommer zu steigen, doch zu einer Zeit, wo der Nil noch seinen gewöhnlichen Wasserstand hält, wenn es warm zu werden anfängt, die Sonne gegen Frühlingsende hin heißer wird, die Schneemassen schmilzt und sie eher auflöst, als der Nil anzuschwellen beginnt. Im restlichen Sommer aber wird die Donau kleiner, kehrt zum Wasserstand der Winterzeit zurück und fällt sogar noch darunter‘; Mela 2,79: Rhodanus non longe ab Histri{a} Rhenique (Archenique) fontibus surgit ,der Rhodanus [Rhône] entspringt nicht weit von den Quellen des Ister [Donau] und des Rhenus [Rhein]‘). Das Abnobagebirge wird außer bei Tacitus und Plinius (nat. 4,79 [s.o.]) etwas später noch von Ptolemaeus (2,11,5-6: .a. t. .a...µe.a .ß..ßa … t.. .ß..ßa... .p... ,die sogenannten Abnoba-Berge … den Abnoba-Bergen‘ [AG 1, 178-181]; 2,11,11: .p’ ..at.... µ.. t.. .ß..ßa... .p... ,im Osten der Abnoba-Berge‘[AG 1, 182-183]); später findet sich der Name noch bei Avien. orb. terr. 432-433: Abnoba mons Histro pater est: cadit Abnobae hiatu / flumen ,der Berg Abnoba ist der Vater für den Hister: der Fluss fällt aus einer Kluft des Abnoba‘; Mart. Cap. 6,662: Hister fluvius, ortus in Germania de cacumine montis Abnovae, sexaginta amnes absumens etiam Danuvius vocitatur ,der Fluß namens Hister, entsprungen in Germanien von den Höhen des Abnova-Gebirges und sechzig weitere Ströme in sich hereinnehmnd, hat auch den Namen Danuvius‘; in der mittelalterlichen totius namque molis orbe descripto: in qua ister fluuius de cacumine montis adnoe ortus ,dort entspringt der Fluss Ister vom Gipfel des Berges Adnoa‘; schließlich in der Schedel’schen Weltchronik (1493): Die Thonau, der berümbtist fluß Europe entspringt auß dem Arnobischen berg bey anfang des Schwarzwalds in einem Dorff Doneschingen genannt und fleußt vom nydergang gein dem orient …) erwähnt. Dagegen gibt Ammianus Marcellinus für den Süden des Schwarzwaldes einen eigenen Namen an, nämlich Marciana silva (21,8,2: profecturus itaque per Marcianas siluas uiasque iunctas Histri fluminis ripis ,im Begriff , durch die Marcianischen Wälder und über die Straßen entlang den Ufern der Donau aufzubrechen‘), der auf der Tabula Peutingeriana, segm. 3-4 dann für den gesamten Schwarzwald gilt. Der Name Abnoba ist aus dem Keltischen zu erklären. Es handelt sich um eine Ableitung mit dem Suffix *-.a- von *abn-o-, das zu urkelt. *abo(n) ,Wasser‘ zu stellen ist. Der Name Abnoba bedeutet somit ,die durch Flüsse charakterisierte, flussreiche (Gegend)‘.125 125 Vgl. Ziegler 2003. Der Name Marciana – obwohl etymologisch nicht eindeutig – ist dagegen germanisch. Es stehen sich zwei Etymologien gegenüber. So kann die Bedeutung zum einen als ,Grenzwald‘ (zu urgerm. *marko- ,Grenze, [Grenz]gebiet‘ > got. marka, ahd. marcha, as. marca, ae. mearc, afries. merke; vgl. auch urgerm. *mark- ,ds.‘ > aisl. mork) verstanden werden, zum anderen als Düsterwald (zu urgerm. *merk.i.a- ,düster, dunkel‘> as. mirki, ae. mierce, aisl. myrkr [vgl. im Mittelalter die Benennung saltus Svarzwald mit der Rückübersetzung lat. Silva Nigra]).126 126 Vgl. RGA 19: 269. 127 Perl 1983: 63, Anm. 39. 128 So auch Lund 1988: 110. pluris populos adit] Perl geht davon aus, dass hier populi ”im geographischen Sinn ,Länder‘ gebraucht ..127 Dies ist aber wohl nicht zutreffend, da hier vermutlich weniger eine geographische Verwendung von populi vorliegt, sondern vielmehr ein personifizierter Gebrauch des Flussnamens Donau: Die Donau besucht als Reisender nacheinander mehrere Völker (vgl. Mela 2,8: nam per immania magnarum gentium diu Danubius est ,denn lange fließt er durch die riesigen Gebiete großer Völkerschaften als Danubius [Donau]‘; Plin. nat. 4,79: per innumeras lapsus gentes Danuvii nomine ,fließt unter dem Namen Donau … an unzähligen Stämmen vorbei‘ [AG 1, 106-107]; Sen. dial. 1,4,14: et quidquid circa Histrum uagarum gentium occursat ,und was am Unterlauf der Donau an Nomadenvölkern begegnet‘; Isid. orig. 13,21,28: quia … per innumeras vadit gentes ,weil er durch unzählige Völker wandert‘; Arr. an. 1,3,1-2: .p. d. t.. µ.... tp.ta... .f...e.ta. ....a.dp.. .p. t.. p.taµ.. t.. ...tp.., p.taµ.. t.. .at. t.. ..p.p.. µ....t.. ..ta .a. p.e..t.. ... .pep..µe... .a. .... µa..µ.tata .pe.p...ta, t. µ.. p.... .e.t..., ..e. .e .a. a. p..a. a.t. .........., .. te.e.ta.... ....d... .a. .ap..µ...... .p. d. .a.p.µat.. µ..pa., .....a.. .p. d. G.ta. t... .pa.a.at....ta.. .p. d. .a.p.µ.ta. t... p....... .p. d. ....a. ..te .p. t.. ..ß.... ,am dritten Tag nach dieser Schlacht kam Alexander an den Istros, den größten der Flüsse in Europa, der den größten Teil der Erde durchströmt und uns von höchst kriegerischen Völkern trennt, meist Kelten, vor allem dort, wo er entspringt. Die entferntesten, die er von diesen berührt, sind Quaden und Markomannen; dann kommt er zu einem Teil des Sarmatenvolkes, den Jazygen, darauf zu den Geten, die sich für unsterblich halten, und anschließend zur Hauptmasse der Sarmaten. Ganz zuletzt berührt er die Skythen, die bis zur Mündung hin wohnen‘).128 donec in Ponticum mare sex meatibus erumpat] Bei Tacitus steht die Konjunktion donec häufig mit dem Konjunktiv.129 129 Kühner – Stegmann II,2: 380-382. 130 So auch Much 1967: 42; vgl. auch Sörbom 1935: 39. An abgeschwächter Bedeutung von misceri (so etwa Gudeman 1916: 53; Anderson 1997: 36-37) kann daher nicht gedacht werden. Unwahrscheinlich jedoch auch Schweizer-Sidler 1923: 3, dass das Verbum: ”vielmehr das Durchbrechen der Sandbänke veranschaulichen. kann. 131 Die Flussnamen wohl vertauscht bei Lund 1988: 110: ”daß der Lauf der Donau im ganzen rascher als der des Rheins ist.. 132 Vgl. Sörbom 1935: 21. Auch diese Beschreibung steht in Gegensatz zum Rhein, der sich septentrionali Oceano miscetur.130 Allerdings hat die Donau im Unterlauf ein geringeres Gefälle als der Rhein.131 Die Verben hätten also jeweils dem anderen Fluss zugeordnet werden müssen (so steht das Verbum misceri dann auch bei Ov. trist. 3,10,27-28, der die Mündung aus eigener Anschauung kannte: ipse … / miscetur vasto multa per ora freto ,selbst die Donau … in das Meer mehrere Arme ergießt‘). Die Ursache für die Vertauschung wird wohl in der stilistischen Ausgestaltung dieser Stelle liegen (inaccesso ac praecipiti vertice ortus : miscetur = molli et clementer edito : erumpat), weniger in der mangelnden Ortskenntnis. septimum os paludibus hauritur] Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 2,8,3: Batavique …, turbati et quidam hausti sunt ,die Bataver verloren die Fassung … und einige ertranken‘ (AG 2, 100-101). Der Wechsel zwischen sex meatibus und septimum os ist stilistisch bedingt.132 Die Zahl der Mündungsarme schwankt bei den antiken Autoren zwischen zwei und sieben (von denen der siebte bei einigen Autoren ebenfalls versickert), vgl.: (fünf Mündungen) Hdt. 4,47,2: ...tp.. µ.. pe.t..t.µ.. ,der Istros mit fünf Mündungsarmen‘; Ephor. FGrH 70 F 157 (= Strab. Geogr. 7,3,15 p. 305C): ..f.p.. d. pe.t..t.µ.. e.p..e t.. ...tp.. ,Ephoros sagt, der Istros habe fünf Mündungen‘; Dion. Per. 298-301: ...tp.. … pe.tap.p... ,Istros … mit fünffach geteiltem Strome‘; Arr. an. 1,3,2: ..a ..d.d.. .at. p..te .t.µata .. t.. ...e.... p..t.. ,dort wo er sich in fünf Armen ins Schwarze Meer ergießt‘; ebd. 5,4,1: .a..pep a. p..te t.. ...tp.. ,ähnlich den fünf [= Mündungen] des Istros‘; ds. Ind. 2,5: t. p..te t.. ...tp.. ,die fünf [= Mündungen] des Istros‘; (sieben Mündungen) Strab. Geogr. 7,3,15 p. 305C: .pt..t.µ.. ..p ..t. ,der Fluss hat nämlich sieben Mündungen‘; Ov. trist. 2,189: solus ad egressus missus septemplicis Histri ,einsam, verschickt an die Mündung der siebenarmigen Donau‘; Mela 2,8: totidem quot ille ostiis, sed tribus tenuibus, reliquis navigabilibus effluit ,mündet er [= Ister] in gleich vielen Mündungsarmen wie dieser [= der Nil]; drei von ihnen sind freilich seicht, die übrigen schiffbar‘; Stat. silv. 5,2,136-137: an te septenus habebit / Hister et umbroso circumflua coniuge Peuce? ,oder wird der siebenarmige Hister dich haben und die vom schattigen Gatten umflossene Peuce‘; Iul. Honor. cosm. 24: ex ipso fluminali circulo septem crines fluminum procedunt infundentes in Pontum ,aus dem Flußkreis selbst gehen sieben Flussarme hervor, die sich in den Pontus ergießen‘; sieben Mündungen, von denen eine versickert: Plin. nat. 4,79: primum ostium Peuces, mox ipsa Peuce insula, in qua proximus alveus Sacer appellatus ... magna palude sorbetur ,die erste Mündung ist die der Peuke, dann die Insel selbst, bei der der Sacer genannte Arm als nächster ... in einem großen Sumpf versickert‘; ebd. 4,79: in Pontum vastis sex fluminibus evolvitur ,strömt sie in sechs breiten Mündungsarmen in das Schwarze Meer‘ (AG 1, 106-107); Solin. 13,1: septem ostiis Pontum influit … septimum vero prigrum ac palustri specie non habet quod amni comparetur ,mit sieben Mündungen fließt er in das Schwarze Meer … die siebte aber, langsam fließend und dem Scheine nach ein Sumpf, hat nichts, was mit einem Fluss verglichen werden kann‘; Amm. 22,8,44-45: septem ostiis per hoc Scythicum litus erumpit in mare. quorum primum est Peuce, [insula supra dicta] ut interpretata sunt uocabula Graeco sermone, secundum Naracustoma, tertium Calonstoma, quartum Pseudostomon; nam Borionstoma ac deinde Stenostoma longe minora sunt ceteris, septimum caenosum et palustri specie nigrum ,schließlich ergießt er sich mit sieben Mündungsarmen über dieses skythische Gestade ins Meer. Der erste von ihnen heißt Peuke, die übrigen, wie man die Namen ins Griechische übersetzt hat, folgendermaßen: der zweite Narakustoma, der dritte Kalonstoma, der vierte Pseudostoma; Borionstoma und Stenostoma sind bei weitem kleiner als die übrigen. Der siebente Arm ist morastig und schwarz wie ein Sumpf‘. Da das Flussdelta der Donau ein Sumpfgebiet ist, wird die Zahl der Mündungsarme im Laufe der Zeit tatsächlich variiert haben: Heute hat die Donau drei große Mündungen (Kilja, Sulina und St. Georg), die großenteils kanalisiert und begradigt sind. KAPITEL 2 1 Ipsos Germanos] Tacitus wendet sich nach der Beschreibung des Landes (c. 1,1: Germania omnis) nun dessen Einwohnern zu.1 Ähnlich verfährt er im Agricola, wo er nach der Beschreibung des Landes in c. 13 von dessen Einwohnern berichtet. Allerdings sind beide Textstellen nicht völlig identisch, da im Agricola die Wendung ipsi Britanni erst nach der Herkunftsfrage der Brittanier erscheint, in der Germania dagegen vorher (Agr. 10,1-13,1: Britanniae situm populosque multis scriptoribus memoratos non in comparationem curae ingeniive referam, sed quia tum primum perdomita est … ceterum Britanniam qui mortales initio coluerint, indigenae an advecti, ut inter barbaros, parum compertum … ipsi Britanni ‚Britanniens Lage und Völkerschaften, von vielen Schriftstellern schon beschrieben, will ich nicht im Wettstreit mit ihrer Sorgfalt und ihrem Talent noch einmal schildern, sondern weil es damals zum ersten Mal völlig unterworfen wurde … Was für Menschen übrigens Britannien zuerst bewohnten, ob Eingeborene oder Zugewanderte, darüber ist wenig bekannt, wie bei Barbaren stets … Die Britannier selbst‘). 1 Vgl. Baumstark 1875: 33; Gudeman 1916: 54; Schweizer-Sidler 1923: 4; Much 1967: 44; Lund 1988: 111; Perl 1990: 129; Anderson 1997: 37; Rives 1999: 105; Benario 1999: 64. 2 Vgl. etwa Norden 1959: 45; Wille 1983: 72. 3 Vgl. allgemein hierzu Norden 1920: 42-46; Wille 1983: 71-73; Urban 1989: 81-83; Lund 1991a: 1871-1883; Rives 1999: 106. 4 Vgl. ThLL VII,2: 301,64-67; vgl. allgemein zum Ersatz des im Lat. fehlenden Artikels Kühner – Stegmann II,1: 633. Die von Ritter 1865: 195-197 geforderte Streichung von Germanos ist sowohl hss. wie inhaltlich nicht zu rechtfertigen (vgl. Baumstark 1875: 33-34). Die c. 2-4, welche die origo Germanorum behandeln, stellen eine stilistische Einheit dar, die dreiteilig gegliedert ist. Zusammengehalten werden die Kapitel durch gleiche oder ähnliche Begriffe und Motive, wie c. 2,1 ipsos : c. 4. ipse, c. 2,1 crediderim : c. 4 arbitrantur (üblicherweise wird das Gegenstück zu crediderim in der Wortfolge eorum opinionibus accedo gesehen;2 allerdings liegt das Gegenstück eher in arbitrantur, da Tacitus dem Glauben schenkt, was diejenigen meinen, deren Standpunkt er beistimmt), c. 2,1 caelo : c. 4 caelo, c. 2,2 carminibus : c. 3,1 carmina.3 ipsi hat hier fast die Funktion eines bestimmten Artikels.4 Der Name der Germanen ist am ehesten als urgerm. *germana- anzusetzen, eine Ableitung mit dem Suffix *-man- zur Verbalwurzel urgerm. *ger- ‚begehren, wünschen‘; als Bedeutung ist ‚die das Erwünschte haben/bringen‘, eine rühmende Selbstbezeichnung, anzunehmen. Wohl unter Einfluss des gleich lautenden lat. Adj.s germanus ist das kurze *-a- im Lat. sekundär gedehnt worden (der Vorgang ist sicher ebenfalls begünstigt durch weitere VN auf -ani wie Aquitani).5 5 Vgl. hierzu ausführlich, ebenfalls mit Auflistung der vielen etymologischen Vorschläge, RGA 11: 259-265; ein guter Überblick über die bisherigen Deutungen auch bei Rübekeil 1992: 177-187. 6 Das Wort ist seit Varro bezeugt (vgl. Walde – Hofmann I: 599). 7 Durch das Wort crediderim ist schon ausgedrückt, dass andere eine entgegengesetzte Meinung haben. 8 Menge 2000: 165; vgl. auch Kühner – Stegmann II,1: 176-180 und Hofmann – Szantyr 1972: 333-334. Die zweite Gebrauchsweise (”wenn eine Aussage als möglich [in Gegenwart und Zukunft] bezeichnet werden soll. [Menge 2000: 165]) kommt hier nicht in Frage. 9 Aus c. 4 geht hervor, dass er sich hierbei der Meinung anderer anschließt. 10 Vgl. hierzu ausführlich Norden 1959: 42-52 und passim. indigenas crediderim] Das Wort indigena6 (der Gegensatz ist advena ‚Ankömmling, Fremdling‘; vgl. Liv. 21,30,8: ne maiores quidem eorum indigenas, sed advenas Italiae cultores ‚nicht einmal ihre Vorfahren seien Eingeborene, sondern nach Italien eingewanderte Bauern‘; vgl. auch advehebantur weiter unten) bezeichnet diejenigen, die im (indi- < *en-do- ‚in‘) betreffenden geographischen Raum (hier: Germanien) geboren sind (-gena < *-genh2 [zu lat. gigno ‚erzeuge, bringe hervor‘]). Die Germanen wohnen somit seit Urzeiten in dem Land Germanien und sind dessen ‚Ureinwohner‘. Vgl. auch das Vorgehen in Tac. Agr. 11,1, wo ebenfalls die Frage gestellt wird, ob die Einwohner Britanniens indigenae sind: ceterum Britanniam qui mortales initio coluerint, indigenae … ‚was für Menschen übrigens Britannien zuerst bewohnten, Eingeborene …‘. crediderim7 ist ein Konjunktiv Potentialis der Gegenwart, der gebraucht wird, wenn ”der Redner sein Urteil aus Höflichkeit oder Vorsicht abmildern möchte..8 Tacitus äußert somit seine Meinung,9 allerdings mit deutlicher Zurückhaltung. Diese Zurückhaltung mag dadurch mitbedingt sein, dass Autochthonie in der damaligen Ethnographie als Ausnahme betrachtet wurde, vgl. Sen. dial. 12,7,10: vix denique inuenies ullam terram quam etiamnunc indigenae colant. permixta omnia et insitiua sunt. alius alii successit ‚kaum schließlich wirst du finden irgendein Land, das auch jetzt noch die Ureinwohner bewohnen. Durcheinandergemischt ist alles und aufgepfropft. Einer ist dem anderen nachgefolgt‘. Die Bestätigung der Auffassung der Autochthonie der Germanen erfolgt dann in c. 4. Aus der Form crediderim geht somit hervor, dass auch noch andere Meinungen denkbar sind. Es liegt die bis auf Herodot zurückgehende, seither eine in der antiken Ethnographie traditionelle Fragestellung vor,10 ob die Einwohner eines Landes autochthon, eingewandert oder vermischt sind; vgl. u.a. Hdt. 1,171,2-172,1: e... d. t..t.. ..pe. µ.. .p..µ.... .. t.. .pe.p.. .. t.. ..... … .. µ..t.. a.t.. .e .µ......... t..t.... .. ..pe., .... ..µ...... a.t.. ...t... e..a. a.t.....a. .pe.p.ta. … .. d. .a..... a.t.....e. d...e.. .µ.. e..., a.t.. µ..t.. .. .p.t.. fa.. e..a. ‚von ihnen [= Ionier und Aioler] kamen die Karer von den Inseln auf das Festland … Die Karer selbst aber stimmen dem nicht zu und behaupten, sie seien Ureinwohner des Festlandes … Die Kaunier sind meiner Meinung nach Ureinwohner; sie selbst erklären jedoch, aus Kreta zu stammen‘; Thuk. 1,2,3-5: µ....ta d. t.. ... . .p..t. a.e. t.. µetaß.... t.. ....t.p.. e..e., . te ... Te..a..a .a...µ... .a. ....t.a .e..p....... te t. p.... p... .p.ad.a., t.. te ..... ..a .. .p.t..ta … t.. .... .tt.... .. t.. .p. p.e..t.. d.. t. .ept..e.. ..ta..a.t.. ...a. ...p.p.. ..... .. a.t.. a.e. ‚je besser aber das Land, desto häufiger wechselte es die Besiedler, so das heutige Thessalien, Boiotien, die meisten Teile des Peleponnes außer Arkadien, und wo sonst noch ein Landstrich vorzüglich war … Wenigstens ist Attika, weil es mit seinem kargen Boden die längste Zeit von Parteihader frei war, immer von denselben Menschen besiedelt gewesen‘; Diod. 3,2,1: .t. µ.. ..p ... .p...de. .....te., ...’ ...e.e.. ..te. t.. ..pa. d..a... a.t.....e. ...µ....ta., ..ed.. pap. p... ..µf..e...a. ‚beinahe allgemeine Übereinstimmung herrscht darüber, daß sie [= Äthiopier] sich zu Recht als Ureinwohner bezeichnen, die nicht aus der Fremde kamen, sondern seit je im Lande waren‘; ds. 5,6,1: .....t.. µ.. ..p f.... .. .ß.p.a. a.t... .p........ta. .at.....a. t.. ....., .p. t.... ...a... p.taµ.. .at’ .ß.p.a. ..t.. tete...ta. ta.t.. t.. pp.....p.a., S.µa... d. t.. .....a. t..t.. t.. ....paf... .....a. ..p.ß.. .p.fa..eta. t..t... a.t.....a. e..a. ‚so erklärt Philistos, daß dieses Volk [= die Sikaner] von Iberien auswanderte und die Insel besiedelte, nachdem es seinen Namen von einem Fluß Sikanos in Iberien erhalten hatte. Timaios hingegen beweist die Unwissenheit dieses Historikers und erklärt richtig, daß die Sikaner Ureinwohner sind‘; Sall. Iug. 17,7: sed qui mortales initio Africam habuerint quique postea adcesserint aut quo modo inter se permixti sint, quamquam ab ea fama, quae plerosque obtinet, divorsum est, tamen, uti ex libris Punicis, qui regis Hiempsalis dicebantur, interpretatum nobis est utique rem sese habere cultores eius terrae putant, quam paucissimis dicam ‚welche Menschen in der Frühzeit Afrika besaßen und welche nachher noch hinzukamen und wie sie sich untereinander vermischten, das will ich, obwohl es von der zumeist vertretenen Meinung abweicht, doch mit möglichst wenigen Worten sagen, und zwar so, wie es aus den >Punischen Büchern<, die dem König Hiempsal zugesprochen werden, für uns übersetzt wurde und wie sich die Sache nach Meinung der Bewohner dieses Landes verhält‘; Amm. 15,9,4: Drysidae memorant re uera fuisse populi partem indigenam, sed alios quoque ab insulis extimis confluxisse et tractibus transrhenanis crebritate bellorum et alluuione feruidi maris sedibus suis expulsos ‚die Druiden erinnern sich, daß ein Teil des Volkes [= der Gallier] tatsächlich Ureinwohner seien, andere jedoch von den äußersten Inseln und den rechtsrheinischen Gegenden zusammengeströmt seien, weil sie durch häufige Kriege und Überschwemmungen des tosenden Meeres von ihren Wohnsitzen vertrieben wurden‘ (AG 1, 314-315). minimeque – mixtos] Der Anschluss -que wird von Gudeman als epexegetisch aufgefasst.11 Wahrscheinlicher ist jedoch, dass hier etwas Neues angefügt wird.12 Die Germanen sind nach der von Tacitus befürworteten Meinung nicht nur als gesamte ‚Volksgruppe‘ autochthon, sondern auch in Einzelteilen von keiner Vermischung betroffen. 11 Gudeman 1916: 54. 12 So auch Baumstark 1875: 46-47 (”etwas Neues.); Much 1967: 44 (”etwas Neues.); Anderson 1997: 37 (”a second point.). 13 Lund 1988: 111; ebenso Städele 1991: 303: ”Gemäß antikem Denken bedeutete jede Vermischung zugleich eine Verschlechterung.. 14 Vgl. zu Recht Picard 1991: 127-130. 15 Als Parallelstelle ebenfalls von Müllenhoff 1900: 109 genannt. 16 Vgl. Gudeman 1916: 54: ”das zweideutige adventus den engeren Begriff des friedlichen Zuzugs erhalten. soll. Offenbar ebenfalls in etwa ähnlich Reeb 1930: 18 (”durch Zuwanderungen und Gastverkehr.). 17 Baumstark 1875: 45; dennoch möchte er mit ”durch anderer Völker Eindringen und Einkehren. übersetzen (S. 46), was wohl eher auf Feindlichkeit weist (wieder anders jedoch S. 47: ”Dass adventus, wie z.B. zufällig bei Cicero de re publ. II,6, manchmal von einem feindlichen Erscheinen gesagt wird, hat keinen Einfluss auf unsere minime mixtos bedeutet ”keineswegs vermischt.. Nach Lund ist diese Stelle als ”keineswegs degeneriert. zu verstehen, da ”jede Änderung der ursprünglichen und schon deshalb reinen Natur … zwangsläufig eine Verschlechterung oder buchstäbliche Verfälschung mit sich bringt..13 Jedoch gibt erstens das Verbum miscere für eine solche Deutung keinen Anlass, da eine ins Negative gehende Bedeutung nicht vorhanden ist (vgl. gerade etwa Liv. 1,9,4: homines cum hominibus sanguinem ac genus miscere ‚als Menschen mit Menschen eine Bluts- und Familienbindung einzugehen‘; s. auch c. 4 unter infectos), zweitens bezeichneten sich gerade die Römer selbst als eine gens mixta.14 aliarum gentium adventibus et hospitiis] Wie aus der Parallelstelle in c. 40,3 (adventu hospitioque ‚ihres Besuchs und Aufenthalts‘) hervorgeht,15 bezeichnen auch hier beide Wörter einen Begriff, und zwar in dem Sinne, dass adventus (worunter zunächst sowohl friedliche wie kriegerische Einwanderungen verstanden werden können) durch das nächste Wort in der Bedeutung eingeschränkt wird.16 Gedacht wird hier somit wohl an ähnliche Fälle wie die Auswanderung der Trojaner nach Italien, ein Beispiel, welches ”nicht blos einen adventus einer fremden Volksgemeinschaft, sondern auch zugleich ein gewonnenes hospitium derselben. enthält.17 Es sind somit eher nicht, wie ebenfalls angenommen worden ist,18 die Stelle.). Vgl. auch Gudeman 1916: 54. 18 So etwa Schweizer-Sidler 1923: 4; Much 1967: 44; Lund 1988: 111; Benario 1999: 64; offen gelassen wird die Frage bei Anderson 1997: 37. 19 Perl 1983: 62. 20 Lund 1988: 40. 21 Noch anders Schweizer-Sidler 1923: 4: ”aus anderen Stämmen.. 22 Lund 1988: 111. 23 Lund 1988: 40. 24 So etwa Much 1967: 93. beiden möglichen Arten für Vermischung von Völkern angegeben: entweder auf feindliche Art (adventibus wäre dann zu verstehen als adventibus hostium) oder durch freundliche Aufnahme von Völkern (hospitiis stünde für hospitiis amicorum). Umstritten ist, was für eine Bevölkerungsgröße unter gentes zu verstehen ist. An dieser Stelle wird das Wort sowohl von Perl19 wie auch von Lund20 als Beleg für ,Gesamtvolk‘ aufgefasst.21 Das Problem dieser Bedeutungsangabe wird aber schon aus dem Kommentar von Lund deutlich: ”Es wird somit indirekt gesagt, daß eine Vermischung der Germanen mit fremden, von außen kommenden Bevölkerungsgruppen unwahrscheinlich sei.,22 was doch nur in Lunds zweite Bedeutungskategorie, die der kleineren Bevölkerungsgruppe, passen kann. An dieser Stelle wird auch die Schwierigkeit der Einteilung von Lund klar, da auch eine kleinere Bevölkerungsgruppe ”die gesamte Bevölkerung eines bestimmten geographischen Raumes.23 darstellt, somit eine klare Unterscheidung zwischen ,Bevölkerung‘ und ,Bevölkerungsgruppe‘ bei ihm nicht möglich ist. Daher sollte der geographische Bezug denn auch weggelassen werden. Es kann somit nur darum gehen, ob gens als ,Gesamtvolk‘ oder als ,Einzelstamm‘ zu deuten ist. Für die Deutung ,Einzelstamm‘ an dieser Stelle spricht nicht nur, dass kein ,Gesamtvolk‘, etwa ,alle Gallier‘, durch Einwanderung oder gastliche Aufnahme in das Land Germania gekommen ist, sondern auch die Parallele zu c. 4. Es ist deutlich, dass die Fügung aliarum gentium dort durch aliarum nationum wieder aufgegriffen wird.24 nationes kann an dieser Stelle jedoch nur als ,Einzelstämme‘ gedeutet werden, was dann auch hier für gentes gelten muss. quia nec terra olim, sed classibus advehebantur qui mutare sedes quaerebant] Bei der Behauptung des Tacitus, dass in der Vorzeit (olim) Migrationsbewegungen nicht über Land, sondern über das Meer stattgefunden haben, liegt der Vergleichspunkt bei den mediterranen Völkerbewegungen, die über das Meer verliefen (vgl. etwa die flüchtigen Trojaner, die über See nach Rom, oder die Phönikier, die über See nach Carthago kamen; Tac. ann. 11,14,2: quippe fama est Cadmum classe Phoenicum vectum rudibus adhuc Graecorum populis artis eius auctorem fuisse ‚denn es geht die Sage, Kadmos sei mit einer phönikischen Flotte gekommen und habe die bis dahin ungebildeten griechischen Völkerschaften mit dieser Kunst [= das Schreiben] bekannt gemacht‘). Hierbei vernachlässigt er die rezenteren25 Migrationbewegungen der Gallier (solche schließt er nach Ausweis von c. 28,1 nicht aus: validiores olim Gallorum res fuisse summus auctorum divus Iulius tradit. eoque credibile est etiam Gallos in Germaniam transgressos ‚dass die Gallier einst an Macht überlegen waren, überliefert als vornehmster Gewährsmann der göttliche Julius. Es ist daher glaubhaft, dass auch Gallier nach Germanien übergewechselt sind‘), was jedoch über Land geschah und – zumindest nach Tacitus – keine Vermischung zur Folge hatte.26 Es ist vorauszusetzen, dass es römische Gelehrte gab, die eine Einwanderung mit anschließender Vermischung annahmen (also vielleicht etwa diejenigen, die behaupteten, dass Ulixes in Germanien gewesen sei [s. c. 3,2]). Daher darf auch die schwache Begründung27 nur in diesem Zusammenhang verstanden werden.28 Tacitus ist lediglich bemüht, die Germanen als minime mixi darzustellen. 25 Diese Vorgänge werden zwar ebenfalls als olim aufgefasst, spielten sich jedoch nicht in derselben Zeit ab (vgl. Perl 1990: 130). 26 Vgl. auch Baumstark 1875: 45-46. 27 Vgl. Rives 1999: 107: ”Tacitus’ first argument for the indigenous origin of the Germani is a little odd … The problem with this argument is that there were many peoples outside the Mediterranean.. Demgegenüber fasst Lund 1988: 111 das Argument als echt auf: ”daß nach Tacitus’ Auffassung irgendeine Einwanderung nach Germanien in der Urzeit deshalb unglaubhaft ist, weil es noch zu Tacitus’ eigenen Zeiten nur ausnahmsweise vorkam, daß vereinzelte Schiffe so weit nach Norden vordrangen.; jedenfalls bis nach England und auf dem Rhein war Schiffsverkehr üblich. 28 So auch Müllenhoff 1900: 109: ”so ist das ein beweis dafür dass er nur die hypothese jener antiquare im auge hat, die er dann abzulehnen bemüht ist.; Anderson 1997: 38; Rives 1999: 107. Offenbar anders von Much 1967: 47 verstanden. 29 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 109 (”ein würkliches Zeugma.); Gudeman 1916: 54; Schweizer-Sidler 1923: 4; Much 1967: 47; Anderson 1997: 37; Benario 1999: 64. 30 Vgl. Lund 1988: 111. 31 So Lund 1988: 111, wohl in Nachfolge von Baumstark 1875: 44: ”welcher Plural … buchstäblich Flotten bezeichnet.. Häufig wird angenommen, dass aus advehebantur, welches nicht zu terra passen würde, ”ein allgemeiner Ausdruck, wie adveniebant, … zu ergänzen. sei.29 Jedoch kann advehi nicht nur von einem Herbeikommen zu Schiff (mit und ohne navi), sondern auch vom Herbeifahren zu Wagen (mit und ohne curru, cisio, plaustro) und zu Pferd (mit und ohne equo) verwendet werden, und ist somit auch zu terra passend. Anstelle der geläufigen Antithese terra – mari verwendet Tacitus hier die Junktur terra – classibus.30 Der Plural classes steht dabei wohl kaum für ”Flotten.,31 sondern unbestimmt für naves. querebant (= volenbant) mit Inf. kommt im überlieferten Werk des Tacitus nur hier vor. Diese Konstruktion ist zuerst bei Cicero belegt32 und nicht selten bei den Dichtern und in der nachklassischen Prosa.33 Die Argumentation, dass ein Volk wegen der geringen Beziehungen mit anderen Völkern unvermischt sei, begegnet häufiger, etwa in Bezug auf die Kimbren (Plut. mar. 11,4: a.t.. µ.. ..p .µe.... t. pp.. .t.p... ‚da sie aber nicht mit andern Völkern in Verbindung gestanden … hatten‘ [AG 1, 236-239]), Lakedaimonier (Hdt. 1,65,2: .at. te .f.a. a.t... .a. .e...... .pp..µe..t.. ‚sie waren so abweisend gegen Fremde, daß sie keinen Verkehr mit ihnen pflegten‘), Athener (Iust. 2,64: quippe non advenae neque passim collecta populi conluvies originem urbi dedit, sed eodem innati solo, quod incolunt, et quae illis sedes, eadem origo est ‚allerdings weder Reisende noch ein allerorten zusammengesammeltes Völkergemisch gab der Stadt seinen Ursprung, sondern sie sind aus derselben Erde, die sie bewohnen, entstanden, und das Land, welches sie bewohnen ist ihr Ursprungsort‘), Iberer (Strab. Geogr. 3,3,8 p. 155C: .a. ..p . p.... .p’ a.t... µa.p.. .a. a. .d.., d..ep.µ..t.. d’ ..te. ‚denn die Seereise zu ihnen ist weit, ebenso wie die Straßen, und dadurch dass sie kaum mit Anderen in Kontakt kommen‘; ebd. 3,4,5 p. 158C: ... .....a. pp.. ........ .at’ a...de.a. ‚die [= kleine Teile barbarischer Völker] wegen ihrer Selbstherrlichkeit keine Kontakte miteinander hatten‘), Britannier (Diod. 5,21,2: a.t. d. t. µ.. pa.a... ..ep.µ..t.. ....et. .e...a.. d...µe... ‚in alten Zeiten wurde sie [= Britannien] von keinen fremden Streitkräften heimgesucht‘) und Sarmaten (Paus. 1,21,5: .µ..t.. ..p µ....ta t.. ta.t.. ßapß.p.. e... ‚denn unter den dortigen Barbaren sind sie die unzugänglichsten‘). 32 Jedoch ist die Textstelle (Cic. inv. 2,77: quaerat … defensionem … proferre) textkritisch nicht ganz sicher. 33 Vgl. Kühner – Stegmann 1997: II,1 667 (s. auch Gudeman 1916: 54 und Anderson 1997: 38). 34 Lund 1988: 111. et inmensus ultra, utque sic dixerim, adversus Oceanus] immensus steht hier (wie auch in c. 1,1 [inmensa spatia ‚von unermeßlicher Ausdehnung‘]) in der nicht abgeschwächten Bedeutung ‚unermesslich‘. Die Behauptung, mit diesem oder ähnlichen Wörtern solle der Eindruck vermittelt werden, ”daß es sich um ein furchterregendes Land und eine furchteinflößende Bevölkerung handelt.,34 ist nicht aufrechtzuerhalten, da der Oceanus in der Vorstellung der Antike wirklich immensus war (vgl. Tac. ann. 2,24,1: ita vasto profundo, ut credatur novissimum ac sine terris mare ‚das Meer war so unermeßlich tief, daß man glaubte, es sei das äußerste überhaupt und kein Land mehr [dahinter]‘ [AG 2, 112-113]; Cic. prov. 31: mare … illud immensum ‚das endlose Meer‘; vgl. auch die Aussage Sen. suas. 1: post omnia Oceanus, post Ocenaum nihil ‚hinter allem der Ozean, hinter dem Ozean nichts‘). ultra ist attributiv gestellt (sc. orbem nostrum; gemeint ist wohl: außerhalb der Säulen von Herakles)35 und nicht, wie früher häufiger geschah, mit inmensus zu verbinden; vgl. zur Konstruktion Tac. Agr. 25,1: universarum ultra gentium ‚aller dieser Stämme‘. 35 Lund 1988: 112 fasst dagegen (wie Reeb 1930: 18 und Anderson 1997: 38) ultra als ”trans Germaniam. auf . 36 Die Lesart wurde ebenfalls selbständig von Acidalius emendiert (auch von Wissowa 1916a: 673; Wissowa 1921: 26-27, der sich auch Norden 1959: 500-501 anschließt, unterstützt). 37 Vgl. Much 1967: 48. 38 So etwa Baumstark 1875: 48-50; Müllenhoff 1900: 110; Schweizer-Sidler 1923: 4; Reeb 1930: 18; Much 1967: 48; Grimm 1974: 25; Lund 1988: 112; Perl 1990: 130-131; Städele 1991: 303; Perret 1997: 69. 39 So etwa Holtzmann – Holder 1873: 87; Gudeman 1916: 55; Fehrle – Hünnerkopf 1959: 64; Robinson 1991: 272; Rives 1999: 107. Unsicher ist sich Anderson 1997: 38. 40 Vgl. auch ThLL I: 851,80-859,40. 41 Zur Form dixerim vgl. Kühner – Stegmann II,1: 178. Umstritten ist der Sinn von adversus an dieser Stelle (die in der Hs. p überlieferte Lesart aversus ‚abgekehrt‘36 [aus adu- korrigiert] ist – ganz abgesehen von inhaltlichen Gründen37 – schon wegen der hss. Bezeugung von adversus abzulehnen). Zum einen wird angenommen, dass adversus ‚entgegengesetzt, auf der anderen Seite liegend‘,38 zum anderen ‚feindlich, widrig‘ bedeutet.39 Für beide Auffassungen lassen sich auch genügend Parallelstellen anführen (für ‚entgegengesetzt, auf der anderen Seite liegend‘ etwa: Plin. nat. 10,19: vulturum praevalent nigri. nidos nemo attigit: ideo et fuere, qui putarent illos ex adverso orbe advolare ‚von den Geiern stehen die schwarzen voran. Ihre Nester hat noch niemand gefunden: Es gab daher auch manche, die glaubten, sie kämen von der Gegenseite der Erde herübergeflogen‘; ds. 2,189: namque et Aethiopas vicini sideris vapore torreri adustisque similes gigni, barba et capillo vibrato, non est dubium, at adversa plaga mundi candida atque glaciali cute esse gentes, flavis promissas crinibus ‚es wird nämlich niemand bezweifeln, dass die Äthiopier, mit krausem Bart- und Haupthaar, durch die Hitze der Sonne schwarz werden und Verbrannten gleich zur Welt kommen und dass im entgegengesetzten kalten Himmelsstrich die Völker weiße Haut und lange blonde Haare haben‘; für ‚feindlich, widrig‘ etwa: Liv. 28,30,6: in adversum aestum reciprocari non posse ‚und nicht gegen die Strömung umkehren könne‘).40 Nun ist die Wendung utque sic dixerim (utque sic dixerim, das bei Tacitus mit einmaligem [Agr. 3,2] ut ita dixerim ‚um es so zu sagen‘ variiert, ist eine Kombination aus ut sic dicam und ut dixerim, beide Abänderungen von klassischem ut ita dicam)41 dem umstrittenen adversus Oceanus vorangestellt. Diese Wendung wird sowohl dazu verwendet, ”einen Ausdruck oder eine ganze Äußerung zu mildern oder zu erklären.,42 also zur Abmilderung kühnerer Metaphern.43 Das Ungewöhnliche muss in der Verbindung zwischen Oceanus und adversus liegen, nicht in der Einzelbedeutung von adversus. Nun liegt jedoch keine kühne Äußerung vor, wenn der Ozean als ‚entgegenliegend‘ bezeichnet wird,44 sondern nur dann, wenn der Ozean als einer dargestellt wird, der uns gleich ist: der Ozean, der wie ein Lebewesen agiert und sich möglichen Einwanderern widersetzt (zur Personifizierung des Ozeans bei Tacitus vgl. Germ. 34,2: obstitit Oceanus ‚der Ozean verlegte den Weg‘; Agr. 25,1: hinc victus Oceanus ‚dort der über den Ozean‘). 42 Menge 2000: 887. 43 Vgl. Menge 1993: 183. 44 Die Schwierigkeit bei dieser Deutung geht denn auch etwa aus Much 1967: 48 deutlich genug hervor: ”Zwar wirklich auf die entgegengesetzte Hemisphäre konnte das germanische Meer nicht verlegt werden, abgesehen davon, daß Tac. nach agr. 12 die Erde nicht für eine Kugel, sondern für eine gewölbte Scheibe hält. Aber das beigefügte utque sic dixerim gewährt einen gewissen Spielraum, so daß adversus, wenn auch nicht geradezu im strengsten Sinn von antipodisch, immerhin als Steigerung von ultra betrachtet werden könnte. Auch kann Tac. gelegentlich ein Zugeständnis an die verbreitete Ansicht von der Kugelgestalt der Erde und den Sprachgebrauch anderer gemacht haben.. Die Deutung von adversus in diesem Sinne erfordert somit einige Zusatzannahmen, die jedoch unbewiesen bleiben. Lund 1988: 112 geht dagegen davon aus, dass Tacitus die Erde für eine Kugel hielt (vgl. dagegen aber Agr. 12,4: scilicet extrema et plana terrarum humili umbra non erigunt tenebras, infraque caelum et sidera nox cadit ‚verständlich, denn das flache Ende der Erde lässt mit seinem niedrigen Schatten keine Dunkelheit in die Höhe kommen, und die Nacht fällt nur unterhalb von Himmelswölbung und Gestirnen ein‘); ebenso Mittenhuber 2003: 56-59 (jedoch ist dessen Argument, ”dass Tacitus sich bemüht, den Schrecken des Nordens zu relativieren, indem er dessen Ausmasse drastisch reduziert. [S. 58] in Anbetracht des Wortwahls in c. 1,1: latos sinus et insularum inmensa spatia complectens ‚der breite Landvorsprünge und Inseln von unermeßlicher Ausdehnung umfaßt‘ kaum überzeugend). 45 So schon etwa Holtzmann – Holder 1873: 87. 46 So auch Gudeman 1916: 55; sonst wurde dies offenbar völlig übersehen. 47 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 234-239. 48 Vgl. Much 1967: 48: ”soviel wie raro.; ebenso Gudeman 1916: 55. 49 Nicht ganz zutreffend ist die Heranziehung durch Lund 1988: 112 von c. 6,1: rari … utuntur ‚nur wenige benutzen‘, da hier ein substantiviertes Adj. vorliegt. Die Richtigkeit dieser Deutung wird erstens dadurch bestätigt, dass bei der Auffassung von adversus als ‚entgegengesetzt‘ dies tautologisch neben ultra stünde,45 sowie noch durch das Nachfolgende: periculum … maris, das sich nur dann auf adversus Oceanus beziehen kann, wenn adversus die Bedeutung ‚widersetzlich‘ hat.46 raris – navibus] Die dichterische Verwendung eines Adj. (hier rarus; vgl. Verg. Aen. 1,118: adparent rari nantes ‚Schwimmer treiben vereinzelt empor‘) anstelle des Adv.47 (hier raro48) kommt in der Prosa am häufigsten bei Tacitus vor (vgl. hist. 1,82,2: rarus per vias populus ‚nur vereinzelt Bürger auf den Straßen‘; Agr. 12,2: rarus … conventus ‚selten … verbünden sich‘).49 ab orbe nostro] Unter den orbis noster fallen hauptsächlich die Gebiete, die um das Mittelmeer (mare nostrum) gelegen sind (vgl. auch die nachfolgend genannten Länder Asien, Afrika und Italien; vgl. auch Plin. nat. 12,45: in nostro orbe proxime laudatur Syriacum, mox Gallicum, tertio loco Creticum ‚in unserem Bereich nimmt die [= die Narde] syrische den ersten Rang ein, dann folgt die gallische, an dritter Stelle steht die kretische‘). Tacitus setzt diese Gegend dem jenseits davon (ultra) gelegenen Land gegenüber. Die Vorstellung einer Zweiteilung der bewohnten Welt kommt auch im germanischen Raum vor, wie aus got. midjungards ‚bewohnte Erde, Erdkreis‘, ahd. mitti(n)gart, mittilgart, as. middilgard, ae. middangeard, run. (Stein v. Fyrby) miþkarþi, aisl. miðgarðr ‚Erde‘ hervorgeht, dem im Aisl. der útgarðr ‚Außenwelt‘ (= Wohnstätte der Riesen und der hohe Norden) gegenübergestellt ist. quis – Germaniam peteret – nisi si patria sit?] Zum Gedanken vgl. Sen. epist. 66,26: nemo enim patriam quia magna est amat, sed quia sua ‚niemand nämlich liebt sein Vaterland, weil es bedeutend ist, sondern das seine‘ (vgl. auch die gedanklich gleiche Aussage bei Curt. 8,2,14: quia ubertas terrae non indigenas modo detinet, sed etiam advenas invitat ‚denn der fruchtbare Boden fesselt nicht nur die Eingeborenen, sondern lockt auch Fremde an‘). Üblicherweise50 wird peteret als Konjunktiv Potentialis der Vergangenheit aufgefasst. Diese Annahme trifft allerdings nicht das Richtige, da hier kaum eine Aussage vorliegt, die sich nur auf die Vergangenheit bezieht51 (da dies voraussetzen würde, dass die genannten Gebiete [s.u.] schon vorzeiten [olim] Teile des Römischen Reichs waren52), sondern die generell aufgefasst werden muss: so wie damals ist die Aussage auch gültig für Tacitus‘ Zeit. Es liegt somit ein Konjunktiv Irrealis vor, der ”zum Ausdruck einer Handlung , die unter gewissen Bedingungen geschehen würde …, aber nicht geschieht …, weil die Bedingungen nicht erfüllt werden.; zur Konstruktion vgl. Tib. 1,4,63-64: carmina ni sint / ex umero Pelopis non nituisset ebur ‚gäb‘ es nicht Lieder, auch an des Pelops Arm glänzte das Elfenbein nicht‘.53 porro] Hiermit wird ein zweiter Gedanke angereiht. 50 Mit Ausnahme u.a. von Reeb 1930: 18; Lund 1988: 112. 51 Vgl. Menge 1993: 332: ”um eine früher gewesene Möglichkeit, die aber jetzt nicht mehr ist, anzugeben.. 52 Vgl. Reeb 1930: 18; Lund 1988: 112. 53 Kühner – Stegmann II,1: 195. 54 So auch Gudeman 1916: 55. praeter periculum horridi et ignoti maris] Das Wort periculum nimmt adversus wieder auf, horridus und ignotus ist das Meer, weil es immensus ist;54 die Konstruktion ist chiastisch. Nach Lund wird durch horrdi – maris das ”Furchterregende am Aussehen Germaniens … wiederum betont..55 Jedoch liegt bei dieser Wendung eher ein Gemeinplatz vor, da die 55 Lund 1988: 112 mit älterer Literatur. 56 Perl 1990: 130. Vgl. auch Anderson 1997: 39: ”used here not in the Roman provincial sense … but of the parts of these continents which bordered on the Mediterranean.. 57 So auch angenommen von Gudeman 1916: 55; Schweizer-Sidler 1923: 4; Reeb 1930: 18; Lund 1988: 112. 58 Zur ökonomischen Bedeutung Asiens vgl. RE II,2: 1561. 59 Schweizer-Sidler 1923: 4. 60 So Gudeman 1916: 55. Schrecklichkeit des Meeres von den Römern häufig betont wird (ebenso wie bei immensus [s.o.]). Asia aut Africa aut Italia] Dies sind Teile des orbis noster. Es wurde angenommen, dass mit Asien und Afrika die Erdteile bezeichnet sind, wobei Italien dann stellvertretend für Europa stünde, so dass ”alle Erdteile gemeint. seien.56 Diese Auffassung ist jedoch kaum zutreffend, da Britannien nach der römischen Auffassung zwar zu Europa gehörte (ebenso wie auch Germanien in Europa liegt), jedoch nicht zur orbis noster; vgl. Tac. Agr. 12,3: dierum spatia ultra nostri orbis mensuram ‚der Tage Länge übersteigt das Maß unserer Breiten‘. Somit müssen mit Asien und Afrika die römischen Provinzen gemeint sein.57 Es sind die Provinzen, die durch Reichtum und Fruchtbarkeit besonders hervorstechen (vgl. zu Asien etwa Tac. Agr. 6,2: quamquam … provincia dives ‚obgleich die Provinz [= Asien] reich war‘).58 Die Nennung von Italien bezieht sich natürlich auf die Leserschaft der Germania. Der Grund, warum Griechenland nicht erwähnt wurde, ist – falls hierauf überhaupt eingegangen wurde – zweifach beantwortet worden. Zum einen damit, dass dies zeige, ”daß ein Römer den (schon griech.) Gedanken geformt. habe,59 zum anderen damit, dass Griechenland zur damaligen Zeit nicht in besonders blühendem Zustand war.60 Die Ursache wird aber wohl eher auf stilistischem Gebiet zu suchen sein. Da schon drei Gebiete erwähnt waren, die den Süden, Osten und Norden des orbis noster abdecken, wäre eine Nennung einer vierten Provinz überflüssig und schwerlastig, wobei auf Italien als Zentrum des Römischen Reichs nicht hätte verzichtet werden können. informem terris, asperam caelo, tristem cultu aspectuque] So wie auch in c. 5,1 (terra … foeda ‚das Land … ist … abstoßend‘) wird Germanien negativ beschrieben. Die Plural terris stimmt mit der Angabe in c. 5,1: etsi aliquanto specie differt ‚obwohl von einigermaßen abwechslungsreichem Aussehen‘ überein. caelum steht hier in der selteneren Bedeutung ‚Wetter, Klima‘ (zur Bedeutung vgl. Tac. ann. 2,42,1: quanto violentior cetero mari Oceanus et truculentia caeli praestat Germania ‚so wie der Ozean wilder ist als das übrige Meer und Germanien sich durch Rauheit seines Klimas auszeichnet‘ [AG 2, 112-113]; Agr. 12,3 über Britannien: caelum … foedum ‚das Klima ist … widerwärtig‘). Das letzte Glied der dreigliedrigen Aussage ist – wie häufig – erweitert. Dabei sind beide Wörter nicht als Synonyme aufzufassen,61 da cultus und aspectus hier deutlich chiastisch zu aspera caelo und informis terris stehen.62 Das raue Klima bedingt den schlechten Anbau (s. auch c. 5,1), und die Hässlichkeit der Länder bedingt den trostlosen Anblick. 61 So Lund 1988: 113. 62 So auch Much 1967: 49; Anderson 1997: 39. Daher ist auch die Deutung von Baumstark 1875: 55 (”traurig zum bewohnen und für den anblick.) abzulehnen. 63 Vgl. Baumstark 1875: 55; Müllenhoff 1900: 111; Much 1976: 49; Rives 1999: 77; so vermutlich auch Anderson 1997: 39. 64 So explizit nur Anderson 1997: 39. 65 So aufgefasst von Gudeman 1916: 55; Reeb 1930: 18; Perl 1990: 81. 66 Vgl. Perret 1950: 69; Robinson 1991: 138; Perret 1997: 71. 67 Vgl. Cappelli 1994: 350. Die Lesart sibi wurde von Holtzmann – Holder 1873: 26 in den Text aufgenommen. 68 Vgl. etwa Gudeman 1916: 55; Much 1967: 49; Anderson 1997: 39. Einige Interpreten haben cultu als ‚für den Bebauer, für den Bebauenden, für den Bewohner‘ aufgefasst,63 wodurch man cultu als ein Supinum auffassen muss.64 Jedoch legen die beiden vorherigen Glieder nahe, dass cultu hier ein Ablativ ist, so dass es als ‚Anbau‘ zu verstehen ist, was auch besser zur Klimabeschreibung passt.65 Eine negative Beschreibung Germaniens findet sich in der römischen Literatur häufig; vgl. etwa Tac. ann. 2,24,1: truculentia caeli praestat Germania ‚Germanien durch die Rauheit seines Klimas herausgehoben‘; ds. hist. 2,80,3: Germanica hiberna caelo ac laboribus dura ‚die durch Klima und Strapazen widrigen germanischen [= im römisch besetzen Germanien] Winterlager‘; Sen. dial. 1,4,14: perpetua illos hiems, triste caelum premit, maligne solum sterile sustentat ‚ständiger Winter, trüber Himmel lastst auf ihnen [= den Germanen]‘; ebd. 1,4,15: horrenda iniquitas caeli ‚schauerlich die Härte des Klimas‘. nisi si patria sit] Neben nisi si findet sich in den Hss. sowohl bloßes nisi (babrlezuRAce; in b ist darüber jedoch ein Stäbchen gesetzt) wie auch nisi sibi (Whts),66 was sich beides aus nisi si erklären lässt (nisi durch einen Blickfehler, nisi sibi durch die Annahme, dass bei si eine Abkürzung für sibi vorläge67). Nach der üblichen Auffassung (vertreten von denjenigen, die peteret als Konjunktivus Potentialis der Vergangenheit interpretieren) gehört dieser Satzteil wegen des Präsens sit nur zu tristis.68 Jedoch ist das Präsens dadurch zu erklären, dass die allgemeine Gültigkeit der Aussage ‚wer würde sich begeben?‘ auch als in die Gegenwart hinein wirkend aufgefasst wird.69 69 Vgl. Strache 1917: 877. 70 Vgl. zur Bedeutung von celebrare ThLL III: 746,52-748,26. 71 So auch (mit ausführlicher Begründung) Timpe 1995. 2 celebrant carminibus antiquis] Zum Ausdruck vgl. u.a. Cic. Rab. Post. 43: non poetarum carminibus, non analium monumentis celebratur ‚es nicht in den Liedern der Dichter, nicht in den Schriften der geschichtlichen Überlieferung gefeiert … wird‘; Verg. Aen. 8,303: talia carminibus celebrant ‚also tönt in Hymnen ihr Preis‘.70 Das Subjekt von celebrant sind die Germanen. Nachdem Tacitus bereits aus äußeren Gründen die Autochthonie der Germanen für das Wahrscheinlichste gehalten hatte, kommt er nun zu einem weiteren Argument für diese These, nämlich zu den einheimischen Liedern. Woraus Tacitus das Nachfolgende schöpfte, bleibt unklar, obwohl die Quelle (bis c. 4) sicher literarischen, nicht direkt germanischen Ursprungs ist.71 Germanische Lieder werden bei antiken Autoren mehrfach erwähnt; vgl. Tac. ann. 2,88,3: caniturque adhuc barbaras apud gentes ‚und noch heute besingt man ihn [= Arminius] bei den barbarischen Völkern‘ (AG 2, 128-129); Amm. 31,7,11: barbari vero maiorum laudes clamoribus stridebant inconditis, interque varios sermonis dissoni strepitus leviora proelia temptabantur ‚die Barbaren ihrerseits erhoben unter misstönendem Geschrei ihr Stimmen zum Lobe der Vorfahren, und so begann ein leichtes Geplänkel, während das Geräusch verworrener Gesprächsfetzen hier und dort vernehmbar wurde‘; Iord. Get. 4: haec ergo pars Gothorum, quae apud Filemer dicitur in terras Oium emenso amne transposita, optatum potiti solum, nec mora ilico ad gentem Spalorum adveniunt consertoque proelio victoriam adipiscunt, exindeque iam velut victores ad extremam Scythiae partem, que Ponto mari vicina est, properant, quemadmodum et in priscis eorum carminibus pene storicu ritu in commune recolitur ‚der Teil der Goten also, der unter Filimer über den Fluß setzte und nach Oium kam, bemächtigte sich des ersehnten Bodens. Gleich darauf kamen sie zu dem Volk der Spaler und gewannen den Sieg. Im Siegeslauf gelangten sie dann bis an den entferntesten Teil Scythiens, der an den Pontus grenzt, wie das in ihren alten Liedern insgemein fast nach Art eines Geschichtsbuches erzählt wird‘ (vgl. aus viel späterer Zeit Einh. vit. kar. 29: item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit ‚ebenso ließ er [= Karl der Große] die uralten deutschen Lieder, in denen die Taten und Kämpfe der alten Könige besungen wurden, aufschreiben und der Nachwelt überliefern‘). Der Vergleich der carmina antiqua mit den aisl. Wörtern fornsongr ‚Lied aus alter Zeit‘ und fornkvæði ‚Gedichte aus alter Zeit‘ ist hinfällig, da es sich hierbei um junge Bildungen handelt.72 72 Vgl. Much 1967: 50. 73 Vgl. Timpe 1995: 8; RGA 19: 236. 74 Vgl. auch Perl 1990: 131. 75 Vgl. Robinson 1991: 178. 76 Vgl. bereits Müllenhoff 1900: 111. 77 Lund 1988: 113; dagegen bereits Baumstark 1875: 60. 78 Wohl nur theoretisch denkbar wäre es, memoria als inoffizielle (d.h. von Privatpersonen betriebene), annales als offizielle Geschichtsschreibung aufzufassen. 79 So auch u.a. Gudeman 1916: 56; Schweizer-Sidler 1923: 5; Capelle 1929: 422; Reeb 1930: 19; Much 1967: 50; Perl 1990: 81; Rives 1999: 77. 80 Vgl. ThLL II: 108,37: ”annales libri.. Im Allgemeinen wird wegen den im Nachfolgenden genannten stabenden Namen angenommen, dass es sich bei diesen carmina antiqua um Lieder mit Stabreim handelt, was eine Entstehung dieser Lieder ins 2.-1. Jh. v.Chr. nahe legen würde.73 Jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass auch in Sprachen, die den Stabreim nicht kennen, stabende Elemente vorkommen können (vgl. die Alliteration in der sakralen römischen Dichtung), so dass ein solcher terminus post quem nicht gesichert ist.74 quod unum apud illos memoriae et annalium genus est] In den Hss. CpQtf findet sich die Lesart sit anstelle von est der restlichen Hss.;75 sie ist jedoch zu verwerfen, da nichts Hypothetisches ausgesagt wird.76 Nach Lund treten die Wörter ”memoria und annales … hier fast als Synonyme auf..77 Die Annahme, durch annales würde der Begriff der memoria eingeengt,78 liegt jedoch näher,79 zumal diese Fügung dann parallel zu Tac. ann. 4,43,1: Lacedaemonii firmabant annalium memoria vatumque carminibus ‚wie die Lacedaemonier entsprechend der geschichtlichen Überlieferung und den Liedern der Dichter beweisen wollten‘ steht. Mit dem Begriff annales, womit primär schriftliche Überlieferung gemeint ist,80 greift Tacitus wohl absichtlich sehr hoch, da die Germanen natürlich keine schriftliche und daher auch keine glaubwürdige und verlässliche Überlieferung (zu annales in dieser abgeschwächten Bedeutung vgl. Verg. Aen. 1,373: annalis nostrorum audire laborum ‚die Geschichte zu hören unserer Leiden‘) besitzen (in Gegensatz zur römischen Geschichtsschreibung). Tacitus eröffnet hier also bereits die Möglichkeit der licentia vetustatis ‚wofür die Vorzeit ja genug Freiraum läßt‘, die jede Behauptung zulässt.81 Das Relativpronomen quod nimmt lediglich carminibus, nicht carminibus antiquis, auf. unum … genus steht in Gegensatz zur vielfältigen römischen Überlieferung (vgl. zur römischen Vielfältigkeit gegenüber germanischer Einfachheit etwa c. 10,1: sortium consuetudo simplex ‚das Losverfahren ist von einerlei Art‘). 81 Vgl. auch Timpe 1995: 48. Autochthone Überlieferung als Hinweis auf die Herkunft und Zusammengehörigkeit eines Volkes findet sich in der Ethnographie seit Herodot, der die autochthone skythische Überlieferung referiert: 4,5,1-7,1: ..dpa .e....a. pp.t.. .. t. .. ta.t. ..... .p.µ., t. ....µa e..a. Sap..t.... t.. d. Sap..t... t..t.. t... t...a. ....... e..a., .µ.. µ.. .. p..t. .....te., ....... d’ .., ..a .a. ..p.....e.. t.. p.taµ.. ...at.pa. ...e.. µ.. t....t.. d. t.... .e....a. t.. Sap..t..., t..t.. d. .e....a. pa.da. tpe.., ..p..a.. .a. .pp..a.. .a. .e.tat.. .....a.. … .p. µ.. d. ..p..a... .e.....a. t..t... t.. ....... .. ....ta. ..... .a....ta., .p. d. t.. µ.... .pp..a... .. .at.ap.. te .a. Sp..p.e. .a....ta., .p. d. t.. .e.t.t.. a.t.. t.. ßa......, .. .a....ta. .apa..ta.. ..µpa.. d. e..a. ....µa .....t..., t.. ßa...... .p...µ.... ....a. d. .....e. ...µa.a. … .tea d. .f..., .pe.te .e...a.., t. ..µpa.ta ....... e..a. .p. t.. pp.t.. ßa...... Sap..t... .. t.. .ape... d..ßa... t.. .p. .f.a. ...... .. p..., .... t..a.ta ‚der erste Mensch in diesem noch öden Lande hieß Targitaos. Die Eltern dieses Targitaos, erzählen sie, waren Zeus und eine Tochter des Stromes Borysthenes. So berichten die Skythen; aber glauben kann ich es nicht. Von dieserAbstammung soll also Targitaos sein. Er hatte drei Söhne: Lipoxaïs, Arpoxaïs und als jüngsten Kolaxaïs … Von Lipoxaïs soll der Skythenstamm der Auchaten abstammen, von dem mittleren Bruder Arpoxaïs die Stämme der Katiarer und Traspier, von dem jüngsten die Könige, die Paralaten. Alle Stämme zusammen hießen Skoloten und sind nach einem König genannt. Die Griechen nannten sie Skythen … Sie sind der Meinung, daß vor der Zeit des ersten Königs Targitaos bis zum Flussübergang des Dareios im ganzen tausend Jahre und nicht mehr vergangen sind‘. Die Vorstellung der Zusammengehörigkeit, die auf genealogischer Verwandtschaft beruht, findet sich auch bei den Griechen; vgl. Hdt. 1,56,3: .p. µ.. ..p .e..a...... ßa...... ...ee ... t.. ....t.., .p. d. ..p.. t.. ....... t.. .p. t.. ....a. te .a. t.. ....µp.. ..p.., .a.e.µ.... d. ..t.a..t.. ‚unter dem König Deukalion bewohnten sie die Landschaft Phthiotis und unter Doros, dem Sohn des Hellen, das Land um den Ossa und Olympos, die sogenannte Histiaiotis‘; Strab. Geogr. 8,7,1 p. 383C: fa.. d. .e..a...... µ.. .....a e..a., t..t.. … t. ppe.ß.t.t. t.. pa.d.. papad...a. t.. .p..., t... d’ ...... ... d.ap..a. ..t....ta. .dp.... ..a.t.. a.t., .. ..p.. µ.. t... pep. .ap.a.... ..p..a. ........a. .at...pe. .p...µ... a.t.., ...... d. … ....e t.. Setp.p.... t.. .tt.... ‚Deukalions Sohn soll Hellen gewesen sein, und dieser … soll die Herrschaft dem ältesten seiner Söhne übergeben haben, die anderen aber außer Landes geschickt haben, damit jeder sich einen Wohnsitz suche. Von ihnen hat Doros die Dorier am Parnass zusammengesiedelt und nach sich benannt hinterlassen, und Xuthos … die attische Tetrapolis … gegründet‘ (vgl. auch den Ahn Hellas bei Paus. 7,1,2: .p.... d. ..tep.. .p..a...t.. ....... ‚einige Zeit später, nach dem Tod des Hellen‘). Tuisconem deum Terra editum] Die hss. Überlieferung des Götternamens variiert stark:82 bistonem am Rande tuistonem W, bisbonem m, bistonem am Rande tuisconem h, Bistonem c., Tuistonem Cp, bistonem Q, tuisconem t, tristonem b, Tristonem am Rande Tuisman B, Tuisconem ETor, Tuisconem am Rande Tuisin/ d, Thuisconem v, Thyestenem a, tistonem br, Tyistonem lA, Tyisconem am Rande al’ tirfonem pro Tuisinan e, Tirstonem zR, Tyistonem am Rande tirstonem pro tuisman u, Thyistonem ce, Tuisconem s, histonem s2. Demgegenüber schwanken die frühen Drucke nur noch zwischen Tuisconem in kgJVLdS und Tuistonem in ZwATPnehrMF.83 In den neueren Ausgaben hat sich von diesen beiden Tuistonem durchsetzen können.84 82 Vgl. Perret 1950: 50; Robinson 1991: 94, 115; Perret 1997: 71. 83 Hirstein 1995: 285. 84 Ausnahmen sind lediglich etwa Passow 1817: 3; Günther 1826: 3; Grimm 1835: 1; Tross 1841: 2; Maßmann 1847: 47. 85 Perret 1950: 50. 86 Kaum wahrscheinlich ist hingegen wegen der Dreizahl der Söhne eine Angleichung an lat. tristatae ‚die drei Vornehmsten‘ (oder tristega ‚das dritte Stockwerk‘). Die breite hss. Varianz ist nach Perret85 rein graphisch durch eine einzelne korrigierte Lesart im humanistischen Archetyp zu erklären. Er nimmt an, dass unter Einfluss des vorhergehenden tristem86 der Göttername zu Tristonem verlesen wurde, was (von ihm oder einem Korrektor) durch Überschreibung eines u verbessert wurde: Truistone. Durch Vernachlässigung des -u- seien auf der einen Seite die Lesarten mit Tri- zu erklären, durch Vernachlässigung des -r- (teilweise auch des t-) dagegen die Lesarten mit Tui-, Tyi- und Bi- (durch Verwechselung zwischen u- und b-). Demgegenüber hatte Robinson vermutet, dass sowohl tuistonem als bistonem bereits im Codex Hersfeldensis gestanden hätten.87 Letzteres ist jedoch kaum wahrscheinlich, da in diesem Fall beide Formen wohl auch in die Hss. pQE Eingang gefunden hätten. Als Anlaut ist somit eindeutig Tui- anzunehmen. Auch das -c- ist nach Perret erst sekundär von Humanisten eingeführt, womöglich wegen der Verknüpfung mit dem Völkernamen der Deutschen.88 Dagegen hatte Anderson das -c- als rein graphisch entstanden erklärt, nämlich als ”an easy misreading of t ..89 Letztere Erklärung ist aber kaum stichhaltig, da dieser Fehler dann mehrmals aufgetreten sein müsste, weil sich der Wechsel zwischen -t- und -c- innerhalb der einzelnen Hss.-Gruppen findet. Jedoch lässt sich auch das -t- ebenfalls als sekundär erklären, da hierbei eine Angleichung an das anlautende t- vorliegen könnte.90 Die Frage, ob -t- oder -c- die richtige Lesart ist, kann auch durch die angesetzte germanische Etymologie des Götternamens nicht weiter geklärt werden. Denn sowohl Tuisto als auch Tuisco lassen sich an germanischem Wortmaterial anknüpfen:91 87 Robinson 1991: 96: ”I explain bistonem as a corruption of tuistonem, ie. tuistonem > uistonem > bistonem. Since the phonetic corruption between consonant-u and b is ancient …, both readings should be assigned to Hf... 88 Perret 1950: 50 mit Hinweis auf den Kommentar von Hinderbach, dem Erstbesitzer der Hs. W, zur Randnotiz Duischo pater, Mannus filius: consonat vulgari italicorum qui omnes nos germanos dudeschos siue duischos vocant. a quo tractum existimo ‚es steht im Einklang mit dem Allbekannten der Italikern, die uns alle Germanen Dudeschi oder Duischi nennen. Ich meine, dass von dort genommen ist‘. 89 Anderson 1997: 39. 90 Daher ist auch die Behauptung von Rives 1999: 111: ”Yet it is easiest to understand ‚Tuisto‘ as the original reading. nicht zutreffend. 91 Völlig verfehlt sind frühere Versuche, den Namen als *Tiuisko ‚Sohn des Tiuz (= Himmelsgottes)‘ zu deuten (so etwa Feist 1914: 64,3; die Ablehnungsbegründung bei Norden 1959: 48-49 Anm. 3 ist jedoch nicht zutreffend) oder zu *Teuto (so etwa Holtzmann – Holder 1873: 28, 96-99) zu emendieren. 92 Vgl. etwa Reeb 1930: 18; Grimm 1974: 154. Aus diesem Grund ist die Bemerkung von Rübekeil 1992: 221: ”Älteren Deutungen, die sich auf eine Lesung Tuisconem … berufen … hat NORDEN … den Boden entzogen. nur bedingt zutreffend, da jener nur die Deutung als *Tiuisko ablehnt. 93 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900 : 113; Much 1967 : 51. 94 Vgl. de Vries 1970 : II,364: ” das uranfängliche Wesen, …, muß, weil es als einziges existierte und dennoch einen Nachwuchs aus sich hervorgehen ließ, beide Geschlechter in sich vereinigt haben.; ähnlich auch Rübekeil 1992: 221. Wenig wahrscheinlich ist die Annahme, dass sich das ‚Zweifache‘ auf eine doppelte Geburt, nämlich von Himmel und Erde, bezieht (so als Möglichkeit noch bei Benario 1999: 65), da im Nachfolgenden nur von der Erde die Rede ist (vgl. bereits Anderson 1997: 40); verfehlt Schweizer-Sidler 1923: 5: ”vielleicht als (chthonisches) Mischwesen (aus Mensch und Tier, etwa aus Mensch und Schlange ….. a. Tuisco kann die schwache Form des urgerm. Adj. *t.is-ka- ‚zweifach‘ (vgl. ahd. zwisc, mhd. zwisch, as. twisc ‚zweifach‘) repräsentieren;92 b. Tuisto kann auf urgerm. *t.is-ta- (vgl. nhd. Zwist, ae. tvist ‚Gabel‘, aisl. tvistr ‚zweigeteilt‘, aisl. tvistra ‚trennen‘) zurückgeführt werden.93 Beide Formen sind somit auf das nämliche Element urgerm. *t.is- ‚zwei-‘ zurückzuführen; in beiden Fällen ist der Name wohl als ‚Zwitter‘ zu verstehen.94 Eine echte Entscheidungsmöglichkeit zugunsten einer der beiden Formen ist somit nicht vorhanden. Zweigeschlechtige Urwesen kommen in der mythologischen Vorstellung häufiger vor.95 Eine Parallele findet sich etwa in der altnordischen Mythologie in Gestalt des Urriesen Ymir,96 aus dem die Vorfahren der Riesen entstehen (vgl. Snorri Sturl. gylfaginn. 5: ok varð mannz líkanndi, ok var sá nefndr Ymir … ok eru þaðan komnar ættir hrímþussa … ok svá er sagt [at] þá er hann svaf, fekk hann sveita; þá óx undir vinstri hond honum maðr ok kona … en þaðan af kómu ættir, þat eru hrímþursar. Hinn gamli hrímþuss, hann kollum vær Ymi ‚und es entstand die Gestalt eines Menschen, und dieser wurde Ymir genannt … und von ihm stammen die Geschlechter der Reifriesen ab … Und es wird gesagt, daß er, als er schlief, zu schwitzen begann; da wuchsen ihm unter dem linken Arm ein Mann und eine Frau … und daher kamen die Geschlechter, das sind die Reifriesen. Den alten Reifriesen [aber], den nennen wir Ymir‘).97 95 Vgl. auch Wackernagel 1848: 19. 96 Vgl. de Vries 1970: II,364; Simek 1993: 336, 377-378. 97 Vgl. zur Zwitterartigkeit Lorenz 1984: 129. 98 Nicht zutreffend ist wohl die Vorstellung, dass hiermit die ”Erde als zweigeschlechtiges Wesen. gedacht wird (so Städele 1991: 305). 99 So auch de Vries 1970: II, 364; anders Much 1967: 51: ”An Geburt durch eine … Erdgöttin ist bei Tuisto nicht zu denken.. 100 So auch Lund 1998: 62 (vgl. ebd. Fn. 197 für Vorgänger). 101 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 5: ”man sollte terra und T. zugleich drucken können.. 102 Einen Punkt setzen etwa: Schweizer-Sidler 1923: 5; Halm 1930: 223; Much 1967: 44; Koestermann 1970: 6; Önnerfors 1983: 2; Winterbottom – Ogilvie 1985: 38; Lund 1988: 70; Perl 1990: 80; Robinson 1991: 273; Rübekeil 1992: 215-216; Anderson 1997; Benario 1999: 14. Ein Semikolon etwa bei: Gudeman 1916: 56. Lediglich ein Komma findet sich bei Passow 1817: 3; Günther 1826: 3; Tross 1841: 2; Lenchantin de Gubernatis 1949: 3. 103 Vgl. Grimm 1835: 1; Maßmann 1847: 47; Holtzmann – Holder 1873: 28; Baumstark 1875: 57; Reeb 1930: 18. In neuerer Zeit lediglich noch bei Perret 1997: 71. 104 et nehmen u.a. auf Passow 1817: 3; Günther 1826: 3; Grimm 1835: 1; Tross 1841: 2; Maßmann 1847: 47; Der zweigeschlechtige Tuisto ist ein aus der Erde geborener Gott,98 wobei die Erde wohl als Mutter vorgestellt wird.99 Daher kann Terra als Name aufgefasst und großgeschrieben werden.100 Gleichzeitig schwingt jedoch bei terra auch die Bedeutung ‚Land‘, also ‚Germanien‘ mit; die Germanen sind somit nicht von außen gekommen, sondern der Stammvater der Germanen ist bereits dem Land selbst erwachsen.101 Mit der Vorstellung einer aus der Erde geborenen Gottheit ist etwa Chronos zu vergleichen, der von Gaia geboren wurde. et filium Mannum] In den neueren Ausgaben hat sich nach editum die Setzung einer stärkeren Interpunktion (ein Punkt oder Semikolon) durchgesetzt.102 Dagegen findet sich in älteren Editionen kein Interpunktionszeichen.103 Die Ursache hierfür liegt in der jetzigen Bevorzugung der Lesart ei, die in den Hss. neben et bezeugt ist.104 Nach der hss. Beleglage Holtzmann – Holder 1873: 28; Baumstark 1875: 57; Müllenhoff 1900: 114; Reeb 1930: 18; Perret 1997: 71; ei dagegen u.a. Gudeman 1916: 56; Schweizer-Sidler 1923: 5; Halm 1930: 223; Lenchantin de Gubernatis 1949: 3; Much 1967: 44; Koestermann 1970: 6; Önnerfors 1983: 2; Winterbottom – Ogilvie 1985: 38; Lund 1988: 70; Perl 1990: 80; Städele 1991: 80; Robinson 1991: 273; Anderson 1997; Benario 1999: 14. Vgl. zur unterschiedlichen Beurteilung der Überlieferung etwa Müllenhoff 1900: 114: ”für et überliefert B sinnloses ei. gegenüber Much 1967: 52: ”Die Lesart ei verdient den Vorzug vor et.. 105 Vgl. hierzu Perret 1950: 51; Robinson 1991: 138, 208, 212; Perret 1997: 71. 106 So nach der Angabe bei etwa Tross 1841: 2; Maßmann 1847: 47; Holtzmann – Holder 1873: 28; dagegen als ei angegeben bei Perret 1950: 51; Robinson 1991: 138. 107 Zur Lesart vgl. Annibaldi 1910: 49. 108 Zur Lesart in b vgl. Holtzmann – Holder 1873: 26; Annibaldi 1910: 49 (”t virgula ’ notavit.). 109 Zu T vgl. Robinson 1991: 208. 110 ei findet sich nur in k, et dagegen in ZwATPnVLehrSMF, eine weitere Variante, die nicht in den Hss. vorkommt, nämlich cui, in Jd (vgl. Hirstein 1995: 285). 111 Vgl. zur Argumentation für ei etwa Andresen 1903: 277; Uhrlichs 1876: 511-512. Nicht weiterführend zugunsten von ei etwa Lund 1988: 113: ”denn Tacitus ist bestrebt nachzuweisen, daß die Germanen autochton sind.. 112 Vgl. Perret 1950: 51. 113 Vgl. zu einer solchen Abkürzung Cappelli 1994: 118. 114 Dies haben denn auch einige Übersetzer gesehen und vor dem zweiten Mannus wieder(um) eingesetzt (vgl. etwa Fuhrmann 1995: 7: ”Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus als Urvater und Gründer ihres Volks zu, dem Mannus wiederum drei Söhne.). Ein solches Füllwort hat jedoch im Lateinischen keinerlei Entsprechung. 115 Deshalb ist Robinson 1991: 263 auch gezwungen, seine eigene Interpunktion als eine der ”more noteworthy variations in the punctuation of the manuscripts from that which I have … adopted in my text. darzustellen, angeblich ”for obviuos reasons.. sind ei und et ungefähr gleich häufig:105 et findet sich in hc.CpQtfB106r107s und b (t virgula ' notavit bcorr.),108 ei dagegen in WmEdvomons2, ei korr. in et bT.109 In den alten Drucken findet sich dagegen fast nur et.110 Diejenigen, die die Lesart ei in den Text aufnehmen,111 übersehen jedoch, dass daneben zusätzlich in den Hss. abrlezuARce auch eius bezeugt ist. Diese drei sind, wie längst gezeigt wurde,112 nur dann miteinander zu vereinen, wenn et die alte Lesart ist. Hieraus ist, durch die Nähe von t und i, auf der einen Seite ei entstanden, durch Fehldeutung des t-Striches als Abkürzug für -us113 auf der anderen Seite eius. Aber nicht nur ein graphisches Argument spricht für et als richtige Lesart (ganz abgesehen davon, dass die Lesart ei eine weitere Änderung des nachfolgenden Textes nötig machte [s.u.]), sondern auch ein inhaltliches. Interpungiert man nach editum, muss angenommen werden, dass die Lieder lediglich von Tuisto handeln. Dies ist aber kaum möglich, da es sich hier um Lieder über die Volksentstehung handelt, die also eine gewisse Abfolge von Ereignissen beinhalten (vgl. auch das Wort annales). Sie werden also Tuisto und Mannus in ihrer Sukzession zum Thema gehabt haben. Zusätzlich bekäme man bei einer Interpunktion von Mannus einen Folgesatz, in dem Mannus zweimal vorkäme, was stilistisch unschön wäre.114 Schließlich spricht gegen eine Interpunktion an dieser Stelle, dass eine solche Interpungierung in den Hss. fehlt.115 Mannus wird von Tacitus nicht als Gott charakterisiert.116 Gegen die Auffassung als Gottheit spricht auch der Name selbst. Lat.-germ. Mannus117 stellt nämlich die Latinisierung eines wgerm. nom.sg. *mann ‚Mann, Mensch‘ (> ahd. as. man, ae. man[n], mon[n]118), akk.sg. *mannun dar; im Germ. liegt eine Umbildung aus einem uridg. n-St. nom.sg. *mon-én, gen.sg. *mon-n-és vor, wohl eine Ableitung der Verbalwurzel *men- ‚denken‘.119 Von derselben Verbalwurzel wie Mannus abgeleitet ist ai. mánu ‚Mensch, Menschheit; Manu, Stammvater der Menschen‘ (< *món-u-); vgl. jav. manuš.ci.ra- ‚*Manuš-Sproß; Nackkomme eines Stammvaters *Manuš‘.120 116 Darüber setzen sich alle hinweg, die weiter unten deo (zur Lesart s.u.) auf Mannus beziehen; vgl. stellvertretend Timpe 1995: 1, Anm. 2: ”Mannus (der ebenfalls deus sein muß, aber nicht so genannt wird).. 117 Vgl. Wagner 1994; Lühr 2000: 33-34. Etwas anders Bammesberger 1999. 118 Dagegen liegen in got. manna und ae. manna sekundäre Überleitungen in die n-St. vor (wohl nach got. ae. guma ‚Mensch‘), in aisl. mannr/maþr wurde dagegen das -r sekundär angefügt. 119 Vgl. Lühr 2000: 34. Die alternative Etymologie urgerm. *man-n < uridg. nom.sg. *mon-e., gen.sg. *mon-.- és mit Assimilation von *-n.- > *-nn- ist in Anbetracht der Entwicklung von uridg. *gen-u/.- > urgerm. *kinnu- ‚Kinn‘ unwahrscheinlich; vgl. auch Bammesberger 1999. 120 Vgl. Mayrhofer II, 309-310. 121 Nicht zutreffend ist die Bemerkung von Städele 1991: 305: ”die Bezeichnung ‚Mensch‘ ist aus dem ahd. Adj. mennisc ‚männlich, menschlich‘ entstanden.. 122 Vgl. got. baur, ae. byre, aisl. burr ‚Sohn‘; urgerm. *buri- ist eine Ableitung von urgerm. *bere/a- in der Bedeutung ‚gebären‘ (vgl. Lühr 2000: 251). 123 Vgl. etwa Much 1967: 52: ”Ihr entsprechend muß dann überliefertes … conditorisque in conditoremque geändert werden.; ebenfalls Andresen 1903: 277. 124 Die Beibehaltung von conditoresque trotz der Satzabtrennung nahmen u.a. Robinson 1991: 273, Anderson 1997: 40 und Perret 1997: 71 (offenbar auch Reeb 1930: 19) an. conditores wird von ihnen auf die nachfolgend genannten tris filios bezogen. Dies scheint jedoch kaum möglich zu sein, da erstens Tacitus davon ausgeht, dass alle Germanen denselben Begründer haben und nicht drei unterschiedliche (vgl. auch Lund 1988: 113), zweitens in den Hss. vor Manno tris filios … interpungiert wird. Mit der Funktion von Mannus ‚Mensch‘121 innerhalb der Genealogie ist in der Genealogie des Odin aisl. Burr, der Vater von Odin, eigtl. ‚Sohn‘ (< urgerm. *buri- ‚Sohn‘122), zu vergleichen. originem gentis conditorisque] Zum Ausdruck conditores (gentis) vgl. Tac. hist. 5,4,4: principia religionis tradentibus Idaeis, quos … conditores gentis accepimus ‚weil die Idäer die Grundbegriffe ihrer Religion weitergegeben haben – sie … der Überlieferung nach … sind die Begründer des Volkes‘. Die Änderung von et in ei hatte als notwendigen Schritt zur Folge,123 dass auch das früher erscheinende conditoresque in conditoremque abgeändert werden musste, da nur dann der Nachsatz als Apposition zu Mannus interpretierbar ist.124 Die Schreibung conditoris wurde dabei als Angleichung an gentis verstanden. In fast allen Hss. findet sich conditorisque (mcpQtfbBETdormonbrlezuARce;125 ohne - que in C.); conditoremque findet sich lediglich in has2, während in W über -is- von conditorisque durch Wcorr. em übergeschrieben ist.126 conditoremque – dann als Apposition zu Mannus zu lesen – ist schon wegen der seltenen Bezeugung als humanistische Korrektur zu beurteilen,127 wie am eindeutigsten aus dem Verhalten der Hs. s hervorgeht. Denn diese hat als Grundlage ein völlig verderbtes conditoriosq; fuisse, das in conditoremq; fuisse geändert wird.128 Da am auslautenden -s also festzuhalten ist,129 bleibt die Wahl zwischen -is und -es.130 Bereits Robinson hatte gesehen,131 dass man hierbei nicht die Wahl zwischen einem Gen.sg.132 und Akk.pl. hat, sondern zwischen zwei Graphien. Nun sind gerade an dieser Stelle i- Schreibungen für -e- belegt133 (vgl. tris und pluris [s.u.]), was somit auch an dieser Stelle anzunehmen ist. conditorisque ist also als Akk.pl. aufzufassen.134 125 Die Lesung in der Hs. v ist unklar; vielleicht ist conditoresque zu lesen (vgl. Robinson 1991: 273). 126 Die Lesart in der Hs. s conditoriosque kann als offensichtlicher Fehler außer Betracht bleiben; zur hss. Verteilung vgl. Perret 1950: 124; Robinson 1991: 94, 188, 273; Perret 1997: 71. 127 Nicht richtig ist die Angabe bei Perl 1990: 80, dass auch der Text von Beatus Rhenanus conditoremque bietet. Diese Form steht lediglich in dessen Castigationes, im Text seiner Ausgaben selbst steht conditore/isque (vgl. Hirstein 1995: 180-181). 128 Vgl. Holtzmann – Holder 1873: 28; Robinson 1991: 233. Dass ein fuisse zugefügt ist, wird dabei in den neueren kritischen Apparaten generell verschwiegen. 129 Der Versuch zur Rettung von conditoremque bei Lund 1988: 113: ”daß conditorem … zu lesen ist, denn Tacitus ist bestrebt … nachzuweisen, daß die Germanen autochton sind und daß sie alle denselben Ursprung und denselben Stammvater haben (i. e. conditor gentis). muss daher als ein ‚Hineininterpretieren‘ abgelehnt werden. Die Begründung einer Konjektur mit der ‚eigentlichen‘ oder ‚wahren‘ Absicht eines Autors macht diese nicht mehr wahrscheinlich als die Berücksichtigung der Überlieferung. 130 Da der Nachsatz nicht als Apposition zu Mannus zu lesen ist, fällt auch die Annahme von Rübekeil 1992: 216, dass aus dieser Stelle ”eine germanische Gesamtbezeichnung *Manni. hervorgehe. 131 Robinson 1991: 240. 132 Ein Gen.sg. kommt natürlich nicht in Betracht, da ein origo conditoris ‚Stammvater des Begründers‘ keinen Sinn macht. 133 Zur Schreibungsschwankung zwischen i und e vgl. allgemein Robinson 1991: 240-242. 134 Eigentlich ist die Schreibung -is im Akk.pl. nur bei solchen Nomina, deren Gen.pl. auf -ium ausgehen, gestattet. In den Werken des Tacitus kommen aber des Öfteren Abweichungen von dieser Regel vor (vgl. die Belege – auch bei anderen Schriftstellern – in Neue – Wagener 1985: I, 392-393). 135 Vgl. auch Kühner – Stegmann II,1: 21. 136 conditor hat als Grundbedeutung ‚Anleger‘ (vgl. ThLL IV: 146,15: ”i.q. aedificator.). 137 Daher nicht ganz zutreffend Lund 1988: 114: ”Die Germanen unterscheiden sich somit … von den Römern insofern, als sie denselben conditor et auctor gentis haben, während die Römer Aeneas für ihren conditor, Romulus aber für ihren auctor hielten.. Wie dieser Plural zeigt, beziehen sich sowohl origo als auch conditor auf Tuisto und auf Mannus,135 obwohl origo mehr auf Tuisto (da er an der Spitze der Genealogie steht), conditor mehr auf Mannus (da er durch seine Söhne die Einteilung in drei Untergruppen veranlasst hat136) abzielen wird.137 Zur Pluralbedeutung von origo vgl. Ov. met. 11,755-756: sunt huius origo / Ilus et Assaracus … Ganymedes ‚es sind die Ahnen, von denen er abstammt: Ilus, Assaracus und Ganymedes‘; vgl. auch Tac. hist. 4,55,1: regium illi genus et pace belloque clara origo ‚er entstammte königlichem Geschlecht, seine Vorfahren waren in Frieden und Krieg berühmt‘.138 gens umschließt alle Personen, die sich zu dieser Genealogie zugehörig fühlen. 138 Vgl. Georges 1988: II,1399: ”v. zweien usw. die Stammväter ….. 139 Nicht zu sichern ist, ob die Wendung hier nach ”vergilischem Vorbild. (Gudeman 1916: 56) geformt ist. 140 Vgl. Robinson 1991: 241. Zum Nebeneinander von tres und tris vgl. Neue – Wagener 1985: II,284-285. 141 Vgl. die Reihungen Búri – Burr – Óðinn, Vili, Vé; Þjelvar – Hafði – Guti, Graipr, Gunnfjaun. 142 Man vgl. etwa bei den Griechen die Reihungen Uranos – Kronos – Zeus, Poseidon, Hades; Deukalion – Hellen – Doros, Xuthos, Aiolos (vgl. auch für weitere unvollständige Parallelen Wenskus 1961: 147-148). Es ist somit kaum nötig, diese Struktur bei den Germanen mit Much 1967: 52: ”aus den Bedürfnissen der Langzeile mit ihren drei Reimwörtern. zu erklären. Richtig dagegen ist, dass dem lateinischen Bericht letztendlich ein germanisches Gedicht zu Grunde liegt. Auch außerindogermanisch findet sich eine solche Gliederung, vgl. Lamech – Noah – Sem, Ham, Japhet. 143 Vgl. Holtzmann – Holder 1873: 28; Robinson 1991: 160. Zur Fügung origo gentis vgl. Tac. ann. 4,9,2: origo Iuliae gentis Aeneas ‚der Stammvater des julischen Geschlechts, Aeneas‘; Verg. Aen. 12,166: hinc pater Aeneas, Romanae stirpis origo ‚hier naht Vater Aeneas, der Ursprung römischen Stammes‘; zu conditor gentis vgl. Verg. Aen. 1,33: tatae molis erat Romanam condere gentem ‚also mühevoll war’s, das römische Volk zu begründen‘ (ähnlich auch Tac. ann. 4,9,2: conditor urbis Romulus ‚der Gründer der Stadt, Romulus‘).139 Manno tris filios assignant] Das Subjekt von assignant sind (wie von celebrant) die Germanen. Die Schreibung tris findet sich in den Hss. QtfbETor, in p steht Treis, während die restlichen Hss. die Schreibung tres bieten.140 Eine solche Reihenfolge, in deren drittem Glied sich eine Dreiheit findet, ist auch in anderen Mythologien verbreitet, sowohl innergermanisch141 als auch außergermanisch.142 e quorum nominibus proximi Oceano Ingaevones, medii Herminones, ceteri Istaevones vocentur] Die drei Gruppennamen sind bei den Autoren, welche die Namen bieten, uneinheitlich überliefert. Der Name der Ingävonen erscheint als ing(a)euones in Whc.CtfbBETdvormonabr, ingenoues in m, ingaenones in pQlezuAces, ingvenones s2.143 Außerhalb der Germania ist der Name nur noch bezeugt bei Plin. nat. 4,96: incipit deinde clarior aperiri fama ab gente Inguaeonum, quae est prima in Germania ‚vom Stamm der Ingväonen an, dem ersten in Germanien, beginnt die Überlieferung deutlicher zu werden‘ (AG 1, 106-107); ebd. 4,99: Germanorum genera quinque: … alterum gens Inguaeones, quorum pars Cimbri, Teutoni ac Chaucorum gentes ‚es gibt fünf germanische Volksgruppen: … Die zweite Gruppe bilden die Ingväonen, zu denen die Kimbern, Teutonen und die Stämme der Chauken zählen‘ (AG 1, 108-109; hiermit stimmt die Angabe bei Mela 3,3,32: in eo sunt Cimbri et Teutoni ‚dort [= an der Küste] wohnen die Kimbern und Teutonen‘ (AG 1, 102-103), wobei hier nur die Einzelstammesnamen gesetzt sind144). Unklar ist, ob derselbe Name aus Guionibus in Plin. nat. 37,35 zu emendieren ist:145 Pytheas Guionibus, Germaniae genti, accoli aestuarium oceani Metuonidis nomine spatio stadiorum sex milium; ab hoc diei navigatione abesse insulam Abalum; illo per ver fluctibus advehi et esse concreti maris purgamentum; incolas pro ligno ad ignem uti eo proximisque Teutonis vendere ‚Pytheas (glaubte), (Bernstein entstehe bei) den Guionen, einem Volk Germaniens, das in einer Niederung am Ozean namens Metuonis in einem Gebiet von 6000 Stadien wohnt. Davon liege eine Tagesreise entfernt die Insel Abalus; dort werde er im Frühjahr mit den Fluten angetrieben und sei ein Auswurf des erstarrten Meeres; die Eingebohrenen benutzten ihn statt von Holz zum Feuermachen und verkauften ihn an die Teutonen, ihre unmittelbaren Nachbarn‘ (AG 1, 122- 123). Die Annahme scheint möglich zu sein, da, ebenso wie in Plin. nat. 4,95 Pytheas von Marseille als Quelle genannt ist,146 auch nat. 37,35 auf ihn zurückgeht.147 Falls die Emendation zutrifft, wäre der Name schon am Ende des 4. Jh.s v.Chr. in Gebrauch gewesen. Schließlich findet sich der Name noch bei dem von Plinius abhängigen Solin. p. 95,19: mons Saevo ipse ingens … initium Germaniae facit. Inguaeones tenent, a quibus … nomen Germanicum consurgit ‚der gewaltige Berg Saevo … macht den Anfang Germaniens. Die Inguaeonen bewohnen ihn, von denen … sich der germanische Namen erhebt‘. 144 Vgl. Timpe 1995: 24. 145 Vgl. RGA 13: 182-184. Dann wäre das anfängliche in des Namens versehentlich als Präposition aufgefasst worden. Andere Vorschläge sind die Aufnahme des als varia lectio bezeugten Gutonibus (vgl. Schönfeld 1911: 120-121; Reichert 1987: 416), oder die Emendation zu Teutonibus (vgl. die Angaben bei Wagner 1982: 303; Timpe 1995: 20). 146 Das Wort prima in Plin. nat. hist. 4,96 wird von Timpe 1995: 23 als ”die alten, echten ‚Ingvaeonen‘., also als ‚dem Range, Stande oder anderen Vorzügen nach erste, vornehmste‘ verstanden; da Pytheas von Marseille seine Beobachtung jedoch von der See her gemacht hat, liegt es näher, prima als ‚dem Orte nach der erste, vorderste‘ aufzufassen. 147 Vgl. Timpe 1995: 20. 148 Wagner 1982. Der Name weicht bei Tacitus von der plinianischen Überlieferung ab. Die Annahme, dass Tacitus entweder direkt aus Plinius (vielleicht aus dessen verlorenen Germanenkriegen) geschöpft hat, oder beide auf dieselbe, jetzt verlorene, Quelle zurückgehen, legt es nahe, dass nur eine der beiden Formen richtig ist. Nun hat Wagner nachgewiesen,148 dass im Erstglied des PN Inguio-merus (ein jüngerer Bruder des Segimerus und Oheim des Arminius) das nämliche Element vorliegt, das sich auch im Völkernamen findet; somit ist auch bei dem VN von der Folge Ingu- auszugehen,149 während die taciteische Namensform auf einen (wohl schon frühzeitigen) Kopistenfehler innerhalb der Überlieferung der Germania zurückgeht. Der PN zeigt demgegenüber die korrekte Umsetzung und fehlerfreie Überlieferung des vorausliegenden germ. *ing.i.a-, eine adjektivische Zugehörigkeitsbildung mit dem Suffix urgerm. *-.a- von urgerm. *ing.a- GN ‚Ing‘. Der Völkerverbandsname ist hiervon eine substantivierte n-Bildung und bedeutet ‚die zu *Ingwaz gehörigen‘.150 Das noch in der plinianischen Überlieferung erscheinende -e- ist dabei als hyperkorrekte Setzung für i auszulegen (vgl. im Lat. etwa den Wechsel zwischen lat. labeo und labio ‚dicklippig‘; vgl. ebenfalls c. 6,1: frameas ‚Framen‘), die Schreibungen mit -ae- erklären sich aus dem orthographischen Schwanken zwischen e und ae seit der nachchristlichen Zeit.151 149 Aus diesem Grund ist die Etymologie, die von der in den taciteischen Handschriften bezeugten Lesart ausgeht (es läge ein Kompositum vor, bestehend aus dem GN *Ing.a- und *a..a- ‚Gesetz‘, der VN bedeute somit ‚die nach Ingwaz Gesetz Lebenden‘; vgl. Much 1967: 53-54), zu verwerfen. 150 Vgl. auch RGA 15: 431. 151 Vgl. Sommer – Pfister 1977: 63. 152 Zum Folgenden vgl. ausführlich RGA 15: 417-418. 153 Vgl. Perret 1950: 51; Robinson 1991: 112, 212; Perret 1997 : 71. Für die Lesarten der frühen Drucke liegen keine gesicherten Daten vor (nicht aufgelistet in Hirstein 1995; vgl. immerhin Maßmann 1847: 48). 154 Vgl. Perret 1950: 51, 131-132; Robinson 1991: 112. Ein Hinweis auf die Existenz eines Ahnherrn *Ing.az152 liefert das ae. Runengedicht (um 800 n.Chr.): Ing was ærest mid East-Denum / gesewen secgun, oþ he siððan est / ofer wæg gewat; wæn æfter ran; / ðus Heardingas ðone hæle nemdun ‚Ing wurde zuerst bei den Ostdänen gesehen von den Männern, bis er später nach Osten über das Meer schritt. Sein Wagen fuhr dahinter. So nannten die Heardingen diesen Helden‘. Ebenfalls erscheint im ae. Beowulf die Weiterbildung mit dem Suffix urgerm. *-ina- (gen.pl.) Ingwina ‚Ingwine‘ (1044: fréa Ingwina ‚Herr der Ingwine‘; 1319: eodor Ingwina ‚Schirm der Ingwine‘) als Bezeichnung für die Dänen. Dagegen ist der aisl. Name Yngvi zur Bezeichnung des göttlichen Ahnherrn des schwedischen Königsgeschlechts der Ynglingar wohl erst sekundär aus Ynglingar erschlossen. Der Name der Herminonen erscheint als herminones in WmhcptfAs, hermiones in .CQbBEdvormon, herminones in bcorr.T, hermimones in alezARce, homines in br und hermemones in u.153 Diese Doppelüberlieferung wird erklärt durch eine Vorstufe hermiones.154 Außerhalb der Germania wird der Name noch genannt bei Plin. nat. 4,100: mediterranei Hermiones, quorum Suebi, Hermunduri, Chatti, Cherusci ‚im Binnenland [wohnen] die Hermionen, zu denen die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker gehören‘ (AG 1, 108-109); Mela 3,3,32: ultra ultimi Germaniae Hermiones ‚dahinter als letzte (Bewohner) Germaniens die Hermionen‘ (AG 1, 102-103; bei Letzterem steht zwar keine genaue Angabe; es ist aber dennoch abzuleiten, dass über die Herminonen hinaus noch andere Stämme wohnen). Auch hier schwankt die Namensüberlieferung zwischen Herminones bei Tacitus und Hermiones in den anderen Quellen.155 Da die drei Namen untereinander durch Stabreim verbunden sind, ist dem anlautenden H- keine sprachwirkliche Bedeutung zuzuschreiben, sondern bloß eine graphische. Die Form Hermiones ist als Verderbnis zu erklären, die entweder durch den Anschluss an Namen wie lat.-gr. Hermione oder in der Abschrift mechanisch (durch Ausfall von -n-, das als Abkürzungsstrich geschrieben war) entstanden ist. Die zu postulierende Form *Erminones ist eine Ableitung mit n-Suffix in individualisierender Funktion156 von dem Adj. urgerm. *ermina- ‚allgemein, umfassend, gesamt, gewaltig‘ (> ahd. as. irmin-, ae. eormen-, aisl. iormun-),157 so dass die Bedeutung des VN als ‚die Großen, die Gewaltigen, die Allverbündeten‘ anzusetzen ist. Der VN hätte somit zur Bezeichnung eines Zusammenschlusses mehrerer Stämme gedient. Hierzu ist wohl ebenfalls der PN des Cheruskers Arminius zu stellen, welcher als Kurzform eines Vollnamens *Ermina-meraz ‚unter den Erminonen berühmt‘ erklärt werden kann. 155 Zum Folgenden vgl. Wagner 1982: 291-304; RGA 7: 515-517. 156 Vgl. Krahe – Meid 1969: III, 91-92. 157 Vgl. Lühr 1982: 456-461. 158 Vgl. Robinson 1991: 225. 159 Zum Folgenden vgl. Wagner 1982: 291-304; RGA 15: 541-542. Der Name der Istävonen findet sich als ist(a)uones in Whc.CpQtfbBETdvormons, isreones in m, histeriones in a, Ineuones in br, instaenones in lezu und iustaenones in ARce.158 Außerhalb der Germania findet sich dieser VN lediglich noch bei Plin. nat. 4,100: proximi autem Rheno Istuaeones quorum …x ‚dem Rhein am nächsten leben die Istväonen, …‘ (AG 1, 108-109). Die plinianische Namensform ist,159 da sie die lectio difficilior darstellt, als die ursprüngliche anzusehen, während tacitäisches Istaevones als sekundäre Angleichung an fehlerhaftem Ingaevones erklärt werden kann. Die Bildeweise von Istraeones ist identisch mit der von Ingvaeones und ist somit als ‚die zu *Istr(a)- Gehörenden‘ zu deuten. Anders als bei den vorherigen VN findet das Element *istr(a)- in der germ. PN-gebung keine Anwendung, was auf ein frühes Aussterben schließen lässt. Das Namenelement ist wohl als Ableitung mit dem Suffix uridg. *-ro-160 von der Verbalwurzel uridg. *h1e.sh2- ‚kräftigen, antreiben‘,161 die u.a. im aisl. sw.V. eisa ‚vorwärtsstürzen‘ vorliegt. 160 Zum sekundären Einschub eines -t- vgl. Krahe – Meid 1969: I,111. 161 LIV 2001: 234. 162 Zum Folgenden vgl. Timpe 1995: 19-25; RGA 19: 236-237. 163 Lund 1988: 114. Falls die Konjektur von Guiones zu Inguiones (s.o.) zutrifft,162 hätte Pytheas im 4. Jh. v.Chr. eine Gruppe dieses Namens in Germanien an der Küste angetroffen. Der Name wäre dabei offenbar älter als die Mannusgenealogie, da Pytheas den Begriff Germanen noch nicht kannte. Die restlichen Namen wären dann erst sekundär hinzugefügt worden, und zwar von Germanen. Wie die Reihenfolge in der Auflistung (proximi Oceano – medii – ceteri) zeigt (ebenso bei Plinius mediterranei und bei Mela ultra), ist diese Einteilung von der Küste aus erfolgt (sie entstammt somit vorcäsarischer Zeit, da seit Caesar der Blick vom Festland aus nach Germanien gerichtet ist), d.h. es handelt sich um Erweiterungen, die von den Inguionen ausgehen. In dieser Genealogie sind nur die westgermanischen Völker vertreten. Durch die nachmalige Erweiterung des Horizontes korrigierten die Römer diese Einteilung, indem erstens die alten Namen durch die neueren ersetzt wurden (so erscheinen anstelle der Inguiones bei Mela die Namen Cimbri und Teutoni), zweitens die Namen zwar als Oberbegriff beibehalten, jedoch unter sie die neueren subsumiert wurden (so bei Plinius, wenn Inguiones als Oberbegriff für Cimbri, Teutoni und Chauci erscheint), drittens Erweiterungen vorgenommen wurden (so bei Plinius, wo aus der Dreiteilung eine Fünfteilung geworden ist). Die aktuelle Bedeutungslosigkeit der Namen zur Zeit des Tacitus geht auch daraus hervor, dass zum einen die gesamte Mannusgenealogie gleich im Folgenden in Frage gestellt wird, zum anderen die Namen im zweiten Teil der Germania keine Erwähnung mehr finden. Wie die PN Inguiomerus und Arminius jedoch zeigen, hatten die VN zu dieser Zeit jedenfalls in einigen Herrscherkreisen noch eine gewisse Bedeutung. Nach Lund benutzt ”Tacitus … hier das sogenannte argumentum etymologicum …, d.h. er sucht auf Basis des Namens der Bevölkerung deren Ursprung festzulegen..163 Dies ist aber, schon wegen der Vorsichtigkeit des Tacitus bezüglich der germanischen Überlieferung, kaum richtig, da man dann erwarten müsste, dass jetzt der Name Germani auftaucht, bzw. man hätte erwarten können, dass einer der Stammväter nicht Tuisto oder Mannus, sondern **Germanus hieße.164 Die Entstehung des Namens Germani wird jedoch erst in c. 2,3 behandelt. 164 Bei Lund 1998: 65 heißt es denn auch entgegengesetzt: ”daß er auf das bewährte argumentum etymologicum deswegen verzichtet, weil es nach ihm keine Namensähnlichkeit zwischen Mannus und Germani gibt.. Vgl. auch S. 59-60: ”die beiden … Überlieferungen … dienen , die Autochthonie der Bevölkerung des Landes nachzuweisen.. 165 Vgl. hierzu Goffart 1983. 166 Dies zeigt, dass die Germania in Byzanz bekannt war. 167 Vgl. auch RGA 7: 517. 168 So auch Baumstark 1875: 74. Anders Gudeman 1916: 57: ”Konj. der indirekten Rede nach adsignant.. 169 So etwa Müllenhoff 1900: 124-125; Schweizer-Sidler 1923: 6; Reeb 1930: 19; Norden 1959: 378; Lund 1988: 114; Perl 1990: 132; Lund 1991a: 1973; Anderson 1997: 41; Rives 1999: 115; Benario 1999: 65. 170 So etwa Baumstark 1875: 78-79; Gudeman 1916: 56; Timpe 1995: 79, 82-83; Lund 1998: 59-62. Die Frage ist unentschieden gelassen von Much 1967: 56; Wagner 1979: 212. 171 Vgl. zur Argumentationsstärke auch Timpe 1995: 67, Anm. 10: ”Die Begründung bleibt meistens allgemein.. 172 Müllenhoff 1900: 124; vgl. auch Rives 1999: 115: ”Graeco-Roman scholars …, who elaborated on the native Germanic genealogy in such way as to include all the various tribes whom they considered Germani.. 173 Lund 1988: 114. Obwohl die drei VN offenbar Ableitungen von PN sind, werden diese von Tacitus nicht genannt. Sie erscheinen vielmehr in der etwa um 520 n.Chr. entstandenen ‚Fränkischen Völkertafel‘,165 die in sieben Hss. überliefert ist, und in der aus dem 9. Jh. stammenden Historia Brittonum. Hier werden die den VN zu Grunde liegenden PN als Erminus, Inguo und Istio angegeben. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um eine authentische Nachricht, sondern die Abfassung der Völkertafel geschah in Byzanz,166 wobei die Namen erst sekundär aus den taciteischen VN abstrahiert sind.167 Der Konjunktiv vocentur lässt sich dadurch erklären, dass sich mit dieser Auflistung der Übergang vom Mythos zum Tatsächlichen vollzieht, Tacitus an dessen Verlässlichkeit und Stimmigkeit aber zweifelt.168 quidam – affirmant] Umstritten ist, wer unter quidam zu verstehen ist. Es wird einerseits davon ausgegangen, dass mit diesen römische (vielleicht zusätzlich noch griechische) Gelehrte gemeint seien,169 während andererseits in ihnen germanische Berichterstatter gesehen werden.170 Für die erste Deutung werden in der Hauptsache zwei Argumente angeführt:171 1. Die nächsten Sätze seien alle von affirmant abhängig, bei dessen Subjekt ”aber an deutsche gewährsmänner entfernt nicht zu denken. sei, ”denn was Tacitus hier sagt, ist alles aus der litteratur genommen.;172 2. Mit quidam finge ”ein neuer Abschnitt an, denn Tac. bringt jetzt die Argumente, die für frühe Einwanderungen gemäß der Auffassung gewisser Gelehrter sprechen..173 Beide Argumente sind jedoch kaum beweiskräftig. Gegen letzteres spricht, dass an dieser Stelle von einer Einwanderung nicht die Rede ist.174 Gegen ersteres spricht, dass die Annahme, diese Angaben wären aus der Literatur genommen, und die Behauptung, ihnen lägen germanische Quellen zugrunde, sich gegenseitig nicht ausschließen. 174 Daher änderte Lund 1998: 61-62 auch seine Meinung: ”Die vier verschiedenen Überlieferungen spiegeln … ethnohistorisch die Ansprüche dieser vier ethnischen Gruppierungen … wider.. 175 Es liegt somit keine ”historische Ergänzung der mythischen Überlieferung. (Perl 1990: 132) vor. 176 So auch Baumstark 1875: 79: ”da die germanische vetustas doch zunächst die Germanen berührt und nicht die Römer.; Gudeman 1916: 56-57. 177 Vgl. hierzu grundlegend Perl 1989. 178 Vgl. Robinson 1991: 183, 225. 179 Ein graphischer Fehler kann anscheinend nicht vorliegen. Störend ist natürlich, dass man – zumindest wenn man das Stemma von Robinson zugrunde legt – annehmen muss, diese Verdeutlichung sei zweimal unabhängig voneinander geschehen (vgl. Robinson 1991: 184: ”autem … suggest an affinity between . and f.; er ist aber nicht in der Lage, diese Nähe eingehender zu beschreiben, geschweige denn zu begründen). 180 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 452-453. 181 So auch Baumstark 1875: 80-81. Vgl. zu diesem Gebrauch Kühner – Stegmann II,2: 452. Für die Annahme einer germanischen Quelle spricht nun eindeutig die Tatsache, dass in der nachfolgenden Apposition das Wort vetustas dem vorhergehenden antiquus entspricht; es handelt sich um dieselbe graue Vorzeit, welche die Behauptung der einen wie die der anderen ermöglicht.175 Da es sich bei denjenigen mit den carminibus antiquis (quod unum apud illos memoriae et annalium genus est) um Germanen handelt, sind unter den quidam ebenfalls Germanen zu verstehen.176 Es wird sich bei ihnen um Kreise gehandelt haben, die ein Interesse daran hatten, andere Genealogien anzunehmen (somit vielleicht Inhaber von Heiligtümern wie die Marser oder Semnonen). Die nachfolgenden Informationen wird Tacitus kaum direkt von den Vertretern dieser Meinung gehört haben; wahrscheinlich erhielt er sie von Informanten oder entnahm er sie literarischen Quellen. Von affirmant sind, gemäß den Regeln der consecutio temporum, alle nachfolgenden Sätze bis vocarentur abhängig.177 ut in licentia vetustatis] In der hss. Überlieferung findet sich in den Hss. tflezuRAce autem, während die übrigen ut in lesen (in fehlt in abrs).178 In den Hss. die autem liefern, scheint das Bestreben vorzuliegen, einen größeren Gegensatz zum Vorhergehenden zum Ausdruck zu bringen.179 Da jedoch mit ut eingeleitete Appositionen auch sonst häufig vorkommen180 und in den Hss. ut in besser bezeugt ist, ist diese Lesart vorzuziehen. Die Partikel ut steht hier in begründendem Sinne zur Angabe eines subjektiven Grundes.181 Die Präposition in steht bildlich und gibt die Zustände an, in denen man sich befindet.182 Tacitus sieht somit sowohl die erstere wie die nachfolgende Genealogie als äußerst ungewiss an, weil die graue Vorzeit keine verlässlichen Informationen liefern kann; vgl. zur Vorstellung u.a. Tac. hist. 2,4,1: quaeque alia laetum antiquitatibus Graecorum genus incertae vetustati adfingit ‚und was sonst noch das Griechenvolk in seiner Begeisterung für Altertümer der ungewissen Vorzeit zuschreibt‘; ds. ann. 6,28,4: sed antiquitas quidem obscura: inter Ptolemaeum ac Tiberium minus ducenti quinquaginta anni fuerunt. unde nonnulli falsum hunc phoenicem neque Arabum e terris credidere, nihilque usurpavisse ex his, quae vetus memoria firmavit ‚aber die alten Zeiten liegen eben im Dunkel: zwischen Ptolemaios und Tiberius sind es weniger als 250 Jahre. Daher glaubten manche, dies sei ein falscher Phoenix gewesen, er sei nicht aus den Ländern der Araber gekommen und habe keine von den folgenden Tätigkeiten ausgeführt, die die Kunde aus alter Zeit für ihn beglaubigt hat‘; Iust. 2,6,7: omnis antiquitas fabulosa est ‚das gesamte Altertum ist sagenreich‘. 182 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 560-562. 183 Hierfür treten u.a. ein Baumstark 1875: 84-85; Müllenhoff 1900: 125-126; Schweizer-Sidler 1923: 6; Reeb 1930: 19; Kraggerud 1981: 23; Lund 1988: 114; Anderson 1997: 42. 184 Hierfür treten u.a. ein Gudeman 1916: 57; Kraft 1970: 30; Perl 1990: 132; Timpe 1995: 1, Anm. 2; Benario 1999: 65. 185 Lund 1991a: 1978-1979. Unentschieden Much 1967: 56; Rives 1999: 116. 186 Die in der Hs. h bezeugte Konjektur de eo (vgl. Robinson 1991: 173) kann dabei vernachlässigt werden. 187 Vgl. Robinson 1991: 205, 273. In den frühen Drucken hat sich dagegen deo durchgesetzt (in ZwkgAPnLehrSMFTJVd), deos steht nur noch in U (vgl. Hirstein 1995: 285, 302, 308). 188 Kühner – Stegmann II,1: 375-376. pluris deos ortos] In der üblichen Textkonstitution wird gelesen: pluris deo ortos ‚jener Gott habe mehr Söhne gehabt‘, eine Textfassung, die zu einer großen und bis jetzt unentschiedenen Kontroverse in der Frage geführt hat, wer unter dem deus zu verstehen sei, Tuisto183 oder Mannus,184 wogegen deo ganz selten auch unbestimmt aufgefasst wird.185 Es wird hierbei aber generell übersehen, dass neben deo in Wmh2c.CpQtfbBdvos186 ebenfalls noch die Variante deos (in ETrabrlezuARces2) überliefert ist.187 Während philologische Gründe für die Wahl von deo oder deos kaum vorliegen, ist die allgemeine Entscheidung zu Gunsten von deo offensichtlich, da man hierbei einen Rückbezug zu Tuisto oder Mannus herstellen kann. Für deo spricht nun, dass es in Verbindung mit ortos eine gute lateinische Fügung ergibt, da oriri + Abl. eines Appellativs die Abstammung angibt;188 gegen deos, dass das auslautende -s an die zwei vorhergehenden und die vier folgenden -s angeglichen sein könnte. Das letzte Argument ist jedoch kaum stichhaltig, weil es ebenso für deos spricht, da sich dann eine Reihung von insgesamt elf auf -s ausgehenden Wörtern ergibt (wie kurz darauf vier Wörter auf -a ausgehen: eaque vera et antiqua nomina). Gegen deo kann angeführt werden, dass die Fügung deo ortos eine einfache ‚Verbesserung‘ wäre, somit eine (humanistische) lectio facilior. Es spricht aber noch mehr gegen deo: pluris kann wohl nur auf filios rückbezogen werden (der Rückbezug auf filium scheint dagegen, eben wegen des dazwischenstehendes filios, kaum möglich). Zum einen steht dies jedoch allzu weit vorne (dazwischen stehen die Völkerbezeichnungen nebst Lageangabe), zum anderen muss dann deo auf Mannus bezogen werden. Letzteres ist nun aber keinesfalls möglich,189 weil dieser schlichtweg nicht als deus eingeführt worden ist.190 Des Weiteren wird dann davon ausgegangen,191 dass es sich bei der nachfolgenden ‚Genealogie‘ um eine Variante der obigen Genealogie handelt. Das ist allerdings ausgeschlossen, wie aus dem Schluss des Satzes eaque vera et antiqua nomina hervorgeht: Die vier Namen sind nicht Ergänzung, sondern Ersatz der drei anderen Namen.192 Schließlich ergibt die Folge pluris deos – pluresque gentis appellationes einen stilistisch schönen Gleichlauf. In Anbetracht hiervon ist der Fassung pluris deos ortos der Vorzug zu geben, deo dagegen als humanistische Textglättung zu deuten. ortis ist somit auf eine Stufe mit editum zu stellen.193 189 Vgl. auch die Argumentation bei Baumstark 1875: 84: ”Da Tacitus … nur einmal das Wort deus gebraucht hat …, so kann er (stilistisch zwingend), dasselbe auch bei der Wiederholung … nur vom Tuisco verstanden haben, was mir die Annahme, er habe auch den Mannus als Gott betrachtet, rein unmöglich macht.. 190 Diese Diskrepanz wird daher auch von keinem der Mannus-Befürworter erläutert; es wird nur postuliert, dass Mannus auch ein Gott sein muss, vgl. etwa Perl 1990: 132: ”Mannus wird als Sohn des Gottes Tuisto hier ebenfalls ‚Gott‘ genannt.. 191 Vgl. stellvertretend Timpe 1995: 1, Anm. 2: ”Der Bezug auf deus und gens macht die Meinung der quidam in der Tat zu einer Variante der Mannusgenealogie.. 192 Vgl. auch Kraggerud 1981: 24; Lund 1998: 61-62. Timpe 1995: 1, der dies verkennt, ist denn auch gezwungen zu paraphrasieren: ”denn (auch?) dies wären echte, alte Namen., wobei ‚auch‘ im lat. Text keine Entsprechung hat. 193 Vgl. Sörbom 1935: 40. 194 Die Schreibung pluris findet sich in den Hss. QtfbBETdvor, in p steht plureis, die restlichen Hss. bieten plures (vgl. Robinson 1991: 112, 191). Zum -i- in pluris vgl. Neue – Wagener 1985: II,269-270. 195 Vgl. Georges 1988: II, 1048; zum gleichen Ergebnis, jedoch auf der Basis einer anderen Textgrundlage, kommt Kraggerud 1981: 23. 196 Obwohl Kraggerud 1981: 23-24 deo liest, ist auch er zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt, nur dass er Bei pluris194 ist von der Grundbedeutung ‚mehr als einer‘,195 nämlich mehr als Tuisto, auszugehen. Die beiden Namengruppen in den zwei Genealogien beziehen sich also wohl auf dieselbe Völkergruppe, teilen diese aber anders ein. Die im Nachfolgenden so genannten antiqua nomina sind dabei nicht die aus den antiquis carminibus, so dass die neue Ätiologie nicht erst am dritten Glied der Tuisto-Ätiologie herumrepariert, sondern diese insgesamt ersetzt.196 Die deos greifen folglich zurück auf den deum (terra editum), den einzigen vorher den Ersatz auf der Mannus-Ebene ansiedelt. 197 Mit dieser Deutung entfallen schließlich auch die sonstigen Schwierigkeiten, die bei der Lesart deo in Beziehung auf Tuisto entstanden sind (vgl. zu diesen Schwierigkeiten Perl 1990: 132: ”Die eponymen Söhne des Tuisto und der Mannus würden bei dieser Annahme auf verschiedenen genealogischen Stufen stehen, und Mannus würde im Unterschied zu seinen vier Brüdern nicht als Eponymus fungieren … beim Bezug auf Tuisto müsste man … plures als quam unum, pluresque als quam tres auffassen, wogegen das explikative -que spricht.). 198 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25-26. 199 Kraft 1970: 42. 200 Kraft 1970: 10; ähnlich auch Lund 1988: 40 : ”eine Bevölkerungsgruppe als Geschlecht.; ebd. S. 114: ”Da die Römer die beiden Begriffe ‚Geschlecht‘ und ‚Volk‘ voneinander sprachlich gewöhnlich nicht unterscheiden – sie verwandten nämlich gern gens für beides.. 201 Kraft 1970: 9-12 (vgl. S. 11: ”Da aber nun das Wort gens in einem Zitat über die Meinung der quidam zweimal und noch dazu in deutlich antithetischer Stellung vorkommt, müßte billigerweise der gleiche Bedeutungsinhalt an beiden Stellen angenommen werden.). 202 Gegen diese Deutung vgl. auch ausführlich Theiler 1971: 119-121; Koch 1975: 432-434; Kraggerud 1981: 27-28; Rives 1999: 119-120. 203 Vgl. zur Verwendung von gens nur im ethnischen Sinn Perl 1983: 57; Perl 1990: 243. als solchen apostrophierten Gott. Die quidam bestreiten also die gesamte Tuisto-Genealogie der alten Lieder; sie dichten nicht nur deren Schlussstrophe um. Somit erscheinen die drei Namen aus der Tuisto-Ätiologie nach dieser anderen Ätiologie jünger als die eigenen, da diese sich direkt von Göttern der ersten Generation herleiten lassen.197 pluresque gentis appellationes] -que steht in explikativer Bedeutung.198 Da die vier im Nachfolgenden genannten Namen Völkernamen sind, die von mit Tuisto auf der gleichen Stufe stehenden Gottheiten abgeleitet sind, ist auch hier plures im Sinne von ‚mehr als eine‘ zu verstehen. Nach Kraft handelt es sich bei der Fügung gentis appellationes um ”Benennungen nach dem Geschlecht.,199 also ”um verschiedene Bezeichnungen nach der Blutsherkunft, d.h. um Bezeichnungen nach dem jeweils am Anfang der Geschlechtsreihe des betreffenden Volkszweiges gedachten Stammvaters..200 Der Ausgangspunkt seiner Deutung ist, dass das Wort gens in der Fügung gentis appellationes und im nachfolgenden non gentis die gleiche Bedeutung haben müsse.201 Obwohl letztere Annahme durchaus wahrscheinlich ist, scheint der Bedeutungsansatz für gens indessen kaum zutreffend,202 da man dann vielmehr das Wort genus hätte erwarten können (vgl. Tac. Germ. 42,2: ex gente ipsorum, nobile Marobodui et Tudri genus ‚aus dem eigenen Stamme, aus dem edlen Geschlecht des Marbod und Tuder‘);203 vgl. Plin. nat. 4,99: Germanorum genera quinque ‚es gibt fünf germanische Volksgruppen‘ (AG 1, 108-109). Da die (mythologische) Einteilung der Germanen bei Tacitus eine wesentlich andere ist als bei Plinius, ist auch von einem abweichenden Konzept auszugehen. Das Wort gens hat üblicherweise drei Bedeutungsnuancen: Es steht erstens zur Bezeichnung eines Gesamtvolkes, zweitens zur Bezeichnung einer Stammesgruppe und drittens zur Bezeichnung eines Einzelvolkes.204 Ebenso wenig wie die Tuisto- bzw. Mannus- Stämme alle Germanen im Sinne des Germanenbegriffes in c. 2,3 umfassen,205 ebenso wenig umfassen auch die vier im Nachfolgenden genannten Stämme alle Germanen. Bei den Inhabern der vier Namen handelt es sich vielmehr um Abkömmlinge von Gottheiten, die dem Tuisto in der Funktion gleichgestellt sind, weil sie – ebenso wie Tuisto – direkt aus der Erde geboren sind. Die Nachkommen dieser Gottheiten sind somit, da es sich um eine völlig andere Genealogie handelt, keine Tuisto- bzw. Mannusstämme; man könnte sie vielmehr als Terra- Stämme bezeichnen. Ebenso wie die Inguionen, Herminonen und Istävonen als gentis appellationes gelten können (nämlich von ‚Tuistonen‘ oder ‚Manni‘), sind auch die vier nachfolgenden Namen gentis appellationes (nämlich von ‚Terraner‘). In beiden Fällen (origo gentis und gentis appellationes) steht das Wort gens nicht für das Gesamtvolk im Sinne von Germanen, was auch nicht möglich ist, da es sich bei der Tuisto- bzw. Mannus- und der konkurrierenden Genealogie um alte Mythologien handelt, der Germanenname dagegen jüngeren Datums ist.206 Dennoch handelt es sich bei dem Wort gens an allen drei Stellen um ein Gesamtvolk,207 nämlich erstens (origo gentis) im Sinne von ‚alle Tuistonen bzw. Manni‘, zweitens (gentis appellationes) im Sinne von ‚alle Terraner‘ und drittens negativ (non gentis) im Sinne von ‚kein solches Gesamtvolk‘.208 204 Vgl. Kraggerud 1981: 20 mit Anm. 50. 205 Anders etwa Timpe 1995: 89: ”So heißen die Germanen insgesamt eine gens (Mannum, originem gentis).. 206 Diese Deutung bleibt auch dann gültig, wenn man anstelle von deos die Lesung deo in den Text aufnimmt. In diesem Fall wäre deo ortos als ‚Söhne des Gottes [= Tuisto]‘ aufzufassen (vgl. Kraggerud 1981: 23). In diesem Fall stünden die Stammesväter der vier Völkerschaften auf derselben Ebene wie Mannus (also eine Generation früher als die der Mannus-Abkömmlinge). Man hätte damit einen Gegensatz zwischen ‚Manni‘ (Inguionen etc.) und ‚Tuistonen‘ (die vier genannten Völkerschaften). Auch diese beiden Gruppen decken sich nicht. 207 Aus diesem Grund ist die Annahme von Kraggerud 1981: 25, dass das Wort gens in der Bedeutung Stammesgruppe steht, abzulehnen. Der Hinweis (ebd.) auf die Fügung in c. 38,1: nunc de Suevis dicendum est, quorum non una ut Cathorum Tencterorumve gens ‚jetzt ist von den Sueben zu reden, die nicht, wie die Chatten oder Tenkterer, nur eine einzige Völkerschaft bilden‘ ist hinfällig, da die Bezeichnung Sueben im zweiten Teil der Germania durchaus einen anderen Inhalt hat (vgl. zum Suebenbegriff allgemein Lund 1988: 31-34; Timpe 1992b). 208 Die Forderung von Kraft 1970: 11, dass gens in gentis appellationes und in non gentis die gleiche Bedeutung haben müsse, ist somit durch die ebenfalls gleiche Bedeutung in origo gentis noch übertroffen. 209 Vgl. RGA 19: 361-364. Marsos, Gambrivios, Suevos, Vandilios] Die Marser209 werden außerhalb der Germania von Tacitus mehrmals erwähnt: ann. 1,50,4: iuvit nox sideribus inlustris, ventumque ad vicos Marsorum et circumdatae stationes stratis etiam tum per cubilia propterque mensas, nullo metu, non antepositis vigiliis ‚die sternenklare Nacht kam ihnen zustatten, und man gelangte zu den Dörfern der Marser und stellte ringsum Posten auf, während jene immer noch auf ihren Lagern und an den Tischen hockten, furchtlos (und) ohne Wachen aufzustellen‘ (AG 2, 76-77); ebd. 1,56,5: fuerat animus Cheruscis iuvare Chattos, sed exterruit Caecina huc illus ferens arma; et Marsos congredi ausos prospero proelio cohibuit ‚den Cheruskern stand der Sinn danach, den Chatten zu helfen; doch Caecina, der sich bald hier, bald dort bewaffnet zeigte, schüchterte sie ein; und die Marser, die ein Treffen wagten, bezwang er in einer glückliche Schlacht‘ (AG 2, 80-81); ebd. 2,25,1: ipse maioribus copiis Marsos inrumpit, quorum dux Mallovendus, nuper in deditionem acceptus, propinquo luco defossam Varianae legionis aquilam modico praesidio servari indicat ‚er [= Caesar] selbst überfiel mit noch größeren Truppen die Marser, deren Führer Mallovendus, der sich erst kürzlich unterworfen hatte, verriet, daß der in einem nahegelegenen Hain vergrabene Adler der Legion des Varus von einem (nur) schwachen Person bewacht werde‘ (AG 2, 114- 115); daneben werden sie noch genannt bei Strab. Geogr. 7,1,3 p. 290 : t. d’ .f.. µeta.t..ta e.. t.. .. ß..e. ..pa., .a..pep .ap... ‚während andere vorher ihre Wohnsitze ins Landesinnere verlegt haben, wie z.B. die Marser‘ (AG 1, 88-89); Plut. sull. 4,2: ....ap... µ..a .a. p......p.p.. ..... .ap.... .pe..e f..... .e....a. .a. ..µµ..... ..µa... ‚als Kriegstribun gewann er [= Sulla] den großen und volkreichen Stamm der Marser (?) dafür, Freund und Bundesgenosse der Römer zu werden‘; (inschriftlich u.a.) CIL, VI 8805: Marsus ‚der Marser‘.210 Sie siedelten zwischen der oberen Lippe und Ruhr (wohin sie offenbar vom Rhein vor den Römern ausgewichen waren) jenseits der silva Caesia, wo das offenbar den Marsern gehörige Heiligtum der Tanfana als Zentrum einer Kultgemeinschaft lag (vgl. Tac. ann. 1,51,1: profana simul et sacra et celeberrimum illis gentibus templum, quod Tanfanae vocabant, solo aequantur ‚weltliche [Bauten] wurden ebenso dem Erdboden gleichgemacht wie heilige und der bei jenen Stämmen hochberühmte Tempel, den sie nach der Tamfana benannten‘ [AG 2, 76-77]),211 das 14 n.Chr. von den Römern zerstört wurde. Die Marser wurden in drei Expeditionen des Germanicus geschlagen,212 wobei auch ein vergrabener Legionsadler aus der Varusschlacht zurückgewonnen werden konnte, was darauf hinweist, dass die Marser sich unter den aufrührerischen Stämmen des Jahres 9 n.Chr. befanden. Danach verschwinden die Marser aus der Überlieferung. Teile (vielleicht Abspaltungen) der 210 Unsicher ist, ob die bei Cass. Dio 60,8,7 genannten .ap....... als Beleg für die Marser aufzufassen sind (vgl. RGA 19: 361, 364). 211 Vgl. Jahn 2001: 208 Anm. 1196: ”Das Heiligtum der Tanfana, über deren Wesen und Kult nichts bekannt ist, war anscheinend ein kultisches Zentrum der Marser, Brukterer, Tubanten und Usipeter.. 212 Vgl. Jahn 2001: 207-208, 214, 256. Marser lebten wohl unter den Namen Marsigni213 (vgl. c. 43,1: retro Marsigni, Gotini, Osi, Buri terga Marcomanorum Quadorumque claudunt, e quibus Marsigni et Buri sermone cultuque Suevos referunt ‚nach hinten schließen sich an die Rückseite der Markomannen und Quaden die Marsigner, Kotiner, Oser, Burer an, von denen die Marsigner und Burer nach Sprache und Lebensweise den Sueven gleichen‘) und, an der Rheinmündung, Marsaci(i) weiter.214 213 Vgl. RGA 19: 361, 364. 214 Vgl. RGA 19: 361-362; Wenskus 1961: 67. Ebenfalls in Beziehung zum VN wird der im Mittelalter bezeugte Gau Marsum auf den Inseln vor den Rhein- und Maasmündungen stehen. 215 Vgl. RGA 19: 361. 216 Vgl. Holtzmann – Holder 1873: 28; Annibaldi 1910: 50; Robinson 1991: 144, 159. 217 Vgl. RGA 10: 406-409. 218 In den Hss. ist der Name als .aµaßp..... (Variante: .aµaßp.....) überliefert (vgl. RGA 10: 406). 219 Vgl. etwa Zeuss 1904: 83; Much 1967: 57; RGA 10: 406-408. Skeptischer zeigt sich RGA 10: 409: ”Mehr als eine Hypothese ist das nicht.; ablehnend Timpe 1995: 39. Unzweifelhaft sind beide Namen Bildungen zum gleichen Element (s.u.), wobei der VN Sugambri mit dem Präfix *su- ‚gut‘ gebildet ist (vgl. RGA 10: 407). 220 Vgl. Wagner 1983: 71-73. 221 Vgl. Krahe – Meid 1969: III,76. Der Name der Marser lässt sich am besten auf *marsa- zurückführen, eine Ableitung vom Verb urgerm. *mars/zi.e/a- ‚ärgern, stören‘ (> got. marzjan, ahd. merren, as. merrian, ae. mierran, afries. meria). Der Name ist somit als ‚die ihren Feinden zu schaffen machen‘ zu deuten.215 Der Name der Gambrivier ist in den Hss. als çambriuios in W, gambrunos in m, Zambriuios in h, gambriuios in c.pQtfBETdvormonabrlezuARce, ganbriuios in C, gabrinios in b (v über n geschr. bcorr.) und gambrios in s (.ambriuios s2) bezeugt.216 Außerhalb der Germania erscheint der Name der Gambrivier217 lediglich noch bei Strab. Geogr. 7,1,3 p. 291C: ...a d’ ..de..tep. ..t.. .... Gepµa.... F.p...... te F.tt.. .a. Gaµaßp...... .a. Fatt...p... ‚andere (noch) ärmere germanische Völker [= als die Sueben] sind die Cherusker, Chatten, Gambrivier und Chattuarier‘ (AG 1, 92-93).218 Historisch ist über sie sonst nichts bekannt. Wegen der Namensähnlichkeit hat man allgemein einen näheren Zusammenhang mit den Sugambrern angenommen.219 Falls dieser zutreffen sollte, liegt die Annahme nahe, dass die Gambrivier ebenso wie die Sugambrer die Feldzüge des Drusus nicht überstanden haben. Der VN hängt mit dem Adj. urgerm. *gambra- ‚tatkräftig, energisch, tüchtig, rasch‘ (> ahd. gambar, wgot. PN Cambra,220 lgb. PN Gambara) zusammen. Der Auslaut des VN ist jedoch nicht klar. Zumeist wird von einem Suffix *-i.a- ausgegangen,221 was zu einem Ansatz urgerm. ”*Gámbriwoz (ohne ein weiteres Suffix -j-). führt.222 Das in der taciteischen Überlieferung feste -i- wäre dabei als ”unberechtigtes -ii in Fremdnamen. wie ”im Text der ‚Germania‘ auch sonst mehrfach. aufzufassen.223 Nicht ganz auszuschließen ist jedoch zum einen, dass eine sekundäre Weiterbildung mit dem Suffix urgerm. *-.a- vorliegt,224 zum anderen könnte das Schwanken zwischen -i und -ii nur eine lateinisch bedingte Oberflächenerscheinung sein,225 die zwar für die Etymologie tatsächlich unerheblich ist, aber kaum als ‚unberechtigt‘ eingestuft werden darf. 222 RGA 10: 407. 223 RGA 10: 407. Allerdings stehen die hier beigebrachten Beispiele kaum alle auf einer Stufe. 224 Hierzu vgl. Krahe – Meid 1969: III,71 (zu vergleichen ist das Nebeneinander von ahd. alt ‚alt‘ [< *alda-] und got. alþeis ‚alt‘ [< *alþi.a-]); hierfür spricht sich auch Schönfeld 1911: XXVII aus: ”Wir haben < bei -i neben - ii> … von der oben nachgewiesenen freien Bildungsweise auszugehen, nach welcher ein Volksname bisweilen als a-Stamm, bisweilen als ja-Stamm erscheinen konnte.. Für diese Möglichkeit sprechen vielleicht auch die Schreibungen bei Strabo (mit und ohne -n-), die am einfachsten von einer Schreibung Gaµ(a)ßp..... ausgehend erklärt werden können (vgl. auch Much 1967: 57: ”wo Gaµaß...... in Gaµ(a)ß....... zu berichtigen ist.). 225 Vgl. Schönfeld 1911: XXVII: ”Wahrscheinlich ist aber die Häufigkeit des Schwankens … dem Umstande zu verdanken, daß die Römer in ihrer eigenen Sprache in der Endung -i neben -ii schrieben und also denselben Schreibgebrauch in fremden Namen befolgten.. 226 So auch RGA 10: 409. 227 Auf -u- weisen auch die Schreibungen mit -n- hin. Zur Schreibung des Völkernamens (wie auch des ‚Ländernamens‘ Suebia) vgl. Robinson 1991: 246. Zur Schreibung des VN in den antiken Quellen vgl. allgemein Reichert 1987: 629-635. 228 Müllenhoff 1900: 127; ebenso u.a. Much 1967: 462; Robinson 1991: 246. 229 Dagegen spricht nicht die Schreibung mit -b- in den besseren Hss. der Annalen und Historien, da natürlich ein -b- jederzeit wieder sekundär eingeführt werden konnte, wie der Name der Sueben ja in dem der Schwaben weiterlebt. 230 Vgl. Sommer – Pfister 1977: § 116; Leumann 1977: 159. 231 Vgl. Neumann 1992. 232 Formal am nächsten stehen aksl. osóba ‚Person‘, sob. ‚Eigenart‘, apreuß. subs ‚selbst, eigen‘. Die Erwähnung der zu Tacitus’ Zeit längst untergegangenen Stämme der Marser und Gambrivier legt den Schluss nahe, dass die Angaben aus vordrusianischer Zeit stammen.226 Der Name der Sueben wird in den Hss. der Germania an allen Stellen durchgängig mit -u- geschrieben.227 Es wird allgemein behauptet, dass ”das verderbnis c. 41 pars verborum statt Sueborum … auf b führt..228 Dieses Argument ist kaum stimmig, weil in c. 41,1: et haec quidem pars verborum in secretiora Germaniae porrigitur ‚dieser Teil des Gesagten nun greift hinein in die abgeschiedeneren Gegenden Germaniens‘ durchaus sinnvoll ist. Da etymologisch ein -b- zu erwarten ist (s.u.), in den Hss. aber ausschließlich -u- erscheint, kann erwogen werden, dass bereits Tacitus den Namen mit -u- geschrieben hat,229 denn bereits im 1. Jh. n.Chr. wurde intervokalisches b spirantisiert und mit fiel spirantischem v zusammen.230 Dem Namen231 liegt ein urgerm. a-St. *s.eba- zu Grunde, der eine sekundäre Ableitung eines weiter nicht bezeugten urgerm. *s.eba- darstellt,232 bestehend aus dem Reflexivpronomen *s.e- ‚sich, für sich‘ und einem Suffix *-ba-. Als Grundbedeutung für *s.eba- ist ‚für sich selbst bestehend, eigenständig‘, für die Ableitung ‚durch Eigenständigkeit charakterisiert‘ anzusetzen, das sich zu ‚die Zusammengehörenden‘, zu ‚die Freien‘ oder zu ‚die Eigenständigen‘ entwickelt haben kann. Die Sueben sind an dieser Stelle nicht in der nämlichen Ausdehnung zu fassen wie in c. 38,1: nunc de Suevis dicendum est, quorum non una … gens ‚jetzt ist von den Sueben zu reden, die nicht … nur eine einzige Völkerschaft bilden‘, schon weil neben ihnen die Vandalen, die ebenfalls im Osten, also im suebischen Gebiet, zu lokalisieren sind, genannt werden.233 233 Dieses Argument (so auch Müllenhoff 1900: 127; Much 1967: 58) ist jedoch aus der Germania selbst nicht verifizierbar, da hier die Vandalen nicht mehr genannt werden. Zu diesem zweifachen Suebenbegriff vgl. Timpe 1992b; RGA 30: 188-193. 234 Vgl. Annibaldi 1910: 50; Robinson 1991: 148, 174, 212. Unklar ist die Schreibung in r, wo nach Robinson 1991: 174 uandulos, nach Annibaldi 1910: 50 dagegen Vandiilos zu lesen ist. 235 Vgl. Wagner 2001. 236 Vgl. Wagner 2001: 296. 237 Vgl. Lühr 2000: 294-295. 238 Daher ist die Aussage von Müllenhoff 1900: 129: ”somit gewinnen wir das wertvolle ergebnis, dass Tacitus lediglich die genauere angabe des Plinius über die einteilung der Germanen bestätigt und seine eigene ungenauigkeit ohne es zu wissen berichtigt. nicht zutreffend. Der Name der Vandalen ist in den Hss. belegt als uandilios in WmBE, vandalos am Rande vandileos in h, uandalios in pQtfb, vandalos in al, uandilos in brezuARce, und wandilios in s (wandileos [oder wandaleos ?] s2).234 Der Name ist mit Wagner als Vandili zu statuieren.235 Die Abweichungen im Mittelvokalismus beruhen demgegenüber auf vulgär-lat. Assimilationen. Der VN stellt eine Ableitung des Landschaftsnamens adän. Vendel ‚Vedsyssel‘ < urgerm. *.andila- ‚der sich Windende‘, eine Landschaft nördlich vom Lindfjord, die ihre Benennung wohl nach diesem erhalten hat.236 Es handelt sich hierbei um eine Ableitung mit dem Suffix *-ila- von urgerm. *.ende/a- ‚winden‘ (> got. -windan [in biwindan ‚umwinden‘], ahd. wintan, as. ae. windan, afries. winda, aisl. vinda).237 Die Vandalen erscheinen auch bei Plin. nat. 4,99 als eine der fünf genera: Vandili, quorum pars Burgodiones, Varinnae, Charini, Gutones ‚die Vandilier, zu denen die Burgundionen, Varinner, Chariner und Gutonen gehören‘ (AG 1, 108-109). Auch hier liegt ein anderes Einteilungsprinzip als bei Tacitus zu Grunde,238 da Letzterer im zweiten, allgemeinen Teil der Germania zumindest die Goten zu den Sueben rechnet (c. 44,1: trans Lygios Gothones regnant paulo iam adductius quam ceterae Germanorum gentes ‚jenseits der Lugier üben die Gotonen ihre Königsherrschaft aus, schon etwas straffer als die übrigen Völkerschaften der Germanen‘). Falls sich die Vandalen hinter den Lugiern verbergen, die in c. 43,2 (dirimit enim scinditque Sueviam continuum montium iugum, ultra quod plurimae gentes agunt. ex quibus latissime patet Lygiorum nomen in plures civitates diffusum ‚in der Tat durchtrennt und durchschneidet Suebien ein langgezogener Gebirgskamm, auf dessen anderer Seite zahlreiche Völkerschaften wohnen. Am weitesten erstreckt sich dabei der Verband der Lugier, der in mehrere Stammesgemeinschaften zerfällt‘) behandelt werden,239 wären auch sie den Sueben zugerechnet. 239 Vgl. Schmidt 1970: 3; RGA 19: 30-35. 240 Zu den Vandalen vgl. allgemein Schmidt 1970. 241 So auch u.a. Perl 1990: 83. 242 So u.a. Lund 1988: 115: ”Die Partikel -que steht hier kopulativ. Man hätte jedoch statt -que vielmehr quoque erwarten können.; Timpe 1995: 1: ”denn (auch?) dies wären echte, alte Namen.. Bevor die Vandalen als einzelner Stamm erscheinen, sind sie in der Frühzeit schwer zu fassen.240 eaque vera et antiqua nomina] Zu ergänzen ist esse. Das -que ist explikativ zu fassen,241 da es sich um eine radikal andere Genealogie handelt, die in Gegensatz zu dem der Mannus-Nachkommen steht. Nur die Terra- Abkömmlinge haben demnach echte und alte Namen, nicht dagegen die Mannus- Abkömmlinge, geschweige denn diejenigen, die sich Germanen nennen. Die ebenfalls geäußerte Auffassung, dass -que hier kopulativ stünde, man somit eigentlich quoque hätte erwarten können,242 ist nicht richtig, da die Terra-Nachkommen nicht auf derselben genealogisch-zeitlichen Stufe stehen wie die Mannus-Nachkommen. Daher berücksichtigt diese Genealogie denn auch gänzlich andere Völker als die vorher genannte. Bei Plinius findet sich nat. 4,99-100 eine abweichende Fünfteilung der Germanen: Germanorum genera quinque: Vandili, quorum pars Burgodiones, Varinnae, Charini, Gutones. alterum genus Inguaeones, quorum pars Cimbri Teutoni ac Chaucorum gentes. proximi autem Rheno Istuaeones, quorum …x mediterranei Hermiones, quorum Suebi, Hermunduri, Chatti Cherusci. quinta pars Peucini, Basternae, supra dictis contermini Dacis ‚es gibt fünf germanische Volksgruppen: die Vandiler, zu denen die Burgundionen, Varinner, Chariner und Gutonen gehören. Die zweite Gruppe bilden die Ingväonen, zu denen die Kimbern, Teutonen und die Stämme der Chauken zählen. Dem Rhein am nächsten leben die Istväonen …, im Binnenland die Hermionen, zu denen die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker gehören. Den fünften Teil bilden die Peukiner und Bastarner an der Grenze zu den obengenannten Dakern‘ (AG 1, 108-109). 3 ceterum Germaniae vocabulum] Mit ceterum leitet Tacitus den so genannten ‚Namensatz‘ ein, der über den Ursprung des Namens Germanen behandelt. Dabei ist festzuhalten, dass auch dieser ein Teil des Berichtes der quidam ist. Der Namensatz gilt als eine der meist behandelten Stellen der lateinischen Literatur.243 Alles in allem besitzt das Urteil von Müllenhoff: ”Wir gelangen nun zu der berüchtigten und viel besprochenen stelle über den ursprung des namens der Germanen. Die stelle ist schwierig und durch die ausleger noch schwieriger geworden. nach wie vor Geltung.244 Wie man der Literatur entnehmen kann, gilt es als ein Makel, bei dem Namensatz ohne eine Konjektur auszukommen; vgl. u.a. die Bemerkung von Kraggerud: ”‚Nobis et ratio et res ipsa centum codicibus potieres sunt‘ Das gilt natürlich nicht weniger, wenn es sich um einen einzigen, und noch dazu verlorenen Kodex handelt..245 Ganz abgesehen davon, dass eine solche Haltung der Textkritik Tür und Tor öffnet (was ja auch geschehen ist), ist die Frage danach, was die ratio und res ipsa (nicht unserer, sondern die des Autors, was dabei fast immer übersehen wird) eigentlich sind, wohl kaum beantwortbar. So sollte man bei dem Namensatz wie auch bei dem Rest der Germania möglichst ohne Konjektur auskommen. Lästige Passagen sollten dabei ”nicht fortemendiert werden..246 243 Vgl. auch Norden 1959: 312: ” gehört zu den umstittensten der gesamten lateinischen Prosaliteratur.. Lund 1991b: 1995-2026 führt über hundert Arbeiten aus der Zeit zwischen 1888 und 1989 an; auch danach hat es nicht an Beiträgen hierzu gefehlt. 244 Müllenhoff 1900: 129. Vgl. auch Rives 1999: 117: ”Some of the problems stem from the fact that people have wanted this section to provide more abundant and precise information than it in fact does.. 245 Kraggerud 1981: 44, Anm. 8. 246 Boer 1904: 141 (zum ae. Finnsburg-Fragment). 247 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 78. 248 Lund 1988: 115. 249 Vgl. Georges 1988: II,2216. ceterum kann sowohl einen Gegensatz (‚dagegen‘) wie den Anschluss eines neuen Gedankens ausdrücken.247 Nach Lund hat ceterum ”hier wegen der Position adversativen Sinn..248 Dies kann jedoch kaum als Begründung gelten, da in c. 3,2 ceterum ‚im Übrigen‘ ebenfalls die Anfangsposition einnimmt, dort aber eindeutig in ergänzendem Sinn gebraucht wird. Für die ergänzende Funktion von ceterum könnte sowohl angeführt werden, dass der Gegensatz zu recens im Allgemeinen vetus, nicht das vorhergehende antiquus ist,249 als auch, dass den Völkerschaftsnamen ein Ländername entgegengesetzt ist. Beide Abweichungen können indessen als stilistische Varianz erklärt werden, da recens nicht allein, sondern mit nuper additum steht, der Wechsel zwischen einem Völker- und Ländernamen zum einen nicht auffällig ist (vgl. c. 1,1: Germania omnis a Gallis Rhaetiisque et Pannoniis Rheno et Dannubio fluminibus, a Sarmatis Dacisque mutuo metu aut montibus separatur ‚Germanien in seiner Gesamtheit ist von den Galliern und den Landesteilen Rätiens sowie Pannoniens durch die Flüsse Rhein und Donau, von den Sarmaten und Dakern durch gegenseitige Furcht oder wenigstens Gebirgszüge geschieden‘; vgl. ebenfalls Verg. georg. 1,509: hinc movet Euphrates, illinc Germania bellum ‚hier ruft der Euphrat, dort Germanien furchtbar zum Kriege‘), zum anderen die Setzung des Ländernamens auf c. 1,1 selbst zurückweist und schließlich der Gesamtname hier noch nicht verwendet werden konnte, da die Ausweitung zum Gesamtnamen erst erklärt wird.250 Aus diesen Gründen ist, da das Referat der quidam hier fortgesetzt wird, ceterum als adversativ aufzufassen. vocabulum hat hier die Bedeutung ‚Benennung, Bezeichnung‘, steht also synonymisch zu nomina und appellationes. Zur ehemaligen Unterscheidung zwischen nomen und vocabulum vgl. Varro, l.l. 1,1,10,20: non idem oppidum et Roma, cum oppidum sit vocabulum, Roma nomen ‚oppidum und Rom sind nicht dasselbe, da oppidum ein vocabulum ist, Rom ein nomen‘; jedoch tritt dieser Unterschied bereits bei Cicero zurück; vgl. div. 1,2: Chaldaei non ex artis, sed ex gentis vocabuli nominati ‚die Chaldäer, deren Namen freilich nichts mit der Wissenschaft zu tun hat, sondern eine Stammesbezeichnung ist‘; Tac. ann. 13,12,1: libertae, cui vocabulum Acte fuit ‚mit einer Freigelassenen …, die Acte hieß‘. recens et nuper additum] Es ist esse hinzuzudenken. Die ganze Fügung recens et nuper additum steht in genauem Gegensatz zum vorhergehenden vera et antiqua nomina, wobei recens in Kontrast zu antiqua, nuper additum in Gegensatz zu vera steht; es liegt somit ein Chiasmus vor. 250 Letztes Argument u.a. auch bei Much 1967: 60; Kraggerud 1981: 10; Perl 1990: 133; Anderson 1997: 43. 251 Aus diesem Grund ist die Annahme von Much 1967: 61, für den nuper nur als direkt aus der Vorlage übernommen verständlich ist, hinfällig. 252 Die Emendation von Lispius in auditum (vgl. die Angabe bei Robinson 1991: 274), die sich u.a. auch bei Gudeman 1916: 58 (begründet auf S. 238-239 [die paläographische Erklärung – audtium > aditum > additum – ist jedoch, trotz Parallelen, kaum zwingend]) findet, ist nicht nur nicht notwendig, sondern auch falsch, da zu auditum a Romanis zu ergänzen wäre (vgl. Anderson 1997: 43), zumal der Namen Germani, obgleich in einer anderen Bedeutung, ja durchaus älter ist (vgl. Much 1967: 61). 253 So u.a. Baumstark 1875: 96; Lund 1988: 115; als Möglichkeit auch Robinson 1991: 274. nuper steht, anders als in c. 1,1, in der Bedeutung ‚vor nicht langer Zeit‘, da hier der Gegensatz zu mythischen Verhältnissen vorliegt.251 additum252 wird hier kaum in der Bedeutung ‚hinzugefügt‘ stehen,253 da keine Rede davon ist, dass zum alten Namen der neue hinzugefügt wurde (es liegen keine Doppelnamen vor). Ebenfalls spricht gegen diese Bedeutung die Tatsache, dass nicht von Germani, sondern von Germania die Rede ist, nämlich dass die Bezeichnung Germania dem Land als dessen erste und einzige faktisch vorhandene Gesamtbezeichnung beigelegt wurde.254 Der Zeitpunkt für die Beilegung des Namens Germanen muss vor den Angaben Caesars liegen, da dieser bereits den Namen Germania als geographische Größe kennt. Da auch Ariovist als Anführer der Sueben von Caesar als rex Germanorum (Gall. 1,31,10: Ariovistus rex Germanorum ‚der Germanenkönig Ariovist‘ [AG 1, 280-281]) bezeichnet wird, hatte sich diese Bezeichnung also bereits vor der Ankunft der Sueben durchgesetzt. 254 additum steht somit eher im Sinne von inditum (so Reeb 1930: 19; Much 1967: 61; Anderson 1997: 43); vgl. zu diesem Gebrauch u.a. Tac. hist. 1,62,2: nomen Germanici Vitellio statim additum ‚dem Vitellius gaben sie sogleich den Beinamen «Germanicus»‘; Ov. met. 9,356-357: namque hoc avus Eurytus illi / addiderat nomen ‚denn Eurytus hatte, sein Ahn, ihm diesen Namen verliehn‘; Varro, l.l. 7,82: nomen additum Andromachae ‚ein Name, der Andromache gegeben‘ (eine Variante zu Ennius’ Andromachae nomen … indidit ‚legte der Andromache einen Namen bei‘) oder im Sinne von datum (so als Möglichkeit Robinson 1991: 274); vgl. u.a. c. 3,3: addat fidem ‚Glauben schenken‘; vgl. auch Kraggerud 1981: 39: ”Nichts deutet in unserem Zusammenhang darauf hin, dass für Tacitus … der Name als zusätzlich gegeben galt. Wozu zusätzlich, möchte man fragen.. 255 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 382-384. 256 Kraggerud 1981: 9-12; so ebenfalls Reeb 1930: 19. 257 Vgl. auch Perl 1990: 135: ”Die im quoniam-Satz begonnene Begründung setzt sich nach dem grammatischen Ende des Satzes … im folgenden logisch fort.. 258 Vgl. etwa die Hs. E: Ceteru germanie uocabulu recens & / nuper additum: quonia qui primi rhe/num transgressi gallos expulerit : ac nunc … (vgl. Till 1943: f. 66v). Die Behauptung von Kraggerud 1981: 9: ”Es liegen jedoch gute Gründe vor … sich in die Rolle eines editor princeps zu denken, der nach bestem Ermessen über Komma, Kolon und Punkt zu verfügen hat. verkennt denn auch die hss. Situation der Germania völlig. Es handelt sich eben nicht um mittelalterliche Hss. 259 Vgl. Perl 1989: 281: ”Aus dieser Analyse des Tempusgebrauchs nach den Regeln der Consecutio temporum ergibt sich zugleich, daß der Satz (3.1.) quoniam … vocati sint nicht zum folgenden gezogen werden darf.. 260 Anders Kraggerud 1981: 9-12, der jedoch ac nunc Tungri streicht (ebd. 13-16). quoniam] quoniam drückt im Allgemeinen einen faktischen Grund aus.255 Tacitus macht sich jedoch, wie die indirekte Rede zeigt, diese Meinung nicht zu Eigen, sondern lässt sie dahingestellt sein. Im Allgemeinen wird der quoniam-Satz als Begründung des Vorhergehenden aufgefasst, so dass nach vocati sint interpungiert wird. Dagegen will Kraggerud den quoniam- Satz als Begründung des Nachfolgenden auffassen und setzt daher erst nach vocarentur einen Punkt.256 Es ist ihm durchaus zuzugeben, dass die genauere Begründung mit dem Schluss des Satzes noch nicht zu Ende ist.257 Jedoch spricht zum einen bereits die hss. Überlieferung, die quoniam zum Vorhergehenden stellt,258 zum anderen die Regeln der consecutio temporum gegen diese Interpunktion.259 Auch interpretatorisch ergibt sich kaum eine Schwierigkeit, da die Hauptsache mit dem Satz quoniam … vocati sint geleistet ist. Es ist nämlich dargetan, dass Germania ein Ausdruck jüngeren Datums (recens et nuper additum) sein muss, da sich dieser Name von den rheinüberschreitenden Tungrern herleitet.260 Der Satz schildert also nur die Situation, aus der heraus dieser Name zum Gesamtnamen entwickelt wurde.261 Implizit ist damit natürlich vorausgesetzt, dass der zeitgenössische Leser wusste, dass es sich hierbei um ein Ereignis neueren Datums handelte, was sicher nicht unwahrscheinlich ist. 261 Nicht zutreffend ist denn auch der Kausalzusammenhang bei Kraggerud 1981: 9 dargestellt: ”Kann nämlich der Umstand, so muss man fragen, dass die Eindringlinge Germani hiessen bzw. genannt wurden, als Begründung für die moderne Gesamtbezeichnung Germania/Germani gelten?.. 262 Vgl. Robinson 1991: 109. 263 Vielleicht ist -um durch das nachfolgende Rhenum bedingt. 264 Vgl. zu den Germani cisrhenani RGA 11: 184-185; ebd. 18: 483-494. qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint] In den Hss. ist neben primi in Wmhc.CpQtfbBETdobrl auch primum in vralezuRce, und die Korrektur von primum zu primi in s bezeugt.262 Obwohl primum an sich möglich ist, spricht die Überlieferung zu Gunsten von primi.263 Das Wort primi gibt an, dass es nach ihnen noch weitere Rheinüberquerungen gab. Der Rheinübergang dieser Ersten liegt somit vor den Wanderungen der Kimbern und Teutonen. Wie aus dem Nachfolgenden hervorgeht, handelt es sich bei den ersten Überquerern des Rheins um die Tungrer. Dass germanische Stämme nach Gallien übergesiedelt sind264 (die Germani cisrhenani), berichtet auch Caes. Gall. 2,4,1-3: cum ab his quaereret, quae civitates quantaeque in armis essent et quid in bello possent, sic reperiebat: plerosque Belgas esse ortos a Germanis Rhenumque antiquitus traductos propter loci fertilitatem ibi consedisse Gallosque, qui ea loca incolerent, expulisse solosque esse qui patrum nostrorum memoria omni Gallia vexata Teutonos Cimbrosque intra suos fines ingredi prohibuerint; qua ex re fieri uti earum rerum memoria magnam sibi auctoritatem magnosque spiritus in re militare sumerent ‚als Caesar (die Remer) fragte, welche und wie viele Stämme unter Waffen stünden und wie stark sie im Krieg seien, erfuhr erfolgendes: Die meisten Belger stammten von den Germanen ab und hätten in alten Zeiten den Rhein überschritten, sich wegen des fruchtbaren Bodens dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegenden bewohnten, vertrieben; sie hätten als einzige zur Zeit unserer Väter, als ganz Gallien heimgesucht wurde, verhindert, daß die Teutonen und Kimbern in ihr Gebiet einfielen; aus der Erinnerung an diese Vorfälle bezögen sie großes Ansehen und einen hohen Sinn im Kriegswesen‘ (AG 1, 314-315); ebd. 6,2,3: Nervios, Atuatucos, Menapios adiunctis Cisrhenanis omnibus Germanis esse in armis ‚die Nervier, Aduatuker und Menapier gemeinsam mit allen diesrheinischen Germanen in Waffen standen‘ (AG 1, 336-337); ebd. 6,32,1: Segni Condrusique, ex gente et numero Germanorum, qui sunt inter Eburones Treverosque, legatos ad Caesarem miserunt oratum, ne se in hostium numero duceret neve omnium Germanorum, qui essent citra Rhenum, unam esse causam iudicaret ‚die Segner und Kondrusen aus dem Volk und der Zahl der Germanen, die zwischen den Eburonen und den Treverern wohnen, schickten Gesandte zu Caesar mit der Bitte, sie nicht zu den Feinden zu rechnen oder zu glauben, daß alle Germanen diesseits des Rheins dieselben Interessen hätten‘ (AG 1, 340-343). ac nunc Tungri] Die Folge ac nunc Tungri wird in einigen Ausgaben als Glossem angesehen265 und aus dem Text getilgt.266 Als Argumente für eine Streichung werden angeführt, dass die Tungrer zum einen ”in keiner Weise dazu bei, den Nachweis zu erbringen, welche Stämme aus Germanien nach Gallien ausgewandert sind, d.h. sie bringen kein argumentum etymologicum, wie man es gemäß antiker ethnographischer Denkweise hätte erwarten können.,267 zum anderen syntaktisch nicht passen würden,268 da die Nennung der Tungrer den Fortschritt ”der knappen, vorwärtsdrängenden Snytax. stören würde.269 Gegen Ersteres spricht jedoch die Tatsache, dass hier kein argumentum etymologicum angeführt wird, sondern es sich lediglich um die Frage handelt, warum der Name Germani(a) erst neueren Datums sei. Gegen die syntaktischen Bedenken, die eine Streichung zur Folge haben, spricht aber das Wort nunc. Streicht man nämlich ac nunc Tungri, bleibt das nachfolgende tunc unbestimmt.270 Im Übrigen wäre es rätselhaft, warum ein Glossator hier ausgerechnet den VN der Tungrer am Rande vermerkt hätte, da gerade die Tungrer bei Caesar nicht unter den Germani cisrhenani erwähnt werden. Da, wie Perl gezeigt hat, die Folge ac nunc Tungri durch ac grammatisch an den qui-Satz angeschlossen ist, der ein eigenes Prädikat (expulerint) hat, kann nicht aus dem quoniam-Satz eine Form des Verbs vocari ergänzt werden,271 wie gemeinhin geschehen ist.272 Von den möglichen Lösungsansätzen (die 265 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 58: ”Die Stelle … ist als eine in den Text geratene Randglosse zu streichen.; Lund 1988: 115 ”die Wörter ac nunc Tungri müssen als kontextloses Glossem getilgt werden.. Nach Städele 1991: 307 ist nunc Tungri ”leider der fehlerhaften Überlieferung zum Opfer gefallen.. 266 Die Folge wird u.a. gestrichen bei Gudeman 1916: 58; Kraggerud 1981: 13-16; Lund 1988: 70. 267 Lund 1988: 115. 268 So u.a. Delz 1970: 225-229; Kraggerud 1981: 13-14. 269 Kraggerud 1981: 13. 270 Vgl. auch Perl 1989: 281: ”nunc wird aber durch tunc gestützt, tunc bedarf einer Ergänzung, man erwartet eine weitere Angabe über das Schicksal des Stammes der damaligen Germani, über einen Satz für den alten Stammesnamen, der zum Volksnamen geworden ist.; ebenso Perl 1990: 134; ähnlich auch Much 1967: 63. 271 Vgl. Perl 1989: 281-282; Perl 1990: 134. 272 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 98: ”Dass in dem Texte unserer Stelle aus dem Schlusszeitwort vocati sint zu Tungri das Verbum vocantur oder vocentur gedacht werden muss, versteht sich eigentlich von selbst.; Müllenhoff 1900: 129: ”bei der lesart ac muss vocentur aus vocati sint ergänzt werden.; Schweizer-Sidler 1923: 7: ”erg. vocentur.; Reeb 1930: 19: ”(vocentur).; Much 1967: 62: ”ac nunc Tungri vocentur.; Anderson 1997: 44: ”sc. vocentur.. 273 Vgl. Perl 1990: 134. 274 Hierfür treten u.a. auch ein Perl 1989: 282; Perl 1990: 83, 134; Rives 1999: 117 (jedoch unter der Annahme ”that some word meaning ‚are called‘ has dropped from the text.); als Möglichkeit bereits Robinson 1991: 274: ”Possibly this difficulty is obviaterd if nunc Tungri is regarded as a parenthetical bit.. 275 Perl 1989: 282, Anm. 18. 276 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 26. 277 Vgl. zu den Tungrern RE VII A 2: 1345-1359; RGA 18: 493. Aufnahme in den Text von vocentur bzw. appellentur, die Herauslösung der Folge aus dem Relativsatz, die Annahme einer Lücke nach vocati sint oder nach expulerint oder Tilgung)273 vermag nur die Annahme als Parenthese, und somit Loslösung aus dem Relativsatz zu überzeugen.274 Von Perl wurde noch die Möglichkeit erwogen, ob ac nicht in at abzuändern sei, da Tacitus häufig ”einen Satz mit at nunc. einleite.275 Diese Annahme ist jedoch überflüssig, da ac zur Einführung einer Parenthese dienen kann.276 Zur Anwesenheit von Parenthesen in der Germania vgl. c. 31,2: ignominiosum id genti ‚bei diesem Volk eigentlich eine Schande‘. Die Tatsache, dass die Tungrer in c. 28,4 (Treveri et Neruli circa affectationem Germanicae originis ultro ambitiosi sunt, tamquam per hanc gloriam sanguinis a similitudine et inertia Gallorum separentur. ipsam Rheni ripam haud dubie Germanorum populi colunt, Vangiones, Triboci, Nemetes. Nubii quidem, quamquam Romana colonia esse meruerint ac libentius Agrippinenses conditoris sui nomine vocentur, origine erubescunt ‚die Treverer und Nervier verfechten den Anspruch, germanischen Ursprungs zu sein, sogar mit besonderem Nachdruck, gleich als ob sie durch diese ruhmvolle Blutsverwandtschaft sich der Verähnlichung mit den schlaffen Galliern entziehen könnten. Unmittelbar am Rheinufer wohnen unzweifelhaft germanische Stämme, die Vangionen, Triboker, Nemeter. Die Ubier freilich, die es indessen bis zur römischen Kolonie gebracht haben und sich gern nach dem Namen ihrer Gründerin Agrippinenser nennen, schämen sich ihres Ursprungs‘) nicht unter den linksrheinischen Germanenstämme genannt sind, vermag kaum ein Argument für die Streichung dieser Stelle zu liefern, da auch die übrigen angeführten VN keine Erwähnung mehr finden. Die Tungrer277 werden zuerst von Plin. nat. 4,106 genannt: a Scaldi incolunt [extera] Texuandri pluribus nominibus, dein Menapi, Morini ora Marsacis iuncti pago qui Gesoriacus vocatur, Britanni, Ambiani, Bellovaci, Bassi. introrsus Catoslugi, Atrebates, Nervi liberi, Veromandui, Suaeuconi, Suessiones liberi, Vlmanectes liberi, Tungri, Sunuci, Frisiavones, Baetasi, Leuci liberi, Treveri liberi antea et Lingones foederati, Remi foederati, Mediomatrici, Sequani, Raurici, Helveti, coloniae Equestris et Raurica ‚von der Schelde an wohnen [außen] – unter mehreren Namen – die Texuandrer, dahinter die Menapier, an der Küste die Moriner, verbunden mit den Marsakern, in einem Gau namens Gesoriacus, die Britannier, Ambianer, Bellovaker und Bassen. Im Binnenland (wohnen) die Catosluger, die Atrebaten, die freien Nervier, die Veromanduer, Suaeukonen, die freien Suessionen, die freien Ulmanekter, die Tungrer, Sunuker, Frisiavonen, Baetasier, die freien Leuker, die einstmals freien Treverer und die verbündeten Lingonen, die verbündeten Remer, die Mediomatriker, Sequaner, Rauriker und Helvetier; an Kolonien (sind dort) Nyon und Augst‘ (AG 1, 110-111). Tacitus erwähnt sie mehrmals als u.a. Auxiliarkohorten; vgl. Agr. 36,1: donec Agricola quattuor Batavorum cohortes ac Tungrorum duas cohortatus est, ut rem ad mucrones ac manus adducerent ‚bis Agricola vier Kohorten Bataver und zwei von den Tungrern aufforderte, zum Nahkampf überzugehen‘; hist. 2,14,1: duas Tungrorum cohortes … misit ‚er [= Fabius Valens] schickte zwei Kohorten Tungrer‘; ebd. 2,15,2: et Tungrarum cohortium praefecti sustentata diu acie ‚die Präfekten der Tungrerkohorten hielten zwar lange dem Angriff stand‘; ebd. 2,28,1: pulsam Trevirorum alam Tungrosque a classe Othonis ‚die Schwadronen der Treverer und Tungrer seien von der Flotte Othos geschlagen‘; ebd. 4,16,2: nec diu certato Tungrorum cohors signa ad Civilem transtulit ‚nach kurzem Kampf lief die Kohorte der Tungrer zu Civilis über‘; ebd. 4,55,3: ac tamen interfuere quidam Ubiorum Tungrorumque ‚und doch waren einige Ubier und Tungrer bei der Beratung dabei‘; ebd. 4,66,3: Campanus ac Iuvenalis e primoribus Tungrorum ‚Campanus und Iuvenalis, zwei Häuptlinge der Tunger‘; ebd. 4,79,3: sed legionem terrestri itinere Fabius Priscus legatus in Nervios Tungrosque duxit ‚die Legion aber führte der Legat Fabius Priscus auf dem Landweg gegen die Nervier und Tungrer‘. In Britannien erscheinen die Tungrer in zahlreichen Inschriften, deren letzte aus 146 n.Chr. stammt.278 Ihr Siedlungsgebiet lag westlich des Flusses Maas. Ihre Hauptstadt wird erwähnt von Ptol. 2,9,9: e.ta µet. t.. Saß..da. (Saß....a.) p.taµ.. S....p.. .a. p.... a.t.. .t......t.. (.t......t..) ‚ferner wohnen jenseits des Flusses Tabuda (Tabulla) die Tungrer mit ihrer Stadt Aduatuca/Tongeren‘; Amm. 15,11,7: at nunc numerantur provinciae per omnem ambitum Galliarum: secunda Germania, prima ab occidentali exoriens cardine, Aggripina et Tungris munita, civitatibus amplis et copiosis ‚heute zählt man im ganzen Umfang Galliens folgende Provinzen: Zuerst, um im Westen zu beginnen, Untergermanien, das durch die großen und wohlhabenden Städte Köln und Tongern 278 Vgl. die Belegsammlung in RIB 1990: 53-54. geschützt wird‘; ds. 17,8,3: cui cum Tungros venisset, occurrit legatio praedictorum ‚als er [= der Cäsar] nach Tungri gekommen war, kam ihm eine Gesandtschaft des genannten Volkes [= der Salier] entgegen‘. tunc Germani vocati sint]279 Hiermit wird der quoniam-Satz abgeschlossen. Das Adverb tunc bezieht sich auf jene Zeit des Rheinübergangs, steht somit für illo tempore. 279 Die in den Hss. neben sint erscheinende Lesart sunt in CabrlezuARces (vgl. Robinson 1991: 276 [seine Angabe bezüglich der Hs. E: su ist nicht zutreffend; es ist eindeutig sit zu lesen; vgl. Till 1943: f. 66v]; Perret 1997: 71) hat wegen der indirekten Rede keine Berechtigung. 280 Kraft 1970: 42; vgl. auch Kraggerud 1981: 17; Perl 1989: 281; Perl 1990: 134. 281 Vgl. etwa die Diskussion in Kraft 1970: 42-46; Kraggerud 1981: 17-18. 282 Perl 1990: 134; vgl. auch Perl 1989: 280-281. 283 Perl 1990: 134 vermutet, dass Germanorum eine in den Text geratene Glosse ist. Unklar Heubner 1976: 47: ”Germanorum: cisrhenanischer germanischer Stämme wie der Tungrer und Cugerner.. Das Verb vocari hat von sich aus zwei Bedeutungen, nämlich ”‚neu genannt werden‘. und ”‚genannt werden, weil man schon seit langem so heißt‘..280 Der ganzen Diskussion, ob der Volksstamm den Namen Germani bereits über den Rhein mitgebracht oder diesen erst nach dem Rheinübergang bekommen hätte,281 hat Perl mit seiner Analyse der consecutio temporum ein Ende bereitet: ”Eine grammatische Analyse nach den Regeln der Consecutio temporum spricht für durative Aktionsart des Perfekts vocati sint (streng gleichzeitig mit der Handlung des Relativsatzes qui expulerint)..282 Diejenigen, die jetzt Tungrer heißen, hießen somit bei ihrem Rheinübergang bereits Germani. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dieser Angabe findet sich in Tac. hist. 4,15,3: quippe viribus cohortium abductis Vitellius e proximis Nerviorum Germanorumque pagis segnem numerum armis oneraverat ‚denn Vitellius hatte den Kern der Kohorten abgezogen und dafür aus den benachbarten Gauen der Nervier und Germanen einen müden Haufen mit Waffen behängt‘, da hier, wie aus ebd. 4,16,2: nec diu certato Tungrorum cohors signa ad Civilem transtulit ‚nach kurzem Kampf lief die Kohorte der Tungerer zu Civilis über‘ hervorgeht, Germanorum identisch mit Tungrorum ist. Jedoch scheint mit Germanorum kaum der alte Stammesname gemeint zu sein.283 Wohl aus der Germania abgeleitet ist die Angabe in Hariger, pont. Tungensium 7: haec est Octavia ob honorem Octaviani Augusti vel matris eius, sororis Iulii Caesaris, qui primus Gallias Romano subegit imperio; et fertur Germania fuisse nominata ‚das ist die Stadt Octavia, aus Ehre für Octavianus Augustus bzw. seine Mutter, die Schwester von Iulius Caesar, der als erster Gallien für das Römische Reich knechtete; und man sagt, dass sie Germania genannt wurde‘. Diese grammatische Analyse wird auch von der etymologischen Seite bestätigt, da der Name der Germanen wohl aus dem Germanischen selbst abzuleiten ist (s.o.). ita] Der mit quoniam begonnene Satz wird in diesem Satz logisch weitergeführt, da die weitere Begründung für die Entstehung des Gesamtnamens der Germanen geliefert wird. Aus diesem Grund ist ita zur Angabe der ”Art und Weise des Erfolgs bereits angedeuteter Tatsachen. zu verstehen.284 Diese angedeutete Tatsache ist die Neuheit der Namengebung, wobei der ita-Satz deren einzelne Stufen darstellt. 284 Vgl. Georges 1988: II,467. 285 Vgl. hierzu Kraft 1970: 11-14; Kraggerud 1981: 19; so noch Benario 1999: 66: ”natio, ‚tribe,‘ is a part of a gens, ‚people.‘ A gens consisted of many nationes.. 286 Kraft 1970: 11. 287 Vgl. Kraft 1970: 13; Perl 1990: 135. 288 Vgl. zu den einzelnen Möglichkeiten Perl 1990: 135. 289 Nicht weiter durchzusetzen, obwohl inhaltlich gut passend, vermochten sich die Konjekturen von Acidalius von nomen non gentis zu nomen in nomen gentis und von Brotier von nomen non gentis zu nomen in gentis (vgl. die Angabe bei Perl 1990: 82). 290 So Kraft 1970: 32. 291 Vgl. Kraft 1970: 37: ”auf den gleichen Geburtsort bzw. den gleichen Wohnort.; Lund 1988: 115; vgl. ebd. S. 40: ”als Bezeichnung eines Gebietes vor, aus dem eine gewisse Bevölkerungsgruppe stammt, d.h. natio kommt der Bedeutung ‚Nation‘ sehr nahe, jedoch ohne daß irgendwelche Konnotationen vom modernen Staat mitschwingen.. 292 Lund 1988: 115-116. 293 Vgl. Perl 1990: 135. 294 So u.a. Kraggerud 1981: 31. nationis nomen, non gentis] Im Allgemeinen wird der Gegensatz zwischen nomen und gens als der zwischen einem Einzelstamm und einem Gesamtvolk verstanden.285 Dagegen hat aber Kraft zu Recht geltend gemacht, dass wegen der vorhergehenden Setzung des Wortes gens in der Fügung gentis appellationes diese Bedeutung ausgeschlossen ist.286 Auch wäre die Angabe widersinnig, da ein Gesamtname, der dann offenbar vorhanden ist, nicht erst zum Gesamtnamen werden kann.287 Um dieser Problematik aus dem Weg zu gehen, wurde versucht,288 den Wörtern gens289 und natio andere Begriffsinhalte beizulegen, nämlich ‚genealogische Herkunft‘290 gegen ‚Nationalität, Territorium‘,291 wobei Lund annimmt, dass sich nationis nomen auf Germaniae vocabulum bezieht.292 Jedoch verwendet Tacitus natio sonst nicht in dieser Bedeutung.293 Daneben wurde vorgeschlagen, die Fügung non gentis als Glossem zu verstehen, welches demgemäß zu tilgen wäre.294 Diese Auffassung vermag aber kaum zu überzeugen, da der Grund für eine solche Glossierung unklar bliebe. Nun scheint es sehr wahrscheinlich, dass sich natio hier auf die jetzigen Tungrer bezieht.295 gens muss somit etwas davon Unterschiedenes bezeichnen. Aus diesem Grund nimmt Perl an, dass gens sich ”auf die in § 2 genannten gentis appellationes (Sueben usw.) also hier Stammesgruppe. bedeutet.296 Der direkte Bezug auf eine der genannten VN scheint aber kaum berechtigt, da sich dieser Name nach Meinung der (interessierten) Berichterstatter zu Unrecht nicht zum Gesamtnamen ausgedehnt hat, obwohl es sich hierbei um den eigentlich echten und alten Namen handelt. Hieraus wird aber auch deutlich, was mit gens hier gemeint ist. Es handelt sich um eine Gruppe vom Range der ‚Manni‘ oder ‚Terraner‘ (s.o.). Die Tungrer waren mit einer solchen gens nicht gleichwertig, bei ihnen handelt es sich vielmehr um eine natio. In nomen schwingt die Doppelbedeutung dieses Terminus, nämlich ‚Name‘ und ‚Ruhm, Ruf, Ansehen‘, wohl ausdrücklich mit. Denn nicht der Name einer gens hat sich, wie doch hätte erwartet werden können, auf alle rechtsrheinischen Stämme ausgebreitet, sondern der einer kleinen natio auf Grund ihres Kriegsruhmes. 295 Dies nimmt Perl 1990: 135 ebenfalls als am wahrscheinlichsten an (vgl. auch seine Übersetzung auf S. 83); vgl. auch Baumstark 1875: 100: ”Es ist aber hier bezeichnet die natio Tungrorum, d.h. der Theil …, welcher zu Tacitus’ Zeiten Tungri genannt wurde und früher Germani hiess.. 296 Perl 1990: 135. 297 Vgl. Robinson 1991: 142. 298 Vgl. Robinson 1991: 144: ”the copyist of h [der die richtige Lesart bietet] … may have smoothed out certain irregularities due to scripta continua. 299 Darin ist, wie Kraggerud 1981: 31 zu Recht fordert, keine Konkurrenzsituation zu einem anderen Gesamtnamen impliziert. 300 Vgl. ThLL V,2: 994,76: ”servata notione vigescendi (crescendi).. 301 Kraggerud 1981: 30-31, der evalescere auf Grund von Belegen aus Quintilian die Bedeutung ‚gewöhnlich werden, sich einbürgern‘ beilegen will (ebenso bereits Gudeman 1916: 59: ”in consuetudinem venisse.; auch evaluisse paulatim] Während sich in den Hss. gentis evaluisse findet, geben die Hs. W gentis & ualuis se und die Hs. m genti se ualuisse als Lesarten.297 Sie sind die Folge einer fehlerhaften Interpretation von scripta continua der Vorlage.298 Das Adv. paulatim zeigt die Langsamkeit der Ausbreitung des Stammesnamens. Das Verb evaluisse ist in seiner wörtlichen Bedeutung ‚steigern, zunehmen‘,299 und zwar des ‚Namens‘, zu nehmen;300 vgl. c. 28,1: quantulum enim amnis obstabat quo minus, ut quaeque gens evaluerat, occuparet permutaretque sedes promiscuas adhuc et nulla regnorum potentia divisas ‚denn der Strom hinderte eine Völkerschaft, einmal erstarkt, kaum ernsthaft daran, bislang noch nicht in festen Händen befindliche und unter mächtige Königreiche aufgeteilte Wohnsitze in Besitz zu nehmen und gegen die eigenen einzutauschen‘.301 Es ist somit vom wachsenden Ruhm des Germanen-Namens die Rede. übernommen von Lund 1988: 116: ”pervicisse.), übergeht dementsprechend diese Stelle, die sogar kontextuell zu vergleichen ist. 302 Much 1967: 65. 303 Müllenhoff 1900: 130. 304 Müllenhoff 1900: 130. 305 Aus diesem Grund ist auch die Deutung von Perl 1990: 136: ”Bei einem Vergleichssatz mit der Korrelation ‚so – wie, in dem Maße – wie‘ …. abzulehnen. 306 Zur Verwendung von konsekutivem ut nach Verben, in denen der Begriff des Geschehens liegt, vgl. Kühner – Stegmann II,2: 242-244. Aus diesem Grund ist der Einwand von Kraggerud 1981: 11-12, dass ita eine Doppelfunktion hätte (nämlich sowohl rückverweisend auf den vorherigen Satz als vorverweisend auf den ut- Satz), nicht zutreffend. 307 Vgl. zum Folgenden ausführlich Norden 1959: 312-351; Kraft 1970: 27-42; Kraggerud 1981: 33-38; Perl 1990: 135-136; Rives 1999: 120-121. 308 So u.a. Schweizer-Sidler 1923: 7; Reeb 1930: 20; Norden 1959: 323-327; Büchner 1985: 150, 301, Anm. 30; Fuchs 1947: 152, Anm. 12. 309 Müllenhoff 1900: 130; Gudeman 1916: 59; Much 1967: 66; Kraft 1970: 48; Kraggerud 1981: 33-34; Perl 1990: 135-136; Robinson 1991: 275; Anderson 1997: 45; Perret 1997: 71; Rives 1999: 120. 310 Die Auffassung von a in a se ipsis im Sinne des etymologischen Ursprungs kann kaum ernsthaft erwogen werden; vgl zu Recht Perl 1990: 136: ”was komplizierte Erklärungen erforderlich macht.. 311 Vgl. u.a. Much 1967: 66: ”und das etiam eindeutig besagt, daß es sich um Gleichartiges handelt.; Perl 1990: 135-136: ”In dem streng parallel gebauten Satz erfordert et (= etiam) eine sprachliche Parallelität der Präpositionen.; Robinson 1991: 275: ”As Gudeman … has pointed out, the mere presence of et (etiam) makes it necessary to give the same meaning to a in both places.. ut omnes primum a victore ob metum, mox a se ipsis invento nomine Germani vocarentur] ”Diese Stelle gehört zu den umstrittensten der Germania..302 Bereits Müllenhoff vermerkt zu ihr: ”Hess und Walther (1833) zählen 13 bis 15 conjecturen und verbesserungsvorschläge zu diesen worten auf und übergehen andere. es sind seitdem noch neue hinzugekommen..303 Letzterer Satz hat auch heute noch seine Berechtigung. Müllenhoff fährt aber fort: ”es ist aber keinerlei änderung nötig..304 Auch dieser Satz ist zutreffend. ut steht hier nicht in Korrelation mit ita,305 sondern ist konsekutiv zu verstehen,306 wenngleich beides wohl zeitlich mehr oder weniger zusammenfallend gedacht ist. Die Gallier weiteten die Anwendung des Namens auf alle über dem Rhein lebenden Stämme aus, da der Kontakt zwischen den Tungrern und rechtsrheinischen Stämmen wohl bestehen blieb, womit auch sie eine potentielle Bedrohung für die Gallier darstellten. Die Probleme im Satz konzentrieren sich in der Regel auf drei Wörter: a, victore und ob.307 Die Präposition a wird von einem Teil der Erklärer als ‚nach‘ im Sinne des etymologischen Ursprungs (= .p.),308 von den anderen als ‚von/durch‘ im kausalen Sinn (= .p.) aufgefasst.309 Diejenigen, die einen kausalen Sinn für a annehmen, weisen sämtlich darauf hin, dass im nachfolgenden Glied a se ipsis die Präposition a nur kausal aufgefasst werden kann,310 was wegen des Gleichlaufs der mit et verbundenen Sätze dann auch zwingend für a in a victore anzunehmen ist, wobei dem et eine Schlüsselrolle zugesprochen wird.311 Jedoch haben diejenigen, die a in a victore als ‚von/durch‘ auffassen, anders als die Befürworter der Bedeutung ‚nach‘, das Problem, dass sie in der Regel nicht mit victore auskommen können,312 vgl. etwa Perl: ”Da die überlieferte Lesart victore unüberwindbare sprachliche und sachliche Anstöße bietet …..313 Dies hat seine Ursache im nachfolgenden ob metum. Denn die Fügung kann, nach dem Sprachgebrauch des Tacitus, nur im kausalen Sinn ‚aus Furcht‘, nicht aber im finalen Sinn ‚um Furcht einzuflößen‘ verstanden werden;314 vgl. hist. 2,49,4: non noxa neque ob metum ‚nicht aus Schuldgefühl oder aus Furcht‘; ebd. 2,65,2: sed Arruntium Tiberius Caesar ob metum, Vitellius Cluvium nulla formidine retinebat ‚aber den Arruntius hielt (seinerzeit) Tiberius Caesar aus Furcht zurück, Vitellius den Cluvius ohne jede Angst‘; ann. 1,1,2: Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae ‚des Tiberius und Gaius wie des Claudius und Nero Taten sind zu ihren Lebenszeiten aus Furcht verfälscht‘; ebd. 1,68,2: et quasi ob metum defixo ‚wie von Angst festgebannt‘; ebd. 3,40,2: ob egestatem ac metum ‚aus Armut und aus Furcht‘; ebd. 5,6: ex quis ob metum paucae, plures adsuetudine ‚von denen wenige aus Furcht, die Mehrzahl aus Gewohnheit‘; ebd. 12,51,2: ob metum hostilem et mariti caritatem ‚aus Furcht vor dem Feind und aus Liebe zu ihrem Gatten‘; ebd. 15,73,1: ob invidiam aut metum ‚aus Mißgunst oder Furcht‘.315 Die Interpretation ‚durch den Sieger aus Furcht‘ ist jedoch unwahrscheinlich.316 Das heißt aber nichts anderes, als dass der ”Zwang der Parallelität der Satzkonstruktion.317 die Ursache einer Textänderung ist. Natürlich ist man sich bezüglich der Emendation nicht einig; vorgeschlagen wurden u.a. a ductore,318 a victo,319 a victo, reor,320 a victo, re,321 a viciniore,322 a victis,323 a 312 Diejenigen, die victore dennoch beibehalten, erklären diese Lesart denn auch nicht weiter, sondern behelfen sich mit Aussagen wie: ”Strenger logisch müßte also gesagt werden, daß erst die übrigen von dem Sieger … ‚Germanen‘ genannt würden. (Much 1967: 67; vgl. auch Müllenhoff 1900: 130-131). 313 Perl 1990: 136. 314 So jedoch u.a. Baumstark 1875: 118; Müllenhoff 1900: 131; Gudeman 1916: 59; Much 1967: 67. 315 Vgl. auch Kühner – Stegmann II,1: 532. 316 Vgl. u.a. Kraggerud 1981: 34: ”Bezieht man aber diesen Sinn auf die siegreichen Germanen, entsteht ein Paradoxon, worauf der Leser keineswegs vorbereitet ist und das übrigens auch, sachlich gesehen, unwahrscheinlich wäre.. 317 Kraft 1970: 49. 318 Grimm 1835: 2; Grimm 1974: 31. 319 Leibnitz (vgl. Robinson 1991: 276). 320 Hirschfeld 1913: 357-358. 321 Schmidt 1954. 322 Meissner 1939. 323 Muretus, Cluverius (vgl. Perl 1990: 82). Dies ist die einzige Emendation, die etwas weitere Verbreitung erfahren hat (u.a. übernommen von Kraggerud 1981: 35; Perl 1990: 82, 136). pictore,324 ab auctore325 und a victis e victore.326 Gegen alle diese Emendationen ist zu Recht Einspruch erhoben worden.327 324 Kraft 1970: 36-42. 325 Lund 1988: 116 (so bereits Lund 1977; Lund 1982: 296-327). 326 Delz 1970: 227-230. 327 Vgl. u.a. Kraft 1970: 29-30; Kraggerud 1981: 35; Heubner 1983: 655. 328 Lediglich die Hs. r bietet ac uictorie, a dagegen auctore; vgl. Annibaldi 1910: 50. 329 Kraggerud 1981: 34. 330 Kraggerud 1981: 9. 331 Nicht klar ist, was Kraggerud 1981: 9 genau meint mit: ”Die 43 Worte des textus receptus sind, von einem geringfügigen Detail abgesehen, diese.. Es kann sich hierbei nämlich auch um die hss. Varianz primi : primum handeln. 332 Vgl. Perret 1950: 51; Robinson 1991: 112; Perret 1997: 71. Es sind zwei Befunde festzuhalten: 1. ob metum kann nicht anders als im kausalen Sinn ‚aus Furcht‘ verstanden werden; 2. victore ist hss. einheitlich überliefert,328 so dass an dieser Lesart unbedingt festzuhalten ist. Nur weil das Verständnis schwierig erscheint, muss noch nicht dem Urteil Kraggeruds gefolgt werden: ”ich sehe die Sache des überlieferten Textes als verloren an. Dabei kann kein Zweifel bestehen, dass der kranke Teil a uictore ist..329 Ebenfalls für den Erhalt von victore spricht die Fülle der vorgeschlagenen Emendationen. Zur Lösung sei hier an einer anderen Stelle eingesetzt, die in der Behandlung des Namensatzes freilich niemals eine Rolle gespielt hat, jedoch für die gesamte Problematik verantwortlich gemacht werden kann. Es ist das Wort, das immer als Begründung für die gleiche Auffassung der beiden Präpositionen a angeführt wird, nämlich et (etiam). Dieses Wort wird immer als gegeben angesehen, auch von Kraggerud, der sich zwar ”in die Rolle eines editor princeps. gedacht hat,330 jedoch den hss. Befund nicht ausreichend herangezogen hat.331 Es handelt sich bei et nämlich um das einzige Wort im gesamten Namensatz, das hss. zweifelhaft ist, weil es sich lediglich in den Hss. Wmh.CbrleuARces findet. Eine solche hss. Konstellation ist aber in keinem einzigen anderen Fall für die Textgestaltung der Germania ausschlaggebend. Demgegenüber lesen die Hss. bB etiam, die Hs. a et ipse, während die Hss. cpQ2tfETdvormonz hier nichts haben, somit mox a se ipsis lesen.332 Dass es sich bei der Varianz et : etiam : et ipse um keine handelt, die aus einer Abkürzung (die Abkürzung etiam wäre als et verlesen, oder et wäre fehlerhaft als etiam aufgefasst) zu erklären ist, zeigt neben der Verteilung in den Hss.-Gruppen auch das Verhalten der Hss. Q, da diese zunächst mox et a schrieb, dann aber et expungiert hat. Wahrscheinlicher als ein Verlust von et in den betreffenden Hss.333 scheint daher die separate Hinzufügung von et (ipse) bzw. etiam in den Apographen der Hss. Diese Annahme wird nun eindeutig bestätigt durch das Verhalten der alten Drucke, die in der übergroßen Mehrheit (ZwkATPnVLehrF) mox a als Text geben, nur in JdS steht mox et a (der Druck M bietet schließlich fehlerhaftes mox, was indessen eher auf mox a als auf mox et a schließen lässt).334 333 So Robinson 1991: 112: ”Apparently in the common forebear of ab the word et was expunctuated, perhaps by some reader who hoped thereby to make this obscure passage more intellegible.. 334 Vgl. Hirstein 1995: 286. 335 So Delz 1970: 229. Bereits Ritter schlug diese Konjektur vor (vgl. Baumstark 1875: 118-119). 336 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 496. 337 Dies ist die ‚Rücksicht‘ (vgl. Kühner – Stegmann II,1: 496), d.h. das ‚in betreff, gemäß (= nach Maßgabe von)‘; als ”mit Rücksicht auf. ebenfalls Schweizer-Sidler 1923: 7. 338 Vgl. etwa Kraft 1970: 33; Perl 1990: 135. 339 Vgl. ebenfalls c. 7,2: hi cuique sanctissimi testes, hi maximi laudatores ‚das sind einem jeden die erhabensten Augenzeugen, das die größten Lobredner‘; vgl. im Übrigen auch Perl 1990: 208: ”Das Maskulinum conditoris (vgl. laudatores 7,2) erklärt sich wohl aus der Abneigung des Tacitus gegen die Bildung der Nomina auf -trix.. Daher ist der Hinweis von Kraft 1970: 33 auf Plin. nat. 4,39: Macedonia … haec etiam Indiae victrix ‚Makedonien … das auch als Sieger über Indien‘ nicht beweiskräftig. Als sich et/etiam nun erstmals in den Text geschlichen hatte, kam in der Tat das Problem auf, dass die Präposition a zweimal identisch interpretiert werden müsse; fehlt dagegen et/etiam, ist das Argument des Gleichlaufs hinfällig. Das teilweise angeführte Gegenargument, dass ‚nach‘ bei Tacitus nicht a, sondern e heißen müsse,335 verfängt indessen nicht, da hier mit a ‚die Gemäßheit‘ gemeint ist.336 Die rechtsrheinischen Stämme wurden, weil es sich bei ihnen gleichermaßen um potentielle Gallierbesieger handelte, ebenfalls wie die kleine Gruppe Germani genannt, deren Name für die Gallier eben nicht als der Name dieses Stammes, sondern der ihrer Besieger337 von größter Relevanz war. Das ebenfalls angeführte Gegenargument, der Singular victor sei anstößig, da in Bezug auf die natio der Tungrer das Feminium victrix zu erwarten wäre,338 vermag ebenfalls kaum zu überzeugen, wie etwa aus c. 28,4: quamquam Romana colonia esse meruerint ac libentius Agrippinenses conditoris sui nomine vocentur ‚die [= Ubier] es indessen bis zur römischen Kolonie gebracht haben und sich gern nach dem Namen ihrer Gründerin Agrippinenser nennen‘ hervorgeht, wo man ebenfalls eine maskuline Form statt conditrix hat.339 Doppelte Funktionen von a, während kein et/etiam zwischen den Satzteilen steht, sind denn auch durchaus bezeugt; vgl. u.a. Plin. nat. 4,97: item Glaesaria a sucino militiae appellata, barbaris Austeravia ‚bei den Soldaten heißt sie [= Borkum] außerdem Gläsaria nach dem Bernstein (glaesum), bei den Barbaren aber Austeravia‘ (AG 1, 108-109); ebd, 5,22: Numidia … Metagonitis terra a Graecis appellata, Numidae vero Nomades a permutandis pabulis ‚Numidien … von den Griechen wurde das Land Metagonitis genannt; die Numidier heißen aber Nomaden wegen des Wechsels der Weideplätze‘; Cic. leg. 1,4: a nonnullis … veritas a te postulatur ‚einige Leser verlangen von dir die Wahrheit‘. ob metum ist, wie gesagt, kausal als ‚aus Furcht‘ zu verstehen. Diejenigen, vor denen die Gallier sich fürchten, sind die omnes,340 nicht nur die Tungrer.341 Mit primum – mox wird eine Zeitkorrelation ausgedrückt. Nachdem die Gallier die rechtsrheinischen Stämme zunächst (primum) mit dem Namen Germani benannten, war es nur natürlich – da dieser Name bei den Galliern nun schon einmal für alle aufgekommen war und die rechtsrheinsichen Stämme insgesamt als eine zu fürchtende Größe bezeichnete –, dass sie sich (a se ipsis) eines solchen Schrecken einjagenden Namens auch selber bedienten, zumindest im Verkehr mit der (zunächst: gallischen) Außenwelt. 340 In den Hss. schwankt die Schreibung zwischen omnis (in brlezuARce) und omnes (in den übrigen Hss.); vgl. Robinson 1991: 212. Hierbei handelt es sich erneut lediglich um das graphische Schwanken zwischen i und e. 341 So etwa Fuhrmann 1995: 7: ”zunächst wurden alle nach dem Sieger, aus Furcht vor ihm.. 342 Vgl. hierzu und zu ipsis Baumstark 1875: 119. 343 Vgl. ThLL VII,2: 135,32-33: ”non quasitum nancisci, offendere.; Georges 1988: II,419. 344 So u.a. Much 1967: 67; Lund 1988: 116-117; vgl. ausführlich hierzu Kraggerud 1981: 40. Die Präposition a in a se ipsis hat Agens-Funktion;342 zum Ausdruck vgl. Cic. nat. 3,88: fortunam a deo petendam, a se ipso sumendam esse sapientiam ‚Glücksgüter müsse man von einem göttlichen Wesen erbitten, die Weisheit dagegen aus sich selbst beziehen‘. In invento nomine hat invento die Bedeutung ‚zufällig oder gelegentlich zu etwas gelangen‘,343 eben weil der Name von außen her beigelegt ist und weil es die Tungrer und nicht andere gewesen waren, die als erste den Galliern solche Angst einflößten (wäre also ein anderer Stamm als die Germani-Tungri zuerst über den Rhein gekommen und hätte sich dort mit gleichem Erfolg eingenistet, hätte man das Gesamtvolk nach diesem, nicht nach den Tungrern benannt). Da die Germani-Tungri eben Germani hießen, handelt es sich aber nicht um einen erfundenen Namen.344 Damit ist Tacitus’ Darlegung der Neuheit des Germania-Namens im Prinzip zu Ende. Was er nicht ausdrücklich macht und darum in Gedanken zu ergänzen ist, ist die Folgerung: und von diesem Namen Germani als Gesamtbezeichnung für das Volk leitet sich Germania als Gesamtbezeichnung für das von diesem Volk bewohnte Land her. Das ist aber dermaßen selbstverständlich – die beiden letzten Sätze hatten schließlich gar keine andere Funktion, als die Herkunft des Wortes Germania erklären –, dass es sich keinesfalls lohnt, hier nochmals viel Aufhebens zu machen. Eine mit Tacitus vergleichbare Angabe findet sich auch bei Prok. BG 4,20,3: ..t.. .pa.te., .... t. pa.a... .µf. ..... ..at.p..e. p.taµ.. ....t., .d... µ.. t.... ...µat.. ..a.t.. µete....a..., .p. ...... d. Gepµa... ..a....t. .pa.te. ‚alle diese Menschen, die seit alters schon auf beiden Seiten des Rheins ansässig waren, führten jeweils einen eigenen Namen, hießen aber in ihrer Gesamtheit Germanen‘. Zu Gesamtnamen, die von einem einzelnen Stammesnamen ausgehen vgl. u.a.: Hdt. 7,64,2: t..t... d. ...ta. ....a. .µ.p..... ...a. ....e... .. ..p ..p.a. p..ta. t... ....a. .a...... ...a. ‚sie, die eigentlich Amyrgier aus skythischem Stamm waren, nannte man Saken; die Perser nennen nämlich alle Skythen Saken‘; Plin. nat. 6,50: Persae illos Sagas in universum appellavere a proxima gente ‚die Perser nannten sie insgesamt Saker nach dem ihnen nächsten Stamm‘; Thuk. 1,3,2-4: ....... d. .a. t.. pa.d.. a.t.. .. t. ....t.d. .......t.., .a. .pa..µ.... a.t... .p’ .fe... .. t.. ...a. p..e.., .a.’ ....t... µ.. .d. t. .µ.... µ..... .a.e...a. .....a., .. µ..t.. p..... .e .p.... .d..at. .a. .pa... .......a. … .. d’ ... .. ..a.t.. .....e. .at. p..e.. te .... ....... ....e.a. .a. ..µpa.te. ..tep.. ......te. ‚als dann Hellen und seine Söhne in der Phthiotis mächtig wurden und man sie oft zu Hilfe in die andern Städte rief, hießen wegen dieser Gemeinschaft schon einzelne da und dort Hellenen, doch dauerte es noch lange, bis sich der Name auch allgemein durchsetzte … diese einzelnen Völker also, erst Stadt umd Stadt, soweit sie einander verstanden, später insgesamt Hellenen genannt‘.345 345 Vgl. auch etwa die französische Bezeichnung Allemands nach den Alamanni. Aus dem Referat des Tacitus geht übrigens nicht eindeutig hervor, ob die Germanen diese Bezeichnung auch untereinander verwendeten. Dies scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein. Nur im römischen Umfeld, etwa im römischen Dienst, bezeichnete ein Germane sich als Germanus (vgl. u.a. CIL, VI: 3280: N. Ger. ‚aus der Völkerschaft der Germanen‘; CIL, VII: 332: Germani ‚Germanen‘), wobei er sich nach dem römischen Sprachgebrauch richtete. Zumeist kennzeichnete er sich aber auch als Angehöriger eines bestimmten Stammes. KAPITEL 3 1 Fuisse apud eos et Herculem memorant] Dieser Satzteil birgt zwei Probleme in sich: erstens die hss. uneinheitliche Stellung von et, zweitens das umstrittene Subjekt von memorant. et ist in seiner Position uneinheitlich überliefert. In den Hss. WlezuARce steht et vor apud eos, in den restlichen dagegen vor Herculem.1 Für die Funktion von et ist die Position des Wortes unerheblich. In beiden Fällen steht es nämlich in adverbialer Bedeutung,2 die in vorklassischer Zeit selten, in klassischer Zeit häufiger und im silbernen Latein (seit Livius auch in der Bedeutung von etiam3) oft vorkommt.4 Beide Lesarten bieten an sich einen guten Sinn, besagen jedoch etwas anderes: Die Lesart et apud eos Herculem5 hat die Bedeutung, dass ‚sich Herkules auch bei ihnen befunden hat‘ (somit dass Herkules – außer dass er bei anderen Völkern gewesen ist –, auch noch zu den Germanen kam),6 die Lesart apud eos et Herculem7 dagegen, dass ‚sich bei ihnen auch Herkules befunden hat‘ (somit neben anderen Personen auch Herkules).8 Man hat an der Stellung des et vor Herculem vor allem deswegen Anstoß genommen, da vorher im Text von Besuchern bei den Germanen nicht die Rede war.9 Aber durch die Wahl der Lesart et apud eos hätte – wie Much treffend feststellte10 – eben Herkules schon vorher erwähnt werden müssen. Nun ist aber die Lesart et apud eos inhaltlich nur dann möglich, wenn – wie vielfach angenommen wurde (s.u.) – römisch-griechische Gelehrte das Subjekt von memorant sind, da nur sie hätten behaupten können, dass Herkules 1 Dagegen bietet die Hs. br die Lesart et apud eos et Herculem. Vgl. Perret 1950: 69; Robinson 1991: 276; Perret 1997: 71. Da et vor apud eos hss. vorkommt, ist die Bemerkung von Gudeman 1916: 239 (”et apud eos: scripsi.) nicht richtig. 2 Vgl. Anderson 1997: 47: ”et = etiam … For the use of et (which is the same in either case) ….. 3 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 9. 4 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 8-9. 5 So lesen z.B. Gudeman 1916: 60; Lund 1988: 72; Perl 1990: 82; Robinson 1991: 276; Anderson 1997. 6 So u.a. Gudeman 1916: 60, 239; Lund 1988: 117; Perl 1990: 82, 138; Robinson 1991: 276 (vgl. aber: ”I should, however have little hesitation in retaining apud eos et Herculem if the manuscripts were unanimous in its support.); Anderson 1997: 46-47. 7 So lesen z.B. Passow 1817: 4; Grimm 1835: 2; Holtzmann – Holder 1873: 28; Baumstark 1875: 150; Müllenhoff 1900: 132; Schweizer-Sidler 1923: 8; Halm 1930: 223; Reeb 1933: 20; Lenchantin de Gubernatis 1949: 4; Norden 1959: 172; Koestermann 1970: 7; Önnerfors 1983: 3; Winterbottom – Ogilvie 1985: 38; Much 1967: 74; Perret 1997: 71; Benario 1999: 16. 8 So u.a. Baumstark 1875: 150, 152-153; Müllenhoff 1900: 132; Schweizer-Sidler 1923: 8; Reeb 1933: 20; Much 1967: 74-75. 9 So etwa Gudeman 1916: 239; Lund 1988: 117. 10 Much 1967: 74. außer zu anderen Völkern auch noch zu den Germanen gekommen ist. Da als das Subjekt jedoch vielmehr die Germanen in Frage kommen (s.u.), kann nur apud eos et die richtige Lesart sein. Der Gebrauch von et vor Namen ist seit Varro belegt, dann häufiger seit Cicero.11 Das et ist hier vermutlich kumulativ-additiv zu deuten. Der Anschluss ist aber nicht ‚noch ein weiterer Besucher nach Germanien‘, sondern ‚noch eine weitere (herausragende) Person in Germanien‘12 (zu bedenken ist, dass man schon seit Mannus in die [wohl noch heroisch- erhöhte] Menschheit abgestiegen ist). Die interpretatio dieser Person als den antiken Heros Herkules, der als Völkerbegründer bekannt ist, begünstigt die Einfügung an dieser Stelle.13 Es liegt somit in den c. 2-3 eine Abstufung von einem Gott (Tuisco) über den ersten Mensch (Mannus) und einem herausragenden Held (Hercules) bis hin zu einem ‚normalen‘ Helden (Ulixes) vor. 11 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 8f. 12 Ähnlich Norden 1959: 182, Anm. 1 (jedoch unter der Annahme, dass das Subjekt von memorant antike Gelehrte seien). 13 Teilweise so auch Much 1967: 74-75. 14 So u.a. Baumstark 1875: 150-152; Müllenhoff 1900: 132; Gudeman 1916: 60; Schweizer-Sidler 1923: 8; Reeb 1933: 20; Much 1967: 74; Lund 1988: 117; Perl 1990: 138; Benario 1999: 66. Anderson 1997: 47 nimmt dagegen an, dass das Subjekt ”indefinite ‚people say‘. ist. 15 In neuerer Zeit lediglich von Büchner 1985: 150 und Rives 1999: 121-122 angenommen. 16 Vgl. etwa Baumstark 1875: 150: ”da ja die Germanen selbst, namentlich in ihrer Allgemeinheit, den Hercules als solchen und mit seinem Namen gar nicht kannten.; Lund 1988: 117. 17 So etwa Müllenhoff 1900: 132; Reeb 1933: 20; Much 1967: 74; Benario 1999: 66. 18 Vgl. Rives 1999: 122. Das Subjekt von memorant ist unausgesprochen. Umstritten ist in der Forschung kaum noch, dass es sich hierbei um gewisse römisch-griechische Gelehrte,14 nicht dagegen um Germanen,15 handelt. Als Hauptargumente gegen ein Germanen-Subjekt wurden angeführt, dass die Germanen Herkules als Person nicht kannten16 und dass dann apud se anstelle von apud eos zu erwarten wäre (analog zu c. 39,1: vetustissimos se … Semnones memorant ‚als die Ältesten … geben sich die Semnonen aus‘).17 Gegen ersteres ist anzuführen, dass die Bezeichnung Herkules hier lediglich ein Fall von interpretatio Romana sein könnte (vgl. zur interpretatio Romana auch c. 9,1; zum Ausdruck c. 43,3: interpretatione Romana ‚nach römischer Anschauung‘).18 Ebenso wie sie Merkur verehren (vgl. c. 9,1), befand sich Herkules bei ihnen (es ist ebenfalls festzuhalten, dass an dieser Stelle keine Form des Verbs venire, sondern von esse steht, d.h. dass nicht mit einem Ankommen von Hercules bei den Germanen argumentiert werden darf). Gegen letzteres kann gesagt werden, dass – ebenso wie Herkules seine Existenz der interpretatio romana verdankt – dies auch bei apud eos ‚bei ihnen‘ der Fall sein kann, sofern es als ‚aus dem Süden zu ihnen gekommen‘ verstanden wird. Denn Formen von is (oder ille) können anstelle des Reflexivpronomens dann stehen, wenn ”der Redende das Verhältnis der Zurückbeziehung außer acht und … den Satz von seinem Standpunkte aus ..19 Beide Argumente sind somit nicht aussagekräftig gegen ein Subjekt ‚die Germanen‘. Dazu kommt nun, dass ein so kurzfristiger Subjektwechsel kaum glaubhaft ist: das Subjekt zu memorant wären ‚die Römer‘ oder ‚antike Gelehrte‘, das ebenfalls unausgesprochene Subjekt zu canunt (s.u.) dagegen ‚die Germanen‘,20 zumal man dann zusätzlich die Schwierigkeit bekäme, den Wechsel von indirekter zu direkter Rede erklären zu müssen.21 Ebenfalls wäre es dann notwendig, zwei unterschiedliche Personen mit Namen Hercules anzunehmen, nämlich erstens den antiken Heros Hercules, zweitens eine interpretatio Romana Hercules.22 Des Weiteren spricht die hss. Überlieferung gegen einen Subjektwechsel. Die heutzutage übliche Kapiteleinteilung, die mit fuisse ein neues Kapitel anfangen lässt, ist nämlich durch die Hss. kaum gedeckt.23 Vielmehr bieten sie erst bei Ceterum (c. 3,2) eine Abgrenzungsmöglichkeit,24 wo sich denn das Subjekt auch tatsächlich eindeutig ändert. Sehr augenfällig ist hierbei etwa die Hs. br, die den gesamten Abschnitt von Celebrant (c. 2,2) bis Ceterum als eigenes Kapitel fasst und dieses unter die Überschrift ”De dijs germanorum. stellt. Zudem nimmt im Übrigen memorant das Wort memoriae aus c. 2,2 wieder auf. Insgesamt betrachtet, liegt es also durchaus näher, als Subjekt von memorant ‚die Germanen‘ zu verstehen. 19 Kühner – Stegmann II,1: 610; dieser Gebrauch ist ”häufiger und freier in nichtklassischer Sprache. (ebd. auch mit weiteren Stellen aus Tacitus); vgl. auch Anderson 1997: 47, der als Subjekt nicht ‚die Germanen‘ hat: ”it cannot be Germani, not so much because of eos for se, which is found elsewhere in Tacitus …. (so bereits Baumstark 1875: 150: ”Dieser sprachliche Punkt, dessen etwaige Unregelmässigkeit nicht durchschlagend wäre ….). 20 Vgl. Rives 1999: 122: ”the unmarked shift from the one to the other seems impossibly awkard.. Anders etwa Anderson 1997: 47: ”The change of subject with canunt is saved from awkardness by ituri.. 21 Dieses Problem ist offenbar nur von Gudeman 1916: 60 erkannt worden: ”Auffälliger ist, daß hier T. in die direkte Rede übergeht …, denn wenn T. diese Mitteilung auf Grund eigener Kenntnis oder Überzeugung gemacht hätte, so würde er der Tatsache selbst nicht so skeptisch gegenüberstehen, wie dies der Fall ist.; wenig wahrscheinlich ist jedenfalls die Erklärung bei Norden 1959: 175-176: ”Die Behauptung einer Anwesenheit des hellenischen Heros wird in indirekter Rede und so kurzerhand abgemacht, daß dabei nicht einmal der Anlaß vermerkt ist, der ihn nach Germanien geführt habe; dagegen gibt der Schriftsteller seiner Überzeugung, daß der exemplarische Germanenheld zu verstehen sei, in direkter Rede und unter Erwähnung von Liedern auf ihn unmittelbaren Ausdruck.. 22 Vgl. stellvertretend Anderson 1997: 47: ”Herculem: here the Roman hero … The German ‚Hercules‘ ….. 23 Nach Robinson 1991: 265 haben lediglich die Hss. WmBs2 hier einen Paragraphenbeginn. Der Wert hiervon scheint jedoch zweifelhaft, da in der bei Robinson gegebenen Liste etliche Paragraphenanfänge in diesen Hss. vorkommen, die in den Ausgaben nicht mehr angenommen werden. 24 Vgl. Robinson 1991: 265; so auch die Hs. E. Herkules ist demnach nicht der antik-griechische Heros selbst, sondern nur die interpretatio romana eines germanischen Helden (zur Möglichkeit einer solchen Gleichsetzung vgl. Serv. Aen. 8,564: sicut Varro dicit omnes, qui fortiter fecerunt, Hercules vocabantur ‚wie Varro sagt, wurden alle, die tapfer agierten, Hercules genannt‘; ebd. 11,262: novimus autem quod omnes fortes Hercules dicebantur ‚wir wissen aber, dass alle tapferen Hercules genannt wurden‘). Wer sich aber hinter dem Namen ‚Herkules‘ verbirgt, bleibt unklar.25 In c. 9,1 wird Herkules als Gottheit erwähnt. Ob es sich an dieser Stelle um dieselbe Person handelt, ist eher unwahrscheinlich,26 da Tacitus ihn hier als primumque omnium virorum fortium ‚als den vortrefflichsten aller Helden‘ bezeichnet wird. 25 Die manchmal anzutreffende Spekulation, dass sich hinter ihm eine Siegfried-ähnliche Figur, vielleicht ein Vorfahre von ihm, verbirgt (vgl. Norden 1959: 179; Much 1967: 76; Anderson 1997: 47), lässt sich nicht weiter absichern. 26 So auch Gudeman 1916: 60; Perl 1990: 138; Anderson 1997: 47; Rives 1999: 122. Anders etwa Müllenhoff 1900: 133-134; Reeb 1933: 20: ”Herculem Donar.. Da somit unklar ist, wer mit ‚Herkules‘ gemeint ist, bleibt auch das Motiv der Gleichsetzung undeutlich. Zumeist wird das Vorkommen von Herkules an dieser Stelle mit dessen Funktion als Weltreisender (vgl. etwa Sen. apocol. 5,3: Herculem, qui totum orbem terrarum pererraverat et nosse videbatur omnes nationes ‚Hercules, der als Weltenbummler anscheinend alle Völker kannte‘; Iust. 24,4,4: gens aspera, audax, bellicosa, quae prima post Herculem, cui ea res virtutis admirationem et inmortalitatis fidem dedit, Alpium invicta iuga et frigore intractabilia loca transcendit ‚das raue, wagemutige, kriegerische Volk [= Gallier], das zuerst nach Herkules, dem diese Sache die Bewunderung des Wagemutes und den Glauben an seine Unsterblichkeit gab, überquerte den unbezwungenen Bergrücken der Alpen und die wegen Kälte schwer zu überwindenden Plätze‘; ausführlich zu den Reisen des Herkules Diod. 4,17-26) und Völkerbegründer (vgl. u.a. Hdt. 4,8,1-10,3: .pa...a ..a....ta t.. G.p...e. ß... .p.....a. .. ... ta.t.. ....a. .p.µ.., ..t..a ... ....a. ..µ..ta. … .. d’ ..ep...a. t.. .pa...a, d.....a., p..ta d. t.. ..p.. .pe.e....ta t.... .p.....a. .. t.. ..a... .a.e.µ.... .... ...a.ta d. a.t.. e.pe.. .. ..tp. µ...p.p.e... t..a ...d.a. d.f..a … t.. d. f..a. ...t.. ..e.. .a. ... .p.d..e.. ..e... pp.. . .. µe..... t.. d. .pa...a µe.....a. .p. t. µ.... t..t. … t..t. µ.. .f. ....µata ....a., t. µ.. .....p... a.t.., t. d’ .p.µ... Ge....., ...... d. t. .e.t.t. … t.. d. .e.tat.. a.t.. ...... … .ataµe..a. .. t. ..p.. .a. .p. µ.. ....e. t.. .pa..... .e....a. t... a.e. ßa....a. ....µ..... ....... ‚als Herakles die Rinder des Geryones wegtrieb, kam er in dieses damals noch unbewohnte Land, das jetzt die Skythen bewohnen … Als Herakles erwachte, suchte er die Pferde. Er durchstrich das ganze Land und gelangte schließlich in das sogenannte Hyleia. Dort fand er in einer Höhle ein Zwitterwesen, halb Schlange, halb Jungfrau … Sie erklärte, sie habe die Pferde selbst, werde sie aber nicht eher herausgeben, als bis er bei ihr geschlafen habe. Um diesen Preis schlief er bei ihr … Sie gab ihren heranwachsenden Söhnen Namen: Den einen nannte sie Agathyrsos, den zweiten Gelonos, den jüngsten Skythes … Der Jüngste aber, Skythes … blieb … im Lande. Von diesem Skythes, dem Sohn des Herakles, stammen sämtliche Könige der Skythen ab‘; Amm. 15,9,6: regionum autem incolae id magis omnibus adseverant, quod etiam nos legimus in monumentis eorum incisum, Amphitryonis filium Herculem ad Geryonis et Taurisci saevium tyrannorum perniciem festinasse, quorum alter Hispanias, alter Gallias infestabat: superatisque ambobus coisse cum generosis feminis suscepisseque liberos plures et eos partes quibus imperitabant suis nominibus appellasse ‚die Einwohner dieser Gegenden versichern hingegen mit größter Entschiedenheit, was ich auch in ihre Denkmäler eingemeißelt gelesen habe, Hercules, der Sohn des Amphitryon, sei herbeigeeilt, um die blutrünstigen Tyrannen Geryones und Tauriscus zu vernichten, von denen der eine Spanien, der andere Gallien unterdrückte. Beide habe er bezwungen, dann habe er mehrere adlige Frauen genommen und viele Kinder gezeugt. Diese hätten dann die Länder, über die sie herrschten, nach ihrem Namen benannt‘; Diod. 5,24,2-3: .at. d. t.. .pa...... .p. G.p..... .tpate.a., .ata.t..a.t.. e.. t.. .e.t.... a.t.. .a. p.... .....a. .. ta.t. .t..a.t.., .ea.aµ... t.. .pa...a … pp..ed..at. t.. .p.p..... µet. p.... pp...µ.a., ....ata.e....t.. .a. t.. ....... µ..e..a d. t. .pa..e. .......e. .... ...µat. Ga..t.. … pep.ß..t.. d. .e..µe... .p’ ..dpe.. t... .f’ a.t.. teta.µ..... ...µa.e. .f’ .a.t.. Ga..ta.. .f’ .. . ..µpa.a Ga.at.a pp.....pe... ‚als aber Herakles auf seinem Feldzug gegen Geryones das Keltenland besuchte und dort die Stadt Alesia gründete, bekam ihn das Mädchen zu Gesicht … so nahm sie denn, nachdem auch ihre Eltern einverstanden waren, mit aller Bereitwilligkeit seine Umarmungen entgegen. Aus dieser Verbindung mit Herakles gebar sie einen Sohn namens Galates … Berühmt geworden durch seine Tapferkeit, gab er seinen Untertanen nach sich den Namen Galater (Gallier) und von diesen erhielt ganz Galatien (Gallien) seine Bezeichnung‘; Eust. in Dion. Per. 281: .e.t.. ..p .a. ..ß.p, pa.de. .pa..... .p. ßapß.p.. ...a...., .. .. t. .... .. .e.t.. .a. .. ..ß.pe. ‚Keltos und Iber, Söhne des Herakles von einer Barbarenfrau, von denn die keltischen und Iberischen Völker abstammen‘) erklärt. Weil es aber bekannt war, dass ein ‚Herkules‘ anderer Völker nicht mit dem antiken Herkules identisch sein müsse (vgl. etwa Hdt. 2,43,1: .pa..... d. p.p. t..de t.. ..... .....a, .t. e.. t.. d..de.a .e... t.. .t.p.. d. p.p. .pa....., t.. .....e. ..da.., ..daµ. ....pt.. .d....... .....a. ‚über Herakles aber hörte ich, daß er in Ägypten zu den zwölf Göttern gehört. Dagegen konnte ich von dem anderen Herakles, der den Griechen bekannt ist, in Ägypten nichts erfahren‘; Arr. Ind. 5,13: ..... .. ..t.. .pa..... e.., ... . T.ßa... ‚so ist dieser Herakles wohl ein anderer als der aus Theben‘; ebd. 8,4: .pa...a d., ..t..a .. ..d... .f.....a. ..... .at..e., pap’ a.t..... ..d.... ...e..a ...e..a. ‚Herakles aber, der der Sage nach zu den Indern gekommen sein soll, werde von den Indern selbst als einheimisch bezeichnet‘; Cic. nat. 3,42: quamquam quem potissimum Herculem colamus, scire sane velim; pluris enim tradunt nobis ii, qui interiores scrutantur et reconditas litteras, antiquissimum Iove natum – sed item Iove antiquissimo, nam Ioves quoque pluris in priscis Graecorum litteris invenimus: ex eo igitur et Lysithoe est is Hercules, quem concertavisse cum Apolline de tripode accepimus. alter traditur Nilo natus Aegyptius, quem aiunt Phrygias litteras conscripsisse. tertius est ex Idaeis Digitis; cui inferias adferunt Cretes. quartus Iovis est et Asteriae, Latonae sororis, qui Tyri maxime colitur, cuius Carthaginem filiam ferunt; quintus in India, qui Belus dicitur, sextus hic ex Alcmena, quem Iuppiter genuit, sed tertius Iuppiter, quoniam, ut iam docebo, pluris Ioves etiam accepimus ‚freilich möchte ich so gern einmal wissen, welchem Herkules wir in der Verehrung eigentlich den Vorzug geben sollen; denn die Gelehrten, die sich mit tiefer gehenden und entlegeneren Problemen der Religionswissenschaft beschäftigen, überliefern uns ja mehrere, und als ältesten den Sohn des Jupiter – aber diesen dabei auch als einen Sohn des ältesten Jupiter, denn wir finden ja auch mehrere Jupiter in der frühen Literatur der Griechen: von diesem und der Lysithoe also stammt der Herkules, der der Sage nach mit Apollo um den Dreifuß gekämpt hat. Ein zweiter Herkules, aus Ägypten, soll dagegen ein Sohn des Nilus sein und das phrygische Alphabet zusammengestellt haben. Der dritte gehört zu den Idäischen Digiten; ihm bringen die Einwohner von Kreta Totenopfer dar. Der vierte ist ein Sohn des Jupiter und der Asteria, einer Schwester der Latona, der hauptsächlich in Tyrus verehrt wird und dessen Tochter Karthago sein soll. Den fünften, mit dem Namen Belos, finden wir in Indien, und der sechste ist dann unser Herkules, der Sohn der Alkmene, von Jupiter gezeugt, aber wohlgemerkt von dem dritten, da wir ja, wie ich bald zeigen werde, auch mehrere Jupiter überkommen haben‘ [eine ähnliche Auflistung bei Arr. an. 2,16,1-6]), kann auch hier ein solcher, gänzlich anderer Herkules erwogen werden.27 27 Beide Möglichkeiten überwägt auch Rives 1999: 122-123. primumque omnium virorum fortium – canunt] Das Subjekt dieses Satzteiles sind die Germanen. Da canunt parallel zu carminibus celebrant in c. 2,2 steht, handelt es sich um Lieder mit einem gewissen Inhalt; vgl. zu solchen Liedern Tac. ann. 2,88,3: caniturque adhuc barbaras apud gentes ‚und noch heute besingt man ihn [= Arminius] bei den Barbarenvölkern‘; in späterer Zeit (über die Goten) Amm. 31,7,11: barbari vero maiorum laudes clamoribus stridebant inconditis ‚die Barbaren ihrerseits erhoben unter misstönendem Geschrei ihre Stimmen zum Lobe der Vorfahren‘. primum steht hier nicht in zeitlicher Bedeutung, sondern für ‚der dem Range, Stande oder anderen Vorzügen nach Erste‘; zu diesem Gebrauch vgl. etwa Lucr. 1,86: prima virorum ‚Fürsten der Männer‘; Cic. Verr. 2,10: homines nobilissimi primique ‚die vornehmsten und edelsten Männer‘. Der Ausdruck vir fortis steht für ‚Held‘. Die Verbindung vir fortis erscheint bei Tacitus ebenfalls Agr. 29,1: quem casum neque ut plerique fortium virorum ambitiose ‚diesen Schlag trug er [= Agricola] nicht wie die meisten starken Geister in eitlem Stolz‘; hist. 2,28,2: orbari se fortissimorum virorum auxilio ‚beraubt würden sie des Beistandes der tapfersten Männer‘; ebd. 3,31,2: tot fortissimi viri proditoris opem invocantes ‚so viele tapfere Männer riefen die Hilfe eines Verräters an‘; ebd. 4,24,2: tot armatas fortissimorum virorum manus unius senis valetudine regi ‚so viele waffenstarrende Fäuste der tapfersten Männer würden von einem einzigen altersschwachen Greis gelenkt‘; ebd. 4,64,3: ita omnes terras fortibus viris natura aperuit ‚so hat alle Länder die Natur den tapferen Männern freigegeben‘; ann. 12,56,3: pugnatum quamquam inter sontes fortium virorum animo ‚gekämpft wurde, wenngleich unter Verbrechern, mit dem Mut tapferer Männer‘; ebd. 15,59,2: etiam fortes viros subitis terreri ‚auch tapfere Männer gerieten durch unerwartete Ereignisse in Schrekken‘. ituri in proelia] Das Futur ituri steht hier wohl ”zum Ausdruck … einer allgemeinen Regel..28 Wie viel Zeit zwischen den Gesängen und dem Kampf liegt, ist damit nicht angegeben. 28 Kühner – Stegmann II,1: 143. 29 Lund 1988: 117. 30 Zum Wechsel zwischen proelium und pugna vgl. Sörbom 1935: 22. 31 Vgl. Gudeman 1916: 60; Norden 1959: 180-182; Much 1967: 77; Perl 1990: 138; Anderson 1997: 47; Benario 1999: 66. Die Pluralform proelia charakterisiert nach Lund ”die fehlende kriegerische Organisation der Barbaren..29 Näher liegt es jedoch, proelia distributiv zu erklären.30 sunt illis haec quoque carmina] An die Preislieder für Herkules wird in einem Exkurs31 eine weitere Liedform angehängt, die ebenfalls vor dem Kampf gesungen wird. In Nachfolge von Hertlein änderten Schweizer-Sidler und Reeb illis in illius, woduch auch diese Gesänge auf Herkules zu beziehen wären.32 Diese Änderung, ganz davon 32 Hertlein 1898: 657-658; Schweizer-Sidler 1923: 8: ”ihm (dem germanischen Hercules) gehören, auf ihn gehen.; Reeb 1933: 20: ”sunt illius ‚auf Herkules gehen‘.; von Robinson 1991: 276 wird diese Konjektur ”attractive, but unnecessary. genannt. Auf Herkules beziehen diese Stelle auch die Hss. ezuARce, die statt haec die Lesart huius bieten (vgl. Robinson 1991: 229). 33 Vgl. Anderson 1997: 48: ”Moreover, the following description (terrent enim) shows that the Germans chanted them, not ituri in proelia, but in the actual presence of the enemy.. 34 Lund 1988: 117-118. 35 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 53. Dort auch zur Funktion von quoque, das einen einfachen Zusatz bezeichnet. 36 So etwa aufgefasst von Holtzmann – Holder 1873: 113-114; Sternkopf 1924. 37 Ebenfalls denkbar wäre (so Gudeman 1916: 61) der Ersatz von illa durch haec aus euphonischen Gründen (zur Vermeidung der Folge illis illa); vgl. Sörbom 1935: 31. 38 Vgl. ThLL III: 294,17-295,17. abgesehen, dass illis in den Hss. einheitlich überliefert ist, würde bedeuten, dass es zwei gänzlich unterschiedliche Arten von Liedern für Herkules gäbe. Da diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Kriegsgeschehen (s.u.) und wohl auch zu einem unterschiedlichen Zweck vorgetragen wurden,33 ist eine solche Emendation abzulehnen. Nach Lund setzt ”der Sprachgebrauch … voraus, daß es bei den Römern ähnliche mantische Kriegslieder wie bei den Germanen gibt, die vor der Schlacht gesungen werden..34 Nun mag es durchaus bei den Römern solche gegeben haben, jedoch hätte – in dem Fall, dass Tacitus einen solchen Vergleich hätte ausdrücken wollen – quoque unmittelbar nach illis stehen müssen, da es dem zugehörigen Wort nachgestellt wird.35 Da quoque aber nach haec steht, werden diese Gesänge nur von den auf Herkules bezogenen abgeschieden. Das Pronomen haec ist an dieser Stelle nicht rückverweisend,36 sondern steht für talia oder eiusmodi, ein Gebrauch, der auch c. 20,1 belegt ist: in hos artus, in haec corpora, quae miramur ‚zu jenem Gliederbau, zu jener Körpergröße …, die unser Staunen erregen‘.37 Von welcher Art diese Gesänge genau sind, ist nicht sicher. Es ist sogar unklar – trotz der Verwendung des Wortes carmen –, ob es sich hierbei überhaupt um das Singen von Worten handelt. carmen kann nämlich ebenfalls zur Bezeichnung von Schwanengesang (vgl. Ov. met. 5,386-387: non illo plura Caystros / carmina cygnorum labentibus audit in undis ‚nicht mehr Gesänge der Schwäne hört der Caÿstrus als er im Bett seiner gleitenden Wogen‘), vom Kreischen einer Eule (vgl. Verg. Aen. 4,462: solaque culminibus ferali carmine bubo ‚wie einsam vom Dach mit Todessange der Uhu‘), von einem Trompetensignal (vgl. Quint. inst. 9,4,11: idem receptui carmen ‚wie wenn das Signal zum Sammeln ertönt‘) oder von einer Melodie (vgl. Prop. 2,1,9: lyrae carmen digitis percurrit eburnis ‚schlägt sie die Leier zum Lied mit den Fingern, wie Elfenbein schimmernd‘) verwendet werden.38 Diese carmina sind wohl dieselben, auf die Tacitus anderenorts mit dem Wort cantus ‚Gesang‘ Bezug nimmt, vgl. hist. 2,22,1: cantu truci ‚unter wildem Gesang‘; ebd. 4,18,3: ut virorum cantu, feminarum ululatu sonuit acies ‚als die Schlachtreihe vom Kriegsgesang der Männer und dem Geheul der Frauen erdröhnte‘; ann. 4,47,3: quam … nec minus cantuum et armorum tumultu trucem ‚die [= eine einsatzbereite Kampftruppe der Sugambrer] … durch den Lärm ihrer Schlachtgesänge und Waffen einen nicht minder grimmigen Eindruck machte‘. quorum relatu – accendunt animos] Das Wort relatus ist selten und zuerst bei Ovid (fast. 3,541: digna relatu ‚der Erwähnung für Wert‘; vgl. noch Sen. nat. 7,16,1: incredibilia relatu ‚durch die Erzählung unglaublicher Geschichten‘; in späterer Zeit noch Auson. ephem. 7,33: varioque trahant eventa relatu ‚und sie deuten die Ereignisse durch die unterschiedliche Erzählung‘; Auson. append. 1,49,8: rerum gestarum relatu ‚durch den Vortrag der Taten‘) belegt. Bei Tacitus erscheint das Wort – jedoch in etwas abweichender Bedeutung – noch hist. 1,30,1: neque enim relatu virtutum in comparatione Othonis opus est ‚denn eine Aufzählung der Vorzüge ist bei einem Vergleich mit Otho nicht nötig‘ und ann. 15,22,1: magno adsensu celebrata sententia, non tamen senatus consultum perfici potuit, abnuentibus consulibus ea de re relatum ‚mit lauter Zustimmung wurde dieser Antrag aufgenommen. Dennoch konnte kein Senatsbeschluß darüber gefaßt werden, da die Konsuln erklärten, die Angelegenheit sei nicht auf die Tagesordnung gesetzt‘.39 39 Diese Stelle ist jedoch umstritten; vgl. Koestermann 1963-1968: IV, 202. 40 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 137; Gudeman 1916: 61; Much 1967: 77; Anderson 1997: 48. So wohl auch Baumstark 1875: 167* ”Vortrag.; etwas abweichend Schweizer-Sidler 1923: 9: ”Wiedergabe.. 41 Lund 1988: 118. 42 Lund 1988: 118. 43 Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass Lund, um seine Behauptung zu stützen, nur Belege mit dem Verb referre bietet. 44 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 9. Von den meisten wird relatus zu Recht als relatio aufgefasst.40 Dagegen interpretiert Lund relatu als ”repercussu, repulsu, sono resultante.,41 also als den widerschallenden Laut, ”denn nach dem Sinn dieser Stelle geht es um mantische Kampflieder, die unschön klingen..42 Jedoch lässt keine weitere Belegstelle von relatus eine Bedeutung ‚Widerschall, Echo‘ zu; eine solche ist also auch hier abzulehnen.43 Es scheint sich bei relatus um einen absichtlich recht unscharfen Ausdruck zu handeln, der vielleicht zur Vermeidung von cantus (wegen des vorhergehenden canunt) gewählt ist.44 Zur Funktion solcher Gesänge vgl. auch Amm. 31,7,11: et Romani quidem voce undique Martia concinentes a minore solita ad maiorem protolli quam gentilitate appelant barritum, vires validas erigebant ‚die Römer stimmten überall ihren Schlachtgesang an, der üblicherweise leise beginnt, um sich zu größerer Lautstärke zu steigern, und den man mit einem barbarischen Wort als Barritus bezeichnet. Mit ihm weckten sie mächtige Kräfte‘. quem barditum vocant] Die Stelle enthält zwei Probleme. Auf der einen Seite liegt ein kaum lösbares textkritisches Problem vor. Lund sah sich sogar zur Setzung der Crux desperationis gezwungen ”da keine der überlieferten Lesarten … anderswo vorkommt..45 Eine solche Maßnahme erscheint jedoch übertrieben, da der Sinn der Stelle problemlos ist. 45 Lund 1988: 118. 46 Vgl. Perret 1950: 51; Robinson 1991: 123, 212, 276; Perret 1997: 71. Wie aus der Auflistung zu ersehen ist, ist die Beurteilung der hss. Lage in RGA 2 : 53 (‚Auch zwei als weniger gut geltende Handschriften … bieten die Lesart baritus‘) nicht zutreffend. 47 Vgl. Hirstein 1995: 297. 48 Eben aus diesem Grund wird die Annahme von Robinson 1991: 276, dass ”the variant baritum may be explained easily as a corruption of barditum. kaum zutreffen (wie aus der Liste solcher Fehler auf S. 47 hervorgeht, liegt in keinem Fall eine Doppelüberlieferung vor). 49 So z.B. Passow 1817: 4; Tross 1841: 3; Holtzmann – Holder 1873: 28; Gudeman 1916: 61; Halm 1930: 223; Reeb 1933: 20; Lenchantin de Gubernatis 1949: 4; Much 1967: 76; Koestermann 1970: 7; Önnerfors 1983: 3; Perl 1990: 82; Robinson 1991: 276; Perret 1997: 71. 50 Grimm 1835: 2; Maßmann 1847: 49; Lund 1988: 72; Städele 1991: 80. 51 So z.B. Schweizer-Sidler 1923: 8; Winterbottom – Ogilvie 1985: 38; Anderson 1997; Benario 1999: 16. 52 Der erste, der diese Verbindung vorschlug, war Cluverius im Jahre 1616 (vgl. Robinson 1991: 276). 53 Lund 1988: 119; jedoch geht er letztendlich davon aus (ebd.), ”daß der ganze Satz quem barytonum vocant als eine Hinzufügung jüngeren Datums anzusehen ist.. Er lässt jedoch im Unklaren, von wem diese Zufügung stammen könnte. Das betreffende Wort ist in den Hss. uneinheitlich überliefert: barditum mCQbBvs, barditum, am Rand oder übergeschr. baritum WcETd, baritum, am Rand barditum p, baritum h.tfors2, bardicum brlezuARce, blandicum a.46 In den alten Drucken findet sich barditum offenbar nur in k, in den anderen dagegen baritum.47 Wie die hss. Überlieferung zeigt, scheint im humanistischen Archetyp, vielleicht auch in der Codex Hersfeldensis, die beiden Lesarten barditum und baritum gestanden zu haben.48 In den neueren Textausgaben erscheint in aller Regel entweder barditum,49 jedoch zumeist nicht baritum,50 sondern emendiertes barritum,51 da dieses Wort bei Ammianus Marcellinus und Vegetius belegt ist (s.u.).52 Die Lesart baritum ist, da sie sonst keine Anknüpfung findet, sicher als verderbt anzusehen. Lund vermutete, dass auf ”der Basis der am besten bezeugten Lesart baritum … barytonum geschrieben werden müsse, und zwar mit griechischen Buchstaben: ßap.t.... … Denn dieses Wort bezeichnet einen Laut, der voll und tief ist (vox plena et gravis)..53 Jedoch ist diese Bedeutung von gr. ßap.t.... nur bei Aristot. phgn. 813b belegt (.... ßap.t.... f...... µ..a ‚welche eine sehr stark tönende Stimme haben‘), so dass die Hinzufügung des allgemeinen vocant (dessen Subjekt dann nicht die Germanen wären [zur Subjektsproblematik s.u.]) höchst überraschend wäre, da damit etwas Bekanntes vorausgesetzt wird. Ebenfalls wäre ein solches ßap.t.... genau dasselbe wie plenior et gravior vox, eine überflüssige Verdoppelung. Insgesamt lässt sich daher ein lediglich emendiertes barytonum kaum wahrscheinlich machen. Es ist somit von der überlieferten Lesart barditum und der emendierten Form barritum auszugehen. Die hss. Überlieferung spricht natürlich für barditum.54 Jedoch wird man – wegen der Übereinstimmung in der Sache – kaum das taciteische Wort von dem später bezeugten barritus trennen wollen. Dieses hat nämlich die Bedeutung ‚Schlachtgeschrei, Kriegsgesang, Schlachtgesang‘ und wird sowohl von den Barbaren (Amm. 16,12,43: Cornuti enim et Bracchiati usu proeliarum diuturno firmati eos iam gestu terrentes barritum ciere vel maximum ‚denn die Cornuten und Bracchiaten, durch langjährige Kriegserfahrung gestählt, erschreckten jenen schon allein durch ihre Haltung und stimmten mächtig den Barritus an‘) als auch von den Römern (Amm. 21,13,15: nec barritus sonum primum ‚noch den ersten Ton des Barritus‘; ds. 26,7,17: et pro terrifico fremitu, quem barbari dicunt barritum ‚anstatt den furchterregenden Schlachtruf zu erheben, den die Barbaren als Barritus bezeichnen‘; ds. 31,7,11: et Romani quidem voce undique Martia concinentes, a minore solita ad maiorem protolli, quam gentilitate appellant barritum, vires validas erigebant ‚die Römer stimmten überall ihren Schlachtgesang an, der üblicherweise leise beginnt, um sich zu größerer Lautstärke zu steigern, und den man mit einem barbarischen Wort als Barritus bezeichnet. Mit ihm weckten sie mächtige Kräfte‘; Veg. mil. 3,18: clamor autem, quem baritum vocant, prius non debet adtolli, quam acies utraque se iunxerit ‚aber man sollte das Geschrei, das man Barritus nennt, nicht eher anheben, als dass die Schlachtreihe sich auf beiden Seiten vereinigt‘) verwendet. Zur Unsicherheit in den Hss. der Germania kommt noch, dass das Wort barritus noch eine weitere Bedeutung, nämlich ‚das Gebrüll der Elefanten‘ hat; vgl. Apul. flor. 17: elefantorum tristis barritus ‚das traurige Gebrüll der Elefanten‘; Veg. mil. 3,24: elafanti in proeliis magnitudine corporum, barritus horrore, formae ipsius nouitate homines equosque conturbant ‚Elefanten bringen in Schlachten durch die Größe ihrer Körper, durch den Schrecken ihres Gebrülls, durch die Neuheit der Gestalt selbst Menschen und Pferd durcheinander‘; Isid. orig. 12,2,14: apud Indos a voce barro vocatur unde et vox eius barritus dicitur ‚bei den Indern wird er [= der Elefant] barro genannt; daher auch wird seine Stimme barritus genannt‘. 54 Vgl. Till 1943: 89: ”Ich halte es für das Wahrscheinlichste, daß der Korrektor das ihm nicht geläufige barditus durch das bekanntere bar(r)itus ersetzen wollte.; ebenso RE III,1: 11. Zur Erklärung sind zwei Möglichkeiten vorgeschlagen worden.55 Die erste ist, dass barditus richtig und ein germanisches Wort sei, das wegen der Nähe zu barritus dann bei den späteren Autoren als barritus erscheint. Nach der zweiten sei dagegen barritus das Zutreffende, also ein lateinisches Wort, und barditus ein Verderbnis, das durch Einfluss von lat. bardus ‚Barde‘56 in den Text gekommen sei (vgl. Lucan. 1,449: plurima securi fudistis carmina, Bardi ‚die Barden … lassen jetzt unbesorgt viele Lieder erklingen‘; Amm. 15,9,8: per haec loca hominibus paulatim excultis viguere studia laudabilium doctrinarum, inchoata per bardos et euhagis et drasidas. et bardi quidem fortia virorum illustrium facta heroicis conposita versibus cum dulcibus lyrae modulis cantitarunt ‚in diesen Gegenden entwickelte sich eine hohe menschliche Kultur, und die Beschäftigung mit den freien Wissenschaften blühte auf, angeregt von den Barden, Euhagen und Druiden. Die Barden besangen die Heldentaten berühmter Männer in Heldengedichten zu lieblichen Weisen der Lyra‘). 55 Vgl. hierzu mit älterer Literatur ausführlich RGA 2: 52; vgl. auch RE III,1: 10-11. 56 Zur Beleglage vgl. ThLL II: 1751,62-81. 57 Lund 1988: 118. 58 Schweizer-Sidler 1923: 9. 59 Die Frage unentschieden gelassen in RGA 2: 52: ”Es ist nicht ganz klar, ….. Um sich für eine dieser beiden Lösungen entscheiden zu können, ist ein weiteres Problem zu klären, nämlich die Frage nach dem Subjekt von vocant. Während zumeist von den Germanen als Subjekt ausgegangen wird, hatte Lund,57 in Nachfolge von Schweizer- Sidler,58 eingeworfen, dass dann ein Wort wie ipsi zu erwarten wäre, wie aus den Parallelstellen in c. 6,1 (hastas, vel ipsorum vocabulo frameas, gerunt ‚sie führen Speere bzw. mit ihrem eigenen Wort gesagt, Framen‘) und c. 45,4 (ac soli omnium sucinum, quod ipsi glesum vocant, inter vada atque in ipso litore legunt ‚und als einzige von allen sammeln sie Bernstein, den sie selbst Glesum nennen, im Watt und sogar unmittelbar am Strand‘) hervorgehe.59 Daher sei vocant unbestimmt als ‚man nennt‘ aufzufassen; für einen solchen Gebrauch wird dabei auf zwei Parallelstellen bei Tacitus verwiesen: hist. 3,47,3: quin et barbari contemptim vagabantur, fabricatis repente navibus. cameras vocant ‚ja sogar die Barbaren fuhren frech in rasch gezimmerten Schiffen umher. Man nennt sie Kamaren‘ und ann. 3,43,2: adduntur e servitiis gladiaturae destinati, quibus more gentico continuum ferri tegimen: cruppelarios vocant ‚dazu fügte man aus der Schar der Sklaven solche, die für Gladiatorenkämpfe bestimmt waren und nach Stammessitte ein durchgehendes Eisengewand trugen: Cruppelarier nennt man sie‘. Übersehen wird hierbei aber, dass die angeführten Stellen sich syntaktisch unterscheiden, da in der Stelle der Germania ein Relativsatz vorliegt, in den beiden anderen jeweils ein Hauptsatz. Eine nähere Parallele mit Subjektwechsel im Nebensatz findet sich in c. 46,1: quamquam Peucini, quos quidam Bastarnas vocant, … ‚obwohl die Peuciner, die einige Bastarner nennen, …‘. Nun ist es kaum wahrscheinlich (zumal man sich ohnedies schon in einem Nebensatz befindet), dass ein Subjektwechsel vorliegt, ohne dass dieser explizit angezeigt wäre. Die Weglassung eines Wortes wie ipsi kann womöglich zusätzlich dadurch erklärt werden, dass Tacitus die Gesänge und deren Benennung als bekannt voraussetzt.60 Als Subjekt sind somit die Germanen anzunehmen. 60 So Perl 1990: 139, der dies wegen des Pronomens haec annimmt: ”Den Römern war das Kriegsgeschrei der Germanen aus zahlreichen Schlachten bekannt (darauf deutet haec …), auch von den germanischen Auxiliartruppen in den eigenen Reihen.; vgl. auch Benario 1999: 67: ”the Latin text, haec quoque carmina, implies that the Romans were familiar with prophetic songs.. 61 Zu anderen Anknüpfungsversuchen vgl. RGA 2: 52-53. 62 Vgl. Krahe – Meid 1969: III, 146. 63 Vgl. Wagner 1982: 304. 64 Anders Gudeman 1916: 61: ”War die Deutung nämlich ungünstig, so gingen sie nicht in die Schlacht oder wiederholten wohl den Gesang.. Aus diesem Grund scheint es ratsam, von überliefertem barditus auszugehen, wobei angenommen werden kann, dass barditus wegen der lautlichen und lautäußerlichen Nähe zu barritus ‚Geschrei der Elefanten‘ an Letzteres angeglichen wurde. Da der Schild beim Singen eine gewisse Rolle spielt (s.u.) hat man angenommen,61 dass barditus mit der Wortsippe von ahd. bort ‚Schild‘ (s. c. 6,1) zu verknüpfen sei, es sich beim barditus somit um ‚Schildgesang‘ handle. Jedoch kann barritus wegen des Vokalunterschiedes nicht unmittelbar hiermit verknüpft werden. Während ahd. bort auf schwundstufigem *burda- < vorurgerm. *bh.dh- fußt, könnte barritus auf eine hinzu gehörige vollstufige Form *berda- weisen, von der das vorliegende Wort dann eine Weiterbildung mit dem Suffix urgerm. *-iþa- wäre.62 Dabei könnte das unerwartete -a- zweifach erklärt werden; erstens kann es die Wiedergabe eines offenen e vor r sein (vgl. den PN Arminius aus urgerm. *ermana-63) und zweitens kann der erste Schritt zur Angleichung an lat. barritus ‚Geschrei der Elefanten‘ vorliegen. futuraeque pugnae fortunam ipso cantu augurantur] Die Gesänge werden unmittelbar vor der Schlacht gesungen, wie eindeutig aus dem nachfolgenden acies hervorgeht, die erst unmittelbar vor der Schlacht aufgestellt werden (vgl. auch terrent).64 Das Verb augurari steht hier in abgeschwächter Bedeutung. terrent enim trepidantve, prout sonuit acies] Zum Ausdruck terrent … trepidantve vgl. Tac. ann. 1,25,2: diversis animorum motibus pavebant terrebantque ‚in wechselnder Gemütsbewegung zagten sie und suchten zu schrecken‘. In seiner Ausgabe setzte Passow zwischen sonuit und acies ein Komma mit der Bemerkung: ”prout sonuit, acies.) sc. terrent trepidantve..65 Aber erstens wird eine solche Interpunktion in den Hss. nicht gestützt (vgl. Hs. E prout sonuit acies:) und zweitens wäre der Plural acies nach einem singularischen Prädikat mehr als verwirrend. Der Plural von acies ist zwar selten belegt, findet sich aber ebenfalls bei Tac. hist. 2,25,1: antequam miscerentur acies ‚noch ehe die beiden Treffen aneinandergerieten‘. Auch aus terrent geht hervor, dass die Gesänge direkt vor dem Kampf gesungen wurden, da nur dann ein Gegenüber anwesend ist, der in Schrecken gesetzt werden kann; zum Zeitpunkt des Gesangs vgl. auch Veg. mil. 3,18: clamor autem, quem barritum vocant, prius non debet adtolli, quam acies utraque se iunxerit ‚das Geschrei aber, den sie Barritus nennen, darf nicht eher angehoben werden, als wenn sich die Schlachtreihen vereinigen‘. 65 Passow 1817: 5. Dieselbe Interpunktion findet sich bereits bei Rhenanus in dessen Ausgabe von 1533 (vgl. Hirstein 1995: 202). Der beabsichtigte Effekt, den Feind durch Gesang zu erschrecken, ist öfters beschrieben (vgl. u.a. Caes. Gall. 7,84,4: multum ad terrendos nostros valet clamor qui post tergum pugnantibus exstitit ‚zudem trug das Kampfgeschrei, das sich im Rücken der Kämpfenden erhob, viel dazu bei, unsere Soldaten zu erschrecken‘; ds. civ. 3,92,5: neque frustra antiquitus institutum est, ut signa undique concinerent clamoremque universi tollerent; quibus rebus et hostes terreri et suos incitari existimaverunt ‚und nicht von ungefähr rührt seit alters her der Brauch, daß überall Signaltrompeten erschallen und alle den Kriegsruf anheben; glaubte man doch stets, daß hierdurch die Feinde in Schrecken gesetzt, die eigenen Leute aber angefeuert werden‘; Liv. 38,17,4-5: ad hoc cantus ineuntium proelium et ululatus et tripudia et quatientium scuta in patrium quendam modum horrendus armorum crepitus, omnia de industria composita ad terrorem ‚dazu der Gesang, wenn sie [= die Gallier] in den Kampf ziehen, und das Geheul und der Waffentanz und der schreckliche Lärm der Waffen, wenn sie auf eine von den Vätern übernommene Art an die Schilde schlagen, alles mit Fleiß darauf angelegt, Schrecken auszulösen‘; Plut. crass. 27,1: .a., ...a.a...a. .e.e..a. ..e..e t.. .tpat.. t.. .at.fe.a., .. ...e.. .a. ...... .a. ...µa... .pa.... .p....a.t.. . d. pap. t.. ßapß.p.. .aµpp. .a. .pa.e.a .ate..e. ‚und als er [= Crassus] sie aufforderte, mit ihm das Feldgeschrei zu erheben, erkannte er wohl die Niedergeschlagenheit der Soldaten, die nur ein schwaches, vereinzeltes und ungleichmäßiges Geschrei hören ließen, während es von den Barbaren hell und mutvoll herübertönte‘), wie auch der negative Effekt (vgl. etwa Liv. 4,37,9: clamor indicium primum fuit qui res inclinatura esset, excitatior crebriorque ab hoste sublatus: ab Romanis dissonus, impar, segnius saepe iteratus prodidit pavorem animorum ‚das Kampfgeschrei war das erste Anzeichen, wie die Sache ausgehen würde: Es wurde lebhafter und häufiger vom Feind erhoben; bei den Römern verriet es, wirr durcheinandertönend, ungleichmäßig und ziemlich matt oft wiederholt, die Angst der Leute‘; Plut. mar. 19,4: ... .t..t... ..d. µa...de.. fep.µe... dp.µ... ..d’ ..ap.p.. ..a.a.µ.. ...te., .... .p....te. ...µ. t. .p.a .a. ...a...µe..., p..te. .µa t.. a.t.. .f......t. p....... pp.....p.a. .µßp..e., e.t’ ..a.a...µe... .f.. a.t..., e.te t... p..eµ.... t. pp.d....e. pp.e.f.ß...te. ‚doch stürzten sie keineswegs ungeordnet und ohne Überlegung heran und erhoben auch kein unartikuliertes Geschrei, sondern schlugen rhytmisch ihre Waffen gegeneinander, rückten gleichmäßig vor und riefen immer wieder alle zugleich ihren Namen ”Ambronen., sei es, um sich selbst anzufeuren, sei es, um sich den Feinden zu erkennen zu geben und ihnen hierdurch von Vornherein Schrecken einzujagen‘ [AG 1, 246-247]). Der Effekt des Gesangs auf die Schlachtreihe drückt Tacitus mit gleichen Worten auch hist. 4,18,3 aus: ut virorum cantu, feminarum ululatu sonuit acies ‚als die Schlachtreihe vom Kriegsgesang der Männer und dem Geheul der Frauen erdröhnte‘. nec tam voces illae quam virtutis concentus videntur] An dieser Stelle gibt es ein textkritisches Problem, obwohl alle Hss. eine einheitliche Textfassung geben. Denn bereits Rhenanus hatte voces in vocis, illae in ille und videntur in videtur geändert,66 was nach ihm die meisten Herausgeber übernommen haben.67 Dagegen ging Lund einen anderen Weg,68 indem er zwar voces und illae im Text beließ, videntur jedoch in audiuntur abänderte.69 66 Zur Ursache für die Änderung durch Rhenanus vgl. Hirstein 1995: 201-202. Nicht zutreffend ist die Angabe bei Anderson 1997: 49: ”and the emendation of Rhenanus is supported by the variant ille for illae., da es sich bei der Schreibung ille um ein e caudata ohne das Häkchen handelt; vgl. zu dieser Schreibweise etwa Hess 1827: 2- 3; nicht zutreffend ebenfalls Much 1967: 81, der ebenfalls vocis ille … videntur übernimmt: ”Überliefert ist voces und videntur.. 67 Ausnahmen in neuerer Zeit sind lediglich: Baumstark 1875: 177-180; Reeb 1933: 20; Perl 1990: 82; Robinson 1991: 276. 68 Noch anders Städele 1991: 309: ”Meines Ermessens verbirgt sich hinter +illae+ ein Verbum im Infinitiv oder ein Prädikatsnomen., jedoch ohne eine Begründung zu liefern. 69 Lund 1988: 119-120. 70 Vgl. Schütz 1879: 277. 71 Das dagegen von Baumstark 1875: 178 hervorgebrachte Argument (und in dessen Nachfolge auch Strache 1917: 878), dass dann vocum zu erwarten wäre, ist wohl nicht zwingend (vgl. Hirstein 1995: 202). Die Konjektur von voces in vocis entstand, weil man annahm, dass der durch tam … quam ausgedrückte Gegensatz nicht in vox und concentus, sondern in vox und virtus liege. Deswegen sei für voces derselbe Kasus wie für virtutis zu verlangen,70 das somit in vocis geändert wurde.71 Durch diese Entkoppelung von voces und concentus und die Emendation in vocis war man genötigt, das bisher dazugehörige illae in ille zu ändern, welches dabei auf bar(d)itus oder cantus bezogen wurde. Als Subjekt bedingte dies dann letztendlich die Änderung von videntur in videtur. Doch auch diese Konjekturreihe kann die Problematik offenbar nicht lösen, wie Gudeman explizit schreibt: ”so ist die Sentenz, die überdies nur auf einer Konjektur des Rhenanus beruht, zwar übersetzbar, aber noch von niemandem befriedigend erklärt worden..72 Die Schwäche der Emendation zeigt sich schon bei der Übersetzung, etwa von Müllenhoff: ”und der gesang scheint nicht so sehr ein einklang der stimme als der tapferkeit zu sein.73. Dazu kommt die Einräumung, dass ”a similar meaning would be clumsily given by the MSS. reading..74 Hieraus hat denn auch Robinson die berechtigte Folgerung abgeleitet: ”Rhenanus’ vocis ille … uidetur has found general favor, but the proof rests with those who would change the manuscript reading..75 72 Gudeman 1916: 61. 73 Müllenhoff 1900: 137. 74 Anderson 1997: 49. 75 Robinson 1991: 276. 76 Lund 1988: 119; Zitat aus Schütz 1879: 277. Schon deswegen ist die Änderung von Lund unverständlich, weil er selbst schreibt (1988: 120): ”Tac. versucht … zu zeigen, daß das Gemüt … der Germanen vom Hören der … Kriegslieder … beeinflußt wird.. 77 Vgl. hierzu auch Valmaggi 1920: 14. 78 Vgl. aber Hirstein 1995: 202-203. Lunds Änderung von videntur in audiuntur wird durch ein Zitat aus Schütz begründet: ”Tac. mußte entweder, wenn er bestimmt wußte dasz es lieder ohne worte waren, sunt statt videntur sagen, oder wenn er davon nur durch hörensagen erfahren hatte, dicuntur. in videri ist gesagt, welchen eindruck der gesang … hervorbringe..76 Schütz hat hier jedoch übersehen, dass es sich genau um den subjektiven Eindruck des Gesanges handelt. Denn dieser entscheidet, ob sie Schrecken einjagen oder selbst erschrecken. Wenn aber genau das durch videri ausgedrückt wird, fehlt eine Begründung für diese Emendation. Da also die bisher vorgeschlagenen Emendationen den Text nicht verständlicher machen,77 wobei zusätzlich zumeist übersehen wird,78 dass die Ausdrucksweise dieser Stelle durch Verg. Aen. 3,555-556 beeinflusst ist: et gemitum ingentem pelagi pulsataque saxa / audimus longe fractasque ad litora voces ‚mächtiges Tösen des Meeres und felsenpeitschende Brandung hören wir weithin dröhnen, verworren Getös am Gestade‘ (vgl. auch fractum [s.u.]), ist mit der Überlieferung auszukommen. Diejenigen, die diese beibehielten, haben stets versucht, nur illae zum Subjekt des Satzes zu machen. Bei illae (statt ille oder illud) läge Attraktion an voces vor (vgl. c. 5,1: eaeque solae et gratissimae opes sunt ‚da es ihr einziger und geschätztester Reichtum ist‘).79 Jedoch ist eine solche Interpretation nur dann möglich, wenn man videntur als ‚sie scheinen‘ auffasst.80 Jedoch gibt es hierfür keinen zwingenden Grund. Da mit den Gesängen eine (psychologische) Absicht verbunden ist (positiv: den Gegner Schrecken einzujagen; negativ: selbst zu erschrecken [daher ist auch Cic. off. 1,145 [40] nicht als Vergleich heranzuziehen: quo maior et melior actionum quam sonorum concentus est ‚um wieviel wichtiger und besser der Zusammenklang der Handlungen als der der Töne ist‘]), liegt es durchaus nahe, videntur als ‚echtes‘ Passiv von videre aufzufassen, und zwar in der Bedeutung ‚etwas im Auge haben, etwas beabsichtigen‘. Dazu lässt sich voces illae als Nom.Pl. konstruieren.81 Die Bedeutung der Stelle ist dann, dass mit dem Gesang nicht sosehr voces beabsichtigt werden, sondern vielmehr virtutis concentus. 79 Vgl. Baumstark 1875: 180; zu Attraktion von Pronomina im Allgemeinen vgl. Kühner – Stegmann II,1: 34-37. 80 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 34 und 15 (zu videor als kopulaartiges Verb). 81 Zur Position von ille (vor oder nach dem zugehörigen Substantiv) vgl. Kühner – Stegmann II,1: 622. 82 Vgl. u.a. Hübner 1984: 19; Lund 1988: 120. 83 Vgl. Menge 1993: 167. 84 Falls man tatsächlich mit einem hohen Bekanntheitsgrad des germanischen Schlachtgesangs in Rom rechnen kann, wäre auch zu überlegen, ob hier nicht bei ille die Konnotation ‚bekannt‘ (hier wohl im Sinne von ‚berüchtigt‘) mitschwingen könnte; vgl. Kühner – Stegmann II,1: 622. 85 So in neuerer Zeit explizit nur Robinson 1991: 276; Städele 1990: 256. 86 Baumstark 1875: 179. In dessen Nachfolge auch Lund 1988: 120. Wie schon häufiger angenommen, steht voces hier für soni.82 Mit voces wird somit der Effekt des sonuit acies wieder aufgenommen. Zu pluralischem voces in kollektivischer Bedeutung ist Hor. epist. 1,2,23: Sirenum voces ‚Sirenenstimmen‘ zu vergleichen. Auf das nahe stehende sonuit acies wird hier mit ille Bezug genommen, da in historischer Erzählung ille anstelle von hic verwendet werden kann83 (wobei ille – wie mehrmals in der Germania [vgl. c. 14,1 und 46,3] – eine abgeschwächte Bedeutung hat).84 concentus ist als Plural aufzufassen; zu concentus im Plural vgl. etwa: Apul. met. 11,7,4: ut canorae etiam aviculae prolectatae verno vapore concentus suaves adsonarent ‚so daß sogar die Singvögelein sich in der lauen Frühlingsluft hervorwagtens, ein liebliches Konzert anstimmten‘; Stat. Theb. 7,285-286: patriis concentibus audis / exultare gregem ‚du hörst die Herde frohlocken in der Heimat würdigem Einklang‘.85 Diese Annahme wurde von Baumstark86 mit dem Argument bestritten, dass hier ”die eine Harmonie der ganzen Schlachtlinie betont und nicht mehrere Harmonien, da durch solche just die eine Harmonie aufgehoben wurde.. Der Plural lässt sich aber dadurch begründen, dass die Einhelligkeit sowohl auf diejenigen wirkt, die singen, als auch auf den Feind. Es liegen also zwei Manifestationen der einen Einhelligkeit vor. affectatur praecipue asperitas soni et fractum murmur] Durch den mit praecipue (das hier [wie in c. 15,2] in superlativischer Bedeutung steht87) angefügten Satz wird erläutert, wie die Einhelligkeit des Kampfesmutes erreicht wird. Auch das Verb affectare bekräftigt (wie schon videri), dass es den Germanen um die Wirkung ihres Gesangs geht. 87 Vgl. auch Gudeman 1916: 61. 88 Vgl. Müllenhoff 1900: 137. 89 Nicht zutreffend ist Lund 1988: 120 Ansicht: ”da die Germanen wilde Barbaren sind, streben sie danach einen rauhen Laut hervorzubringen., weil hier (wenn überhaupt) eine römische Begründung vorliegen würde, nicht eine germanische. 90 Gemeint ist also nicht, dass hier ”auf den rauhen Laut der römischen tuba. angespielt wird, wie Lund 1988: 120 vermutet. 91 So noch Müllenhoff 1900: 137. 92 Jedenfalls nicht vergleichbar (anders Much 1967: 81-82), da in einem gänzlich anderen Kontext (Odin rühmt sich der Zauberkünste) ist Hávamál 156: þat kann ec iþ ellipta, ef ec scal til orrost leiða langvini: undir randir Der Ausdruck asperitas soni wird in der Regel mit Rauheit wiedergegeben.88 Da asperitas jedoch auch ‚die Unebenheit‘ bedeutet, kann hier durchaus auch ‚der Kontrast (im Klang)‘ gemeint sein, zumal wegen des nachfolgenden fractum murmur.89 Mit fractum murmur ist ein an- und abschwellendes Geräusch gemeint (zur Geräuschkulisse vgl. auch: Amm. 16,12,43: qui clamor ipso fervore certaminum a tenui susurro exoriens paulatimque adulescens ritu extollitur fluctuum cautibus illisorum ‚dieses Schlachtgeschrei wird mitten in der Hitze des Kampfes erhoben. Es beginnt mit einem schwachen Summen, verstärkt sich allmählig, wie das Brausen der Meereswogen, die gegen Klippen branden‘; ds. 31,7,11: et Romani quidem voce undique Martia concinentes a minore solita ad maiorem protolli …, vires validas erigebant ‚die Römer stimmten überall ihren Schlachtgesang an, der üblicherweise leise beginnt, um sich zu größerer Lautstärke zu steigern … Mit ihm weckten sie mächtige Kräfte‘), wie hervorgeht aus Verg. Aen. 3,555-556: et gemitum ingentem pelagi pulsataque saxa / audimus longe fractasque ad litora voces ‚mächtiges Tösen des Meeres und felsenpeitschende Brandung hören wir weithin dröhnen, verworren Getös am Gestade‘; ds. georg. 4,70-72: namque morantis / Martius ille aeris rauci canor increpat, et vox / auditur fractos sonitus imitata turbarum ‚denn wider die Zaudrer wettert aus heiserem Erz der Kriegsruf, und eine Stimme hörst du tönen gebrochenen Klangs wie Trompetengeschmetter‘.90 Das Geräusch ist somit nicht ‚gedämpft, dumpf‘.91 obiectis ad os scutis] Da ein solcher Vorgang in der antiken Literatur nicht weiter erwähnt wird, bleibt die Sache unklar. Auch waren die germanischen Schilde nicht gewölbt (zu den germanischen Schilden s.u. c. 6,1).92 Wie die Angabe in Tac. hist. 2,22,1: cohortes ec gel, enn þeir með ríki fara heilir hildar til, heilir hildi frá, koma þeir heilir hvaðan ‚ein elftes kann ich, wenn ich zum Angriff soll die treuen Freunde führen, in den Schild sing ich’s, so ziehn sie siegreich heil in den Kampf, heil aus dem Kampf, bleiben heil wohin sie ziehn‘. 93 Vgl. auch Lund 1988: 120: dies ”bestätigt, daß die Stimme der Germanen von Natur aus voll und tief klingt. (mit Hinweis auf Vitr. 6,1,7: quaeque progedientibus ad septentrionem … nationes … a natura rerum sonitu graviore coguntur uti ‚geht man weiter nach Norden vor, so werden die dort wohnenden Völker … von der Natur gezwungen, sich eines tieferen Tons zu bedienen‘; so auch Perl 1990: 138). Germanorum, cantu truci et more patrio nudis corporibus super umeros scuta quatientium ‚die … Kohorten der Germanen, die unter wildem Gesang und nach heimischem Brauch mit nacktem Oberkörper ihre Schilde über den Schultern schwangen‘ hiermit in Übereinstimmung zu bringen ist, bleibt unklar, da hier offenbar Gleichzeitigkeit des Singens und des Schwingens der Schilder vorliegt. Die nämliche Junktur, jedoch mit anderem Hintergrund, findet sich bei Liv. 2,10,10: quae cum in obiecto cuncta scuto haesissent ‚als diese alle [= Etrusker] in dem vorgehaltenen Schild steckenblieben‘. quo plenior et gravior vox repercussu intumescat] Dies ist der Effekt des Vor-den- Mund-Haltens der Schilde. Die Komparative plenior et gravior (beide Adjektive sind ebenfalls verbunden bei Quint. inst. 11,3,42: nam vox ut nervi, quo remissior, hoc gravior et plenior, quo tensior, hoc tenuis et acuta magis est ‚denn die Stimme ist, wie die Saiten, um so tiefer und voller, je lockerer die Spannung ist, und um so dünner und höher, je stärker sie gespannt ist‘) erklären sich aus dem Vergleichsmoment ‚als wenn sie die Schilder nicht vor dem Mund halten würden‘.93 Das Adjektiv gravis, von Tönen gebraucht, bedeutet ‚tief, dumpf, stark‘, vgl. Quint. inst. 11,3,42: nam vox ut nervi, quo remissior, hoc gravior et plenior, quo tensior, hoc tenuis et acuta magis est ‚denn die Stimme ist, wie die Saiten, um so tiefer und voller, je lockerer die Spannung ist, und um so dünner und höher, je stärker sie gespannt ist‘; Vitr. 6,1,3: ex caelo roscidus aer in corpora fundens umorem efficit ampliores corporaturas vocisque sonitus graviores ‚die taureiche Luft, die aus dem Himmel Feuchtigkeit in die Körper einströmen läßt, ruft größeren Körperbau und tieferen Ton der Stimme hervor‘. Nach Ansicht der Römer wird der Ton durch das Echo stärker, vgl. Liv. 21,33,6: qui et clamoribus dissonis, quos nemora etiam repercussae valles augebant ‚weil sie [= die Pferde] durch das schreckliche Geschrei scheuten, das die Wälder und Täler mit ihrem Echo noch verstärkten‘; Plin. nat. 36,99: turres septem acceptas voces numeroso repercussu multiplicant ‚sieben Türme, die jeden Laut, den sie auffangen, in zahlreichem Widerhall vervielfachen‘. 2 ceterum] Nach dem Exkurs über den germanischen Schlachtgesang, kehrt Tacitus wieder zum nach canunt unterbrochenen Bericht zurück.94 et Ulixem] Dies steht parallel zu et Herculem in c. 3,1. 94 Vgl. zu dieser Funktion von ceterum Kühner – Stegmann II,2: 79. 95 In den Hss. Wmc.CBs. 96 In der Hs. b. Die Schreibung mit -ss- ist im 15. Jh. die übliche. 97 In den übrigen Hss. 98 Vgl. Kühner – Stegmann I: 369, 497. 99 Vgl. KP 4: 238. In den Hss. ist der Akk.Sg. sowohl als Vlixen95 (var.: -yx-; mit gr. Endung), Vlyssem96 wie Vlixem97 (var.: -yx-; mit lat. Endung) überliefert. Beide Akkusative sind in der lat. Literatur belegt, wobei der auf -en selten ist (Belege für den Akk.Sg. auf -en sind u.a.: Val. Max. 8,11 ext. 6: maestum Vlixen ‚den niedergeschlagenen Ulixes‘; Hor. sat. 2,3,197: Ulixen ‚Odysseus‘; ebd. 2,3,204: Ulixen ‚Odysseus‘; Prop. 2,9,7: visura et quamvis numquam speraret Ulixen ‚ob sie gleich niemals hoffte, Odysseus wiederzusehen‘; Ov. met. 13,55: ille tamen vivit, quia non comitavit Ulixen ‚er jedoch lebt immerhin, weil er nicht den Ulixes begleitet‘).98 Welche Form Tacitus selbst hier gewählt hat, ist nicht mehr auszumachen. Es ist nämlich durchaus möglich, dass mit einer Abkürzung Vlixe in einer der hss. Vorlagen gerechnet werden muss, die erst von humanistischen Gelehrten in Vlixen aufgelöst wurde. Lat. Ulixes ist aus einer gr. Dialektform zu .d..e.. mit -.- (vgl. ......, ......, ....... oder ....e.. auf Vaseninschriften) entlehnt.99 quidam opinantur] Mit quidam sind eindeutig antike Gelehrte gemeint (wie auch das adversative Element in ceterum anzeigt), die Odysseus – wegen seiner langen Reise – in Verbindung mit Germanien gebracht hatten. fabuloso errore] Vgl. zum Ausdruck Cic. off. 1,113 [31]: quam multa passus est Ulixes in illo errore diuturno ‚wie vieles hat Odysseus auf jener langen Irrfahrt erduldet‘. Obwohl das Adjektiv fabulosus an dieser Stelle ‚sagenumwoben‘ bedeutet (als Parallelen zu dieser Bedeutung vgl. etwa: Hor. carm. 1,22,7-8: vel quae loca fabulosus / lambit Hydaspes ‚oder in das Land, das Hydaspes netzt, der sagenberühmte‘; Sen. contr. 1,1,23: fratrum fabulosa certamina ‚die sagenberühmten Kämpfe der Brüder‘; Sen. dial. 6,17,2: illam fabulosam Charybdin ‚jene sagenhafte Charybdis‘), schwingt das Unhistorische bzw. Unwahre doch unterschwellig mit (vgl. auch fabulosa in c. 46,4: cetera iam fabulosa ‚alles Weitere gehört schon in den Bereich der Fabel‘). Tacitus zeigt mit diesem Wort also an, dass er der Auffassung, Ulixes sei in Germanien gewesen, keinen Glauben schenkt. in hunc Oceanum delatum] Gemeint ist ‚in diesen (= den germanischen) Teil des Ozeans‘.100 Das Pronomen hic (eigentlich mit hier-Deixis) steht hier statt ille, wohl zum einen, weil der Focus auf Germanien liegt (das dem Leser in c. 1 und 2 nahe gebracht wurde),101 zum anderen, um eine Wiederholung von ille zu vermeiden.102 100 Vgl. Sörbom 1935: 31; Lund 1988: 121. 101 Vgl. Anderson 1997: 50; s. auch c. 10,2: hic notum. 102 Vgl. Gudeman 1916: 62; Schweizer-Sidler 1923: 9; Sörbom 1935: 31. 103 Diese Ansicht geht von Krates von Mallos (2. Jh. v.Chr.) aus; vgl. RE XI,2: 1638. 104 Vgl. ThLL V,1: 315,29-65. Nach Auffassung einiger war Odysseus bei seiner Fahrt weit über das Mittelmeer hinausgekommen.103 So schreibt Solin. 22,1: Ulixem Calidoniae appulsum manifestat ara Graecis litteris scripta ‚dass Ulixes nach Caledonia verschlagen ist, zeigt ein Altar deutlich, beschrieben mit griechischen Buchstaben‘, und ds. 23,6: ibi Olisipo Ulixi conditum ‚dort [= in Lusitanien] ist Olisipo von Ulixes gegründet‘ (vgl. auch Isid. orig. 15,1,70: Olisipona ab Vlixe est condita et nuncupata ‚Olisipona ist von Ulixes gegründet und benannt‘); Strabo berichtet Geogr. 3,2,13 p. 149 C: .. ..p µ.... .. .at. t.. .ta..a. .a. ...e..a. t.p.. .a. ..... t.... t.. t....t.. ..µe.a .p..p.f....., .... .a. .. .ß.p.a .d...e.a p.... de....ta. .a. ...... .ep.. .a. .... µ.p.a .... t.. … ..e.... p..... ‚deuten doch nicht nur die Örtlichkeiten in Italien und Sizilien (und einige andere) auf dergleichen, sondern auch in Iberien zeigt man eine Stadt Odysseia, ein Athenaheiligum und tausend andere Spuren … von seiner Irrfahrt‘; Claud. in rufin. 1,123-125 lässt Odysseus in dieselbe Gegend wie Tacitus reisen: est locus extremum pandit qua Gallia litus / Oceani praetenus aquis, ubi fertur Vlixes / sanguine libato populum mouisse silentem ‚es gibt eine Stelle, wo Gallien seine äußerste Küste ausstreckt vor den Wellen des Ozeans; dort sagt man, dass Odysseus mit einer Blutlibation das schweigende Volk bewogen hat‘; vgl. auch Serv. Aen. 6,107: quamquam fingatur in extrema Oceani parte Vlixes fuisse ‚obwohl erdichtet wird, dass Odysseus im äußerten Teil des Ozeans gewesen ist‘. Die Verbindungen zwischen solchen Passagen und Tacitus sind unverkennbar. Das Verb defero hat als nautischer terminus technicus die Bedeutung ‚hinführen, hintreiben, verschlagen‘.104 Odysseus hatte von dem Windgott Aiolos einen Ledersack bekommen, in dem die Winde eingeschlossen waren. Jedoch öffneten Odysseus‘ Gefährten den Sack, wonach Odysseus durch irrige Winde immer wieder von seinem Kurs abgebracht wurde. adisse Germaniae terras] Auch durch adisse wird klar, dass diese Berichte griechisch- römischer Herkunft sind (Odysseus ist von außen nach Germanien gekommen), während in c. 2,1 mit fuisse keine direkte Bewegung ausgedrückt wird (Herkules befand sich in Germanien). Nach der Meinung von Much ist Germaniae terras an dieser Stelle ”ein weiterer Begriff …, als früher Germania omnis.,105 da Asciburgium linksrheinisch gelegen ist. Weil aber durch die Hinzufügung von omnis der weitere Begriff Germania auf das freie Germanien eingegrenzt wurde [s. c. 1,1], liegt an dieser Stelle (ohne omnis) der ‚normale‘ Germanienbegriff vor, der auch die linksrheinischen germanischen Provinzen umfassen kann. 105 Much 1967: 85. 106 Zum Ort vgl. RGA 1: 452-454. 107 Vgl. etwa Rasch 2005: 156-157. 108 Zur Auflösung des -s als -burg vgl. Bach II,1: 26-27; RGA 1: 454; zur lat. Endung (-burgo oder -burgum) vgl. Wagner 1987a: 41-42. 109 In den Hss. finden sich nur wenig Schreibvarianten: zum einen kommt -t- statt -c- vor, zum anderen endet der Name in E auf -burgu (= -burgum) anstelle von -burgium. 110 Die älteste Erwähnung dieses Ortes findet sich in einer Urkunde aus den Jahren 809 bis 814, und zwar als Astburg, das wohl (mit hyperkorrekter Schreibung von -t- für -c-) für *Ascburg steht; vgl. RGA 1: 452. 111 Zur Etymologie des Namens vgl. RGA 1: 453-454. 112 Vgl. EWA I: 360-363. Weiter verbreitet ist allerdings der a-St. urgerm. *aska- ‚Esche, Speer (aus Eschenholz)‘ in ahd. as. asc, mndl. asch, aisl. askr; vgl. auch lat.-germ. Ascomanni ‚pyratae, Wichingi‘ (Ad. Brem. 2,31: classem pyratarum, quos nostri Ascomannos vocant ‚ eine Flotte der Wikinger … wir sprechen von ”Schiffsleuten.‘) und Ascarii ‚Speerleute‘ (Not. dign. 5: Ascarii seniores. Ascarii iuniores … Honoriani ascarii seniores; ebd. 7: Ascarii Asciburgiumque, quod in ripa Rheni situm] Der Ortsname Asciburgium106 wird bei Tacitus auch noch hist. 4,33,1 genannt: rapiunt in transitu hiberna alae Asciburgii sita ‚im Handstreich nahmen sie [= Kohorten des Civilis] das Lager einer Reiterschwadron bei Asciburgium‘. Nach den Angaben des Tacitus liegt der Ort auf dem linken Rheinufer (am Niederrhein) und dient als Militärstation. Ptol. 2,11,13 lokalisiert ihn dagegen auf der rechten Seite des Rheins: ....ß..p.... ‚Asciburgium‘ [AG 1, 186-187]. Da bei Ptolemaios noch andere Ortschaften von der linken Seite der Rheins (aus Germania inferior) auf die rechte Seite (in die Gepµa..a µe....) gelegt werden,107 hat diese Lokalisierung kein Gewicht. Der Ort wird ebenfalls noch auf der Tabula Peutingeriana (inter Novaesium et Vetera Asciburgia ‚Asciburgia, zwischen Novaesium [= Neuß] und Vetera [= Xanten]‘) und beim Geogr. v. Rav. 4,24 (Asciburgio) erwähnt; beim Geogr. v. Rav. 4,26 findet sich zusätzlich noch Ascis, was für Asciburg° steht.108 Der Ort besaß Auxiliarkastelle aus augustischer, tiberischer und claudischer Zeit. Der Ortsname Asciburgium109 ist mit dem jetzigen Ort Asberg (bei Moers) zu identifizieren.110 Es liegt ein eindeutig germ. Name vor,111 dessen Vorderglied Asci- als ‚Esche‘ zu bestimmen ist. Die konsequente Schreibung mit dem Fugenvokal -i- setzt wohl einen urgerm. i-St. *aski- ‚Esche‘, übertragen ‚Speer (aus Eschenholz)‘ voraus,112 der zum Honoriani seniores … Ascarii seniores. Ascarii iuniores; ebd. 32: auxilia ascarii). Denkbar wäre lediglich noch ein neutrales Kollektiv urgerm. *ask.a- (vgl. aisl. eski ‚Eschenwald, Eschenholz; Speer; Schachtel‘), wobei der Fugenvokal unter Einfluss des Typs lat. agricola eingetreten wäre, wie dies auch etwa bei lat.-germ. Hari-gasti oder Hari-mella < urgerm. *.ar.a- ‚Heer‘ geschehen ist (vgl. Wagner 2002: 96). 113 Vgl. Lühr 1982: 700-703. 114 Vgl. Krahe – Meid 1969: III,22. 115 Vgl. EWA II: 457-460; Lühr 2000: 191-192; Casaretto 2004: 39-40. 116 In den Hss. CcpQ.ft ist hodie statt hodieque überliefert. 117 Vgl. etwa Kühner – Stegmann II,2: 15; Much 1900: 140; Gudeman 1916: 62; Schweizer-Sidler 1923: 10; Reeb 1933: 21; Much 1967: 87; Lund 1988: 121 (”wie die Klassiker schreiben.); Anderson 1997: 50. 118 Die Bedeutung von quoque hat -que in hodieque seit Velleius Paterculus. 119 Nur E liest (offenbar) fehlerhaft colitur. 120 Vgl. Robinson 1991: 94 ; Perret 1997: 72. 121 Robinson 1991: 277. Dort werden auch folgende Parallelbeispiele angeführt: Tac. ann. 2,60,2: quem indigenae ortum aput se et antiquissimum perhiobent eosque, qui postea pari virtute fuerint, in cognomentum eius adscitos ‚den [= Herkules] die Eingeborenen behaupten, er sei bei ihnen geboren und der Ihrige sei der Älteste; diejenigen, die später gleich heldenhafte Männer gewesen seien, hätten dann von ihm ihren Namen bekommen‘; ebd. 15,64,3: Seneca … Statium Annaeum … orat provisum pridem venenum, quo damnati publico Atheniensum iudicio extinguerentur, promeret ‚Seneca bat Statius Annaeus, das längst vorbereitete Gift zu holen, mit dem die vom Volksgericht der Athener Verurteilten hingerichtet wurden‘. 122 Kühner – Stegmann II,2: 291. 123 Kühner – Stegmann II,2: 200. 124 .......G... findet sich in WcCQBETdvormonabr (jedoch fehlerhaft geschrieben in vabr), eine Lücke im einen durch ae. æsc ‚Esche‘ (mit i-Umlaut), zum anderen durch den Dat.Pl. asckim im Hildebrandslied (Z. 59) bestätigt wird.113 Das Hinterglied -burgium ist eine Kollektivbildung mit dem Suffix uridg. *-.o-,114 zum Wort urgerm. *burg- ‚Burg, Ort‘ (> got. baurgs, ahd. as. ae. afries. burg, aisl. borg).115 hodieque incolitur] Nach allgemeiner Meinung ist hodieque116 als hodie quoque aufzufassen,117 also als ‚auch heute noch‘.118 Diese Auffassung ist allerdings nicht notwendig, da zum einen hodie schon ‚noch heute, noch gegenwärtig, noch bis heute‘ bedeuten, zum anderen situm als situm est aufgefasst werden kann. Es ist somit ebenso gut möglich, eine Konstruktion wie bei Liv. 5,4,14 anzunehmen: Etruriam omnem adversus nos concitare voluerunt hodieque id moliuntur ‚ganz Etrurien haben sie gegen uns aufwiegeln wollen und arbeiten auch heute noch darauf hin‘. In den Hss. Wmh ist anstelle von incolitur der übrigen Hss.119 die Form incolatur überliefert.120 Lediglich Robinson geht auf diese Varianz ein und wählt den Konjunktiv incolatur, da dieser seiner Meinung nach die lectio difficilior sei.121 Da die Bestimmung im Nebensatz zwar ”rein objektiv als wirklich bezeichnet. wird,122 aber nicht ”als Gedanke einer anderen Person … hingestellt werden soll.,123 ist dem Indikativ (zumal hss. am besten bezeugt) hier der Vorzug zu geben. nominatumque ........G...] Von einigen Herausgebern und Interpreten wurde das griechische Wort ....p.p...., das nicht einheitlich überliefert ist,124 als ein Glossem Text liegt in hmDwlAceezRu vor, ohne Lücke dagegen in tbs (in b von zweiter Hand am Rand deest; in s am Rand von anderer Hand grecum); vgl. Robinson 1991: 277; Perret 1997: 72. 125 Zuest von Wölfflin 1867: 160; u.a. gefolgt von Gudeman 1916: 62; Schweizer-Sidler 1923: 10; Reeb 1933: 21; Perl 1990: 82; Robinson 1991: 277; Perret 1997: 72; Anderson 1997: 50-51; Rives 1999: 78, 125-126. Eine Lücke lässt Müllenhoff 1900: 139-140 stehen. 126 So die meisten Kommentatoren, die für die Streichung des gr. Wortes sind. Verfehlt ist dagegen ein zweites Argument, dass sich bei Müllenhoff 1900: 140 findet: Römische Gelehrte hätten durch Umschrift des germ. Namens kein Argument finden können, eine Gründung durch Odysseus zu ‚beweisen‘. Es liegt jedoch keine Umschrift, sondern eine Interpretation (s.o.) des germ. Namens vor. Falsch auch Gudeman 1916: 62: ”Den echten, barbarischen Ortsname … hat. T. wie antike Kunstschriftsteller überhaupt, als stilwidrig vermieden., da Asciburgium ein germ. Name ist. 127 Vgl. auch Much 1967: 87-89; Lund 1988: 121; Lillge 1916. 128 Vgl. Lund 1988: 121. aufgefasst und dementsprechend getilgt.125 Als Argument für die Tilgung wird angeführt, dass Tacitus kein griechisches Wort (in griechischen Buchstaben) in seinem Text zugelassen haben könne.126 Unterstützt werde die Streichung zusätzlich durch Parallelbeispiele wie: Herakl. 3,2: . ..p ..... t. pa.a... .... p.te p.... .f’ ....... … ...... te .a. ..t.... ‚denn Hellas wurde, einst eine Stadt seiend, ehemals nach Hellen genannt und mit Ansiedlern bevölkert‘; Isid. orig. 15,1,62: Taras Neptuni filius fuit, a quo Tarentum civitas et condita et appellata est ‚Taras war Neptuns Sohn; von ihm wurde die Stadt Tarent gegründet und (nach ihm) benannt‘; ebd. 15,1,70: Olisipona ab Ulixe est condita et nuncupata ‚Olisipona wurde von Ulixes gegründet und (nach ihm) benannt‘. Jedoch steht die Argumentation für die Tilgung nur auf schwachen Füßen.127 Denn das gr. Wort ist nicht von Tacitus, sondern von denjenigen, die behaupten, dass Asciburgium von Odysseus gegründet wurde, eingeführt worden. Nun wurde der Ortsname von diesen Gelehrten offensichtlich aus gr. ....p.p.... hergeleitet, das als Zusammensetzung von ..... ‚lederner Schlauch‘ und p.p... ‚Turm, Burg‘ interpretiert wurde. Der Name wäre dabei als ‚Windsackburg‘ zu umschreiben und dient somit für diejenigen, die Odysseus‘ Anwesenheit in Germanien behaupten, als argumentum etymologicum. Ohne das gr. Wort bliebe der Textpassus ohne entsprechenden ‚Beweis‘. Auch die angeführten Parallelbeispiele sind nicht beweiskräftig, da bei ihnen der Ortsname jeweils aus dem Namen des Gründers abgeleitet werden kann, bei Asciburgium jedoch nicht. Dazu kommt noch,128 dass nominare nur mit zwei Objekten die Bedeutung ‚benennen‘ aufweist. Das gr. Wort ist somit in dem Text zu belassen. aram quin etiam Ulixi consecratam adiecto Laertae patris nomine] Das Wort ara wird manchmal als ‚Denkstein‘ verstanden.129 Jedoch benutzt Tacitus das Wort nur als ‚Altar‘.130 Diese Bedeutung wird ebenfalls vom Verb consecrare ‚weihen‘ gefordert.131 Das bekräftigende quin etiam wird von Tacitus immer nachgestellt. 129 So etwa Müllenhoff 1900: 140; unentschieden Much 1967: 89. 130 Vgl. Gerber – Greef 1962: I, 93-94. 131 Vgl. Gudeman 1916: 62-63. Die Bedeutung ‚errichten‘ (so Baumstark 1875: 199; Müllenhoff 1900: 140) hat das Verb nicht. 132 So u.a. Müllenhoff 1900: 140; Gudeman 1916: 63; Schweizer-Sidler 1923: 10; Reeb 1933: 21; Sörbom 1935: 82; Lund 1988: 121; Perl 1990: 83; Anderson 1997: 51. 133 So u.a. Baumstark 1875: 198-199; Much 1967: 89. 134 In diesem Fall handelt es sich um ein doppeldeutiges Ulixi, da beide Lesarten gleichzeitig möglich sind. Umstritten ist, wie der Dativ Ulixi aufzufassen ist: als ‚von Ulixes‘ (dativus auctoris)132 oder als ‚dem Ulixes‘ (dativus commodi).133 Nun ist zwar ein dativus auctoris beim PPP consecratus nicht ungebräuchlich (wie generell beim Passiv), jedoch zeigt der Zusatz adiecto Laertae patris nomine an, dass auch der Name Ulixes auf dem Altar genannt war. Dies kann nur bedeuten, dass der Altar dem Ulixes geweiht war. Von wem der Altar geweiht wurde (wohl von Ulixes selbst;134 theoretisch möglich ist aber auch eine Weihung von dessen Mannschaft oder von der Bevölkerung), spielt dabei natürlich keine Rolle, da es sich sowieso um eine von griechisch-römischen Gelehrten erfundene Sache handelt. Nach Strab. Geogr. 3,5,5-6 p. 171C war es für Reisende Brauch, Altäre, Säulen oder Gedenksteine aufzustellen, um den entferntesten Punkt ihrer Reise zu markieren: ....a.dp.. d. t.. ..d.... .tpate.a. .p.a ß.µ... ..et. .. t... t.p... e.. ... ..t.t... .f..et. t.. pp.. ta.. ..at..a.. ..d.. µ.µ..µe... t.. .pa...a .a. t.. ......... .. µ.. d. t. .... t..t. ‚und Alexander hat in der Nachfolge des Herakles und des Dionysos als Grenzmarken seines indischen Feldzuges Altäre an die äußersten Stellen bei den östlichen Indern gesetzt die er erreicht hatte. Es hat also freilich diesen Brauch gegeben‘ (am bekanntesten sind wohl die Säulen des Herkules, vgl. Lucan. 3,278-279: et Herculeis aufertur gloria metis, / oceanumque negant solas admittere Gades ‚dadurch verlieren die Säulen des Herakles ihren Ruhm, und man darf sagen, daß nicht nur Gades den Ozean einlasse‘). Auch Solin unterstützt seine Behauptung über Odysseus‘ Anwesenheit in Schottland mit der Errichtung eines Altars (Solin. 22,1: Ulixem Calidoniae appulsum manifestat ara Graecis litteris scripta ‚dass Ulixes nach Caledonia verschlagen ist, zeigt ein Altar deutlich, beschrieben mit griechischen Buchstaben‘), so dass eine Verbindung zwischen beiden ‚Beweisführungen‘ auf der Hand liegt (vielleicht stammen beide aus derselben Quelle). Der Versuch, hinter diesem ‚Beweis‘ eine Realität (etwa gallische Inschriften mit einem an Ulixes oder Laertes anklingendem Namen) zu finden,135 muss scheitern, da es sich hierbei um gelehrte Konstruktionen handelt. eodem loco olim repertam] Das Wort olim, das in Gegensatz zu adhuc (s.u.) steht und sich auf eine fernere Vergangenheit bezieht, zeigt an, dass Tacitus den ganzen Bericht für unhistorisch hält. 135 So etwa Reeb 1933: 21; ähnlich Schweizer-Sidler 1923: 10. Gegen solche Versuche vgl. Much 1967: 89-90. 136 Anders offenbar Baumstark 1875: 210: ”Die Partikel que verbindet den Satz … et dagegen verbindet die zwei Wörter.. 137 Falsch ist somit die Annahme bei Gerber – Greef 1962: II, 1682; ebenso Lund 1988: 121: ”als ein weiteres Argument für einen Besuch des Odysseus in Germanien in der Urzeit postulierten einige Antiquare ….. 138 So etwa Müllenhoff 1900: 141; Schweizer-Sidler 1923: 10; Reeb 1933: 21; Much 1967: 90; Perl 1990: 83; Anderson 1997: 51. 139 Baumstark 1875: 210; Gudeman 1916: 63; überwogen auch bei Much 1967: 90 (in dem Zusatz von Jankuhn). 140 Anders nur Baumstark 1875: 210: ”Monumenta sind aber überhaupt ‚Denkmäler‘, wie jene ara Ulixi consecrata Eines war.. 141 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 54. 142 So etwa Norden 1959: 207-209; Gudeman 1916: 63; Schweizer-Sidler 1923: 10; Reeb: 1933: 125; Rives 1999: 126-127. Denn dann muss davon ausgegangen werden, dass Plinius der Ältere der Urheber dieser Geschichte ist, was unwahrscheinlich ist, eben weil er in Germanien war und er ”hardly have confused Etruscan with Greek script. (Anderson 1997: 52). 143 Die nordetruskischen Alphabete sind aus der griechischen Schrift hergeleitet; aus diesem Grund ist Städele 1991: 310 (”Dies [= Kenntnis griechischer Buchstaben] ist für die Räter … nicht wahrscheinlich.) nicht ganz zutreffend. monumentaque et tumulos quosdam Graecis litteris inscriptos in confinio Germaniae Rhetiaeque] Wie auch in c. 1,1 trennt -que et diesen Satzteil stärker vom Vorhergehenden.136 Daher haben die Grabdenkmäler und Grabhügel auch nichts mehr mit Odysseus gemein137 (wie auch die Lokalisierung dieser Inschriften zeigt), sondern werden lediglich unter dem Stichwort ‚Griechen in Germanien‘ gesehen. Umstritten ist das Verhältnis zwischen monumenta und tumuli. Teils wird angenommen, dass beide Wörter einen Begriff bezeichnen (‚Grabdenkmäler‘),138 teils, dass der erstere Begriff durch den zweiten ”spezielleren genauer umgrenzt wird..139 Die letztere Meinung ist nun insofern richtig, da sonst nicht erkennbar wäre, dass es sich bei den monumenta um Grabmäler handelt (vgl. zur Bedeutung ‚Grabdenkmal‘ für monumentum auch c. 27,1), was wegen tumulos kaum strittig sein kann.140 quosdam gehört mit Attraktion zu den beiden voranstehenden Substantiven.141 Die Inschriften, die aus dem Grenzgebiet zwischen Rätien und Germanien stammen und in griechischer Schrift geschrieben sind, sind wohl nicht als gallische Inschriften in griechischer Schrift,142 sondern als die rätischen Inschriften in nordetruskischem Alphabet143 zu identifizieren.144 Da diese jedoch nicht so weit nördlich gefunden sind, ist davon auszugehen, dass die Angabe aus gelehrten Nachrichten aus der Zeit stammt, in der die Südgrenze Germaniens noch die Alpen waren (vgl. zu c. 1,1).145 144 Vgl. Schumacher 2004. 145 Ebenso Much 1967: 91. 146 So auch Baumstark 1875: 211. Es ist somit nicht notwendig, aus opinantur ein Verb wie affirmant zu extrahieren (so etwa Gudeman 1916: 63; Much 1967: 91). 147 So etwa Schweizer-Sidler 1923: 10. Gudeman 1916: 73 nimmt sogar an, dass sich quae auf alles ab celebrant (c. 2,2) bezieht. 148 So etwa Baumstark 1875: 211-212; Lund 1988: 121. adhuc extare] Diese Angabe steht in Gegensatz zu olim repertam (s.o.). Alle Infinitivsätze hängen von quidam opinantur ab.146 3 quae] Umstritten ist, ob sich quae auf alles, was in c. 3 genannt wurde,147 oder nur auf c. 3,2148 bezieht. Da sich nun ab ceterum in c. 3,2 wegen des Subjektwechsels eine Zäsur befindet, liegt es nahe, quae nur auf die Meinung der römisch-griechischen Gelehrten zu beziehen. neque confirmare argumentis neque refellere in animo est] Die Wendung ist wohl Liv. praef. 6 entlehnt: ea nec adfirmare nec refellere in animo est ‚das möchte ich weder als richtig hinstellen noch zurückweisen‘ (vgl. auch Liv. 5,21,9: quam ad fidem neque adfirmare neque refellere est operae pretium ‚und es ist nicht der Mühe wert, sie zu bestätigen oder zu widerlegen‘). Solche Sätze, die den Zuhörer einen Urteilsspielraum lassen, – obwohl der Historiker die Behauptungen wegen ihrer Historizität ablehnt –, gehören zum Formelschatz der antiken Geschichtsschreibung. Der älteste Beleg hierfür findet sich bei Hdt. 2,123,1: t.... µ.. ... .p’ ....pt... .e..µ...... .p.... .te. t. t..a.ta p..a.. ..t.. .µ.. d. pap. p..ta [t..] ..... .p..e.ta. .t. t. .e..µe.a .p’ ....t.. .... .p.f. ‚wer an diesen Bericht der Ägypter glauben will, soll es tun. Ich habe bei der ganzen Darstellung nur die Absicht, alles das niederzuschreiben, was man mir jeweils mitgeteilt hat‘; ebd. 5,45,2: ta.ta µ.. ... ...tep.. a.t.. µapt.p.a .p.fa....ta.. .a. p.pe.t., ...t.p.... t.. pe..eta. a.t.., t..t.... pp....p.e.. ‚das sind die Beweise, die beide Parteien anführen. Jeder mag sich denen anschließen, die ihn überzeugen‘. ex ingenio suo] Dies steht in Gegensatz zu der Ich-Aussage in c. 4: ipse. quisque demat vel addat fidem] addere fidem statt dare fidem findet sich häufig (vgl. bei Tacitus noch hist. 1,14,1: et prospera de Pisone fama consilio eius fidem addiderat ‚und der gute Ruf Pisos hatte seinem Vorschlag noch mehr Gewicht verliehen‘; ebd. 3,39,1: addidit facinori fidem notabili gaudio ‚er machte diese Schandtat noch glaubhafter durch seine … deutlich merkbare Freude‘), demere fidem dagegen selten (vgl. bei Tacitus noch hist. 2,50,2: vulgatis traditisque demere fidem non ausim ‚ich würde es doch nicht wagen, dem, was allgemein verbreitet und überliefert ist, den Glauben zu versagen‘; ann. 4,9,1: vero quoque et honesto fidem dempsit ‚tilgte er auch den Glauben an den wahren und ehrlichen Kern seiner Worte‘). Mit vel wird dem Leser/Zuhörer die Freiheit der Entscheidung gelassen.149 149 Vgl. zu diesem Gebrauch Kühner – Stegmann II,2: 108-109. KAPITEL 4 1 Ipse eorum opinionibus accedo, qui – arbitrantur] Hiermit nimmt Tacitus den Gedankengang aus c. 2,1 wieder auf,1 so dass sich eine geschlossene Struktur der c. 2 bis 4 ergibt.2 Diese Einheit wird dabei durch die Anfangsstellung des Pronomens ipsos in c. 2,1 und ipse in c. 4 zum Ausdruck gebracht. 1 Man vgl. etwa Baumstark 1875: 214-215; Gudeman 1916: 63; Schweizer-Sidler 1923: 10; Norden 1959: 45; Wille 1983: 72; Lund 1988: 121-122; Perl 1990: 140-141; Anderson 1997: 53. 2 Man vgl. zum Aufbau der c. 2-4 etwa Norden 1959: 42-46; Wille 1983: 71-73; Urban 1989: 82-83; Lund 1991a: 1871-1883. 3 Einige Hss. (abrlezuARce) bieten demgegenüber die Lesart Item (vgl. Robinson 1991: 212). Wie diese zustande gekommen ist, bleibt unklar, da keine Abkürzungsverwechselung in Frage kommt und dem Sinn nach item kaum möglich ist. 4 So u.a. Baumstark 1875: 214; Anderson 1997: 53; Benario 1999: 67. 5 Vgl. Perl 1990: 140. 6 Anders etwa Urban 1989: 82: ”um sie … zu Beginn von Kap. 4 ausdrücklich zu bekräftigen.; Perl 1990: 140: ”Im Gegensatz zu dem vorsichtigen crediderim 2,1 bezieht er in derselben Frage jetzt entschieden Stellung, als ob ihn die angeführten Argumente aus der Geschichte überzeugt hätten.. 7 So zuerst Meiser 1871: 36-37. 8 Vgl. etwa Perl 1990: 82-83, der zwar opinionibus im Text belässt, dies in der Übersetzung aber mit ‚Ansicht‘ wiedergibt (ebenso Fuhrmann 1995: 8-9). Das Pronomen ipse3 selbst steht jedoch nicht in Gegensatz zu c. 3,3: quisque,4 sondern nimmt vielmehr die Wendung c. 3,3: ex ingenio suo wieder auf (ipse = ex ingenio meo), wodurch sich Tacitus automatisch in Gegensatz zu den in c. 3,2 nicht näher genannten quidam stellt.5 Tacitus schließt sich also mit seiner in c. 2,1 geäußerten Meinung denjenigen an, die für eine Unvermischtheit der Germanen eintreten. Jedoch ist er auch hier (nicht anders als in c. 2,1) wieder zurückhaltend (vgl. das Verb accedere),6 was ebenfalls daraus hervorgeht, dass die im Folgenden durch Tacitus referierten Argumente sämtlich von den Befürwortern der Unvermischtheit und nicht von Tacitus selbst stammen; daher sind auch alle nachfolgenden Sätze von opinionibus accedo abhängig. Wer diese Vertreter für die Unvermischtheit der Germanen sind, ist nicht näher bestimmbar. Der Plural opinionibus wurde früher teilweise zum Singular opinioni emendiert,7 und zwar mit der Begründung, dass die Behauptung der Unvermischtheit der Bevölkerung Germaniens eine Ansicht sei.8 Da die hss. Überlieferung aber keinen Anlass für diese Emendation gibt (opinionibus ist einheitlich überliefert) – zumal auch beim Plural ein Hiat vermieden wird –,9 hat sie zu Recht kaum Nachfolger gefunden.10 Die zumeist gebotene Erklärung des Plurals scheint aber kaum stichhaltig zu sein: ”der Plural … erklärt sich wohl nur, wenn Tac. die verschiedenen Ausführungen seiner Gewährsmänner im Auge hatte..11 Doch haben verschiedene Ausführungen und Begründungen der einen Ansicht keinen Einfluss auf die Zahl der Ansichten selbst. Zutreffender scheint daher die Begründung bei Müllenhoff zu sein: ”er steht, weil Tacitus an die einzelnen gelehrten denkt..12 Diese Ansicht wird auch durch Plin. nat. 7,39 gestützt: contra priscorum opiniones ‚obwohl die Alten das Gegenteil behaupten‘, wo es sich ebenfalls nur um eine einzige Meinung handelt, die jedoch ebenfalls von mehreren vertreten wird (vgl. auch Sen. benef. 6,43,1: in magnis erroribus sunt, qui ingentis animi credunt proferre, donare, plurium sinum ac donum inplere ‚in großem Irrtum befinden sich, die es für ein Zeichen der Großmut halten, zu fördern, zu schenken, vieler Menschen Tasche und Haus zu füllen‘; Val. Max. 1,6,9: sollemnique sacrificio uoluntates deorum exploraret ‚und mit einem feierlichen Opfer wollte er den Willen der Götter erkunden‘). 9 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 11. 10 Man vgl. schon Baumstark 1875: 215: ”An dem Plural … Anstoss zu nehmen, ist das nicht grosse Verdienst von Meiser.. 11 Much 1967: 93 (so auch zitiert bei Lund 1988: 122); ähnlich auch Gudeman 1916: 64 (”die verschiedenen … geäußerten Ansichten.); Schweizer-Sidler 1923: 10 (”Meinungsäußerungen.); Reeb 1933: 21 (”der [verschieden begründeten] Meinung.). Unklar ist, was Baumstark 1875: 215 mit ”er spricht also auch von subjectiven opinionibus. genau meint. Die bei Lund 1988: 122 angeführten Stellen sind nicht beweiskräftig, da es sich hier um jeweils verschiedene Meinungen handelt. 12 Müllenhoff 1900: 142; ebenso Norden 1959: 44: ”Ich selbst schließe mich denen an, nach deren Dafürhalten ….; Robinson 1991: 277: ”that Tacitus was thinking of his individual authorities.; Anderson 1997: 53: ”an opinion expressed by various authorities.. Zum Plural bei der Beziehung eines Begriffs auf mehrere Personen vgl. Kühner – Stegmann II,1: 77-79. 13 Vgl. ThLL IX,2: 720,53-70. 14 Anders Lund 1988: 40, der annimmt, dass populus gebraucht wird ”um einzelne größere ethnische Gruppen von entsprechenden anderen abzugrenzen.. 15 Baumstark 1875: 215 (ebenfalls von Lund 1988: 122 akzeptiert) meint: ”je größer indessen die Zahl der voneinander unabhängigen populi Germaniae war, desto grösser war die Gefahr und die Möglichkeit, dass connubia aliarum nationum stattfanden.. 16 Vgl. Much 1967: 93. Falsch dagegen Gudeman 1916: 64: ”statt gentes.. Der Ausdruck eorum opinionibus …, qui … arbitrantur ist abundant.13 Germaniae populos] Mit dem Wort populi werden ebenso wie in c. 1,2 kleinere (hier jedoch germanische) Einheiten bezeichnet.14 Da hier alle Germanen gemeint sind,15 steht populi (vgl. auch c. 29,3: Germaniae populos ‚zu den Völkerschaften Germaniens‘) in derselben Geltung wie singularisches gens (vgl. etwa c. 2,2: originem gentis ‚Begründer ihrer Völkerschaft‘) bzw. Germanos (vgl. c. 2,1).16 Jedoch liegt hier kein Nachdruck auf voneinander unabhängige Völker. nullis aliis aliarum nationum conubiis infectos] Ab hier gibt es zum taciteischen Text eine Parallelüberlieferung aus dem Mittelalter, die jedoch, da sie nicht direkt aus der Germania des Tacitus schöpft, sondern wohl aus einem verloren gegangenen Werk mit dem anzunehmenden Titel Gesta Saxonum, keinen Einfluss auf die Textkonstitution der Germania hat.17 Die gesamte mittelalterliche Parallelüberlieferung ist im Anhang zusammengestellt.18 17 Vgl. Schuhmann 2003: 220. 18 Diese Zusammenstellung erfolgte, weil es bis auf Maßmann 1847: 220-232 keine gesamte Gegenüberstellung des taciteischen Wortlauts und der gesamten Parallelüberlieferung gibt. Zumeist wird nur der Wortlaut des Rudolf von Fulda abgedruckt. 19 Zuerst von Lipsius (vgl. die Angabe in Robinson 1991: 278); vgl. noch Norden 1959: 44. 20 Eine Auflistung aller Vorschläge, an denen sich bis heute kaum etwas geändert hat, findet sich bei Müllenhoff 1900: 142-143. Die Streichung von aliis wird lediglich noch von Anderson 1997: 53 verteidigt. Er nimmt an, dass ”a variant which arose by assimilation to nullis and found its way into the text. vorliegt. 21 So etwa Gudeman 1916: 64; Schweizer-Sidler 1923: 11; Robinson 1991: 278. 22 So etwa von Baumstark 1875: 218; Reeb 1933: 21; Benario 1999: 67. In die gleiche Richtung geht auch der Emendationsvorschlag von Pichena (vgl. Müllenhoff 1900: 142), der aliis alienigenarum konjizierte, was aber überflüssig ist. Beide Möglichkeiten vereint Much 1967: 94: ”Vielleicht wird alia durch den beigesetzten Genitiv nur verdeutlicht. Man könnte übersetzen: ‚durch Mischehen mit fremden Völkern‘.. 23 Vgl. Lund 1988: 122: ”Eine genaue Parallele für diese Verwendung von alius habe ich jedoch nicht gefunden.; die angeführten Stellen, die nach Lund ”eine gewisse Ähnlichkeit besitzen. sollen, sind kaum vergleichbar. 24 Vgl. auch Anderson 1997: 53: ”It cannot mean ‚foreign‘, for no one could say ‚by no foreign intermarriages with other people‘.. 25 Vgl. Much 1967: 93. 26 Perl 1983: 57-58: ”für ethnisch von den Germanen verschiedene Völker.. Der Umfang des Begriffes Volk bleibt bei Perl allerdings etwas unklar. Perl 1990: 130 spricht auch von den Kimbern als ‚Volk‘, wo wohl eher ,Volksstamm‘ im Sinne von ,Einzelstamm‘ in Frage käme. Man vgl. auch Anderson 1997: 45: ”while in c. 4,1 natio is used in the wider sense of gens.. 27 Lund 1988: 40: ”die gesamte Bevölkerungsgruppe eines bestimmten geographischen Raumes von anderen entsprechenden abgegrenzt.. 28 Reeb 1933: 21. So auch etwa Perret 1997: 72: ”tribus., Capelle 1929: 423: ”Stämmen.. Wie problematisch diese Früher wurde aliis teilweise aus dem Text gestrichen,19 da die von allen Hss. überlieferte Folge aliis aliarum eine gewisse Redundanz zu erhalten scheint. Jedoch ist diese Emendation wieder aufgegeben, obgleich die genaue Bedeutung der Folge nicht unumstritten ist.20 Zum einen wird angenommen, dass aliis zur Verstärkung von aliarum diene,21 zum anderen, dass aliarum im Sinne von alienarum als ‚fremd, nicht germanisch‘ zu verstehen sei.22 Nun lässt sich die letztere Verwendungsweise jedoch im Lateinischen nicht belegen,23 so dass diese Interpretation abzulehnen ist.24 Eine Erklärung der Folge aliis aliarum kann womöglich von dem Wort nationes her erfolgen, wobei zu beachten ist, dass aliarum nationum parallel – aber in Variation – mit aliarum gentium in c. 2,1 steht.25 Jedoch ist auch die genaue Bedeutung des Wortes natio an dieser Stelle umstritten. Sowohl Perl26 als auch Lund27 etwa gehen von der Bedeutung ‚Volk‘ aus. Dagegen fasste Reeb nationes hier (ebenso wie an den anderen Belegstellen) als ‚Völkerschaften‘ auf.28 Aus dem Plural ergibt sich Stelle ist, zeigt deutlich der Kommentar von Lund 1988: 122: ”Die Wörter gens, natio, populus treten in diesem Kapitel als echte Synonyme der Variation halber auf., während er in seinem Kommentar zu Germaniae populos offenbar populi nicht im Sinne von ‚Volk‘ deutet (ebd.: ”Germaniae populos) = Germaniae gentes, nationes. Der Kürze halber zitiere ich hier die prägnante Formulierung von A. Baumstark ...: ‚Je größer indessen die Zahl der voneinander unabhängigen populi Germaniae war ...‘.). 29 Tacitus weiß ja, dass sowohl Germanen nach Gallien, als auch Gallier nach Germanien eingewandert sind (c. 27,2 - 28), so wie er auch berichtet, dass er unsicher ist bezüglich der Zugehörigkeit der Peukiner, Veneter und Fennen zu den Germanen oder Sarmaten (c. 46,1). 30 Vgl. Gudeman 1916: 64. Zum reziproken Verhältnis von alius alium vgl. Kühner – Stegmann II,1: 616. 31 Nach Lund 1988: 122 aus ..daµ... ......, das sich in Hipp. aer. 18,1 findet (s.u.; vgl. Norden 1959: 55, 70) dagegen verweisen Müllenhoff 1900: 142, Gudeman 1916: 64 und Much 1967: 94 auf die Wendung .. ...a... ..... ...a.. bei Plat. Phaedr. 278b: .pe.ta e. t..e. t..t.. ....... te .a. .de.f.. .µa .. ...a.... ..... ...a.. .at’ ...a. ...f..a. ‚dann deren Söhne und Brüder, die gleichzeitig in anderen Seelen, wie es nur billig ist, entstehen‘); vgl. auch Robinson 1997: 278, der jedoch eine direkte griechische Vorlage (...... ..... ..... ..µ...) annimmt. 32 Lund 1988: 73. 33 Lund 1988: 122-123. jedenfalls kein Argument für einen bestimmten Bedeutungsansatz, da dieser sowohl als ‚Nachbarstämme‘ wie auch als ,Nachbarvölker‘ aufgefasst werden kann. Als Hinweis könnte jedoch dienen, dass natio ansonsten in der gesamten Germania nicht in der Bedeutung ,Volk (= Gesamtvolk)‘ vorkommt (s. c. 2,3; 14,2; 27,2). In diese Richtung weist auch der Umstand, dass die Germanen nicht gerade viele Nachbargesamtvölker hatten. Es wäre dabei vor allem an Gallier und Sarmaten zu denken.29 Somit kämen nur Eheverbindungen mit verschwindend wenigen anderen Völkern in Frage, während sich solche Verbindungen bei Zugrundelegung der Bedeutung ,Stamm‘ entsprechend vervielfältigen. Es liegt nun nahe, dass das – überraschende – Ausbleiben von Eheverbindungen mit den vielfältigen Nachbarstämmen auch in der Folge nullis aliis aliarum (nationum conubiis) enthalten ist, so dass diese Häufung in der Tat zum Nachdruck der Aussage dient.30 Mit dieser Verwendung ist auch Cic. off. 1,22 (7): ut ipsi inter se aliis alii prodesse possent ‚daß sie sich selber untereinander zu nützen vermöchten‘, Tac. dial. 10,4: ceteris aliarum artium studiis ‚den sonstigen Beschäftigungen mit anderen Künsten‘ und ebd. 30,3: ut omnem omnium artium varietatem complecteretur ‚um sich die ganze Mannigfaltigkeit aller Wissenschaften anzueignen‘ zu vergleichen. Unwahrscheinlich ist dagegen die Annahme einer von Tacitus geschaffenen Übersetzung aus dem Griechischen.31 Das Wort infectus wird von Lund mit ”entartet. wiedergegeben,32 was er folgendermaßen begründet: ”Es war nämlich eine bei den alten Römern weitverbreitete Auffassung, daß jede Veränderung der ursprünglichen Natur irgendeines Organismus oder Lebewesens, eine Degeneration oder Verschlechterung mit sich bringe..33 Auch nach Much ”spricht sich schon aus, daß die Germanen Tac. als das Edlere erscheinen..34 Jedoch hat das c. 4 nicht das Stattfinden oder Nichtstattfinden einer Degeneration der Germanen zum Inhalt. Auch sind die bei Lund angeführten Parallelbeispiele,35 die diese Degenerationsthese stützen sollen, nicht beweiskräftig, da in ihnen das Wort inficere nicht vorkommt. Dazu kommt noch, dass das Verb inficere nicht ”ein ‚in peius mutare‘. beinhaltet,36 zumal mit infectus die Fügung minimeque … mixtos aus c. 2,1 aufgenommen wird.37 34 Much 1967: 94. Vgl. auch etwa Lund 1988: 122-123: ”Es war nämlich eine bei den alten Römern weitverbreitete Auffassung, daß jede Veränderung der ursprünglichen Natur irgendeines Organismus oder Lebewesens, eine Degeneration oder Verschlechterung mit sich bringe.; Perl 1990: 141: ”Auf die Reinrassigkeit wird deshalb so großes Gewicht gelegt, da Vermischung als Degeneration angesehen wurde.; Städele 1991: 310: ”Wer ‚vermischt‘ ist, ist degeneriert.; Rives 1999: 127 ”The idea that the intermixture of peoples entailed degeneration was not unknown to the Romans.; Benario 1999: 67. 35 Lund 1988: 123. 36 Das Verbum inficio hat nichts mit einer Degeneration zu tun, sondern bedeutet ‚färben, benetzen, tränken, vergiften (aber nur mit Gift), anstecken (mit Krankheiten o.ä.)‘. Anders jedoch ThLL VII,1: 1414,34-78 (vgl. ebd. 1414,34-35: ”in malam partem (c. notione tam corrumpendi quam polluendi).; diese Stelle ebd. 1414,53-55. 37 Müllenhoff 1900: 143. So auch Norden 1959: 45: ”den aliarum gentium … hospitiis mixtos in A aliarum nationum conubiis infectos in C.; Anderson 1997: 53: ”infectos, probably to be taken as the equivalent of mixtos in c. 2,1 rather than in the bad sense of ‚tainted‘.. 38 So Perl 1990: 83: ”eigentümlich.; Anderson 1997: 54: ”peculiar.. 39 Lund 1988: 73. 40 So Lund 1988: 73, 123; ebenfalls bereits Norden 1959: 44. 41 Vgl. Georges 1988: II,2681-2682. 42 Vgl. Norden 1959: 54-55; Bringmann 1989: 65-67. propriam et sinceram et tantum sui similem gentem] Das Wort proprius ist nicht mit ‚einzigartig‘ wiederzugeben, sondern vielmehr mit ‚eigenartig, eigentümlich‘,38 da ‚einzigartig‘ eine Einmaligkeit impliziert.39 Auch die Übersetzung von sincerus mit ‚rasserein‘ ist kaum zutreffend,40 zumal es sich hier nicht um die (nazistische Idee der) Blutreinheit einer Rasse handelt, wie auch die bei Lund hierfür angeführte Parallelstelle aus Suet. Aug. 40,3 zeigt: sincerum atque ab omni colluvione peregrini ac servilis sanguinis incorruptum servare populum ‚das Volk unverfälscht zu halten und durch keine Vermischung mit fremden oder Sklavenblut zu verderben‘, da auch Sklaven zur selben Rasse gehören können. Die Bedeutung von sincerus ist ‚ungeschminkt, echt, natürlich, wirklich; aufrichtig, rechtschaffen; schmutzlos, unbefleckt, unversehrt, gesund; unverdorben; unvermischt, bloß‘.41 Auch hier liegt also eine nähere Erläuterung von minimeque … mixtus aus c. 2,1 vor. Inhaltlich stammt die Wendung tantum sui similem gens letztendlich aus der griechischen Ethnographie.42 Sie ist zuerst bei Hipp. aer. 18,1 in Bezug auf die Skythen belegt, obwohl man aus dem Text vielleicht entnehmen kann, dass sie ursprünglich für die Ägypter geprägt wurde:43 pep. d. t.. ...p.. ....... t.. µ.pf.., .t. a.t.. ...t..... ....a.. .a. ..daµ..... ........, ..t.. ..... .a. pep. t.. ....pt... ‚für die Gestalt der übrigen Skythen gilt dasselbe wie für die Ägypter, nämlich daß sie nur sich selbst und keinem anderen Volk gleichen‘; ebd. 19,1: p... .p...a.ta. t.. ...p.. ...p.p.. t. ........ ..... .a. ....e. a.t. ...t. ..pep t. ....pt... ‚die Skythische Rasse sehr von den anderen Menschen verschieden ist und (nur) sich selbst gleicht, ebenso wie die Ägypter‘ (vgl. auch Dion. Hal. ant. 1,30,1: t..t. µ.. d. t. te.µ.p.. .p.µe.... .t.p... e..a. pe...µa. t.. S.pp.... t... .e.a..... ‚ich bin der Meinung, dass die Pelasger, durch dieses Merkmal gefärbt, von den Tyrrenern unterschieden sind‘). Ob allerdings ebenfalls eine direkte sprachliche Übernahme vorliegt, bleibt unklar,44 da schon bei Plaut. Trin. 284 derselbe Ausdruck begegnet: malus bonum malum esse uolt, ut sit sui símilis ‚der Schlechte will, daß auch der Gute werde schlecht, damit er gleich ihm sei‘ (so ebenfalls Cic. Lael. 82 [22]: par est autem primum ipsum esse virum bonum, tum alterum similem sui quaerere ‚richtig ist es jedoch, zuerst einmal selbst ein sittlich guter Mensch zu sein und dann nach einem wesensgleichen Mitmenschen zu suchen‘; Tac. hist. 1,38,1: accersit ab exilio, quem tristitia et avaritia sui simillimum iudicabat ‚hat er aus der Verbannung den Mann herbeigeholt, den er wegen seines finsteren Wesens und seiner Habgier für ganz seinesgleichen erachtete‘). 43 Vgl. Norden 1959: 55; Bringmann 1989: 66. 44 Bemerkenswert ist übrigens die Tatsache, dass in der spätlat. Übersetzung von Hipp. aer. die Wendungen nicht mit tantum sui similis, sondern mit sibi ipsi similant und simile sibi wiedergegeben werden (vgl. Grensemann 1996: 144, 146). 45 Vgl. Steidle 1965: 81-88. Es liegt bei diesem Ausdruck somit zwar ein Wandermotiv vor, jedoch keine mechanische Übernahme eines Topos, was daraus hervorgeht, dass es sich hier um eine gegen andere Auffassungen stehende Meinung handelt, der Tacitus sich anschließt.45 So beschreibt denn auch Strab. Geogr. 7,1,2 p. 290C die Germanen anders: e.... t..... t. p.pa. t.. ..... µet. t... .e.t... pp.. t.. .. .e...µ..a Gepµa... ..µ..ta., µ..p.. ..a...tt..te. t.. .e.t.... f.... t. te p.e..a.µ. t.. ..p..t.t.. .a. t.. µe...... .a. t.. .a...t.t.., t...a d. papap...... .a. µ.pfa.. .a. ..e.. .a. ß.... ..te., ..... e.p..aµe. t... .e.t.... d.. d. .a. µ.. d...... ..µa... t..t. a.t... ....a. t....µa .. .. ........ Ga..ta. fp..e.. ß....µe... (....... ..p .. .epµa... .at. t.. ..µa... d...e.t..) ‚gleich denn das auf der anderen Seite des Rheins nach den Kelten gen Osten reichende Gebiet bewohnen die Germanen; sie unterscheiden sich ein wenig - durch größere Wildheit, Statur und Blondheit – von dem keltischen Stamm, sind aber im übrigen in Gestalt, Sitten und Lebensweise ähnlich wie wir die Kelten geschildert haben: deshalb scheinen mir die Römer ihnen auch diesen Namen gegeben zu haben, als hätten sie sie als echte Galater bezeichnen wollen (in der Sprache der Römer bedeutet ‚Germanen‘ nämlich ‚die Echten‘)‘. Der erste Autor, der die Germanen von den Kelten eindeutig unterscheidet, ist Caes. Gall. 6,11,1: non alienum esse videtur de Galliae Germaniaeque moribus et, quo differant hae nationes inter sese, proponere ‚scheint es mir nicht unangebracht zu sein, die Bräuche Galliens und Germaniens zu schildern und dabei auf die Punkte einzugehen, in denen sich diese Stämme voneinander unterscheiden‘; ebd. 6,21,1: Germani multum ab hac consuetudine differunt ‚die Germanen haben ganz andere Bräuche [als die Gallier]‘. Dennoch hat Caesar die Germanen nicht ‚erfunden‘46 (in wieweit Caesar dabei auf Poseidonios zurückgreift [vgl. Athen. 4,153e: Gepµa... d., .. ..t.pe. ...e.d..... .. t. tp.a...t., .p..t.. pp..f.p..ta. .p.a µe..d.. .pt.µ..a .a. .p.p...... ...a .a. t.. ..... ..pat.. ‚die Germanen aber essen – wie Poseidonios im 30. Buch (seiner Historien) berichtet – als Frühstück Fleischstücke, die gliedweise gebraten sind; dazu trinken sie Milch und ungemischten Wein‘ (AG 1, 70-71)] bleibt unklar), sondern lediglich die korrekte Trennung der Germanen von den Kelten vorgenommen.47 46 So etwa Lund 1996. 47 Vgl. auch RGA 11: 188-190. 48 Vgl. Georges 1988: I,2612; Baumstark 1875: 241; ThLL V,2: 1873,31-1876,26. 49 Vgl. Lund 1988: 123. 50 Vgl. Lund 1988: 123. 51 In den Hss. Bbc ist corporum ausgefallen, C liest habitus cõrporu qo; (vgl. Annibaldi 1910: 50). extitisse] Da das Perfekt von exsisto auch einfach ‚sein‘ bedeuten kann,48 ist die Meinung von Lund, die Form extitisse drücke aus, ”daß die Germanen selbst als lebendige Monumente ihrer isolierten Vergangenheit existieren, was ihre Ursprünglichkeit in Germanien dokumentiert.,49 kaum zutreffend. unde] unde hat hier kausale Funktion.50 Die folgende Feststellung erklärt sich somit aus dem Vorhergehenden. habitus quoque corporum]51 Die Junktur habitus corporum (vgl. auch Tac. Agr. 11,2: positio caeli corporibus habitum dedit ‚daß der gleiche Himmelstrich den Körpern … das gleiche Aussehen verlieh‘; Colum. 6,1,1: quoniam pecudes pro regionis caelique statu et habitum corporis … gerunt ‚weil die Tiere je nach Landschaft und Klima unterschiedliche Statur … haben‘; Quint. inst. 1,4,25: quae ex habitu corporis ‚Rufos’ ‚Longosque’ fecerunt ‚welche nach der körperlichen Beschaffenheit einen zum ‚Rufus‘ und ‚Longus‘ gemacht haben‘), die dem griechischen Ausdruck ..µ.t.. .ata..e.a. entspricht (vgl. Strab. Geogr. 4,2,1 p. 189C: .p... ..p e.pe.. .. ....ta... d.af.p.... t.. Ga.at.... f.... .at. te t.. t.. ..µ.t.. .ata..e... .a. .at. t.. ...tta. ‚im allgemeinen gesprochen unterscheiden die Aquitanier sich sowohl in ihrem Körperbau als in ihrer Sprache von dem galatischen Stamm‘), steht für das äußere Erscheinungsbild der Germanen, das bei allen einheitlich ist. In Gegensatz zur üblichen Meinung52 ist habitus in c. 46,1 anders verwendet (sordes omnium ac torpor procerum conubiis mixtis nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur ‚nimmt die Armseligkeit aller [= der Peuciner bzw. Bastarnen], dazu mangelnde Entschlusskraft der Vornehmen aufgrund ihrer Mischheiraten Züge des abstoßenden Zustands der Sarmaten an‘); näher steht dagegen – trotz Müllenhoff53 – die Verwendung von habitus in c. 31,2: plurimis Cathorum hic placet habitus ‚Recht vielen Chatten gefällt dieses ihr Äußeres‘. 52 Vgl. etwa Gudeman 1916: 64; Lund 1982: 845-846; Lund 1988: 123. 53 Müllenhoff 1900: 143. 54 Hierzu vgl. ausführlich Schuhmann 2003. 55 Vgl. Perret 1950: 51-52; Robinson 1991: 123. Aus dieser Aufstellung wird klar, dass die Behauptung von Maurer 1953: 125: ”in unsern Tacitushandschriften ist ebenso gut tamquam statt quamquam überliefert. nicht richtig ist (ähnlich auch Axelson 1944: 47). 56 In den Text genommen von: Norden 1920: 522; Schweizer-Sidler 1923: 11; Halm 1930: 224; Reeb 1933: 22 (als tam quam; vgl. 21: tam [idem] quam); Koestermann 1970: 8; Önnerfors 1983: 4; Lund 1988: 72, 123; Perl 1990: 84; Lund 1991a: 1881; Städele 1991: 82; Robinson 1991: 278; Anderson 1997: 7, 54. 57 Vgl. etwa Robinson 1991: 278: ”By the canon of the lectio difficilior this [= tamquam] is preferable to the variant quamquam.; Lange bei Much 1967: 98: ”tamquam … als lectio difficilior.; Perret 1950: 52: ”Tamquam, lectio difficilior … est sûrement la leçon authentique.. 58 So etwa bei Holtzmann – Holder 1873: 30; Baumstark 1875: 228; Müllenhoff 1900: 143: Gudeman 1916: 64; Lenchantin de Gubernatis 1949: 5; Fehrle – Hünnerkopf 1959: 18; Much 1967: 92 (dagegen scheint Lange auf S. 98 die Variante tamquam vorzuziehen). 59 Vgl. Axelson 1944: 47-56 und Önnerfors 1958: 46 in Nachfolge von Person 1913 und 1927; diese Auffassung wird auch von Hofmann – Szantyr 1972: 597 (”Das umstrittene einschränkende tamquam bei Tac. Germ. 4,1 … wird mit Recht … verteidigt.) gutgeheißen. quamquam] Die Stelle beinhaltet ein textkritisches Problem,54 da in den Hss. sowohl quamquam wie tamquam wie auch beides zusammen überliefert ist (quamquam in ETbormon.tfabrlezuRAcesh, tamquam in CQmv, tamquam am Rande od. übergeschrieben quamquam cW, quamquam am Rande tamquam Bpd).55 Von den meisten Herausgebern wird tamquam bevorzugt,56 weil dies die lectio difficilior sein soll.57 Zusätzlich werde diese Lesart durch ihre Bezeugung bei Rudolf von Fulda (s. Anhang) gestützt. Lediglich selten findet sich dagegen die Lesart quamquam.58 Nach der Meinung derjenigen, die tamquam bevorzugen, soll dieses restriktive Bedeutung haben.59 Diese Bedeutung wird mit einer Parallelstelle bei Tacitus, nämlich hist. 1,8,1 zu bestätigen gesucht: et hic quidem Romae, tamquam in tanta multitudine, habitus animorum fuit ‚das jedenfalls war die Stimmung in Rom, wie es eben bei einer derartigen Menschenmenge natürlich ist‘. Jedoch ist diese Stelle, wie Maurer zu Recht bemerkt hat, kaum vergleichbar: ”und dort [= in den Historien] ist ein adversativer Sinn, wie wir ihn an der Germania-Stelle am ehesten erwarten würden, ebenso unmöglich, wie es unmöglich ist, die Germania-Stelle so zu verstehen, wie man die Historien-Stelle für sich am ehesten erwarten würde, nämlich kausal: möchte man dort lesen ‚wie zu erwarten war‘ …, so müßte es hier heißen ‚wie man es nicht erwarten sollte‘! Auch B. AXELSONs scharfsinniger Versuch … noch einmal … an diesen beiden und an verwandten Stellen ein einheitliches ‚restriktives tamquam‘ = ‚soweit möglich‘ zu erweisen, überzeugt nicht..60 Ein restriktives tamquam lässt sich somit nicht beweisen. Da auch die Form tamquam bei Rudolf v. Fulda nicht beweiskräftig ist – weil sie ihre Ursache in dem hinzugefügten pene hat61 –, ist quamquam im Text zu behalten. Diese Lesart ergibt denn auch den gewünschten Sinn.62 Tacitus nimmt nämlich an, dass die Germanen als eine tantum sui similem gentem extitisse. Als beweiskräftig hierfür gilt eben auch ihr Äußeres, das bei allen gleich sei, und dies, obwohl die Germanen ein so zahlreiches Volk seien; eine Tatsache, die durchaus Zweifel hätte aufkommen lassen können.63 60 Maurer 1953: 126. 61 Vgl. Schuhmann 2003: 215. 62 Dies geben auch diejenigen zu, die tamquam in den Text nehmen, vgl. Lund 1988: 123: ”Die Variante quamquam ist jedoch auch sinnvoll.; Perl 1990: 141: ”die Variante quamquam ‚trotz ihrer so großen Menschenzahl‘ wäre aus Sicht der Theorie sogar konsequenter.; Maurer 1953: 126: ” ja gerade die Unvermischtheit der Germanen dartun.; vgl. zu Recht Gudeman 1916: 240: ”der Sinn … spricht aber entschieden zugunsten von quamquam.. 63 Vgl. hierzu auch Baumstark 1875: 229. 64 Gudeman 1916: 240. Eine solche Verschreibung liegt in den Germania-Handschriften ansonsten allerdings nicht vor. 65 Lund 1991b: 2034. 66 So Billanovich 1956: 332-336. 67 Vgl. vor allem Anderson 1997: 54: ”The variant quamquam would be pleonastic with in, which by itself has a concessive meaning.. 68 Ebenso Baumstark 1875: 229. Das hss. Nebeneinander kann unterschiedlich erklärt werden. Zum einen könnte eine Verschreibung von quam- zu tam- angenommen werden, da erstens ”beide … auch sonst häufig, ebenso wie tam und quam, tantum und quantum, verwechselt ..64 Zum anderen hätte auch ”das nachstehende tanto sehr leicht quamquam in tamquam … verwandeln können..65 Und schließlich könnte, da das Alter der Verschreibung nicht gesichert werden kann, auch ein Einfluss der oben angeführten Historien-Stelle angenommen werden.66 in tanto hominum numero] Die Präposition in wird in der Regel (nämlich von denen, die tamquam in den Text setzen) in konzessiver Funktion aufgefasst.67 Jedoch spricht nichts dagegen, in hier örtlich zu deuten.68 tantus steht hier in absoluter Verwendung. Zur Aussage ist auch c. 19,1: in tam numerosa gente zu vergleichen ‚angesichts einer so zahlreichen Bevölkerung‘, wo tam ebenfalls absolut verwendet wird. Die übertriebene Darstellung der germanischen Bevölkerungszahl kommt in der antiken Literatur häufig vor; vgl. etwa Caes. Gall. 8,7,5: Germanorum … quorum … multitudo esset infinita ‚Germanen, … deren Zahl unermesslich groß sei‘; Vell. 2,95,2: numero frequentes ‚zahlenmäßig stark‘; Isid. orig. 14,4,4: haec terra dives virorum ‚diese Land ist reich an Männern‘. Ebenso wird auch die Soldatenzahl einzelner germanischer Heere, die immer in die Zehntausendende geht, zu hoch angegeben; vgl. die Angabe in c. 33,1: super sexaginta milia … ceciderunt ‚mehr als sechzigtausend fielen‘; Caes. Gall. 2,4,5: plurimum inter eos Bellovacos et virtute et auctoritate et hominum numero valere: hos posse conficere armata milia centum, pollicitos ex eo numero electa milia sexaginta ‚die Bellovacer [= ein belgischer Stamm] seien die kriegstüchtigsten unter ihnen und den anderen an Bevölkerungszahl und Einfluß überlegen: Sie könnten 100 000 Bewaffnete stellen und hätten davon 60 000 besonders ausgewählte zugesagt‘; ebd. 4,1,4: hi centum pagos habere dicuntur, ex quibus quotannis singula milia armatorum bellandi causa suis ex finibus educunt ‚er [= der Stamm der Sueben] soll aus 100 Gauen bestehen, deren jeder jährlich jeweils ein Heer von 1000 Mann aufstellt, um außerhalb ihres Gebietes in den Krieg zu ziehen‘; Suet. Tib. 9,2: Raetico atque Vindelico gentis Alpinas, Pannonico Breucos et Dalmatas subegit, Germanico quadraginta milia dediticiorum traiecit in Galliam iuxtaque ripam Rheni sedibus adsignatis conlocavit ‚im Raetischen Krieg und im Krieg gegeh die Vindeliker unterwarf er die Alpenvölker, im Pannonischen Krieg die Breuker und Dalmater, im Germanischen bvrachte er 40 000 Unterworfene über den nach Gallien, an dessen Ufer er ihnen Wohnsitze anwies‘; Vell. 2,109,2: exercitumque, quem LXX milium peditum, quattuor equitum fecerat ‚sein [= Ariovists] Heer, das er auf die Stärke von 70 000 Fußsoldaten und 4000 Reitern gebracht hatte‘ (AG 2, 118-119); Eutr. 7,9,1: Germanorum ingentes copias cecidit … quo bello XL captivorum milia ex Germania transtulit ‚er [= Augustus] schlug gewaltige Heerhaufen der Germanen … In jenem Krieg überführte er aus Germanien 40 000 Gefangene‘ (AG 2, 26-27). Die Zahl der Germanen im ersten Jh. n.Chr. wird heute dagegen insgesamt auf zwischen einer und fünf Millionen geschätzt.69 69 Vgl. hierzu u.a. KP 2: 763; Todd 2000: 5. Nicht nur die Zahl der Germanen, sondern auch anderer Völker werden in der Antike zu hoch angesetzt, vgl. etwa Hdt. 4,108,1: ...d.... d., ..... ... µ..a .a. p..... ‚die Budinen sind ein großes und zahlreiches Volk‘; Veg. mil. 1,1,3: quid enim adversus Gallorum multitudinem paucitas Romana valuisset? ‚was war denn die Wenigkeit der Römer gegen die Masse der Gallier wert?‘. idem omnibus] Vgl. zur Formulierung Iuv. 13,166: haec illis natura est omnibus una ‚diese ihre Natur ist ihnen [= den Germanen] allen gemeinsam‘. Früher wurde zwischen idem omnibus interpunktiert, was auch in einigen Hss. (pQtfBdvo) der Fall ist.70 Die Hss. bus trennen dagegen nach omnibus, während die restlichen Hss. an dieser Stelle nicht interpunktieren.71 Wie aus dem Verhalten der Hss. B und b hervorgeht, liegt hierbei jedoch keine alte Interpunktierung vor. Zwar sind beide Varianten an sich möglich, doch ist zum einen die Wirkung des zu idem gezogenen omnibus stärker,72 zum anderen spricht auch die Juvenalstelle für diese Interpunktion.73 70 Vgl. hierzu die Angaben bei Maßmann 1847: 52. 71 Vgl. Robinson 1991: 263. 72 Vgl. Müllenhoff 1900: 143. 73 Vgl. Baumstark 1875: 227. 74 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991: 123; Perret 1997: 72. 75 Im ThLL III: 103,71 sind beide Wörter denn auch unter einem Lemma aufgeführt (”caeruleus, caerulus.). 76 Vgl. ThLL III: 103,83-104,15. Daher kann auch die Auffassung von Baehrens 1880: 268 (von Robinson 1991: 278 gutgeheißen) nicht gefolgt werden, der für caerulus eintrat, da nach ihm dieses Wort das Poetische und Seltenere wäre; vgl. auch Till 1943: 89. 77 Nicht heranzuziehen sind die poetischen Zeugnisse über das Aussehen der Augen bei Much 1967: 101-102 (zu Recht verworfen von Lange in Much 1967: 101-102), wie bereits Baumstark 1875: 227 bemerkt, da es sich dabei um die Charakterisierung der Augen von Adligen handelt, hier aber um die Augen aller Germanen. truces et caerulei oculi] In den Hss. findet sich neben caerulei auch die Form caeruli (caerulei übergeschr. li E, caeruli übergeschr. lei B, caeruli vel lei d, caeruli bvor, caerulei Cc.ptf, crudeli am Rande cerulei Q, caeruli am Rande cerulei W, cerulei mabrlezuARces, ceruli h).74 Die hss. Verteilung legt nahe, dass beide Wörter bereits im Codex Hersfeldensis vorhanden waren. Es ist aber kaum möglich, die originäre Lesart festzustellen (zwischen beiden Formen gibt es keinen Bedeutungsunterschied75), da zum einen bei Tacitus sowohl caeruleus bzw. caerulus nur hier vorkommen würde, zum anderen keines der beiden Wortformen auf eine bestimmte Literaturgattung beschränkt ist.76 Da caerulei die besser bezeugte Lesart ist, ist sie hier vorgezogen. Die Augen der Germanen sind zweifach charakterisiert, und zwar als trux und caeruleus.77 Die Junktur truces oculi kommt häufiger vor; vgl. etwa Cic. nat. 2,107 (= ds. Arat. 9,3): e trucibusque oculis duo feruida lumina flagrant ‚aus den trotzigen Augen flammen zwei glühende Lichter‘; Liv. 2,10,8: circumferens inde truces minaciter oculos ad proceres Etruscorum nunc singulos provocare ‚hierauf warf er drohend grimmige Blicke auf die etruskischen Adligen und forderte sie bald einzeln zum Kampf heraus‘; Val. Max. 5,1 ext. 6: et truces hostium … oculos ‚und die trotzigen Augen der Feinde‘; Sen. Oed. 921: vultus furore torvus atque oculi truces ‚die Miene wutentstellt, die Augen trotzig‘; ebd. 962-963: at contra truces / oculi steterunt ‚doch trotzig starrten seine Augen ihm entgegen‘; Petron. 113,6: sed obliquis trucibusque oculis utrumque spectabam ‚sondern sah beide mit grimmigen Seitenblicken an‘ (vgl. auch Sen. oct. 22: hostilem animum vultusque truces ‚ihren feindseligen Sinn und ihre trotzigen Mienen‘). Sie meint, dass der Bick der Augen grimmig oder drohend ist. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass der Anblick solcher Augen unerträglich ist, was auch durch Caes. Gall. 1,39,1 zum Ausdruck gebracht wird: praedicabant – saepe numero sese cum his congressos ne vultum quidem atque aciem oculorum dicebant ferre potuisse ‚sie [= die Gallier] erklärten, … wenn sie mit ihnen [= den Germanen] des öfteren zusammengestoßen seien, hätten sie nicht einmal die Mienen und den scharfen Blick ihrer Augen aushalten können‘; vgl. auch die Angabe bei Amm. 21,13,15: quod, si uentum fuerit comminus, ita pauore torpescent, ut nec oculorum uestrorum uibratae lucis ardorem … perferant primum ‚daß sie, wenn es zum Handgemenge kommt, vor Furcht so gelähmt sein werden, daß sie weder den Glanz des züngelnden Lichts in euern Augen … ertragen können‘. Dasselbe wird auch von den Galliern ausgesagt, vgl. Amm. 15,12,1: luminumque toruitate terribiles ‚ihr Blick ist furchterregend‘. Das Adjektiv caeruleus wird häufiger zur Beschreibung der Augenfarbe verwendet, auch die Augenfarbe der Germanen wird so beschrieben; vgl. Hor. epod. 16,7: nec fera caerula domuit Germania pube ‚auch Germanien nicht mit dem Trotz blauäugiger Jugend‘; Iuv. 13,164: caerula quis stupuit Germani lumina …? ‚wer bestaunt die blauen Augen des Germanen …?‘; Auson. biss. 3,9-10: sic Latiis mutata bonis, Germana maneret / ut facies, oculos caerula, flava comas ‚wurde so durch Latiums Güter verändert, daß germanisch blieb ihr Aussehen: die Augen himmelblau, rotblond die Haare‘; Sidon. epist. 8,9,5: istic Saxona caerulum videmus ‚dort sahen wir den Sachsen mit den blauen Augen‘. caeruleus wird zumeist mit ‚blau‘ übersetzt.78 Jedoch 78 Vgl etwa Büchner 1985 : 151 ; Lund 1988 : 73; Perl 1990: 85; Städele 1991 : 83 ; Fuhrmann 1995 : 9 ; Rives 1999: 78. 79 Vgl. auch André 1949: 164: ”bleu-ciel (foncé).; vgl. auch die Bedeutungsumschreibungen im ThLL III: 103,72-75. bezeichnet es mehr als eine helle Farbe, eine, die ins Dunkle übergeht (‚dunkelblau‘, ‚schwarzblau‘).79 Neben caeruleus werden zur Farbbeschreibung der Augen der im Norden Lebenden von den antiken Schriftstellern auch die Wörter caesius (vgl. Vitr. 6,1,3: oculis caesis ‚mit … blauen Augen‘), glaucus (vgl. Sidon. epist. 8,9,5: hic glaucis Herulus genis vagatur ‚hier schweift der Heruler mit den blauen Augen‘; vgl. ds. carm. 5,240 zur Beschreibung der Kentauren: lumine glauco ‚mit blauem Auge‘) und .ap.p.t.. (vgl. Plut. mar. 11,5: t... µe...e.. t.. ..µ.t.. .a. t. .ap.p.t.t. t.. .µµ.t.. ‚wegen ihrer [= der Kimbern] gewaltigen Körpergröße und der helle Farbe ihrer Augen‘ [AG 1, 238-239]) gebraucht. Daneben kommt auch noch ..a...p.. (vgl. Gell. 2,26,19: nostris autem veteribus ‚caesia’ dicta est, quae a Graecis ..a...p.., ut Nigidius ait, ‚de colore caeli quasi calia’ ‚unsere alten Vorfahren nannten die ..a...p.. der Griechen caesia, wie Nigidius (Figulus) sagt, von der Farbe des Himmels, als ob es gleichbedeutend wäre mit ‚caelia‘‘)vor. rutilae comae] Das Wort rutilus wird sonst zur Beschreibung der germanischen Haarfarbe kaum verwendet, jedoch nimmt Tacitus in Agr. 11,2 wegen den rutilae comae bei den Einwohnern Caledoniens germanische Herkunft an (namque rutilae Caledoniam habitantium comae … Germanicam originem asseverant ‚denn das rötliche Haar … der Bewohner Caledoniens sprechen für germanische Abkunft‘; vgl. auch Lucan. 10,129-131: pars tam flavos gerit altera crines, / ut nullis Caesar Rheni se dicat in arvis / tam rutilas vidisse comas ‚andere waren ganz blond, so daß Caesar sagte, er habe am Rhein keine so rötlichen Locken gesehen‘). Das abgeleitete Verb rutilare wird dagegen mehrmals für das Färben der Haare verwendet, sowohl für die Germanen selbst, wie vornehmlich für die Römer/Römerinnen, vgl. Plin. nat. 28,191: prodest et sapo, Galliarum hoc inventum rutilandis capillis ‚von Nutzen ist auch ”Seife., eine Erfindung aus Gallien zum Rotfärben der Haare‘ (AG 1, 122-123); vgl. hierzu auch Tert. cult. fem. 2,6,1: video quasdam et capillum croco uertere. pudet eas etiam nationis suae quod non Germaniae atque Galliae sint procreatae ‚ich sehe, dass manche Frauenpersonen ihrem Haar durch Safran eine andere farbe geben. Sie schämen sich sogar ihrer Herkunft, dass sie nicht in Deutschland oder Gallien geboren sind‘. Das Wort rutilus wird neben der Farbangabe für Haare auch verwendet, um die Farbe eines fulgor ‚Blitz‘ und thorax ‚Harnisch‘ zu bezeichnen. Die als rutilius benannte Farbe ist daher kein reines Rot, sondern ein ins Gelbe oder Goldene gehendes Rot. Von den antiken Schriftstellern werden in der Regel aber andere Wörter benutzt, um die germanische Haarfarbe zu bezeichnen, nämlich flavus (vgl. etwa Auson. biss. 3,10: flava comas ‚rotblond die Haare‘; Lucan. 2,51-52: fundat ab extremo flavos Aquilone Suebos / Albis et indomitum Rheni caput ‚die Elbe und die unbezwungene Mündung des Rheins sollen aus dem hohen Norden Schwärme blonder Sueben aussenden‘; Manil. 4,715-716: flava per ingentes surgit Germania partus, / Gallia vicino minus est infecta rubore ‚rotblond erhebt sich Germanien mit ungeheueren Söhnen, Gallien ist vom benachbarten Rot etwas schwächer gezeichnet‘; Mart. 6,61,3-4: sic leve flavorum valeat genus Usiporum / quisquis et Ausonium non amat imperium ‚genauso möge das unzuverlässige Volk der blonden Usiper gedeihen und alle, die gegen Ausoniens Herrschaft sind‘; Plin. nat. 2,189: flavis promissas crinibus ‚lange blonde Haare‘; Iuv. 13,164-165: quis stupuit … flavam / caesariem et madido torquentem cornua cirro? ‚wer bestaunt … das blonde, sich in fettiger Locke zu Hörnern drehende Haar?‘), rufus (vgl. etwa Mart. 14,176,1: sum figuli lusus russi persona Batavi ‚die Spielerei eines Töpfers bin ich, die Maske eines rothaarigen Batavers‘; Sen. dial. 5,26,3: nec rufus crinis et coactus in nodum apud Germanos uirum dedecet ‚nicht entstellt rotes Haar, gebunden zu einem Knoten, bei den Germanen den Mann‘; Vitr. 6,1,3: directo capillo et rufo ‚mit … geraden und rötlichen Haaren‘), auricomus (vgl. Sil. 3,608: iam puer auricomo praeformidate Batavo ‚schon als Knabe gefürchtet von goldgelockten Batavern‘) und .a.... (vgl. etwa Prok. BV 1,2,4: .e.... te ..p .pa.te. t. ..µat. e... .a. t.. ..µa. .a.... ‚sie haben alle weiße Hautfarbe und blonde Haare‘; Strab. Geogr. 7,1,2 p. 290C: t. … p.e..a.µ. … t.. .a...t.t.. ‚durch größere Blondheit‘). Mit denselben Ausdrücken wird auch die Haarfarbe der Gallier bezeichnet; vgl. etwa Liv. 38,17,3: promissae et rutilatae comae ‚lang herabfallende rötliche Haare‘; Diod. 5,28,1: ta.. d. ..µa.. .. µ.... .. f..e.. .a...., .... .a. d.. t.. .ata..e... .p.t.de...... a..e.. t.. f...... t.. .p.a. .d..t.ta ‚ihr Haar aber ist blond und dies nicht nur von Natur aus, sie bemühen sich vielmehr, auch durch künstliche Behandlung noch die auffallende natürliche Färbung zu steigern‘. magna corpora] Man vergleiche zur Aussage auch c. 20,1: in hos artus, in haec corpora, quae miramur ‚zu jenem Gliederbau, zu jener Körpergröße …, die unser Staunen erregen‘. Da die Germanen (wie auch die Gallier [zur Größe der Gallier vgl. etwa: Caes. Gall. 2,30,4: nam plerumque omnibus Gallis prae magnitudine corporum suorum brevitas nostra contemptui est ‚da sie selbst alle so groß sind, verachten uns die Gallier meistens wegen unseres kleinen Wuchses‘; Strab. Geogr. 4,4,2 p. 195C: t.. d. ß.a. t. µ.. .. t.. ..µ.t.. ..t. µe..... ..t.., t. d’ .. t.. p....... ....a.. d. .at. p..... ..d... d.. t. .p.... .a. a....a.t.. ‚ihre Gewalt rührt teils von ihren Körpern her, die groß sind, teils von ihrer Menge; und durch ihre Offenheit und Direktheit strömen sie leicht massenweise zusammen‘; Diod. 5,28,1: .. d. Ga..ta. t... µ.. ..µa... e.... e.µ..e.. ‚die Gallier haben Körper von ansehnlichem Wuchs‘; Liv. 5,44,4: cui natura corpora animosque magna magis quam firma dederit ‚dem die Natur zwar große Körper und großen Mut, aber nur wenig Ausdauer gegeben hat‘; ds. 38,17,3: procera corpora ‚schlanke Körper‘]) im Durchschnitt größer als die Römer waren, findet sich die Angabe ihrer auffallenden Größe häufig in der antiken Literatur, wie etwa in Tac. hist. 4,14,1: est plerisque procera pueritia ‚die meisten Knaben [= Bataver] sind hochgewachsen‘; ebd. 5,14,2: Germanos … proceritas corporum attollit ‚die Germanen … halten sich dank ihres schlanken Körperwuchses über Wasser‘; ebd. 5,18,1: inmensis corporibus ‚dank ihrer ungeheuren Körpergröße‘; ds. Agr. 11,2: magni artus ‚die gewaltigen Glieder‘; ds. ann. 1,64,2: procera membra ‚hochgewachsene Leiber ‘; Caes. Gall. 1,39,1: qui ingenti magnitudine corporum Germanos … esse praedicabant ‚sie erklärten beharrlich, die Germanen seien von ungeheurer Körpergröße‘; ebd. 4,1,9: et immani corporum magnitudine homines efficit ‚und bringt Menschen von ungeheurer Körpergröße hervor‘; Vell. 2,106,1: immensa corporibus ‚ihrer gewaltigen Körper‘ (AG 2, 40-41); Manil. 4,715: flava per ingentis surgit Germania partus ‚rotblond erhebt sich Germanien mit ungeheueren Söhnen‘; Colum. 3,8,2: Germaniam decoravit altissimorum hominum exercitibus ‚Germanien hat [das Gesetz der Fruchtbarkeit] durch Heere riesiger Menschen geziert‘ (AG 1, 130); Ios. bell. Iud. 2,16,4(§376): t.. .µ.. ... .... pape...fe. t. Gepµa... p.....; ..... µ.. ..p .a. µe.... ..µ.t.. e.dete d.p.. p......., .pe. pa.ta... ..µa... t... t..t.. a..µa..t... ....... ‚wer von euch hat nicht von der großen Zahl der Germanen gehört? Die Kraft und Größe ihrer Körper habt ihr wahrlich oft gesehen, da die Römer überall Kriegsgefangene von ihnen habe‘ (AG 2, 258-259); ds. ant. Iud. 19,1,15(§120): ..µa.... te t... ..µa.. ‚körperlich sind sie stark‘; Veg. mil. 1,1,4: quid adversus Germanorum proceritatem brevitas potuisset audere? ‚was konnte unsere Kurzheit gegen die hochragenden Germanen wagen?‘; Flor. epit. 1,45,12: sed illa inmania corpora quo maiora erant, eo magis gladiis ferroque patuerunt ‚doch je größer die gewaltigen Leiber (der Germanen) waren, um so leichteres Ziel boten sie unseren Waffen‘ (Quellen 3, 176-177); Vitr. 6,1,3: inmanibus corporibus ‚mit ungeheuer großen Körpern‘; als Beispiel einer Übertreibung bei Quint. inst. 8,5,24: ut de Germanis dicentem quendam audivi: ‚caput nescio ubi impositum’ ‚wie ich denn jemanden von den Germanen habe sagen hören: ”Wo ihr Haupt sitzt, weiß ich nicht.‘; Sidon. epist. 8,9,5: hic Burgundio septipes ‚hier der Burgunder, sieben Fuß lang‘. Nach Lund betont Tacitus mit dieser Beschreibung ”das aggressive Äußere und somit auch die Aggressivität der Germanen., so dass es Tacitus ”auch um den Charaktertyp. gehe.80 Diese Auffassung ist allerdings aus dem Text heraus nicht zu bestätigen, da in c. 4 nur von physischen, nicht von psychischen Merkmalen die Rede ist.81 80 Lund 1991a: 1881. 81 Vgl. auch Lund 1991a: 1882: ”Die Aggressivität bezeugt vor allem das drohende Erscheinungsbild (truces et caerulei oculi, rutilae comae).. Mag dies für trux vielleicht noch Gültigkeit besitzen, für caeruleus und rutilus kann diese Interpretation kaum in Erwägung gezogen werden. 82 Bringmann 1989: 67. Es liegen bei der Beschreibung der Germanen durchweg Formulierungen der antiken Ethnographie vor, die alle u.a. auch in Bezug auf die Gallier ausgesagt (s.o.) und sekundär auf die Germanen übertragen wurden, wie auch Strab. Geogr. 7,1,2 p. 290C denn auch lediglich einen graduellen Unterschied zwischen den Kelten und Germanen feststellt: µ..p.. ..a...tt..te. t.. .e.t.... f.... ‚sie unterscheiden sich ein Wenig vom keltischen Stamm‘; vgl. zur traditionellen Formulierung auch Plin. nat. 6,88 über die Nachbarn der Insel Taprobane (= Ceylon): ipsos vero excedere hominum magnitudinem, rutilis comis, caeruleis oculis, oris sono truci, nullo commercio linguae ‚sie selbst aber überträfen die Größe von Menschen, hätten rötlich-blondes Haar, blaue Augen, eine schrecklich raue Stimme und keinen sprachlichen Verkehr‘. Da aber wohl erst Caesar die Germanen genau von den Kelten unterscheidet (die griechischen Ethnographen subsumieren auch nach Caesar die Germanen unter die Kelten), liegt hier eine römische Auffassung vor, die unter Verwendung einer traditionellen ethnographischen Formulierung vorgetragen wird. ”Tacitus trägt seine aus römischer, nicht aus griechischer Tradition stammende These unter Benutzung einer von griechischer Ethnographie geprägten Formulierung und im Rahmen einer traditionellen Fragestellung vor..82 et tantum ad impetum valida] Acidalius wollte das einhellig überlieferte et in sed abändern.83 Eine solche Emendation ist aber unnötig, da et einen Satzteil anreihen kann, ”der zu dem vorhergehenden inhaltlich im Verhältnis eines Gegensatzes steht..84 Derselbe Gedanke findet sich fast wörtlich in Tac. ann. 2,14,3: iam corpus ut visu torvum et ad brevem impetum validum, sic nulla vulnerum patientia ‚zudem seien die Germanen zwar körperlich schrecklich anzuschauen und für einen kurzen Angriff tüchtig, aber ganz unfähig, Wunden zu ertragen‘; inhaltlich ähnlich ist ferner Tac. hist. 2,32,1: festinationem hostibus, moram ipsis utilem ‚Eile … sei für die Feinde [= Germanen und andere], Zögern für sie selbst [= Römern] von Nutzen‘; Sen. dial. 3,11,3: Germanis quid est animosius? quid ad incursum acrius? ‚Germanen – was ist beherzter? Was beim Sturm heftiger?‘; Ios. ant. Iud. 19,1,15(§120): ..µ. d. .p...a. p.tp... ..t.. a.t..., ..pep .p..... e. t.... .t.p... ßapß.p.. d.. t. ....... .....µ.. .p.d..e..a. t.. p....µ...., ..µa.... te t... ..µa.. .a. t. pp.t. .pµ. ......te. t... p..eµ...., ... .. ..µ....., µe...a .at.p....te. ‚es ist ihre ererbte Art, ihre Wut auszulassen (in einer Weise), wie dies (selbst) bei gewissen anderen Barbaren, die diese Eigenheit haben und bei ihren Handlungen wenig überlegen, selten ist; körperlich sind sie stark und haben beim ersten Angriff große Erfolge, wenn sie auf Feine stoßen, wen immer sie dafür halten‘ (AG 2, 146-147); Cass. Dio 38,49,5: .te ... .µ.... ta.. ...t... t.. .f.d.. t. d.ap... .f.. ....t.. ‚da ja deren Standvermögen nicht so groß wie die Wucht ihrer Angriffe war‘ (AG 1, 312-313); Herodian. 8,1,3: ..e..... ..p µ....ta pp..ß...et., ..’ ..d....ta. t.. p..eµ... t.. pp.ta. .µß...., ..µ.e.de.. ..te. .a. e.t..µ.. .. .p..µ... µ... ‚sie [= Germanen] vor allem pflegte er [= Maximinus] nach vorne zu schicken, damit sie die ersten Angriffe der Feinde auffangen sollten, denn sie sind tapfer und waghalsig in der ersten Phase des Kampfes‘ (AG 2, 362-363). 83 Vgl. die Angabe bei Baumstark 1875: 233; Müllenhoff 1900: 145. 84 Kühner – Stegmann II,2: 27. Beispiele für diesen Gebrauch ebd. 27-28. Auch diese Eigenschaft wird von den Galliern berichtet; vgl. etwa Liv. 5,44,4: gens est, cui natura corpora animosque magna magis quam firma dederit;eor in certamen omne plus terroris quam virium ferunt ‚es ist eine Völkerschaft, der die Natur zwar große Körper und großen Mut, aber nur wenig Ausdauer gegeben hat. Daher bringen sie in jede Schlacht mehr Schrecken als Kampfkraft mit‘; ds. 7,12,11: ad hoc iis corporibus animisque quorum omnis in impetu vis esset ‚dessen ganze Stärke, was körperliche Leistungsfähigkeit und Kampfgeist angehe, im Angriff liege‘; ds. 10,28,3: Gallos primo impetu feroces esse ‚daß die Gallier beim ersten Ansturm ungestüm seien‘; ds. 38,17,7: si primum impetum, quem fervido ingenio et caeca ira effundunt, sustinueris, fluunt sudore et lassitudine membra ‚wenn man ihren ersten Angriff aushält, den sie mit glühender Begeisterung und in blinder Wurt vortragen, strömt ihnen der Schweiß über die Glieder, und sie ermatten‘; Frontin. strat. 2,1,8: Gallos … primo impetu praevalere ‚daß die Gallier … im ersten Anturm überlegen waren‘. Ein anderes Merkmal des germanischen Erscheinungsbildes berichtet Dion. Per. 285: .e... te f..a ..µ..ta. .pe.µa.... Gepµa... ‚ wohnen … weißhäutige Völker kriegswütiger Germanen‘ (AG 1, 198-199). laboris atque operum non eadem patientia] Das Wort patientia wird unterschiedlich bestimmt. Gudeman fasste patientia als Abl.sg. auf, wobei sunt atque expectamus prae magnitudine corporum zu ergänzen wäre.85 Insgesamt erscheint eine solche Deutung etwas gezwungen. Lund ist dagegen der Auffassung, dass patientia als Partizip verstanden werden müsse, wozu corpora zu ergänzen sei.86 Eine solche Interpretation scheint aber kaum denkbar, weil dabei eadem keine Funktion zukäme.87 Dazu kommt noch, dass Lund die Stelle nach der mehrheitlichen Auffassung, nach der patientia ein Nom.sg. ist, wozu iis est ergänzt werden muss,88 übersetzt: ”Für Arbeit und Strapazen haben sie keine Ausdauer..89 Letztere Deutung scheint denn auch die einfachste zu sein, und sie wird auch durch adversus sitim non eadem temperantia ‚dem Durst gegenüber zeigen sie nicht die gleiche Mäßigung‘ in c. 23 bestätigt.90 Jedoch ist zu bedenken, dass hier Meinungen anderer referiert werden, denen sich Tacitus anschließt; daher ist iis sit zu ergänzen. Zur losen Anknüpfung von patientia sei ebenfalls auf die oben zitierte Annalenstelle (Tac. ann. 2,14,3) verwiesen. 85 Gudeman 1916: 65. 86 Lund 1988: 124-125: ”denn wer patientia für ein Nomen hält, scheint damit zu rechnen, dass in Gedanken omnibus (sc. Germanis) ergänzt werden kann (vgl. oben idem omnibus).. patienta fassten bereits Ruperti und Döderlein (vgl. Müllenhoff 1900: 146) als Partizip auf. 87 So schon Müllenhoff 1900: 146: ”was ist aber dann mit eadem zu machen?.. 88 So etwa Baumstark 1875: 236-237; Schweizer-Sidler 1923: 12; Reeb 1933: 22; Anderson 1997: 55. 89 Lund 1988: 73. 90 Gudeman 1916: 65 verweist jedoch zur Begründung des Abl.sg.s auf diese Stelle in c. 23; dort erklärt er seine Auffassung aber nicht näher. Nach der üblichen Meinung sind labor und opus – die zusammen eine stehende Verbindung bilden (wobei labor der allgemeinere, opera der speziellere Begriff ist; vgl. etwa Tac. hist. 3,11,1: labore et opere fessae ‚durch Schanzarbeit erschöpft‘; ebd. 5,12,1: templum … labore et opere ante alios ‚der Tempel … ein mit größerem Arbeitsaufwand als alle anderen errichtetes Bauwerk‘; ds. ann. 1,20,2: vetus operis ac laboris ‚altgeworden bei Schanzarbeit und Strapazen‘; Cic. orat. 1,234: plus operae laborisque ‚mehr Mühe und Arbeit‘; Verg. Aen. 11,183: extulerat lucem, referens opera atque labores ‚hatte … wieder … Licht Aurora gebracht mit Werken und Mühsal‘; Liv. 5,2,6: in opere ac labore ‚bei mühsamer Schanzarbeit‘) – nur auf die kriegerischen Mühen bezogen.91 Jedoch könnte dies zu eng gefasst sein,92 wie die dreiteilige, ins Negative führende Reihung vermuten lässt (tantum … valida – non eadem patientia – minime tolerare). Da im dritten Teil deutlich eine nicht- militärische Sache vorliegt, ist auch hier eine allgemeinere Aussage anzunehmen. Diese Annahme wird auch dadurch unterstützt, dass labor zwar für kriegerische Anstrengung stehen kann, aber kein militärischer terminus technicus ist. Ebenso könnte auch impetus weiter gedeutet werden.93 91 Vgl. etwa Baumstark 1875: 234-235; Gudeman 1916: 65; Much 1967: 105. 92 So auch Müllenhoff 1900: 146; vermutlich auch Schweizer-Sidler 1923: 12: ”ausdauernde, geduldige Arbeit.. 93 Dafür tritt auch Müllenhoff 1900: 146 ein: ”auch muss man sich hüten bei impetus nur an kriegerischen angriff zu denken: diese bedeutung wäre zu eingeschränkt.. 94 Die Lesart -m(t)t steht für -int, nicht für -unt (wovon Robinson 1991: 109 auszugehen scheint), wie aus mediam für inediam in m hervorgeht. 95 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991: 109; Perret 1997: 72-73. 96 Nur der frühe Druck k bietet assueverint (vgl. Hirstein 1995: 297). 97 Diese Erklärung findet sich bei Till 1943: 90. 98 Perret 1950: 52. 99 Robinson 1991: 109. minimeque sitim aestumque tolerare, frigora atque inediam – assueverint] In den Hss. findet sich ein Nebeneinander von assueverint und assue(ve)runt: assueuerint supra l. u E, assuerunt supra l. int B, assuerunt b, assueuerint brzuR, assueuerint s2 ex -runt corr. s, assueuerunt Whc.CpQtfdvoraleAce, assueuermtt94 (t priore loc. exp.) m.95 Diese Verteilung legt es nahe, dass beide Formen spätestens im humanistischen Archetyp vorlagen. Alle Herausgeber haben sich für die Form assue(ve)runt entschieden.96 Eine überzeugende Erklärung für die Variante -int konnte aber noch nicht geboten werden, da die Annahme einer falschen Auflösung97 wohl nicht zutrifft; vgl. Perret: ”il n’y a pas lieu d’évoquer une abréviation mal comprise: elle n’aurait pas donné naissance à la forme -rint, beaucoup moins fréquente que la forme -runt..98 Auch die Begründung von Robinson, dass ”the illegibility of the script … was responsible for the corrupt assueuerint.99 vermag nicht zu überzeugen, da dadurch das Nebeneinander beider Lesarten nicht erklärt werden kann. Da -int also nicht aus -unt erklärbar und der Konjunktiv die forma difficilior (”moins fréquente.) ist, ist assueverint in den Text aufzunehmen. Die Form ist auch inhaltlich vorauszusetzen, da Tacitus im gesamten c. 4 nur der Meinung derjenigen qui … arbitrantur folgt und deren Argumente referiert. Mit minime schließt die dreiteilige ins Negative führende Reihung, mit welcher die geringe körperliche Leidensfähigkeit der Germanen aufgewiesen ist, während dagegen der gesamte Satz antithetisch mit einem positiven Element endet. Zur Aussage vgl. etwa Tac. hist. 2,93,1: et adiacente Tiberi Germanorum Gallorumque obnoxia morbis corpora fluminis aviditas et aestus impatientia labefecit ‚und bei der Nähe des Tibers schwächten das gierige Verlangen nach dem Fluß und ihre Unfähigkeit, Hitze zu ertragen, die ohnehin für Krankheiten anfälligen Germanen und Gallier‘; ebenso ebd. 2,32,1: iam Germanos … tracto in aestatem bello, fluxis corporibus, mutationem soli caelique haud toleraturos ‚bald würden die Germanen –, wenn sich der Krieg in den Sommer hinziehe, wegen ihrer schwachen körperlichen Widerstandskraft die Veränderung des Bodens und des Klimas nicht aushalten‘; ebd. 2,99,1: impatiens solis pulveris tempestatum ‚unfähig, Sonne, Staub und Wetter zu ertragen‘; vgl. weiter auch Mela 3,3,26: viri sagis velantur aut libris arborum, quamvis saeva hieme ‚die Männer kleiden sich trotz des strengen Winters in kurze Mäntel oder Bast von Bäumen‘ (AG 1, 100-101); Plut. mar. 26,7-8: ...a.....a..a. d. t... ..µa.... t. .a.µa .a. t.. ..... ..t...µp..ta t... ..µßp.... de.... ..p ..te. .p.µe..a. .p.. .a. t.p... ..te.paµµ.... ...ep... .. ...e.ta. (11,9) .a. ...p..., ..etp.p..t. pp.. t. ...p.. ‚den Römern standen (nach Sulla) die Hitze und die Sonne bei, die den Kimbern ins Gesicht schien. Da diese, wie schon (11,9) gesagt, in schattenreichen und kalten Gegenden aufgewachsen waren, konnten sie zwar eisigen Frost gut ertragen, doch waren sie infolge der Hitze wie gelähmt‘ (AG 1, 258-259); aus viel späterer Zeit noch Agath. 1,19,2: . ..p .. t..t. .p.p t.. .p..... .µe..e. ..e..a., ... .e p...µ... µ.. t. p..... .a. p.e..t.. ..t..... d....µ.a., .a. ... .. p.te ..p... ....te. e..a. d.aµa...a..t., .fp..... d. .p. t.. .p.... .e. .a. ..µa.e.tat.. ......ta. .a. .d..ta t.te d.ap.....ta.. ...... ..p pp.. t..t. ...e... t. d...e.µep.. patp.da .e.t...a. .a. .... ....e... a.t... e..a. t. ...e..a. ‚hätte doch eine Fortsetzung des Feldzugs den Franken lediglich Vorteile gebracht; denn sie können keine Hitze vertragen und fühlen sich dadurch sehr belästigt, so daß sie im Sommer nicht gerne kämpfen mögen. Die Kälte jedoch läßt ihre Kräfte aufs höchste anschwellen und dann mit Leichtigkeit alle Strapazen durchhalten. Da sie ein rauhes Heimatland besitzen und die Kälte gleichsam von Jugend an kennen, sind sie ja daran gewöhnt‘; so auch in Bezug auf die Gallier, vgl. u.a. Liv. 10,28,4: corpora intolerantissima laboris atque aestus ‚da sie sehr schlecht Strapazen und Hitze ertragen könnten‘. Die Konstruktion des Satzes wird von Much wie folgt beschrieben: ”Zu tolerare ist assueverunt zu ergänzen, zu assueverunt hinwiederum vermutlich tolerare..100 Eine solche Erklärung scheint indessen in diesem hochstilisierten Abschlusssatz zu kurz zu greifen. Es liegt näher, eine zweifache von assuescere abhängige Konstruktion anzunehmen: Zum einen gehört zum Verb eine AcI-Konstruktion (minimeque sitim aestumque tolerare), zum anderen eine Akk.-Ergänzung (frigora atque inediam),101 die dichterisch ist und hier womöglich auch der Parallelität halber steht.102 Ein Zusatzargument für diese Auffassung ist vielleicht im Assyndeton (hierzu s.u.) zu finden, da bei der Aneinanderreihung zweier Glieder (nämlich eines positiven und negativen Gedankens), die ein gemeinsames Verbum haben, dieses zweimal stehen muss (vgl. etwa Cic. Mil. 26: etenim palam dictitabat consulatum Miloni eripi non posse, vitam posse ‚er wurde ja nicht müde, offen zu sagen, das Konsulat könne man dem Milo nicht rauben, wohl aber das Leben‘).103 100 Much 1967: 105. So wird der Satz syntaktisch auch etwa analysiert von Baumstark 1875: 240-241; Gudeman 1916: 65-66; Schweizer-Sidler 1923: 12; Lund 1988: 125; Anderson 1997: 56. 101 So Reeb 1933: 22 (ältere Vertreter dieser Meinung genannt bei Baumstark 1875: 241); zweifelnd zwischen beiden Möglichkeiten Müllenhoff 1900: 147. 102 Zu assuesco + Akk. (statt mit Abl./Dat./ad, in [+ Akk.]) vgl. Kühner – Stegmann II,1: 381-382 (angeführte Parallelstelle: Verg. Aen. 6,833: ne tanta animis assuescite bella ‚ja nicht gewöhnt euch an solch entsetzliche Kriege‘ mit Hinweis auf zwei Liviusstellen, wo ”die Lesart jetzt geändert. ist). 103 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 157. 104 Es ist also nicht notwendig, mit dem frühen Druck S ein vero einzuschieben (vgl. Hirstein 1995: 291). Zur Auslassung der Adversativpartikel bei Gegenüberstellung eines negativen und affirmativen Gedankens vgl. Kühner – Stegmann II,2: 156-157. Zum Wechsel zwischen -que und atque vgl. Sörbom 1935: 55. Der Gegensatz zwischen sitim aestumque und frigora atque inediam wird nicht durch eine Adversativpartikel zum Ausdruck gebracht, sondern kunstvoll durch den Chiasmus unterstrichen.104 Wie aus dem oben angeführten Zitat hervorgeht, wurden diese Eigenschaften auch den Galliern zugeschrieben (vgl. auch etwa noch Liv. 5,48,3: quorum intolerantissma gens umorique ac frigori adsueta cum aestu et angore vexata ‚die Völkerschaft, die Feuchtigkeit und Kälte gewohnt war, konnte das überhaupt nicht ertragen, und als die Leute, von der Hitze und Beklemmung geplagt‘; ds. 10,28,4: Gallorum quidem etiam corpora intolerantissima laboris atque aestus ‚die Gallier sogar, da sie sehr schlecht Strapazen und Hitze ertragen‘). caelo solove] Die Junktur von caelum und solum begegnet häufig, vgl. etwa: Tac. Agr. 24,2: solum caelumque ‚Boden und Klima‘; ds. hist. 5,7,2: solo caeloque ‚Boden und Klima‘; Mela 2,16: nec caelo … nec solo ‚weder vom Klima noch vom Boden‘; Colum. 1,1,6: solum caelumque ‚der Boden und das Klima‘. Vgl. zum Einfluss der Lebensumgebung auf die Einwohner c. 29,2: cetera similes Battavis, nisi quod ipso adhuc terrae suae solo et caelo acrius animantur ‚ansonsten gleichen sie den Batavern, nur dass sie dank der eigentümlichen Boden- und Klimabeschaffenheit ihres Landes noch immer einen feurigeren Sinn haben‘; vgl. auch Tac. Agr. 24,2: solum caelumque et ingenia cultusque hominum haud multum a Britannia differunt ‚Boden und Klima sowie Anlage und Bildung seiner Menschen weichen nicht sehr von Britannien ab‘; Strab. Geogr. 2,3,7 p. 103C: e.ep.e.t.p... ..p e..a. .a. .tt.. ..e..a. t. ..pa... t.. pep.....t.. ‚seien sie [= die Inder] doch kräftiger gewachsen und weniger ausgedörrt von der Trockenheit der Atmosphäre‘; ebd. 2,5,26 p. 127C: ..µa... te p.... .... papa.aß..te. .a. t.. f.... ...µepa d.. t... t.p... ‚und die Römer, die viele Völker übernommen haben die ihrer Natur nach unzivilisiert waren infolge ihrer Umwelt‘; Cic. div. 1,79: aliae, quae acuta ingenia gignant, aliae, quae retusa: quae omnia fiunt et ex caeli varietate et ex disparili adspiratione terrarum ‚die einen [= Gegenden] erzeugen scharfe Sinne, die andern stumpfe: dies alles aber tritt ein infolge der Verschiedenartigkeit des Klimas und der ungleichen Ausdünstung der Erde‘; Curt. 8,9,20: ingenia hominum, sicut ubique, apud illos locorum quoque situs format ‚die Wesensart der Menschen ist auch dort wie überall das Ergebnis der Bodengestalt‘; Vitr. 6,1,3: haec autem ex natura rerum sunt animadvertenda et consideranda atque etiam ex membris corporibusque gentium observanda. namque sol quibus locis mediocriter profundit vapores, in his conservat corpora temperata; quaeque proxime currendo deflagrat, eripit exurendo temperaturam umoris; contra vero refrigeratis regionibus, quod absunt a meridie longe, non exhauritur a caloribus umor, sed ex caelo roscidus aer in corpora fundens umorem efficit ampliores corporaturas vocisque sonitus graviores. ex eo quoque, sub septentrionibus nutriuntur gentes, inmanibus corporibus, candidis coloribus, directo capillo et rufo, oculis caesis, sanguine multo ab umoris plenitate caelique refrigerationibus sunt conformati ‚dies ist aber auf Grund der naturgegebenen Verhältnisse zu beachten und zu überlegen und (der Einfluß der klimatischen Verhältnisse) ist sogar an den Gliedern und Körpern der Völkerschaften zu beobachten. Wo nämlich die Sonne ihre heißen Strahlen mit Maßen ergießt, dort erhält sie die Körper in maßvoller Mischung. Und wo sie durch ihre sehr nahe Bahn das Land versengt, entreißt sie durch Herausbrennen das Mischungselement des Feuchten. Dagegen wird aber in den kalten Landstrichen, weil sie weit von Süden entfernt sind, die Feuchtigkeit von den heißen Strahlen nicht herausgezogen, sondern die taureiche Luft, die aus dem Himmel Feuchtigkeit in die Körper einströmen läßt, ruft größeren Körperbau und tieferen Ton der Stimme hervor. Daher sind auch die Völker, die im Norden leben, mit ungeheuer großen Körpern, heller Farbe, geraden und rötlichen Haaren, blauen Augen und viel Blut gebildet infolge der Fülle der Feuchtigkeit und des kalten Klimas‘; Veg. mil. 1,23-4: omnes nationes quae vicinae sunt soli, nimio calore siccatas, amplius quidem sapere sed minus habere sanguinis dicunt ac propterea constantiam ac fiduciam comminus non habere pugnandum quia metuunt vulnera qui exiguum sanguinem se habere noverunt. contra septentrionales populi, remoti a solis ardoribus, inconsultiores quidem sed tamen largo sanguine redundantes, sunt ad bella promptissimi ‚man sagt, dass alle Völker, die nahe an der Sonne sind, durch zu viel Wärme ausgetrocknet, zwar mehr Verstand, aber weniger Blut haben und deswegen nicht die Standhaftigkeit und Beherztheit im Handgemenge beim Kämpfen haben, weil sie, da sie wissen, dass sie wenig Blut haben, Wunden fürchten. Die nördlichen Völker dagegen, von den Flammen der Sonne entfernt, sind zwar unbesonnen, haben aber an reichlich Blut Überfluss und sind sehr bereitwillig zum Krieg‘; Iust. 2,1,13: et quanto Scythis sit caelum asperius quam Aegyptiis, tanto et corpora et ingenia esse duriora ‚und um wie viel das Klima bei den Skythen rauer ist als bei den Ägyptern, um so viel sind auch ihre Körper und ihre Beschaffenheit härter‘; Serv. Aen. 6,724: dicit translatum ad alius clima hominem naturam ex parte mutare ‚ sagt, dass ein in ein anderes Klima hinübergebrachter Mensch den Charakter zu einem Teil ändert‘. Von Gudeman wird die Folge caelo solove – in der caelo und solo Ablativi causae sind – so ausgelegt, dass Ersteres frigora, Letzteres dagegen inediam erklärt.105 Jedoch ist -ve nicht streng disjunktiv, sondern lässt die Wahl zwischen den Möglichkeiten frei.106 Deswegen ist auch die von Perizonius vorgeschlagene Emendation von dem in den Hss. einheitlich überlieferten -ve zu -que abzulehnen. 105 So etwa Gudeman 1916: 66. 106 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 111; Baumstark 1875: 240 mit Zitat von Ramshorn: ”entweder das Eine oder das Andere oder auch Beides zusammen kann hier stattfinden.. 107 So etwa Müllenhoff 1900: 147; Schweizer-Sidler 1923: 12. Die früher vorgeschlagene Interpretation von caelum als ‚Himmelstrich, Breitengrad‘107 ist abzulehnen, da zum einen in der Junktur das Wort immer ‚Klima‘ bedeutet (vgl. auch c. 2,1: informem terris, asperam caelo ‚mit seinen wenig einladenden Landstrichen, rauen Klima‘), zum anderen nur in dieser Bedeutung caelum und solum einen glatten Übergang zu c. 5 bilden, denn caelum wird dort durch die Worte humidior und ventiosior wieder aufgenommen. Mit dieser Junktur kehrt Tacitus somit zur Beschreibung in c. 2,1 zurück, und zwar mit chiastischer Wortstellung (c. 2,1: terra – caelum : c. 4: caelum – solum), die in c. 5 fortsetzt wird. KAPITEL 5 1 Terra]1 Nach dem Exkurs in den c. 2,2 - 4 über die Einwohner Germaniens kehrt Tacitus jetzt wieder zum Land selbst zurück.2 Diese Erörterung wird am Schluss von c. 4 durch die Wörter caelo solove vorbereitet, wobei solo jetzt durch sein Synonym terra wieder aufgenommen wird. terra selbst knüpft an terris aus c. 2,1 an.3 Die Anknüpfung an c. 4 erfolgt chiastisch (c. 4: caelum – solum : c. 5,1: terra – humidior, ventiosior). 1 Vgl. allgemein Todd 2000: 23-25. 2 Dieselbe Einteilung findet sich auch in Tac. agr. wo nach der Beschreibung der geographischen Lage Brittaniens (c. 10) zunächst von den Einwohnern gesprochen wird (c. 11-12,2), bevor Tacitus sich wieder dem Land zuwendet (c. 12,3-12,6). 3 Zum Aufbau vgl. u.a. Wille 1983: 72, 74; Urban 1989: 82-83. 4 Vgl. die Angabe bei Müllenhoff 1900: 147. 5 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 401: ”Er [= abl. mensurae]: a) bei Komparativen und komparativischen Begriffen, teils bei Verben.. Vgl. auch Müllenhoff 1900: 147. 6 Vgl. ThLL I: 1605,13-16 mit einem weiteren Beispiel. 7 Vgl. etwa Baumstark 1875: 248-249; Müllenhoff 1900: 147-148. 8 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 439-440. 9 So etwa Gudeman 1916: 66; Reeb 1933: 22; Lund 1988: 125; Anderson 1997: 56; Rives 1999: 78; Benario 1999: 68. 10 So etwa Baumstark 1875: 248*; Schweizer-Sidler 1923: 12; Scheindler 1930: 220-221; Much 1967: 108; Perl 1990: 85. Nicht eindeutig Müllenhoff 1900: 148; als Möglichkeit auch von Reeb 1933: 22 erwogen. 11 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 248*; Schweizer-Sidler 1923: 12; Much 1967: 108. etsi aliquanto specie differt] Das in den Hss. einheitlich überlieferte aliquanto wollte Ernesti durch den Akk.sg. aliquantum ersetzen.4 aliquanto ist aber problemlos als ein Abl. mensurae aufzufassen, da differre ein komparativischer Begriff ist,5 vgl. auch u.a. Cic. Brut. 256: multo magnus orator praestat minutis imperatoribus ‚so überragt ein großer Redner die kleinen Feldherren bei weitem‘; Val. Max. 4,6,3: aliquanto praestat morte iungi quam distrahi vita ‚es ist bedeutend besser, durch den Tod verbunden als im Leben getrennt zu werden‘.6 Wie aus dem Nachfolgenden (in universum) hervorgeht, wird mit aliquanto nur eine geringfügige Differenz ausgedrückt.7 Diese Annahme wird auch durch die Fügung etsi … tamen bestätigt, denn mit dem Hauptsatz wird die Aussage des Nebensatzes beschränkt.8 Umstritten ist die Bedeutung von specie. Teils wird das Wort als ‚Erscheinung, Aussehen‘ aufgefasst,9 teils als ‚im Einzelnen‘.10 Zur Begründung der letzteren Interpretation wird angeführt, dass specie in Gegensatz zum nachfolgenden in universum stehe, somit also eine Antithese vorläge.11 Zusätzlich wird auf eine Parallelstelle verwiesen, in der specie die Bedeutung ‚im Einzelnen‘ hat: Tac. dial. 25,4: nec refert quod inter se specie differunt, cum genere consentiant ‚und es macht nichts aus, daß sie in ihrer ‹äußeren› Art voneinander verschieden sind, da sie doch in der Gattung übereinstimmen‘.12 Zum einen handelt es sich hier aber um die einzige Stelle bei Tacitus, in der specie diese Bedeutung hat,13 während es in der Bedeutung ‚Erscheinung, Aussehen‘ häufig vorkommt.14 Zum anderen steht specie im Dialogus in Gegensatz zu genere,15 hier jedoch in Gegensatz zu in universum, so dass keine wirkliche Parallele vorliegt.16 Auch ist die Aussage ‚im Einzelnen‘ neben ‚im Allgemeinen‘ überflüssig und sie würde sogar die Aussage verwässern.17 Die endgültige Bestätigung, dass species hier in der Bedeutung ‚Erscheinung, Aussehen‘ aufzufassen ist, wird in c. 2,1 geliefert, wo mit species das Wort aspectus wieder aufgenommen wird.18 12 So zuerst Persson 1927: 92. Baumstark 1875: 248* hatte bereits angemerkt, dass specie in der Bedeutung ‚im Einzelenn‘ häufiger mit diferre verknüpft wird. 13 Vgl. Gerber – Greef 1962: II,1532; so auch Anderson 1997: 56. 14 Vgl. Gerber – Greef 1962: II,1530-1532. 15 Vgl. Gerber – Greef 1962: II,1532: ”i. q. art, oppon. genus, gattung.. 16 Übrigens steht auch an den anderen von Baumstark 1875: 248* angeführten Stellen specie in Gegensatz zu genus. 17 Vgl. Gudeman 1916: 66. 18 So nur Lund 1988: 125. 19 Nicht verständlich ist die Bemerkung von Much 1967: 108: ”Aber auch für diese zusammenfassende Betrachtung ergibt sich noch kein einheitliches Bild., da die nachfolgende Zweiteilung nur unterschiedliche Erscheinungen desselben abstoßenden Gesamtbildes sind. 20 Vgl. Müllenhoff 1900: 148; Gudeman 1916: 66; Schweizer-Sidler 1923: 12. Anders Lund 1988: 125: ”horrida = horribilis visu aspectuque. mit Verweis auf ThLL VI,3: 2992,73 (eingeordnet unter: de locis asperis, squalidis, incultis, sterilibus); da jedoch der weitere Gebrauch ”de vi, effectu sim. fere i.q. horribilis, horrorem efficiens. (ebd.: 2994,5-6) u.a. ”fluxit ex notione … squalidus. (ebd.: 2994,8), können die Beispiele unter der oben genannten Einordnung hiervon ”non semper facile distinguuntur. (ebd.: 2994: 9-10), so dass nichts gegen jene Auffassung spricht. Beide Wörter greifen dabei auch tristem … aspectuque aus c. 2,1 wieder auf. in universum] in universum steht demnach nicht in Gegensatz zu specie, sondern vielmehr parallel zu omnis in c. 1,1. Das Aussehen Germaniens ist somit einheitlich abscheulich.19 tamen aut silvis horrida aut paludibus foeda] Die Adjektive horridus und foedus, welche ebenfalls auf c. 2,1 zu beziehen sind (informem terris ‚mit seinen wenig einladenden Landstrichen‘), stellen zwei unterschiedliche Manifestationen des in universum dar. Das Adj. horridus gibt dabei den Eindruck des Betrachters wieder, das Adj. foedus gilt dagegen vom Anblick.20 Mit dieser negativen Beschreibung des Äußeren Germaniens stimmen auch die Aussagen anderer Autoren überein, vgl. Strab. Geogr. 7,1,4 p. 292C: .... d. d.. ....... .a. ...d... .a. dp.µ.. .....p.pe.. ...... ‚so aber muss man auf gewundenen Pfaden des Sumpflandes und der Wälder große Umwege machen‘ (AG 1, 94-95); Mela 3,3,29: terra … magna ex parte silvis ac paludibus invia ‚das Land … ist … wegen der Wälder und Sümpfe über weite Teile unzugänglich‘ (AG 1, 100-101); Plin. nat. 16,5: aliud e silvis miraculum: totam reliquam Germaniam operiunt adduntque frigori umbras ‚ein anderes Wunder (steckt) in den Wäldern: Sie bedecken das gesamte übrige Germanien und fügen zur Kälte noch Schatten hinzu‘ (AG 1, 116-117); Plut. mar. 11,9: ... µ.. ..µe..a. ....... .a. ...d. .a. d....... p..t. d.. ß.... .a. p....t.ta dp.µ.., ... µ..p. t.. .p...... e... d...e.. ‚und besiedle dort ein schattiges und baumreiches Land, das wegen seiner tiefen und dichten Waldungen, die sich bis zum Herkynischen Gebirge erstrecken, von der Sonne kaum beschienen werden‘ (AG 1, 238-239); Liv. 9,36,1: silva erat Ciminia magis tum invia atque horrenda, quam nuper fuere Germanici saltus, nulli ad eam diem ne mercatorum quidem adita ‚der Ciminische Wald war unwegsamer und schauriger, als es vor kurzem die Bergwälder Germaniens waren, von niemanden bis zu diesem Tag betreten, nicht einmal von einem Kaufmann‘; Tac. ann. 2,5,3: fundi Germanos acie et iustis locis, iuvari silvis paludibus ‚in offener Schlacht und auf richtigem Gelände würden die Germanen geschlagen, durch Wälder und Sümpfe … aber unterstützt‘ (AG 2, 96-97). Wegen dieser allgemeinen Charakterisierung des Landes war es dann etwa Prop. 4,6,77 möglich zu schreiben: ille paludosos memoret servire Sycambros ‚er möge sich erinnern, wie die Sugambrer aus den Sümpfen sich unterwarfen‘ (AG 2, 15; vgl. auch Hor. carm. 4,5,26: quis Germania quos horrida parturit …? ‚wen Germaniens Brut, Söhne der rauhen Luft?‘).21 Aus viel späterer Zeit, dem 11. Jh. berichtet Ad. Brem. 4,1 Ähnliches: porro cum omnis tractus Germaniae profundis horreat saltibus ‚zwar ist auch ganu Deutschland unwirtlich durch seine unergründlichen Wälder‘. 21 Die Schwierigkeiten der Kriegsführung in solchem Terrain beschreibt Tacitus ausführlich ann. 1,63-68. Dagegen ist teilweise auch von offenem Gebiet in Germanien die Rede, vgl. etwa Tac. hist. 3,73,3: ut relictis paludibus et solitudinibus ‚um ihre Sümpfe und Einöden zu verlassen‘; ds. ann. 1,56,4: Caesar incenso Mattio – id genti caput – aperta populatus ‚der Caesar steckte Mattium, den Vorort des Volksstammes, in Brand, verwüstete das offene Land‘. 22 Vgl. zu den Wäldern in Germanien Willerding 1992: 343-349; zum Eindruck ebd. 349: ”Die in Germanien vorgefundenen Wälder dürften auf den Römer tatsächlich befremdlich bzw. bedrohlich und schrecklich gewirkt haben.; vgl. ebenfalls Jankuhn in Much 1967: 109-110. Diese den Römern unbehagliche Erscheinung Germaniens scheint alles in allem gerechtfertigt zu sein, da in den Wäldern die stark Schatten werfenden Rotbuchen dominierten.22 Bei den Mooren ist nicht nur an Hoch- bzw. Niedermoore zu denken, sondern auch an morastige Auenwälder und Sümpfe.23 23 Vgl. Willerding 1992: 342-343; Jankuhn in Much 1967: 110-111. 24 Zum Klima in Germanien vgl. Willerding 1992: 339-342; kurz auch Timpe 1992a: 273: ”Tacitus hat also gewußt, daß Westdeutschland noch in der seeklimatischen Zone liegt … und er hat über die Windverhältnisse eine Ansicht, die auch einen richtigen Kern enthält.; Benario 1999: 68-69. 25 Gegensatzwörter zu humidus sind aridus und siccus. 26 Aus diesem Grund ist auch die von Lipsius vorgeschlagene Emendation von ventosior in verticosior (vgl. Baumstark 1875: 250; Müllenhoff 1900: 149) abzulehnen. 27 So noch Müllenhoff 1900: 149. 28 Vgl. bereits Baumstark 1875: 250-251 und weiter u.a. Much 1967: 111. Aus ebendiesem Grund ist die angebliche Lesart humilior der Hs. Q (so liest Maßmann 1847: 52; wohl von dort übernommen auch Baumstark 1875: 250 [falsch: ”in Handschriften.] und Müllenhoff 1900: 149; sie ist jedoch nicht aufgeführt bei Robinson 1991; Perret 1997) – die dasselbe zum Ausdruck bringen würde – abzulehnen. Nicht sicher ist, ob die Schreibung humiclior in der Hs. b (so Maßmann 1847: 52; Holtzmann – Holder 1873: 30; nicht aufgenommen bei Robinson 1991; Perret 1997; auch nicht erwähnt von Tross 1841) als Fehlschreibung für humidior steht, oder humanistische Schreibung für humilior ist. In der Germania nennt Tacitus lediglich zwei solcher Wälder mit ihrem Namen, nämlich den mons Arnoba ‚Schwarzwald‘ (c. 1,2) und die Hercynia silva ‚Herkynischer Wald‘ (c. 28,2; 30,1). Andere von antiken Schriftstellern genannte Wälder sind etwa: silva Bacenis ‚Harz‘ (Caes. Gall. 6,10,5: silvam ibi esse infinita magnitudine, quae appellatur Bacenis ‚dort liege ein unendlich großes Waldgebiet, das Bacenis heiße‘), Teutoburgiensis silva (Tac. ann. 1,60,3: haud procul Teutoburgiensi saltu ‚nicht weit vom Teutoburger Wald‘), Caesia silva (Tac. ann. 1,50,1: at Romanus agmine propero silvam Caesiam … scindit ‚aber nun bahnte sich der römische Anführer in Eilmärschen einen Weg durch den Caesischen Wald‘), ..µa.. ... und Gaßp.ta ... (beide bei Ptol. 2,11,5: .f’ . ..t.. . ..µa... ... … .f’ . ..t.. . G.ßp.ta ... ‚unterhalb hiervon befindet sich der Semanos- Wald … unterhalb hiervon befindet sich der Gabreta-Wald‘ [AG 1, 178-181]). Namen von Mooren bzw. Sümpfen werden in der Germania dagegen überhaupt nicht genannt. Demgegenüber listet Mela 3,3,29 einige Namen auf: paludium Suesia, Metia et Melsyagum maximae ‚von den Sümpfen sind der Suesia, Metia und Melsyagum die größten‘ (AG 1, 100-101); sie sind jedoch sämtlich nicht lokalisierbar. humidior, qua Gallias, ventosior, qua Noricum ac Pannoniam aspicit] Mit den Wörtern humidior und ventosior wird caelum aus c. 2,1 und 4 aufgenommen.24 humidior und ventosior sind zwar nicht den Wörtern,25 sondern der Sache nach entgegengestellt, da durch den Wind das Klima trockener wird.26 ventosior steht dabei metonymisch, weil die Ursache statt der Wirkung angegeben ist. Die früher vertretene Annahme, dass humidior auf paludibus foeda, ventosior dagegen auf silvis horrida Bezug nehme,27 ist aufzugeben, weil Wälder und Sümpfe nicht das Kennzeichen von ganzen Gebieten sind (Sümpfe im Westen, Wälder im Südosten).28 Das nördliche Klima galt den antiken Schriftstellern generell als feucht, vgl. etwa Sen. nat. 3,6,2: at contra constat Germaniam Galliamque et proxime ab illis Italiam abundare rivis et fluminibus, quia caelo umido utuntur et ne aestas quidem imbribus caret ‚dagegen steht es fest, daß Germanien, Gallien und die ihnen am nächsten gelegenen (Teile) Italiens reich sind an Bächen und Flüssen, weil sie ein feuchtes Klima haben und nicht einmal der Sommer ohne Niederschläge bleibt‘; vgl. ebenfalls etwa Tac. ann. 2,23,3: qui humidis Germaniae terris, profundis amnibus immenso nubium tractu validus et rigore vicini septentrionis horridior ‚dieser [= der Südwind], von den Feuchtgebieten Germaniens und aus seinen tiefen Stromtälern kommend, durch unermeßlichen Wolkenzug verstärkt und durch die Kälte des nahen Nordens noch schrecklicher‘. Feuchter ist es somit im Westen Germaniens. Da es sich hier um Gebiete handelt, wird der Ländername Gallien verwendet. Der Plural Gallias bezieht sich auf die drei Teile, in die Gallien zerfiel (Gallia Narbonensis, Aquitania, Gallia Celtica und Gallia Belgica).29 Windiger ist es dagegen im Südosten Germaniens. An dieser Stelle ist Norikum als Grenzgebiet neben Pannonien genannt, während es in c. 1,1 übergangen worden war. 29 Die beiden Provinzen Germania inferior und superior sind dabei, da sie auf gallischem Boden liegen, nicht genannt. 30 Müllenhoff 1900: 149. 31 Nicht zutreffend ist die Deutung als Dativ von Döderlein (vgl. Müllenhoff 1900: 149). 32 So etwa von Holtzmann – Holder 1873: 125; Müllenhoff 1900: 149; Schweizer-Sidler 1923: 13 (zweifelnd, ob als Ablativ oder Dativ); Reeb 1933: 22; Much 1976:111; Lund 1988: 73 (im Kommentar S. 126 aber offen gelassen); Perl 1990: 85; Anderson 1997: 57; Benario 1999: 69 (”probably an ablative.). 33 So etwa von Baumstark 1875: 251-253; Gudeman 1916: 67; in neuerer Zeit lediglich Rives 1999: 79. 34 So Müllenhoff 1900: 149. 35 Kein Argument zugunsten des Ablativs kann aus einer Verteilung dichterisch/spätere Prosa : klassische Prosa Die Personifikation bei aspicit, die nach Müllenhoff dichterisch ist,30 scheint jedoch in der geographischen Literatur gebräuchlich zu sein; vgl. Tac. Agr. 24,1: eamque partem Britanniae quae Hiberniam aspicit ‚den Teil Britanniens, der nach Hibernien schaut‘; Avien. orb. terr. 105: unus enim Europam, Libyam procul aspicit alter ‚denn der eine schaut nach Europa, der andere, weit entfernt, nach Lybien‘. satis ferax] satis ist in seiner Bedeutung umstritten. Während es in den neueren Kommentaren zumeist als Ablativ31 von sata ‚Saaten, Gewächse‘ aufgefasst wird,32 wurde es früher als Adverb mit der Bedeutung ‚hinreichend‘ erklärt.33 Die Annahme des Ablativs wird – wenn überhaupt – mit der dann entstehenden Parallelität zu den beiden folgenden Konstruktionen begründet.34 Es gibt jedoch mehrere Schwierigkeiten bei dieser Deutung. Erstens kann ferax sowohl mit Genitiv als auch mit Ablativ konstruiert werden,35 jedoch ist an gezogen werden (so etwa Müllenhoff 1900: 149: ”der ausdruck ist ganz dichterisch.), da ferax sowohl mit Ablativ als auch mit Genitiv dichtersprachlich ist; vgl. Kühner – Stegmann II,1: 385, 451. 36 Aus diesem Grund haben denn auch Cluver und Conring satis zu sati emendieren wollen (vgl. Baumstark 1875: 252). 37 Die Emendation von Cluver und Conring (s. Fn. 36) wird auch wohl zur Herstellung einer solchen Parallelität gedient haben. 38 Tross 1841: 4. 39 Vgl. Robinson 1991: 279; aufgegriffen von Halm (vgl. Müllenhoff 1900: 153-154); Gudeman 1916: 67; Much 1967: 107, 111-112 (aber abgelehnt von Lange in Much 1967: 112). Nach Gudeman 1916: 240 wäre der Fehler einer Dittographie eines vorhergehenden m oder um zuzuschreiben der einzigen weiteren Parallelstelle bei Tacitus ferax nicht mit dem Ablativ, sondern mit dem Genitiv verbunden (ann. 4,72,2: ingentium beluarum feraces saltus ‚an riesigen Tieren reiche Wälder‘),36 was zwar kein starkes Argument (so verwendet auch Ov. am. 2,16,7 beide Konstruktionen: terra ferax Cereris multoque feracior uvis ‚reich trägt Körner das Land und reicher noch trägt es die Traube‘), aber dennoch ein Hinweis ist. Problematischer ist dagegen, dass bei der Annahme eines Ablativs trotzdem keine Reihung vorliegt, da die beiden anderen Teile (frugiferarum arborum impatiens, pecorum fecunda) eben mit dem Genitiv konstruiert sind;37 das Argument der Parallelität greift hier also nicht. Zweitens wird die gängige Übersetzung mit ‚Getreide‘ nicht durch das Wort sata gedeckt, das vielmehr allgemeiner ‚die Saaten, Pflanzungen, Gewächse‘ bedeutet. Darunter müssten dann auch bereits die nachfolgenden Bäume fallen, was einen Widerspruch ergeben würde. Und drittens verwendet Tacitus nicht das Wort sata, sondern seges, worauf bereits Tross aufmerksam gemacht hat (vgl. c. 26,3: sola terrae seges imperatur ‚nur überhaupt Erntefrucht verlangt man der Erde ab‘; hist. 5,7,2: fetus segetum ‚der Ertrag der Saaten‘).38 Zu alledem kommt noch, dass ferax von positiver Bedeutung wäre, wenn man satis als Substantiv auffassen würde: ‚fruchtbar an …‘; dies wird im Allgemeinen mit der Aussage in c. 26,3 verglichen: nec enim cum ubertate et amplitudine soli labore contendunt ‚denn bei ihrer Arbeit wetteifern sie nicht mit der Ergiebigkeit und Weite des Bodens‘. Jedoch steht diese Stelle zu weit entfernt; die positive Aussage wäre dann kaum an das Ende von c. 4 und an c. 2,1 (tristem cultu ‚rauen Klima‘) anzuschließen, was bei der Annahme als Adverb eher möglich wäre. frugiferarum arborum impatiens] Die in allen Hss. bezeugte Lesart impatiens wurde zuerst von Tross in patiens emendiert,39 wobei auf Tac. Agr. 12,5: patiens frugum ‚trägt … Früchte‘ (ausgesagt über Britannien) verwiesen wurde, zumal in c. 10,1 von frugiferae arbos die Rede ist. Jedoch ist zum einen die Agr.-Stelle für die Germania nicht aussagekräftig, zum anderen liegt an dieser Stelle eine gänzlich andere Intention als in c. 10,1 vor, so dass jener Hinweis nicht als Argument dienen kann. Schließlich würde das stilistische Nebeneinander von ferax : impatiens = fecunda : improcera angegriffen werden.40 Da hierbei aber zwei antithetische Paare vorliegen, muss impatiens im Text behalten werden, zumal es keinen sonstigen Grund gibt, gegen die hss. Überlieferung vorzugehen. 40 Vgl. Lund 1988 126; Robinson 1991: 279. 41 Nicht ganz nachvollziehbar ist die Bemerkung von Lund 1988: 126: ”Man bemerke, dass frugifer c 10,1 in einer anderen Bedeutung benutzt wird.; dort wird bemerkt (S. 140): ”Das Adj. frugifer bezeichnet hier – anders als im Kap. 5,1 – einen Baum, der Früchte trägt.; doch sind auch die Bäume an dieser Stelle sicher fruchttragend; wie Lund auch Anderson 1997: 57: ”and the frugifera arbor in c. 10,1 has a different meaning (but the use of the adjective in two different senses ist a literary lapse). (sollte man Tacitus wirklich einen solchen Lapsus zumuten wollen?). 42 Vgl. Lund 1988: 126. Daher ist auch die Bemerkung von Müllenhoff 1900: 149-150 nicht zutreffend: ”ferax bedeutet nicht ‚fruchtbar, ergiebig‘ wie fecundus, sondern nur so viel wie fertilis ‚hervorbringend, ertragsfähig‘.. 43 Dies natürlich von der Sicht des Römers, der dabei an Edelobst denkt; vgl. Müllenhoff 1900: 154: ”Tacitus als südländer hat … hier die obstcultur Italiens im auge und die kannte man nicht in Deutschland.; so auch Lange in Much 1967: 112; Perl 1990: 144; Rives 1999: 131: ”Yet if he meant fruits in gerneral, his statement is still reasonably accurate.; so wohl auch Benario 1999: 69. Eine Ausnahme bildete nach Ausweis von Plin. nat. 15,103 der Rhein: in ripis etiam Rheni; tertius his colos e nigro ac rubenti viridique, similis maturescentibus semoper ‚wie auch an den Ufern des Rheins; diese [= Kirschen] haben eine dritte Farbe aus schwarz, rot und grün, ähnlich als ob sie sich immer im Reifen befänden‘. 44 Vgl. hierzu RGA 21: 518-523; vgl. auch Jankuhn 1976: 103; Todd 2000: 74: ”Es gibt … überhaupt keinen Hinweis auf Obstanbau.. 45 Vgl. RGA 1: 368-370; dem entspricht die Benennung: ahd. apful, as. appel, ae. æppel, afries. appel, aisl. epli < Das vorausgehende ferax wird hier durch frugifer,41 gleich darauf durch fecundus variiert.42 Es ist nicht ganz klar, welche fruchttragenden Bäume Tacitus hier meint, ob nur den Olivenbaum und den Wein – über dessen Fehlen Diodorus Siculus spricht (5,26,2: d.. d. t.. .pepß.... t.. ...... d.af.e.p.µ.... t.. .at. t.. ..pa .p..e.. ..te ..... ..te ..a... f.pe. ‚weiterhin läßt die übermäßige Kälte ein gemäßigtes Klima nicht aufkommen und es gedeihen weder Wein noch Öl‘; ähnlich sagt auch Scrofa bei Varro, rust. 1,7,8: ad Rhenum cum exercitum ducerem, aliquot regiones accessi, ubi nec vitis nec olea nec poma nascerentur ‚als ich ein Heer an den Rhein führte, habe ich im Landesinnern einige Gegenden gestreift, wo weder eine Weinrebe noch ein Ölbaum noch Obstbäume wuchsen‘; ebenso Tac. Agr. 12,5 über England: solum praeter oleam vitemque et cetera calidioribus terris oriri sueta patiens frugum fecundum ‚der Boden trägt, von Ölbaum, Rebe und anderem abgesehen, das nur in wärmeren Gegenden zu wachsen pflegt, gern und reichlich Früchte‘) –, oder ob er Germanien generell Obstbäume abspricht.43 Auch Letzteres trifft insofern zu, als die Kultivierung von Obstbäumen erst spät in Germanien eingeführt wurde.44 Diese späte Einbürgerung der Obstbäume geht auch aus den Bezeichnungen der Früchte hervor, die fast sämtlich aus dem Lateinischen stammen (so etwa Pflaume < lat. prunum, Pfirsich < lat. persica, Kirsche < lat. ceresia, Birne < lat. pirum), mit Ausnahme des Apfels.45 urgerm. *apl.a-. 46 Vgl. Casaretto 2004: 320; vgl. zur geringen Sammlungstätigkeit von Früchten Todd 2000: 74: ”Es gibt wenig Anzeichen, dass Wildfrüchte und Beeren gesammelt wurden.. 47 Mit pecus, -oris wird das Vieh als Gattung, mit pecus, -udis dagegen das einzelne Tier bezeichnet. Vielleicht weil mit dem nachfolgenden Plural armenta die einzelnen Tieren bezeichnet werden, hatte die Hs. b zunächst pecudum geschrieben (vgl. Holtzmann – Holder 1873: 30; nicht aufgeführt in Robinson 1991). 48 So etwa Baumstark 1875: 259; Müllenhoff 1900: 155; Gudeman 1916: 67; Schweizer-Sidler 1923: 13; Reeb 1933: 22; Much 1967: 115; Anderson 1997: 57; Rives 1999: 79: ”livestock.; Benario 1999: 69. 49 So etwa Lund 1988: 126; Perl 1990: 144. 50 Die Emendation von Lipsius (vgl. Holtzmann – Holder 1873: 30; in ihrer Ausgabe übernommen) in pleraque ist überflüssig. 51 Das Adjektiv improcerus (vgl. ThLL VII,1: 694,78-81) kommt außer hier nur noch bei Gell. 4,19,1 vor: corporaque eorum improcera fieri minusque adolescere ‚und dass in Folge davon die Leibesgestalt solcher verkümmert (klein bleibt) und sich nicht eben sehr entwickelt‘. 52 Vgl. Müllenhoff 1900: 155; Gudeman 1916: 67-68 (anders dagegen Anderson 1997: 57: ” The change of subject is awkard.). Der Satzteil steht anstelle von sed pecora plerumque improcera sunt (vgl. ThLL VII,1: 80: ”sc. pecora.). Aus diesem Grund sind verschiedentlich vorgeschlagene Emendationen, etwa die Setzung eines Punktes zwischen fecunda und sed (Baumstark 1875: 254) oder die Zufügung von ea bzw. haec oder in vor improcera (vgl. zu diesen Vorschlägen bereits ablehnend Baumstark 1875: 254 und Müllenhoff 1900: 155) keine bessere Erklärung der Stelle, da zum einen die Struktur des Satzes dieselbe bleibt, zum anderen die antithetische Reihung unterbrochen würde. Sie haben sich denn auch zu Recht nicht durchsetzen können. 53 Ein solcher Subjektwechsel findet sich auch etwa in c. 19,1 und 20,3; vgl. hierzu auch Sörbom 1935: 141-142. 54 Vgl. die Angaben bei Baumstark 1875: 254 und Müllenhoff 1900: 154. Dass die Germanen Früchte kannten, zeigen auch die Wörter got. akran ‚Frucht‘, ahd. ekarn ‚Ecker‘, ae. æcern, æcirn ‚Eichel, Nuß‘, aisl. akarn ‚Eichel‘ < urgerm. *akr/ena-, eine Ableitung mit dem Suffix *-na- zu urgerm. *akra- ‚Acker, Feld‘ (> got. akrs, ahd. ackar, as. akkar, ae. æcer, afries. ekker, aisl. akr); vgl. kymr. aeron ‚Früchte‘ < urkelt *agrono- (vgl. mir. áirne ‚Schlehe‘ [< urkelt. *agre/in.o-].46 pecorum fecunda, sed plerumque improcera] Das Wort pecus47 wird an dieser Stelle zumeist in dessen genereller Bedeutung ‚Vieh‘ verstanden.48 Da es aber neben dem nachfolgenden armentum steht, liegt hier aber eher die sonst auch vorherrschende Bedeutung ‚Kleinvieh‘ vor.49 Zum Nebeneinander von pecus und armentum vgl. auch c. 21,1: luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecorum numero ‚sogar Totschlag wird nämlich mit einer bestimmten Zahl von Groß- und Kleinvieh gesühnt‘. plerumque hat hier – wie auch an den anderen Belegstellen in der Germania – die abgeschwächte Bedeutung.50 Bei improcera51 liegt – wohl zur Straffung des Ausdrucks52 – ein auffälliger Subjektwechsel vor.53 Um einen solchen zu vermeiden, wurde von einigen sehr frühen Kommentatoren improcera auf terra bezogen; sie wollten den Satz als terra Germanica est improcera ob improcera corpora pecudum verstehen.54 Da jedoch das Adj. procerus nicht auf terra bezogen werden kann – es wird nur von Körpern und Gliedern ausgesagt –, ist dies bei improcerus ebenso.55 55 Vgl. bereits Baumstark 1875: 254; Müllenhoff 1900: 155. 56 Vgl. dazu etwa Jankuhn in Much 1967: 115-116; Krüger 1988: 452-455; Todd 2000: 72. Nur aus seinem Gesamtinterpretationsschema heraus zu verstehen ist die Anmerkung von Lund 1988: 126: ”Seltsamerweise scheint Tac. hier das Richtige getroffen zu haben. (ähnlich ebenfalls Lund 1991a: 1884). 57 Vgl. Mayrhofer I: 135; zu weiteren Worten zur Bezeichnung des Schafes vgl. RGA 26: 583-584. 58 Vgl. Griepentrog 1995: 201-209; Casaretto 2004: 40. 59 Vgl. Casaretto 2004: 329; RGA 27: 471-472. 60 Vgl. Darms 1978: 122-133; Casaretto 2004: 219 Das Vieh in Germanien war tatsächlich kleiner als das in Italien,56 wo schon seit geraumer Zeit selektiv gezüchtet wurde. Den Tieren im Norden wird häufiger die Kleinwüchsichkeit nachgesagt, vgl. Caes. Gall. 4,2,2: quin etiam iumentis, quibus maxime Galli delectantur quaeque impenso parant pretio, Germani importatis non utuntur, sed quae sunt apud eos nata, parva atque deformia, haec cotidiana exercitatione summi ut sint laboris efficiunt ‚die Germanen benutzen nicht einmal importierte Pferde, an denen die Gallier ihre höchste Freude haben und die sie sich für viel Geld beschaffen, sondern ziehen die Pferde, die es bei ihnen gibt, welche jedoch klein und hässlich sind, in täglicher Übung zu größter Zähigkeit heran‘. Nach Ausweis der germanischen Sprachen kannten die Germanen an Kleinvieh u.a.: a. Schaf: got. awi- (in awistr ‚Schafstall‘ [vgl. ahd. ewist, ouwist, ae. eowestre] und aweþi ‚Schafherde‘ [vgl. ahd. ewit, ouwiti, ae. eowde]), ahd. ou(wi), as. ewi, ae. eowu, afries. ey, aisl. ær < urgerm. *a.i- < uridg. *h2ó.i- (> luw. <.a-a-ú-i-iš>, hluw. , ai. ávi-, gr. ..., ...., lat. ovis, lit. avìs, aksl. ov.- (in ov.ca ‚Schaf‘), air. ói, kymr. ewi- (in ewig ‚Hirschkuh‘), arm. hovi- (in hoviv ‚Hirt‘), toch. B awi [nom.pl.f.]);57 b. Geiß: got. gaits, ahd. geiz, as. get, ae. gat, aisl. geit < urgerm. *ga.t- < vorurgerm. vorurital. *gha.d- (vgl. lat. haedus ‚Ziegenbock‘);58 c. Schwein: got. swein, ahd. as. ae. afries. swin, mndl. swijn, aisl. svín < urgerm. *swina- (mit Substantivierung des Adjektivs) < uridg. *suH-iHno- ‚zum Schwein gehörend‘ (> lat. suinus, aksl. svin.); vgl. ahd. as. ae. su, aisl. sýr ‚Sau‘ < urgerm. *su- < uridg. *suH-s ‚Schwein‘ (> av. huš, gr. ..., .., lat. sus, umbr. [akk.sg.] sim, [akk.pl.] sif);59 d. Hahn: got. hana, ahd. as. hano, ae. hana, afries. hana, hona, aisl. hani < urgerm. *.anan- (dazu als V.ddhi-Bildung ahd. huon, as. hon, han [vgl. auch aisl. hoens ‚Hühner‘] < urgerm. *.onon- ‚Huhn), eigtl. ‚der Sänger‘.60 ne armentis quidem] Tacitus wendet sich nun dem Großvieh zu, wobei er Rinder und Ochsen im Auge hat (mit armentum wird in aller Regel das Pflugvieh bezeichnet; vgl. Paul. Fest. p.4.: armentum id genus pecoris quod est idoneum ad opus armorum ‚Armentum ist diese Gattung von Vieh, weil es für die Arbeit der Vorderbuge gegeignet ist‘; Varro, l.l. 5,19: armenta … ut inde eligerent ad arandum ‚Zugtiere …, damit sie daher zum Pflügen ausgewählt werden‘).61 Aus dem Anschluss ne … quidem geht eindeutig hervor, dass auch das Großvieh improcerum ist und im Folgenden eine zusätzliche (negative) Beschreibung gegeben wird.62 Zum Nebeneinander von pecus und armentum vgl. etwa noch c. 21,1: certo armentorum ac pecorum numero ‚mit einer bestimmten Zahl von Groß- und Kleinvieh‘; Tac. ann. 13,55,2: pecora et armenta ‚Klein- und Großvieh‘; Lucr. 1,163: armenta atque aliae pecudes ‚Herden und anderes Vieh‘; Cic. Phil. 3,31: greges armentorum reliquique pecoris ‚Herden von Klein- und Großvieh‘; Colum. 7,12,1: de armentis ceterisque pecudibus ‚über Zugvieh und sonstige Haustiere‘; Curt. 5,5,24: armenta cum pecoribus ‚Groß- und Kleinvieh‘; Ov. met. 15,84: quippe equus et pecudes armentaque gramine vivunt ‚lebt doch das Pferd und das Rind, das Schaf und die Ziege von Gräsern‘; Verg. georg. 4,223: pecudes armenta ‚Schaf und Rind‘. Germanische Wörter für Rind und Ochse sind: 61 Nicht zugehörig sind dagegen Pferde, wie einige der früheren Kommentatoren (vgl. die Angaben bei Baumstark 1875: 260-261; Müllenhoff 1900: 155) annehmen wollten. 62 Zur Funktion von ne … quidem vgl. Kühner – Stegmann II,2: 54-55. 63 Vgl. Kluge – Seebold 2002: 766. 64 Vgl. Casaretto 2004: 217. 65 Lund 1988: 126: ”Gemeint sind die Hörner, denn die Ochsen Italiens wurden eben wegen der Schönheit ihrer Hörner gelobt. und ”Man bemerke übrigens, dass honor und gloria hier als Synonyme auftreten.; vgl. auch Anderson 1997: 57. Völlig abwegig ist die Annahme von Döderlein (vgl. Müllenhoff 1900: 156), der suus honor als ‚eigentümlicher Blick‘ verstehen wollte. 66 Vgl. Baumstark 1875: 257: ”denn von diesem Gebrauche des Wortes gloria dürfte sich auch gar nirgends ein Parallelon finden.. a. Rind: ahd. (h)rind, as. hrith, ae. hrider, afries. hrether, hrither < urgerm. *.rendaz- (vgl. schwundstufiges mnddt. runt, ront, mndl. rund, ae. hr..der < urgerm. * .rundaz-);63 b. Ochse: got. auhsa, ahd. as. ohso, ae. afries. oxa, aisl. oxi < urgerm. *u.san- < uridg. *h2uks-en- (> au. uk..-, av. uxšan-, kymr. ych, toch. B okso).64 suus honor aut gloria frontis] Nach Lund etwa wären honor und gloria Synonyme und würden die Hörner meinen.65 Gegen eine solche Auffassung spricht aber einmal, dass gloria seine genaue Bedeutung erst durch frontis erhält,66 dann aber auch, dass gloria frontis wegen der disjunktiven Partikel aut nicht epexegetisch zu honor sein kann.67 In negativen Sätzen kann die Partikel aut jedoch so verwendet werden, dass ”ein folgender Begriff oder Gedanke … als Teil oder nähere Bestimmung. untergeordnet wird.68 Es handelt sich bei gloria frontis somit um einen Teil des honor. Das Pronomen suus gibt an, dass es sich bei honor und gloria frontis um Charakterisitka des Großviehs handelt; zur Wendung suus honor vgl. Verg. Aen. 6,780: et pater ipse suo superum iam signat honore? ‚wie ihn [= Romulus] mit eigener Ehre schon ziert der Vater der Götter‘. 67 Vgl. Müllenhoff 1900: 156. Lund hat offenbar einen Vorschlag von Gudeman 1916: 68 umgedeutet: ”Hier wird das dem Rinde … zukommende … Aussehen … durch das zweite Glied näher bezeichnet.. Er hat jedoch übersehen, dass diese Interpretation erst durch eine Emendation von Gudeman, nämlich die von aut in et, zustande kommen konnte. Diese Emendation begründete Gudeman 1916: 240: ”Eine Verbindung sinnverwandter Begriffe durch aut, vel oder sive ist bei T. ohne Beispiel. Wo dies scheinbar der Fall ist, hat aut die einschränkende Bedeutung von aut potius … oder es ist ebenfalls et (oder ac) zu schreiben und das zweite Wort ist zur näheren Erläuterung des ersteren hinzugefügt.. Dagegen spricht jedoch zum einen der hss. Befund, zum anderen, dass der zweite Teil eine nähere Bestimmung ist. 68 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 103 mit Beispielen für diesen Gebrauch; Löfstedt 1956: I,347-348, Anm. 3. Nach ne … quidem etwa Tac. hist. 2,76,2: ne contra Gai quidem aut Claudii vel Neronis … domo ‚nicht einmal gegen das Haus des Gaius, Claudius oder Nero‘; Suet. Cal. 24,2: ne pro contione quidem populi aut apud milites ‚nicht einmal vor der Volksversammlung oder bei den Soldaten‘. 69 Vgl. hierzu Baumstark 1875: 256-257. Mit honor ist die Gesamterscheinung des armentum gemeint, zu welcher natürlich auch die Hörner gehören; zu honor kann frontis mitgedacht werden (zu honor frontis für ‚Hörner‘ vgl. etwa Stat. silv. 1,2,113-114: celsae procul aspice frontis honores / suggestumque comae ‚betrachte von ferne die Zierde der hohen Stirne und die aufgebaute Haartracht‘; Sil. 4,755: non frontis parcit honori ‚nicht schont er des Antlitzes Schönheit‘), muss es aber nicht.69 Das Fehlen des honor ist eine Folge der Kleinwüchsigkeit des Viehs. honor in der Bedeutung ‚Pracht, Schmuck, Zierde‘ ist dichterisch (vgl. etwa Verg, Aen. 1,591: laetos oculis adflarat honores ‚ins Auge gehaucht den Adel der Anmut‘; ds. georg. 3,290: et angustis hunc addere rebus honorem ‚und kleines Geschehn hier feiernd zu erhren‘; Hor. epod. 11,5-6: hic tertius December … / … silvis honorem decutit ‚streift der Dezember vom Wald zum drittenmal der Blätter Schmuck‘; vgl. auch Plin. paneg. 4: iam firmitas, iam proceritas corporis, iam honor capitis et dignitas oris ‚schon die Stärke, schon der hohe Wuchs des Körpers, schon die Zierde des Hauptes und die Würde des Gesichtes‘). Unter gloria frontis sind die Hörner zu verstehen. Es handelt sich ebenfalls um eine poetische Ausdrucksweise, welche durch Verg. georg. 1,168: gloria ruris ‚des Landes … Ruhm‘; ebd. 3,102: gloria palmae ‚sich freut seiner Palme‘; ebd. 4,205: generandi gloria mellis ‚Ruhm …, Honig zu schaffen‘ angeregt worden zu sein scheint. Nicht ganz deutlich ist, ob Tacitus meint, die germanischen Rinder hätten überhaupt keine Hörner,70 wie Herodot es von den skythischen Rindern ausgesagt hatte (4,29: d...e. d. µ.. .a. t. ..... t.. ß... t. ..... d.. ta.ta .. f.e.. ..pea a.t... ‚damit [= mit der Kälte] hängt, glaube ich, auch zusammen, dass die dortige kleine Rinderrasse keine Hörner bekommt‘; vgl. auch Hipp. aer. 18,4: .. ..p ...... ..pata .p. t.. ...e.. ‚die Rinder haben nämlich infolge der Kälte keine Hörner‘; Strab. Geogr. 7,3,18 p 307C: .. te ß.e. .. µ.. ..ep. .e....ta., t.. d’ .p.pp..... t. ..pata ‚und die Rinder werden teils ohne Hörner geboren, teils feilen sie ihnen die Hörner ab‘), oder die Hörner seien kleiner als die der italischen Rinder.71 Letzteres scheint dabei wahrscheinlicher zu sein,72 da im Erstglied suus honor den Rindern ebenfalls eine Pracht, wenn auch nicht die der italischen Rinder, zugesprochen wird. Die germanischen Rinder haben aber nicht das prachtvolle Äußere wie die italischen. Ebenso wird man dann auch das Zweitglied gloria frontis lesen: Die germanischen Rinder haben zwar Hörner, aber eben nicht von der Schönheit, wie das bei den italischen Rindern der Fall ist. 70 So u.a. Lund 1988: 126; wohl auch Perl 1990: 144. 71 So u.a. Müllenhoff 1900: 156; Schweizer-Sidler 1923: 13; Reeb 1933: 23; Much 1967: 116; Krüger 1988: 454; Anderson 1997: 58; unentschieden Rives 1999: 132. Für die Schönheit der Hörner wurden die italischen Rinder gelobt. 72 Hornlose Rinder kamen aber früher vor und werden auch heute gezüchtet (etwa die jetzigen schottischen Galloway-Rinder, die von hornlosen Rindern abstammen; vgl. die Angaben unter http://www.galloway- swiss.ch/seite.herkunft.php). 73 Vgl. dazu etwa Bökönyi 1974: 127-133, 177-179; Todd 1987: 100-105; Reichstein 1991: 50, 56-60, 322-324; Todd 2000: 72; RGA 24: 638-640. Die germanischen Rinder waren (wie die in Nordeuropa generell) in der Tat kleiner als die italischen (was ebenso auf die Hörner zutrifft),73 vgl. die Angaben bei den antiken Schriftstellern: Tac. ann. 4,72,2: apud Germanos … modica domi armenta sunt ‚von den Germanen … ihr Hausvieh aber nur mäßig groß ist‘; Varro, rust. 2,5,9: ad opus contra nugatori Ligusci ‚wogegen die ligurischen zur Feldarbeit nicht taugen‘; Colum. 3,8,3: armentis … insignis … est … Liguria parvis ‚Ligurien für niedriges ‘; ds. 6,24,5: eae sunt humilis staturae ‚sie [= die Altiner Kühe] sind von niedrigem Körperbau‘; Plin. nat. 8,179: plurimum lactis alpinis, quibus minimum corporis ‚die meiste Milch geben die Alpenkühe, obgleich sie ganz klein sind‘. In späterer Zeit scheint sich dies geändert zu haben, vgl. Cassiod. var. 3,50,2: et ideo … decernimus …, ut Alamannorum boves, qui videntur pretiosiores propter corporis granditatem, sed itineris longinquitate defecti sunt, commutari vobiscum liceat, minores quidem membris, sed idoneos ad laborem, ut et illorum profectio sanioribus animalibus adiuvetur et vestri agri armentis grandioribus instruantur ‚und daher erklären wir, dass die alemannischen Rinder, die wegen der Körpergröße für wertvoller erachtet werden, aber wegen der langen Reise entkräftet sind, mit euch umgetauscht werden dürfen, zwar mit kleineren Gliedmaßen, aber tauglich für die Arbeit, damit sowohl ihre Abreise mit gesünderen Tieren unterstützt wird als auch eure Felder mit größeren Zugtieren bereitet werden‘. numero gaudent] In numero liegt der Gegensatz zum Vorhergehenden: es kommt den Germanen nicht auf die Qualität an, sondern lediglich auf die Quantität.74 gaudent hat dieselbe Bedeutung wie in c. 15,2 (vgl. auch Tac. Agr. 44,4: opibus nimiis non gaudebat ‚übermäßige Güter hätten ihn nicht erfreut‘). 74 Da es sich um einen absoluten Gegensatz handelt (also nicht im Sinne von magnus numerus steht; vgl. etwa Baumstark 1875: 261-262), ist die Annahme von Much 1967: 117: ”Keinesfalls darf man aber auf diese Stelle die Annahme begründen, daß den Germanen die Schönheit und Güte des Viehs gegenüber seiner Zahl gleichgültig gewesen sei, daß bei ihnen der Grundsatz ‚viel, wenn auch schlecht‘ gegolten habe. nicht zutreffend. Es dreht sich hier nicht um eine germanische Realität, sondern um eine Interpretation seitens Tacitus (vgl. Baumstark 1875: 261: ”An Thieren von so kümmerlicher Beschaffenheit konnten die Germanen, meint der Italer Tacitus, unmöglich Freude haben; die Zahl musste ihnen gewähren, was die Beschaffenheit nicht konnte.). 75 Neben eaeque in den meisten Hss. ist auch eatque in c., eantque in C und atque in m überliefert (Maßmann 1847: 53; Robinson 1991: 152, 188), deren erste Stufe des Verderbnisses eatque ist rein graphisch zu erklären (vgl. Robinson 1991: 152). 76 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 34-35. 77 Müllenhoff 1900: 156; ähnlich Much 1967: 118. 78 poenarum] ., poena Acidalius, poena rata Mützell, poena: nam Robinson 79 Vgl. Gudeman 1916: 68: ”solae braucht man nicht als rhetorische Übertreibung aufzufassen.. 80 So u.a. Gudeman 1916: 68; Much 1967: 118; Rives 1999: 79. Als Möglichkeit bei Baumstark 1875: 266 erwogen: ”Wenn übrigens Jemand an der Verbindung von solae und gratissimae Anstoss nimmt, so mag er gratissimae absolut im Elatvius nehmen.. 81 Dessen ungeachtet kann es durchaus einiges gegeben haben, was die Germanen als Besitz aufgefasst haben. eaeque solae et gratissimae opes sunt] Bei eaeque75 liegt Attraktion an opes vor.76 solae ist nach Müllenhoff ”etwas übertrieben und nicht streng logisch..77 Jedoch handelt es sich um das wichtigste Zahlungsmittel bei der Sühnung einer Straftat (vgl. c. 12,2: sed et levioribus delictis pro modo poenarum78 equorum pecorumque numero convicti multantur ‚aber auch bei leichteren Vergehen variiert das Strafmaß, indem, wer überführt ist, mit einer Anzahl Pferde und Rinder zu büßen hat‘; c. 21,1: luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecorum numero ‚sogar Totschlag wird nämlich mit einer bestimmten Zahl von Groß- und Kleinvieh gesühnt‘).79 gratissimae ist am besten als Elativ aufzufassen.80 Die Annahme eines echten Superlativs würde suggerieren, dass es daneben anderes gab, das von den Germanen als Reichtum aufgefasst wurde,81 was aber nicht mit solae vereinbar wäre.82 82 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 264; Gudeman 1916: 68; Much 1967: 118. 83 Lund 1988: 126. 84 Vgl. auch Todd 2000: 72; RGA 13: 498-499. 85 Zum Runennamen vgl. Düwel 2001: 198; RGA 25: 558. 86 Dass diese Verbindung einst auch für Italien galt, zeigt das mit urgerm. *fe.u- verwandte lat. pecus ‚Vieh‘, von dem lat. pecunia ‚Geld‘ abgeleitet ist (vgl. zum Wort Neri 2004: 186-201). 87 Vgl. auch das aisl. Hunnenschlachtlied, wo bei der Erbschaft zuerst (8,3) kú oc af kálfi ‚Kuh und Kalb‘ genannt sind. Nach Lund handelt es sich bei dieser Aussage ”um einen kulturgeschichtlichen Topos..83 Dies ist jedoch nicht der Fall,84 wie urgerm. *fe.u- zeigt, das nicht nur ‚Vieh‘, sondern auch ‚Vermögen, Habe, Geld‘ bedeutet (> got. faihu, ahd. fihu, as. fehu, andfrk. fiu, ae. feoh, afries. fia, aisl. fé; vgl. ebenfalls den Runennamen für die Rune f: got. fe, Abc Nord. feu, ae. feoh, fech, adän. fiu, aisl. fé85),86 ebenso wie urgerm. *skatta- ‚Besitz, Vieh‘ (> got. skatts, ahd. scaz, as. skatt, ae. sceatt, afries. sket[t]), welches in aksl. skot. in der Bedeutung ‚Vieh‘ entlehnt ist.87 Mit dieser Angabe ist die Aussage bei Caes. Gall. 6,35,6 über die Sugambrer zu vergleichen: magno pecoris numero, cuius sunt cupidissimi barbari, potiuntur ‚ bemächtigten sich einer großen Anzahl von Vieh, wonach die Barbaren besonders begierig sind‘. Dass die Menge an Vieh den Reichtum des Besitzers anzeigt, gilt auch für andere Völker, vgl. u.a. Pol. 2,17,11: .pap... .e µ.. ....t... .. .p.µµata .a. .p.... d.. t. µ..a ta.ta .at. t.. pep.t..e.. ..d... d..a..a. pa.ta.. pep.a.a.e.. .a. µe...t..a. .at. t.. a.t.. pp.a.p..e.. ‚der Besitz der einzelnen [= Kelten in Norditalien] bestand in Vieh und Gold, weil sie nur diese Dinge in jeder Lage leicht überallhin mit sich führen und nach Belieben von einem Ort zum anderen bringen konnten‘; Iust. 44,4,15: armenta Geryonis, quae illis temporibus solae opes habebantur ‚das Vieh des Geryon, das in jenen Zeiten für den einzigen Reichtum gehalten wurde‘; Liv. 29,31,8: familiae aliquot cum mapalibus pecoribusque suis – ea pecunia illis est ‚eine Anzahl Familien mit ihren Hütten und ihrem Vieh – darin besteht ihr Vermögen‘; Mela 1,41: nam gregibus, quia id solum opimum est, quod potest parcitur ‚die Viehherden nämlich schont man soweit möglich, da sie den einzigen Besitz darstellen‘; Die Bedeutung des Viehs bei Völkern ohne Geld zeigt auch die altirische Literatur, wo Viehbesitz eine Indikation für den Reichtum und die gesellschaftliche Stellung des Besitzers ist. 2 argentum et aurum, – dii negaverint] Der Übergang zu Silber und Gold ist durch das Stichwort opes gegeben.88 Während die Germanen Reichtum an Vieh schätzen, haben sie an dem Besitz der beiden Edelmetalle (d.h. an dem, was in Rom in der Hauptsache als Besitz galt) kein sonderliches Interesse. Mit der Nennung der dii ist die Wendung favore … deorum in c. 33,1 (seu favore quodam erga nos deorum ‚oder die Götter uns ganz besonders gewogen waren‘) zu vergleichen. Zur Benennung von Silber und Gold verwendet das Germanische folgende Wörter: 88 Zum Übergang vgl. u.a. Baumstark 1875: 267; Perl 1990: 144. 89 Vgl. RGA 28: 427-428. 90 Vgl. Lühr 2000: 272-273; Casaretto 2004: 432. 91 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991 : 279; Perret 1997 : 73. 92 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 524-526; Menge 2000: 760-761. Anders jedoch Baumstark 1875: 279 (bei -ne … an würde das erste Element mehr betont). 93 Kühner – Stegmann II,2: 525. 94 Vgl. Perret 1950: 52: ”comme l’omission d’un petit mot … est plus fréquente que son intrusion.; Robinson a. Silber: got. silubr, krimgot. siluir, ahd. sil(a)bar, as. silubar, anfrk. siluer, ae. seolubr, siolufr, afries. sel(o)ver, aisl. silfr < urgerm. *silabur-, ein Lehnwort unbekannter (bask. zilharr ‚Silber‘ [?]) Herkunft (vgl. keltiber. silabur, lit. sidãbras, sudãbras, lett. sidrabs, sudabrs, apreuss. siraplis, aksl. s.rebro, aruss. sirablan);89 b. Gold: got. gulþ, krimgot. goltz, ahd. as. gold, andfrk. golt, ae. gold, afries. gold, goud, aisl. gull, goll < urgerm. *gulþa- < vorurgerm. *g.h..(h3)to- (vgl. mit der o-Stufe aksl. zlato, serbo- kroat. zl.to ‚Gold‘ < urslav. *'zo.to [< vorurslav. *g.holto- mit Schwund des Laryngals in der Folge KoRHK < uridg. *g.holh3-to-; mit der e-Stufe lett. zelts ‚Gold‘, ostlit. že.tas ‚golden‘ < vorurbalt. *g.helto-), eine Substantivierung (mit oppositiver Akzentverschiebung) eines nicht belegten Verbaladjektivs *g.h.(h3)tó-, eine Ableitung mit dem Suffix *-to- von uridg. *g.hel(h3)- ‚gelblich, grün sein‘.90 propitiine an irati – dubito] Zu diesem Gedanken und zum Ausdruck vgl. Plaut. Persa 470: quoí homini di propitii sunt, aliquid obiciunt lucri ‚der Mensch, dem huldvoll zugetan die Götter sind, zieht stets Gewinn von ihnen‘. In einigen Hss. (c.CtfabrlezuRAce) ist -ne ausgelassen.91 Zwischen propitiine an irati und propitii an irati scheint es keinen Unterschied in der Bedeutung zu geben.92 Da aber einfaches an regelmäßig dann steht, wenn zwei Begriffe einander knapp gegenübergestellt werden,93 scheint -ne … an die lectio difficilior zu sein. Auch ist eine Auslassung von -ne leichter verständlich als die Einfügung.94 1991: 261: ”In the Germania manuscripts the writing of the enclitics -ue and -ne as separate words is almost universal. Some of our manuscripts show corruptions which must have been caused by the separation of -ne and -ue in their respective archetypes: 5,8 propitii (-ne om.) s. f.. 95 Vgl. zu einem solchen Allgemeinplatz auch c. 33,1: seu favore quodam erga nos deorum ‚oder die Götter uns ganz besonders gewogen waren‘. 96 Vgl. Georges 1988: II, 2011. Die Frage, ob die Auffindung von Edelmetallen eine Gabe oder eine Strafe der Götter sei, wird in der Antike häufig gestellt.95 Vor allem der verderbliche Einfluss auf die Menschen ist ein rhetorisch-literarischer Topos (vgl. etwa Ov. met. 1,138-140: sed itum est in viscera terrae: / … / effodiuntur opes, inritamenta malorum ‚man drang in der Erde Geweide. Schätze … grub man hervor – dem Schlechten zum Anreiz‘; Hor. carm. 3,3,49-50: aurum inrepertum et sic melius situm, / cum terra celat ‚wofern es Gold, das besser im Erdenschoß verborgen liegt‘; Verg. Aen. 3,56-57: quid non mortalia pectora cogis, / auri sacra fames! ‚wozu nicht treibst du der Sterblichen Herzen, Gier nach Gold, du Fluch!‘; Mela 2,10: Satarchae (Sarthae) auri argentique, maximarum pestium, ignari vice rerum commercia exercent ‚die Satarchen kennen nicht Gold und Silber, diese Hauptübel, sondern treiben vielmehr Handel durch Warenaustausch‘; Sen. nat. 5,15,3: quae tanta necessitas hominem … in fundum telluris intimae mersit, ut erueret aurum non minore periculo quaerendum quam possidendum? ‚welche Not war so groß, daß sie den Menschen … in den tiefsten Grund der Erde senkte, um Gold herauszuwühlen, das man mit der gleichen Gefahr besitzt wie man es gewinnt?‘; ds. epist. 94,57: aurum quidem et argentum et propter ista numquam pacem agens ferrum, quasi male nobis committerentur, abscondit. nos in lucem propter quae pugnaremus, extulimus, nos et causas periculorum nostrorum et instrumenta disiecto terrarum pondere eruimus, nos fortunae mala nostra tradidimus nec erubescimus summa apud nos haberi quae fuerant ima terrarum ‚Gold aber und Silber und das dieser beiden wegen niemals Frieden haltende Eisen hat sie, als würden sie uns zu unserem Schaden anvertraut, in der Tiefe verborgen. Wir haben sie an das Tageslicht hervorgeholt und führen ihretwegen Krieg, wir haben die Ursachen unserer Gefährdung und die Werkzeuge dazu, indem wir die schützende Last der Erde abtrugen, ausgegraben, wir haben dem Schicksal die Ursachen unseres Unglücks ausgeliefert und erröten nicht, daß bei uns für das Höchste gehalten wird, was in der tiefsten Tiefe der Erde gelegen hat‘; Val. Fl. 6,131: ignotis insons … metallis ‚unschuldig wegen der unbekannten Metalle‘ [vgl. ebenfalls ausführlich Plin. nat. 33,1-9]). Das Wort propitius, welches zumeist von den Göttern ausgesagt ist,96 hat regelmäßig iratus als seinen Gegensatz (vgl. etwa Cic. Cael. 42: et pauci deos propitios, plerique autem iratos putabunt ‚einige andere glauben, er sei ein Liebling der Götter, die meisten jedoch, er sei ein Opfer ihres Zornes‘; ds. Att. 8,16,2: hunc propitium sperant, illum iratum putant ‚von ihm erhoffen sie Gnade, von dem anderen befürchten sie Zorn‘). Ersteres drückt (nach dem Obengenannten) das allgemeine Gefühl aus und steht somit betont an erster Stelle. Jedoch wird mit iratus der tatsächliche Wert der Edelmetalle anerkannt.97 97 Vgl. Anderson 1997: 58. 98 Vgl. auch Baumstark 1875: 269. 99 So auch Baumstark 1875: 270; Anderson 1997: 58; anders Kraggerud 1969: 76: ”sondern zeigt die Zurückhaltung des Tacitus bei der Behauptung.. affirmaverim ist Konj. potentialis (der Gegenwart); vgl. Kühner – Stegmann II,1: 176: ”Der Konjunktiv wird … gebraucht, um eine unentschiedene Möglichkeit zu bezeichnen, d.h. das Ausgesagte wird als ein Mögliches gesetzt, gleichviel, ob es in der Wirklichkeit stattfindet oder nicht, ob die Verwirklichung möglich ist oder nicht.; ebd. auch zur nicht durchführbaren Trennung in der Funktion zwischen dem Konj. präsens und Konj. perfekt. 100 Zu Gold in Germanien und dessen Wertschätzung vgl. RGA 12: 305-308; zu Silber vgl. RGA 28: 428-432. 101 Vgl. Maßmann 1847: 53; Robinson 1991: 212. dubito findet sich in gleicher Verwendung auch in c. 46,1: Peucinorum Venetorumque et Fennorum nationes Germanis an Sarmatis ascribam, dubito ‚ob ich die Stämme der Peuciner und Veneter und Fennen zu den Germanen oder Sarmaten rechnen soll, ist mir zweifelhaft‘.98 nec tamen affirmaverim nullam Germaniae venam] Die Fügung nec … affirmaverim nullam anstelle des zu erwartenden negaverim ullam ist wohl des stärkeren Ausdrucks wegen gebraucht.99 argentum aurumve gignere]100 In den Hss. alezuARce ist anstelle des in den restlichen Hss. stehenden argentum aurumve die Folge aurum argentumve belegt,101 welche aus der Angleichung an das nachfolgende aurum et argentum (c. 5,3) zu erklären ist. Zur Funktion von -ve vgl. c. 4: caelo solove. Das Verb gignere wird seit Lukrez im Sinne von ferre für die Entstehung von Metallen und anderen Dingen verwendet, so auch Tac. Germ. 45,4: nec quae natura quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve ‚von welcher Beschaffenheit er aber ist oder wie er entsteht, haben sie, da Barbaren, nicht zu ergründen gesucht oder in Erfahrung gebracht‘; ds. Agr. 12,6: fert Britannia aurum et argentum et alia metalla … gignit et Oceanus margarita ‚Britannien liefert Gold, Silber und andere Metalle … Auch bringt der Ozean Perlen hervor‘; ds. hist. 4,53,4: passimque iniectae fundamentis argenti aurique stipes et metallorum primitiae, nullis fornacibus victae, sed ut gignuntur ‚und von allen Seiten warf man in die Fundamente Gaben aus Silber und Gold sowie Erstfunde aus Bergwerken, die noch in keinem Schmelzofen bearbeitet worden waren, im ursprünglichen Zustand‘; ds. ann. 16,2,2: nec confusum metallis aurum gigni ‚Gold in Verbindung mit anderen Metallen seien Erzeugnisse der Erde‘.102 102 Vgl. ThLL VI,2: 1986,68-1987,3. 103 Die Lage dieses Silberbergwerks ist bis heute nicht ermittelt. 104 So u.a. Müllenhoff 1900: 157: ”als er diesen Satz schrieb, wuste er noch nicht was er ann 11,20 vom j. 47 n. Chr. berichtet.; Gudeman 1916: 68; ebenso als Möglichkeit bei Much 1967: 119 und Perl 1990: 144 erwogen. 105 Daher auch etwas anders Anderson 1997: 58: ”this information, probably derived from Pliny, he had overlooked or forgotten when he wrote the Germania., so auch Schumacher in Reeb 1933: 124 (das Verhältnis beider Stellen ist offen gelassen bei Rives 1999: 133: ”Tacitus elsewhere contradicts himself on this point.). 106 Vgl. Müllenhoff 1900: 157; Rives 1999: 133. 107 Vgl. Perl 1990: 144: ”als rein römisches Unternehmen übergeht er sie hier. (ähnlich Much 1967: 119: ”oder er glaubte, über sie seinen ethisch-philosophischen Betrachtungen zuliebe hinweggehen zu können.; Städele 1991: 314: ”Von den Germanen – nur ihnen gilt seine Darstellung – ist noch keiner darauf verfallen, wegen Gold und Silber die Erde zu durchwühlen.). Beide Argumente finden sich ebenfalls bei Kraggerud 1969: 77. Damit fällt übrigens diese Stelle für eine Datierung der Germania vor den Annalen weg. 108 Müllenhoff 1900: 157. 109 Vgl. etwa Reeb 1933: 23; Lund 1988: 127. Etwas abweichend Perl 1990: 145: ”die rhetorische Frage hat daher keine reale Bedeutung.. In der Regel wird diese Stelle in Widerspruch mit einer Aussage des Tac. ann. 11,20,3 gesehen: Curtius Rufus … in agro Mattiaco recluserat specus quaerendis venis argenti; unde tenuis fructus nec in longum fuit ‚Curtius Rufus …, der im Gebiet der Mattiaker Schächte zur Suche nach Silberadern hatte aufgraben lassen; nur dürftig war dort die Ausbeute und nicht von Dauer‘; diese Ausgrabung ist in das Jahr 47 n.Chr. zu datieren.103 Interpretiert wird diese Stelle teilweise so, dass die Ausgrabung dem Tacitus bei der Abfassung der Germania noch nicht bekannt gewesen sei,104 was allerdings als ein Ereignis aus dem Jahre 47 n.Chr. kaum glaubhaft ist.105 Vielmehr konnte Tacitus dieses Ereignis wegen der dürftigen Ausbeute übergehen;106 außerdem handelte es sich dabei um ein rein römisches Unternehmen.107 Damit ist natürlich nicht gesagt, ”dass die Germanen im allgemeinen das gold und silber nicht kennen..108 Zu Silber bei den Germanen vgl. auch Caes. Gall. 6,28,6: haec studiose conquisita ab labris argento circumcludunt atque in amplissimis epulis pro poculis utuntur ‚die Einheimischen sammeln sie [= die Hörner von Auerochsen] eifrig, fassen den Rand in Silber und gebrauchen sie bei feierlichen Gastmählern als Pokale‘. quis enim scrutatus est?] Hinter quis verbergen sich laut der Mehrheit der Interpreten, die auf diese Frage eingehen, die Germanen, wobei auf c. 45,4: nec quae natura quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve ‚von welcher Beschaffenheit er aber ist oder wie er entsteht, haben sie, da Barbaren, nicht zu ergründen gesucht oder in Erfahrung gebracht‘ verwiesen wird.109 Jedoch ist an dieser Vergleichsstelle zur Deutlichkeit ut barbaris eingefügt, was hier dagegen fehlt.110 Demgegenüber hatten Schweizer - Sidler gemutmaßt: ”Auch hinter Tac. Äußerungen über die Edelmetalle steht der römische Goldhunger.,111 wie auch bereits Baumstark beide Möglichkeiten erwogen hatte.112 Es wäre somit immerhin denkbar, hinter dieser Stelle eine Kritik an dem Vorgehen von Curtius Rufus und womöglich auch anderer zu sehen, die sich nicht genügend um die Erforschung lohnender Silber- und Goldadern in Germanien gekümmert haben. Dabei kann ein ausreichendes Vorkommen von Edelmetallen durchaus von eroberungspolitischem Interesse sein, vgl. Tac. Agr. 12,6: fert Britannia aurum et argentum et alia metalla, pretium victoriae ‚Britannien liefert Gold, Silber und andere Metalle als Lohn des Siegs‘. 110 Die bei Perl 1990: 145 angeführten Stellen von ”Klagen über mangelnde Erforschung. sind teils der mangelnden Erforschung von römischer Seite zuzuordnen. 111 Schweizer-Sidler 1923: 14. 112 Baumstark 1875: 271: ”Denn sie [= quis enim scrutatus est] wollen sagen a) entweder die Germanen sind so rohe Barbaren, dass an Bergbau bei ihnen selbst zu denken absurd wäre, oder b) Germanien ist ein so abgeschlossenes Barbarenland, dass es keinem Fremden möglich ist, in demselben den Interessen des Bergbaues nachzugehen. Mag man aber das Eine oder das Andere, mag man, was ebenfalls zulässig ist, Beides zugleich nehmen ….. 113 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991: 114-115 ; Perret 1997: 73. 114 Vgl. Maßmann 1847: 53 (bei Hirstein 1995 nicht angeführt). 115 perinde wählen: Grimm 1835: 3; Maßmann 1847: 53; Holtzmann – Holder 1873: 30; Baumstark 1875: 271- 273; Müllenhoff 1900: 157-158; Gudeman 1916: 69; Schweizer-Sidler 1923: 14; Reeb 1930: 23; Halm 1930: 225; Lenchantin de Gubernatis 1949: 6; Much 1967: 107; Koestermann 1970: 8; Önnerfors 1983: 4; Winterbottom – Ogilivie 1985: 40; Lund 1988: 72; Perl 1990: 84; Anderson 1997; Perret 1997: 73; Benario 1999: 18; proinde wählt demgegenüber Robinson 1991: 279. 116 Vgl. Perret 1950: 52: ”Doublet synonymique.. 117 Vgl. auch Robinson 1991: 279: ”The variant perinde, found only in ß and in s, is without adequate authority.. Falsch demnach Müllenhoff 1900: 158: ”darnach könnte hier wohl auch proinde stehn, aber besser überliefert ist perinde.. Vgl. auch Till 1943: 90: ”Ich möchte annehmen, daß H proinde im Text hatte; der Korrektor wollte es durch das geläufigere haud perinde ersetzt.. 118 Anders Bringmann 1989: 76 Anm. 63: ”Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten von perinde ist der im frühen 2. Jahrhundert n.Chr. gut belegte prägnante Gebrauch in Verbindung mit der Negation.. 119 Vgl. Baumstark 1875: 273. possessione et usu haud proinde afficiuntur] In den Hss. ist neben proinde auch perinde überliefert, in einigen auch beide zusammen: proinde in Wmhc.CpQtfmonabrlezuRAces2, proinde übergeschr. per E, perinde übergeschr. pro B, perinde al’ proinde in d, perinde in bvors.113 Auch in den alten Drucken kommen beide Lesarten vor,114 ebenso wie in den neueren Ausgaben.115 Da es zwischen beiden jedoch kaum einen Unterschied gibt116 und perinde zu wenig hss. Gewähr hat,117 scheint es ratsamer, proinde in den Text aufzunehmen.118 Der Germane ist somit noch nicht durch Gold und Silber verdorben, so dass an dieser Stelle ein Vergleich mit der Besitz- und Prunksucht der Römer vorliegt.119 Die Wörter possessio und usus verbinden diesen Abschnitt mit dem nächsten, wobei possessio noch am Begriff opes, usus bereits am Folgenden anknüpft. Beides berührt den Germanen nicht. 3 est videre] Vgl. zum Ausdruck Mumm. inc. fab. 1: est videre ‚man kann sehen‘; Iul. Val. 3,56: est videre apud illos lasciviam barbarorum ‚bei ihnen kann man die Zügellosigkeit der Barbaren sehen‘. est videre steht im Sinne von licet videre.120 Ein solcher Gebrauch von est findet sich bei Tac. lediglich noch ann. 16,34,1: coniectare erat ‚man konnte … schließen‘. 120 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 669; Lund 1988: 127. Etwas anders dagegen Baumstark 1875: 279. Ob es sich hierbei um einen Gräzismus handelt, ist in Anbetracht von Belegen wie Cato agr. praef. 1: est interdum praestare ‚es ist bisweilen vorzuziehen‘ und Gell. 18,12,9: est animadvertere ‚kann man deutlich sehen‘ durchaus fraglich (dagegen ist das Aufleben solcher Wendungen bei den Dichtern sicherlich griechischem Einfluss zuzuschreiben). 121 Vgl. RGA 28: 436. 122 Anders u.a. Gudemann 1916: 69; Perl 1990: 145; Anderson 1997: 59. 123 Man vgl. etwa Drexler 1988: 100-120. 124 Perl 1990: 70. argentea vasa] Silbergefäße römischer Herkunft sind in Germanien weit verbreitet und kommen bereits in vorrömischer Zeit vor.121 legatis et principibus eorum] Abgesandte und Anführer bekommen die Geschenke in Rom überreicht (vgl. Tac. ann. 11,16,1: igitur Caesar auctum pecunia ‚so stattete ihn [= Italicus] denn der Kaiser mit Geldmitteln aus‘). Wohl über diese erhalten auch die Anführer ihre Geschenke122 (die Abgesandten selbst werden in der Regel wohl zu unwichtig für solche teuren Geschenke gewesen sein; dementsprechend ist von einer wichtigen Rolle der Gesandten in der Germania nirgendwo die Rede). Der Begriff princeps wird an dieser Stelle ganz unvermittelt eingeführt. Die Schriftsteller der römischen Republik bezeichnen mit princeps ,die führenden Männer in den Staaten und Völkern aller Welt‘. In der Kaiserzeit hat das Wort princeps drei Bedeutungen: 1. ,der römische Kaiser‘, 2. ,wichtige römische Personen, die nicht Kaiser sind‘ und 3. ,wichtige Personen außerhalb Roms‘.123 In der Germania gilt entsprechend der Bedeutungsinhalt des Begriffes princeps als ”besonders umstritten..124 Aus den einzelnen Belegen ist zu entnehmen, dass die Funktion der principes vielfältig ist. Sie können eine Gefolgschaft haben, können Recht sprechende principes oder auch Stammesrepräsentanten sein. Die principes bilden somit deutlich die handelnde Oberschicht des Stammes und fallen daher unter die nobiles. Mit principes wird vor allem der funktionale Aspekt der nobiles zum Ausdruck. Welche Funktion die principes hier haben, bleibt unklar. Es ist aber anzunehmen, dass ihre Funktion nicht nur eine private, sondern (da sie über Gesandte verfügen) eine offizielle ist. Mit dem Wort legatus ist vermutlich ein Abgesandter gemeint, der einen Stamm oder ein Volk repräsentiert. muneri data] Zu ergänzen ist ‚von Seiten der Römer‘, die damit versuchten, einzelne Stämme an sich zu binden (vgl. zu solchen Vorgängen u.a. Tac. Germ. 42,2: sed vis et potentia regibus ex auctoritate Romana; raro armis nostris, saepius pecunia iuvantur ‚Stärke und Machtfülle dieser Könige beruhen aber auf römischem Einfluss; selten unterstützen wir sie durch unsere Waffen, häufiger durch Geld‘; ds. hist. 4,76,2: pecuniamque ac dona, quis solis corrumpantur, maiora apud Romanos ‚Geld und Geschenke, wodurch allein sie sich bestechen ließen, gebe es in reicherem Maße bei den Römern‘). Die in c.15,2 genannten Geschenke seitens der Nachbarstämme sind anderer Art. non in alia vilitate]125 In den schlechteren Hss. fabrlezuARce ist die Lesart utilitate belegt, während die anderen Hss. vilitate bieten.126 Auch in den alten Drucken findet sich die erstere Lesart, jedoch nur zweimal127 gegenüber 15mal vilitate.128 utilitate hat sich denn auch in den neueren Ausgaben, außer bei Lund, nicht durchsetzen können.129 Er begründet diese Lesart wie folgt: ”Man bemerke, daß Tacitus nicht sagt, daß die Germanen silberne Gefäße ebenso gering schätzen wie tönerne Gefäße, sondern behauptet, daß sie silberne Gefäße so behandeln, als wären sie aus Ton … Der Akzent liegt auf dem Begriff Verwendung (usus, utilitas), nicht auf dem geschätzten Wert der Dinge, denn sie werden ja nicht besonders hoch geschätzt..130 Jedoch wäre erstens utilitas nur mit dem vorangehenden Wort usus zu verbinden,131 nicht mit possessio, während vilitas zu beiden passt.132 Zweitens kann nur vilitas im Gegensatz zum nachfolgenden in pretio habent stehen,133 und drittens spricht eindeutig für vilitas auch das am Ende stehende Wort vilia.134 Gleichwohl ist die Änderung von vilitias in utilitas leicht nachzuvollziehen, weil es vom vorangegangenen usu beeinflusst ist, als eine Änderung von utilitas in vilitas. Schließlich handelt es sich in diesem Abschnitt nicht um den Gebrauch von Geschirr bei den Germanen, sondern um den Wert, den die Germanen dem Edelmetall beimessen. Im Übrigen handelt die von Lund angeführte Parallelstelle, nämlich 125 Zum Hintergrund dieser Stelle vgl. Bringmann 1989: 75-76. 126 Vgl. Robinson 1991: 212. 127 Sie wurde von Rhenanus in seine Textausgabe aufgenommen. 128 Hirstein 1995: 286. 129 Lund 1988: 74; vgl. auch Lund 1991a: 1885. Vor Lund wurde utilitate lediglich von Kritz gutgeheißen (vgl. Baumstark 1875: 277; Müllenhoff 1900: 159; Lund 1988: 127). 130 Lund 1988: 127. 131 Man vgl. übrigens Müllenhoff 1900: 159: ”aber utilitas ist nicht soviel wie usus.. 132 Vgl. Baumstark 1875: 275. 133 Vgl. Baumstark 1875: 276. 134 Gegen die Lesart utilitate auch Städele 1990: 256. Sen. epist. 5,6 (magnus ille est, qui fictilibus sic utitur quemadmodum argento, nec ille minor est, qui sic argento utitur quemadmodum fictilibus. infirmi animi est pati non posse diuitias ‚bedeutend ist, wer Tongeschirr so benutzt wie Silber, und nicht ist jener geringer, der so Silber benutzt wie Tongeschirr. Ungefestigten Geistes Wesen ist es, nicht ertragen zu können Reichtum‘) ebenfalls nicht unmittelbar vom Gebrauch von Geschirr, sondern ebenfalls von der gleichen Wertigkeit von Silber und Ton, die sich in der gleichrangigen Verwendung äußert. Zur Sache vgl. Iust. 2,2,7: aurum et argentum non perinde ac reliqui mortales adpetunt ‚Gold und Silber suchen sie [= die Skythen] nicht ebenso wie die übrigen Sterblichen‘. non in alia vilitate steht für non in eadem vilitate; vgl. zur Konstruktion auch Tac. ann. 3,16,3: neque alia … pietate ‚und gleicher Ehrerbietung‘. quam quae humo finguntur] Nach alius findet sich bei Tacitus nur quam, nicht atque. Die Umschreibung quae humo finguntur steht für fictilia.135 135 Bei Tacitus kommen solche Periphrasen häufiger vor, vgl. etwa Germ. c. 17,1. 136 Vgl. Robinson 1991: 263: ”The following are the more noteworthy variations in the punctuation of the manuscripts … 5,13-16 finguntur, quamquam … eligunt. Interiores ... 137 Vgl. etwa Gudeman 1916: 69; Lund 1988: 128; Anderson 1997: 59. 138 Kühner – Stegmann II,2: 444. 139 So von Baumstark 1875: 281-282 gewünscht. 140 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 439: ”die Konzessivsätze, welche einen als wahr oder möglich eingeräumten Gedanken ausdrücken, zu dem der Gedanke des Hauptsatzes einen Gegensatz bildet.. 141 Kühner – Stegmann II,2: 439-440. quamquam] Von allen Herausgebern wird vor quamquam eine stärkere Interpunktion gesetzt, obwohl eine solche in keiner der Hss. angedeutet ist.136 Es wird dabei verwiesen auf die Tatsache, dass restriktives quamquam seit Sallust auch in Hauptsätzen vorkommt.137 Jedoch schließen Hauptsätze, die mit solchen restriktiven Konjunktionen eingeleitet werden, sich ”an das Vorhergehende an, um dasselbe zu beschränken oder zu berichtigen..138 Eine Abtrennung vom Vorhergehenden139 ist somit auch mit einer starken Interpunktion nicht möglich. Da nun auch der Nebensatz, der mit einer solchen Konjunktion eingeleitet wird, sich auf den Gedanken des Hauptsatzes bezieht,140 liegt kein Grund vor, entgegen der hss. Überlieferung eine stärkere Interpunktion vor quamquam einzufügen. Es ist hier quamquam gesetzt, da ”die Einräumung … als eine in Wirklichkeit bestehende. bezeichnet ist.141 proximi] proximi steht verkürzt statt proximi ripae (so c. 17,1; 23 [proximi ripae ‚die dem Ufer Nächsten‘]). Unter ihnen sind sowohl die Germanen, die am Rhein leben, wie auch die an der Donau lebenden zu verstehen.142 142 Als nur die am Rhein lebenden verstanden von Lund 1988: 128 (vgl. dagegen Benario 1999: 69: ”particularly to the province of Raetia., also die an der Donau lebenden). 143 Zum Handel allgemein vgl. Todd 2000: 82-96; RGA 13: 502-593. 144 Abweichend von der üblichen Auffassung fasst Baumstark 1875: 282 das Wort usus als ”das Bedürfniss. auf, da die am Flussufer wohnenden Germanen ”durch den Handel dazu genöthigt ein formliches Bedürfniss des Geldes haben.. Jedoch hätten die Germanen, wenn sie dies nicht gewollt hätten, keine Handelsbeziehungen zu unterhalten gebraucht, so dass diese Auffassung mit Müllenhoff 1900: 160 als ”zu gepresst. anzusehen ist. ob usum commerciorum]143 Wie das Wort usus und der Plural commerciorum zeigen, handelt es sich um regelmäßige und andauernde Handelsbeziehungen.144 Dass die in der Flussnähe wohnenden Germanen Handelskontakte pflegten, ist auch in c. 17,1 zum Ausdruck gebracht (per commercia ‚mit Handelsware‘]) Es handelt sich dabei wohl um in Ufernähe stattfindenden Handel, jedenfalls durften von germanischer Seite aus nur die Hermunduren tiefer in das römische Binnenland zwecks des Handels hineingehen (c. 41,1: eoque solis Germanorum non in ripa commercium, sed penitus ‚und daher treiben sie als einzige Germanen Handel nicht nur am Ufer, sondern bis weit ins Landesinnere‘); die Bewegungsfreiheit der Germanen war in der Regel eingeschränkt (Tac. hist. 4,64,1: nam ad huc diem flumina ac terram et caelum quodam modo ipsum clauserant Romani, ut conloquia congressusque nostros arcerent ‚denn bis auf den heutigen Tag hatten die Römer Flüsse und Land und irgendwie sogar den Himmel selbst versperrt, so daß sie unsere Gespräche und unsere Zusammenkünfte verhindern‘). Römische Kaufleute dagegen drangen auch tiefer ins germanische Binnenland ein; vgl. Tac. ann. 2,62,3: illic … nostris e provinciis lixae et negatiores reperti ‚fanden sich dort [= in Suebien] … aus unseren Provinzen Marketender und Kaufleute‘. Zu Handelsbeziehungen der Germanen vgl. bereits Caes. Gall. 1,39,1: ex percontatione nostrorum vocibusque Gallorum ac mercatorum, qui ingenti magnitudine corporum Germanos, incredibili virtute átque exercitatione in armis esse praedicabant ‚auf Erkundigungen, die unser Heer eingezogen hatte, und Äußerungen der Gallier und Händler zurück. Sie erklärten beharrlich, die Germanen seien von ungeheurer Körpergröße, unglaublich tapfer und waffenerprobt‘; ebd. 4,2,1-3,3: mercatoribus est aditus magis eo, ut quae bello ceperint, quibus vendant habeant, quam quo ullam rem ad se importari desiderent … propterea quod Rhenum attingunt multumque ad eos marcatores ventitant ‚die Verbindung zu Handelsleuten wird vorwiegend zu dem Zweck aufrechterhalten, daß sie das, was sie im Krieg erbeutet haben, verkaufen können, weniger mit dem Wunsch, irgend etwas einzuhandeln … weil ihr Gebiet an den Rhein stößt und sie viel Verkehr mit Händlern haben‘; Tac. hist. 4,15,3: dein vagos et pacis modo effusos lixas negotiatoresque Romanos invadunt ‚dann überfielen sie [= Friesen und Canninefaten] die über Land ziehenden und wie in Friedenszeiten weit verstreuten römischen Marketender und Kaufleute‘; ein Verbot zum Handel treiben überliefert Cass. Dio 71,11,3: .. µ..t.. .a. t.. .p.µ...a. t.. .. ta.. ...pa.. .t...., ..a µ. .a. .. .ap..µ.... .. te .....e. … .µa µ......ta. .f... .a. .. ...ad.. .a. a.t.. ..te. t. te t.. ..µa... .ata...pt..ta. .a. t. .p.t.de.a ...p...... ‚es wurde ihnen [= Quaden] indes nicht gestattet, die Märkte aufzusuchen, damit die Markomannen und Iazygen … sich nicht unter sie mischten und sich als Quaden ausgaben, um die Verhältnisse der Römer auszukundschaften und Lebensmittel aufzukaufen‘ (AG 2, 298-299). Nach Ausweis der archäologischen Funde gab es zwischen Germanien und dem Römischen Reich intensive Handelskontakte. Die Germanen waren vor allem an Keramikwaren, Metallarbeiten, Gläsern, Lebensmitteln, Wein und Tuchwaren interessiert. Die Römer importierten dagegen aus Germanien u.a. Vieh, Pelze, Bernstein, Sklaven, rot- blonde Frauenhaare und vielleicht auch Seife, falls lat. sapo aus germ. *sa.b.o- (> ahd. seiffa, mhd. seife, mnddt. mndl. sepe, ae. sape) entlehnt ist.145 Diese rege Handelsbeziehung lässt sich auch anhand der germanischen Sprachen nachweisen: 145 Vgl. RGA 28: 124-125. 146 Das Wort verdrängt in den kontinentalgerm. Sprachen das Erbwort got. bugjan ‚kaufen‘, ae. bycgan ‚kaufen‘, aisl. byggja ‚eine Frau nehmen‘ (vgl. RGA 13: 498). 147 Da also nicht ab quamquam ”die dritte und letzte Betrachtung (edle Metalle als Geld) beginnt. (Baumstark 1875: 282), ist auch die Abtrennung dieses Satzes vom Vorhergehenden nicht zutreffend. a. got. kaupon, ahd. koufon, as. kopon, ae. ceapian, afries. kapia, aisl. kaupa146 entweder direkt < lat. cauponari ‚hökern, feilhalten‘ oder eine Verbalableitung zu lat caupo ‚(Schenk)wirt; Verhöker‘; b. as. mangon ‚kaufen‘, eine Verbalableitung zu lat. mango ‚Händler‘. aurum et argentum in pretio habent] aurum et argentum (hier in chiastischer Stellung zum oben stehenden argentum aurumve) ist ganz allgemein zu nehmen und steht in Gegensatz zur geringen Wertschätzung der Edelmetalle seitens der übrigen Germanen (vilitate . in pretio habent).147 Die seltene Wendung in pretio habere statt magni habere findet sich z.B. auch bei Sen. epist. 75,11: aut in magno pretio habere ‚oder für sehr wichtig zu halten‘; vgl. ebenfalls die Wendung in pretio esse u.a. bei Plin. nat. 33,4: nisi in pretio esset auri etiam sanies ‚wenn nicht sogar der Abschaum des Goldes im Werte stünde‘. formasque quasdam nostrae pecuniae agnoscunt] Zur Verbindung forma pecuniae vgl. Tac. ann. 16,1,1: repertum in agro suo specum altitudine immensa, quo magna vis auri contineretur, non in formam pecuniae, sed rudi et antiquo pondere ‚gefunden habe man auf einem Grundstück von ihm eine Höhle von unermeßlicher Tiefe; darin liege eine große Menge Gold eingeschlossen, und zwar nicht in Form geprägter Münzen, sondern in rohen, altertümlichen Gewichtsstücken‘. forma ist nicht nur die Form, in welcher die Münzen gegossen werden (so etwa Plin. nat. 36,168: ex iis formae fiunt, in quibus aera funduntur ‚man stellt aus ihnen die Formen her, in die man Bronze gießt‘), sondern ebenfalls das Gepräge, wie auch bei Quint. inst. 1,6,3: nummo, cui publica forma est ‚mit einer Münze, die Wert und Geltung für alle empfiehlt‘; Sen. benef. 5,20,2: non est malus denarius, quem barbarus et ignarus formae publicae reiecit ‚nicht ist schlecht ein Denar, den ein Barbar und der staatlichen Prägung nicht Vertrauter weggeworfen hat‘; Lamprid. alex. 39: formas binarias, ternarias, et quaternarias et denarias etiam resolvi praecepit neque in usu cuiusquam versari ‚er befahl, die binarischen, die ternarischen und die quaternarischen und sogar die denarischen Prägungen umschmelzen und nicht im Gebrauch von irgendjemandem herumgehen zu lassen‘ (daneben wird für das Gepräge auch nota verwendet; vgl. übertragen Hor. ars 58-59: licuit semperque licebit / signatum praesente nota producere nomen ‚es war und bleibt des Dichters Recht, ein Wort hinausgehen zu lassen, dem er den Stempel der Gegenwart aufprägte‘). Das Verb agnoscere steht im Sinne von recognoscere, wie etwa auch Tac. dial. 7,4: ac velut agnoscere concupsicunt ‚und wünschen, sie gleichsam wiederzuerkennen‘. Mit diesem Satz wird der nachfolgende Bericht über Geld bei den Germanen vorbereitet. interiores simplicius et antiquius permutatione mercium utuntur] Das Wort permutatio ist ein terminus technicus der römischen Geschäftssprache, vgl. Cic. Pis. 48: [partim permutationes] ad hunc Tusculani montem exstruendam ‚teils von Tauschgeschäften für den Bau seines Riesenpalastes hier in Tusculum‘. Tacitus gibt mit diesen Worten eine ökonomische Zweiteilung Germaniens an. Während die in Flussnähe lebenden Germanen bereits Geldhandel betreiben, stehen die im Inland wohnenden Germanen auf einer altertümlicheren Stufe, denn sie treiben noch Warenaustausch. Dieser Angabe liegt der Gedanke zu Grunde, dass man, je weiter man sich vom Römischen Reich entfernt, eine desto niedrigere Kulturstufe antrifft; Vgl. hierzu Caes. Gall. 1,1,3: propterea quod a cultu atque humanitate provinciae longissime absunt minimeque ad eos mercatores saepe commeant ‚weil sie [= die Belgier] von der verfeinerten Lebensweise und hochentwickelten Zivilisation der römischen Provinz am weitesten entfernt sind. Denn nur sehr selten gelangen Händler zu ihnen‘; Paul. dig. 18,1,1: origo emendi vendendique a permutationibus coepit. olim enim non ita erat nummus neque aliud merx, aliud pretium vocabatur ‚der Ursprung des Kaufens und Verkaufens begann mit dem Tausche; vor Alters nämlich gab es noch keine Münze, und man hatte noch nicht für das Eine den Namen Waare und für das Anderes Kaufpreis‘. Tauschhandel wegen Unkenntnis von Geld wird auch von anderen Völkern berichtet: Strab. Geogr. 3,3,7 p. 155C: ..t. d. ..µ..µat.. … f.pt... .µ..ß. .p..ta. ‚statt Geld … gebrauchen sie [= Spanier] Tausch von Waren‘; ebd. 11,4,4 p. 502C: ..d. ..p ..µ..µat. t. p.... .p..ta. … .... f.pt.... t.. .µ..ß.. p.....ta. ‚bedienen sie [= die Albaner] sich doch meist auch nicht des Geldes … sondern treiben Tauschhandel mit Waren‘; Mela 2,10: Satarchae (Sarthae) auri argentique … ignari vice rerum commercia exercent ‚die Satarchen kennen nicht Gold und Silber …, sondern treiben vielmehr Handel durch Warenaustausch‘. Dass es in Germanien Tauschhandel gab, zeigt etwa das Wort ae. hwearfing ‚Tauschhandel‘.148 148 Das Wort gehört zu got. .airban ‚wandeln‘ (zum dahinter stehenden Konzept vgl. RGA 13: 498; Wagner 1985: 312-346. Die Angaben über die Zweiteilung Germaniens beim Handel (Geld- gegenüber Tauschhandel) werden auch von den archäologischen Funden bestätigt (vgl. RGA 10: 623-624). 149 Vgl. RGA 10: 623; etwas abweichend Todd 2000: 94-95: ”dass es sich nur um eine primitive Form von Währung handelte.. 150 Zu den Münzfunden allgemein vgl. Todd 2000: 92-95; RGA 20: 331-336. 151 Lund 1988: 128; vgl. auch Reeb 1933: 23. Die Germanen im Landesinnern haben die Geldmünzen kaum als Währung im Sinne von Bezahlung bei Transaktionen gekannt.149 pecuniam probant veterem et diu notam, serratos bigatosque]150 Wie das vorangestellte und somit betonte Wort pecuniam zeigt, bezieht sich das Nachfolgende auf die proximi, welche formasque quasdam nostrae pecuniae agnoscunt atque eligunt, so dass der vorangehende Satz als eine eingeschobene Anmerkung zu proximi aufzufassen ist. Nach Lund ist das Verb probare hier aufzufassen als ”ein t[erminus] t[echnicus] der röm. nummularii …, deren Aufgabe es war, die Münzen zu untersuchen (spectare) und, wenn sie echt waren, gutzuheißen (probare)..151 Jedoch passt eine solche Bedeutung (vgl. hierzu etwa Afr. dig. 46,3,39: iussu tuo signatam eam apud nummularium, quoad probaretur ‚es [= Geld] auf dein Geheiß versiegelt bei einem Wechsler solange, bis es [von denselben] geprüft wäre‘; Plin. nat. 33,132: igitur ars facta denarios probare ‚daher entstand die Kunst, die Denare zu prüfen‘) kaum zu der Art der Germanen, so dass probare eher die Bedeutung von admittere hat.152 152 So auch etwa Baumstark 1875: 284; Müllenhoff 1900: 161; Schweizer-Sidler 1923: 15; Much 1967: 125; Anderson 1997: 59; Rives 1999: 79. 153 Nach Lund 1988: 128 liegt hier ein Hendiadyoin vor. Wie jedoch Baumstark 1875: 289 angemerkt hat, ist vetus ”vom Standpunkt des Römers. gesagt, während diu nota ”die Germanen selbst im Auge hat.; ähnlich auch Gudeman 1916: 70: ”Auch hier wird durch den scheinbar tautologischen Zusatz das erste Wort begrifflich näher erläutert.. 154 Vgl. zu den serrati und bigati allgemein RGA 2: 539-540. 155 Das Zweigespann ist Nachfolger des Bildes der Dioskuren (vgl. RGA 5: 309). 156 RGA 2: 540; vgl. auch RGA 10: 622 (jedoch mit dem Hinweis, dass die Nachricht ”nicht topisch ist.; vgl. Bringmann 1989: 76-77); Todd 2000: 93. 157 Vgl. Robinson 1991: 203. 158 Gudeman 1916: 70-71; vgl. auch Robinson 1991: 280; Anderson 1997: 60. 159 Perl 1990: 147. Der Grund für die Annahme lediglich der alten Münzsorten (veterem et diu notam; diu steht hier in der Bedeutung iam diu153), liegt wohl darin, dass nur bei solchen Echtheit und Wert garantiert waren. Die serrati, eine Sondererscheinung unter den Denaren, hatten einen gezackten Rand (wie eine Säge, lat. serra ‚Säge‘). Die bigati waren Denare,154 die das Bild eines Zweigespanns trugen.155 Sie werden zuerst bei Liv. 23,15,15 zum Jahre 216 v.Chr. genannt: laetoque iuueni promissis equum eximium dono dat bigatosque quingentos quaestorem numerare iubet ‚nun schenkte er dem jungen Mann, der sich über diese Zusagen sehr freute, ein erlesenes Pferd und beauftragte den Quästor, ihm 500 Silberdenare auszuzahlen‘. Unter den archäologischen Funden finden sich importierte bigati und serrati, jedoch ist ”der Anteil dieser Münztypen am Gesamtbestand gefundener Republikdenare verhältnismäßig niedrig..156 argentum magis quam aurum sequuntur] In den meisten Hss. der Germania ist dieser Satzteil als argentum quoque magis quam aurum sequuntur überliefert. In den Hss. ETdvormona ist quoque ausgelassen.157 Demgegenüber fehlt in der Hs. A argentum. Bei den Kommentatoren gilt die Erklärung des quoque als umstritten. Manche gehen davon aus, dass an dieser Stelle eine Verschmelzung zweier Gedanken stattgefunden hat: ”Auch das Metall wird verschieden gewertet, insofern sie Silber dem Gold vorziehen. und so eine ”bemerkenswerte Kürze des Ausdrucks. vorliegt.158 Eine solche Verschmelzung ist indessen unwahrscheinlich, da dabei ”quoque willkürlich von argentum. getrennt würde.159 Much dagegen bezieht quoque auf das Prädikat des Satzes: ”auch halten sie sich mehr an das Silber als an das Gold.,160 was jedoch wegen der Stellung von quoque nicht statthaft ist.161 Um dem Problem zu entgehen, wurde von Schütz die Emendation zu -que vorgeschlagen.162 Da es sich bei den Serraten und Bigaten um silberne Münzen handelt, wäre jedoch die dann folgende explikative Hinzufügung unnötig.163 Perl dagegen will an dieser Stelle quoque gleich etiam und quoque magis somit gleich etiam magis auffassen.164 Nun gibt es in der Tat bei Tacitus Fälle, wo quoque – entgegen der üblichen Regelung165 – wie etiam vor dem betonten Wort steht (vgl. ann. 11,13,2: comperto Graecam quoque litteraturam non simul coeptam absolutamque ‚da er erfahren hatte, auch das griechische Alphabet sei nicht gleich am Anfang vollständig gewesen‘; ebd. 13,6,1: tum quoque bellum desuerat ‚auch jetzt den Krieg verloren gegeben hatte‘), jedoch wird es zu keiner Zeit mit dem Komparativadverb magis verbunden (der Hinweis auf Liv. 4,41,3: quae pensitanda quoque magnis animis atque ingeniis essent ‚was sogar von großen Geistern reiflich überdacht werden muss’ bei Perl 1990: 147 ist somit nicht beweiskräftig; hier liegt lediglich eine nichtklassische Stellung von quoque vor). Zur Steigerung eines Komparativs wird klassisch nur magis verwendet, später auch etiamnum und adhuc,166 so Letzteres etwa in c. 19,2: melius quidem adhuc ‚noch besser ist es freilich‘. Somit wäre auch an dieser Stelle adhuc zu erwarten. In dem Satz argentum quoque magis quam aurum sequuntur kann quoque somit nur auf argentum bezogen werden. Da dies im Kontext jedoch keinen Sinn macht, scheint es am besten, quoque wegzulassen, wie dies auch in einigen Hss. geschehen ist.167 Das Verb sequi steht in der Bedeutung von praeferre. 160 Much 1967: 126; so auch Rives 1999: 79: ”they also seek silver more than gold.. 161 Vgl. auch Perl 1990: 147: ”fälschlich.. 162 Schütz 1879. 163 Vgl. Perl 1990: 147. 164 Perl 1990: 147. 165 In der Regel steht quoque vor dem zu betonenden Wort (vgl. Kühner – Stegmann II,2: 53). 166 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 462-463. 167 Ob damit die Stelle auch authentisch ist, bleibt dahingestellt. Die Hs. A ist hingegen einen anderen Weg gegangen und hat argentum weggelassen; auch damit wurde ein korrekter Satz kreiert. 168 Vgl. Todd 2000: 94; RGA 10: 622. 169 Vgl. Robinson 1991: 187, 191. Diese Nachricht wird durch die archäologischen Funde bestätigt, da in der älteren Phase der Kaiserzeit Silbergeld bevorzugt wurde.168 nulla affectatione animi] In den Hss. pQbBETdvormon ist die Lesart affectatione bezeugt, während die übrigen Hss. affectione bieten.169 Die neueren Ausgaben bevorzugen einheitlich letztere Lesart.170 Diese wird von Lund folgendermaßen begründet: ”Die lectio facilior affectatione … paßt wegen ihrer Bedeutung (affectatione = amore) nicht zum Kontext..171 Jedoch widerspricht er hiermit Müllenhoff, der schreibt: ”affectio animi hingegen ist verständlich. es bedeutet bei Cicero unbestimmt ‚gemütszustand gemütsbeschaffenheit‘, die bedeutung kann sich aber bis zu der von ‚neigung liebe leidenschaft‘ steigern … so auch hier.;172 nach ihm ist affectio somit gleich amor, wohingegen Lund affectatio ablehnt, eben weil es gleich amor sei.173 Daher hatte denn auch Baumstark zunächst nicht inhaltlich argumentiert: ”aus … afficiuntur auch die Vertheidigung und Erklärung der Lesart affectione zu schöpfen..174 Dies besagt jedoch nur, dass affectio – entgegen der Behauptung von Lund – als lectio facilior aufzufassen ist, da dieses Wort aus dem vorangegangenen Verb afficere extrapoliert sein kann, und nicht affectatio, welches Wort im Gegenteil die lectio difficilior ist. Inhaltlich begründet Baumstark ebenfalls seine Ablehnung von affectatio: ”Affectatio, welches Wort … ein leidenschaftliches und unnatürliches Streben bezeichnet, drückt nicht aus, was Tacitus hier will; denn die Germanen sollen ihm nicht blos von einem solchen übertriebenen Streben frei sein, sondern von der Schwäche eines solchen Strebens überhaupt..175 Dies mag zwar für die Germanen im Allgemeinen zutreffen, jedoch nicht für die Germanen, von denen Tacitus hier spricht, nämlich die proximi, denn diese haben Gold und Silber durchaus in pretio. Somit passt an dieser Stelle die Lesart affectatio genau: Die Germanen in Flussnähe wertschätzen zwar Gold und Silber, jedoch haben sie keine unnatürliche Begierde danach. affectatione ist somit in den Text aufzunehmen. Im Übrigen kann auch auf Plin. nat. 34,6 verwiesen werden: mireque circa id multorum affectatio furit ‚und es ist nicht zu glauben, wie die Begierde danach [= zur Korinthischen Bronze] bei vielen zur Raserei wurde‘, wo das Entgegengesetzte zur Haltung der Germanen vorliegt. 170 Demgegenüber schwanken die älteren Drucke (vgl. Maßmann 1847: 54). 171 Lund 1988: 129. 172 Müllenhoff 1900: 162. 173 Das Argument von Müllenhoff 1900: 162: ”aber jedenfalls wäre der zusatz animi bei affectatio gar nicht zu verstehen. ist für mich nicht nachvollziehbar. 174 Baumstark 1875: 294. 175 Baumstark 1875: 295. 176 Vgl. Sörbom 1935: 115. Der kausale Abl. nulla affectatione ist Variation zum folgenden kausalen Nebensatz (so auch etwa Tac. Agr. 9,5: nullis in hoc ipsius sermonibus, sed quia par videbatur ‚nicht als ob er selbst sich so geäußert hätte, sondern weil er der Mann dazu schien‘).176 numerus argenteorum] numerus steht hier, wie oben c. 5,1, in der Bedeutung ‚Anzahl‘.177 promiscua ac vilia] Unter promiscua fallen die gewöhnlichen und alltäglichen Sachen, vgl. Tac. ann. 3,70,1: equitem Romanum, maiestatis postulatum, quod effigiem principis promiscuum ad usum argenti vertisset ‚den römischen Ritter …, der eines Majestätsvergehens beschuldigt war, weil er ein Bild des Kaisers zu Silbergeschirr für den täglichen Gebrauch habe umarbeiten lassen‘; vgl. auch etwa Plin. epist. 10,96,7: quibus peractis morem sibi discedendi fuisse rursusque coeundi ad capiendum cibum, promiscuum tamen et innoxium ‚hernach seien sie auseinandergegangen und dann wieder zusammengekommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch gewöhnliche, harmlose Speise‘. Da solche Sachen in der Regel auch billig sind, ist promiscua hier mit vilia verbunden. 177 Vgl. ausführlich Baumstark 1875: 295-296. 178 Vgl. auch Baumstark 1875: 297. mercantibus] Das Verb mercari wird zwar häufig in der Bedeutung von emere verwendet (wie etwa in c. 23,1: vinum mercantur ‚kaufen sich auch Wein‘), jedoch ist es an dieser Stelle sicher allgemein im Sinne von ‚Handel treiben‘ aufzufassen.178 KAPITEL 6 1 Ne ferrum quidem superest]1 Die Kapitel 5 und 6 sind durch den Oberbegriff ‚Metall‘ miteinander verknüpft, indem Tacitus nach den Edelmetallen nun das Vorkommen von Eisen erwähnt.2 Allerdings kommt es Tacitus dabei nicht auf eine Mitteilung über das Eisen an sich an (daher überspringt er auch etwa das Kupfer;3 zum Vorkommen von Kupfer in Germanien vgl. Plin. nat. 34,2: ferunt nuper etiam in Germania provincia repertum ‚kürzlich soll es [= Kupfer] auch in der Provinz Germanien gefunden worden sein‘), sondern er benötigt das Wort ferrum, welches neben ‚Eisen‘ auch ‚(eiserne) Waffe‘ bedeutet kann, lediglich als Überleitung zur germanischen Bewaffnung.4 Zur Eisengewinnung bei den Germanen vgl. ebenfalls noch c. 43,1: Gotini, quo magis pudeat, et ferrum effodiunt ‚die Kotiner fördern, um die Schande voll zu machen, auch noch Eisen‘; Ptol. 2,11,11: .f’ ... t. ..d.p.p..e.a ‚unterhalb von ihnen [= Quaden] … die Eisenbergwerke‘ (AG 1, 184-185). 1 Zu der nur von der Hs. C gebotenen Lesart nec … quidem (vgl. Annibaldi 1910: 51; Lenchantin de Gubernatis 1949: 6; nicht aufgeführt bei Robinson 1991: 187-190) anstelle von ne … quidem vgl. Kühner – Stegmann II,2: 45-46. 2 Zum Eisenvorkommen und zur Eisenverhüttung bei den Germanen vgl. RGA 7: 61-66; Todd 2000: 121-123. 3 Noch als ”[m]erkwürdig. empfunden von Müllenhoff 1900: 163; vgl. auch Gudeman 1916: 71: ”zumal T. Bronze- oder Erzwaffen bei den Germanen nicht gekannt zu haben scheint.; Schweizer-Sidler 1923: 15: ”Neben dem Eisen wird die Bronze, die auch damals noch eine Rolle spielte, nicht erwähnt, ebenso wenig Kupfer, Blei und Zinn.. Es liegt also lediglich eine stilistische und keine sachliche Auslassung vor. 4 Vgl. u.a. Lund 1988: 129; Perl 1990: 147; Lund 1991a: 1888; Benario 1999: 70. 5 Lund 1988: 129; ebenso Much 1967: 128: ”Mit der Bemerkung … wird an die über das im Land völlig fehlende Gold angeknüpft ….. Nicht zutreffend ist die Bemerkung von Lund, dass Tacitus mit dem Wort Eisen fortfährt, nachdem er ”oben von der fehlenden Kenntnis der Edelmetalle Gold und Silber bei den Germanen gesprochen hat, was ihre moralische Integrität illustrieren soll, ….;5 in c. 5 war nämlich nicht über das völlige Fehlen von den Edelmetallen – oder insbesondere Gold – die Rede (vgl. c. 5,3: quamquam proximi ob usum commerciorum aurum et argentum in pretio habent ‚obschon die uns am nächsten Wohnenden Gold und Silber infolge des Handelsverkehrs wertschätzen‘ und argentum magis quam aurum sequuntur ‚Silber ist ihnen lieber als Gold‘). superest hat hier die Bedeutung ‚als Überschuss übrig sein‘;6 so ähnlich auch in c. 26,3: superest ager ‚bleibt Ackerland übrig‘ (vgl. auch Tac. hist. 1,51,2: viri, arma, equi ad usum et ad decus supererant ‚Männer, Waffen, Pferde waren zum Gebrauch und zur Schaustellung reichlich vorhanden‘; vgl. übertragen ds. Agr. 45,5: omnia sine dubio … superfuere honori tuo ‚zwar ist ohne Zweifel … zu deiner Ehre alles in reichem Maße geschehen‘). Tacitus nimmt somit einen relativen Mangel an Eisen an (so verwendeten die Cherusker für Kriegsgefangene immerhin eiserne Ketten [Tac. ann. 2,18,1: repertis inter spolia eorum catenis, quas in Romanos ut non dubio eventu portaverant ‚man fand unter den Beutestücken Ketten, die sie für die Römer, als sei der Ausgang der Schlacht nicht zweifelhaft, mitgebracht hatten‘]; Erzmangel bei barbarischen Völkern gehört zu den Topoi der Ethnographie; vgl. [bei den Skythen] Hdt. 4,71,4: .p..p. d. ..d.. ..d. .a... .p...ta. ‚Silber und Erz verwenden sie nicht‘; anders stellt sich dagegen der Zustand bei den Massageten dar [Hdt. 1,215,2: ..d.p. d. ..d’ .p..p. .p...ta. ..d... ..d. ..p ..d. .f. ..t. .. t. ..p., . d. .p.... .a. . .a.... .p.et.. ‚Eisen und Silber verwenden sie nicht; sie finden es nicht in ihrem Lande, Gold und Erz aber in großen Mengen‘]) und kein absolutes Fehlen.7 6 So auch die meisten Kommentatoren. Schwächer, nämlich als sufficere oder abunde suppetere, fasst es Baumstark 1875: 305 auf (vgl. jedoch ebd.: ”Wir können an unserer Stelle ebenfalls sagen: ‚sie haben keinen Überfluss an Eisen‘ in dem Sinne: ‚sie sind nicht hinlänglich damit versehen‘.). 7 So auch Rives 1999: 135; etwas anders offenbar Perl 1990: 148: ”Der Topos der Eisenlosigkeit, mit dem sozusagen der Stand der Unschuld der Naturvölker verbunden wurde …, paßt allerdings schlecht zu den kriegerischen Germanen.. 8 Vgl. Lühr 2000: 67. Aus dem Kelt. wurde das Wort ein zweites Mal als aisl. éarn, íarn, járn ‚Eisen‘ entlehnt; die zugrunde liegende Wurzel uridg. *h1/3á.H-es- ist im Germ. in got. aiz, ahd. as. er, ae. ar, ær, aisl. eir ‚Erz, Kupfer, Bronze‘ fortgesetzt (vgl. EWA II: 1109-1110; Casaretto 2004: 564). Zur Benennung des Eisens kennen die germ. Sprachen got. eisarn, ahd. isa(r)n, iser, as. isarn, ae. ise(r)n, afries. isern, aisl. ísarn < urgerm. *isarna-, das (wegen des kelt. Suffixes *-arna-) ein Lehnwort aus urkelt. *isarna- ist (> gall. [gen.sg.] Isarno-dori ‚ferrei ostii‘, air. iarann, iarn, kymr. haearn, haiarn) < vorurkelt. *h1/3iHs-.no-, eine Ableitung von uridg. *h1/3á.H-es- ‚Metall, Erz‘.8 sicut ex genere telorum colligitur] Zum Ausdruck vgl. man Tac. ann. 12,66,1: tum Agrippina … de genere veneni consultavit ‚jetzt mußte Agrippina … über die Art des Giftes Überlegungen anstellen‘. Die Schlussfolgerung, dass die Art der Bewaffnung auf Eisenmangel schließen lässt, findet sich auch in c. 45,3: rarus ferri, frequens fustium usus ‚Schwerter verwenden sie kaum, umso häufiger Knüppel‘; c. 46,3: sola in sagittis spes, quas inopia ferri ossibus asperant ‚sie verlassen sich einzig auf ihre Pfeile, die sie aus Mangel an Eisen mit Knochenspitzen versehen‘. genus telorum meint die Art der Bewaffnung.9 Unter tela sind die Angriffswaffen zu verstehen,10 wie etwa auch aus Paul. Fest. 3 hervorgeht: ea, quibus procul proeliamur, tela ‚die , mit denen wir auf die Entfernung kämpfen, heißen tela‘. Auffällig ist, dass im Folgenden die Schwerter zu den tela gerechnet werden, ganz so wie etwa bei Nep. alc. 10,5 der Dolch: ille autem, ut sonitu flammae est excitatus, etsi gladius ei erat subductus, familiaris sui subalare telum eripuit ‚das Prasseln des Feuers aber riß Alkibiades aus dem Schlaf, und obwohl man sein Schwert unbemerkt fortgeschafft hatte, [fand er doch Mittel zu seinr Verteidigung:] er zog den Achseldolch seines treuen Begleiters‘; ds. dat. 11,3-4 (wohl ein Schwert): in eundem locum …, ubi telum erat infossum, resedit … interim telum, quod latebat, protulit nudatumque vagina texit ‚er setzte sich genau an die Stelle, wo eine Waffe vergraben war … unterdessen holte er das verborgene Schwert aus dem Boden, zog es aus der Scheide‘. 9 Nicht zutreffend ist die Annahme von Baumstark 1875: 305, dass ”genus telorum ‚die Waffen im Allgemeinen‘ oder ‚im Ganzen‘. bezeichne (so ähnlich auch Lund 1988: 130: ”Tac. spricht hier nicht nur von einer Art der Waffen, sondern von den Waffen insgesamt.), zumal er kurz darauf behauptet, dass unter ”tela … nicht alle Waffen. zu verstehen seien. 10 So auch u.a. Müllenhoff 1900: 163; Schweizer-Sidler 1923: 15; Much 1967: 131. Anders dagegen Lund 1988: 130: ”Tac. spricht hier nicht nur von einer Art der Waffen, sondern von den Waffen insgesamt. (ähnlich auch Reeb 1930: 24: ”telum … ‚Wurfwaffe, Geschoß‘, dann allgemein ‚Waffe‘.). 11 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 72: ”so beruft sich T. vorsichtigerweise … auf Gewährsmänner, colligitur, statt colligimus oder colligi potest.; Anderson 1997: 61 12 Gudeman 1916: 71-72. 13 Vgl. auch Lund 1988: 129: ”Es muß jedoch vermerkt werden, daß es Tacitus in ersten Linie darum geht zu zeigen, wie primitiv die Germanen immer noch leben.. 14 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 654; so auch etwa Baumstark 1875: 305; Müllenhoff 1900: 163. 15 Zur Bewaffnung der Römer und der Germanen vgl. allgemein RGA 2: 416-430; vgl. auch Raddatz 1985; Adler 1993; Todd 2000: 39-47. Das Verb colligitur wird teils im Sinne eines Quellenberichts aufgefasst,11 da ”sich eine so allgemeine Behauptung damals kaum begründen ließ..12 Diese Deutung der Verbalform ist zwar denkbar, jedoch in Anbetracht der Intention des Tacitus,13 dass die Germanen kaum mit Metallen in Berührung gekommen sind, wenig wahrscheinlich. Näher liegend ist die Deutung von colligitur als unpersönliches Verb.14 Der Eindruck der leichteren Bewaffnung der Germanen war natürlich bedingt durch die schwerere Ausstattung der römischen Legionäre.15 rari gladiis aut maioribus lanceis utuntur] Zum Ausdruck vgl. Tac. hist. 1,81,2: rari domos, plurimi amicorum tecta ‚nur wenige nach Hause, die meisten in Häuser von Freunden‘. rari wird von Lund als perpauci aufgefasst.16 Bei einer solchen Deutung würde aber ein zu deutlicher Gegensatz zu den Angaben in c. 18,2 entstehen, wo Tacitus berichtet, dass das Schwert (neben Schild und Frame) zum festen Bestandteil der Mitgift gehört (munera non ad delicias muliebres quaesita nec quibus nova nupta comatur, sed boves et frenatum equum et scutum cum framea gladioque ‚diese Gaben werden nicht zu dem Zweck ausbedungen, damit sie der Frau gefallen, und sie dienen nicht dem Schmuck der Neuvermählten, sondern es sind Rinder und ein gezäumtes Pferd sowie Schild nebst Frame und Schwert‘). Es ist somit eher mit ‚nur wenige, nicht gar viele‘ wiederzugeben.17 Hier – wie im Folgenden – liegt wohl ein indirekter Vergleich mit den römischen Soldaten vor, wo das Schwert zur Standardausstattung gehörte.18 Schwerter werden übrigens nicht genannt bei Tac. ann. 2,14,2: nec enim inmensa barbarorum scuta, enormis hastas ‚denn die riesigen Schilde der Barbaren, ihre überlangen Lanzen‘. 16 Lund 1988: 130. Nicht notwendig ist es, mit Gudeman 1916: 72 rari als raro aufzufassen (vgl. dagegen bereits Baumstark 1875: 306: ”während Bach fälschlicherweise Beides [= rari und raro] ganz gleich setzt.). 17 So auch etwa Baumstark 1875: 306; Müllenhoff 1900: 164; Schweizer-Sidler 1923: 15; Reeb 1933: 24. 18 So auch Rives 1999: 136: ”We should also remember that Tacitus’ description involves an implied comparison with the typical weapens of the Roman soldier, which included a sword, two spears, a wooden shield, iron armour for the upper body, and an iron helmet.; vgl. auch Lund 1988: 130. 19 Anders Perl 1990: 148. Wenn in c. 44,1 kurze Schwerter als Besonderheit der Stämme an der Ostsee genannt werden (breves gladii ‚kurze Schwerter‘), sind sonst wohl längere Schwerter bei den Germanen üblich; dabei ist jedoch die Nachricht bei Cass. Dio 38,49,2-3 über die Bewaffnung im Heere des Ariovist nicht heranzuziehen, da es sich hier um Gallier handelt: µ.te t... ...t... µ.te t... ..fe.. t... µa.p.t.p... ‚weder ihre Lanzen noch ihre Langschwerter‘ (AG 1, 310-311).19 Die nichtrömischen Schwerter hatten wohl eine schlechtere Qualität als das römische, wie aus dem Bericht des Pol. 2,33,3 über die Schwerter der Gallier und Gaesaten hervorgeht: a. te µ..a.pa. ta.. .ata..e.a.., .a..pep e.p.ta. pp.tep.., µ.a. ...... t.. pp.t.. .ataf.p.. .a.p.a., .p. d. ta.t.. e..... .p....tp...ta., .aµpt.µe.a. .at. µ.... .a. .at. p..t.. .p. t....t.. ..t’ ... µ. d. t.. ..a.tp.f.. t... .p.µ....., .pe..a.ta. pp.. t.. ... .pe....a. t. p.d., te.... .ppa.t.. e..a. t.. de.t.pa. p..... a.t.. ‚daß ihre Bronzeschwerter, wie oben erwähnt, nur beim ersten Hieb eine Wirkung tun, dann sogleich stumpf werden und sich in der Länge und Breite derartig biegen, daß, wenn man den Kämpfenden keine Zeit läßt, sie gegen die Erde zu stemmen und mit dem Fuß gerade zu biegen, der zweite Schlag mit ihnen vollkommen wirkungslos wird‘. In der älteren römischen Kaiserzeit haben die Germanen fast ausschließlich kurze, zweischneidige Schwerter,20 die vermutlich auf römischen Einfluss zurückgehen.21 Nach den Grabfunden zu urteilen, besaßen wirklich nur recht wenige GermanenSchwerter. So enthalten nur fünf von 103 Gräbern der letzten vorchristlichen Jahrzehnte und der älteren römischen Kaiserzeit im Friedhof von Marmstorf Schwerter. In den über 200 Gräbern des Friedhofes Hamburg-Langenbeck wurden nur sieben Schwerter gefunden. Wie diese Tatsache zu erklären ist, bleibt aber unklar. Entweder kam das Schwert wirklich seltener vor, oder nicht jeder bekam ein Schwert als Grabbeigabe mit, was sowohl durch den Mangel, als auch die Kostbarkeit zu erklären wäre.22 Das Germanische kennt für das Schwert folgende Ausdrücke: 20 Ausführlich zum Schwert RGA 27: 523-597; Raddatz 1985: 305-306. 21 Vgl. RGA 2: 423; ebd. 27: 549-559; Raddatz 1985: 305. 22 Vgl. Todd 2000: 40. 23 Vgl. hierzu Neri 2003: 222-225 mit älterer Literatur. 24 Vgl. Lühr 2000: 44; Casaretto 2004: 120. 25 Vgl. Lühr 2000: 170. 1. got. hairus, as. heru- (nur in Komposita), ae. heoru, aisl. hiorr (ein sekundärer .a-St.) < urgerm. *.eru- < vorurgerm. *kéru-, eine Ableitung der uridg. Verbalwurzel uridg. *(s)ker- ‚schneiden‘ (> ahd. skeran, ae. sceran, afries. skeran, aisl. skera, gr. .e.p., arm. k.erem, alb. shqerr); vgl. vorurbaltslav. *(s)k..-i- ‚Axt, Beil‘ (> lit. ki.vis, lett. cìrvis, russ. dial. cerv).23 2. got. mekeis*/meki*, run. makija, as. maki, ae. mece, krimgot. mycha, aisl. mækir < urgerm. *meki.a- ‚Schwert‘ (wohl kein Erb-, sondern Lehnwort; aus dem Germ. entlehnt in aksl. mec.);24 3. ahd. swert, as. swerd, ae. sw(e)ord, aisl. sverð < urgerm. *s.erda- ‚Schwert‘ < vorurgerm. *s.er-tó-, eine Ableitung von der uridg. Verbalwurzel *s.er- ‚schneiden, stechen; eitern‘ (> ahd. sweran, mndl. sweren; vgl. av. xvara- ‚Wunde‘ [< *s.ero-]; air. serb, kymr. chwerw ‚bitter‘ [< *s.er.o-]; russ. chvóryj ‚kränklich‘ [< *s.oro-]);25 4. ahd. as. sahs, ae. seax, afries. sax, aisl. sax < urgerm. *sa.sa- ‚Messer, Kurzschwert‘ < uridg. *sokHso- (> lat. saxum ‚Stein‘), eine Ableitung zu uridg. *sekH- ‚schneiden‘ (vgl. lat. secare, umbr. -sekatu [< *skH-.é/ó-]); 5. ahd. -brant (in PN wie Hiltibrant, Hadubrant), mhd. brant, ae. brand, brond, aisl. brandr < urgerm. *branda-, eine Ableitung zu urgerm. *brenne/a- ‚einen schneidenden, brennenden Schmerz verursachen‘ > ‚brennen‘ (> got. ahd. brinnan, ae. beornian, afries. burna, aisl. brinna, brenna).26 26 Vgl. Lühr 2000: 62. 27 Es muss zugegeben werden, dass Tacitus sich bei dieser Interpretation etwas verwirrend ausgedrückt hat (vgl. auch Rives 1999: 138: ”On the other hand, if this interpretation of the phrase is correct, Tacitus has expressed himself very obscurely.); vgl. jedoch Baumstark 1875: 310: ”dass sie keine Lanzen haben mit grosser und breiter Spitze; denn dies vor Allem will der Ausdruck majores lanceae bezeichnen, da im alsbald folgenden angusto et brevi ferro der wesentliche Gegensatz der framea zur major lancea ausgesprochen ist.. 28 So u.a. Rives 1999: 138. 29 So auch u.a. Müllenhoff 1900: 165; Schweizer-Sidler 1923: 16; Much 1967: 135; auf beides bezogen dagegen Anderson 1997: 61; Benario 1999: 70. Vgl. auch Baumstark 1875: 311. Wie aus der Tatsache hervorgeht, dass es sich hier um das Eisen handelt, sowie aus dem Gegensatz zum Nachfolgenden, wird mit der Zufügung maioribus zu lanceis27 nicht etwa die Länge des Holzschafts bezeichnet (dagegen ist die Länge der Waffe wohl gemeint bei Tac. hist. 5,18,1: praelongis hastis ‚dank … der überlangen Lanzen‘; ds. ann. 2,14,2: nec enim inmensa barbarorum scuta, enormis hastas inter truncos arborum et enata humo virgulta perinde haberi quam pila et gladios et haerentia corpori tegmina ‚denn die riesigen Schilde der Barbaren, ihre überlangen Lanzen ließen sich zwischen den Baumstämmen und im Buschgelände nicht ebenso gut handhaben wie die römischen Wurfspieße und Schwerter der Römer und die dem Körper eng anliegenden Rüstungen‘),28 sondern die Größe der Eisenspitze.29 Auf die Eisenspitze zu beziehen ist wohl die Angabe bei Tac. ann. 1,64,2: hastae ingentes ad vulnera facienda quamvis procul ‚sie [= die Cherusker] hatten … mächtige Lanzen, die Wunden schlagen konnten aus noch sie großer Entfernung‘; unklar dagegen Tac. hist. 2,88,3: ingentibus telis ‚mit ihren riesigen Lanzen‘; vgl. auch Lucan. 6,259: longis Teutonus armis ‚die Teutonen mit ihren langen Schilden‘; Amm. 17,12,2: hastae sunt longiores ‚lange Speere‘. Die seltenere Ausstattung mit größeren Lanzen bei den Germanen wird auch in Tac. ann. 2,14,3 zum Ausdruck gebracht: primam utcumque aciem hastatam, ceteris praeusta aut brevia tela ‚nur die vorderste Linie sei einigermaßen mit Lanzen versehen, die übrigen führten an der Spitze im Feuer gehärtete oder aber kurze Wurfspeere‘. Große Lanzenspitzen von vierzig bis fünfzig Zentimetern Länge kommen seit dem 2. Jh. v.Chr. vor, waren aber niemals allgemein gebräuchlich. Während der römischen Kaiserzeit nahm die Länge der Lanzenspitzen immer mehr ab. Nur noch aus den ersten Jahrzehnten des 1. Jh. n.Chr. stammende längere Spitzen werden gefunden.30 Die lancea ist nach Diod. 5,30,4 keltiberischer Herkunft: pp.ß.....ta. d. ....a., .. ..e.... .a...a. .a....., p...a.a t. µ..e. t.. ..d.p.. ‚die Speere, welche sie schleudern, heißen «langkiai», und diese besitzen Eisenspitzen‘ (vgl. auch Sisen. hist. frag. 72: Galli … lanceis … medium perturbant agmen ‚die Gallier bringen … mit Lanzen … die Mitter der Marschkolonne in Unordnung‘). 30 Vgl. Adler 1993. 31 So auch Baumstark 1875: 310-311: ”Dass Tacitus das Wort lancea gebraucht in Gegensatz zu dem gleich folgenden hasta, dies dürfte mehr auf stilistischer Variation beruhen, als auf einem sachlichen Unterschiede. Denn wie hasta nicht blos einen kleinen Speer bezeichnet sondern auch einen grossen, so bezeichnet lancea … erweislich nicht blos einen grossen … Speer.. 32 Vgl. auch Lund 1988: 130. 33 Die Nichtnennung des Fremdwortes in den anderen Werken des Tacitus hat seine Ursache ”in der rhetorischen Kunstprosa der Geschichtsbücher., da dort ”Fremdwörter überhaupt, als stilwidrig vermieden. werden (Gudeman 1916: 72). 34 Vgl. ThLL VI,1: 1239,72-79. 35 Die framea wird in einem Glossar in Mai’s Collect. erklärt als hasta longissima. hastas] Zwischen lancea und hasta gibt es keinen Unterschied in der Bedeutung. hasta wird hier nur aus Gründen der Variation verwendet.31 Es war ein leichter, auch zum Stoß geeigneter Wurfspeer, der vor allem bei Beginn des Kampfes geschleudert wurde.32 Die lancea war bei den Römern mit der hasta am(m)entata ‚eine mit einer Wurfschlinge versehene Lanze‘ identisch, vgl. Isid. orig. 18,7,5: lancea est hasta amentum habens in medio ‚die lancea ist eine hasta, die in der Mitte eine Wurfschlinge hat‘. Die hasta am(m)entata ist nach Plin. nat. 7,201 etruskischer Herkunft: invenisse dicunt … hastas velitares Tyrrenum ‚die Spieße der Leichtbewaffneten soll Tyrrenus erfunden haben‘. vel ipsorum vocabulo frameas] Die germ. Eigenbezeichnung der Lanze als framea kommt bei Tac. nur in der Germania vor.33 Außerhalb dieser Stelle ist das Wort noch belegt34 bei Iuv. 13,79: et Martis frameam ‚dem Speer des Mars‘; Ulp. dig. 43,16,3,2: arma sunt omnia tela, hoc est et fustes et lapides, non solum gladii hastae frameae, id est rhomphaeae ‚Waffen sind alle Gewehre, d.h. auch Prügel und Steine, nich blos Schwerter, Lanzen, Spieße, d.h. Hellebarden‘; Gell. 10,25,2: telorum … vocabula, quae in historiis veteribus scripta sunt … frameae ‚Benennungen von Wurfgeschossen …, welche sich in den alten Geschichtswerken erwähnt finden, sind … Framen‘; Mart. Cap. 5,425: Gradivi frameam non ausus poscere ‚nachdem er’s nicht gewagt hat, Mars‘, des Angreifers Spieß zu fordern‘.35 In späterer, christlicher Literatur wird das Wort framea dagegen als Schwert erklärt,36 vgl. etwa Isid. orig. 18,6,3: framea vero gladius ex utraque parte acutus, quam vulgo spatam vocant … Framea autem dicta quia ferrea est … ac proinde omnis gladius framea ‚die Frame ist aber ein zweischneidiges Schwert, das man gemeinhin Spatha nennt … Sie wird aber Frame gennant, weil sie aus Eisen ist … und demgemäß ist jedes Schwert eine Frame‘; Aug. epist. 140,41: framea gladius est ‚die Frame ist ein Schwert‘.37 36 Vgl. aisl. fremjar ‚Schwert‘. 37 Weitere Belege ThLL VI,1: 1239,80-1240,17. Auch der Dichter des Waltharius verwendet framea (1016, 1376) für Schwert. Das ...e.. ..µfa.a. aus Psalm 35,3 der Septuaginta wird in der Vulgata mit effunde frameam wiedergegeben, welches von Notker wiederum mit kebreite dîn suert ‚breite dein Schwert aus‘ übersetzt wird. Die ursprüngliche Bedeutung war jedoch offenbar nicht ganz vergessen, vgl. Arnob. in psalm. 16: frameam humanae litterae specialiter dicunt lanceam regis, nos autem generaliter gladium in scripturis sanctis accipimus ‚die weltlichen Schriften nennen die Frame besonders die Lanze des Königs, wir aber haben es in den heiligen Schriften als Schwert überhaupt aufgenommen‘; Eucher, instr. II p. 147,1: frameae hastae longissimae … quidam etiam gladios significari putant ‚Framen sind sehr lange Lanzen … manche meinen, dass sie auch Schwerter bezeichnen können‘. 38 Vgl. RGA 9: 366-368. Zum -e- statt des zu erwartenden -i- (*framia) vgl. Wagner 1999: 170-171. 39 Vgl. Grünzweig 2004: 33-36 mit der älteren Literatur. Vom Benennungsmotiv her lässt sich wohl auch die Runeninschrift auf der Lanzenspitze von Kowel (ca. 250 n.Chr.) run. tilarids vergleichen, falls sie tatsächlich als ‚Hin-/Zielreiter‘ zu deuten ist (Grünzweig 2004: 28-31 mit älterer Literatur). 40 So fand das Wort ebenfalls keine Verwendung in der germanischen Personennamengebung. 41 Vgl. Lühr 2000: 50. 42 Vgl. Neri 2003: 252-253; RGA 29: 331-332. 43 Vgl. RGA 29: 365-366. Lat.-germ. framea ist die Latinisierung von urgerm. *fram.o- f.38 Das Wort ist zum Verb urgerm. *fram.e/a- ‚vorwärtsbringen, vollführen‘ zu stellen (> ahd. fremman, as. fremmian, ae. framian, fremman, afries. frem[m]a, aisl. fremja). Zur Ableitung und zum Benennungsmotiv ist die Runeninschrift auf der Lanzenspitze von Dahmsdorf (ca. 250 n.Chr.) run. ranja < urgerm. *ranni.an- zu vergleichen, eine Ableitung von urgerm. *ranni.e/a- ‚laufen machen‘ (> got. -rannjan, ahd. rennen, as. rennian, ae. -rennan, afries. renna, rinna, aisl. renna).39 Bemerkenswert ist, dass die Römer gerade dieses Wort übernommen haben, das in den germanischen Einzelsprachen offensichtlich keine weitere Rolle mehr gespielt hat.40 Zur Benennung des Speeres kennen die Germanen u.a. folgende Wörter: 1. ahd. as. ger, lgb. gaire-, ae. gar, aisl. geirr < urgerm. *ga.za- < vorurgerm. *gha.Hso- ‚Stab, Wurfspieß‘ (> gr. .a..., air. gaë);41 2. ahd. as. sper, ae. spere, aisl. spjor(r) < urgerm. *speru- < vorurgerm. *spórH-u : *spérH- .-, vgl. vorurital. *sp.H-ó- (> lat. sparus m. sparum n. ‚kurzer Jagdspeer‘);42 3. ahd. spioz, as. spiot, aisl. spjót < urgerm. *spe.ta- ‚der Eilende‘, eine Ableitung von uridg. *spe.d- ‚sich beeilen‘ (> gr. .pe.d., lit. spáusti);43 4. ahd. asc, as. ask, aisl. askr < urgerm. *aska- neben lat.-germ. Asci- (in Asciburgium [s. c. 3,2]), ahd. (dat.pl.) asckim, ae. æsc < urgerm. *aski- ‚Esche, Speer aus Eschenholz‘.44 angusto et brevi ferro] Dieselbe Verbindung auch etwa Tac. dial. 30,5: neque oratoris vis et facultas sicut ceterarum rerum angustis et brevibus terminis cluditur ‚und des Redners Kraft und Fähigkeit läßt sich nicht wie bei anderen Tätigkeiten in enge und kleinliche Grenzen einschließen‘; Plin. epist. 2,7,4: ut vita eius brevis et angusta debuerit hac velut immortalitate proferri ‚daß sein [= des Cottius] kurzes, engbegrenztes Leben durch dies unvergängliche Mal gleichsam verlängert werden durfte‘. 44 Vgl. Lühr 2000: 223. 45 Vgl. zu diesem Gebrauch ThLL VI,1: 583,71-584,77. 46 Vgl. RGA 2: 458-459. Zur Abnahme der Spitzenlänge in der älteren mit erneute Zunahme in der jüngeren römischen Kaiserzeit vgl. Raddatz 1985: 301-302, 310-311. 47 Anderson 1997: 62; ähnlich auch Benario 1999: 70: ”The description of the point is easily transferred to the weapon itself.. Dies wird von Much 1967: 136 verkannt: ”Daß dies in Bezug auf die Speerklinge gesagt wird, fällt auf, da es für die Verwendbarkeit der Waffe mehr noch auf die Art des Schaftes ankam.. 48 Aus diesem Grund ist auch die Interpretation von Scheindler 1930: 218-219, der habili mit ‚haltbar‘, ‚feststeckend‘ wiedergibt, nicht überzeugend. Dies steht in Gegensatz zu den lanceae maiores. Mit ferrum ist die eiserne Spitze gemeint.45 Da die Frame also eine Waffe mit einem kurzen Eisenblatt ist, ist wohl auch sie in Tac. ann. 2,14,3 gemeint: ceteris praeusta aut brevia tela ‚die übrigen führten an der Spitze im Feuer gehärtete oder aber kurze Wurfspeere‘ (vgl. auch Isid. orig. 18,7,8: falarica est telum ingens torno factum, habens ferrum cubitale ‚die Falarica ist eine gewaltige, mit einem Dreheisen gemachte Waffe, die eine Eisenspitze von einer Elle Länge hat‘). Die Beschreibung ist mit den archäologischen Funden in Einklang. Die durchschnittliche Länge der Lanzenblätter liegt zwischen zehn bis zwanzig Zentimetern.46 Vergleichspunkt ist das römische pilum, ein etwa zwei Meter langer Speer, dessen letzter Meter aus Eisen bestand mit einer etwa fünf bis siebzehn Zentimetern langen Spitze. sed ita acri et ad usum habili] Zum Ausdruck vgl. u.a. Liv. 7,10,7: modicaque in armis habilibus magis quam decoris species ‚bescheiden in Waffen, die mehr handlich als ansehnlich waren‘; Amm. 17,12,2: ad latrocinia magis quam aperto habilibus ‚mehr zu Raubzügen als zu offenem Kampf geeignet‘. Auch die Wörter acri und ad usum habili beziehen sich auf die Lanzenspitze. Die Einengung der Zweckdienlichkeit der Waffe auf die Spitze (und nicht auf das ganze Äußere, d.h. Schaft und Spitze) ist das Resultat einer ”stylistic condensation.,47 die jedoch den Übergang zum Gebrauch im Kampf möglich macht.48 ut eodem telo – vel comminus vel eminus pugnent] Die doppelte Verwendungsweise einer einzigen Waffe steht ebenfalls in Gegensatz zur römischen Kampfesausrüstung, zu der Nah- (hasta) und Fernkampfwaffen (pilum) gehörten (so auch die Waffenausrüstung bei den Kimbern; vgl. Plut. mar. 25,11: ....t..µa d’ .. ....t. d.ß...a, ..µpe...te. d. µe...a.. ..p..t. .a. ßape.a.. µa.a.pa.. ‚jeder Reiter hatte einen Wurfspeer mit doppelter Spitze und für den Nahkampf ein langes schweres Schwert‘ [AG 1, 256-257]). Zur Verwendungsweise vgl. auch Agath. 2,5,5: e... d. .. .....e. d.pata .. ..a. .µ..p., .. µ.. ... ...’ ..d. ..a. µe...a, ...’ .... ....t..e..a. te, e. p.. de...., .a. .. t.. ...eµ..... papat..e.. pp.. t.. .µß.... .f...e...a. ‚diese Angonen sind Speere von mittlerer Größe, die man bei Bedarf sowohl zum Werfen wie auch zum Stoß im Nahkampf verwenden kann‘.49 prout ratio poscit] prout ratio poscit ist wie nahe stehende Ausdrücke formelhaft; vgl. u.a. Tac. Germ. 44,2: ut res poscit ‚je nachdem die Lage es erfordert‘; ds. dial. 31,6: prout res poscit ‚wie es die Sache gerade fordert‘; ds. hist. 1,79,4: ubi res posceret ‚wenn erforderlich‘; ebd. 2,5,1: si res posceret ‚wenn es die Lage erforderte‘. 49 Vgl. zu dieser doppelten Verwendungsweise auch Raddatz 1985: 310: ”waren demnach zum Stoß und Wurf geeignet.. 50 Zur Übersetzung von et – quidem mit ‚nun‘ vgl. Menge 1993: 339; anders etwa Reeb 1933: 24, der et separat mit ‚auch‘ wiedergibt. Zu contentus est bemerkt Gudeman 1916 : 72-73: ”Streng genommen hätte man hier ein Verbum wie ‚utitur‘, statt contentus est, erwarten müssen, denn für einen Reiter mit Schild und framea wäre die etwaige Handhabung von noch anderen Waffen doch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen.; dagegen spricht natürlich, dass der Reiter zunächst die Frame hätte werfen und dann auf eine andere Waffe zurückgreifen können. 51 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 67-71. 52 So nur explizit bemerkt von Baumstark 1875: 313; Much 1967: 137; ähnlich Perl 1990: 148. 53 Die Bemerkung von Lund 1988: 130: ”dem römischen Leser ist es hier in erster Linie aufgefallen, daß die Germanen ohne Schutz (intecti) kämpften, da sie nur Schilde zur Deckung hatten., passt besser zum nachfolgenden nudi. Dass der römische Reiter zusätzlich noch über einen Helm und einen Panzer verfügte, ist damit natürlich nicht in Frage gestellt. et eques quidem scuto frameaque contentus est]50 Der Reiter (der Singular eques hat hier kollektiven Sinn51) wird die Frame wohl nur im Nahkampf verwendet haben, da er nach dem Schleudern sonst waffenlos gewesen wäre.52 Die Schilderung der Bewaffnung der germanischen Reiter (dagegen offenbar auf alle Germanen bezogen bei Tac. ann. 2,14,2: nec enim inmensa barbarorum scuta, enormis hastas ‚denn die riesigen Schilde der Barbaren, ihre überlangen Lanzen‘) steht in Gegensatz zu der eines römischen Reiters, der zusätzlich noch über ein Schwert verfügt.53 Dass es sich bei dem Schild und der Frame um die Hauptwaffen der Germanen handelt, geht ebenfalls aus der Angabe in c. 13,1: scuto frameaque ‚mit Schild und Frame‘ hervor. Die germanischen Schilder werden auch Tac. ann. 2,14,3 beschrieben: ne scuta quidem ferro nervove firmata, sed viminum textus vel tenuis et fucatas colore tabulas ‚nicht einmal Schilde, die mit Eisen beschlagen oder mitLeder verstärkt seien, sondern bloßes Weidengeflecht oder dünne, buntgefärbte Bretter‘; vgl. auch ds. hist. 2,22,1: cantu truci et more patrio nudis corporibus super umeros scuta quatientium ‚die unter wildem Gesang und nach heimischem Brauch mit nacktem Oberkörper ihre Schilde über den Schultern schwangen‘; Caes. Gall. 1,52,5: reperti sunt complures nostri, qui in phalangam insilirent et scuta manibus revellerent et desuper vulnerarent ‚dabei gab es einige unter unseren Soldaten, die in die Phalanx eindrangen, die Schilde mit den Händen wegrissen und die Feinde von oben herab verwundeten‘; Flor. epit. 1,45,13: elatis super caput scutis cum se testudine barbarus tegeret ‚als die Barbaren ihre Schilde über die Köpfe erhoben, um sich mittels der ”Schildkröte. zu schützen‘ (Quellen 3, 176-177).54 Da in c. 44,1 runde Schilde als Besonderheit der Stämme an der Ostseeküste erwähnt werden (omniumque harum gentium insigne rotunda scuta ‚und kennzeichnend für all diese Völkerschaften sind runde Schilde‘), scheint es sich hier nicht um runde Schilde zu handeln.55 Zur Bezeichnung des Schildes verwenden die Germanen folgende Wörter: 54 Dagegen handelt es sich bei Cass. Dio 38,50,2: t.. te .sp.da. .p.....a. ‚warfen nun die Römer ihre Schilde fort‘ (AG 1, 312-313) um römische Schilde. 55 Ausführlich zum Schild vgl. RGA 27: 81-106; vgl. auch Zieling 1989: 398-401. Zum Schild in den römischen Bilddarstellungen vgl. Krierer 2004: 155. 56 Vgl. Lühr 2000: 183; Casaretto 2004: 529. 57 Vgl. Lühr 2000: 63. 58 Vgl. EWA II: 249-251; Casaretto 2004: 80. 59 Vgl. RGA 18: 459. 60 Vgl. etwa Gudeman 1916: 73; Lund 1988: 131; Perl 1990: 148; Anderson 1997: 64. Vorsichtiger Schweizer- Sidler 1923: 16: ”so nicht bloß dichterisch.. 1. got. skildus, ahd. scilt, as. scild, ae. scield, afries. skeld, aisl. skjoldr < urgerm. *skeldu- ‚Schild‘, eine Ableitung zur uridg. Verbalwurzel *skelH- ‚spalten‘;56 2. ahd. rant, as. ae. afries. rand, aisl. rond < urgerm. rando- ‚Rand, Schild(rand)‘ < *ramdo-, eine Ableitung zu vorurgerm. *rem- ‚stützen‘;57 3. got. -baurd, ahd. bort, as. ae. afries. bord, aisl. borð < urgerm. *burda- ‚Brett, Schild‘;58 4. ahd. linta, ae. aisl. lind < urgerm. *lendo- mit meonymischer Übertragung aus der Baumbezeichnung ‚Linde‘.59 pedites et missilia spargunt] Der Ausdruck spargere missilia wird häufig als poetisch, sogar als Vergilreminiszenz aufgefasst,60 der spargere mehrmals im Sinne von ‚werfen‘ verwendet (dies wohl in Nachfolge von Enn. ann. 284: spargunt hastas ‚sie schleudern die Speere‘): Aen. 7,686-687: pars maxima glandes / liventis plumbi spargit ‚de meisten scleudern mit Eicheln nur aus bläulichem Blei‘; ebd. 8,694-695: telisque volatile ferrum / spargitur ‚schleudert … fliegende Speere‘; ebd. 12,50-51: et nos tela … ferrumque … / spargimus ‚auch ich … schleudre Geschoß … und Speer‘. Jedoch hat bereits Baumstark darauf hingewiesen,61 dass die Verbindung von spargere mit missilia mehrmals bei Sueton vorkommt; vgl. Suet. Cal. 18,2: sparsit et missilia variarum rerum ‚auch ließ er [= Caligula] die verschiedensten kleinen Geschenke … ausstreuen‘; ds. Ner. 11,2: sparsa et populo missilia omnium rerum ‚auch wurde … alles mögliche unter das Volk verteilt‘; ds. Dom. 4,5: omne genus rerum missilia sparsit ‚ ließ er [= Domitian] alle möglichen Dinge auswerfen‘. 61 Baumstark 1875: 321-322; so auch Müllenhoff 1900: 166. Nicht festgelegt Anderson 1997: 64: ”so used of missles in poetry … and later in prose.. 62 So etwa Baumstark 1875: 319-320 (etwas abweichend S. 322: ”Kleingeschosse, Wurfzeug.); Schweizer- Sidler 1923: 16; Reeb 1933: 24 (jedoch einschränkend ”hier und da auch Steine.; Much 1967: 139; Perl 1990: 148 (mit Hinweis auf die römischen Velites); Städele 1991: 317: ”leichte Wurfspeere.; Anderson 1997: 64; Rives 1999: 139-140; Benario 1999: 70. Zusätzlich zu Schild und Frame führen die Fußsoldaten noch missilia mit sich. Unklar ist, was für eine Waffenart sich hinter diesen missilia genau verbirgt. Zumeist wird angenommen, dass es sich um kleinere Spieße handelt. Diese Interpretation erfolgt unter Hinweis zum einen auf SHA, claud. 8,5: tecta sunt flumina scutis, spatis et lanceolis omnia litora operiuntur ‚die Flüsse sind mit Schilden bedeckt, alle Ufer übersät mit Schwertern und kleinen Lanzen‘, zum anderen auf Grabfunde, in denen neben größeren auch kleinere Lanzenspitzen gefunden wurden.62 Demgegenüber berichtet Tac. hist. 5,17,3: saxis glandibusque et ceteris missilibus proelium incipitur ‚begann der Kampf mit einem Hagel von Steinen, Kugeln und anderen Wurfgeschossen‘, wo also offensichtlich unter den missilia neben anderen auch Steine und Bleikugeln verstanden werden; vgl. auch – jedoch von den Reitern ausgesagt – Caes. Gall. 1,46,1: equites Ariovisti propius tumulum accedere et ad nostros adequitare, lapides telaque in nostros conicere ‚daß die Reiter Ariovists sich der Anhöhe weiter näherten, auf unsere Reiter zuritten und Steine und Wurfgeschosse auf sie schleuderten‘; allgemein Verg. Aen. 7,741: Teutonico ritu soliti torquere cateias ‚Wurfkeulen pflegen sie nach der Art der Teutonen zu schleudern‘ (worin allerdings Servius und Isidor Wurfspieße sehen); aus späterer Zeit vgl. noch Amm. 31,7,12: barbarique … ingentes clauas … conicientes ambustas ‚die Barbaren … schleuderten ungeheure, im Feuer gehärtete Keulen‘; Sidon. epist. 4,20,3: lanceis uncatis securibusque missibilibus dextrae refertae clipeis laevam partem adumbrantibus ‚in der Rechten reich an gekrümmten Lanzen, Beilen und Wurfgeschossen, während sie mit Schilden die linke Seite bedeckten‘; Paul. 3,31: sed Olo cum inportune ad Bilitionis castrum accessisset, iaculo sub mamilla sauciatus cecidit et mortuus est ‚als aber Olo sich unvorsichtig der Burg von Bilito näherte, fiel er von einem Wurfspieß unter der Burstwarze getroffen und starb‘. Germanische Schleuderer sind auch auf der Antoninussäule abgebildet; im Aisl. wird in der Sverris saga 120 eine solche Kampferöffnung ‚einen Steinregen machen‘ genannt. Pfeile werden dem Fehlen in den literarischen Zeugnissen zufolge offenbar im Kampf nicht eingesetzt, sondern sie dienten als Jagdwaffen (vgl. c. 46,3: sola in sagittis spes, quas inopia ferri ossibus asperant. idemque venatus viros pariter ac feminas alit ‚sie verlassen sich einzig auf ihre Pfeile, die sie aus Mangel an Eisen mit Knochenspitzen versehen. Und zwar hilft der nämliche Jagdzug Männern wie Frauen in gleicher Weise an den Unterhalt‘; Tac. hist. 4,61,1: et ferebatur parvulo filio quosdam captivorum sagittis iaculisque puerilibus figendos obtulisse ‚man berichtete auch, er [= Civilis] habe seinem kleinen Sohn einige der Gefangenen als Zielscheibe für seine Kinderpfeile und Kinderspeere überlassen‘). Es scheint somit sicherer, die genaue Bestimmung offen zu lassen.63 63 So auch Gudeman 1916: 73: ”Welche dies aber waren, wissen wir nicht.; Lange in Much 1967: 139: ”Die Bezeichnung missilia ist nicht ganz scharf festzulegen.. Kaum stichhaltig ist jedenfalls das Argument von Baumstark 1875: 320: ” deutet dadurch, dass er zu allen missilia den Ausdruck vibrant in immensum fügt, klar genug an, dass er im Ganzen auch nur an ein genus solcher missilia denkt., da man mehrere Geschossarten in immensum vibrare kann. Auch die Begründung bei Anderson 1997: 64, dass die missilia keine Geschosse oder ähnliches sein können, da dann ”pluraque singuli would be otiose., vermag kaum zu überzeugen. So ist durchaus denkbar, dass jeder Germane nur eine Bleikugel in die Schlacht mitgenommen hätte. 64 Vgl. auch Baumstark 1875: 321; Lund 1988: 131. 65 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25; Baumstark 1875: 321. 66 Vgl. Perret 1950 : 69; Robinson 1991: 139. Die anderen vorkommenden Hss.-Varianten (mensum br, minime A, minime usum ce) können hier vernachlässigt werden. 67 Vgl. etwa Tross 1841: 6. 68 Auch die noch bei Müllenhoff 1900: 167 erwähnte Konjektur von vibrant in librant ist nicht weiter pluraque singuli] Jeder einzelne Fußsoldat (der Plural singuli hat distributive Funktion) hat somit mehrere solcher missilia.64 Die Konjunktion -que hat explikative Kraft.65 atque in immensum vibrant] Neben in immensum ist in den meisten Hss. auch imensum in WbR und in mensum in mB überliefert.66 Unter Berufung auf Tac. ann. 3,30,1: quis domus illa immensum viguit ‚durch die jenes Haus zu außerordentlichem Ansehen kam‘; ebd. 3,52,1: qui inmensum proruperat ad cuncta ‚der ins Unermeßliche gestiegen war bei allem‘; ebd. 4,40,6: immensumque attolli provideret ‚vorhersah, daß der Mann zu unermeßlicher Höhe aufsteigen würde‘, wurde in einigen alten Ausgaben das in weggelassen.67 Jedoch ist zum einen das in gut bezeugt,68 wogegen die Auslassung in der bedenkenswert. 69 Vgl. Müllenhoff 1900: 167; vgl. ebenfalls Gudeman 1916: 73: ”sc. spatium.; ebenso Lund 1988: 131. 70 Nach Rives 1999: 139 gibt es ”evidence … that slings were used with the spears as a device for throwing them further …; this practice perhaps lies behind Tacitus’ comment that the Germani propelled them a huge distance., eine Bemerkung, die er unter den Framen verbucht. Da es sich bei den missilia aber ganz sicher nicht um Framen handelt (wenigstens nach Tacitus), ist diese Annahme kaum stichhaltig. Folge in im- (etwa als i i- geschrieben) leicht zu erklären ist, zum anderen liegt, anders als bei den angeführten Stellen, hier kein lokaler Sinn vor.69 Schließlich ist die Folge in immensum gut belegt, etwa in Tac. hist. 5,11,3: nam duos colles in immensum editos ‚denn zwei hoch aufragende Hügel‘ (vgl. auch etwa Sall. Iug. 48,3: in inmensum pertingens ‚die sich ins Endlose erstreckte‘; Sen. epist. 102,21: dic potius, quam naturale sit in inmensum mentem suam extendere ‚sage lieber, wieviel natürlicher es ist, die Seele in die unermeßliche Weite schweifen zu lassen‘; Cic. nat. 3,52: ergo hoc aut in inmensum serpet aut nihil horum recipiemus ‚so wird sich das also ins Unendliche ausdehnen oder man wird nichts von alledem gutheißen‘; ähnlich auch Tac. Agr. 23,1: per immensum ‚übermäßig weit‘; ds. ann. 15,40,1: per inmensum ‚auf weite Strecken‘). Die Angabe in immensum ist hier, wie auch in c. 2,1, wörtlich, und nicht abgeschwächt aufzufassen.70 Um welche Entfernung es sich handelt, ist jedoch nicht feststellbar. Das Verb vibrare wird sehr häufig für das Werfen von Wurfgeschossen verwendet (vgl. etwa Tac. hist. 3,30,1: vibrans tela miles ‚Geschosse schleudernde Soldaten‘; Sen. epist. 36,7: si in Germania, protinus puer tenerum hastile uibraret ‚wenn in Germanien , würde er sogleich als Knabe die schlanke Lanze schwingen‘; Plin. nat. 8,85: iaculum ex arborum ramis vibrari ‚die Zornnatter soll sich von den Baumästen herunterschwingen‘; Ov. met. 8,374-875: ambo vibrata per auras / hastarum tremulo quatiebant spiculo motu ‚sie schwangen und schüttelten beide die spitzen Lanzen hoch durch die Luft‘; Lucan. 4,40: nulli telum vibrare vacavit ‚keiner kommt dazu, seinen Wurfspieß zu schleudern‘; ds. 6,198-199: hunc aut tortilibus vibrata falarica nervis / obruat ‚ihn könnte höchstens ein von gedrehten Tauen geschleudertes Wurfgeschoß erschlagen‘; Curt. 3,11,4: tela vibrare non poterant ‚sie [= die Makedonier] … vermochten … mit den Speeren nicht richtig auszuholen‘; ds. 6,5,28: ut … facilius … tela vibrent ‚um leichter Speere schwingen zu können‘ [von den Amazonen gesagt]). Mit der hier geschilderten Wurfweite stimmt überein,71 dass sich unter den germ. Lanzenbenennungen einige finden, die von der Bewegung der Waffe abgeleitet sind: 71 Zur Anbringung von Wurfschnüren zur Vergrößerung der Wurfweite vgl. Raddatz 1985: 312. 72 Vgl. Grünzweig 2004: 33-36; vielleicht ist hierher auch run. wagnijo (Lanzenspitzen 1 und 2 von Illerup; Lanzenspitze von Vimose; ca. 200) < urgerm. *wagni.on- zu stellen, das letztendlich eine Ableitung von urgerm. *wege/a- ‚bewegen‘ (> got. [Part.Prät.] -wigana, ahd. as. ae. wegan, afries. wega, weia, aisl. vega) ist, falls es als ‚die Laufende/Fahrende‘ aufgefasst werden darf (vgl. Düwel 2001: 27; Grünzweig 2004: 47-50). 73 Vgl. Grünzweig 2004: 28-31. 74 So auch Baumstark 1875: 323; Reeb 1933: 24; Anderson 1997: 64; wohl ebenfalls Schweizer-Sidler 1923: 16; Perl 1990: 149. Vgl. Nep. iph. 1,4: ille … peltam pro parma fecit …, ut ad motus concursusque essent leviores ‚er … ersetzte den schweren Rundschild durch den leichten Halbschild, die pelta …, um eine größere Beweglichkeit bei Manöver und Angriff zu gewährleisten‘. Bei dieser Auffassung ist die Interpretation bei Lund 1988: 131; Lund 1991a: 1889, Anm. 160 von nudi im Sinne von intecti kaum haltbar, obwohl beide Begriffe natürlich in einem kausalen Zusammenhang stehen. 75 So etwa Baumstark 1875: 322; Anderson 1997: 64. 76 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 167; Gudeman 1916: 73; Schweizer-Sidler 1923: 16; Reeb 1933: 24; Much 1967: 139-140; Perl 1990: 149; nicht ganz deutlich Benario 1999: 70. Rives 1999: 140 legt sich dagegen nicht fest (sicherlich nicht direkt gemeint, jedoch indirekt das Resultat, ist die von ihm vorgeschlagene Möglichkeit nudus als ”without the protection of armour. aufzufassen [unter Hinweis auf Caes. Gall. 1,25,4: multi ut diu iactatio bracchio praeoptarent scuta e manu emittere et nudo corpore pugnare ‚daher zogen es viele vor, nachdem sie ihren Arm hin und her geschüttelt hatten, die Schilde loszulassen und mit ungeschütztem Körper zu kämpfen‘]). a. run. ranja /rannja/ (Lanzenspitze von Dahmsdorf; ca. 250) < urgerm. *ranni.an-, eine Ableitung von urgerm. *ranni.e/a- ‚laufen machen‘ (> got. -rannjan, ahd. rennen, as. rennian, ae. -rennan, afries. renna, rinna, aisl. renna);72 b. run. tilarids (Lanzenspitze von Kowel; ca. 250), dessen zweites Glied -rids wohl aus urgerm. *rida- stammt, eine Ableitung mit dem Verbalsubstantiva bildenden Suffix urgerm. *-a- von urgerm. *ride/a- ‚reiten‘ (> ahd. ritan, as. -ridan, ae. ridan, afr. rida, aisl. ríða);73 c. urgerm. *spe.ta- ‚Spieß‘ (s.o.). nudi aut sagulo leves] Dies ist die Erklärung dafür, warum sie die missilia so weit werfen können.74 Das Wort nudus wird von einigen Interpreten wörtlich genommen,75 von den meisten dagegen lediglich auf den Oberkörper bezogen.76 Letztere Auffassung wird das Richtige treffen, da auch sagulo leves sich auf den Oberkörper bezieht. Ebenso sind wohl auch folgende Berichte zu interpretieren: Tac. hist. 2,22,1 (über die cohortes Germanorum im Heere des Vitellius): more patrio nudis corporibus ‚nach heimischen Brauch mit nacktem Oberkörper‘; ebd. 4,46,2-3: prope intecto corpore … cum … semet clausos nudosque et inluvie deformes aspicerent ‚alle [= die Vitellianer] fast ohne Rüstung auf dem Leib … als sie … sich selbst aber eingeschlossen, halbnackt und von Schmutz entstellt sahen‘; Caes. Gall. 6,21,5: magna corporis parte nuda ‚wobei der größte Teil des Körpers nackt bleibt‘; Cass. Dio 38,45,4: ..e... .e t.. ... ..de., .t. .µe.. µ.. .at. p.. .µ.... t. ..µa .p...µe.a, ..e... d. d. ..µ... t. p.e..t.. e... ‚ist es nicht allgemein bekannt, daß wir [= die Römer] den ganzen Körper in gleicher Weise gewappnet haben, während sie [= die Truppen des Ariovists] größtenteils ungeschützt sind‘ (AG 1, 308-309); vgl. auch Caes. Gall. 4,1,10: magna est corporis pars aperta ‚bleibt der größte Teil des Körpers nackt‘ (anders dagegen Tac. hist. 2,88,3: tergis ferarum … horrentes ‚schreckenerregend in ihren Tierfellen‘; zu dieser Bedeutung vgl. auch Tac. ann. 14,59,2: repertus est certe per medium diei nudus exercitando corpori ‚angetroffen wurde er [= Plautus] jedenfalls zur Mittagszeit, zu sportlicher Übung entkleidet‘). Aus späterer Zeit ist noch Agath. 2,5,3 zu vergleichen: ..µ... d. t. .t.p.a e... .a. t. ..ta µ..p. t.. ..f.... ..ta..a d. ..a..p.da., .. µ.. ....., .. d. .a. ...t..a. d.a.....µe... t... ....e.. pep.aµp.....ta. ‚Brust und Rücken [= der Franken] sind bis zur Hüfte nackt, von da aus gehen, von Gürteln gehalten, die leinenen oder ledernen Hosen bis zu den Beinen hinunter‘. Offenbar kämpften die Germanen niemals ganz nackt, wie auch aus den bildlichen Darstellungen hervorgeht,77 welche die Germanen entweder in Hosen oder nackt bis auf das sagulum zeigen.78 Einige Textstellen, die nach einigen Interpreten hierauf weisen sollen (Prok. BP 2,25,26: .f..a.t.. .. t.. .p. p.e..t.. .µ....t. ‚sie [= die Heruler] kämpften fast völlig ungeschützt‘; Paul. 1,20: qui, sive ut expeditius bella gererent, sive ut inlatum ab hoste vulnus contempnerent, nudi pugnabant, operientes solummodo corporis verecunda ‚entweder um leichter zu streiten, oder um zu zeigen, daß sie [= die Heruler] die vom Feinde kommenden Wunden verachten, zogen sie nackt in die Schlacht und bedeckten nur die Schamteile‘. Hiermit werden auch Nachrichten über die Kelten verglichen: Pol. 2,28,7-8: .. µ.. ... .....µßpe. .a. ..... t.. ..a..p.da. ....te. .a. t... e.pete.. t.. ..... pep. a.t... ...ta.a.. .. d. Ga...ta. d.. te t.. f...d...a. .a. t. ..p... ta.t’ .p.pp..a.te. ..µ... µet’ a.t.. t.. .p... pp.t.. t.. d...µe.. .at..t..a., .p..aß..te. ..t.. ..e..a. ppa.t...tat.., d.. t. t..a. t.. t.p.. ßat.de.. ..ta. .µp...e..a. t... .f.µµa.. .a. papap.d..e.. t.. t.. .p... .pe.a. ‚die Insubrer und Bojer nun gingen in ihren Hosen und leichten Mänteln in den Kampf, die Gaesaten dagegen warfen sie aus Eitelkeit und kühnem Mut weg und standen unbekleidet, bloß mit den Waffen angetan, in der ersten Linie, da sie so am besten glaubten kämpfen zu können, denn einige Stellen waren voll Dorngebüsch, das sich an die Kleider heftete und dadurch den Gebrauch von Waffen erschwerte‘; Gell. 9,13,7: cum interim Gallus quidam nudus praeter scutum et gladios duos torque atque armillis decoratus processit ‚da trat nun ein Gallier vor, der ganz bloss war und ausser seinem Schild und seinen zwei Degen mit einer Halskette und Armbändern geschmückt war‘. Sicher anders dagegen 77 Vgl. die Abbildungen 19-27, 29, 38, 48, 100, 137 und 142 bei Schumacher 1935. 78 Die Bilder, die völlige Nacktheit zeigen, scheinen topisch zu sein (vgl. Krierer 2004: 157). Diod. 5,29,2: ..... d' a.t.. .p. t....t. t.. .a..t.. .atafp....... ..te ..µ.... .a. pep.e...µ..... .ataßa..e.. e.. t.. ...d.... ‚einige von ihnen kümmert dabei der Tod so wenig, dass sie entblößt und nur gegürtet sich in die Gefahr begeben‘; Liv. 22,46,6: Galli super umbilicum erant nudi ‚die Gallier waren bis an den Nabel nackt‘; ds. 38,21,9: detegebat vulnera eorum, quod nudi pugnant ‚ihre Wunden waren gut zu sehen, weil sie [= Gallier] nackt kämpfen‘),79 lassen aber auch andere Deutungen zu.80 Diese Angaben stehen in Übereinstimmung mit c. 17,1: tegumen omnibus sagum … cetera intecti ‚Körperbedeckung für alle ist ein Überwurf … Ansonsten unbekleidet‘ (dort ebenfalls zu sagu[lu]m). 79 Für Nacktheit, und zwar aus kultischen Gründen, spricht sich etwa McCone 1987 aus; eine solche Annahme lässt sich aber für diese Quellen in keiner Weise nachweisen. 80 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 167-168. 81 Also nicht auch noch equorum, wie etwa Anderson 1997: 64 will, da die Pferde erst im Nachfolgenden erscheinen. nulla cultus iactatio] Zu cultus ist armorum zu denken.81 Das Prunken mit den Waffen, das den Römern nicht fremd war (vgl. Tac. hist. 1,88,3: nec deerant e contrario, qui ambitione stolida conspicua arma … mercarentur ‚es fehlte andererseits nicht an Leuten, die in törichtem Streben nach Beachtung auffallende Waffen … kauften‘; indirekt ds. ann. 1,24,3: non laetae, ut adsolet, neque insignibus fulgentes ‚nicht fröhlich, wie gewöhnlich, noch im strahlenden Schmuck ihrer Abzeichen‘), wird vor allem den Kelten zugeschrieben (vgl. u.a. Pol. 3,62,5: .a...a. ... t..t... e.. t. µ.... pp.....e pa..p..a. Ga.at...., ..a.. e...a... .. ßa...e.. a.t.., .ta. µ...µa.e.. µ......., .ata...µe...a. ‚nachdem er [= Hannibal] diese [= Kriegsgefangene] also sich hatte in die Mitte setzen lassen, legte er gallische Prachtrüstungen vor sie hin, wie sie ihre Fürsten zu tragen pflegen, wenn sie einen Zweikampf ausfechten wollen‘; Diod. 5,30,2: t.... d. .a. .... .a.... ...... ......., .. µ.... pp.. ...µ.., .... .a. pp.. ..f..e.a. e. ded.µ...p..µ..a.. .p... d. .a... pep.t..e.ta. µe...a. ...... .. .a.t.. ....ta .a. paµµe.... fa.ta..a. .p.f.p..ta t... .p.µ...... t... µ.. ..p pp...e.ta. ..µf.. ..pata, t... d. .p.... . tetpap.d.. .... ..tet.p.µ..a. pp.t.µa. ‚so tragen einige sogar bronzene Tierfiguren in Hochreliefs, nicht allein zur Zier, sondern auch zum Schutz so angefertigt. Aufs Haupt setzen die Gallier Bronzehelme mit großem, herausragendem Figurenwerk, das ihren Trägern ein mächtiges Erscheinungsbild verschafft. In einzelnen Fällen sind an den Helmen Hörner derart angebracht, daß sei ein eiziges Stück bilden; auf anderen sind Gesichter von Vögeln und vierfüßigen Tieren dargestellt‘; Liv. 7,10,7: auro caelatis refulgeus armis ‚mit Goldeinlagen verzierten Waffen‘; Verg. Aen. 8,659-661: aurea caesaries ollis atque aurea vestis, / virgatis lucent sagulis, tum lactea colla / auro innectuntur ‚golden wallt ihr Haar und golden ihre Gewandung, Kriegsmäntel tragen sie, grellgestreifte, die milchweißen Nacken sind umwunden von Gold‘; Plut. sert. 14,2: .t. d’ .p..p. .p.µe... .fe.d.. .a. .p... .p... te .ate...µe. .a. ..pe... a.t.. d.ep......e ‚auch sparte er nicht mit Gold und Silber, womit er [= Sertorius] ihre Helme schmücken und ihre Schilde reich verzieren ließ‘). Dieses Verhalten, das bereits durch nudi aut sagulo leves vorweggenommen ist,82 kann als Folge der in c. 5,2-3 erwähnten gleichgültigen Haltung der Germanen zu den Edelmetallen gesehen werden.83 82 Vgl. Baumstark 1875: 323: ”In den Worten nudi aut sagulo leves ist die fast absolute Abwesenheit eines cultus ausgesprochen.. 83 So auch Gudeman 1916: 73; Much 1967: 140; Perl 1990: 149. 84 Da es sich an dieser Stelle um eine cultus armorum handelt, ist der Hinweis auf die auffällige Haartracht in c. 38,3 (so etwa Perl 1990: 149) weniger überzeugend. 85 Die Erklärung von Reeb 1933: 24: ”die prächtigen Waffen der Kimbern … waren keltischer Herkunft. vermag jedenfalls nicht zu überzeugen, da die Kimbern wohl nicht gezwungen waren, diese Ausrüstung zu tragen (vgl. auch Schweizer-Sidler 1923: 16). 86 Vgl. Annibaldi 1910: 51; diese Lesart ist bei Robinson 1991: 187-190 nicht verzeichnet. 87 Lund 1988: 131. Ausnahmen zu dieser angeblich allgemeinen Haltung finden sich durchaus. So geht aus c. 15,2 (magna arma, phalerae torquesque ‚kostbare Waffen, Brustschmuck und Halsringe‘) hervor, dass die Anführer kostbare Waffen bevorzugen.84 Auch die Beschreibung der kimbrischen Ausstattung bei Plut. mar. 25,10: .. d’ .ppe.. … ....a.a. .aµpp.. ‚die Reiter … zogen in prachtvollem Aufzug aus‘ (AG 1, 256-257) spricht gegen eine generelle Ablehnung jeglichen cultus.85 Aus späterer Zeit fügt sich hier noch die Beschreibung des Königs Chnodomarius durch Amm. 16,12,24 ein: armorumque nitore conspicuus ‚durch seine glänzende Rüstung … leicht zu erkennen‘. scuta tantum lectissimis coloribus distinguunt] In allen Hss. ist einheitlich die Lesart lectissimis überliefert, außer in der Hs. C, wo sich die Schreibung letissimis findet.86 Letztere wird einzig von Lund als laetissimis in seine Ausgabe aufgenommen und folgendermaßen begründet: ”Aber schon mit der Junktur coloribus distinguunt wird angedeutet, daß die Stelle auf verschiedene Farben anspielt, die ‚fröhlich‘ oder ‚bunt‘ sind … Zu dem Faktum, daß die Junktur laetus color wohl bezeugt und sinnvoll ist, kommt ferner der Umstand, daß der Kontext einen Vergleich mit römischen Reiterübungen auf dem Campus enthält..87 Als Beispiele für die Fügung laetus color führt er u.a. an: Plin. nat. 20,134: laetioribus foliis et colore ‚mit schöneren Blättern und Farbe‘; ebd. 23,26: laetiore … colore ‚mit einer gesünderen Farbe‘. Gegen diese Textvariante spricht jedoch erstens, dass es sich bei der Hs. C um eine offenkundig unzuverlässige Hs. handelt.88 Zweitens, auch wenn die Junktur laetus color an sich sinnvoll und wohlbezeugt ist, müsste sie dies auch an dieser Stelle sein. Jedoch wird an dieser Stelle nicht die ”Freude der Germanen an Farben.89 hervorgehoben. Hierauf weist auch c. 43,3 hin, wo von einer einfarbigen Bemalung die Rede ist (nigra scuta ‚schwarz sind ihre Schilde‘).90 Drittens liegt kein Vergleich mit Reiterübungen vor, da auf die Pferde erst später eingegangen wird. Schließlich ist die Schreibung letissimis vermutlich nicht als laetissimis zu interpretieren. Es liegt nämlich nahe, die Schreibung e als e und t als ct aufzufassen.91 Demgegenüber ist die Lesart lectissimis stilistisch und inhaltlich problemlos, so dass sie beizubehalten ist. 88 Vgl. Robinson 1991: 190: ”I [die Signatur I bei Robinson ist C in der modernen Siglenverteilung] is by far the most corrupt.. 89 Lund 1988: 131. 90 Vgl. auch Gudeman 1916: 74; Anderson 1997: 64; Benario 1999: 70; etwas anders Much 1967: 141. 91 Vgl. zur Schreibung e statt e Robinson 1991: 237, zu t statt ct Robinson 1991: 250. 92 Dagegen ist Lund 1988: 131 gezwungen diese Angabe von der in der Germania zu trennen: ”Übrigens urteilt Tac. später in den ann. 2,14,3 anders von den Schilden der Germanen.. 93 Anders sind dagegen wohl im Hildebrandslied 62: hwitte scilti ‚weiße Schilde‘ aufzufassen, nämlich als ‚glänzende Schilde‘ (vgl. Lühr 1982: 724-726). 94 Das Verb nhd. schildern ist vom Wort Schild abgeleitet. 95 Vgl. zu dieser Bedeutung ThLL V,1: 1529,77-1531,10. In dieser Aussage – wegen distinguunt – eine ”Verschiedenheit und … Wechsel auf dem nämlichen Schild. finden zu wollen (Baumstark 1875: 325), ist somit nicht angebracht. Hiermit in Einklang ist auch die Angabe bei Tac. ann. 2,14,3: tenuis et fucatas colore tabulas ‚dünne, buntgefärbte Bretter‘.92 Einfarbige Schilder sind literarisch mehrfach belegt;93 vgl. u.a. Plut. mar. 25,10: ..pe... d. .e..... .t..ß..te. ‚und führten [= die Kimbern] glänzend weiße Schilde‘ (AG 1, 256-257); Sidon. epist. 4,20: lux in oribus nivea, fulva in umbonibus ‚die Farbe [= bei den Franken] auf den Rändern ist weiß, gelb auf den Buckeln‘; Rüstringer Recht 7,10: bruna skelde ‚braune Schilde [= der Friesen]‘; vielleicht auch Beowulf 438: (akk.sg.) geolorand ‚gelbes Schild‘, das entweder auf ein Schild mit gelber Umrandung weist oder sich auf die Farbe des Lindenholzes bezieht. Unklar ist die Einordnung der Angabe bei Amm. 16,12,6: Alamanni enim scutorum insignia contuentes ‚denn als die Alemannen die Abzeichen auf deren Schilden sahen‘, zumal diese römischen Soldaten zugeschrieben werden; es besteht jedoch die Möglichkeit, dass es sich bei ihnen um Germanen in römischem Dienst handelt. Da die Schildbemalung94 eine Ausnahme zur nullus cultus iactatio ist, kann distinguere im Sinne von ornare aufgefasst werden.95 Auch unter den archäologischen Funden finden sich Schildbemalungen.96 Es sind knapp zwanzig bemalte Schilde gefunden, und zwar mit roter, blauer und rotblauer Farbe. paucis loricae] Hiermit stimmt Tac. ann. 2,14,3 überein: non loricam Germano ‚keinen Panzer kenne der Germane‘. Übereinstimmend sind folgende Angaben aus späterer Zeit: Agath. 2,5,3: ..pa.... µ.. ..p ...µ.d.. .....te. t.......... ..te. ‚Brustpanzer und Beinschienen sind ihnen [= Franken] unbekannt‘; Amm. 17,12,2: loricae ex cornibus rasis et leuigatis plumarum specie linteis indumentis innexae ‚Panzer aus geglätteten und polierten Hornstückchen, die wie Federn auf die leinene Bekleidung aufgenäht sind‘; Prok. BP 2,25,27: ..te ..pa.a … ..p..... ....... ‚denn die Heruler verwenden keinen Panzer‘; Greg. Tur. Franc. 10,3: unus Langobardorum … lorica protectus ‚ein Langobarde in Panzer‘. 96 Vgl. RGA 27: 96; Raddatz 1985: 315. 97 Ebenso entlehnt sind die Wörter Panzer und Harnisch. 98 Vgl. Casaretto 2004: 162. 99 Vgl. RGA 25: 430; Raddatz 1985: 307-308. 100 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 111; Baumstark 1875: 331. Dazu stimmt, dass das Wort got. brunjo, ahd. brunna, ae. byrne, aisl. brynja < urgerm. *brun.on- eine Entlehnung aus dem Keltischen (vgl. air. bruinne ‚Brust‘) ist (vgl. bereits die Angabe bei Diod. 5,30,3: ..pa.a. d’ ....... .. µ.. ..d.p... .....d.t... ‚ein Teil der Gallier trägt eiserne Kettenpanzer‘).97 Das ererbte Wort für die Rüstung sind die sämtlich pluralen Wörter got. sarw*, ahd. saro, ae. searu < urgerm. *sar.a-, eine Ableitung entweder von uridg. *ser- ‚aneinander reihen, verknüpfen‘ (vgl. lat. serere ‚knüpfen‘) oder *ser- ‚beschützen‘ (vgl. av. haraite ‚bewahrt sich‘).98 Nach Ausweis der archäologischen Quellen waren Panzer selten. Ob die Funde aber die reale Situation widerspiegeln oder ob die Erhaltungsbedingungen oder der Bestattungskult diesen Zustand nur vortäuschen, ist unsicher.99 vix uni alterive] Zur Ausdrucksweise vgl. Tac. Agr. 15,4: neve proelii unius aut alterius eventu pavescerent ‚auch dürften sie über des einen oder anderen Gefechtes Ausgang nicht erschrecken‘; ds. dial. 21,1: vix in una aut altera oratiuncula satis facit ‚genügt mir kaum in der einen oder anderen kleinen Rede‘. Die Partikel -ve lässt die Wahl frei (‚der eine oder der andere, oder auch beide zugleich‘).100 Durch vix findet im Vergleich zum vorangegangenen paucis noch eine Steigerung statt. cassis aut galeae] In fast allen Hss. ist die Lesart galeae überliefert, lediglich in at findet sich galea,101 was auch von Rhenanus in seinen Text aufgenommen wurde und seither in den meisten Textausgaben erscheint.102 Begründet wird das -e am Wortende als ein bereits im Archetyp aufgetretener Fehler, der durch ”das gleich folgende equi. verursacht sei.103 Gegen diese Annahme, die nur bei der Schreibung galea equi > galeae equi glaubhaft wäre,104 spricht jedoch die Schreibung gáleae Eequi in der Hs. c. Dass der Plural galeae nicht fehlerhaft ist, zeigt bereits Tac. ann. 4,17,3: quam si unus alterve maxime prompti subverterentur ‚als daß der eine oder andere der eifrigsten Anhänger aus dem Wege geräumt werde‘, da unus alterve im Sinne von paucissimi steht.105 Auch der Wechsel zwischen einem kollektiven Singular und einem Plural ist, wie das vorausgehende eques … peditites zeigt, kaum auffällig.106 Ebenfalls liegt es nahe, dass der Singular cassis auf eques, der Plural galeae dagegen auf pedites bezogen ist (s.u.). Auch sachlich lässt sich der Wechsel begründen: Da Eisen in Germanien selten ist, wäre ein einzelner Metallhelm bereits auffällig; dagegen hätte man, da es Tierhäute bei ihnen gibt (vgl. c. 17,1), zahlreiche galeae bei ihnen erwarten können, die jedoch nur äußerst selten vorkommen.107 Somit ist ein augenscheinlicher Grund für eine Emendation, zumal diese eine Inkonnizität beseitigen würde,108 nicht vorhanden. 101 Robinson 1991: 281; Perret 1997: 74. 102 So erscheint die Lesart galea u.a. in Passow 1817: 9; Günther 1826: 9; Grimm 1835: 4; Tross 1841: 6; Massmann 1847: 55; Holtzmann – Holder 1873: 32; Müllenhoff 1900: 170-171; Gudeman 1916: 74; Schweizer- Sidler 1923: 17; Halm 1930: 225; Reeb 1933: 24; Much 1967: 127; Koestermann 1970: 9; Önnerfors 1983: 5; Winterbottom – Ogilvie 1985: 40; Lund 1988: 74; Perl 1990: 86; Anderson 1997; Benario 1999: 18. Demgegenüber hat die Konjektur von Mützell (vgl. Robinson 1991: 281) in galea est zu Recht keine weitere Verbreitung gefunden; nur Robinson 1991: 281 übernimmt sie, wobei er von einer Schreibung galeae in der Vorlage ausgeht; jedoch hätte man bei seinem Verweis [S. 52] auf f. 59v 2,27: condico est des Codex Hersfeldensis (Tac. Agr. 27,1), das in den Folgehss. als condicone erscheint (Falschauflösung eines condicoe) eher galeane erwartet; offensichtlich auf einem Versehen beruht der Vorschlag von Perl 1990: 86, cassis in casses zu emendieren. Die Lesart galeae findet sich demgegenüber etwa bei Baumstark 1875: 331-332; Lechantin de Gubernatis 1949: 6. 103 Müllenhoff 1900: 171; so auch Perl 1990: 149. 104 Es muss jedoch gesagt werden, dass der umgekehrte Vorgang (galeae equi > galea equi) näher liegend ist. 105 Vgl. Baumstark 1875: 332; Perl 1990: 149. 106 Vgl. Baumstark 1875: 331. 107 Zu diesem Argument vgl. bereits Baumstark 1875: 331-332. 108 Vgl. Sörbom 1935: 68 mit weiteren Beispielen. 109 So auch u.a. Baumstark 1875: 331; Müllenhoff 1900: 170; Schweizer-Sidler 1923: 17; Reeb 1933: 24; Much 1967: 144-145; Benario 1999: 70; wohl auch Lund 1988: 131; Anderson 1997: 65. Mit cassis und galea sind an dieser Stelle wohl zwei verschiedene Helmarten gemeint,109 obwohl beide Wörter auch synonymisch verwendet werden (vgl. etwa Verg. Aen. 5,490-491: convenere viri, deiectamque aerea sortem / accepit galea ‚allseits drängten die Mannen heran; ein eherner Helm nahm auf das geworfene Los‘; Ov. met. 7,121: galea tum sumit aëna ‚er faßt in den ehernem Helm‘; ebd. 8,25-26: cristata casside pennis, / in galea formosus erat ‚mit dem Eisen, dem federgekrönten …, schön unterm Helm‘; Veg. mil. 2,16,3: centuriones uero habebant … galeas ferreas ‚die Zenturionen aber hatten eiserne Helme‘). cassis ist ein Metallhelm, galea ein Lederhelm. Zur Unterscheidung vgl. Isid. orig. 18,14,1: cassis de lammina est, galea de coreo ‚eine Cassis ist aus Blech, die Galea aus Leder‘. Eine ähnliche Unterscheidung ist auch bei Caes. Gall. 7,45,2 anzutreffen, wo cassis der Helm der Reiter ist, galea dagegen der Helm der Fußsoldaten: mulionesque cum cassidibus equitum specie ac simulatione ‚die Maultiertreiber sollten sich dann mit Metallhelmen das Aussehen von Reitern geben und sich auch so verhalten‘.110 Die Annahme liegt nahe, dass die Unterscheidung an dieser Stelle aus Caesar übernommen ist, wofür auch das singularische cassis neben dem pluralischen galeae spricht (s.o.).111 Auch an dieser Stelle liegt natürlich ein Gegensatz zur Ausstattung eines römischen Soldaten vor, die sämtlich Helme trugen. 110 Das Wort galea erscheint lediglich in Verbindung mit Fußsoldaten. 111 Weniger wahrscheinlich ist dagegen, dass an dieser Stelle keine Unterscheidung der Helmarten vorliegt (so etwa Gudeman 1916: 74; unentschieden Rives 1999: 141), so dass die Verbindung als ”a case of rhetorical amplitude. (Rives 1999: 141) anzusehen wäre; eine solche Annahme ist übrigens nur bei der Emendation von galeae in galea möglich. 112 Zur Helm- und Panzerlosigkeit der Germanen in den römischen Bilddarstellungen vgl. Krierer 2004: 157. 113 Vgl. Lühr 2000: 65. Das Wort wurde auch ins Roman. (afrz. healme, heaume, ital. span. elmo; vgl. Meyer- Lübke 1935: 346), ins Slav. (aksl. šlem.; vgl. Sadnik – Aitzetmüller 1989: 316) und ins Lit. (lit. szalmas; vgl. Fränkel 1965 s.v.) entlehnt, was auf eine weitere Verbreitung des Helmes bei den Germanen zur Zeit der Entlehnung schließen lässt. 114 Vgl. RGA 14: 327-328; Raddatz 1985: 308-309. Dass die Germanen ohne Kopfschutz kämpften, berichtet Tac. ebenfalls ann. 2,14,3: non galeam ‚keinen Helm‘; vgl. auch die Angaben bei Cass. Dio 38,50,2: ... p.. ..µ.a.. a.ta.. µa..µe... ‚wo … da sie [= die Germanen Ariovists] ohne Kopfschutz kämpften‘ (AG 1, 312-313); Agath. 2,5,3: t.. d. .efa... .. µ.. p.e..t.. ...epe.. ......., ...... d. .a. .p... ..ad..µe... µ....ta. ‚die meisten [= Franken] tragen auch keinen Kopfschutz, und nur wenige kämpfen in Helmen‘; Prok. BP 2,25,27: ..te ..p .p.... … ..p..... ....... ‚denn die Heruler verwenden keinen Helm‘; Greg. Tur. Franc. 10,3: unus Langobardorum … protectus et galea ‚ein Langobarde in … Helm‘.112 Zur Bezeichnung des Helmes verwendet das Germanische das Wort got. hilms, ahd. as. afries. helm, aisl. hjalmr < urgerm. *.elma-, eine Ableitung zu urgerm. *.ele/a- ‚verbergen‘ (> ahd. as. ae. helan, afries. hela).113 Die schriftlichen Quellen werden durch die archäologischen Funde bestätigt: Im germ. Raum fehlen Helme weitgehend.114 2 equi non forma, non velocitate conspicui] Die Unansehnlichkeit der germanischen Pferde ist eine Folge der in c. 5,1 beschriebenen allgemeinen Kleinheit des Viehs (pecorum … plerumque inprocera ‚Kleinvieh, wenngleich zumeist kleinwüchsigem‘). Nach Baumstark bezeichnet ”velocitas (ohngefähr: Windesschnelligkeit) ein höchstes der celeritas., so dass den germanischen Pferden nicht ”die einfach natürliche, als vielmehr die durch kunstmässige Uebung entwickelte Hurtigkeit. fehle.115 Eine solche Unterscheidung scheint jedoch kaum möglich zu sein (vgl. zum Nebeneinander von celeritas und velocitas etwa Cic. Tusc. 4,31: velocitas autem corporis celeritas appellatur ‚die Schnelligkeit des Körpers nennt man Behendigkeit‘; vgl. zu velocitas equi auch Caes. Gall. 8,48,7: equi velocitate ‚dank der Schnelligket seines Pferdes‘), zumal es einerseits selbstverständlich ist, dass ein Pferd eine gewisse Geschwindigkeit besitzt (daher kann Caes. Gall. 8,36,2 auch von summae velocitatis homines ‚die [= germanische Fußsoldaten] sich durch besondere Schnelligkeit auszeichneten‘ sprechen) und andererseits in diesem militärischen Kontext nur der Einsatz im Krieg von Wichtigkeit ist. Eine ähnliche Beurteilung der Pferde liefert Caes. Gall. 4,2,2: quin etiam iumentis, quibus maxime Galli delectantur quaeque impenso parant pretio, Germani importatis non utuntur, sed quae sunt apud eos nata, parva atque deformia, haec cotidiana exercitatione summi ut sint laboris efficiunt ‚die Germanen benutzen nicht einmal importierte Pferde, an denen die Gallier ihre höchste Freude haben und die sie sich für viel Geld beschaffen, sondern ziehen die Pferde, die es bei ihnen gibt, welche jedoch klein und hässlich sind, in täglicher Übung zu größter Zähigkeit heran‘. Die aus der Kleinwüchsigkeit nicht automatisch hervorgehende fehlende Geschwindigkeit könnte bei Caes. Gall. 7,65,5 zum Ausdruck gebracht sein: eorum adventu, quod minus idoneis equis utebantur, a tribunis militum reliquisque equitibus Romanis atque evocatis equos sumit Germanisque distribuit ‚als sie eintrafen, jedoch keine sehr geeigneten Pferde hatten, nahm er den Militärtribunen und den übrigen römischen Rittern und Evocaten ihre Pferde und verteilte sie an die Germanen‘. 115 Baumstark 1875: 332; so auch Müllenhoff 1900: 171. Die Römer waren interessiert an Pferden und hatten hohe Ansprüche an sie, denen die germanischen Pferde nicht genügen konnten; vgl. etwa Colum. 6,29,2-4: corporis vero forma constabit exiguo capite, nigris oculis, naribus apertis, brevibus auriculis et adrectis, cervice molli lataque nec longa, densa iuba et per dextram partem profusa, lato et musculorum toris numeroso pectore, grandibus armis et rectis, lateribus inflexis, spina duplici, ventre substricto, testibus paribus et exiguis, latis lumbis et subsidentibus, cauda longa et setosa crispaque, mollibus atque altis rectisque cruribus, tereti genu parvoque neque introrsus spectanti, rotundis clunibus, feminibus torosis ac numerosis, duris ungulis et altis et concavis rotundisque, quibus coronae mediocres superpositae sunt. sic universum corpus conpositum, ut sit grande, sublime, erectum, ab aspectu quoque agile et ex longo, quantum figura permittit, rotundum. mores autem laudantur, qui sunt ex placido concitati et ex concitato mitissimi. nam hi et ad obsequia reperiuntur habiles et ad certamina laboremque promptissimi ‚sein Körperbau wird folgende Merkmale aufweisen: Einen kleinen Kopf, schwarze Augen, offene Nüstern, kurze, aufrechte Ohren, einen weichen, breiten, nicht sehr langen Widerrist, eine dikke, nach rechts fallende Mähne, eine breite, mit zahlreichen Muskelpolstern gefütterte Brust, lange und gerade Vorderschenkel, eingewölbte Flanken, einen eingezogenen Bauch, gleiche, kleine Hoden, breite zurücktretende Lenden, einen langen, dichten und buschigen Schweif, weiche, hohe und gerade Beine, eine glatte, kleine Beuge, die nicht nach rückwärts steht, runde Hinterbacken, pralle und muskulöse Hinterschenkel, harte, hohe, hohle und runde Hufe, über denen mittelstarke Kronen liegen. Der ganze Körper soll so gebaut sein, daß er mächtig, erhaben, aufrecht und schon dem äußeren Eindruck nach beweglich wirkt, und bei aller Länge doch rund, soweit die Körperform dies zuläßt. Sein Charakter gilt dann als vollkommen, wenn er aus der Ruhe zur Erregung und aus der Erregung zu völliger Ruhe übergehen kann. Denn so erweist er sich als lenksam und zugleich als höchst einsatzbereit für Kampf und Arbeit‘; Verg. georg. 3,79-81: illi ardua cervix / argutumque caput, brevis alvus obesaque terga, / luxuriatque toris animosum pectus ‚steil trägt es den Nacken, schmal ist der Kopf, die Weiche gedrang, gepolstert die Kruppe, muskelprangend die mutige Brust‘. Daneben findet die Reiterei einzelner germanischer Stämme durchaus Beachtung, wie etwa in c. 32,1 die der Tenkterer (Tencteri super solitum bellorum decus equestris disciplinae arte praecellunt ‚die Tenkterer zeichnen sich über den gewöhnlichen Kriegsruhm hinaus durch ihre Fertigkeit in der Reitkunst aus‘; vgl. ebenfalls Tac. hist. 4,17,3: Batavo equite protritos Aeduos Arvernosque ‚durch Bataverreiterei seien die Häduer und Arverner aufgerieben worden‘; Caes. Gall. 4,12,1: cum ipsi non amplius octigentos equites haberent … impetu facto celeriter nostros perturbaverunt ‚während die Feinde nicht mehr als 800 hatten … griffen sie trotzdem plötzlich an und brachten die Unseren schnell in Verwirrung‘; Cass. Dio 55,24,7: ..... te .pp.. .p..e.t.., ... t. t.. .at..... .p. t.. .at...a. t.. .. t. .... ..... ...µa, .t. d. .p.t..t.. .ppe.e.. e..., .e.ta. ‚und (hinzu kommen) ausgewählte fremde Reiter – sie heißen ”Bataver. nach der Bataveninsel im Rhein –, weil sie hervorragende Reiter sind‘ (AG 2, 44-45); Plut. otho 12,7: e... d. Gepµa... .ppe.. .p..t.. ‚das [= die Bataver] sind vorzügliche germanische Reiter‘; Aur. Vict. Caes. 21,2: gentem populosam ex equo mirifice pugnantem ‚einen volkreichen Stamm [= Alemannen], der erstaunlich gut zu Pferde kämpfte‘ [AG 2, 340-341]), bei denen die Pferde auch einen höheren Stellenwert haben (equi traduntur. excipit filius, non ut cetera maximus natu, sed prout ferox bello et melior ‚werden auch die Pferde weitergegeben. Im Gegensatz zum Übrigen erhält sie nicht der älteste Sohn, sondern der jeweils kriegstüchtigste und fähigste‘). In späterer Zeit scheint sich die Zucht gebessert zu haben; vgl. Cassiod. var. 4,1,3: quorum pectora vel crura sphaeris carneis decenter ornantur: costae in quandam latitudinem porriguntur: alvus in brevitate constringitur: caput cervinam reddit effigiem ‚deren Brustkörbe oder Unterschenkel mit Flesichkügeln geschmückt werden: Die Rippen erstrecken sich in einer solchen Länge, der Bauch ist kurz und kompakt, das Haupt ist das Ebenbild eines Hirsches‘; Iord. Get. 3: alia vero gens ibi moratur Suehans, quae velud Thyringi equis utuntur eximiis ‚ein anderes Volk, das dort wohnt, sind die Suehans, welche, wie die Thüringer, ausgezeichnete Pferde ziehen‘. Wie aus Caes. Gall. 4,2,4 hervorgeht, verwendeten die Germanen keinen Sattel: neque eorum moribus turpius quicquam aut inertius habetur quam ephippiis uti ‚nichts ist nach ihrer Auffassung schändlicher und weichlicher, als einen Sattel zu benutzen‘.116 116 Zum Sattel vgl. RGA 26: 525-537. 117 Demgegenüber ist das Wort nhd. Pferd (vgl. spätahd. pfarifrit, mndd. perde-) eine Entlehnung aus mlat. paraveredus ‚Beipferd zum Postpferd auf Nebenlinien‘. 118 Vgl. Bammesberger 1990: 69; Casaretto 2004: 62. 119 Die weitere Etymologie ist unklar; vgl. RGA 23: 25. Zur Bezeichnung des Pferdes kennen die germ. Sprachen u.a. folgende Wörter:117 1. got. ai.a- (in ai.atundi* ‚Dornstrauch‘), as. ehu, ae. eoh, aisl. iór < urgerm. *e..a- ‚Pferd‘ < uridg. *(h1)ek.o- (> ai. asva-, av. apers. aspa-, gr. .pp.., lat. equus, gall. epo-);118 2. ahd. (h)ros, as. hros, ae. hors, afries. hors, hars, aisl. hross < urgerm. *.russa- ‚Roß‘;119 3. run. (dat.sg.) hahai (Stein v. Möjbro) < urgerm. *.an.a- ‚Hengst‘; einzelsprachlich findet sich dazu die superlativische Weiterbildung *.an./gista- ‚Hengst‘ (> ahd. hengist, afränk. chanzisto, chengisto, ae. heng[e]st, afries. hengst, hingst, aisl. hestr, run.-schwed. [Stein v. Rök, 9. Jh.] histR) < vorurgerm. k.anko- (*k.ankisto-; vgl. lit. šankùs ‚flink‘) < *k.h2nko-, eine Ableitung von *k.eh2k- ‚springen‘ (> lit. šóku, lett. sâku);120 120 Vgl. Schaffner 2001: 130-135. 121 Vgl. RGA 23: 25. 122 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 44-45. 123 Vgl. Robinson 1991: 112, 159; Perret 1997: 74. 124 Robinson 1991: 112: ”Probably in the archetype of these groups there was an abbreviation for uariare (varie?).. 125 Robinson 1991: 112. 126 Vgl. Hirstein 1995: 286. 127 Vgl. ThLL VI,2: 2386,43-66, wo zu gyros variare keine Parallele aufgelistet ist; ebenso Gudeman 1916: 75: ”variare gyros, eine taciteische Neuerung.; anders dagegen Lund 1988: 131: ”der Ausdruck ist ein t.t. der römischen Reitersprache.. Jedoch ist gyros flectere nur zweimal und nicht zeitgleich belegt; für gyros variare fehlen überhaupt Parallelen (vgl. ThLL VI,2: 2386,45-62). 128 So etwa Gudeman 1916: 75; Schweizer-Sidler 1923: 17; Anderson 1997: 65. 4. ahd. mar(a)h- (in marahscalc ‚Pferdeknecht‘), ae. mearh, afries. mar, aisl. marr < urgerm. *mar.a- ‚Pferd‘ (vgl. die Movierung ahd. mer[i]ha, as. meriha, meria, merge < urgerm. *mar.i/.o- ‚Stute‘) < vorurgerm. vorurkelt. *marko- (> mir. marc, kymr. march, akorn. march, abret. marh).121 sed nec] sed nec steht hier steigernd im Sinne eines abgeschwächten ne – quidem.122 varietate gyros – docentur] In den Hss. findet sich ein Nebeneinander von variare (in den Hss. Whc.CBabrlezuARces) und varietate (in den Hss. pQtfbETdvor), während die Hs. m das verderbte narrare bietet.123 Robinson versucht das Nebeneinander durch eine Abkürzung varie im Archetyp zu erklären.124 Die daraus abgeleitete Lesart varietate sei demnach als ”corrupt. einzustufen;125 in den neueren Ausgaben wird sie denn auch nicht weiter berücksichtigt. Gegen eine solch vereinfachte Darstellung lässt sich aber die Verteilung in den frühen Drucken anführen. Auch die Mehrheit von ihnen bezeugt zwar variare (PnJVLdhrSMF), varietate findet sich aber dennoch in immerhin sieben von ihnen (ZwkgATe),126 so dass letztere Lesart sinnvoll zu sein scheint. Das Verb variare ist syntaktisch durchaus als die einfachere Lesart anzusehen, da variare gyros AcI zum Verb docere ist. Jedoch ist die Interpretation der Junktur variare gyros umstritten, da es sich dabei nicht um einen terminus technicus der römischen Reitersprache handelt.127 Es wird angenommen, dass sie bedeutungsgleich mit varios gyros flectere (oder peragere) ‚verschiedenartige Wendungen, Volten machen‘ ist,128 wobei in der Regel auf Ov. ars 3,384 verwiesen wird: in gyros ire coactus equus ‚das Pferd, das man zwingt, daß es herumläuft im Kreis‘. Much hatte aber dagegen eingewandt, dass dies ”von einer Verbindung solcher Wendungen gesagt sein , weil dazu sichtlich das uno flexu im folgenden im Gegensatz steht..129 Bei dieser Unsicherheit der Interpretation fragt es sich, ob varietate nicht als lectio difficilior angesehen werden kann. varietate kann lediglich als Abl. modi aufgefasst werden, da angegeben wird, auf welche Weise die Kreisbewegungen ausgeführt werden. Dieser Abl. wird im klassischen Latein in der Regel (wenn er kein Attribut mit sich führt) mit der Präp. cum verbunden; ohne cum beschränkt er sich auf bestimmte Ausdrücke (wie iure, lege).130 Nachklassisch findet sich dagegen ein freierer Gebrauch solcher Ablative ohne cum, vor allem bei Tacitus, der hier ”[b]esonders kühn. verfährt,131 vgl. u.a. hist. 2,70,3: vulgus quoque militum clamore et gaudio deflectere via ‚auch die Masse der gemeinen Soldaten bog unter Freudengeschrei vom Weg ab‘; ann. 4,51,1: interea barbari catervis decurrentes ‚inzwischen stürmen die Barbaren in Scharen heran‘.132 Mit varietate wird somit die Art der gyros näher beschrieben; der Abl. lässt sich dabei mit ‚verschiedenartig‘ wiedergeben (vgl. catervis ‚haufenweise‘); hiermit lässt sich in etwa Claud. pan. 633 vergleichen: in uarios docto discurritur ordine gyros ‚in verschiedenen Kreisbewegungen wird in geübtem Glied abgeschwenkt‘. 129 Much 1967: 147. 130 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 409; diese Abl. können jedoch meist auch anders aufgefasst werden. 131 Kühner – Stegmann II,1: 409. 132 Weitere Beispiele bei Kühner – Stegmann II,1: 409-410. 133 Eine passende Abkürzung lässt sich aber bei Cappelli 1994 nicht belegen. Der Vorschlag von Robinson 1991: 112: ”varie?. ist wohl analogisch nach varine für variatione. 134 Dass ein Verb de facto überflüssig ist, geht auch aus der Bemerkung von Baumstark 1875: 333-334 hervor: ”Die schwierigste Bewegung ist aber das Reiten im Kreise oder Ringe, das Ringelreiten mit seinen verschiedenen Drehungen. Das Letztere ist durch variare bezeichnet, das Ringelreiten aber durch das Wort gyrus.. Es liegt nahe, mit Robinson von einer zugrunde liegenden Abkürzung auszugehen.133 Diese wurde teils richtig mit varietate, teils als eine Art lectio facilior mit variare aufgelöst. Die Lesart varietate hat den Vorteil, dass mit ihr der zu Recht bestehende Einwand von Much behoben ist, da varietate eine nähere Bestimmung zu gyros ist.134 gyrus, ein Lehnwort aus gr. ..p.. ‚Kreis‘, wird nicht selten in Zusammenhang mit Reiten verwendet (vgl. u.a. Verg. georg. 3,191-192: carpere mox gyrum incipiat gradibusque sonare / compositis, sinuetque alterna volumina crurum ‚dann lerne es gleich, im Kreise zu laufen und tönenden Taktes Schritte zu setzen, es krümme im Wechsel federnd die Schenkel‘; Lucan. 6,87: et tremulo medios abrumpit poplite gyros ‚mitten in einer Wendung stürzen sie [= Schlachtrosse] mit zitternden Knien hin‘; Cic. off. 1,90: in gyrum rationis ‚in die Reitbahn der Vernunft‘; Ov. ars 3,384: in gyros ire coactus equus ‚das Pferd, das man zwingt, daß es herumläuft im Kreis‘).135 in morem nostrum] Dies ist eine der wenigen Stellen, wo Tacitus den fast überall mitzudenkenden Vergleich mit den römischen Verhältnissen explizit zum Ausdruck bringt (vgl. noch c. 16,1: non in nostrum morem ‚nicht wie bei uns üblich‘; c. 25,1: non in nostrum morem ‚nicht wie bei uns üblich‘). 135 Vgl. ThLL VI,2: 2386,43-84. 136 Nicht nachvollziehbar ist die Bemerkung von Gudeman 1916: 75: ”Da T. nur die Kriegsgebräuche der Germanen schildert, so kann er kaum die kunstmäßigen Übungen der römischen Reitschule im Auge gehabt haben, sondern nur eine für den römischen Kriegsdienst übliche Dressur.. 137 Lund 1988: 132; vgl. auch Lund 1989: 268-271. 138 Lund 1988: 132 weiß dies selbstverständlich: ”Tacitus vergleicht mit anderen Worten die einfache Reiterübung der Germanen mit den vielfachen Manövern der römischen Reiter.. 139 Vgl. Lund 1988: 132: ”Hieraus ergibt sich, daß der Ausdruck in rectum … uno flexu dextros agunt nicht zwei verschiedene Reiterübungen, sondern zwei verschiedene Momente ein- und derselben Bewegung bezeichnet.; auch sein Hinweis auf a directo flectere bringt nichts, es sei denn, man würde die Konjunktion gänzlich weglassen. 140 Erstaunlicherweise wird von vielen aut im Text belassen, das Ganze aber als eine Bewegung gedeutet (vgl. etwa Benario 1999: 71: ”We must picture the cavalry approaching the enemy in a straight line, side by side, and then … turning clockwise.; ebenso Benario 1967: 270; Perl 1990: 150). Zur römischen Kunstfertigkeit ist etwa zu vergleichen: Verg. Aen. 5,583-585: inde alios ineunt cursus aliosque recursus / adversi spatiis, alternosque orbibus orbis / inpediunt, pugnaeque cient simulacra sub armis ‚andere Wendung beginnen sie dann und Wendung dagegen, widereinandergewandt, und wechselnd schlingen sie Kreis durch Kreis im Geflecht und führen ein Scheingefecht unter Waffen‘; vgl. auch Lucan. 1,425: optima gens flexis in gyrum Sequana frenis ‚das Volk der Sequaner, das Pferde in der Reitbahn zu dressieren versteht‘.136 in rectum aut uno flexu dextros agunt] Obwohl alle Hss. einheitlich aut lesen, möchte Lund dies in et ändern: ”Zweitens heißt variare gyros ‚mehrere Kreisbewegungen, d.h. mehr als eine Kreisbewegung durchführen‘. Hieraus ergibt sich, dass der Ausdruck in rectum … uno flecu dextros agunt nicht zwei verschiedene Reiterübungen, sondern zwei verschiedene Momente ein- und derselben Bewegung bezeichnet. Hieraus ziehe ich die Schlußfolgerung, daß im gegebenen Kontext eine kopulative Partikel (sc. et), keine disjunktive Partikel (sc. aut) zum Kontext paßt..137 Diese Emendation übersieht aber die Tatsache, dass ein Gegensatz zu varietate gyros, das römische Praktik ist, vorliegen muss.138 Da varietate gyros eine mehrfache Bewegung enthält, kann bei den Germanen keine mehrfache Bewegung vorliegen, was jedoch bei et der Fall wäre.139 Die Konjunktion aut ist also unbedingt beizubehalten.140 Aus eben demselben Grund ist auch die Emendation dextros abzulehnen, da auch sie dem varietate gyros zu nahe kommt.141 Für die Römer lagen hier offensichtlich zwei deutlich voneinander trennbare Bewegungen vor. flexus ist der Bogen, den die Wettreitenden im Circus jedes Mal beim Umlenken um das Rennziel beschreiben mussten. 141 So vorgeschlagen von Müllenhoff 1900: 173; in den Text aufgenommen von Much 1967: 127. 142 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 234-236. 143 Vgl. Kraggerud 1969: 77-79. 144 Vgl. bereits Gudeman 1916: 75. 145 Wie das Verb docentur zeigt, handelt es sich hier nicht um eine aktuelle Kriegssituation, sondern um die Ausbildung der Pferde; anders Robinson 1991: 281: ”more grave ist the objection that the manoevre described could hardly have been executed on the field of battle, but belongs rather to the riding school, though the entire chapter deals with the equipment used and the practices followed in actual conflict.. 146 Aus diesem Grund wird ein Schwenk nach links auch nicht geübt und im Krieg später – wenigstens nach Tacitus – wohl nicht angewandt. Daher ist auch das Argument von Robinson 1991: 281 (”it is difficult to see why they should have executed the manoevre always to the right and never to the left.) hinfällig. Vgl. hierzu etwa Verg. Aen. 10,885: ter circum astantem laevos equitavit in orbis ‚dreimal umritt der Etrusker linkshin den stehenden Troer‘. 147 Vgl. Robinson 1991: 105: ”I regard this as one of the most doubtful passages of the entire Germania.. 148 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991: 104; Perret 1997: 74. 149 Die Stelle ist nicht bei Hirstein 1995 aufgeführt. Maßmann 1847: 56 gibt nur coniuncto an, listet aber nicht alle Drucke auf. 150 Eine Ausnahme ist etwa Tross 1841: 6. Die Verwendung von dexter in prädikativer Verwendung als Richtungsangabe (vgl. als Parallele Sall. Iug. 6,3: viros … transvorsos agit ‚Männer … auf Abwege führt‘)142 ist poetisch (vgl. Verg. Aen. 5,162: quo tantum mihi dexter abis? ‚sag, warum drehst du so weit mir nach rechts‘; Stat. Theb. 6,444: dexterque exerrat Arion ‚und Arion irrt nach rechts‘).143 Es steht zur Vermeidung von in rectum … in dextrum.144 Die Germanen kennen nach Tacitus somit zwei Reiterbewegungen,145 nämlich eine in gerader Linie (offenbar ein Frontalangriff, wonach die Reiter wenden und zurückreiten) und eine in einem Schwenk nach rechts; beide werden nicht miteinander verbunden. Das Üben des Schwenkes nur nach rechts hat wohl praktische Ursachen, da die Reiter dabei durch den Schild (der sich offenbar auf der linken Seite befindet) gedeckt sind, während sie mit der rechten Hand die Frame werfen können.146 ita coniuncto orbe, ut nemo posterior sit] Die Interpretation dieses Satzteils ist deshalb so schwierig, weil schon die Textherstellung unsicher ist.147 In den Hss. finden sich nämlich: cuncto in Wmh.bvrs, concto in C, cuncto übergeschr. coniucto in c, coniuncto in ptfTabrlezuARce, coniuncto am Rande cuncto in QBEo, coniuncto orbe al’ cuncto in d.148 Während die Wahl in den alten Drucken unklar ist,149 hat sich in den neueren Ausgaben coniuncto als zu bevorzugende Lesart durchgesetzt.150 Da beide Wörter öfters verwechselt werden,151 könnte nur der Inhalt der Stelle eine Entscheidung bieten.152 Dabei ist einerseits festzuhalten, dass der Nebensatz nur von uno flexu dextros abhängt, cuncto/coniuncto orbe somit eine nähere Beschreibung zu flexu liefert, andererseits – wie der Nachsatz ut nemo posterior sit zeigt –, dass die Reiter nicht in einem Kreis reiten, da dies ”makes the clause ut nemo posterior sit appear absurd. While it is doubtless true that in such a formation no man is behind the other, to make the statement is merely puerile..153 Jedoch lässt die Aussage keine Entscheidung zu, ob coniuncto oder cuncto zu bevorzugen ist, da beide hier faktisch Synonyme sind (mit einer so gesamten [= ungeteilten]154 orbis : mit einer so geschlossenen orbis).155 Als Argument für eine Bevorzugung von coniuncto kann lediglich angeführt werden, dass das Verb coniungere ein militärischer terminus technicus in der Bedeutung ‚sich an(einander) schließen, sich verbinden, zusammenstoßen‘ ist. 151 Zum möglichen Hergang dieser Verwechselung vgl. Perret 1950: 52. 152 Auf den Inhalt der Stelle wird die Entscheidung auch bei Till 1943: 90 beschränkt. Eine weitergehende Konjektur in curvo, wie sie Lund 1991a: 1889, Anm. 162 vorschlägt, ist nicht notwendig. 153 Robinson 1991: 281. Letzteres als Möglichkeit von Lund 1988: 132 angenommen: ”aber so, daß, wenn der leitende Reiter den Kreis vollzogen hat, die Volte beendet ist.. 154 Vgl. hierzu Tross 1841: 6; daher ist einer der Gegensatzbegriffe zu cunctus auch singuli. 155 So auch Perret 1950: 122 (Aufführung unter den ”doublets synonymiques.). 156 So auch Gudeman 1916: 75. 157 Vgl. Perret 1950: 52-53; Robinson 1991: 116; Perret 1997: 74. Die germanischen Reiter nehmen – wie die Reiter im Circus – einen Schwenk vor, wobei es aber, anders als bei den Reitern im Circus, nicht darauf ankommt, dass einer von ihnen schneller ist, sondern vielmehr, dass alle den Bogen gleichzeitig abgeschlossen haben (ut nemo posterior sit). Um den Bogen aneinander geschlossen ausführen zu können, muss der äußere Reiter diesen schneller reiten als der innere Reiter. Es handelt sich hierbei natürlich nicht um eine eigentliche Kampf-, sondern um eine Geschicklichkeitsübung.156 Dass die germanische Kampfweise der Berittenen von der römischen abwich, geht auch aus Tac. ann. 11,16,1 hervor: armis equisque in patrium nostrumque morem exercitus ‚im Waffengebrauch und Reiten auf heimische wie auch unsere Art geübt‘. 3 in universum aestimanti plus penes peditem roboris] Neben der Lesart aestimanti in den Hss. WmhtfbBETdvormonals ist auch existimanti in c.Cp, existimanti am Rande esti in Q, exstimanti in br und extimati in ezuARce überliefert.157 Robinson nimmt an, dass die Schreibungen exis-, ex- und es- auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen, die ”perhaps exstimanti. war, wobei die Schreibung -x- ”the reading of the archetype more accurately. wiedergibt, weil ”the same confusion between s and x is found in the Agricola..158 Dabei verweist er auf die Schreibung auxsi für ausi im Codex Hersfeldensis auf f. 58v 1,28.159 Mit einer Vorlage exstimanti wird allerdings die Schreibung des in etwa synonymen existimanti nicht erklärt. Da jedoch die Verwechselung s : x, wie die gleich folgende Schreibung misti statt mixti in der Hs. b zeigt,160 auch aus späterer Zeit stammen kann,161 spricht nichts gegen die Annahme, dass die Schreibung exstimanti erst aus humanistischer Zeit herrührt, welche teils in existimanti ‚korrigiert‘ wurde. Hierfür spricht auch das Verhalten der Hs. Q, die sowohl die Korrektur als auch die originale Lesung bietet. Ein ähnlicher Ausdruck findet sich Tac. Agr. 11,3: in universum tamen aestimanti Gallos vicinam insulam occupasse credibile est ‚doch ist es aufs ganze gesehen glaublich, daß Gallier die nahe Insel besetzt haben‘. 158 Robinson 1991: 117. 159 Robinson 1991: 255. 160 Vgl. Annibaldi 1910: 51. 161 Nicht ganz deutlich ist, ob Perret 1950: 52 mit dem ”l’archetype de nos manuscrits. den Codex Hersfeldensis oder den humanistischen Archetyp meint. 162 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 322. 163 Die Angabe über die Chatten ist kaum mit Lund 1988: 133 als ”[a]nders. aufzufassen; hier liegt das Vertrauen nur ausschließlich beim Fußvolk. Kaum weiterführend auch Much 1967: 148: ”aber kaum den Tatsachen entsprechend.. 164 Vgl. zu diesem Gebrauch Kühner – Stegmann II,2: 146. Der Dativ aestimanti ist ein Dat. des geistigen Standpunktes.162 Ausnahmen sind, wie auch durch plus angezeigt, möglich (zu Belegen s.o.). Mit der Angabe plus penes peditem roboris ist die Bemerkung über die Chatten in c. 30,3 zu vergleichen: omne robur in pedite ‚alle Durschlagskraft liegt bei den Fußsoldaten‘.163 Aus diesem Grund kann Tac. Germ. c. 46,2 denn auch Germanen von Nichtgermanen trennen: quae omnia diversa Sarmatis sunt in plaustro equoque viventibus ‚das alles im Gegensatz zu den Sarmaten, die zu Wagen und zu Pferd leben‘. Diese Aussage wird durch die Angabe über das Heer des Maroboduus von Vell. 2,109,2 bestätigt: exercitumque, quem LXX milium peditum, quattuor equitum fecerat ‚sein Heer, das er auf 70 000 Fußsoldaten und 4000 Reiter gebracht hatte‘ (AG 2, 118-119). Dasselbe berichtet Tac. Agr. 12,1 über das Fußvolk der Britannier: in pedite robur ‚im Fußvolk liegt ihre Kraft‘. eoque mixti proeliantur] eoque ist nicht auf peditem zu beziehen (also heißt nicht ‚mit diesem kämpfen sie [= die Reiter] gemischt‘), sondern es steht gleich ideoque.164 Als Subjekt zu proeliantur sind somit allgemein die Germanen (genauer pedites equitesque) zu verstehen.165 165 Vgl. Sörbom 1935: 164. 166 Aus diesem Grund ist die Bemerkung von Lund 1988: 133: ”Die fehlende Spezialisierung betont wiederum die primitive Kampfesweise der Barbaren. sicherlich übertrieben, zumal es sich – wie aus dem Nachfolgenden hervorgeht – durchaus um eine Elitetruppe handelt. Auch dies steht in Gegensatz zur römischen Praxis, wo es zu der Zeit keine gemischte Kampfesweise mehr gab, obwohl sie einst vorhanden war (vgl. Liv. 26,4,5-10: eos singulos in equos suos accipientes equites adsuefecerunt et uehi post sese et desilire perniciter ubi datum signum esset. postquam adsuetudine cotidiana satis intrepide fieri uisum est, in campum qui medius inter castra murumque erat aduersus instructos Campanorum equites processerunt, et ubi ad coniectum teli uentum est signo dato uelites desiliunt. pedestris inde acies ex equitatu repente in hostium equites incurrit iaculaque cum impetu alia super alia emittunt … inde equitatu quoque superior Romana res fuit; institutum ut uelites in legionibus essent. auctorem peditum equiti immiscendorum centurionem Q. Nauium ferunt honorique id ei apud imperatorem fuisse ‚die Reiter nahmen einen von diesen zu sich aufs Pferd und gewöhnten ihn daran, hinter ihnen zu sitzen und auf ein Zeichen schnell abzuspringen. Als dies durch tägliche Übung ganz ohne Angst zu gelingen schien, rückten sie in das Kampffeld mitten zwischen Lager und Mauer gegen die aufgestellten Reiter der Kampaner vor. Sie näherten sich einander auf Wurfnähe, und dann sprangen die Leichtbewaffneten auf ein Zeichen ab. Nun drang plötzlich aus der Reiterei eine Kampflinie zu Fuß auf die feindlichen Reiter ein und schleuderte kraftvoll Spieße über Spieße auf sie … von nun an waren die Römer auch mit ihrer Reiterei überlegen. Man stellte sich darauf ein, Leichtbewaffnete in den Legionen zu behalten. Diese Erfindung, die Mischung von Reiterei und Fußvolk, schreibt man dem Hauptmann Quintus Navius zu; sie habe ihm bei seinem Feldherrn Ehre eingebracht‘ [dieselbe Erzählung findet sich ebenfalls bei Val. Max. 2,3,3 und Frontin. strat. 4,7,29]).166 Eine solche gemischte Kampfesweise wird ebenfalls Tac. hist. 3,18,2 beschrieben: ita mixtus pedes equesque rupere legionum agmen ‚so durchstießen, ineinander vermengt, Fußvolk und Reiterei die Kolonne der Legionen‘. Näher wird sie von Caes. Gall. 1,48,5-7 geschildert: genus hoc erat pugnae quo se Germani exercuerant: equitum milia erant sex, totidem numero pedites velocissimi ac fortissimi, quos ex omni copia singuli singulos suae salutis causa delegerant; cum his in proeliis versabantur, ad hos se equites recipiebant; hi, si quid erat durius, concurrebant; si qui graviore vulnere accepto equo deciderat, circumsistebant; si quo erat longius prodeundum aut celerius recipiendum, tanta erat horum exercitatione celeritas, ut iubis equorum sublevati cursum adaequarent ‚die Taktik, auf die sich die Germanen durch lange Übung festgelegt hatten, war dabei folgende: 6000 Reiter wurden von ebenso vielen außerordentlich schnellen und tapferen Fußsoldaten begleitet, wobei jeder einzelne Reiter sich aus dem ganzen Heer einen Soldaten zu seiner Deckung ausgesucht hatte. Im Gefecht kämpften sie vereint, und die Reiter zogen sich jeweils zu den Fußsoldaten zurück. Wenn an einer Stelle der Kampf härter wurde, eilten diese dort zusammen; wenn jemand schwer verwundet vom Pferd stürzte, nahmen die Fußsoldaten ihn in die Mitte. Wenn es darum ging, weiter vorzurücken oder sich schneller zurückzuziehen, erreichten sie auf Grund ihrer ständigen Übung eine solche Geschwindigkeit, daß sie, an den Mähnen der Pferde hängend, mit diesen Schritt halten konnten‘. Von Caesar wurde diese Kampfesweise wegen des Erfolgs übernommen: Gall. 7,65,4: equitesque ab his arcessit et levis armaturae pedites qui inter eos proeliari consuerant ‚er ließ von ihnen [= unterworfene germanische Stämme] Reiter und leichtbewaffnete Fußsoldaten kommen, die gewohnt waren, gemeinsam mit den Reitern zu kämpfen‘; ebd. 8,13,2: Germani, quos propterea Caesar traduxerat Rhenum ut equitibus interpositi proeliarentur ‚Caesar hatte Germanen über den Rhein gebracht, um sie in Verein mit seinen Reitern kämpfen zu lassen‘; ebd. 8,36,2: equitatum omnem Germanosque pedites, summae velocitatis homines, ad castra hostium praemittit ‚er [= Caesar] … sandte die gesamte Reiterei und die germanischen Fußsoldaten, die sich durch besondere Schnelligkeit auszeichneten, zum Lager der Feinde voraus‘; ds. civ. 3,75,5: huic suos Caesar equites opposuit expeditosque antesignanos admiscuit CCCC ‚Cäsar stellte ihr [= der Reiterei des Pompeius] seine Reiter entgegen, die er durch 400 leichte Stoßtruppler verstärkte‘; ebd. 3,84,3: superius tamen institutum in equitibus, quod demonstravimus, servabat, ut quoniam numero multis partibus esset inferior, adulescentes atque expeditos ex antesignanis electis ad pernicitatem armis inter equites proeliari iuberet, qui cotidiana consuetudine usum quoque eius generis proeliorum perciperent ‚die frühere, erwähnte Einrichtung bei der Reiterei behielt er indessen bei. Da sie zahlenmäßig um ein Vielfaches unterlegen war, ließ er junge und einsatzfreudige Männer, seinen Stoßtrupplern entnommen, mit Waffen, die zum raschen Einsatz eigens ausgewählt waren, mitten in der Reiterei kämpfen. In täglichem Exerzierdienst sollten sie sich die Erfahrung auch in dieser Kampfesweise aneignen‘. Eine vergleichbare Kampfestechnik beschreibt Liv. 44,26,3 von den Bastarnen: par numerus peditum, et ipsorum iungentium cursum equis, et in vicem prolapsorum equitum vacuos capientium ad pugnam equos ‚es kamen 10000 Reiter und die gleiche Anzahl Fußsoldaten, die im Laufen mit den Pferden Schritt hielten und, wenn die Reiter gefallen waren, die herrenlosen Pferde einfingen und weiterkämpften‘; vgl. auch Plut. aem. 12,4: µ.p... µ.. .ppe.., µ.p... d. papaß.ta. ‚10 000 Reiter und 10 000 Infanteristen als deren Begleiter‘ (AG 2, 386-387). In späterer Zeit wird diese Technik genannt von Amm. 16,12,21: isdemque sparsim pedites miscuere discursatores et leues ‚ihnen [= den Reitern] gaben sie leichtbewaffnete Plänkler zu Fuß überall verstreut bei‘; Veg. mil. 3,16: quod si equites inpares fuerint, more ueterum uelocissimi cum scutis leuibus pedites ad hoc ipsum exercitati isdem miscendi sunt, quos uelites nominabant. quo facto quamuis fortissimi equites hostium euenerint, tamen aduersum mixtum agmen pares esse non possunt. unum hoc remedium omnes duces ueteres inuenerunt, ut adsuefacerent iuuenes currentes egregie et inter bonis equites singulos ex his pedites conlocarent cum leuioribus scutis gladiis atque missibilibus ‚dass wenn die Reiter unterlegen wären, nach altem Brauch die schnellsten, dazu geschulten Fußsoldaten mit leichen Schildern mit jenen gemischt wurden, die man Velites nannte. Obwohl danach die tapfersten Reiter der Feinde hinzukamen, konnten sie doch der gemischten Schar nicht gewachsen sein. (Dieses eine Mittel haben alle früheren Anführer erdacht, dass sie junge Männer gewöhnten, außerordentlich [schnell] zu rennen und einzelne solche Fußsoldaten zwischen talentierten Reitern aufstellten mit leichteren Schildern, Schwertern und Wurfgeschossen‘; ebd. 18: hic de equitibus supernumerariis mixtis peditibus expeditis aduersariorum sinistrum cornum, qui contra ipsum stat, circumire debet et a tergo semper urguere ‚dieser muss mit den überzähligen Reitern, gemischt mit schnellen Fußsoldaten, den linken Flügel der Gegner, die ihm gegenüber steht, umflügeln und ständig von hinten bedrängen. Der zweite Anführer wird in der Mitte der Schlachtreihe der Fußsoldaten gestelt‘. Neben den Germanen kannten auch u.a. die Gallier diese Kampfesweise (vgl. u.a. Caes, Gall. 7,18,1: cum equitatu expeditisque, qui inter equites proeliari consuessent ‚mit der Reiterei und kampfbereiten Truppen, die gewöhnlich zusammen mit den Reitern kämpften‘ [nicht hiermit zu vergleichen ist dagegen Paus. 10,19,10: Ga.at.. d. t... .ppe...... ...... ...e.t...t.. .p.µ....te. t.. t..e.. .p...e. <..> ....ta. t...de .f.... ......t. .p...µ... t.. ..p .ppe. ..µß.. . t.. .pp.. pe.e.., t.. µ.. .pp.. pape..e. ..aß..a. t.. ..dp., te.e.t..a.t.. d. t.. ..dp.. d..... ..t. t.. de.p.t.. t.. .pp.. ...ßa..e.. e. d. .µf.t.p... .p...ß.. t. .pe.., ..ta..a .t..µ.. .. .ppe... .aµßa...t.. d. tpa.µata t.. . µ.. .pe...e t.. d..... .. t. .tpat.ped.. t.. tpa.µat.a., . d. .a...tat. .. t.. t.... ..t. t.. .pe....t.. ‚wenn es bei den Galatern zur Reiterschlacht kam, blieben die Diener zwar hinter den Kampfreihen, doch waren sie ihnen folgendermaßen nützlich; wenn es den Reiter traf, daß sein Pferd fiel, boten sie für den Mann ein Pferd zum Besteigen; wurde jedoch der Mann getötet, bestieg der Sklave statt seines Herrn das Pferd. Wenn aber Mann und Pferd das Geschick ereilte, stand ein weiterer Reiter bereit. Wenn jedoch einer verwundet wurde, führte der eine Sklave den Verwundeten in das Lager, während der andere den Platz des Abgezogenen einnahm‘]). apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate peditum, quos ex omni iuventute delectos ante aciem locant] In den Hss. ist mehrheitlich die Lesart delectos überliefert (mc.CpQtfbETdvormonalezuARces), neben der sich aber auch deilectos in W, dedilectos in B und dilectos in hbr findet.167 Das Nebeneinander von -e- neben -i- lässt sich einerseits aus dem Schwanken in der Graphie des Codex Hersfeldensis erklären, wobei dann von einer Schreibung dielectos auszugehen wäre.168 Jedoch schwanken auch sonst -e- und -i- in den einzelnen Hss. ohne auf ein Schwanken in der Vorlage zurückzugehen (etwa bei dem nachfolgenden centini in Qdvor neben centeni der restlichen Hss.), so dass es sicherer scheint, einen solchen Fehler zeitlich unbestimmt zu lassen.169 Andererseits, da dilectos und delectos als militärische termini technici Synonyme sind, kann auch ein – ebenfalls zeitlich unbestimmtes – Glossem vorliegen. Die Überlieferungslage entscheidet hier zugunsten von delectos. Zum Ausdruck vgl. Liv. 21,54,2: delige centenos viros ex omni pedite atque equite ‚suche dir von dem gesamten Fußvolk und der Reieterei je 100 Mann aus‘. 167 Vgl. Perret 1950: 53; Robinson 1991: 124 ; Perret 1997 : 74. 168 Vgl. Robinson 1991: 124. 169 Vgl. auch Perret 1950: 53: ”doublet synonymique d’âge indéterminé.. Die Verbindung der Adjektive aptus und congruens findet sich bei Tacitus nur an dieser Stelle; sie ist jedoch ansonsten mehrmals belegt (vgl. etwa Cic. fam. 7,23,2: sed tamen erant aptum bybliothecae studiisque nostris congruens ‚immerhin würden sie für meine Bibliothek passen und meiner Tätigkeit entsprechen‘; ds. orat. 3,53: quod ego aptum et congruens nomino ‚den ich als den der Angemessenheit und Übereinstimmung bezeichne‘). Es handelt sich bei ihnen jedoch an dieser Stelle nicht um Synonyme,170 sondern aptus wird durch congruens näher bestimmt.171 Die Verbindung von congruens mit ad kommt nur selten vor172 und ist hier wohl durch aptus + ad bedingt.173 Im Gegensatz zu den Pferden besitzen die germanischen Fußsoldaten, welche in dieser gemischten Truppe kämpfen, velocitas, die es ihnen ermöglicht, gleichen Schritt mit den Reitern zu halten; vgl. zur Aussage Caes. Gall. 1,48,5: totidem numero pedites velocissimi ac fortissimi ‚von ebenso vielen außerordentlich schnellen und tapferen Fußsoldaten begleitet‘; ebd. 1,48,7: tanta erat horum exercitatione celeritas ‚erreichten sie auf Grund ihrer ständigen Übung eine solche Geschwindigkeit‘; ebd. 8,36,2: Germanos pedites, summae velocitatis homines ‚die germanischen Fußsoldaten, die sich durch besondere Schnelligkeit auszeichneten‘. 170 So Lund 1988: 133; wohl auch Reeb 1933: 25: ”‚indem sich völlig anpaßt‘.. 171 So auch Müllenhoff 1900: 173. 172 Im ThLL IV: 302,61-65 sind insgesamt nur vier Beispiele aufgelistet. 173 Vgl. zu aptus + ad Kühner – Stegmann II,1: 315. 174 Aus dieser Beschreibung lässt sich nicht die Behauptung von Much 1967: 149 ableiten: ”Ohne Zweifel eröffneten sie den Kampf, doch werden sie wie die andern Reiter gewöhnlich an den Flügeln Verwendung gefunden haben, oder … vor dem Zusammenprallen der eigentlichen Heeresmassen … gegen eine Seite (oder durch Gassen in der Aufstellung) abgezogen sein.; diese Behauptung ist somit frei erfunden. 175 Vgl. Perret 1950: 52; Robinson 1991: 102; Perret 1997: 74. Die Lesart der Hs. B ist offenbar nicht gesichert; sie wird von Robinson 1991: 102 als definitur, von Perret 1950: 52 dagegen als difinitur angegeben. 176 Robinson 1991: 102; ebenso Perret 1950: 53 (”conservation d’une faute d’orthographe ancienne.). 177 Von den frühen Drucken bieten kJdS Definitur, ZA Difinitur und wTPnVLehrMF Diffinitur (vgl. Hirstein 1995: 286). 178 Vgl. ThLL V,1: 343,3: ”haud raro scribitur diffinio vel difinio.. Jedoch werden nicht alle Fußsoldaten in diesen Kampfesverband aufgenommen, sondern nur die aus der Jugend ausgewählten, wobei iuventus als Abstraktum statt des konkreten iuvenes steht. Dass es sich bei ihnen nicht um gewöhnliche Fußsoldaten handelt, geht auch aus Caes. Gall. 1,48,7 hervor: horum exercitatione ‚auf Grund ihrer ständigen Übung‘. Diese Sonderstellung betrifft auch ihren Platz in der Heeresformation, denn sie sind – zusammen mit den Reitern – vor dem Heer aufgestellt.174 Mit acies ist somit die Hauptmasse der Fußsoldaten gemeint. definitur et numerus] In den Hss. erscheint neben definitur in Wmhc.CpQbETors2 difinitur in d, diffinitur in tfvbrlezuARces und differunt in a.175 Robinson nimmt die Schreibung deifinitur im Codex Hersfeldensis an.176 Da jedoch zum einen auch die frühen Drucke zwischen definitur und diffinitur schwanken,177 zum anderen diffinitur lediglich eine Schreibvariante zu definitur ist,178 liegt es näher, von einer humanistischen Varianz auszugehen. Zu numerus ist peditum delectorum hinzuzudenken; ihre Zahl ist somit beschränkt. Hierin liegt eine Abweichung zu den sonstigen Angaben, in denen die Reiterei als das wichtigere Element in der gemischten Kampftruppe angesehen wird.179 Es liegt hierbei jedoch kein inhaltlicher Gegensatz vor, da Tacitus das Fußvolk bei den Germanen für den wichtigeren Teil innerhalb des Heeres erachtet (plus penes peditem roboris),180 zumal aus der Beschreibung in c. 6,3 das schlechte Training der Pferde hervorgeht (in Gegensatz hierzu werden in c. 32,1 die Tenkterer ausdrücklich wegen ihrer Geschicklichkeit in der Reitkunst gelobt: nec maior apud Cathos peditum laus quam Tencteris equitum ‚und die Wertschätzung des Fußvolks ist bei den Chatten kaum größer als die der Reiterei bei den Tenkterern‘). 179 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 175: ”allein dabei erhebt sich doch wieder die frage, ob Tacitus, indem er die sache so darstellt, auch das richtige sagt.; Much 1967: 149: ”Nach allen anderen Berichten richtet sich aber die Zahl der Knappen nach derjenigen der Reiter, wird also selbständig gar nicht bestimmt.; vgl. auch S. 150: ”Die hundert Knappen hätte man aber damit als etwas Selbständiges und als Hauptsache von den Reitern selbst abgetrennt, zu denen sie doch gehörten.; ebd.: ”So geschickt sie auch sein mußten, waren sie doch den Reitern gegenüber die Nebensache.; Perl 1990: 151: ”die Reiterei hatte ohnehin eine Vorrangstellung, doch spricht Tacitus nur von der germanischen Besonderheit.. 180 So bereits Baumstark 1875: 340; auch Anderson 1997: 66. 181 Vgl. Perret 1950: 53; Robinson 1991: 124 (dort ebenfalls zur Ausradierung in b); Perret 1997: 74. 182 Lediglich etwa Robinson 1991: 282 nimmt primum auf. 183 Robinson 1991: 124 (vgl. auch S. 282). 184 Dieses Argument ist bei einer Doppelform, wo ein ”choix impossible. ist (Perret 1950: 53), durchaus ausschlaggebend. 185 Zur Unterscheidung von primo und primum vgl. Kühner – Stegmann II,2: 69; dichterisch und nachklassisch kommt allerdings primum – auch bei Tacitus – im temporalen Sinne vor (ebd. S. 69-70). Die Variante primum ist wohl ebendieser fehlenden Unterscheidung zu verdanken. 186 Es liegt wohl nicht mit Lund 1988: 133 ”eine Anspielung auf römische Verhältnisse . vor, da es sich hier nicht um einen Vergleich zwischen den centeni und den centuriae der alten Römer handelt (Liv. 1,36,7-8: neque tum Tarquinius de equitum centuriis quicquam mutavit; numero alterum tantum adiecit, ut mille et octingenti equites in tribus centuriis essent. posteriores modo sub iisdem nominibus qui additi erant appellati sunt; quas nunc quia geminatae sunt sex vocant centurias ‚auch Tarquinius hat damals an den centeni ex singulis pagis sunt, idque ipsum inter suos vocantur, et quod primo numerus fuit, iam nomen et honor est] In den Hss. steht neben primo in mc.ptfvormonabrlezuARce auch primum in Whs, primo am Rande oder übergeschr. primum in QbBEd; eine Auslassung findet sich dagegen in C.181 In den neueren Ausgaben hat sich in der Regel primo durchgesetzt.182 Robinson versucht das Nebeneinander beider Formen zu erklären: ”Primo is probably a corruption of primum, induced by the vulgar pronounciation of final -um..183 Jedoch ist primo hier wohl vorzuziehen, da erstens primo besser bezeugt ist, weil es nämlich auch dort, wo sich Doppelformen finden, im Haupttext erscheint,184 zweitens primum in der Regel nicht im temporalen Sinne steht.185 Die Zahl der Fußsoldaten ist auf hundert je pagus festgelegt. Diese hundert werden als centeni bezeichnet,186 wobei aus einer reinen Zahlenangabe ein Ehrentitel wurde.187 Obwohl Centurien der Reiter nichts geändert; er fügte lediglich noch einmal so viele hinzu, so daß jetzt in den drei Centurien 1800 Reiter waren – nur wurden die neu Hinzugekommenen neben dem alten Namen als ”die späteren. bezeichnet; heute spricht man infolge der Verdoppelung von den sechs Centurien‘). 187 Zum Quellenwert vgl. Lund 1991a: 1889: ”Der historische Quellenwert dieser Stelle dürfte hoch sein, idque ipsum inter suos vocantur hört sich ja wie ein freies Zitat an.. 188 Perl 1990: 151. 189 So auch Gudemann 1916: 77: ”Ursprünglich waren es genau 100, jetzt … sei aber die Benennung bereits zu einem technischen Begriff erstarrt und ein Ehrentitel.. 190 Vgl. etwa Gudeman 1916: 76; Schweizer-Sidler 1923: 18; Perl 1990: 237; Anderson 1997: 66. 191 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 76: ”und wohl je nach der Größe der Bevölkerung umfang- oder zahlreicher.; Perl 1990: 151: ”Zahl und Größe der Landbezirke (pagi) schwankte bei den einzelnen Stämmen.. 192 Dieses Problem ließe sich nur umgehen, wenn man sehr große Gebiete annehmen würde (vgl. etwa Much 1967: 149: ”…, kann pagus an dieser Stelle nur eine verhältnismäßig große Unterabteilung der civitas darstellen.). Es stellt sich aber die Frage, wie kleine Stämme ihre gemischte Truppe zustande gebracht hätten. Es darf ja nicht vergessen werden, dass diese Beschreibung (nach Tacitus) auf alle Germanen zutrifft, da sie sich im ersten, allgemeinen Teil der Germania findet. 193 Vgl. Menge 1993: 313, 340. Letztes Argument auch bei Much 1967: 150. Tacitus das zugrunde liegende germ. Wort nicht überliefert, gehen einige Kommentatoren davon aus, dass ”dessen Bedeutung in dem germanischen Wort aber verblaßt ist..188 Daher läge – ohne Rücksicht auf die tatsächliche Zahl – nur der Name einer Elitetruppe vor.189 Diese unbewiesene Annahme war notwendig, da pagus als ‚Gau‘, also ein Bezirk, interpretiert wird, wobei lediglich umstritten ist, ob es sich dabei nur um eine territoriale oder auch eine gesellschaftliche Größe handelt.190 Würde nämlich eine feste Zahl vorliegen, könnte pagus kaum als ein Bezirk verstanden werden, da die einzelnen Bezirke nicht gleich groß gewesen wären191 und daher nicht jeder Bezirk die gleiche Zahl (nämlich hundert) Elitekämpfer hätte stellen können.192 Gegen die Interpretation lediglich als Elitetruppe spricht jedoch Folgendes. Tacitus berichtet erstens, dass centeni, womit er sehr wahrscheinlich eine germanische Zahlbezeichnung umsetzt, eine Zahl war (numerus: centeni … sunt); er schreibt dagegen nicht, dass es jetzt keine Zahl mehr sei. Zweitens wird auch Tacitus‘ Quelle das germanische Wort als Zahlbezeichnung angesehen haben, da ansonsten eine Umsetzung in lat. centeni wenig Sinn gemacht hätte. Schließlich schreibt Tacitus nicht, dass die Zahl jetzt keine Bedeutung mehr habe; ganz im Gegenteil weist er, mit dem Satz centeni ex singulis pagis sunt darauf hin, dass es auf die Zahl sehr wohl ankomme. Er berichtet dann eher beiläufig, dass das Zahlwort jetzt auch zu einem Ehrentitel geworden ist. Die Fügung primo – iam ist dabei als ‚ursprünglich (nur) – heutzutage (schon)‘ zu interpretieren.193 Die Zahl hundert ist somit ernst zu nehmen. Wenn aber eine feste Zahl vorliegt, kann pagus kaum als ‚Gau‘ (oder Ähnliches) interpretiert werden. Natürlich wurde längst gesehen, dass die Beschreibung in der Germania eng mit der bei Caes. Gall. 1,48,5-6 (genus hoc erat pugnae quo se Germani exercuerant: equitum milia erant sex, totidem numero pedites velocissimi ac fortissimi, quos ex omni copia singuli singulos suae salutis causa delegerant; cum his in proeliis versabantur ‚die Taktik, auf die sich die Germanen durch lange Übung festgelegt hatten, war dabei folgende: 6000 Reiter wurden von ebenso vielen außerordentlich schnellen und tapferen Fußsoldaten begleitet, wobei jeder einzelne Reiter sich aus dem ganzen Heer einen Soldaten zu seiner Deckung ausgesucht hatte. Im Gefecht kämpften sie vereint‘) verknüpft ist.194 Dass der Text von Tacitus in seiner Wortwahl eng an den von Caesar angelehnt ist, ist deutlich:195 pugnae – pugnam; equitum – equestrem; pedites – peditum; velocissimi – velocitate; ex omni – ex omni; delegerant – delectos. Daneben gibt es noch eine Wortgleichung, die aber auch zufällig sein kann: singuli/singulos – singulis. Schließlich gibt es noch inhaltliche Gleichungen, die jedoch mit unterschiedlichen Wörtern zum Ausdruck gebracht sind: copia – iuventute/pagis; cum his in proeliis versabantur – mixti proeliantur. Das bedeutet, dass die Caesarstelle nicht nur herangezogen werden kann, sondern herangezogen werden muss, um die Tacitusstelle zu verstehen. 194 Vgl. Much 1967: 148: ”Näher beschreibt sie [= die gemischte Truppe] Caesar.. 195 Man vgl. Much 1967: 149: ”…, wie auch Caesar an der … angeführten Stelle, die Tac. vermutlich vor Augen hat.. Nach Caesar gibt es ebenso viele Reiter wie Fußsoldaten, die natürlich schnell sein müssen, um mit den Reitern Schritt zu halten. Die einzelnen Reiter wählen die einzelnen Fußsoldaten zu ihrer ,Deckung‘ aus. Und zwar befinden sich die potentiellen Fußsoldaten in der gesamten Kampfestruppe, da aus ihr (ex omni copia) ausgewählt wird. Bei Tacitus ist dagegen von der Gleichzahl zwischen Reitern und Fußsoldaten nicht – wenigstens nicht direkt – die Rede. Gleichwohl werden die Fußsoldaten ex omni iuventute ausgewählt. Diese iuventus ist natürlich eine Gruppe innerhalb des Heeres, nämlich eben die der jungen Soldaten. Dabei muss es sich um dieselbe Gruppe handeln, wie die bei Caesar beschriebene, da nur sie als velocissimi gelten können. Tacitus fügt nun aber hinzu, dass es sich bei diesen Fußsoldaten um hundert je pagus handelt (ex singulis pagis). Die Auswahl geschieht also ex omni iuventute, und zwar aus der sich im Heer befindlichen. Die Gesamt-iuventus ist somit eine Teilmenge des Gesamtheeres, neben den älteren Fußsoldaten und den Reitern. Da also die Formulierung ex omni iuventute sich auf einen Teil des Gesamtheeres bezieht, liegt die Annahme nahe, dass die parallele Formulierung ex singulis pagis sich ebenfalls auf einzelne Teile des Gesamtheeres bezieht. Es liegt lediglich eine andere Einteilung des Heeres vor, nämlich nicht eine in Fußsoldaten (jungen und alten) und Reiter, sondern eine in pagi. Diese Heeresteile bestehen aus Fußsoldaten (jungen und alten) und Reitern, allerdings aus einem anderen Blickwinkel gesehen. Das Wort pagus steht an dieser Stelle also parallel zu copia bei Caesar, und ist als ein ähnlicher Heeresteil zu interpretieren.196 abb 196 Hier kann nicht auf den zweiten Beleg für pagus in c. 39,3 eingegangen werden, da an dieser Stelle noch ein zusätzliches textkritisches Problem vorliegt. 197 Das genaue Verhältnis dieser centum pagi mit denen aus Caes. Gall. 4,1,4 bleibt unklar (vgl. Kramer – Dittenberger 1961: 155: ”Vergleicht man IV,1,4 …, so könnte man vermuten, daß mit diesen neuen suebischen Scharen der Heerbann der Sueben-Semnonen gemeint sei, da jährlich 1000 Bewaffnete von den 100 Gauen auszogen.. Diese Annahme wird nun auch bestätigt durch Caes. Gall. 1,37,3-4: Treveri autem, pagos centum Sueborum ad ripas Rheni consedisse qui Rhenum transire conarentur; his praeesse Nasuam et Cimberium fratres. quibus rebus Caesar vehementer commotus maturandum sibi existimavit, ne si nova manus Sueborum cum veteribus copiis Ariovisti sese coniunxisset, minus facile resisti posset ‚die Treverer berichteten, am Ufer des Rheins hätten sich hundert suebische pagi versammelt, die unter der Führung der Brüder Nasua und Cimberius versuchten, den Rhein zu überschreiten. Da diese Berichte Caesar aufs äußerste beunruhigten, glaubte er, schnell handeln zu müssen, damit der Widerstand gegen Ariovist nicht dadurch erschwert würde, daß sich vorher eine neue Schar von Sueben mit den alten Truppen Ariovists vereinigt hätte‘. An dieser Stelle ist es nun nicht möglich, pagus mit ,Gau‘ wiederzugeben. Denn die Sueben haben nicht ihre hundert Gaue197 mitgenommen und diese am Rhein hingesetzt. Daher wird dann auch teilweise ”die Bewohner von hundert Gauen. übersetzt, was schon eher wahrscheinlich ist, jedoch müsste es sich dabei um eine Gruppe aus Männern, Frauen und Kindern handeln. Aber diese Übersetzung, die auch nur bedingt ist durch die ansonsten gängige Bedeutung von pagus als ‚Gau respectu incolarum‘, ist in Anbetracht des Kontextes nicht schlüssig. Denn die Wendung pagi Sueborum steht hier genau parallel zur kollektiven manus Sueborum. Caesar befürchtet nämlich, dass sich diese nova manus der Sueben mit den veterae copiae des Ariovists verbinden könnte. Man hat hier also die Reihung pagi – manus – copiae. Somit wird hier auch deutlich, dass diese drei Begriffe eine fast identische Bedeutung haben müssen. Da nun manus und copiae eindeutig auf das Heer Bezug nehmen, muss sich auch das Wort pagi auf das Heer beziehen. Eine Bedeutung ,Heeresteil‘ (also ähnlich wie copiae gegenüber der kollektiven manus ,Kriegerschar‘) ist dann mehr als wahrscheinlich. Dass diese Bedeutung nicht nur auf germanische pagi beschränkt ist, sondern bei Caesar auch in Bezug auf die Gallier verwendet wird, geht aus Gall. 1,12,2-5 hervor: ubi per exploratores Caesar certior factus est tres iam partes copiarum Helvetios id flumen traduxisse, quartam vero partem citra flumen Ararim reliquam esse, de tertia vigilia cum legionibus tribus e castris profectus ad eam partem pervenit quae nondum flumen transierat. eos impeditos et inopinantes adgressus magnam partem eorum concidit; reliqui sese fugae mandarunt atque in proximas silvas abdiderunt. is pagus appellabatur Tigurinus; nam omnis civitas Helvetia in quattuor partes vel pagos est divisa. hic pagus unus, cum domo exisset, patrum nostrorum memoria L. Cassium consulem interfecerat et eius exercitum sub iugum miserat ‚als Kundschafter Caesar meldeten, daß schon drei Viertel der Helvetier den genannten Fluss überschritten hatten, das letzte Viertel jedoch noch diesseits der Rhône warte, rückte er während der 3. Nachtwache mit drei Legionen aus dem Lager ab und stieß auf den Rest, der den Fluss noch nicht überquert hatte. Er griff die Ahnungslosen und durch ihr Gepäck Behinderten an und tötete eine große Anzahl von ihnen. Die übrigen ergriffen die Flucht und verbargen sich in den nahegelegenen Wäldern. Es handelte sich dabei um den pagus, der Tigurinus hieß, denn der Gesamtstamm der Helvetier gliedert sich in vier Teile oder pagi. Dieser eine pagus hatte beim Auszug aus seinem ursprünglichen Heimatland – zur Zeit unserer Väter – den Consul L. Cassius umgebracht und sein Heer unter das Joch geschickt‘. Die Inkohärenz der Interpretation des Wortes pagus zeigt sich hier in solchen Übersetzungen, die das erste pagus mit ‚Bevölkerung des Gaues‘ wiedergeben, die beiden anderen Belege aber mit ‚Gau‘. Dabei sollte zumindest der erste und letzte Beleg gleich übersetzt werden, da es sich hierbei um die gleiche Einheit handelt, nämlich den pagus Tigerinus. Da Caesar nun überdies angibt, bei diesem handle es sich um ein Viertel der Helvetier, ist auch der mittlere Beleg gleichermaßen zu deuten.198 Es wird aber zu Recht bemerkt, dass es sich bei dem ersten Beleg nicht um einen ‚Gau‘ handeln kann; also darf 198 Es wäre schon an für sich unwahrscheinlich, wenn die drei dicht aufeinander folgenden pagus-Belege unterschiedlich zu deuten wären. keiner der drei Belege in dieser Reihung mit ‚Gau‘ übersetzt werden. An der ersten Stelle (is pagus appellabatur Tigurinus) wird durch das Wort is eindeutig auf die vorhergehende Angabe zurückgegriffen, nämlich auf jenen vierten Teil der Helvetier, der noch diesseits der Rhône wartete (quartam vero partem citra flumen Ararim reliquam esse). Dieser quarta pars ist den anderen drei partes copiarum der Helvetier gegenübergestellt, welche die Rhône schon überquert hatten. Der pagus Tigurinus ist somit nichts anderes als der quarta pars copiarum der Helvetier. Caesar variiert hier das Wort copia durch pagus. Daraus muss dann gefolgert werden, dass die quattuor partes vel pagos, in die die Helvetier unterteilt sind, die vier partes copiarum sein müssen. Der letzte pagus-Beleg bezieht sich auf den pagus Tigurinus und ist ebenso zu deuten (dieselbe Deutung ist auch für Caes. Gall. 1,13,5 wahrscheinlich, wo die Helvetier rückbeziehend auf den vernichteten pagus Tigerinus sagen: quod improviso unum pagum adortus esset, cum ii qui flumen transissent, suis auxilium ferre non possent ‚daß er überraschend einen pagus des Stammes angegriffen habe, als ihm die übrigen nicht zu Hilfe kommen konnten, weil sie den Fluss schon überquert hatten‘). Ein pagus ist also erneut eindeutig als ein ‚Heeresteil‘ zu interpretieren. Diese Deutung wird ebenfalls gestützt durch die Angabe in Caes. Gall. 1,13,1 wo die schon über die Rhône gegangenen Helvetier als reliquas copias Helvetiorum bezeichnet werden.199 199 Man vgl. auch Kramer – Dittenberger 1961: 350: ”Und nachdem gesagt ist, daß diese Truppen den pagus Tigerinus bildeten.. 200 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 32-33. 201 Lund 1988: 133. 202 Kühner – Stegmann II,1: 550; dort auch zu den ”mannigfaltigsten Beziehungen bei Personen.. 203 Vgl. RGA 15: 233-240. 204 Vgl. etwa Anderson 1997: 66; Benario 1999: 71. Das Neutrum idque ipsum bezieht sich auf den allgemeinen Begriff centeni.200 Es ist nicht notwendig, bei der Folge inter suos anzunehmen, dass ”inter … Agens- Funktion. hat und somit für ”a suis. steht.201 Es kann durchaus räumlich ”zwischen zwei oder mehreren … Personen. verstanden werden.202 Die Satzteile centeni ex singulis pagis sunt und idque ipsum inter suos vocantur stehen parallel zu et quod primo numerus fuit und iam nomen et honor est. nomen et honor ist ein Hendiadyoin. Es kämpfen somit jeweils hundert Fußsoldaten vor dem Hauptheere. Zumeist wird das hinter centeni liegende Wort mit ahd. huntari ‚Heer, Schar von hundert Mann‘203 gleichgesetzt.204 Dies scheint jedoch recht unwahrscheinlich, da das Suffix - ari erst verhältnismäßig spät aus lat. -arius entlehnt ist;205 ahd. huntari ist somit eine jüngere Bildung, die aber vielleicht auf dasselbe Bezug nimmt. 4 acies per cuneos componitur] Tacitus kehrt von den centeni, die im gemischten Verband vor der Schlachtreihe aufgestellt werden, wieder zur Schlachtreihe selbst, also zur Hauptmasse der Fußsoldaten zurück. acies ist die normale Formation des Heeres; vgl. Veg. mil. 3,14: acies dicitur exercitus instructus, frons quae aduersum hostem spectat ‚Acies wird das geordnet aufgestellte Heer genannt, dessen Front gegen den Feind schaut‘. 205 Vgl. Krahe – Meid III: 81-84. cuneus ist ein terminus technicus der Militärsprache, der die keilförmige Aufstellung der Schlachtreihe bezeichnet; vgl. Veg. mil. 3,19: cuneus dicitur multitudo peditum, quae iuncta cum acie primo angustior, deinde latior procedit ‚cuneus wird eine Menge Fußsoldaten genannt, die zunächst enger, darauf weiter mit der Schlachtreihe zusammengefügt vorrückt‘. In späterer Zeit gilt Wodan als Erfinder dieser Aufstellung, vgl. Saxo Gram. 7,10,6: cuius eventum Haraldo oraculis explorare cupienti senex praecipuae magnitudinis, sed orbus oculo, obvius exstitit, qui, hispido etiam amiculo circumactus, Othynum se dici bellorumque usu callere testatus utilissimum ei centuriandi in acie exercitus documentum porrexit. iussit igitur, ut terrestribus bellum copiis editurus universam aciem in tres turmas divideret, quarum unamquamque vicenarii ratione densaret, mediam vero viginti virorum numero reliquis porrectiorem extenderet, quam etiam in coni sive pyramidis acumen digerens, alarum recessus utrimquesecus discretis ambagibus obliquaret. cuiuslibet vero turmae seriem hac ratione contexeret, ut a duobus frons inchoans consequentibus locis unitatis dumtaxat incrementa reciperet, et quidem in secunda linea tres, in tertia quattuor eodemque modo posterius ordinandos, habita congressione, statueret, sicque consequentes gradus idem proportionis tenor instrueret, donec coniunctionis extremitas alas aequaret; cornu vero quodlibet denis ab eo ordinibus formaretur ‚als Harald den Ausgang durch Orakelspruch erfahren wollte, trat ihm ein ungewöhnlich großer Alter, einäugig und mit grobem Mantel entgegen. Er sagte, er heiße Odin und sei mit dem Kriegshandwerk wohlvertraut. Er gab ihm nützlichen Rat, wie das Heer aufzustellen sei und riet ihm, wolle er zu Lande angreifen, sein Mannen in drei Haufen zu teilen, jeder zwanzig Mann tief. Der mittlere solle die andern um zwanzig Mann übertreffen und solle auch eine kegel- oder pyramidenförmige Spitze haben. Die Flügel sollten beiderseitg schräg zulaufen. Innerhalb jeder Schar müsse er aber alle so aufstellen, dass die Fronten mit zwei Mann beginnen und jede weitere Reihe um einen Mann verstärkt würden. In die zweite Reihe kämen also drei, in die dritte vier Mann und so fort, auch hinten müsse er dasselbe Verhältnis fortschreitend einhalten, bis das äußere Verbindungsglied die Flügel erreiche. Jede Flanke werde von Zehnerreihen gebildet‘; ds. 1,8,16: quem, repugnantibus sociis damnosumque profectionis deverticulum affirmantibus, nave susceptum centuriandi exercitus auctorem habuit, in ordinanda agminum ratione curiosius attendere solitum, ut prima per dyadem phalanx ac per tetradem secunda constaret, tertia vero octoadis adiectione succresceret, semperque priorem insequens duplicitatis augmento transscenderet ‚seine Kämpen [= von Uffe] meinte zwar, das verzögere nur die Fahrt, aber er nahm ihn [= den Greis Odin] an Bord und fand in ihm einen Lehrmeister bei der Aufstellung des Heeres. Als es nun zur Schlacht kam, achtete der Greis sorgsam darauf, dass die erste Reihe aus zwei Mannen, die zweite aus vier bestand, die dritte bis auf acht anwuchs und jede folgende die vorangehende ums Doppelte übertraf‘; ebenso als Aussage Wodans Reginsmál, 23,4: hiorleics hvatir, eða hamalt fylkia ‚wenn die Kampfkühnen den Keil ordnen‘. Die Aufstellung der germanischen Schlachtreihe in Keilen ist häufiger belegt (anders dagegen Maurik.: .... t. µ.t.p.. t.. papat..e.. p...... ‚sie machen die Front der Schlachtordnung gerade‘); vgl. u.a. Tac. hist. 4,20,3: illi … in cuneos congregantur, densi undique et frontem tergaque ac latus tuti ‚jene [= Bataver] … scharten sich zu Keilen zusammen, nach allen Seiten dichtgedrängt und nach vorne, im Rücken und an den Flanken gesichert; ebd. 5,16,1: Civilis haud porrecto agmine, sed cuneis adstitit ‚Civilis stellte sein Heer nicht in entfalteter Linie auf, sondern in Keilen‘. Diese Keile bestanden entweder aus Verwandten oder aus einzelnen Stämmen; vgl. u.a. c. 7,2: non casus nec fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates ‚nicht Zufall noch planloses Zusammengeraten machen den Reitertrupp oder Schlachtkeil aus, sondern Hausgenossen und Verwandtschaften‘; Tac. hist. 4,16,2: Canninefates, Frisios, Batavos propriis cuneis componit ‚die Canninefaten, Friesen und Bataver stellte er [= Civilis] in jeweils eigenen Keilformationen auf‘; ebd. 4,23,2: Batavi Transrhenanique, quo discreta virtus manifestius spectaretur, sibi quaeque gens consistunt ‚die Bataver und die rechtsrheinischen Völker stellten sich nach Stämmen gegliedert auf, damit durch die Trennung ihre Tapferkeit deutlicher sichtbar werde‘; ebd. 5,18,1: Bructerorum cuneus transnatavit ‚kam … der Schlachtkeil der Brukterer herübergeschwommen‘; vgl. auch etwa Caes. Gall. 1,51,2: generatimque constituerunt paribus intervallis – Harudes, Marcomanos, Tribocos, Vangiones, Nemetes, Sedusios, Suebos ‚und stellten sich mit kleinen Zwischenräumen nach Stämmen geordnet auf: Haruden, Marcomannen, Tribocer, Vangionen, Nemeter, Sedusier und Sueben‘.206 206 Vgl. für germanische Abteilungen im römischen Heer etwa Dessau, ILS 2635, 4761: cuneus Frisiorum ‚Keil der Friesen‘. 207 Vgl. hierzu Beck 1965: 41-43. Bei den späteren Germanen wurden diese Keile ‚Eberköpfe‘ genannt (vgl. aisl. svínfylking ‚Heersabteilung in der Form eines Schweines‘);207 vgl. Agath. 2,8,9 zum Heer des Alemannenherzogs Butilin: .. d. a.t... . .d.a t.. papat..e.. ....e. .µß..... de.t.t. ..p ...., .a. t. µ.. .µpp......, µ.p.... .. ... ....e., .te.a... te .. .a. pep....µ.... t. p..t..e. ta.. ..p... pep.pefp...a., fa... te .. a.t... .... .efa... t. ......e. .p.t.p..a..a. ‚ihre Schlachrordnung glich einem Keil und sah wie ein Delta aus. Dort, wo der Vorderteil in eine Spitze auslief, bildeten dich von allen Seiten her ineinander geschobenen Schilde ein Dach – man könnte bei diesem Aufbau von der Form eines Eberkopfes sprechen‘; Amm. 17,13,9: desinente in angustum fronte, quem habitum caput porci simplicitas militaris appellat ‚bildeten unsere Soldaten eine vorn spitz zulaufende Front, eine Formation, die in der einfachen Soldatensprache ”Eberkopf. heißt‘. Dieser Ausdruck wurde wohl von germanischen Soldaten ausgehend in die römische Militärsprache aufgenommen; vgl. Veg. mil. 3,19,6: quam rem milites nominant caput porcinum ‚welche Sache die Soldaten Eberkopf nennen‘. Diese Aufstellung steht in Gegensatz zur linienförmigen Schlachtreihe der Römer; vgl. den Gegensatz bei Tac. hist. 5,16,1: Civilis haud porrecto agmine, sed cuneis adstitit ‚Civilis stellt sein Herr nicht in entfalteter Linie auf, sondern in Keilen‘. cedere loco, dummodo rursus instes, consilii quam formidinis arbitrantur] Zu dieser Vorgehensweise des vorübergehenden Zurückweichens der Germanen vgl. Tac. ann. 1,56,4: quod illi moris, quotiens astu magis quam per formidinem cessit ‚wie das sonst seine Art ist, wenn er [= der Chatte] mehr in listiger Absicht als aus Furcht gewichen ist‘; ebd. 2,11,2: Cherusci fugam simulantes ‚die Cherusker, Flucht vortäuschend‘ (das Gegenteil findet sich dagegen bei Maurik.: t.. … ..a..p.... e.. ..e.d.. ....ta ‚den Rückzug für schmachvoll haltend‘). Hiermit nicht in Widerspruch ist Tac. ann. 2,14,3: sine pudore flagitii, sine cura ducum abire fugere, pavidos adversis ‚ohne Gefühl für Ehrlosigkeit, ohne sich um ihre Führer zu kümmern, zögen sie ab und liefen davon, entmutigt im Unglück‘, da es sich hierbei um eine ermutigende Rede des Germanicus handelt. Diese Kampfesweise steht in Gegensatz zur römischen, wo ein solches Verhalten mit dem Tod bestraft wurde (vgl. Liv. 24,14,7: qui loco cesserit, in eum servili supplicio animadversurum ‚wer aber von seinem Platz wich, den werde er [= Quintus Fabius] mit dem Sklaventod bestrafen‘; Arr. Menand. dig. 49,16,6,3: qui in acie prior fugam fecit, spectantibus militibus propter exemplum capite puniendus est ‚wer während der Schlacht zuerst die Flucht ergriffen hat, ist im Angesichte der Soldaten des Beispiels halber mit dem Tode zu bestrafen‘). Das Verb arbitrantur steht somit als Hinweis auf diese Abweichung.208 Diese Kampfesweise findet sich auch etwa bei den Illyriern (vgl. Thuk. 4,126,5: ..te ..p t.... ....te. a......e.e. .. ..pe.. t... ..pa. ß.a..µe..., . te f... .a. . .f.d.. a.t.. .... .....a d..a. ‚sie haben keine feste Aufstellung, daß sie sich schämen müßten, einen Platz unter feindlichem Durck aufzugeben; Flucht und Vorstoß sind gleich rümlich‘), den Britanniern (vgl. Caes. Gall. 5,16,2: propterea quod illi etiam consulto plerumque cederent et … ex essedis desilirent et pedibus dispari proelio contenderent ‚da die Feinde auch hier meistens in voller Absicht zurückwichen, um jedes Mal … von den Streitwagen zu springen und mit uns unter ungleichen Bedingungen, nämlich zu Fuß, weiterzukämpfen‘) und den Hispaniern (vgl. Caes. civ. 1,44,1: si premerentur, pedem referre et loco excedere non turpe existimarent ‚es aber nicht als Schande empfand, sich zurückzuziehen und den Platz aufzugeben, wenn sie bedrängt wurden‘). dummodo steht hier (wie bei Tacitus nur noch dial. 25,2: dum modo in confessio sit ‚wenn nur anerkannt wird‘) gleich dum. 208 Die Auffassung von Lund 1988: 133, dass ”Tacitus … indirekt die Germanen , die anders als die Römer aus taktischen Gründen ihren Posten verlassen., ist somit kaum zutreffend. 209 Vgl. Kühner – Stegmann II:1: 454-457. 210 Vgl. Kühner – Stegmann II:2: 463-464. 211 So auch etwa Lund 1988: 133; Perl 1990: 152; dagegen auch als ‚Verwundete‘ aufgefasst von u.a. Baumstark 1875: 352-353; Müllenhoff 1900: 181; Gudeman 1916: 78; Schweizer-Sidler 1923: 19; Reeb 1933: 25; Much 1967: 152; Anderson 1997: 67. Zu consilii quam formidinis (Gen. qualitatis) ist der Infinitiv esse zu supplieren.209 Im Vergleich ist das übliche potius oder magis weggelassen, da im Verb komparative Bedeutung liegt.210 corpora suorum etiam in dubiis proeliis referunt] corpus ist hier wohl nur im Sinne von ‚Leichnam‘ zu verstehen,211 da die Mitnahme von Verwundeten selbstverständlich ist. Das Verhalten der Germanen ist nach antiken Vorstellungen, nach denen es unerträglich war, nicht bestattet zu werden, in Einklang (vgl. etwa Tac. ann. 4,73,3: neque dux Romanus ultum iit aut corpora humavit, quamquam multi tribunorum praefectorumque et insignes centuriones cicidissent ‚aber der römische Feldherr trat nicht zu einem Vergeltungskampf an noch ließ er die Leichen bestatten, obwohl viele Tribunen, Präfekten und Zenturionen höheren Ranges gefallen waren‘). Das Verhalten der Germanen ist auch aus dem Hintergrund der Zusammenstellung der Keile (vgl. c. 7,2: quodque praecipuum fortitudinis incitamentum est: non casus nec fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates ‚und was ein besonderer Ansporn zur Tapferkeit ist: nicht Zufall noch planloses Zusammengeraten machen den Reitertrupp oder Schlachtkeil aus, sondern Hausgenossen und Verwandtschaften‘) zu verstehen; vgl. aus späterer Zeit Iord. Get. 17: tunc relicta suorum strage Fastida rex Gepidarum properavit ad patriam, tam pudendis obprobriis humiliatas ‚da ließ Fastida, der König der Gepiden, die Leichen der Seinigen zurück und eilte der Heimat zu, von ebenso großer Schmach und Schande niedergedrückt‘. dubius, eigentlich ‚unentschieden, zweifelhaft‘, steht hier – wie schon etiam zeigt – in der Bedeutung ‚misslich, unglücklich‘ (zu dieser Bedeutung vgl. etwa Tac. hist. 3,66,3: Fabium illis Valentem, captivum et casibus dubiis reservatum ‚Fabius Valens, der Kriegsgefangene, den man für Notlagen am Leben gelassen habe‘; ds. ann. 2,62,2: tunc dubiis rebus eius ultionem ausus ‚jetzt, da dessen [= Maroboduus] Lage bedenklich war, einen Rachezug wagte‘.).212 scutum reliquisse praecipuum flagitium] praecipuus hat in der silbernen Latinität häufig, bei Tacitus immer superlativische Bedeutung. flagitium ist im Sinne von dedecus zu verstehen; vgl. Gell. 1,17,6: vitia enim flagitiis leviora sunt ‚denn Fehler sind erträglicher (und haben weniger auf sich) als Laster‘. 212 In diesem Sinne hat es als Gegensatzbegriff prosper und secundus. Die Vorstellung des Schildwegwerfens ist schon frühzeitig bei den Griechen literarisch zu einem Topos geworden; vgl. Archil. frg. 6 D: ..p.d. µ.. .a... t.. .....eta., .. pap. ..µ... / ..t.. .µ.µ.t.. ......t.. ... ......, / ..... d’ ..e....a. t. µ.. µ..e. ..p.. ..e...; / .pp.t.. ..a.t.. .t...µa. .. .a... ‚mag sich ein Saïer freun an dem Schild, den beim Busch ich zurückließ, – meine vortreffliche Wehr, ungern nur gab ich sie Preis! – Retten konnt‘ ich mein Leben: was schiert jener Schild mich noch länger! Kaufen will ich mir bald einen, der ebenso gut‘; Alk. fr. 49a D: .te .a. ...a... f.... . p...t.. .a.t.. .. t... ..... .a... fep.µe... t. .p.a ...a.ta f..e... ...e. d. pp.. t..a ..p..a .e.e..a. ...e..a. t... .. ..... ...a... .... .pe. +...ad‘ .. ..t.. ....t.p..+ .. ..a...p... .p.. ..e.p.µa..a. .tt.... ‚dabei hat der Dichter Alkaios, wie er von sich selbst erzählt, in einer Schlacht die Waffen, die ihn behinderten, fortgeworfen und ist geflohen. Zu einem Herold spricht er und läßt den Seinigen daheim melden: Alkaios ist wohlbehalten hier, behütet durch Ares (?): ”seinen schützenden (?) Schild aber haben die Attiker im Tempel der eulenäugigen (Athena) aufgehängt.‘ (vgl. Hdt. 5,95,1-2: .. d. d. .a. ...a... . p...t.. ..µß.... .e..µ.... .a. .....t.. ....a... a.t.. µ.. fe.... ..fe..e., t. d. .. .p.a ....... ....a... .a. .fea ..e.p.µa.a. pp.. t. ....a... t. .. ...e... ta.ta d. ...a... .. µ..e. p....a. .p.t..e. .. ..t...... ..a..e...µe... t. ...t.. p.... .e.a..pp. ..dp. .ta.p. ‚unter anderem konnte sich der der Dichter Alkaios bei einem für Athen glücklichen Treffen durch die Flucht retten; die Athener aber erbeuteten seine Waffen und hängten sie im Tempel der Athene in Sigeion auf. Dieses Ereignis schilderte Alkaios in einem Lied und sandte es nach Mytilene, um seinem Freund Melanippos sein Unglück zu melden‘). Auch in Rom tritt dieses Bild schon frühzeitig auf; vgl. Plaut. Trin. 1034: scuta iacere fugereque hostis more habent licentiam ‚den Schild wegwerfen, die Flucht ergreifen vor dem Feind erlaubt die Mode‘; Cic. orat. 2,294: ita cedere solere, ut non modo non abiecto, sed ne reiecto quidem scuto fugere videar ‚dann weiche ich gewöhnlich zwar zurück, doch mache ich den Eindruck eines Fliehenden, der seinen Schild nicht nur nicht wegwirft, sondern nicht einmal auf den Rücken nimmt‘; ds. Tusc. 2,54: ut ignavus miles et timidus … abiecto sctuo fugiat ‚daß ein feiger und ängstlicher Soldat … den Schild wegwirft und flieht‘; Hor. carm. 2,7,9-10 (Überarbeitung von Archilochos): tecum Philippos et celerem fugam / sensi relicta non bene parmula ‚ich hab’ Philippis Tag und die rasche Flucht mit dir erlebt, als ruhmlos den Schild ich ließ‘. Das Wegwerfen des Schildes galt den an der Kriegertugend festhaltenden Griechen und Römern natürlich als schändlich; vgl. die Bezeichnung gr. ...a.p.. ‚Schildwegwerfer, Feigling‘; Plut. ages. 30: t... .. t. µ... .atade.....a..., ... a.t.. tp..a.ta. ...µ....... ‚denen, die sich feige gezeigt hatten – sie selber nennen diese die «Zitterer»‘; vgl. zur Haltung auch Cic. fin. 2,97: Leonidas autem, rex Lacedaemoniorum, se in Thermopylis trecentosque eos, quos eduxerat Sparta, cum esset proposita aut fuga turpis aut gloriosa mors, opposuit hostibus ‚Leonidas wiederum, König der Spartaner, hat sich in den Thermopylen mit den dreihundert, die er aus Sparta mit sich genommen hatte, dem Feinde entgegengestellt, als er nur die Wahl hatte zwischen einer feigen Flucht und einem glorreichen Tode‘. Zu ihnen gehört auch Tacitus, der die Kriegermoral auf eine ursprünglichere, moralisch höhere Stufe hebt.213 In viel späterer Zeit findet sich in pactus legis Salicae, 30,6: si quis alteri reputaverit quod scutum suum iactasset et non potuerit adprobare, … CXX dinarios qui faciunt solidos III culpabilis iudicetur ‚wenn jemand einem anderen bezichtigt, daß er seinen Schild weggeworfen habe, und es nicht nachweisen kann, … werde er zu 120 Pfennigen gleich 3 Schillingen verurteilt‘; L. S. 32,5: si quis alteri inputaverit, quod scutum suum proiecisset in oste vel fugiendo pre timore, CXX denariis qui faciunt solidos III culpabilis iudicetur ‚wenn jemand einen anderen bezichtigt, daß er seinen Schild vor dem Feinde oder auf der Flucht aus Furcht fortgeworfen habe, werde er er zu 120 Pfennigen gleich 3 Schillingen verurteilt‘. 213 Vgl. v. See 1994: 33-34. 214 Vgl. Perret 1950: 53; Robinson 1991: 105; Perret 1997: 74. 215 Vgl. Robinson 1991: 105. 216 Vgl. ThLL VII,1: 306,4-6. nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas] In den Handschriften ist neben der Lesart concilium in Wmhc.tfbETas auch consilium in CvrbrlezuARce, concilium am Rande consi in pQ, concsilium in Bo und conscilium in d.214 consilium scheint wohl erst humanistisch als Abschreibfehler (bedingt durch das vorhergehende consilii) entstanden und durch Überschreibung von c verbessert zu sein.215 Das Wort ignominiosus bezeichnet denjenigen, der mit einem Schandfleck versehen ist;216 (vgl. c. 31,2: fortissimus quisque ferreum insuper anulum, ignominiosum id genti, velut vinculum gestat ‚die Allertapfersten tragen außerdem – bei diesem Volk eigentlich eine Schande – einen eisernen Fingerring gleichwie eine Fessel‘). Derjenige, der seinen Schild wegwirft, um sich eine leichtere Flucht zu verschaffen, ist rechtlos und vom gesamten öffentlichen Leben ausgeschlossen. Auch bei den Galliern erfolgt ein Ausschluss aus dem öffentlichen Leben (vgl. Caes. Gall. 6,13,6-7 [wo die Druiden diese Strafe auferlegen]: sacrificiis interdiciunt. haec poena apud eos est gravissima. quibus ita est interdictum, hi numero impiorum ac sceleratorum habentur, his omnes decedunt, aditum eorum sermonemque defugiunt, ne quid ex contagione incommodi accipiant, neque his petentibus ius redditur neque honos ullus communicatur ‚untersagen sie ihm die Teilnahme an den Opfern. Diese Strafe gilt bei ihnen als die schwerste, denn die, denen die Teilnahme untersagt ist, gelten als Frevler und Verbrecher, alle gehen ihnen aus dem Weg und meiden den Umgang und das Gespräch mit ihnen, damit sie nicht durch ihre Berührung Schaden erleiden. Wenn sie etwas beanspruchen, wird ihnen kein Recht zuteil und alle Ehrenstellen sind ihnen verschlossen‘); ebenso bei den Griechen (vgl. Aischin. Ctes. 176: . µ.. t..... ..µ...t.. t.. ..tp.te.t.. … .a. t.. ..p..ta t.. t.... ... t.. pep.pa.t.p... t.. ...p.. ..e.p.e. .a. ... ... .. … e.....a. e.. t. .ep. t. d.µ.te.. ‚der Gesetzgeber schloß also den Kriegsdienst Weigernden … und den, welcher seinen Posten verließ, von dem geheiligten Bezirke der Versammlungen aus; er erlaubte ihm nicht, … zu den gemeinsamen Opfern hinzuzutreten‘). multique superstites bellorum infamiam laqueo finierunt] superstites kann sowohl mit dem Gen. (vgl. Tac. Agr. 3,2: non modo aliorum sed etiam nostri superstites sumus ‚wir … haben … nicht nur andere, sondern auch uns selbst überlebt‘) als auch mit dem Dat. (vgl. c. 14,1: superstitem principi ‚den eigenen Anführer überlebend‘) konstruiert werden.217 217 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 448-449. 218 Vgl. ThLL VII: 961,33-962,8. 219 Jedenfalls ist die Bemerkung von Lund 1988: 134 ”daß die Soldatenehre bei den Germanen so groß ist, daß, wer sich als Feigling gezeigt hat, danach selbst den Tod sucht. in der Form kaum zutreffend. 220 Vgl. auch Grisé 1982: 107-109, 141-149. 221 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 182; Schweizer-Sidler 1923: 19; Perl 1990: 152. Da es im Lat. kein Wort für den Begriff ‚Selbstmord‘ gibt, wird hier eine der Umschreibungen gewählt.218 Der Selbstmord ist wohl die Folge der sozialen Isolation.219 Die Schande der Tat korrespondiert mit der Selbstmordart, nämlich dem Erhängen, das als schändlich galt (vgl. Verg. Aen. 12,603: et nodum informis leti trabe nectit ab alta ‚knüpft zu gräßlichem Tod am hohen Balken den Knoten‘).220 Die zumeist angeführten Beispiele221 für Selbstmord bei den Germanen passen nicht in diesen Kontext (vgl. etwa Plut. mar. 27,3-4: µ.a. d. fa... .. ..p.. ..µ.. .peµaµ.... t. pa.d.a t.. a.t.. .f.p.. .f.µµ..a ßp..... ..at.p..e. .pt...a.. t... d’ ..dpa. .p.p.. d..dp.. t... ..pa.. t.. ß..., t... d. t... ....e.. pp..de.. t... a.t.. tpa......, e.ta ...tpa pp..f.p..ta. ..a...µ.... t.. ß... .fe...µ..... .a. pat..µ..... .p......a. ‚eine Frau hatte sich, so heißt es, an der Spitze einer aufgerichteten Deichsel erhängt, und an ihren Fußknöcheln hingen mit schlingen angebunden zu beiden Seiten ihre Kinder; die Männer aber hätten sich, da sie keine Bäume fanden, mit dem Hals teils an die Hörner, teils an die Beine der Rinder gebunden und dann mit dem Stachel die Tiere gereizt, so daß sie zu Tode geschleift oder zertrampelt worden seien‘ (AG 1, 260-261); Val. Max. 6,1 (ext. 3): eaque re non impetrata laqueis sibi nocte proxima spiritum eripuerunt ‚als sie das nicht erreichten, hängten sie [= die Frauen der Teutonen] sich in der kommenden Nacht auf‘ [AG 1, 264-265]; Flor. epit. 1,38[3,3],17: aut mutuis concidere uolneribus aut uinculo e crinibus suis facto ab arboribus iugisque plaustrorum pependerunt ‚fügten [= die kimbrischen Frauen] sich gegenseitig tödliche Wunden zu oder machten eine Schlinge aus ihren Haaren und erhängten sich an den Bäumen und den Deichseln ihrer Wagen‘ [AG 1, 214-215]; Oros. 5,16,13: cunctae sese ferro ac suspendio peremerunt ‚töteten [= die ambronischen und tigurinischen Frauen] sich selbst allesamt mit dem Schwert oder dem Strick‘ [AG 1, 218-219]; ds. 5,16,18: aliae funibus per equorum crura consertis ipsisque continuo equis exstimulatis, postquam suas isdem funibus, quibus equorum crura nexuerant, indidere ceruices, protractae atque exanimatae sunt, aliae laqueo de subrectis plaustrorum temonibus pependerunt ‚andere [= die kimbrischen Frauen] knüpften Seile an die Fesseln der Pferde und spornten selbst die Pferde an, gleich, nachdem sie ihren Hals in diese Schlingen, die sie an die Fesseln der Pferde gebunden hatten, gelegt haten, und wurden zu Tode geschleift; andere erhängten sich mit einer Schlinge an den aufragenden Deichseln der Wagenn‘ [AG 1, 220-221]).222 Dagegen ist als Parallele Hdt. 7,232,1 anzusehen: ...eta. d. .a. ..... .p.peµf...ta ...e... .. Te..a.... t.. tp........ t..t.. pep..e....a., t. ....µa e..a. .a.t.t... ...t..a.ta d. t..t.. .. .p.pt.., .. .t.µ.t., .p...a..a. ‚man erzählt, daß noch einer von den 300, der als Bote nach Thessalien geschickt worden war, übriggeblieben sei, ein Mann namens Pantites. Er soll sich nach seiner Rückkehr nach Sparta wegen der entehrenden Behandlung erhängt haben‘. 222 So bereits Gudeman 1916: 78. KAPITEL 7 1 Reges] Die Bedeutung des lat. Wortes rex ist breit gefächert. Sie reicht von ,Leiter, Regierer, Fürst, Regent, König‘ bis zu ,Mächtiger, Reicher, Vornehmer‘. Nach römischer Auffassung bedeutet ein Königtum nicht automatisch den Verlust aller Freiheitsrechte für die Bevölkerung, da es auch ,gerechte‘ Könige gegeben hat.1 Die römischen Schriftsteller verwenden das Wort rex zur Bezeichnung von mehr oder weniger autokratischen Herrschern fremder Völker.2 Da sich der Begriff rex bei den lat. Schriftstellern mehr nach römischen Kriterien richtet als nach den fremdländischen, ist auch hier unklar, inwieweit sich das Wort mit germanischem Königtum deckt,3 zumal die sprachliche und/oder soziale Vorlage für diese interpretatio romana nicht bekannt ist. 1 Daher ist die Bemerkung von Perl 1990: 152: ”Tacitus sieht die Königsherrschaft als Entartung von der Freiheit an. dahingehend zu modifizieren. 2 So auch Rives 1999: 144-145; daher nicht ganz zutreffend Lund: 1988: 35: ”Rex bezeichnet nämlich hier nicht einen Alleinherrscher ... was selbstverständlich gemäß römischer Denkweise auffällig ist.. 3 Vgl. auch Perl 1990: 153; Rives 1999: 145-146. 4 So auch Perl 1990: 154; Anderson 1997: 67-68. 5 Zu dieser climax regia vgl. Picard 1991: 46-54; vgl. auch unten. Die Nichtnennung der principes an dieser Stelle (in Gegensatz etwa zu c. 10,2: rex vel princeps civitatis ‚König bzw. Anführer der Stammesgemeinschaft‘) hat wohl seine Ursache in der Tatsache, dass diese nicht gewählt wurden.4 Über die Verbreitung des Königtums bei den Germanen macht Tacitus keine genaueren Angaben. In der Germania nennt Tacitus Könige sowohl an der Nordseeküste (c. 1,1: nuper cognitis quibusdam gentibus ac regibus), wie bei den östlichen Germanen (c. 44,2: Marcomanis Quadisque usque ad nostram memoriam reges mansere ex gente ipsorum ‚den Markomannen und Quaden sind bis auf unsere Tage Könige aus der eigenen Völkerschaft geblieben‘; c. 44,1: omniumque harum gentium insigne … erga reges obsequium ‚und kennzeichnend für all diese Völkerschaften [= Gotonen, Rugier, Lemovier] … Gehorsam gegen ihre Könige‘; c. 44,3: regia utilitas est ‚es liegt im Interesse von Königen [= bei den Suionen]‘; wohl auch c. 45,6: quod femina dominatur ‚dass eine Frau die Herrschaft [= bei den Sitonen] ausübt‘).5 In der antiken Literatur werden als rex bei den Germanen genannt: Ariovist (vgl. Caes. Gall. 1,31,10: propterea quod Ariovistus rex Germanorum in eorum finibus consedisset ‚denn Ariovist, der König der Germanen, habe sich in ihrem [= der Sequaner] Land niedergelassen‘; ebd. 1,35,2: cum in consulatu suo rex atque amicus ab senatu appellatus esset ‚da er unter seinem [= des Caesars] Consulat vom Senat mit dem Titel Freund und König geehrt worden sei‘; vgl. auch Plut. caes. 19,1: .a.t.. t.. ßa....a pp.tep.. a.t.. .p..ß..t.. .. ..µ. ..µµa... pep..µ.... ‚daß er [= Caesar] ihren König Ariovist in Rom mit dem Titel «Bundesgenosse des römischen Volkes» ausgezeichnet hatte‘; Cass. Dio 38,34,3: .a. t.. te ..p.... t.. ßa...e.a. pap. t.. ..µa... e...fe. ‚die Bestätigung seines Königtums hatte er von den Römern erhalten‘; App. Celt. 16: .p.....t.., Gepµa... ßa...e.. t.. .p.p ..... ‚Ariovist, König der Germanen jenseits des Rheines‘ [AG 1, 304-305]), Maroboduus über die Markomannen (vgl. Tac. ann. 2,26,3: regemque Maroboduum pace obstrictum ‚und ihrem König Marbod durch einen Friedensschluß die Hände gebunden‘; ebd. 2,44,2: sed Maroboduum regis nomen invisum apud populares ‚doch machte den Marbod der Königstitel verhaßt bei seinen Landsleuten‘; ebd. 2,45,1: sed e regno etiam Marobodui ‚sondern auch aus dem Reich des Marbods‘; ebd. 2,63,1: nam multis nationibus clarissimum quondam regem ad se vocantibus ‚obgleich viele Völker ihn, den einst so berühmten König, zu sich berufen hätten‘; Vell. 2,108,2: Maroboduus … non tumultuarium neque fortuitum neque mobilem et ex voluntate parentium constantem inter suos occupavit principatum, sed certum imperium vimque regiam complexus ‚Maroboduus … Seine Vorherschaft über seine Stammesgenossen hatte sich nicht im Drang des Augenblicks mehr zufällig ergeben, noch war sie auf einen gewissen Zeitraum beschränkt und vom guten Willen der Gehorchenden abhängig. Marbod hatte vielmehr die Idee eines festgegründeten Reiches mit königlicher Gewalt‘; Mon. Anc. 32: ad me supplices confug[erunt] reges … Sugambr]orum Maelo, Marcomannorum Sueborum [Segime]rus ‚zu mir nahmen demütig bittend ihre Zuflucht die Könige … der Sugambrer Maelo, und …rus von den Markomannen, die zur suebischen Völkerfamilie gehören‘), Vibilius über die Hermunduren (vgl. Tac. ann. 12,29,1: auctores fuere Vibilius Hermundurorum rex ‚den Anstoß gaben Vibilius, der König der Hermunduren‘), Sido, Vangio und Italicus über die Sueben (vgl. Tac. hist. 3,5,1: trahuntur in partes Sido atque Italicus reges Sueborum ‚zum Beitritt zur Partei gebracht wurden die Könige der Sueben Sido und Italicus‘; ds. ann. 12,29,1: Vangio ac Sido sorore Vannii geniti ‚Vangio und Sido, des Vannius Schwestersöhne‘; ebd. 12,30,2: regnum Vangio ac Sido inter se partivere ‚das Reich teilten Vangio und Sido unter sich‘), Chariomerus und Italicus über die Cherusker (vgl. Cass. Dio 67,5,1: Fap..µ.p.. . t.. Fep...... ßa...e.. ‚Chariomerus, der König der Cherusker‘; Tac. ann. 11,16,1: eodem anno Cheruscorum gens regem Roma petivit amissis per interna bella nobilibus et uno reliquo stirpis regiae, qui apud urbem habebatur, nomine Italicus ‚im selben Jahr erbat das Cheruskervolk einen König von Rom, da es durch innere Kriege seinen Adel verloren hatte und nur noch einer von königlichem Stamm übrig war, der in Rom leben musste und Italicus hieß‘), Verritus und Mallorix über die Friesen (vgl. Tac. ann. 13,54,1: auctore Verrito et Malorige, qui nationem eam regebant ‚unter Führung von Verritus und Malorix, die über diesen Stamm herrschten‘), und Masyus über die Semnonen (vgl. Cass. Dio 67,5,3: ...... . .eµ..... ßa...e.. ‚der König der Semnonen Masys‘); indirekt auch Civilis und Paulus bei den Batavern (vgl. Tac. hist. 4,13,1: Iulius Civilis et Claudius Paulus regia stirpe ‚Iulius Civilis und Claudius Paulus, beide aus königlichem Geschlecht‘). In einigen Fällen haben auch die Römer Könige bei germanischen Stämmen eingesetzt, wie Vannius über die Markomannen und Quaden (vgl. Tac. ann. 2,63,5: dato rege Vannio gentis Quadorum ‚als König erhielten sie Vannius aus dem Stamm der Quaden‘; ebd. 12,29,1: Vannius, Suebis a Druso Caesare impositus, pellitur regno ‚ wurde Vannius, von Drusus Caesar über die Sueben gesetzt, von seinem Thron vertrieben‘; ebd. 12,29,3: nam vis innumera, Lugii aliaeque gentes, adventabant, fama ditis regni, quod Vannius triginta per annos praedationibus et vectigalibus auxerat ‚eine zahllose Menschenmenge, Lugier und andere Völkerschaften, rückte auf die Kunde von den Schätzen des Königreiches heran, die Vannius 30 Jahre lang durch Räubereien und Handelszölle noch vermehrt hatte‘). Auch namentlich nicht näher genannte Könige sind mehrfach erwähnt, so bei den Kimbern und Teutonen (vgl. Plut. mar. 24,4: t... ßa...e.. t.. Se.t.... pp.a....a. dedeµ..... ‚die Könige der Teutonen wurden in Ketten vorgeführt‘; Flor. epit. 1,38,18: Boiorix rex in prima acie dimicans inpigre nec inultus occubuit ‚König Boiorix, der unverdrossen in der vordersten Linie kämpfte, fand den Tod nicht ungerächt‘ [AG 1, 214-215] [namentlich dagegen Oros. 5,16,20: Lugius et Boirix reges in acie ceciderunt; Claodicus et Caesorix capti sunt ‚die Könige Lugius und Boiorix fielen auf dem Schlachtfeld, Claodicus und Caesorix wurden gefangen‘]); bei den Brukterern (vgl. Plin. epist. 2,7,2: nam Spurinna Bructerum regem vi et armis induxit in regnum ostentatoque bello ferocissimam gentem, quod est pulcherrimum victoriae genus, terrore perdomuit ‚denn Spurinna hat den König der Bructerer mit Waffengewalt in sein Reich zurückgeführt und so durch die Drohung mit Krieg das trotzige Volk allein durch Einschüchterung – die schönste Art des Sieges – unterworfen‘); bei den Bastarnen (vgl. Liv. 40,5,10: redierant forte, quos miserat in Bastarnas ad arcessenda auxilia, adduxerantque inde nobiles iuuenes et regii quosdam generis ‚gerade waren die Leute zurückgekommen, die er zu den Bastarnen geschickt hatte, um Hilfstruppen zu holen, und sie hatten von dort junge Männer aus dem Adel und einige von königlicher Abstammung mitgebracht‘); bei den Sugambrern (vgl. Mon. Anc. 32: ad me supplices confug[erunt] reges … Sugambr]orum Maelo, Marcomannorum Sueborum [Segime]rus ‚zu mir nahmen demütig bittend ihre Zuflucht die Könige … der Sugambrer Maelo, und …rus von den Markomannen, die zur suebischen Völkerfamilie gehören‘); bei den Batavern (vgl. Amm. 16,12,45: quo cognito opitulatum conturmalibus suis celeri cursu Batavi venere cum regibus formidabilis manus ‚kaum hatten sie diese Lage erkannt, da kamen schon, um ihren Kameraden Hilfe zu leisten, im Eilschritt die Bataver mit ihren Königen herbei, eine furchtbare Truppe‘). Arminius schafft die Erlangung der Königsmacht dagegen nicht, sondern wird vorher ermordet (vgl. Tac. ann. 2,88,2: ceterum Arminius, abscedentibus Romanis et pulso Maroboduo regnum adfectans, libertatem popularium adversam habuit, petitusque armis cum varia fortuna certaret, dolo propinquorum cecidit ‚indessen hatte Arminius, der beim Abzug der Römer und nach der Vertreibung Marbods nach dem Königsthron strebte, die Freiheitsliebe seiner Landsleute gegen sich, und als er bei einem bewaffneten Überfall mit wechselndem Glück kämpfte, fiel er durch die Hinterlist seiner Verwandten‘). Außer der Tatsache, dass die Könige offenbar aus vornehmen Familien stammen (s.u.) ist sonst wenig bekannt, wie etwa die Ansicht der Germanen bezüglich ihrer Position. Es ist bemängelt worden, dass das Bild, das die rex-Belege abgeben, ”in den wenigen beiläufigen Erwähnungen … merkwürdig blaß. bliebe6 und die Belege nicht leicht miteinander in Einklang zu bringen seien. Dies wird damit erklärt, dass Tacitus ”sich das Thema ,germanisches Königtum‘ nicht gestellt ; so ist es ihm vermutlich entgangen, daß die unter dem Suchraster ,König‘ aufgefundenen Informationen nicht zueinander passen..7 Jedoch können zum einen Widersprüche in den von Tacitus gegebenen Belegen (c. 1,1 [gentibus ac regibus ‚Völkerschaften und deren Königen‘]; c. 7,1 [reges ex nobilitate … sumunt ‚Könige wählen sie nach Maßgabe ihrer vornehmen Abkunft‘]; c. 10,2 [rex vel princeps civitatis ‚König bzw. Anführer der Stammesgemeinschaft‘]; c. 11,2 [mox rex vel princeps … audiuntur ‚alsdann hört man den König bzw. Anführer an‘]; c. 12,2 [pars multae regi vel civitati … exsolvitur ‚ein Teil der Strafe wird an den König bzw. die Stammesgemeinschaft gezahlt‘]; c. 25,2 [exceptis dumtaxat iis gentibus, quae regnantur ‚mit 6 Picard 1991: 94. 7 Picard 1991: 97. Ausnahme lediglich derjenigen Völkerschaften, die unter Königen stehen‘]) nicht ausgemacht werden, zum anderen ist es kaum wahrscheinlich, dass sie Tacitus, der sich in allen historischen Schriften mit dem Zwiespalt regnum : libertas auseinander gesetzt hat,8 sich nicht mit dieser Dichthomie – und damit dem Thema ”germanisches Königstum. – beschäftigt hätte. Auf einer anderen Ebene liegt dagegen, dass einige Fragen, die heute von Interesse wären, nicht behandelt werden, etwa, wie lange jemand die Funktion eines rex innehabe (gewöhnlich geht man von einer Dauer auf Lebenszeit aus9), ob ein rex auch absetzbar sei, oder von wem die Befehlsgewalt des rex überhaupt eingeschränkt werden könne, von anderen nobiles oder von allen Wahlberechtigten (vgl. dazu aus späterer Zeit Ad. Brem. 4,22: reges habent ex genere antiquo, quorum tamen vis pendet in populi sentencia ‚sie [= die Schweden] haben Könige aus altem Hause, doch deren Gewalt ist vom Willen des Volkes abhängig‘). 8 Belege bei Perl 1990: 153. 9 Vgl. etwa Perl 1990: 153: ”Der König wurde … auf Lebenszeit in Krieg und Frieden gewählt.. 10 Nur für das Burgundische bezeugt (Amm. Marc. 28,5,14: apud hos generali nomine rex appellatur Hendinos ‚bei ihnen [= den Burgundern] heißt der König allgemein Hendinos‘) ist die Bezeichnung Hendinos, die auf urgerm. *kindina- (> got. kindins ‚Statthalter‘) zurückführt; vgl. RGA 14: 383-386. 11 Vgl. Lühr 2000: 279; Casaretto 2004: 321. 12 Das Wort ist wohl nur deswegen im Ahd. nicht belegt, weil es hier kaum ,germanische‘ Dichtung gibt. 13 Meid 1966: 186. 14 Vielleicht ist neben dem Wurzelnomen auch ein a-St. *rika- anzusetzen, da das got. reiks teilweise auch als a- St. dekliniert wird. Ein a-St. ist auch für die PNglieder ae. -ric, ahd. -ri(c)h und aisl. -rekr anzusetzen. 15 Griepentrog 1995: 354. Bei direkter Fortsetzung ins Germanische wäre uridg. *-e- West- und Nordgermanisch zu -a- geworden. Versuche, das Wort als Erbwort zu erklären (man vgl. die bei Meid 1966: 1822 und Griepentrog 1995: 354 angeführte Literatur), müssen als nicht überzeugend abgelehnt werden. Die germanischen Sprachen kennen für den Begriff des Herrschers bzw. Königs folgende Wörter:10 a. got. þiudans ,König‘, ae. þeoden ,König, Herr; Gott‘, as. thiodan ,Volksherr, Herrscher‘, aisl. þjóðann ,Fürst, König‘ < urgerm. *þe.dana-, eine Ableitung von urgerm. *þe.do- ‚Volk‘ (> got. þiuda, ahd. diot[a], as. thiod[a], ae. ðeod, afries. thiad, aisl. þjóð).11 Der *þe.dana- ist der Vorsteher der *þe.do-, des Volkes. Aber nur im Got. ist die Kontinuante von urgerm. *þe.dana- noch ein lebendiges Wort. Im Nord- und Westgerm. wird es dagegen nur in der Dichtersprache verwendet.12 Zur Zeit des Tacitus allerdings wurde das Wort wohl allgemein für den König verwendet.13 b. got. reiks , Herrscher, Obrigkeit‘ < urgerm. *rik-,14 ein Lehnwort aus kelt. *rig- (wohl nicht aus dem gall. PNsuffix -rix [etwa Dumnorix]).15 Im Urgerm. hat das Wort aber, wie die Belege zeigen, nicht die keltische Bedeutung ,König‘ mitübernommen, sondern es wurde verwendet, um die Vornehmsten zu bezeichnen. Es ist eine ehrende Bezeichnung, wie auch aus seiner Verwendung in PN deutlich wird, da die mit diesem Element gebildeten Namen allesamt solche von Anführern sind.16 Auch der einzelsprachliche Gebrauch weist in diese Richtung. Im Got. wird reiks als Übersetzung von gr. .p... verwendet; der reiks steht in der Rangfolge unterhalb des þiudans.17 16 So etwa der Friesenführer Malarix oder der Vandalenkönig Gaisaricus. Die überwiegende Mehrheit der Träger von Namen mit -rix/-ricus sind Ostgermanen. 17 Vgl. Ulrich 1995: 72. 18 Inwieweit es sich hierbei allerdings lediglich um ein substantiviertes maskulines Adjektiv handelt, ist unklar (Griepentrog 1995: 360; dort S. 361-362 auch zum Verhältnis zum Verbum urgerm. *rike/a- ,herrschen‘). Ae. rica ist als Substantiv sicher nur als Zweitglied belegt, etwa in landrica ,Landesfürst‘, weroldrica ,Herrscher über die Welt‘ oder fyperrica ,Tetrarch‘. 19 Man vgl. die Belege bei Meid 1966: 183. 20 Bammesberger 1990: 178. 21 Vgl. Lühr 2000: 251. 22 Zu den Funktionen des Suffixes urgerm. *-inga-, s. Krahe – Meid 1969: III,198-207. 23 Es gibt einige wenige Belege, in denen die Kontinuanten von urgerm. *kun-inga- so verwendet werden (vgl. Meid 1966: 186). 24 Hieraus erklärt sich, dass aisl. konungr der Titel auch kleinerer Würdenträger ist (Ilkow 1968: 381). 25 Aisl. konungr erscheint häufig in Komposita, die die genaue Stellung des konungr bezeichnen, etwa c. ae. rica ,Herrscher, Mächtiger‘ < urgerm. *rikan-,18 eine Ableitung von urgerm. *rik-. In den ae. Belegen bezeichnet rica einen mächtigen Mann, der aber in der Rangfolge unter dem König steht.19 d. ahd. -recho (in anutrecho ,Enterich‘), aisl. -reki (etwa in landreki ,Landesführer)‘ < urgerm. *rekan-, entweder eine Ableitung von dem Verb urgerm. *reke/a- (> got. rikan ,häufen‘, ahd. rechan ,harken‘) oder bereits in einer Zeit gebildet, als es im Germ. noch die Kontinuante von uridg. *h3reg.- gab.20 Die Funktion oder Stellung eines urgerm. *rekan- ist aus der Beleglage nicht mehr erkennbar. e. ahd. kuning, ae. cyning, as. kuning, afries. kening, kining, aisl. konungr ,König‘ < urgerm. *kuni/unga-,21 eine Ableitung von urgerm. *kun.a- ‚Geschlecht‘ (> got. kuni, ahd. chunni, as. kunni, ae. cynn, afries. kenn, kinn, aisl. kyn), zur Bezeichnung der Abstammung, Familien- und Stammeszugehörigkeit.22 Der *kuninga- ist somit ,der zur *kun.a- Gehörige‘. Es ist anzunehmen, dass *kun.a- nicht irgendein *kun.a-, sondern ein vornehmes *kun.a- bezeichnet. Es scheint sich bei *kuninga- zunächst lediglich um einen Ehrentitel gehandelt zu haben,23 der nur dann zu einem Amtstitel werden konnte, wenn der Inhaber des Ehrentitels ein staatliches/politisches Amt innehatte.24 So könnte sich das Fehlen des Wortes im Got. erklären: Hier war die Funktion, die in den später bezeugten germ. Sprachen mit den Kontinuanten von *kuninga- benannt wird, noch mit got. þiudans (s.o.) besetzt. Aber auch im Aisl. hat sich konungr als Bezeichnung des ,Königs‘ nicht durchgesetzt.25 skattkonungr ,abgabepflichtiger König‘ oder fylkiskonungr, héraðskonungr ,Distriktkönig‘. Für die Bezeichnung des obersten Regierenden vgl. unter f. 26 Ilkow 1968: 380-381. 27 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 505-506. Zur Konstruktion vgl. Kühner – Stegmann II,1: 392. 28 Die Annahme von Picard 1991: 112: ”die Königsbestellung ist abhängig vom politischen Willen eines nicht benannten Kollektivs. ist daher nicht ganz stimmig, da die nobilitas des Kandidaten für die Wahl entscheidend ist; auch die Behauptung von Perl 1990: 153, dass das ”Königsgeschlecht … von den anderen nobiles unterschieden …, da ihm auf Grund seiner edlen (womöglich göttlichen) Abstammung glückbringende Eigenschaften angeboren sind., kann anhand der taciteischen Aussagen nicht verifiziert werden. f. ae. þeodcyning, as. thiodkuning, aisl. þjóðkonungr ,König über ein (großes) Volk, mächtiger König‘ < urgerm. *þe.dokuninga- ein Kompositum aus *þe.do- (s.o.) und *kuninga- (s.o.). Nach den Belegen in den Einzelsprachen ist der *þe.dokuninga- der freie, unabhängige König im Gegensatz zu den unter ihm stehenden Vasallen; das Wort bezeichnet also den ,König über ein (großes) Volk‘.26 ex nobilitate] Das Wort nobilitas, eine Ableitung von nobilis, bezeichnet zum einen Abstrakt die vornehme Geburt, den Rang bzw. den Stand der nobiles und zum anderen metonymisch auch die Angehörigen dieses Standes. Wie aus dem Gegenstück ex virtute ‚nach der ihrer Tapferkeit‘ hervorgeht, hat nobilitas hier die erstere Bedeutung. Die Präposition ex steht hier ”von der Gemäßheit..27 Die Angabe setzt voraus, dass es zum einen eine Schicht gibt, die im Gegensatz zu anderen durch nobilitas gekennzeichnet ist (diese Annahme wird auch durch c. 25,2 bestätigt, wo die nobiles den [sonstigen] ingenui gegenübergestellt werden: ibi enim et super ingenuos et super nobiles ascendunt ‚dort nämlich steigen sie sowohl über die Freigeborenen als auch über die Vornehmen empor‘), zum anderen, dass es innerhalb dieser Gruppe eine weitere Strukturierung im Sinne von mehr oder weniger nobilitas gibt (diese Annahme wird auch durch c. 13,2 untermauert, wo von insignis nobilitas ‚ausgezeichnete vornehme Abkunft‘ die Rede ist; vgl. auch Tac. hist. 4,28,1: societate nobilissimis obdisum firmata ‚und das Bündnis wurde noch durch Geiseln aus den vornehmsten Geschlechtern gefestigt‘; ds. ann. 11,17,1: quando nobilitate ceteros anteiret ‚da er [= Italicus] durch seinen Adel vor den übrigen den Vorrang habe‘). Dieser Schicht entstammt also der König. Die Abhängigkeit der Wahl von der vornehmen Abkunft28 ermöglicht denn auch leicht ein genealogisches Königtum, da derjenige die vornehmste Abkunft besitzt, dessen Familie am vornehmsten (gewesen) ist (vgl. auch die Bezeichnung *kuninga- [s.o.]). Die Angabe der Vornehmheit des königlichen Geschlechts ist in der antiken Literatur denn auch mehrfach zum Ausdruck gebracht; vgl. u.a. Tac. Germ. 42,2: Marcomanis Quadisque usque ad nostram memoriam reges mansere ex gente ipsorum. nobile Marobodui et Trudi genus ‚den Markomannen und Quaden sind bis auf unsere Tage Könige aus der eigenen Völkerschaft geblieben. Berühmt ist ja das Geschlecht des Marbod und Trudus‘; ds. ann. 11,16,1: eodem anno Cheruscorum gens regem Roma petivit amissis per interna bella nobilibus et uno reliquo stirpis regiae, qui apud urbem habebatur, nomine Italicus ‚im selben Jahr erbat das Cheruskervolk einen König von Rom, da es durch innere Kriege seinen Adel verloren hatte und nur noch einer von königlichem Stamm übrig war, der in Rom leben musste und Italicus hieß‘; Vell. 2,108,2: Maroboduus, genere nobilis ‚Marbod war aus einem vornehmen Geschlecht‘. Dasselbe ist auch bei Tac. ann. 12,29,1 angedeutet: Vangio ac Sido sorore Vannii geniti ‚Vangio und Sido, des Vannius Schwestersöhne‘ (vgl. auch Strab. Geogr. 7,1,3 p. 290C: .p..t. ..p t... pp..µa... ..t.. .. .d..t.. µet. t.. .. ..µ.. .p...d.. ‚er [= Maroboduus] hatte nämlich, vordem ein Privatmann, nach seiner Rückkehr aus Rom die Führung erlangt‘); aus späterer Zeit vgl. Prok. BG 2,15,27: ... d. ..p....., .. d. pap. ..µa.... ....ta., f.... .f... t.. ßa...... ..e.p.a.µ.... .peµ.a. t.. ....µ.. t.... .. T..... t.. ....., t... d.epe.....µ..... te .a. ..µ....ta., .. t..a ..ta..a e.pe.. a.µat.. t.. ßa...e... .... te .... ‚nun schickten die im römischen Gebiet seßhaften Heruler, nachdem sie den Mord an ihrem König begangen hatten, einige Edle auf die Insel Thule. Sie sollten dort nachforschen, ob sie einen Mann königlichen Geblüts ausfindig machen könnten, und diesen gleich mitnehmen‘; Greg. Tur. Franc. 2,9: de prima et, ut ita dicam, nobiliore suorum familia ‚aus ihrem ersten und sozusagen adligsten Geschlecht‘. In den germanischen Sprachen wird die Gruppe der Adeligen und der Einzelne aus dieser Gruppe bezeichnet mit: a. got. aþal- (nur in PN wie Athal[a]ricus), ahd. adal ,Geschlecht, Sippe; vornehme Abstammung, Adel‘, as. adal-, lgb. Ad(h)al-, Ad(h)el-, Adil- (in PN, etwa Adelprandus), aisl. aðal ,Art, Begabung; Hof, Erbgut, Eigentum‘ < urgerm. *aþala-.29 Für das Urgerm. sind zwei Bedeutungen anzusetzen: 1. ,Geschlecht, Herkunft‘, 2. ,Art, Wesen, natürliche Beschaffenheit‘.30 29 Die weitere Etymologie dieser Wortgruppe ist unklar (vgl. EWA I: 44-48). 30 Darms 1978: 195. 31 Anders gebildet ist ahd. un-adali ,niedrige Herkunft‘ (< *aþalin-). b. ahd. adali, edili ,Geschlecht, Sippe, Adel‘, as. adali ,edles Geschlecht‘, ae. (Pl.) æðelu ,(edle) Herkunft, Adel‘, aisl. øðli, eðli ,Geschlecht, Herkunft, Heimat; Natur, Wesen‘ < urgerm. *aþal.a-,31 eine Ableitung von urgerm. *aþala- (> ahd. adal ,adlig‘, as. adal- [etwa in adalboran ,von edler Abkunft‘], mndl. adel ,adlig; edel; rechtmäßig‘), das wohl eine Konversion von *aþala- (s.o.) ist.32 32 So auch Heidermanns 1993: 108. Konversion ist die ”implizite Derivation durch Übertritt eines Wortes in eine andere Wortart … ohne morphologische Kennzeichnung der neuen Klasse. (Bußmann 1983: 275). Das also wohl sekundäre Adjektiv kann in den Einzelsprachen auch wieder substantiviert werden (Darms 1978: 192). 33 Nur in Nithard. hist. 4,2 belegt: que gens omnis in tribus ordinibus divisa consistit: sunt etenim inter illos qui edhilingui, sunt qui frilingi, sunt qui lazzi illorum lingua dicuntur; Latina vero lingua hoc sunt: nobiles, ingenuiles atque serviles ‚das ganze Volk [= Sachsen] ist in drei Stände geteilt, die einen nämlich heißen in ihrer Sprache Edelinge, die andern Frilinge, die dritten Lazzen, das heißt: Edle, Freie und Knechte‘. 34 Darms 1978: 192 nimmt als Grundlage für *ada/ulinga- das Adj. *aþal.a- an, was allerdings eher unwahrscheinlich ist, da das Adjektiv *aþal.a- im Nordgerm. nicht fortgesetzt ist, Darms jedoch eine einzelsprachliche Bildung annimmt. 35 So auch etwa Perl 1990: 154. c. ahd. ediling ,Adliger, vornehmer Mann‘, as. edhiling ,Edler, Adliger‘,33 ae. æðeling ,Fürst, Edelmann, Krieger‘, afr. etheling, etheleng ,Edler, Adliger‘, aisl. oðlingr ,Herrscher, Fürst, Edelmann‘ < urgerm. *ada/ulinga-, eine Ableitung urgerm. *aþala- (s.o.).34 duces] Das Wort dux bezeichnet im Lat. zunächst allgemein einen ,(An)führer‘. Daneben hat es die speziellere Bedeutung ,Führer einer Mehrheit von Personen zu irgendeinem Zweck‘, besonders ,Führer eines Heeres oder einer militärischen Einheit‘. So kann auch der römische Kaiser (princeps) als dux bezeichnet werden. Das Wort dux steht erst ab dem 3. Jh. n.Chr. für einen bestimmten militärischen Rang (diese Bedeutung ist hier somit auszuschließen). Erst dann ist die strikte Unterscheidung zwischen dux als militärischem und rex als staatlichem Leiter möglich (vgl. hierzu Isid. orig. 9,3,22: sed non … quicunque principes, vel duces sunt, etiam reges dici possunt; in bello autem melius ducem nominari quam regem; nam hoc nomen exprimit in proelio ducentem ‚aber nicht alle, die Anführer oder Heerführer sind, können auch Könige genannt werden; im Krieg ist es jedoch besser, einen Heerführer als einen König zu ernennen; denn dieser Name drückt aus, dass er im Krieg führt‘). Der dux ist, wie die Nichtnennung im restlichen ersten Teil der Germania zeigt, lediglich ein Anführer in militärischem Kontext (vgl. auch die Angabe in c. 30,2: plus reponere in duce quam in exercitu ‚ setzen mehr auf den Anführer als auf das Heeresvolk‘), er hat also eine offenbar nur temporäre Funktion.35 Die germanischen Sprachen kennen zur Bezeichnung des Heerführers folgende Wörter: a. ahd. herizogo, ae. heretoga, as. heritogo, afries. hertoga, aisl. hertogi, hertugi < urgerm. *.ar.atugan- ‚Heerführer‘, ein Kompositum aus urgerm. *.ar.a- ‚Heer‘ (> got. harjis, run. [Kamm v. Vimose] harja, ahd. hari, heri, ae. here, as. heri, afr. here, aisl. herr) und ein in den germ. Sprachen nicht als Simplex belegtes urgerm. *tugan-, eine Ableitung von der Verbalwurzel urgerm. *te..e/a- ‚ziehen, fortführen‘ (> got. tiuhan, ahd. ziohan, ae. teon, as. tiohan, afr. tia, aisl. [Part.Prät.] togenn).36 36 Vgl. Schuhmann 2004. 37 Zur Endung vgl. Wagner 1983. 38 Das Wort wird im 14. Jh. im Spätmhd. als heralt, heralde ,Aufsichtführender beim Turnier, der über die Wettkampfregeln und die Rittermäßigkeit der Teilnehmer zu wachen hat‘ aus afrz. mfrz. hiraut, heraut oder aus mlat. heraldus entlehnt (ins Mlat. wurde das Wort seinerseits aus dem Andfrk. entlehnt). 39 Ilkow 1968: 58-59 schlägt eine andere Deutung für baluwiso vor, die allerdings nicht überzeugt, da ein Kompositum als Lehnübersetzung von lat. temptator wohl kaum in Frage kommt. 40 Vgl. Lühr 2000: 25. Semantisch unmittelbar zu vergleichen ist lat. dux zu ducere. 41 Eine andere Bildung liegt vor in got. hundafaþs ,Centurio, Hauptmann über 100 Mann‘. 42 Eine andere Weiterbildung liegt vor in ahd. hunteri ,Hauptmann‘. 43 Das Alter des Wortes – ob es also schon für die taciteische Zeit angenommen werden darf – bleibt aber unklar. Es wurde hier aber dennoch aufgenommen, da bei Tacitus an zwei Stellen von einer Gruppe von hundert Personen die Rede ist (vgl. c. 6,3 und c. 12,2). b. lat.-germ. PN Chariovalda,37 ahd. PN Hariolt, Herwalt, anfränk. *heriwald, as. PN Hariold, Heriold, ae. PN Hereweald, aisl. PN Haraldr, latinisiert PN Herioldus < urgerm. *.ar.a.alda-,38 eine Zusammensetzung aus urgerm. *.ar.a- (s.o.) und *.alda- ‚Herrscher (> aisl. valdr), eine Ableitung von urgerm. *.alde/a- ‚walten, herrschen‘ (> got. waldan, ahd. waltan, ae. wealdan, as. walda, aisl. valda). c. ahd. wiso, as. -wiso (nur in baluwiso ,der ins Verderben Führende, Teufel‘39), ae. wisa, aisl. vísi < urgerm. *.isan- ‚Leiter, Führer‘, eine Ableitung von urgerm. *.isi.e/a- ‚leiten, führen; zeigen, weisen‘ (> got. -weisjan [u.a. in fullaweisjan ,überzeugen, überreden‘], ahd. wisen, as. ae. wisian, afries. wisa, aisl. vísa).40 d. ahd. as. hunno ,Hauptmann‘ < urgerm. *.undnan-,41 eine Ableitung von urgerm. *.unda- ‚hundert‘42 (> got. [pl.] hunda, ahd. hunt, ae. as. hund). Der *.undnan- ist somit der ,Vorsteher von hundert ‘, eine Deutung, die durch die Glossierungen im Ahd. mit lat. centurio bestätigt wird.43 ex virtute] Die Heerführer werden nach einem anderen Gesichtspunkt gewählt als die Könige: ein Heerführer muss sich durch Tapferkeit, also seine kriegerische Leistung, auszeichnen; vgl. zu einer Unterscheidung zwischen nobilitas und homo novus Sall. Iug. 85,10-13: bellum me gerere cum Iugurtha iussistis, quam rem nobilitas aegerrume tulit … comparate nunc, Quirites, cum illorum superbia me hominem novom ‚ihr habt mich beauftragt, den Krieg mit Jugurtha zu führen, was die Nobilität mit großem Ärger aufgenommen hat … Vergleicht jetzt, Bürger, mit jenen eingebildeten Leuten mich, den ›Neuen Mann‹!‘. Die Stelle ist in der Hinsicht unklar, dass nicht deutlich ist, ob Tacitus hier eine Trennung zwischen Völkerschaften mit einem König und anderen ohne einen solchen vornimmt.44 Falls er keine solche Trennung vornimmt, legen die Worte es nahe, dass der König nicht kraft seines Amtes automatisch der Heerführer war.45 Ebenfalls ist es offenbar nicht zwingend notwendig, dass der Heerführer aus demselben Kreis wie der König gewählt wird, sondern jeder Freie hätte zum dux gewählt werden können.46 Jedoch scheint dies (mindestens) praktisch kaum der Fall gewesen zu sein. Viel eher werden sowohl der König wie der Heerführer aus einer Gruppe, wenngleich nach unterschiedlichen Kriterien (nobilitas auf der einen, virtus auf der anderen Seite), gewählt worden sein.47 Eine solche Interpretation wird zum einen durch die Aussage in c. 11,2 gestützt, wo von der decus bellorum ‚glänzenden Waffentaten‘ eines Königs oder Anführers berichtet wird, die natürlich mit der virtus gleichzusetzen ist. Zum anderen entstammten viele bekannte germanische duces der nobilitas;48 vgl. etwa Civilis (vgl. Tac. hist. 4,13,1: Iulius Civilis et Claudius Paulus regia stirpe ‚Iulius Civilis und Claudius Paulus, beide aus königlichem Geschlecht‘), Brinno (vgl. Tac. hist. 4,15,2: erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno, claritate natalium insigni ‚es lebte bei den Canninefaten ein gewisser Brinno; seine Eigenschaften: stures Draufgängertum, ganz besonders vornehme Herkunft‘) und Catualda (vgl. Tac. ann. 2,62,2: erat inter Gotones nobilis iuvenis nomine Catualda ‚es gab unter den Gotonen einen adligen Jünglich, names Catualda‘). 44 Der einzige, der diese Frage ebenfalls offen lässt, ist Baumstark 1875: 363; anders dagegen etwa Müllenhoff 1900: 184: ”Die worte des Tacitus führen uns auf den gegensatz von königtum und vielherrschaft.. 45 So auch Gudeman 1916: 79; anders Müllenhoff 1900: 183: ”der geborene heerführer ist der könig. ein germanischer könig ist entweder heerführer oder er ist gar nicht könig.; Much 1967: 156: ”Hatte ein Stamm einen König, so war dieser der gegebene dux.; Perl 1990: 153: ”gewöhnlich war er [= der König] im Krieg zugleich der Heerführer.. 46 Man vgl. Gudemann 1916: 79: ”Also waren die Führer nicht notwendigerweise adligen Geschlechts.. 47 So auch u.a. Baumstark 1875: 363; Perl 1990: 154. 48 Ausdrücklich so auch Holtzmann – Holder 1873: 161: ”Wir haben in der Geschichte kein Beispiel, daß zum Anführer ein anderer, als ein nobilissimus gewählt wurde.. 49 Perl 1990: 154; ebenso bereits Holtzmann – Holder 1873: 162-163. 50 Die von Perl gegebenen Beispiele entstammen denn auch nicht der Germania. 51 Vgl. auch Rives 1999: 149: ”Moreover, a man of this sort [= dux] would not have been sharply distinct from a Nach Perl entspricht ”die unterschiedliche Bezeichnung derselben Person als dux bzw. rex … den verschiedenen Etappen ihrer Entwicklung., da ein nur auf bestimmte Zeit gewählter dux ”mitunter auch nach der dauernden Stellung eines rex. strebte.49 Eine solche Reihenfolge ist aus der Germania selbst zwar nicht zu belegen,50 jedoch ist die Möglichkeit nahe liegend, eben weil sowohl der dux als auch der rex aus derselben Schicht stammen.51 rex.. 52 Ausschließlich als einen solchen aufgefasst von Holtzmann – Holder 1873: 161; Thompson 1965: 32. 53 Beide Möglichkeiten werden auch etwa vertreten von Much 1967: 156-157; Rives 1999: 148-149 Wie lange jemand die Stellung eines Heerführers innehatte, ist – wie bei dem König – nicht ausgesagt. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, dass er diese Stellung nur während der Kriegszeit innehatte, nicht aber darüber hinaus. Da die Tätigkeit eines dux an eine militärische Unternehmung geknüpft ist, verwundert auch die Tatsache nicht, dass Caesar sowohl den Anführer eines freiwilligen Raubzuges (Gall. 6,23,7: atque ubi quis ex principibus in concilio dixit se ducem fore, qui sequi velint, profiteantur, consurgunt ii qui et causam et hominem probant ‚sobald in einer Versammlung einer der führenden Männer verkündet, er werde einen solchen Zug anführen, und wer ihm folgen wolle, solle sich melden, stehen die auf, denen das Unternehmen und sein Leiter gefallen‘) wie den eines Kriegszuges (Gall. 6,23,4: cum bellum civitas aut inlatum defendit aut infert, magistratus qui ei bello praesint … deliguntur ‚wenn sich ein Stamm in einem Krieg verteidigt oder einen Krieg beginnt, wählen sie Beamte, die den Oberbefehl übernehmen‘)52 so bezeichnet. Der Widerspruch ist somit nur scheinbar,53 zumal solche Raubzüge – da auf der Versammlung beschlossen – offenbar nur in Friedenszeiten stattfinden, so dass es sich bei beiden theoretisch auch um ein und dieselbe Person handeln kann. Der dux kann auch aus einer anderen Völkerschaft stammen (vgl. Tac. ann. 11,18,1: per idem tempus Chauci, nulla dissensione domi, et morte Sanquinii alacres, dum Corbulo adventat, inferiorem Germaniam incursavere duce Gannasco, qui natione Canninefas, auxiliare stipendium meritus, post transfuga, levibus navigiis praedabundus Gallorum maxime ore vastabat, non ignarus dites et inbelles esse ‚zur gleichen Zeit brachen die Chauken, die keine Zwietracht im Lande hatten und durch den Tod des Sanquinius ermutigt waren, in Niedergermanien ein, während Corbulo noch im Anmarsch war; ihr Anführer war Gannascus, der Abstammung nach Canninefate. Er hatte bei den Hilfstruppen lange Zeit gedient, war dann übergelaufen und verheerte jetzt mit leichten Schiffen als Seeräuber besonders die Küste der Gallier, da er wohl wußte, daß sie reich und unkriegerisch waren‘) oder beim Zusammenschluss mehrerer Völkerschaften der gemeinsame Heerführer sein; so führt Brinno sowohl die Canninefaten als auch die Friesen an (Tac. hist. 4,15,2: erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno … impositusque scuto more gentis et sustinentium umeris vibratus dux deligitur. statimque accitis Frisii [transrhenana gens est] duarum cohortium hiberna proximo † occupata † Oceano inrumpit ‚es lebte bei den Canninefaten ein gewisser Brinno … nach Stammessitte auf den Schild gehoben und auf den Schultern hin- und hergeschwenkt, wurde er zum Führer gewählt. Sogleich rief er die Friesen, einen rechtsrheinischen Stamm, herbei und erstürmte ein am Ozean gelegenes Winterlager zweier Kohorten‘). sumunt] Das Verb sumere in der Bedeutung ‚wählen‘ kommt ebenfalls bei Tac. hist. 1,56,3 vor: et minore discrimine sumi principem quam quaeri ‚dabei sei es eine geringere Gefahr, einen Herrscher anzunehmen als ihn erst zu suchen‘ (vgl. auch Nep. milt. 1,3: ut Militiadem imperatorem sibi sumerent ‚als Befehlshaber Miltiades zu nehmen‘ [semantisch etwas abweichend Curt. 9,8,30: ducibus deinde sumptis ‚dann griff man Führer auf‘]; mit abweichendem Verb Eutr. 10,2,1: Caesares duos creavit ‚wählte er [= Galerius] zwei Caesaren‘; Liv. 2,2,11: collegam sibi comitiis centuriatis creavit P. Valerium ‚zu seinem Amtsgenossen wählten die Centuriatcomitien unter seiner Leitung P. Valerius‘). Nach Lund ist die Bedeutung von sumere ”ungenauer. als die von eligere.54 Dies ist kaum einsichtig, da bei eligere eine Auswahl aus einer Gruppe getroffen wird, bei sumere nur dieser Aspekt vernachlässigt wird. Dazu kommt, dass es durchaus unsicher ist, ob es tatsächlich eine Auswahl gegeben hat,55 oder ob nicht der in Frage kommende Kandidat von den Wählenden nur bestätigt werden musste. An eine ‚demokratische‘ Wahl wird wohl nicht zu denken sein. 54 Lund 1988: 134; vgl. bereits Baumstark 1875: 360: ”Sumere hat einen allgemeinen, fast vagen Begriff.. 55 So – unbewiesen – Gudeman 1916: 79: ”Nach 11,2 werden wir annehmen dürfen, daß die eine Art Ausschuß bildenden ‚principes‘ der Volksversammlung eine Kandidatenliste vorlegen mußte.. 56 Daher ist die Behauptung bei Perl 1990: 153: ”Der König wurde in der Stammesversammlung … gewählt. zwar recht wahrscheinlich, bleibt aber letztendlich Spekulation. Das Subjekt von sumunt bleibt unbestimmt.56 Die Wahl eines Heerführers wird Tac. hist. 4,15,2 beschrieben: erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno, claritate natalium insigni … impositusque scuto more gentis et sustinentium umeris vibratus dux deligitur ‚es lebte bei den Canninefaten ein gewisser Brinno; seine Eigenschaften: stures Draufgängertum, ganz besonders vornehme Herkunft … nach Stammessitte auf den Schild gehoben und auf den Schultern hin- und hergeschwenkt, wurde er zum Führer gewählt‘. Das Schildheben ist in späteren Zeiten ebenfalls für die Goten, Langobarden und Franken belegt. Der Brauch wurde dann auch unter Einfluss der germanischen Soldaten in römischem Dienst im römischen Heer eingeführt. Als Erster wurde Julianus von seinem Heer zum König ausgerufen (vgl. Amm. 20,4,17: impositusque scuto pedestri et sublatius eminens nullo silente Augustus renuntiatus ‚man stellte ihn auf den Schild eines Fußsoldaten und hob ihn hoch empor; keiner blieb dabei still, und so wurde er zum Kaiser ausgerufen‘). Von einer Auswahl aus mehreren ist dagegen in späterer Zeit die Rede; vgl. Beda, hist. eccl. 5,10: non habent regem idem Antiqui Saxones, sed satrapas plurimos suae genti praepositos, qui ingruente belli articulo mittunt aequaliter sortes, et quemcumque sors ostenderit, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur, huic obtemperant; peracto autem bello, rursum aequalis potentiae omnes fiunt satrapae ‚diese Altsachsen haben nämlich keinen König, sondern viele Fürsten, die an der Spitze ihres Stammes stehen und im wichtigen Augenblick eines Kriegsausbruches untereinander das Los werfen und demjenigen, auf den das Losstäbchen zeigt, alle folgen und gehorchen als Führer für die Dauer des Krieges; wenn aber der Krieg vorbei ist, werden alle wieder Fürsten mit gleicher Macht‘; Widuk. Corv. 1,14: a tribus etiam principibus totius gentis ducatus administrabatur … si autem universale bellum ingruerit, sorte eligitur, cui omnes obedire oportuit, ad administrandum inminens bellum. Quo peracto, aequo iure ac lege propria contentus potestate unusquisque vivebat ‚auch wurde das Herzogtum über das ganze Volk von drei Fürsten verwaltet … Wenn aber ein allgemeiner Krieg ausbrach, wurde einer durch das Los gewählt, dem alle gehorchen mußten, um den bevorstehenden Krieg zu leiten. War dieser beendet, dann lebte jeder nach gleichem Recht und Gesetz, zufrieden mit seiner eigenen Macht‘. nec regibus infinita aut libera potestas] In den Hss. ist neben mehrheitlichem ac auch die Lesart aut in mQbBETdvormon überliefert.57 Ebenso finden sich beide Lesarten sowohl in den frühen Drucken58 als auch in den neueren Ausgaben.59 Als Argument gegen aut führt Robinson an: ”The reading aut for ac should be definitely discarded, as it is but poorly attested..60 Die Zahl der Hss. mag zwar geringer sein, jedoch befinden sich unter diesen die verlässlichen Hss. bBE, sodass dieses Argument kaum stichhaltig ist, zumal sich die Lesart aut auf mehrere Hss.-Gruppen verteilt. Gegen aut gibt es kein ausschlaggebendes stilistisches 57 Vgl. Robinson 1991: 160; Perret 1997 : 74. 58 So steht ac in nFU, aut dagegen in JkOy; vgl. Hirstein 1995: 293, 297, 302, 308, 310, der jedoch keine Informationen bezüglich allen frühen Drucken gibt (vgl. jedoch die Angaben bei Maßmann 1847: 57). Auffällig ist die Entwicklung in den Basler Drucken: I ac, II ac in marg. aut, III aut (vgl. Maßmann 1847: 57). 59 So nehmen ac u.a. auf: Lenchantin de Gubernatis 1949: 7; Winterbottom – Ogilvie 1985: 41; Robinson 1991: 283; Perret 1997: 74; Anderson 1997; Benario 1999: 20; aut dagegen etwa Passow 1817: 10; Günther 1926: 11 (jedoch bezeichnet er die Lesart ac als ”non male!.); Grimm 1835: 4; Tross 1841: 7; Maßmann 1847: 57; Holtzmann – Holder 1873: 34; Baumstark 1875: 362; Müllenhoff 1900: 197; Gudeman 1916: 80; Schweizer- Sidler 1923: 20; Halm 1930: 226; Reeb 1933: 26; Much 1967: 154; Koestermann 1970: 10; Önnerfors 1983: 6; Lund 1988: 134; Perl 1990: 86. 60 Robinson 1991: 283. Argument.61 neque … ac findet sich nämlich dann, ”wenn die verbundenen Wörter … zu einem Begriffe oder zu einer Einheit zusammengefaßt werden sollen..62 infinitus und liber sind zwar bedeutungsähnlich, können aber nicht unbedingt zu einem Begriff zusammengenommen werden, da (in dem immer mitgedachten Vergleich) die ”Macht des römischen Kaisers … damals jedenfalls libera, wenn auch nicht infinita. war;63 infinitus wäre somit der weitere, stärkere Begriff.64 Dagegen setzt in ”negativen Sätzen … aut … die Verneinung fort, wo wir im Deutschen ‚und‘ gebrauchen.,65 und zwar so, dass ”einer vorangehenden Negation … häufig ein folgender Begriff … als Teil oder nähere Bestimmung untergeordnet. wird.66 Da genau dies hier der Fall ist – liber ist als ein Teil von infinitus anzusehen – ist aut hier beizubehalten (identisch mit dieser Konstruktion ist c. 5,1: ne armentis quidem suus honor aut gloria frontis ‚auch dem Großvieh fehlt die charakteristische Pracht und der Schmuck der Stirne‘; vgl. auch c. 24,1: non in quaestum tamen aut mercedem ‚nicht in Erwartung von Gewinn und Entgelt‘; c. 35,2: nullis raptibus aut latrociniis ‚keine Raub- und Beutezüge‘). Ebenfalls nicht auszuschließen ist die früher vorgeschlagene Interpretation, bei der infinitus über die Zeit, liber über die Machtstellung ausgesagt würde.67 Auch in diesem Fall ist aut als Lesart aufzunehmen. 61 Vgl. hierzu auch Löfstedt 1956: I,347-348 Anm. 3. 62 Kühner – Stegmann II,2: 103. 63 Gudeman 1916: 80. 64 Vgl. Gudeman 1916: 80. Anders etwa Lund 1988: 134: ”die beiden Adj. … sind hier Synonyme.; Anderson 1997: 68: ”practically synonymous.; Benario 1999: 72: ”essentially synonymous.. 65 Menge 1993: 337. 66 Kühner – Stegmann II,2: 103 (dort auch weitere Textstellen). 67 Vgl. etwa Günther 1826: 11. Die Angabe der Beschränktheit der germanischen Königsmacht (natürlich im Vergleich mit der römischen Kaisermacht; ebenso sind sicherlich die orientalischen Monarchien, die in c. 37,3 beschrieben sind, ein Vergleichsmoment: quippe regno Arsacis acrior est Germanorum libertas ‚war uns doch der Freiheitssinn der Germanen noch weit schmerzhafter als die arsakidische Tyrannei‘), die für eine gewisse Entspannung zwischen den beiden Polen regnum und libertas sorgt, findet sich bei Tacitus mehrfach; vgl. Germ. 44,1: trans Lygios Gothones regnant paulo iam adductius quam ceterae Germanorum gentes, nondum tamen supra libertatem ‚jenseits der Lugier üben die Gotonen ihre Königsherrschaft aus, schon etwas straffer als die übrigen Völkerschaften der Germanen, jedoch noch nicht bis zum Verlust ihrer Freiheit‘; hist. 4,76,2: nam Germanos … non iuberi, non regi, sed cuncta ex libidine agere ‚die Germanen aber … ließen sich nicht befehlen, nicht lenken, sondern würden in allem nach eigener Willkür handeln‘; ann. 13,54,1: auctore Verrito et Malorige, qui nationem eam regebant, in quantum Germani regnantur ‚unter Führung von Verritus und Malorix, die über diesen Stamm herrschten, soweit sich Germanen überhaupt beherrschen lassen‘; vgl. auch die Ausnahme des Maroboduus nach Vell. 2,108,2: Maroboduus … non tumultuarium neque fortuitum neque mobilem et ex voluntate parentium constantem inter suos occupavit principatum, sed certum imperium vimque regiam complexus ‚Maroboduus … Seine Vorherschaft über seine Stammesgenossen hatte sich nicht im Drang des Augenblicks mehr zufällig ergeben, noch war sie auf einen gewissen Zeitraum beschränkt und vom guten Willen der Gehorchenden abhängig. Marbod hatte vielmehr die Idee eines festgegründeten Reiches mit königlicher Gewalt‘. Jedoch gibt es auch bei den Germanen durchaus Spannungen zwischen einerseits regnum, andererseits libertas. Es geht nämlich bereits aus den unspezifischen Wörtern nec … infinita hervor, dass die Machtsgrenzen des Königs nicht genau festgelegt sind und somit schwanken können. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass diese Aussage parallel zu der folgenden über die Heerführer steht, die eine bloß relative Angabe enthält.68 Daher ist es denn auch kein tatsächlicher Widerspruch, wenn Tacitus an anderen Stellen aussagt, dass sich regnum und libertas auch bei den Germanen ausschließen können; vgl. Germ. 25,2: dumtaxat iis gentibus, quae regnantur ‚mit Ausnahme lediglich derjenigen Völkerschaften, die unter Königen stehen‘;69 ebd. 44,3: eoque unus imperitat nullis iam exceptionibus ‚und deshalb hat nur einer die Befehlsgewalt, und das ohne alle Einschränkungen‘;70 ann. 2,44,2: sed Maroboduum regis nomen invisum apud populares, Arminium pro libertate bellantem favor habebat ‚doch machte den Marbod der Königstitel verhaßt bei seinen Landsleuten, Arminius hatte seinem Kampf für die Freiheit seine Beliebtheit zu verdanken‘; ebd. 2,88,2: ceterum Arminius, abscedentibus Romanis et pulso Maroboduo regnum adfectans, libertatem popularium adversam habuit ‚indessen hatte Arminius, der beim Abzug der Römer und nach 68 Ebenso offenbar auch von Rives 1999: 150 gesehen: ”No doubt the reality was more complex than either alternative, and varied according to place and time.. Anders etwa Much 1967: 157: ”Das Wesentliche aber ist, daß der altgermanische König an den Willen und die Beschlüsse der Landesgemeinde gebunden ist.; ähnlich, allerdings aus einer anderen Grundsicht, Lund 1988: 134: ”Der Sinn unserer Stelle läuft darauf hinaus, daß ,Germanos non iuberi, non regi, sed cuncta ex libidine agere‘.. 69 Anders etwa Baumstark 1875: 362: ”Jedenfalls gehört das an unserer Stelle wenigstens negativ charakterisirte ächtgermanische Königthum nimmer unter die Kategorie des am Schlusse des 25. Kapitels erwähnten.. 70 Daher steht auch die gesamte climax regia im zweiten Teil der Germania nicht in einem unüberwindbaren Widerspruch zu der Aussage in c. 7,1. Anders etwa Picard 1991: 48: ”Diese Darstellung steht im Widerspruch einmal zum allgemeinen Teil der Germania, die insgesamt das Bild von einer aristokratischen/republikanischen Verfassung zeichnet … und dort, wo ein König erwähnt wird, keineswegs eines von so starker monarchischer Machtsausübung.. der Vertreibung Marbods nach dem Königsthron strebte, die Freiheitsliebe seiner Landsleute gegen sich‘. Bei der oben angeführten Diskrepanz ist unklar, inwieweit hier römische Vorstellungen zu diesem Verhältnis eine Rolle spielen. Vgl. aus viel späterer Zeit Ad. Brem. 4,22: reges habent ex antiquo genere, quorum tamen vis pendet in populi sentencia; quod in commune omnes laudaverint, illum confirmare opportet ‚sie [= die Schweden] haben Könige aus altem Hause, doch deren Gewalt ist vom Willen des Volkes abhängig Was alle gemeinsam beschließen, muß er gutheißen‘. et duces exemplo potius quam imperio, si prompti, si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesunt]71 Die Satzsyntax war lange Zeit unklar. So wurde teils nach imperio ein Kolon eingefügt, teils wurden exemplo und imperio als Apposition zu duces aufgefasst (im Sinne von qui exemplo potius quam imperio duces sunt).72 Dazu wurden von einigen exemplo und imperio als Dative aufgefasst, so dass der Satz als ‚sie sind mehr zum Vorbild als zum Befehlen gewählt’ verstanden wurde.73 Es liegen jedoch sowohl bei exemplo und imperio wie bei admiratione Ablative vor, wobei die ersten beiden als Abl. instrumentales aufzufassen sind, letztere dagegen als Abl. modi.74 Die drei mit si eingeleiteten Satzteile75 geben Bedingungen an, welche der Heerführer erfüllen muss, um einen Oberbefehl erhalten zu können; sie sind somit eine nähere Ausführung zu exemplo. Der Konjunktiv agant steht als Ausdruck der wiederholten Handlung.76 admiratione ist schließlich nicht – wie teilweise geschieht – zu praesunt zu ziehen,77 sondern gehört zu den drei mit si eingeleiteten Satzteilen,78 da es sich um die Bewunderung handelt, die durch die drei Tätigkeiten hervorgerufen wird. admiratione ist somit im passivischen Sinn zu verstehen (vgl. Tac. hist. 2,68,4: manebat admiratio viri et fama ‚bestehen blieb die Bewunderung für diesen Mann und sein guter Ruf’). 71 Das in den Hss. bB vorkommende etiam anstelle von et ist wohl aus einer gedachten Abkürzung (etwa in der Art et.; vgl. Cappelli 1994: 124) zu erklären. 72 Vgl. hierzu Müllenhoff 1900: 198. 73 Vgl. Müllenhoff 1900: 198; H 1910 wollte demgegenüber exemplo und imperio in die Gen. exempli und imperii abändern, was jedoch kaum zu überzeugen vermag (vgl. Lund 1991b: 2055). 74 Zum Abl. modi ohne cum vgl. Kühner – Stegmann II,1: 408-410. 75 Zu solchen Reihungen vgl. Kühner – Stegmann II,2: 434: ”Wenn zwei oder mehrere Bedingungssätze so angeführt werden, daß dadurch angezeigt wird, es sei gleichgültig, unter welchem der angeführten Fälle das im Hauptsatze Ausgesagte stattfindet, so geschieht dies … durch si … sive (seu)., und ebd. 435: ”Statt si … sive wird auch si … si gebraucht.. 76 Vgl. Persson 1927: 99; zum Konj. der wiederholten Handlung vgl. Kühner – Stegmann II,2: 206-208. 77 So etwa Baumstark 1875: 364: ”Der Ablativus admiratione, zum ganzen Satz gehörig und deshalb sehr passend an das Ende gestellt.; Müllenhoff 1900: 198: ”admiratione praesunt ist der hauptsatz.. 78 So auch etwa Gudeman 1916: 80; Schweizer-Sidler 1923: 21; Reeb 1933: 26; Anderson 1997: 68. Ebenso wie die Königsmacht keine Macht im strengen Sinne ist, hat der dux kein absolutes imperium, sondern den Oberbefehl mehr auf Grund seiner Verdienste.79 Wie die Fügung potius quam zeigt, kann bei einzelnen Heerführern ein unterschiedliches Verhältnis zwischen exemplum und imperium vorliegen. Mit der Wahl zum Heerführer wird allerdings nicht das imperium, die rechtliche Basis für die Befehlsgewalt, übertragen. Die erwünschten Eigenschaften eines Heerführers sind in historischen Beispielen durchaus belegt; vgl. etwa Tac. hist. 3,21,2: Sido atque Italicus Suebi cum delectis popularium primori in acie versabantur ‚die Sueben Sido und Italicus standen mit auserwählter Mannschaft ihrer Landsleute im Vordertreffen‘; ds. ann. 1,65,4: simul haec et cum delectis scindit agmen ‚zugleich mit diesem Kampfruf durchbricht er [= Arminius] mit einer Eliteschar den Heereszug‘; ebd. 2,17,4: inter quos insignis Arminius manu voce vulnere sustentabat pugnam ‚unter ihnen versuchte, weithin erkennbar, Arminius durch persönlichen Einsatz und Zurufe trotz eigener Verwundung die Schlacht zu halten‘; Amm. 16,12,24: Chonodomarius … anteibat cornu sinistrum audax et fidens ingenti robore lacertorum, ubi ardor proelii sperabatur inmanis ‚Chnodomar … führte den linken Flügel, voll kühnen Vertrauens auf die gewaltige Kraft seiner Arme dort, wo der heißeste Kampf zu erwarten war‘; Agath. 1,14,3: .....ap.. ..p . t.. .p..... .tpat.... ..dpe... µ.. .. d.p.. .a. ..d.. . t. p...µ... .pef..e. de.µa..e.., .pa... d. .a. tapa..d.. .a. t. dpa.t.p... .. µ..a .. d...t. .e.t.µ.... .tpat.... te .a. ..eµ.... .. t. ...µe.. .a. d.at.tte.. t.. f..a..a ...p..µa e..a. ..e.t., ...’ e. p.. pp.fa.e.. .. µ... .a. pp.a..µe... ..µ. te ..p... .µßa... .. t... ..t.p....., .pe.ta a.t..p...e.e t. p...µ.a, ta.t. .e ...e. .a. .ßpe...et. ‚denn der Herulerführer Fulkaris, obwohl ein tapferer Mann, dessen Natur keine Angst vor Feinde kannte, zeigte sich als verwegener, unüberlegter, maßloser Draufgänger. Seiner Ansicht nach war es nicht das Zeichen eines Feldherrn und Führers, seine Truppe in Zucht und Ordnung zu halten, er brüstete sich vielmehr damit und war stolz darauf, wenn er in vorderster Reihe stand und vorstürmend und mutig zugleich unter die Feinde brechend, Kriegstaten mit eigener Hand vollführte‘. Die Eigenschaft des wagemutigen Kämpfers ist selbstverständlich nicht auf den germanischen Heerführer beschränkt, sondern findet sich bereits bei Homer, wo die Helden als tapfere Einzelkämpfer und weniger als Heerführer geschildert werden. 79 Kaum weiterführend ist die Bemerkung von Lund 1988: 134 zu praesunt: ”das Verb steht hier absolut und der Sinn ist vielleicht: vorausgesetzt, daß sie echte Führer sind.. ceterum neque animadvertere neque vincire neque verberare quidem] In den Hss. ist neben neque verberare der meisten Hss. auch damit übereinstimmendes nec uerberare in brezuAce und ne uerberare in hc.CbBas bezeugt.80 Die alten Drucke haben ebenfalls in ihrer Mehrheit neque verberare (in ZwkgATPnVLehrSMF); demgegenüber findet sich nec verberare in d, ne verberare lediglich in J.81 Die neueren Ausgaben nehmen demgegenüber in ihrer Mehrheit ne verberare auf.82 Es liegt bei der Überlieferungslage nahe,83 in neque verberare quidem die ursprüngliche Lesart zu sehen, die durch geläufiges ne … quidem (auch am Schluss eines Polysyndetons)84 in den wenigen Hss. ersetzt wurde,85 zumal ”das ne … quidem beim letzten Glied. auffällt.86 Bei der Einsetzung von neque liegt dagegen eine Reihung von neque … neque … neque vor, wogegen quidem – das nicht zu neque gehört – einräumende Funktion (‚wenigstens, freilich‘) hat.87 80 Vgl. Perret 1950: 53; Robinson 1991: 175; Perret 1997: 74. 81 Vgl. Hirstein 1995: 286. 82 So etwa Grimm 1835: 4; Tross 1841: 7; Maßmann 1847: 57; Holtzmann – Holder 1873: 34; Baumstark 1875: 364; Müllenhoff 1900: 199; Gudeman 1916: 80; Schweizer-Sidler 1923: 21; Halm 1930: 226; Reeb 1933: 26; Lenchantin de Gubernatis 1949: 7; Much 1967: 154; Koestermann 1970: 10; Önnerfors 1983: 6; Winterbottom – Ogilvie 1985: 41; Perl 1990: 86; Perret 1997: 74; Anderson 1997; Benario 1999: 20. Demgegenüber nec verberare bei Passow 1817: 10; Günther 1826: 11. 83 Die Behauptung von Müllenhoff 1900: 199: ”und schon in hss. finden sich ähnliche änderungen [= nec quidem]. ist jedenfalls nicht zutreffend. 84 Vgl. die Stellenangaben bei Gudeman 1916: 80-81. 85 Diese Annahme wird durch die Verbreitung von neque bzw. nec in allen Hss.-Gruppen nahe gelegt, wogegen sich ne nur in Untergruppen findet; neque ist also für alle Archetypen der Hss.-Gruppen und somit für den humanistischen Archetyp anzunehmen. Die Vermutung, dass neque seine Ursache in den vorausgehenden beiden neque habe (Perret 1950: 53), ist demnach zwar nicht auszuschließen, kann jedoch anhand der Überlieferung nicht bewiesen werden, zumal eine ”réstitution de ne. (Perret 1950: 53) kaum denkbar ist, da die Quelle dafür nur der Codex Hersfeldensis hätte sein können. 86 Much 1967: 159. 87 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 45. 88 So auch Picard 1991: 104: ”Durch die Aufzählung der Coercitionsmaßnahmen wird der Gedanke, daß germanische Heerführer nicht über eine dem römischen Feldherrn entsprechende Befehlsgewalt verfügen, noch einmal ausdrücklich bestätigt.. Das dem germanischen Heerführer fehlende imperium (also das Fehlen einer rechtlichen Basis) ist nochmals durch das ihm nicht zustehende Recht zur Bestrafung zum Ausdruck gebracht.88 Dies steht in Gegensatz zu den Machtbefugnissen im römischen Heer, wo jeder Ranghöhere einen Rangniedrigeren bestrafen konnte (so hatte sogar noch ein centurio, der Inhaber des niedrigsten Ranges, das Recht den Soldaten zu schlagen; vgl. Pol. 6,37,7-8: de. d. pp....e.. t... µ.. .tpat..ta. t... .....p...., t..t... d’ .t. t... .p.t.... ..p... d’ ..t. .a. ..µ... . ....ap... .a. ..e..p.... .a. µa.t...., t... d. ..µµ..... .. ppa.fe.t.. ‚die Soldaten sind den Tribunen, diese den Konsuln zum Gehorsam verpflichtet. Der Tribun, und bei den Bundesgenossen der Praefekt, hat das Recht, eine Geldbuße aufzuerlegen, Sicherheitsleistung zu fordern und geißeln zu lassen‘; Ios. bell. Iud. 3,103: .. te .tpat.... … f.ßep.tep... ta.. ..p pp.. t... ..a.... t.µa.. ....ta. t. d..e.. .µ.. pp.. t... ...a..µ..... ‚noch mehr aber sind ihre Feldherren zu fürchten; nur durch Ehrungen können sie den Anschein der Grausamkeit gegen die Opfer von Bestrafungen vermeiden‘).89 89 Vgl. KP 3: 1302-1303. 90 Einwände gegen eine gradatio in minus bei Gudeman 1916: 81, die auf der Stellung des Verbs vincire beruhen, ”da vincire für eine leichtere Strafe als verberare galt.. Jedoch ist gerade das vincire als militärische Strafe nicht belegbar (unschlüssig Städele 1991: 321: ”zugleich eine Antiklimax?.). Wenn man dagegen von einem germanischen Hintergrund ausgeht, könnte man sogar eine Steigerung annehmen, wie aus Ad. Brem. 4,6 hervorgeht: viri, si in aliquo fuerint scelere deprehensi, decollari malant quam verberari ‚Männer [= Dänen], aber, bei einem Majestätsverbrechen oder einer anderen Schandtat ertappt, lassen sich lieber enthaupten als züchtigen‘. 91 Vgl. ThLL II: 76,74-77,18. 92 Neben vincire ist in den Hss. mQorzARces die Lesart vincere überliefert, während v vincere korr. in vincire (vgl. Perret 1950: 69; Robinson 1991: 160; Perret 1997: 74). Es ist unklar, ob es sich bei diesem e/i-Wechsel um eine alte Variante handelt (vgl. zum Typ delectos : dilectos in c. 6,3). Die militärischen Strafen sind offenbar von hoch nach niedrig angeordnet90 und durch Alliteration miteinander verbunden. animadvertere steht dabei im Sinne von morte multare,91 wie bei Tacitus etwa noch hist. 1,68,2: in Iulium Alpinum e princibus ut concitorem belli Caecina animadvertit ‚Iulius Alpinus, einen der führenden Männer, ließ Caecina als Kriegshetzer hinrichten‘; ebd. 4,49,4: animadverti in eium iussit ‚befahl er [= Piso], ihn hinzurichten‘. In dieser absoluten Verwendung, statt in aliquem, findet sich das Verb selten (vgl. noch Cic. Verr. 1,44: cum ille non daret, animadvertit ‚als der [= ein Beamter zu Skyon] ihm [= Verres] nichts gab, bestrafte er ihn‘; Sen. contr. 9,2,14: cum animadvertit, auctoritate publica utitur ‚wenn er bestraft, verwendet er öffentliche Ermächtigung‘). Die Bestrafung mittels vincire92 lässt sich als Strafart im römischen Heer durch kein Beispiel belegen; vielleicht liegt bei der Fesselung, zumindest was ihre Stellung zwischen animadvertere und verberare anbelangt, ein germanischer Hintergrund vor (dass die Fesslung als schändlich galt, geht auch aus c. 31,2 hervor: fortissimus quisque ferreum insuper anulum, ignominiosum id genti, velut vinculum gestat ‚die Allertapfersten tragen außerdem – bei diesem Volk [= den Chatten] eigentlich eine Schande – einen eisernen Fingerring gleichwie eine Fessel‘); vgl. auch c. 39,2: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur ut minor et potestatem numinis prae se ferens ‚nur in Fesseln gebunden darf man ihn [= den heiligen Hain der Semnonen] betreten, gleichsam als Unterlegener, an dem sich die Übermacht der Gottheit offenbart‘). Die Bestrafung durch verberare ist im römischen Heer die gebräuchlichste; vgl. Tac. ann. 1,23,3: et centurio Lucilius interficitur, cui militaribus facetiis vocabulum ›Cedo alteram‹ indiderant, quia fracta vite in tergo militis alteram clara voce ac rursum aliam poscebat ‚Der Zenturio Lucilius wurde niedergemacht; ihm hatten sie mit einem Soldatenwitz den Spitznamen ››Noch einen!‹‹ beigelegt, weil er, wenn er seinen Stock auf dem Rücken eines Soldaten zerschlagen hatte, mit lauter Stimme einen zweiten und wiedern einen neuen zu fordern pflegte‘. Alle drei Strafarten finden sich auch bei Cic. Verr. 5,170: facinus est vincire civem Romanum, scelus verberare, prope paricidum necare ‚es ist eine Missetat, einen römischen Bürger zu fesseln, ein Verbrechen, ihn auszupeitschen, geradezu ein Meuchelmord, ihn zu töten‘. nisi sacerdotibus permissum] Mit dem Wort sacerdos ist derjenige gemeint, der eine heilige Handlung veranstaltet, wobei es unwichtig ist, welche Art von Handlungen er im Einzelnen ausführt. sacerdos stellt somit einen Oberbegriff dar. Eine strafrechtliche Funktion – allerdings in Friedenszeiten – hat der Priester auch nach c. 11,2: silentium per sacerdotes, quibuscum et coercendi ius est, imperatur ‚die Priester, die auch das Recht zu Zwangsmaßnahmen haben, befehlen Ruhe‘.93 93 Da die Motivation der Bestrafung hier und in c. 11,2 eine unterschiedliche ist, vermag die Behauptung von Much 1967: 159, dass die Volksversammlung mit der Heeresversammlung ”wesentlich eins ist. kaum überzeugen. 94 Perl 1990: 154. 95 Dagegen auch etwa Anderson 1997: 69; Rives 1999: 151. 96 Vgl. Casaretto 2004: 258. Diese Aussage steht in Widerspruch zur Angabe bei Caes. Gall. 6,23,4: cum bellum civitas aut inlatum defendit aut infert, magistratus qui ei bello praesint et vitae necisque habeant potestatem deliguntur ‚wenn sich ein Stamm in einem Krieg verteidigt oder einen Krieg beginnt, wählen sie Beamte, die den Oberbefehl übernehmen und Gewalt über Leben und Tod haben‘. Ob dies tatsächlich eine Folge einer gewachsenen Bedeutung der Priester ist, wie Perl annimmt,94 ist jedoch äußerst unsicher.95 Ebenfalls steht dies in Gegensatz zu den römischen Armeepraktiken (s.o.). Zur Bezeichnung des Priesters (s. auch c. 11,2) verwenden die germ. Sprachen das Wort got. gudja, run. gudija (Stein von Nordhuglen, ca. 400), run.-dän. kuþi (Steine von Helnæs und Flemløse, ca. 800), gode (Stein von Glavendrup), aisl. goði, aschwed. guþi < urgerm. *gud.an- ,Priester‘, eine Ableitung von urgerm. *guda- ‚Gott‘ (> got. guþ, ahd. got, as. ae. afr. god, aisl. guð, goð).96 Die Ableitung *gud.an- bezeichnet denjenigen, ,dessen Tätigkeit sich auf das Gebiet eines *guda-, eines Gottes erstreckt‘. Die genauere Funktion lässt sich nicht bestimmen. non quasi in poenam nec ducis iussu, sed velut deo imperante] Da die Bestrafung religiös begründet ist, liegt ein anderes Motiv vor als in c. 12,1, wo es sich um ein ordentliches Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher und Kriegsverweigerer handelt. Der religiöse Hintergrund ist auch die Ursache dafür, dass nicht der Heerführer die Bestrafung ausführt, sondern der Priester.97 Dagegen ist die Behauptung von Perl, dass sich die Zuständigkeit der sacerdotes hier ”aus der Anwesenheit der Götterbilder leitet.,98 wohl kaum zutreffend, da mit effigies und signa (s.u.) keine Götterbilder gemeint sind. Da der Priester Bestrafungen ausführen kann, scheint ihm ein wohl seitens der Gottheit verliehenes imperium zugesprochen zu sein. Much nimmt infolgedessen auch an, dass die Todesstrafe einen ”religiösen Charakter. hatte.99 Die Funktion des Priesters als Strafausführer (ob er auch als Ankläger oder Richter auftritt, geht aus dem Text nicht hervor) könnte jedoch auch rein praktische Gründe, etwa die Vermeidung von Fehden innerhalb eines Stammes, haben.100 Von anderen wird denn auch, wohl zu Recht, angenommen, dass die Begründung (wie häufiger in der Germania) auf Tacitus selbst zurückgeht, mithin keine germanischen Realien vorliegen.101 Wie die Zufügung non quasi in poenam zeigt, scheint es sich um kein ordentliches Gerichtsverfahren gehandelt zu haben. Nicht gesichert ist, ob ein im Triumphzug mitgeführter Priester der Chatten (Strab. Geogr. 7,1,4 p. 292C: .p.µpe..e d. .a. ..ß.., t.. F.tt.. .epe.. ‚an dem Zug nahm auch Libes, ein Priester der Chatten, teil‘) bei einer Schlacht oder erst später gefangen genommen wurde. quem adesse bellantibus credunt] Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 14,35,2: adesse tamen deos iustae vindictae ‚doch zur Stelle seien die Götter, um gerechte Rache zu üben‘. 97 Inwieweit hier ”eine Art frommen Betrugs des Volkes. vorliegt (Gudemann 1916: 81; ähnlich Much 1967: 159-160), bleibt dabei offen. Dagegen spricht sich etwa Perl 1990: 155 aus: ”es ist daher verfehlt, trotzdem anzunehmen, daß die Priester den Strafvollzug im Auftrag des dux ausübten.; jedoch ist sein Argument (”die geringe Bedeutung von Befehlen.) nicht unbedingt stichhaltig. 98 Perl 1990: 154. 99 Much 1967: 159. 100 So etwa Schweizer-Sidler 1923: 21. 101 Gudemann 1916: 81: ”Es ist daher mehr als zweifelhaft, ob eine derartige Begründung auf tatsächliche, dem T. irgendwie erreichbare Erkundigung zurückgeführt werden darf. Viel wahrscheinlicher ist, daß wir es auch hier nur mit einer jener zahlreichen idealisierenden Schlußfolgerungen des Verfassers zu tun haben.; Perl 1990: 155: ”Die Begründung für die Tätigkeit der Priester … ist eine typisch römische Interpretation, die eigenen Vorstellungen entsprach. (dagegen offen gelassen von Anderson 1997: 69). 102 So u.a. Müllenhoff 1900: 199-200; Schweizer-Sidler 1923: 21. 103 So etwa Gudeman 1916: 31; Rives 1999: 80: ”supports.. adesse wird von einigen als ‚gegenwärtig sein‘ aufgefasst,102 von anderen dagegen als ‚hilfebringend anwesend sein‘.103 Da jedoch die Anwesenheit einer Gottheit beim Kampf kaum neutral vorstellbar ist, scheint letztere Variante näher zu liegen;104 zur Vorstellung vgl. Tac. hist. 5,17,2: Rhenum et Germaniae deos in aspectu: quorum numine capesserent pugnam ‚den Rhein und Germaniens Götter hätten sie [= Germanen] vor Augen: unter ihrem Schutz sollten sie den Kampf aufnehmen‘. Da es sich hier mehr um einen kriegerischen Kontext handelt, wird sich hinter der Gottheit wohl der Kriegsgott verbergen (vgl. c. 9,1), obwohl sicher auch – unter gegebenen Umständen – andere Gottheiten in Frage kommen können; vgl. z.B. aus späterer Zeit Ad. Brem. 4,22: si quando vero preliantes in angustia positi sunt, ex multitudine deorum, quos colunt, unum invocunt auxilio; ei post victoriam deinceps sunt devoti illumque ceteris anteponunt ‚doch wenn sie [= die Schweden] im Kampfe in Bedrängnis geraten, rufen sie aus der Menge der Götter, die sie verehren, einen um Hilfe an. Ihm sind sie dann nach dem Siege verpflichtet, und ihn stellen sie über die anderen‘. In nordgermanischen Mythen können denn auch mehrere Gottheiten wie Oðinn, Freyr, Fryja und Tyr im Kampf erscheinen. 104 Vgl. zu adesse in dieser Bedeutung auf Götter bezogen ThLL II: 924,47-925,4. Die Vorstellung, dass die Götter in der Schlacht anwesend sind und eingreifen, ist eine alte – vielleicht indogermanische – Vorstellung. So greifen bei Homer die griechischen Götter ständig ein, eine Ansicht, die auch den Römern schon in griechischer Nachfolge geläufig ist (vgl. etwa Il. Lat. 394-395: bellica Pallas adest … arma adiuuuat ‚die Kriegs-Pallas ist anwesend … wird die Waffen unterstützen‘; Stat. Theb. 3,313: adero et socia arma iuvabo ‚ich werde anwesend sein und den verbündeten Waffen helfen‘; ds. silv. 3,1,112: ipse adero et conamina tanta iuvabo ‚ich werde selbst da sein und dieses große Unternehmen fördern‘). Auch Wodan kann entscheiden, wer die Schlacht gewinnt (vgl. Paul. 1,8: quod accedentes Wandali ad Godan victoriam de Winilis postulaverint, illeque responderit, se illis victoriam daturum quos primum oriente sole conspexisset. tunc accessisse Gambaram ad Fream, uxorem Godan, et Winilis victoriam postulasse, Freamque consilium dedisse, ut Winilorum mulieres solutos crines erga faciem ad barbae similitudinem componerent maneque primo cum viris adessent seseque a Godan videndas pariter e regione, qua ille per fenestram orientem versus erat solitus aspicere, collocarent. atque ita factum fuisse. quas cum Godan oriente sole conspiceret, dixisse: ‚qui sunt isti longibarbi?‘. tunc Fream subiunxisse, ut quibus nomen tribuerat victoriam condonaret. sicque Winilis Godan victoriam concessisse. haec risu digna sunt et pro nihilo habenda. victoria enim non potestati est adtributa hominum, sed de caelo potius ministratur ‚die Wandalen seien vor Godan getreten und haben bei ihm um Sieg über die Winniler gefleht: er habe geantwortet, daß er denen den Sieg verleihen wolle, die er zuerst bei Sonnenaufgang erblicke. Darauf sei Gambara vor Frea, Godans Gemahlin, getreten und habe bei ihr um Sieg für die Winniler gefleht. Frea habe den Rat erteilt, die Weiber der Winniler sollten ihr Haar wie ein Bart ins Gesicht hängen lassen, dann in aller Frühe mit ihren Männern auf dem Platze sein und sich zusammen da aufstellen, wo Godan sie sehen müssen, wenn er wie gewöhnlich aus dem Fenster gen Morgen schaue. Und so sei es auch geschehen. Als sie Godan bei Sonnenaufgang erblickte, habe er gefragt: ”Wer sind diese Langbärte?. Da sei Frea eingefallen, er solle denen den Sieg verleihen, welchen er jetzt selbst den Namen gegeben. Und so habe Godan den Winnilern den Sieg verliehen. Das ist indes lächerlich und nichst wert; denn nicht in der Gewalt der Menschen liegt der Sieg, vielmehr kommt er vom Himmel‘; Orig. g. Lang. 1: tunc ambri et assi, hoc est duces wandalorum, rogaverunt godan, ut daret eis super winniles victoriam. Respondit godan dicens: „quos sol surgente antea videro, ipsis dabo victoriam. … tunc luciscente sol dum surgeret, giravit frea, uxor godan, lectum ubi recumbebat vir eius, et fecit faciem eius contra orientem, et excitavit eum … et ait: „qui sunt isti longibarbae.? et dixit frea ad godan: „Sicut dedisti nomen, da illis et victoriam.. et dedit eis victoriam, ut ubi visum esset vindicarent se et victoriam haberent ‚da baten Ambri und Assi, die Herzöge der Wandalen, Godan, daß er ihnen den Sieg über die Winniler gäbe. Godan antwortete und sprach: ‚die ich bei Sonnenaufgang zuerst sehen werde, denen will ich den Sieg geben‘ … Da ging, als der Himmel hell wurde und die Sonne aufgehen wollte, Frea, die Frau Godans, um das Bett, in dem ihr Mann lag, und richtete sein Antlitz gen Morgen und weckte ihn auf … und er sprach: ”Wer sind diese Langbärte?. Da sprach Frea zu Godan: ”Herr, du hast ihnen den Namen gegeben, so gib ihnen nun auch den Sieg.. Und er gab ihnen den Sieg‘). 2 effigiesque et signa quaedam – in proelium ferunt]105 -que steht im Sinne von ideoque,106 da das Nachfolgende seine Erklärung in der vorgestellten Anwesenheit der Götter findet. Das Subjekt zu ferunt ist allgemein ‚die Germanen‘, da es parallel zum vorhergehenden credunt steht. 105 Das nur in den Hss. WET fehlende -que (vgl. Robinson 1991: 207) ist lediglich einer Auslassung zuzuschreiben. 106 Zu diesem Gebrauch vgl. Kühner – Stegmann II,2: 13. Obwohl der direkte Kontext auch die Deutung zuließe, dass es sich bei den effigies und signa107 um Götterabbilder handelt, geht aus dem Vergleich mit c. 9,2 (deos neque in ullam humani oris speciem assimulare ‚noch ihnen irgendwie menschliche Gesichtszüge geben dürfe‘) hervor, dass das nicht gemeint sein kann.108 Was unter signa zu verstehen ist, wird aus c. 9,1 deutlich, wo ein Liburnerschiff als signum der Isis genannt wird. Es sind somit Attribute der Gottheit.109 Dasselbe meint wohl auch Caes. Gall. 4,15,1: Germani post tergum clamore audito cum suos interfici viderent, … signisque militaribus relicits ‚als die Germanen das Geschrei hinter sich hörten und sahen, wie die Ihren getötet wurden, … ließen ihre Feldzeichen im Stich‘. 107 Wenig wahrscheinlich ist die Annahme, dass es sich bei effigies und signa um ein Hendiadyion handelt (so Perl 1990: 87: ”Bildsymbole.; als Möglichkeit von Rives 1999: 152 in Betracht gezogen). 108 Aus diesem Grund modifiziert Perl 1990: 156 denn auch seine Aussage über Götterbilder (S. 154): ”Es wird sich wohl um Bilder der den Göttern heiligen Tiere als Feldzeichen handeln.. 109 Die Beschränkung auf Waffen, die einer Gottheit zugesprochen werden (so etwa Benario 1999: 72; offenbar auch Anderson 1997: 69) ist demnach nicht richtig. Nicht mit diesen signa will dagegen Gudeman 1916: 82 das signum der Isis ”weil nicht im Krieg verwendet. gleichstellen. 110 Das vexilium war eine lange, gerade Stange aus Holz mit einem kurzen Querholz, an dem ein buntes, viereckiges Tuch befestigt war. 111 Vgl. auch Sörbom 1935: 19. 112 Vgl. hierzu aus der nordgermanischen Religion den Raben Wodans oder die Ziege Thors (vgl. de Vries 1956- 1970: II,6-7). Die signa der Germanen werden, da sie in der Verwendung offenbar eine ähnliche Funktion hatten, den römischen Heeresfahnen, den vexilia,110 in etwa gleichgesetzt; vgl. Tac. ann. 2,45,2: quippe longa adversum nos militia insueverant seque signa ‚denn durch die langen Kriege gegen uns hatten sie sich daran gewöhnt, den Feldzeichen zu folgen‘. Im römischen Heer hießen alle Fahnen, im engeren Sinne die Manipelstandarten, signa. Unter effigies sind wohl ferarum imagines gemeint, über die Tac. hist. 4,22,2 berichtet: inde depromptae silvis lucisque ferarum imagines, ut cuique genti inire proelium mos est ‚dort die aus Wäldern und Hainen hervorgeholten Bilder von wilden Tieren – so ist es bei jedem Stamm dort Brauch, in den Krieg zu ziehen‘.111 Es sind somit wohl der Gottheit heilige oder zugesprochene Tiere.112 Eine genauere Vorstellung dürfte, wie aus dem zugefügten quaedam hervorgeht, Tacitus kaum gehabt haben. Von einem durch die Kimbern mitgebrachten Stier berichtet auch Plut. mar. 23,6: .µ..a.te. t.. .a..... ta.p.., .. ..tep.. ....ta µet. t.. µ.... ‚man beschwor den Vertrag bei einem ehernen Stier, der später … wieder gefunden wurde‘. Für das (Feld)zeichen kennt das Germanische das Wort ahd. khumpal- (in khumpalporun ‚Zeichenträger‘), as. cumbal, ae. cumbol, aisl. -kuml (in herkuml ‚Kriegszeichen [auf Schild und Helm]‘ < urgerm. *kumbla-.113 detracta lucis] Zur Verehrung der Götter in Hainen vgl. c. 9,2. 113 Die weitere Etymologie ist unklar. 114 Die von Lund 1988: 135 ebenfalls angeführte Parallele Tac. agr. 20,2 passt nicht hierher, da sich hier im Codex Hersfeldensis inritamenta korr. in irritamenta findet (vgl. Till 1943: 33); incitamenta beruht somit nur auf einer Konjektur. 115 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 27-28. 116 Vgl. ThLL IV: 283,9-10. 117 Vgl. ThLL IV: 283,56-74. 118 Lund 1988: 135. 119 Vgl. auch die Übersetzung von Lund 1988: 77: ”also keine ganz zufällige Schar.. quodque praecipuum fortitudinis incitamentum est] Zum Ausdruck vgl. Tac. Agr. 32,2: omnia victoriae incitamenta ‚jedweder Anreiz zum Sieg‘.114 -que schließt einen Satz an, der inhaltlich zum Vorhergehenden in einem gewissen Gegensatz steht.115 Der appositionelle Relativsatz bezieht sich auf das nachfolgende non casus – facit. non casus nec fortuita conglobatio] Zur Folge casus nec foruita vgl. c. 10,1: temere ac fortuito ‚aufs geratewohl, wie es sich trifft‘. fortuita conglobatio ist eine nähere Beschreibung des allgemeinen Begriffes casus. Das Wort conglobatio, von Menschen gebraucht, kommt nur hier vor;116 jedoch wird das Verb conglobare häufig von Soldaten verwendet.117 Nach Lund betont das Wort conglobatio ”die fehlende Ordnung in den Schlachtreihen der Germanen.,118 was kaum zutrifft, da die conglobatio eben nicht casus und fortuita, also kein zusammengewürfelter Haufen, ist.119 turmam aut cuneum facit] Das Wort turma, das ‚Schwarm, Haufen‘ bedeutet, wird in der römischen Militärsprache für eine Schwadron gebraucht, die im römischen Heer die kleinste Einheit der Kavallerie war; vgl. Veg. mil. 2,14: quemadmodum inter pedites centuria uel manipulus appellatur, ita inter equites turma dicitur ‚gleichwie unter den Fußsoldaten die Zenturie oder der Manipel benannt wird, so wird unter den Reitern Turma gesagt‘. Sie bestand anfangs aus dreißig Mann, wurde unter Hadrian dann auf dreiunddreißig Reiter erhöht. Die militärische Bedeutung ist hier anzunehmen, da cuneus ebenfalls aus der Militärsprache stammt (s. c. 6,4). Nicht sicher kann aus dem Text geschlossen werden, dass mit turma die Reitertruppe gemeint ist, der die centeni (c. 6,3) beigestellt wurden. sed familiae et propinquitates]120 Mit dem Wort familia wird die kleinste wirtschaftliche Einheit im römischen Reich unter der Leitung des pater familias bezeichnet. familia ist zunächst ein Personen-, später auch ein Vermögensbegriff. Zur familia gehören somit erstens alle Personen, die dem pater familias unterstehen (Frau, Kinder, abhängige Freie), die Mitglieder einer gens, die ein gemeinsames cognomen führen, und alle zum Hause gehörigen Sklaven, später dann auch der gesamte Besitz dieser Personen. Da Tacitus in Zusammenhang mit familia kein einziges Mal von Besitzverhältnissen spricht, ist hier von einem Personenbegriff auszugehen. Das Wort propinquitates (das Wort kommt in der Germania nur an dieser Stelle vor) ist eine Adjektivabstraktum zu propinqui. Der Singular propinquitas bezeichnet mithin primär ,die Verwandtschaft‘ und erst sekundär, metonymisch verwendet, ,die Verwandten‘. 120 Anstelle von et der allermeisten Hss. lesen die Hss. bB aut (vgl. Robinson 1991: 195; nach Tross 1841: 7 in b korr. in et). Es ist wohl durch vorhergehendes aut in turmam aut cuneum bedingt. 121 So etwa Baumstark 1875: 367; Schweizer-Sidler 1923: 22; Reeb 1933: 26; Much 1967: 161; Lund 1988: 135; Anderson 1997: 70; Rives 1999: 80; Benario 1999: 73. 122 Gudemann 1916: 82-83: ”familia … ist also der weitere Begriff, nicht propinquitates, das hier demnach nur um ein mögliches Mißverständnis zu vermeiden hinzugefügt wurde.; Perl 1990: 156: ”familiae et propinquitates … ist ein einheitlicher Begriff, in dem der erste, unbestimmte Ausdruck durch den zweiten definiert wird … Da familia in der ,Germania‘ nur für die Hausgenossenschaft … oder speziell für die Sklavenschaft … gebraucht, macht er durch den Zusatz propinquitates deutlich, daß familia hier in einem andern Sinn gemeint ist, nämlich im verwandtschaftlichen Sinn“; als Möglichkeit auch Müllenhoff 1900: 201. 123 Perl 1990: 156. 124 Perl 1990: 156. 125 Sie ist allerdings wegen der möglichen Bedeutung von gens = ,Sippschaft‘ nicht zwingend. Es ist merkwürdig, dass Perl für diese Stelle keine andere Bedeutung von gens zulässt, obwohl er um die weite Bedeutungsspanne von Wörtern dieser Art weiß (Perl 1990: 70: ”Auch bei den Termini auf dem Gebiet der Es ist umstritten, wie die Fügung familiae et propinquitates genau zu deuten ist. Von den meisten wird familia als der engere Begriff, propinquitates als der weitere aufgefasst. familia sei somit die Hausgemeinschaft, propinquitates wären die Verwandtschaften oder Sippen.121 Dagegen nehmen Gudemann und Perl an, dass der Begriff familia durch die Hinzufügung von propinquitates erst definiert würde,122 so dass et epexegetisch aufzufassen sei.123 Perl versucht, diese Auffassung mit einem Beleg aus Caes. Gall. 6,22,2 zu stützen: sed magistratus ac principes in annos singulos gentibus cognationibusque hominum … agri adtribuunt ,jeweils für ein Jahr weisen die Stammesleitung und die führenden Männer den Sippen, Großfamilien und anderen Genossenschaften ein Stück Land zu‘. cognationibus sei hier zu gentibus hinzugefügt, ”um deutlich zu machen, daß damit hier ausnahmsweise nicht ,Stämme‘ gemeint sind..124 Diese Interpretation mag für die betreffende Caesar-Stelle richtig sein,125 sagt aber für den Beleg in c. 7,2 nichts aus, da hier einerseits nicht das Wort cognatio gesellschaftlichen Differenzierung muß man einerseits den Bedeutungsumfang eines Wortes beachten.). 126 Das Wort cognatio bezeichnet die Verwandtschaft durch Geburt, die Blutsverwandtschaft. 127 Perl 1990: 156. 128 Man vgl. Much 1967: 161: ”Nur ein weiterer Verwandtenkreis war imstande, gelegentlich eine turma oder einen cuneus zu stellen.. Dass zumindest cuneus eine größere Gruppe ist, nimmt auch Perl selbst an (Perl 1990: 151: ”cuneus ist allgemeiner terminus technicus … für die einzelnen germanischen Heerhaufen von großer Tiefe.). Lund 1988: 135 nimmt dagegen an, dass familiae hier für gentes steht, also wohl die Bedeutung ”eine Bevölkerungsgruppe als Geschlecht betrachtet. (S. 40) hat (in Gegensatz dazu fährt er dann allerdings fort: ”Es ist nämlich eine bemerkenswerte Tatsache, daß das Wort gens in der Germania in der Bedeutung Geschlecht im engeren Sinne nicht vorkommt.). Das dürfte wiederum für familia eine zu große Gruppe ergeben. 129 Fehrle – Hünnerkopf 1959: 79 schlugen vor, das Wort propinquitates aufzufassen als ”Gruppen von Familien …, die durch Verwandtschaft, Nachbarschaft oder Zusammengehen beim Wandern und Siedeln sich enger zusammengeschlossen haben.. Es ist zwar nicht zu beweisen, dass solche Gründe für Zusammenschlüsse bei den Germanen an dieser Stelle tatsächlich dafür ausschlaggebend gewesen seien, dass Tacitus hier das Wort propinquitas und nicht propinqui gewählt hat. Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass Tacitus, hist. 1,88,1 das Wort propinquitas ähnlich verwendet: sepositus per eos dies Cornelius Dolabella in coloniam Aquinatem ... vetusto nomine et propinquitate Galbae monstratus ,abgeschoben wurde in diesen Tagen Cornelius Dolabella in die Koloniestadt Aquinum … wegen seines alten Namens und seiner Verwandtschaft mit Galba allgemein bekannt‘. Dolabella war wahrscheinlich nicht mit Galba verwandt; er wurde dem Galba als Adoptionskandidat vorgeschlagen (vgl. Chilver 1979: 157). hinzugefügt,126 andererseits bei Caesar die enge Verbindung durch -que angezeigt ist, während sich hier et findet. Eine Erweiterung durch den propinquitates nahe verwandten Begriff propinqui mittels et kommt in der Germania jedoch ein weiteres Mal vor, nämlich in c. 18,2: parentes et propinqui ‚Eltern und Verwandte‘, wo außer Zweifel steht, dass parentes der engere Begriff ist. In Analogie hierzu dürfte familia also ebenfalls einen engeren Begriff als propinquitates darstellen. Auch scheint die von Perl angenommene Bedeutung von familia ”im verwandtschaftlichen Sinn.127 hier aus einem sachlichen Grund nicht recht zu passen. Es könnte sich dann nämlich nur um die Verwandten innerhalb einer bestimmten familia handeln, also um Verwandte, die sich um einen pater familias scharen. Das heißt, dass der pater familias selbst und seine Söhne eine turma oder einen cuneus hätten bilden können. Da eine turma zunächst aus 30, seit Hadrian aus 33 Mann bestand, kann dies wohl kaum möglich sein. Es muss mithin eine größere Gruppe gemeint sein, die man nur erhält, wenn familiae und propinquitates Verschiedenes bezeichnen.128 Aus diesem Grund wird man in familia die Unterabteilung einer gens sehen, wobei jedoch unklar bleibt, ob familia hier in dem engen Sinn von ,Verwandten, die sich um den pater familias scharen‘ verwendet wird oder ob auch Sklaven, die zur familia gehören, in der turma oder im cuneus stehen. Demgegenüber sind die propinquitates die Verwandten, die nicht im Haus(verband) des pater familias wohnen.129 Die Aufstellung der Schlachtreihe nach familiären Bindungen findet sich später für Franken und Langobarden noch bei Maurik. takt. 10,4: t.....ta. d. .. ta.. µ..a.. … .at. f.... .a. t. pp.. ........ ....e.e.. te .a. pp..pa.e.. ‚sie stellen sich in den Schlachten auf nach Geschlechtern und der gegenseitigen Verwandtschaft und Freundschaft‘. Diese Aufstellungsweise ist nicht auf die Germanen beschränkt, sondern findet sich als Rat des Nestors bereits bei Hom. Il. 2,362-363: .p..’ ..dpa. .at. f..a, .at. fp.tpa., ...µeµ..., / .. fp.tp. fp.tp.f.., .p..., f..a d. f..... ‚sondere die Mannen alle nach Stamm und Geschlecht, Agamemnon, daß die Geschlechter einander helfen, die Stämme den Stämmen‘. Für den Begriff ‚Familie(nverband)‘ kennen die germ. Sprachen folgende Wörter: a. got. gards < urgerm. *gardi-,130 dessen Grundbedeutung als ‚umzäuntes Grundstück‘ anzusetzen ist.131 Daneben kam aber wohl recht frühzeitig die metonymische Bedeutung ‚Familie‘ vor, da das zweimal bezeugte got. Kompositum gardawaldands ‚Hausherr‘ in einer Situation verwendet wird, wo der ‚Herr‘ zu seinem ‚Diener‘ spricht, der gardawaldands somit der Herr des Hauswesens ist.132 130 Vgl. den danebenstehenden a-St. ahd. gart, as. gard, ae. geard, aisl. garðr < urgerm. *garda- ‚Zaun, Garten, Hof‘ und den n-St. got. garda*, ahd. garto, as. gardo, afries. garda < urgerm. *gardan- ‚Viehhof, Garten‘. 131 Vgl. Meringer 1904: 140. 132 Vgl. Ulrich 1995: 63: ”Seine Funktion als Herr über die Knechte und Diener … wurde mit gardawaldands umschrieben.. Nicht zutreffend ist somit Benveniste 1969: 1,336: ”Le gotique sépare la ‚maison‘ comme lieu d’habitation et domaine clos (gards) ….. 133 Vgl. Ilkow 1968: 354. 134 Vgl. zum Plural eines Abstraktums in konkretem Sinne Kühner – Stegmann II,1: 81-82. b. ahd. hiwisci, as. hiwiski, ae. hiwisc, afr. hiskthe, aisl. hýski < urgerm. *.i.isk.a- ‚Familie, Hausgenossenschaft‘, eine Ableitung von urgerm. *.i.an- ‚Hausgenosse, Gatte‘ (> got. heiwa- [in heiwafrauja ,Hausherr‘], ahd. hi(w)o, mndl. hie). Die Bedeutung, die zwischen ,Familie‘ und ,Hausgenossenschaft‘ schwankt, zeigt, dass urgerm. *.i.isk.a- alle Personen bezeichnet, die zum Haus gehören.133 et in proximo pignora] Tacitus bewegt sich von der Aufstellung der Schlachtreihe zur Positionierung der Angehörigen hin. Unter den pignora134 sind – wie das Nachfolgende zeigt – die Ehefrauen und Kinder zu verstehen (pignora können jedoch auch weitere Kreise umfassen; vgl. Tac. ann. 16,26,3: ne in coniugem, in filiam, in cetera pignora eius saeviret ‚daß er [= Nero] an seiner Gattin, an seiner Tochter, an den übrigen nächsten Angehörigen seine Wut auslasse‘). Die Aufstellung der nicht kämpfenden Familienangehörigen in der Nähe findet dann statt, wenn das ganze Volk zum Krieg aufbricht (vgl. Caes. Gall. 4,14,5: at reliqua multitudo puerorum mulierumque – nam cum omnibus suis domo excesserant Rhenumque transierant – passim fugere coepit ‚die übrige Menge aber, die aus Frauen und Kindern bestand, denn die Germanen waren mit ihrer gesamten Bevölkerung aus der Heimat ausgezogen und über den Rhein gekommen, flüchtete sofort nach allen Richtungen‘; vgl. ebenso die Mitnahme der Frauen und Kinder beim Auszug der Kimbern und Teutonen [s. c. 6,4]) oder aus besonderen Anlässen (vgl. Caes. Gall. 1,51,3: eo mulieres imposuerunt, quae ad proelium proficiscentes passis manibus flentes implorabant, ne se in servitutem Romanis traderent ‚auf die Wagen stellten sie [= die Germanen] die Frauen, die beim Aufbruch des Heeres in die Schlacht die Soldaten mit ausgebreiteten Armen unter Tränen anflehten, sie nicht in römische Knechtschaft geraten zu lassen‘; Tac. hist. 4,18,2: matrem suam sororesque, simul omnium coniuges parvosque liberos consistere a tergo iubet, hortamenta victoriae vel pulsis pudorem ‚dann befahl er [= Civilis] seiner Mutter, seinen Schwestern und zugleich den Gattinnen von allen samt ihren kleinen Kindern, sich hinter der Schlachtlinie aufzustellen: als Ansporn zum Sieg oder für die Geschlagenen zur Beschämung‘). Demgegenüber werden sie denn auch nach Caes. Gall. 4,19,2 bei den Sueben versteckt: uti de oppidis demigrarent, liberos uxoresque suaque omnia in silvis deponerent ‚die Städte zu verlassen und Frauen, Kinder und allen Besitz in die Wälder zu schaffen‘. unde feminarum ululatus audiri, unde vagitus infantium] unde wird von Lund als ”a quibus. erklärt.135 Zwar ist zutreffend, dass unde anstelle des Relativpronomens verwendet werden kann,136 jedoch schließt sich unde hier wohl besser an die Örtlichkeit in proximo an. Die pignora sind so positioniert, dass die Kämpfenden sie hören können. 135 Lund 1988: 135. 136 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 284-285. 137 Die Emendationsvorschläge sind bei Müllenhoff 1900: 203 aufgelistet. 138 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 135-138. Die einhellig bezeugte Lesart audiri, welche früher für verdächtig gehalten und deswegen emendiert wurde,137 ist ein Inf. descriptivus (historicus), wobei die in ihm enthaltene Zeitstufe durch den Zusammenhang bestimmt wird138 (vgl. zu diesem relativen Gebrauch etwa c. 30,2: praeponere electos, audire praepositos, nosse ordines, intellegere occassiones, differre impetus, disponere diem, vallare noctem ‚sie machen erlesene Männer zu Befehlshabern, ordnen sich diesen Befehlshabern unter, kennen militärische Aufstellung, wissen die Gelegenheit zu nutzen, verschieben das Losschlagen, stellen bei Tag Wachen auf, verschanzen sich bei Nacht‘). Die Setzung wird durch Verg. Aen. 6,557: hinc exaudiri gemitus ‚Stöhnen drang von hier herauf‘ und ebd. 7,15: hinc exaudiri gemitus ‚laut ertönt von dort das … Stöhnen‘ beeinflusst sein.139 139 Vgl. Müller-Graupa 1918. 140 Vgl. hierzu Baumstark 1875: 385 141 So etwa Baumstark 1875: 379-380; Müllenhoff 1900: 206; Gudeman 1916: 83; Reeb 1933: 27; Much 1967: 163; Anderson 1997: 70. 142 So u.a. Lund 1988: 135. 143 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 57. 144 Lund 1988: 136. 145 So auch Gudeman 1916: 83. Die beiden Wortpaare feminarum ululatus und vagitus infantium stehen chiastisch (so wie das ganze Ende des 7. Kapitels rhetorisch geschmückt ist; vgl. noch die Anaphora unde – unde, hi – hi, ad – ad).140 Die Wörter ululatus und vagitus werden auch von Hier. in is. 13,13 miteinander verbunden: vagitum leonis et ululatum ‚den Lärm und das Geschrei des Löwen‘. Das Geschrei der Frauen und Kinder ist eine Anfeuerung für die Kämpfenden (unabhängig davon, ob es ein aktiver Beitrag zum Kampf oder eher als Angstgeschrei zu verstehen ist); vgl. Tac. hist. 4,18,3: ut virorum cantu, feminarum ululatu sonuit acies ‚als die Schlachtreihe vom Kriegsgesang der Männer und dem Geheul der Weiber erdröhnte‘; zu anspornenden Lautäußerungen vgl. auch Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: .. d. t... ...... .t.pt.. t.. ß.p.a. t.. pep.tetaµ..a. t... ..pp... t.. .pµaµa..., ..t’ .p.te.e...a. ..f.. ..a..... ‚während der Kämpfe schlugen sie [= die kimbrischen Frauen] auf die Häute, mit denen das Flechtwerk der Wagen bespannt ist, so dass ein ungeheurer Lärm erzeugt wurde‘. hi cuique sanctissimi testes, hi maximi laudatores] Die Wörter testis und laudator sind auch verbunden bei Cic. p. red. ad Quir. 16: sed etiam rerum mearum gestarum auctores, testes, laudatores fuerunt ‚und dabei meine Leistungen bestätigt, bezeugt und gepriesen‘; Plin. paneg. 15: vulnera, quibus statim et laudator et testis contegisti ‚die Wunden, die du sofort als Lobredner und Augenzeuge berührtest‘. Undeutlich ist, auf wen sich hi bezieht, nur auf die Frauen,141 was dem Inhalt besser entsprechen würde, da im Folgenden von den Kindern keine Rede mehr ist, oder sowohl auf die Frauen als auf die Kinder,142 was der Form hi mehr gerecht würde, da beim Pronomen, wenn es sich auf geschlechtlich unterschiedliche Wörter bezieht, das Maskulinum steht.143 Jedoch lässt sich die Form hi leicht als Attraktion (anstelle von hae) am Genus von testes verstehen. Der Einwand von Lund, dass dann eher laudatrices zu erwarten wäre,144 erscheint kaum stichhaltig. Denn zum einen ist die feminine Form laudatrix selten,145 zum anderen verwendet Tacitus in c. 28,4 ebenfalls eine maskuline Form (quamquam Romana colonia esse meruerint ac libentius Agrippinenses conditoris sui nomine vocentur ‚die [= Ubier] es indessen bis zur römischen Kolonie gebracht haben und sich gern nach dem Namen ihrer Gründerin Agrippinenser nennen‘), obwohl man von der Sache her das feminine conditrix hätte erwarten müssen. ad matres, ad coniuges vulnera ferunt] Die Junktur vulnera ferre ist dichterisch; vgl. Verg. Aen. 11,749: qua volnus letale ferat ‚um tödlich ihn zu verwunden‘; Ov. met. 4,498- 499: nec vulnera membris / ulla ferunt ‚dem Leibe schlagen sie keine Wunden‘ (vgl. auch c. 14,3: vulnera mereri ‚sich Wunden zu holen‘). Da die Mütter und die Ehefrauen die maximi laudatores sind, zeigen die Krieger ihnen ihre Verwundungen. Manche Kommentare nehmen an, dass ferunt im Sinne von ”for treatment. steht,146 da ”die Frauen … im Besitz der eng mit der Zauberei verknüpften Heilkunst. sind.147 Eine solche Interpretation wird aber, auch wenn sie der Sache nach wahrscheinlich erscheint, durch das Nachfolgende nicht nahe gelegt. 146 Anderson 1997: 70. 147 Schweizer-Sidler 1923: 22; vgl. auch Müllenhoff 1900: 206; Gudeman 1916: 84; Much 1967: 163; Perl 1990: 157; Anderson 1997: 70. 148 So u.a. angenommen von Baumstark 1875: 386; Gudeman 1916: 84; Much 1967: 163. 149 Vgl. Robinson 1991: 181, 187, 191; Perret 1997: 75. 150 Vgl. Maßmann 1847: 58. 151 So nehmen et u.a. auf Müllenhoff 1900: 206; Gudeman 1916: 84; Winterbottom – Ogilvie 1985: 41; Anderson 1997; Benario 1999: 20; dagegen aut u.a. Passow 1817: 11; Günther 1826: 12; Grimm 1835: 5; Tross 1841: 7; Maßmann 1847: 58; Holtzmann – Holder 1873: 34; Baumstark 1875: 382-383; Schweizer-Sidler 1923: 23; Halm 1930: 226; Reeb 1933: 27; Lenchantin de Gubernatis 1949: 8; Much 1967: 154; Koestermann 1970: 10; Önnerfors 1983: 6; Lund 1988: 76; Perl 1990: 86. 152 Kühner – Stegmann II,2: 103. 153 Vgl. zum Gebrauch Kühner – Stegmann II,2: 103; Löfstedt 1956: I,347-348 Anm. 3. 154 Das Argument von Gudeman 1916: 240: ”doch ist eine solche [= gute handschriftliche Gewähr] bei der Die Teilung in Mütter und Gattinnen könnte – falls nicht lediglich rhetorische Doppelung vorliegt – auf einen Unterschied zwischen unverheirateten und verheirateten Kriegern weisen.148 nec illae numerare aut exigere plagas pavent] In den Hss. ist sowohl aut in QbBETdvor wie nec übergeschr. aut in p, nec in tfa und in den restlichen et überliefert,149 von denen nec als lectio facilior (Übernahme des vorhergehenden nec bzw. Normalisierung zu nec … nec) aufzufassen ist. Ebenso wie in den frühen Drucken150 schwanken auch die neueren Ausgaben.151 Da et in der Regel dann gesetzt wird, ”wenn die verbundenen Wörter oder Satzteile zu einem Begriffe oder zu einer Einheit zusammengefaßt werden sollen.,152 hier numerare und exigere jedoch etwas Unterschiedliches sind, ist aut vorzuziehen,153 zumal es in den besseren Hss. bezeugt ist.154 ständigen Verwechselung von et, ac aut niemals benötigt. würde der Emendation Tür und Tor öffnen. 155 Zur nichtmedizinischen Bedeutung von exigere vgl. ThLL V,2: 1462,74-75. 156 Vgl. Sörbom 1935: 23. 157 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 675. Die Zählung und das Feststellen der Schwere155 der Wunden (im Vergleich zu anderen verletzten Personen) dient der Dokumentierung der Tapferkeit und der Ehrenhaftigkeit; zur Vorstellung vgl. Tac. dial. 37,8: nam quo saepius steterit tamquam in acie quoque plures et intulerit ictus et exceperit quoque maiores adversarios acrioresque pugnas sibi ipsa desumpserit, tanto altior et excelsior et illis nobilitata criminibus in ore hominum agit, quorum ea natura est, ut secura velint, ‚denn je häufiger die Beredsamkeit gleichsam in der Front gestanden, je mehr Hiebe sie ausgeteilt und empfangen hat, je stärkere Gegner und wildere Kämpfe sie sich selbst ausgesucht hat, umso höher, erhabener und eben durch jene Gefahren geadelt lebt sie im Munde der Menschen, deren Natur es ist, das Sichere zu wünschen und das Gefährliche zu bewundern‘. Dagegen können die Germanen in der aufmunternden Rede des Germanicus Wunden nicht vertragen (Tac. ann. 2,14,3: nulla vulnerum patientia ‚ganz unfähig, Wunden zu ertragen‘). Zum Ausdruck vgl. Quint. inst. 1,4,7: an cuiuslibet auris est exigere litterarum sonos? ‚oder hat etwa jeder das Ohr dazu, die Laute der Buchstaben zu prüfen?‘ Das Wort plaga steht der Variation halber statt vulnus. Zur Möglichkeit der Gleichstellung beider Wörter vgl. Cic. Verr. 5,134: mercedem vulneris atque plagae ‚einen Preis … für den Wundschmerz und den Todesstreich‘; Nep. eum. 4,2: ab hoc aliquot plagis Eumenes vulneratur, neque eo magis ex proelio excessit ‚trotz einiger Verletzungen aus diesem Treffen zog sich Eumenes nicht aus dem Gefecht zurück‘.156 Der Stolz auf große Wunden wird auch den Galliern zugesprochen, vgl. Liv. 38,21,10: interdum insecta cute, ubi latior quam altior plaga est, etiam gloriosus se pugnare putant ‚mitunter glauben sie sogar, sie kämpften ehrenvoller, wenn die Haut zerschnitten ist, sofern die Wunde mehr breit als tief ist‘. pavere ist mit Inf. konstruiert (vgl. bereits Ov. met. 1,386-387: pavetque / laedere iactatis maternas ossibus umbras ‚und scheut durch den Wurf der Gebeine den Schatten der Mutter zu kränken‘; öfters jedoch erst im späteren Latein).157 cibosque et hortamina pugnantibus gestant] Hier sind die aktiven Betätigungsfelder der Frauen genannt. In aller Regel wird das Wort hortamen im Sinne von hortatio verstanden.158 Jedoch ist das seltene und poetische Wort hortamen159 ein weiterer Begriff als ‚Ermunterung, Zuspruch‘, es sind ‚Ermunterungsmittel‘160 und steht damit eher im Sinne von hortamentum.161 Das Wort hortamen leitet dabei zu c. 8 über, wo ein Extremfall eines solchen hortamen näher ausgeführt wird.162 158 So etwa Lund 1988: 136; vgl. auch Reeb 1933: 27; Anderson 1997: 71. Die Verbindung cibosque et hortamina … gestant ist dabei als Zeugma aufzufassen (vgl. Kühner – Stegmann II,2: 566). Wenig wahrscheinlich ist die Annahme von Gudeman 1916: 84-85, 240-241, dass hortamen ausschließlich ‚Erfrischung, stärkendes Getränk‘ bedeute. Denn obwohl dies zu cibos harmonieren würde, ergäbe sich ein unüberwindbarer Bruch zum Anfang von c. 8 hin. 159 Vgl. ThLL VI,3: 3001,83: ”vox maxime peotica.. 160 So bereits Günther 1826: 12: ”hortamina] i.e. aliasque res et ipsa verba, quibus pugnantes ad fortitudinem adhortentur.. Vgl. auch das im ThLL VI,3: 3002,1 hinzugefügte Wort ”fere.. Bei dieser Annahme könnte unter hortamen sogar auch – jedoch nicht ausschließlich – das Erfrischungsgetränk verstanden werden, wie Gudeman wollte (s. Fn. 158). 161 So auch Anderson 1997: 71. 162 So auch Much 1967: 163. KAPITEL 8 1 Memoriae proditur] Mit memoriae fängt üblicherweise das 8. Kapitel an, was auch hier beibehalten ist, obwohl hier weder ein neues Thema beginnt noch das Folgende sich vom Vorhergehenden unterscheidet.1 1 Vgl. Müllenhoff 1900: 207; Schweizer-Sidler 1923: 23; Much 1967: 164; ähnlich auch Benario 1999: 73. 2 Vgl. ThLL VIII: 675,56-59. 3 Hiervon gehen z.B. auch aus: Müllenhoff 1900: 207; Gudeman 1916: 85; Schweizer-Sidler 1923: 23; Much 1967: 164; Anderson 1997: 71; offenbar auch Rives 1999: 152. 4 Baumstark 1875: 386. So argumentiert auch Reeb 1933: 27. Unentschieden dagegen Lund 1988: 136; Perl 1990: 157. 5 Baumstark 1875: 387: ”memoriae Germanorum.; vgl. auch Reeb 1933: 27. 6 Kühner – Stegmann II,1: 117-118. 7 Aus diesem Grund ist auch der Verweis auf den ersten Merseburger Zauberspruch (suma heri lezidun ‚einige hemmten die Heere‘; so u.a. Müllenhoff 1900: 207; auch noch überwogen von Beck 2003: 61) nicht statthaft. 8 So etwa Gudeman 1916: 85; Schweizer-Sidler 1923: 23. 9 So etwa Müllenhoff 1900: 207. Nach Anderson 1997: 71 würden jedoch auch die Berichte dieser Autoren letztendlich auf Poseidonius zurückgreifen. Die Junktur memoriae prodere kann sich sowohl auf mündliche als auch auf schriftliche Überlieferung beziehen.2 In den Belegen bei Tacitus, in denen diese Wendung steht, wird sie stets von der schriftlichen Überlieferung verwendet, etwa dial. 32,5: memoriae proditum est ‚berichtet ist‘; ann. 3,65,3: memoriae proditur ‚es wird überliefert‘; ebd. 6,25,3; memoriaeque id prodendum ‚und daß dies für die Geschichte festgehalten werden müsse‘, so dass es nahe liegt auch hier von einer schriftlichen Überlieferung auszugehen.3 Von Baumstark wurde aber eingewandt, dass das präsentische proditur ”ohne Zweifel zur Bezeichnung der lebendig fortdauernden Ueberlieferung. stehe,4 und zwar bei den Germanen.5 Jedoch scheint eine solche Interpretation die Funktion des Präsens zu stark einzuengen. Denn das Praesens kann auch verwendet werden, ”wenn man von einem früheren Schriftsteller eine Ansicht oder einen Ausspruch anführt, der in seinen Schriften noch vorhanden ist.,6 zumal Tacitus in der Germania generell bei Erwähnungen von seinen Gewährsmännern nur das Präsens verwendet (vgl. c. 28,1: divus Iulius tradit ‚überliefert der göttliche Julius‘).7 Die Frage nach der Quelle kann jedoch nicht genau beantwortet werden, da eine exakte Parallele zu der nachfolgenden Beschreibung nicht überliefert ist. Als mögliche Quellen wurden Poseidonius,8 Plinius oder Livius9 vorgeschlagen. quasdam acies inclinatas iam et labantes a feminis restitutas] Um welche Kämpfe es sich gehandelt hat, ist nicht zu ermitteln. Häufig wird auf einen Bericht bei Plut. mar. 19,9 verwiesen,10 der von einem tätigen Eingreifen von ambronischen Frauen am ersten Tag der Schlacht von Aquae Sextiae (102 v.Chr.) berichtet: ..ta..a d’ a. ...a..e. .pa.t..a. µet. ..f.. .a. pe...e.., de.... tetp....a. .a. pep...µ.. .µ....t. t... fe....ta. .µ.... .a. t... d.....ta., t... µ.. .. pp.d.ta., t... d’ .. p..eµ...., ..apef.pµ..a. µa..µ..... .a. .ep.. ..µ.a.. t... te ..pe... t.. ..µa... .p..p..a. .a. t.. ..f.. .p..aµßa..µa., .a. tpa.µata .a. d.a..p.. ..µ.t.. .p.µ.....a., µ..p. te.e.t.. ..tt.t.. t... ..µ... ‚dort aber kamen ihnen ihre Weiber entgegen, mit Schwertern und Äxten in den Händen, und stürzten sich mit gellendem Wutschrei auf die Fliehenden wie auf die Verfolger, auf die einen als Verräter, auf die anderen als Feinde. Sie warfen sich mitten ins Kampfgetümmel, rissen den Römern mit bloßen Händen die Schilde weg und packten ihre Schwerter, ließen sich verwunden und in Stücke hauen, bis zum Tod unbesiegt in ihrem Mut‘; vgl. auch Plut. mar. 27,2: a. ..p ...a..e. .p. t.. .µa... µe.a..e.µ..e. .fe.t..a., t... te fe....ta. ..te...., a. µ.. ..dpa., a. d’ .de.f..., a. d. pat.pa. ‚in schwarzen Gewändern standen die Frauen auf den Wagen und töteten die Fliehenden, mochte es auch der Gatte, der Bruder oder Vater sein‘; über die Helvetier vgl. Plut. caes. 18,3: ... a.t.. µ.... .f..taµ.... ..e. .a. µa..µ...., .... .a. pa.de. a.t.. .a. ...a..e. .µ...µe... µ..p. .a..t.. ....ate..p..a. ‚denn nicht allein die Männer leisteten dort [= bei der Wagenburg] erbitterten Widerstand, auch die Weiber und Kinder wehrten sich bis zum Tode und ließnen sich mit ihnen niederhauen‘. Ob Tacitus aber tatsächlich auf diese Begebenheit anspielt, scheint eher fraglich zu sein.11 Dagegen spricht nämlich, dass pluralisches quasdam acies sich auf mehrere Begebenheiten beziehen wird und quasdam sehr unbestimmt ist. Auch spricht Tacitus nicht von einem aktiven Eingreifen der Frauen im Kampf,12 sondern nur von einem Wiederaufrichten von Schlachtreihen.13 Die Annahme von Much, dass Tacitus hier ”die Sache so schildert, daß man meinen muß, es handle sich um die wirkliche Abwehr einer Niederlage.,14 ist nicht korrekt, da nicht ausgesagt wird, dass eine solche wiederaufgerichtete Schlachtreihe den Sieg erlangt.15 10 So etwa von Holtzmann – Holder 1873: 167; Gudeman 1916: 85; Schweizer-Sidler 1923: 23; Much 1965: 164; Städele 1991: 323; Benario 1999: 73. 11 Vgl. Städele 1996: 117 Anm. 3; Rives 1999: 152; wohl auch Perl 1990: 157. 12 Vgl. u.a. Much 1967: 165; Perl 1990: 157; Städele 1996: 116. 13 Vgl. Perl 1990: 157. 14 Much 1967: 164. 15 Zurückhaltend auch Städele 1996: 117: ”Tatsächlich berichtet Tacitus lediglich davon, daß Germanen auf der Flucht vom Schlachtfeld manchmal durch die Frauen, die das Geschehen nach Barbarensitte aus der Nähe verfolgten, dazu gebracht worden seien, umzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen.. 16 Vgl. Bach 1952: 230; zu den beiden Namenstämmen jetzt auch ausführlich Nedoma 2004: 174-175; 311-312. 17 Vgl. ThLL VII,1: 946,59: ”fere i.q. labare.. 18 Vgl. ThLL VII,1: 946,50-63; ThLL VII,2: 778,62-64 (vgl. auch ebd. 783,60-61). In den germanischen Frauennamen sind Namenelemente für ‚Kampf‘ ebenfalls anzutreffen, wie *gundi.o- (vgl. Kunigund), *.ilti.o- (vgl. Brunihilt, Baduhilt).16 Die Verben inclinare und labare sind Synonyme.17 Beide Wörter werden als militärische termini technici in Verbindung mit acies verwendet,18 vgl. etwa Liv. 1,12,3: confestim Romana inclinatur acies fusaque est ad veterem portam Palati ‚die römische Schlachtreihe kam sofort ins Wanken und wurde bis zum alten Tor des Palatinus gejagt‘; ds. 2,20,11: tum demum inpulsi Latini, perculsaque inclinavit acies ‚jetzt endlich wurden die Latiner zurückgedrängt und bestürzt geriet ihre Schlachtreihe ins Wanken‘; ds. 7,15,4: ipse dictator, postquam labantem una parte vidit aciem ‚als der Diktator die Schlachtreihe an der einen Stelle wanken sah‘; Tac. hist. 3,23,1: sustinuit labantem aciem Antonius accitis praetorianis ‚zum Stehen brachte die wankende Antonius dadurch, daß er die Prätorianer herbeiholte‘; beide Wörter sind auch bei Cic. ad Brut. 17,2 verbunden: labenti et inclinatae paene rei publicae ‚dem strauchelnden und beinahe schon hingesunkenen Staate‘. In der Verbindung mit restituere kommt inclinare bei Liv. 33,7,7 vor: rem inclinatam restituerunt ‚sie [= die Ätoler] stellten die Lage, die bedrohlich geworden war, wieder her‘. Dass germanische Frauen tatsächlich aktiv in einer Schlacht eingegriffen haben, ist für spätere Zeiten dagegen durchaus belegt; vgl. Cass. Dio 72,3,2: .. µ..t.. t... .e.p... t.. ßapß.p.. .a. ...a.... ..µata .p...µ..a e.p... ‚unter den gefallenen Barbaren fand man sogar Leichen bewaffneter Frauen‘; SHA, vopisc. vita aurel. 34,1: ductae sunt et decem mulieres, quas virili habitu pugnantes inter Gothos ceperat, cum multae essent interemptae, quas de Amazonum genere titulus indicabat ‚es wurden auch zehn Frauen aufgeführt, die Aurelian, als sie in Männertracht unter den Goten kämpften, gefangengenommen hatte, nachdem viele getötet worden waren, und die ein Plakat als vom Stamm der Amazonen bezeichnete‘. Die Frage, wie üblich es war, dass Frauen bei einer Schlacht anwesend waren, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Bei Schlachten des Civilis waren Frauen in der Nähe (vgl. Tac. hist. 4,18,2: matrem suam sororesque, simul omnium coniuges parvosque liberos consistere a tergo iubet ‚dann befahl er seiner Mutter, seinen Schwestern und zugleich den Gattinnen von allen samt ihren kleinen Kindern, sich hinter der Schlachtlinie aufzustellen‘; vgl. auch das Verhalten des Ariovists in Caes. Gall. 1,51,3: eo mulieres imposuerunt ‚auf die Wagen stellten sie die Frauen‘),19 aber hier fand die Schlacht im batavischen Gebiet statt. Auch die Angaben über die Kimbern werden nicht den üblichen Zustand beschreiben, da es sich hierbei um die (Aus)Wanderung eines gesamten Stammes handelte (vgl. ebenso die Angaben über die Tenkterer bei Caes. Gall. 4,14,5: at reliqua multitudo puerorum mulierumque – nam cum omnibus suis domo excesserant Rhenumque transierant – passim fugere coepit ‚die übrige Menge aber, die aus Frauen und Kinder bestand, denn die Germanen waren mit ihrer gesamten Bevölkerung aus der Heimat ausgezogen und über den Rhein gekommen, flüchtete sofort nach allen Richtungen‘). Caes. Gall. 4,19,2 berichtet dagegen, dass die Sueben ihre Frauen in den Wäldern versteckten: nuntios in omnes partes dimisse, uti de oppidis demigrarent, liberos uxores suaque omnia in silvis deponerent ‚durch Boten ließen sie die Bevölkerung aller Teile ihres Landes auffordern, die Städte zu verlassen und Frauen, Kinder und allen Besitz in die Wälder zu schaffen‘. 19 Vgl. hierzu auch Bruder 1974: 129-142. 20 Vgl. auch Rives 1999: 152-153. Nach der Vorstellung der Römer war das Mitführen von Frauen zu Kämpfen unvorstellbar,20 so dass sich dieser Gegensatz leicht zu einem Topos bei der Beschreibung ‚barbarischer‘ Völker entwickeln konnte; vgl. Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: ta.. ...a.... a.t.. ...tpate....a. ‚ihre Frauen [= der Kimbern], die mit in den Krieg zogen‘; Tac. Agr. 32,2: nullae Romanos coniuges accendunt, nulli parentes fugam exprobraturi sunt ‚keine Gattinnen entflammen die Römer, keine Eltern werden ihre Flucht schelten‘ (die Rede wird dem Britannier Calgacus in den Mund gelegt); ds. ann. 4,51,2: illis extrema iam salus et adsistentes plerisque matres et coniuges earumque lamenta addunt animos ‚während dort die nunmehr letzte Aussicht auf Rettung und das Klagegeschrei der zum großen Teil in der Nähe stehenden Mütter und Frauen anfeuernd wirken‘ (über die Thraker); ebd. 14,34,2: at Britannorum copiae passim per catervas et turmas exultabant, quanta non alias multitudo, et animo adeo feroci, ut coniuges quoque testes victoriae secum traherent plaustrisque inponerent, quae super extremum ambitum campi posuerant ‚demgegenüber schwärmten die Truppen der Britannier allenthalben in Haufen und Schwadronen übermutig umher, eine Masse, wie man sie sonst nicht sah, und von so trotzigem Mut, daß sie auch ihre Frauen als Zeugen des Sieges mit sich führten und auf Wagen setzten, die sie am äußersten Rand der Ebene abgestellt hatten‘. constantia precum] Die drei folgende Momente (constantia precum – obiectu pectorum – monstrata comminus captivitate) sind Ausführungen dazu, wie die Frauen die wankenden Schlachtlinien wieder aufrichten.21 21 Vgl. auch Städele 1996: 117. 22 Kühner – Stegmann II,1: 414: ”der Genitiv des Urhebers oder der Ursache (gen. auctoris), wovon etwas ausgeht oder worauf etwas zurückzuführen ist.. 23 So etwa Halm 1864: 22-23; Lund 1988: 136. 24 So bereits Baumstark 1875: 388: ”Wo findet sich ein genügendes Beispiel, dass pectora statt corpora steht? Nirgends.. 25 Lund 1988: 136 (von der Größe der Germaninnen ist an dieser Stelle auch keine Rede). So übrigens bereits Halm 1864: 22-23: ”so würde die einfachste Erklärung sein, dass sich die Frauen mit ihren Leibern den wankenden und zurückweichenden Reihen entgegen geworfen und so versucht haben, ihrer Flucht ein Ziel zu setzen.. 26 Vgl. auch Städele 1990: 256. 27 Vgl. auch Städele 1996: 116 Anm. 2. 28 So auch Much 1967: 165: ”Auch ein Darbieten der entblößten Brust mit der leidenschaftlichen Aufforderung an jene, gegen sie selbst die Waffen zu kehren, erführe durch das folgende et monstrata cominus captivitate eher eine Abschwächung.. 29 So etwa Gudeman 1916: 85; Perl 1990: 157; Anderson 1997: 71. Dagegen etwa Müllenhoff 1900: 207, der zu Der Genitiv precum ist (wie nachfolgendes pectorum) ein Genitiv auctoris.22 Ein Beispiel für solche Bitten liefert Caes. Gall. 1,51,3: eo mulieres imposuerunt, quae ad proelium proficiscentes passis manibus flentes implorabant, ne se in servitutem Romanis traderent ‚auf die Wagen stellten sie die Frauen, die beim Aufbruch des Heeres in die Schlacht die Soldaten mit ausgebreiteten Armen unter Tränen anflehten, sie nicht in römische Knechtschaft geraten zu lassen‘. obiectu pectorum] Einige Interpreten haben pectorum als Synonym für corporum aufgefasst.23 Für einen solchen Gebrauch lassen sich jedoch keine Parallelstellen anführen.24 Deswegen ist auch die Interpretation der Stelle von Lund, ”daß die (hochgewachsenen) Germaninnen ihre flüchtenden Männer dadurch an der Flucht gehindert haben, daß sie sich ihnen sperrend in den Weg stellten.,25 abzulehnen.26 Diese Deutung geht ebenfalls von einer starken Bedeutung von obiectus als ‚Entgegenwerfen‘ aus. Eine solche starke Wiedergabe scheint allerdings kaum gerechtfertigt, da ein Entgegenwerfen das Äußerste wäre, was die Frauen tun könnten, um ihre Männer von der Flucht abzuhalten. Jedoch folgt nach obiectu pectorum in der Dreierreihung noch ein gesteigertes monstrata comminus captivitate. Die Interpretation als ‚sperrendes Entgegenwerfen‘ würde auch eine aktive Rolle der Frauen voraussetzen, die nicht gegeben ist.27 Aus eben diesem Grund28 ist auch die Interpretation abzulehnen, die davon ausgeht, dass es sich bei dieser Handlung um eine Aufforderung von den Frauen den Männern gegenüber handle, sie zu töten, damit sie nicht in Gefangenschaft gerieten.29 Eine solche Deutung ließe sich aber nur halten, wenn man einen kausalen Recht einwendet, dass obiectu pectorum und monstrata comminus captivitate dann nur ”eine ausführung von constantia precum im einzelnen und … nichts neues. brächten. 30 So Müllenhoff 1900: 207: ” und weisen die männer so auf die gefahr der gefangenschaft hin.. Vgl. auch etwa die Übersetzung von Rives 1999: 80: ”and baring of breasts, revealing captivity close by., jedoch ohne Erläuterung im Kommentar. 31 Baumstark 1875: 388: ”Also heisst pectora, die Brüste, und zwar steht der Pluralis, weil von vielen Weibern die Rede ist, da von einer einzelnen nur der Singular berechtigt wäre, denn der Plural will nicht etwa mammas der Einzelnen bezeichnen.. Diese Bemerkung ist insofern zu korrigieren, als pluralisches pectora poetisch von der Brust einer Person verwendet werden kann. 32 Much 1967: 165. Diese Deutung findet sich (ebenfalls mit Hinweis auf ”überraschende arabische Parallelen.) bereits bei Schweizer-Sidler 1923: 23, der davon ausgeht, dass Tacitus die Gebärde als Tötungsaufforderung interpretierte. 33 Bei den im ThLL X,1: 911,49-912,24 aufgelisteten Beispielen für pectus im Sinne von mamillae, ubera findet sich immer ein weiterer Hinweis, dass pectus in der übertragenen Bedeutung vorliegt. 34 So zuerst Mohrmann 1983: 154. Dann auch übernommen von Lange in Much 1967: 165. 35 So ähnlich auch Perl 1990: 157: ”Vielleicht lag in dem Gestus der Entblößung, als moralischer Appell und Anfeuerung …., der in der Gebärde dann allerdings eine ”magische Bedeutung. finden will. Bereits Müllenhoff 1900: 207 erläuterte, dass ”dasselbe stadium der schlacht gemeint , von dem es in dem … ersten Merseburger zauberspruch heisst suma heri lezidun ‚einige (der göttlichen Frauen) hielten das (feindliche) heer auf‘.. Eine magische Komponente ist jedoch nicht glaubhaft; zur Gebrauchssituation des ersten Merseburger Zauberspruchs vgl. jetzt ausführlich Beck 2003: 350-364. Zusammenhang zwischen obiectu pectorum und monstrata comminus captivitate postulieren würde, der wegen dem dazwischen liegenden et aber nicht gegeben ist.30 Die in den Übersetzungen häufig anzutreffende Wiedergabe von pectorum mit ‚Brüste‘, geht offenbar auf Baumstark zurück, obwohl er den Plural lediglich wegen der Menge der Frauen für berechtigt hielt.31 Dass spätere Übersetzer dies jedoch auf ‚Brüste‘ im Sinne von ‚Busen‘ bezogen, geht etwa aus der Interpretation der Stelle durch Much hervor. Er meinte – unter Hinweis auf arabische Parallelen –, ”daß es sich … um eine Gebärde handelt, welche die Männer an den geschlechtlichen Verkehr mit ihren Frauen erinnern und ihnen vor Augen führen sollte, daß diese im Falle des Unterliegens den Gelüsten der Feinde preisgegeben sein würden..32 Gegen die Deutung von pectus als ‚Busen‘ spricht aber, dass dieses lediglich ‚Brust‘ bedeutet.33 Um eine solche Verwechslung zu vermeiden, ist hier denn auch für den Plural die Übersetzung ‚Brust‘ gewählt. Die wahrscheinlichste Erklärung der Fügung obiectu pectorum ist wohl,34 in der Geste eine Gebärde des Erregens von Mitleid zu sehen (vgl. zu einer solche Gebärde etwa auch Hom. Il. 22,79-80: µ.t.p d’ a..’ .t.p..e. .d.pet. d..p. .....a, / ...p.. ...eµ..., .t.p.f. d. µa... .....e ‚drüben jammert auch die Mutter mit fließenden Tränen, machte den Busen sich bloß und hob die Brust mit der Linken‘), durch welche die Männer angefeuert werden sollen.35 monstrata comminus captivitate] Da die Frauen sich direkt bei dem Schlachtgeschehen aufhalten, würden sie unmittelbar gefangen genommen werden. Einen Beleg hierfür (jedoch – was bisher nicht explizit gesagt wurde – zu einem anderen Zeitpunkt der Schlacht) bietet Caes. Gall. 1,51,3: quae ad proelium proficiscentes passis manibus flentes implorabant, ne se in servitutem Romanis traderent ‚die [= die Frauen] beim Aufbruch des Heeres in die Schlacht die Soldaten mit ausgebreiteten Armen unter Tränen anflehten, sie nicht in römische Knechtschaft geraten zu lassen‘. Die Meinung von Baumstark, dass captivitas die Gefangenschaft aller sei und nicht nur die der Frauen,36 scheint kaum haltbar, da es eben die drohende Gefangennahme der Frauen ist, die die Männer wieder in den Kampf zurückführen soll. 36 Baumstark 1875: 389-390. 37 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 219-220 mit weiteren Beispielen, auch aus Tacitus. Dagegen verbindet Baumstark 1875: 390 das Adverb mit monstrata, also als ‚Hinweis aus der Nähe auf die Gefangenschaft‘, während er die Verbindung mit captivitate zu einer ”Abschwächung. erklärt. 38 Lund 1988: 136. 39 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 463. 40 So auch etwa Müllenhoff 1900: 208; Gudeman 1916: 86; Schweizer-Sidler 1923: 23; Much 1967: 166. 41 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 423. Dort auch weitere Beispiele für diesen Gebrauch. 42 Die Nachstellung könnte jedoch darauf hinweisen, dass es hinzugefügt ist, ”weil man sonst nicht erkennen könnte, auf wen das Substantiv zu beziehen ist. (Kühner – Stegmann II,1: 596). Das Adverb comminus hat, wie aus seiner Zwischenstellung hervorgeht, attributive Bedeutung.37 quam longe impatientius feminarum suarum nomine timent] Nach Lund dient ”impatientius … als Akkusativ-Prädikat zu timent., da ”das Adv. longe (statt multo) mit einem Komparativ äußerst selten verknüpft wird und sich so nur sehr spät findet..38 Diese Annahme ist aber kaum zutreffend, da der Ersatz von multo durch longe dichterisch und nachklassisch verbreitet ist,39 vgl. Cat. 64,215 findet: gnate mihi longe iocundior unice vita ‚einziger Sohn, der du lieber mir bist, viel mehr als mein Leben‘; Verg. Aen. 9,556-557: at pedibus longe melior Lycus inter et hostis / inter et arma fuga muros tenet ‚Lykus jedoch, weit besser im Lauf, flieht zwischen den Feinden, zwischen den Waffen hin, hält schon die Mauern‘; Tac. ann. 4,40,3: quas longe acrius arsuras ‚die [= die Feindschaft] weit häufiger aufflammen werde‘. Es liegt an dieser Stelle eine Verschränkung zweier Gedanken vor (etwa impatientius tolerant/timent und magis timent),40 da impatientius, von einer nicht vollendeten Sache (timent) gesagt, nicht logisch ist. nomine steht anstelle von causa.41 Die Hinzufügung von suarum zu feminarum drückt die innige Verbindung der Männer zu ihren Frauen aus;42 vgl. hierzu auch etwa c. 14,2 (principis sui liberalitate ‚von der Großzügigkeit ihres Anführers‘); c. 30,1: et Cathos suos saltus Hercynius prosequitur ‚begleitet das Herkynische Gebirge seine Chatten zwar noch‘. Anderes berichtet Tacitus dagegen über die Friesen in ann. 4,72,2: ac primo boves ipsos, mox agros, postremo corpora coniugum aut liberorum servitio tradebant ‚zunächst nun mußten sie [= die Friesen] die Rinder selbst, dann die Äcker hergeben, schließlich ihre Frauen und Kinder in der Sklaverei ausliefern‘. adeo ut efficacius obligentur animi civitatum] Der Plural animi steht wegen der einzelnen cives, welche die jeweiligen civitates bilden (zu einem solchen Plural vgl. auch etwa Tac. Germ. 4,1: opinionibus ‚den Meinungen‘; ds. Agr. 19,1: animorum provinciae prudens ‚in Kenntnis der Stimmung in der Provinz‘). Das Adverb efficacus findet sich im Lateinischen seit Livius. Im Lateinischen hat das Wort civitas zwei Bedeutungen. Erstens bezeichnet es in Italien eine politisch organisierte Mehrheit von Personen, also ein italisches Staatswesen (oft wird dafür auch das Wort populus verwendet, und zwar wegen der Übertragung stadtrömischer Bürgerrechte auf größere Territorien) und hat dann die Bedeutung ,Bürgerverband, Bürgerschaft, Staat, Gemeinde, Volk‘. Zweitens wird civitas für ein außeritalisches Staatswesen gebraucht. Dieses kann in unterschiedlichen rechtlichen Beziehungen zu Rom stehen, und insofern ist zu unterscheiden zwischen a. civitates foederates und b. civitates sine foedere. Der Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass die ersteren mit Rom durch ein besonderes Bündnis verbunden sind, die zweiten dagegen nicht. Letztere haben eine Selbstverwaltung, erstere nur eine beschränkte Selbständigkeit. Da die Germanen zur Zeit des Tacitus von Rom unabhängig waren, kommt für die Bedeutungsbestimmung von civitas nur die zweite in Betracht.43 Die Bedeutung des Begriffs civitas ist im ersten Teil der Germania fest umrissen.44 Es handelt sich jedes Mal um kleinere Einheiten,45 civitas bezeichnet somit im Prinzip dasselbe wie natio (s. c. 4,1).46 Jedoch gibt es zwischen der Verwendung von civitas und natio den Unterschied, dass bei allen civitas-Belegen von einer organisierten Struktur die Rede ist. Dabei handelt es sich durchaus um politische Organisation, wie aus der Verwendung an dieser Stelle hervorgeht. 43 NP 2: 1224-1226. 44 Etwas unsicherer dagegen Rives 1999: 153: ”Tacitus … tends to use the term civitas in a political context.. 45 Warum Lund 1988: 41 annimmt, dass civitas in c. 13,3 und 14,2 eine größere Bevölkerungsgruppe bezeichne, bleibt unklar. 46 Man vgl. Lund 1988: 41. Die Aufteilung bei Perl 1983: 58 ist nicht nachvollziehbar. In c. 13,3 etwa, wo er civitas als gens deutet, ist unmittelbar darauf von Gesandtschaften die Rede. Es spielt somit auch hier die organisatorische Form eine Rolle. Ebenso aus c. 13,1, wo es heißt, dass die Waffenfähigkeit eines jungen Germanen erst in einer allgemeinen Versammlung von der civitas anerkannt werden muss, bevor er Waffen tragen darf. Diese Organisation äußert sich etwa als Herrschaftsstruktur wie in c. 10,1, wo ausgesagt wird, dass öffentliche Losbefragungen vom sacerdos civitatis ausgeführt werden, und in c. 10,2, wo es bezüglich des Pferdeorakels heißt, dass die Pferde vom rex oder princeps einer civitas begleitet werden. Weiter zeigt sich diese Organisation etwa im Austausch von Gesandtschaften zwischen civitates, so etwa, wenn in c. 13,3 berichtet wird, dass eine große Gefolgschaft auch bei benachbarten civitates für Ansehen und Ruhm sorgt und ihnen daher Gesandtschaften geschickt werden. Auch hat die civitas – wie aus c. 12,2 hervorgeht – offenbar eine Rechtsstruktur, da der Überführte bei leichten Vergehen mit einer bestimmten Anzahl von Rindern und Pferden büßen muss, wovon ein Teil an den rex und an die civitas geht, der Rest an den Geschädigten oder dessen Verwandte. Die Bedeutung von civitas ist somit nicht scharf genug bestimmt, wenn man lediglich annimmt, ”daß bei civitas ein gewisser organisatorischer Begriff assoziativ mitzuschwingen scheint..47 Im Gegenteil, civitas meint eine solche Organisation. 47 Lund 1988: 41. 48 Vgl. die Angaben bei Müllenhoff 1900: 208. Befürwortend auch Müllenhoff 1900: 208; Gudeman 1916: 241. 49 Müllenhoff 1900: 208. 50 Baumstark 1875: 392. quibus inter obsides puellae quoque nobiles imperantur] In der Vergangenheit wurde des Öfteren versucht, die einwandfreie Überlieferung nobiles (alle Hss.) durch die in der Hs. b bezeugte Lesart nubiles (jedoch als no.biles geschrieben) zu ersetzen.48 Müllenhoff begründete diese Lesart folgendermaßen: ”denn wenn es auch nicht notwendig war dass die als geiseln gegebenen jungfrauen mannbar und heiratsfähig waren, so ist doch die nobilitas etwas gar zu selbstverständliches als dass sie hier und in diesem zusammenhang hätte hervorgehoben werden können..49 Gegen eine solche Deutung hat aber bereits Baumstark – etwas ironisch, aber zurecht – eingewandt: ”nur heirathsfähige puellae waren geeignet, animos civitatum obligare, das versteht sich von selbst; waren die puellae aus den gemeinsten Familien, wenn sie nur heirathsfähig waren, dann wurden sie gerne als Geisel genommen..50 Auch scheint das Stellen heiratsfähiger puellae kaum wirkungsvoller zu sein als die von nicht heiratsfähigen, zumal – von der Dauer der Geiselhaft abhängig – diese irgendwann ebenfalls heiratsfähig wurden. Gegen die Annahme, dass die Zufügung des Wortes nobiles belanglos sei, spricht übrigens auch, dass die nobilitas der Geiseln regelmäßig erwähnt wird; vgl. etwa Tac. hist. 4,28,1: societate nobilissimis obsidum firmata ‚und das Bündnis wurde noch durch Geiseln aus den vornehmsten Geschlechtern gefestigt‘; Caes. Gall. 1,31,7 (über die Gallier): coactos esse Sequanis obsides dare nobilissimos civitatis ‚habe man sie [= Haeduer] zwingen können, die Vornehmsten ihres Stammes als Geiseln zu stellen‘. Das übergeschriebene -v- ist somit als humanistisch-gelehrt zu erklären. Wie die Stellung von quoque zeigt, das hinter dem hervorzuhebenden Wort steht, ist puellae betont.51 Sie kommen also neben den üblichen männlichen Geiseln auch in Betracht. Daher wird über das Geschlecht von Geiseln in der Regel nichts ausgesagt (s.o.). Auch hieran zeigt sich die richtige Lesart von nobiles, da dies stets das erste Auswahlkriterium war.52 Das Stellen von weiblichen Geiseln ist in der antiken Literatur bezeugt. So wurden die Gattin und Schwester des Civilis samt der Tochter des Classicus den Agrippinensern als Geiseln gegeben (Tac. hist. 4,79,1): orabant auxilium Agrippinenses offerebantque uxorem ac sororem Civilis et filiam Classici, relicta sibi pignora societatis ‚um Hilfe baten die Agrippinenser und boten dafür die Auslieferung der Gattin und der Schwester des Civilis und der Tochter des Classicus an, die als Unterpfänder der Bündnistreue bei ihnen geblieben waren‘. Augustus führte (nach Suet. Aug. 21,2) das Stellen weiblicher Geiseln ein: a quibusdam vero novum genus obsidum, feminas, exigere temptaverit, quod neglegere marum pignera sentiebat ‚von einigen eine neue Art von Geiseln, nämlich Frauen, zu bekommen suchte, weil er merkte, daß sie auf männliche Geiseln keine Rücksicht nahmen‘. 51 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 53. 52 So auch Schweizer-Sidler 1923: 23. 53 Lund 1988: 136 mit Hinweis auf Bruder 1974: 148ff. 54 Vgl. Bammesberger 1990: 88; Nedoma 2004: 304-306. Das Stellen weiblicher Geiseln ist jedoch nicht auf die Germanen beschränkt, sondern findet sich auch bei den Parthern (vgl. Tac. ann. 15,30,2: obsidem interea filiam tradit litterasque supplices ad Neronem ‚als Geisel gab er [= Corbulo] inzwischen seine Tochter und dazu einen demütigen Brief an Nero‘) und bei den Römern selbst (vgl. Liv. 2,13,6: et Cloelia virgo, unus ex obsidibus ‚die junge Cloelia, eine von den Geiseln‘). Es liegt somit sicherlich keine ”Idealisierung von seiten des Tacitus. vor.53 Das Germanische kennt für den Begriff der Geisel run. (Inschrift auf dem Einfassungsring von Pforzen) gisali, ahd. gisal, lgb. gisil, ae. gisel, aisl. gísl < urgerm. *ge.s(s)la-.54 Auch die viel spätere germanische Heldendichtung kennt das Stellen weiblicher Geiseln, wie etwa Hildegunt, die dem Hunnenkönig Attila als Geisel übergeben wurde. 2 inesse quin etiam sanctum aliquid et providum putant] Zur Stellung von quin etiam vgl. c. 3. Da quin etiam bei Tacitus immer nachgestellt ist, kann aus dessen Stellung also nicht ”auf die Steigerung. geschlossen werden.55 55 Gudeman 1916: 86. 56 Daher ist Baumstark 1875: 395 zuzustimmen, der annimmt, dass in der Auslassung eine ”berechnete Absichtlichkeit. vorliegt. 57 Mehr über seine eigene Ansicht als über den Text verrät die Interpretation von Much 1967: 167 aus: ”Das sanctum … an ihnen entspringt aus dem ausgebildeteren und minder abgestumpften weiblichen Schamgefühl und der allgemeinen Achtung vor diesem … Das providum … hat seine Wurzel in der größeren inneren Empfänglichkeit der weiblichen Seele, besonders in gewissen an der Grenze des Krankhaften gelegenen Erregungszuständen.. 58 Vgl. RGA 28: 113-121. Zu inesse ist feminis bzw. iis zu ergänzen, das aus dem nachfolgenden earum erschlossen werden kann.56 Die Adjektive sanctus und providus stehen beide in Beziehung zum Göttlichen. sanctus bezeichnet das Heilige, Ehrwürdige und Unantastbare, providus dagegen das Vorhersehen.57 Für germanische, vorhersehende Frauen58 finden sich einige weitere Belege aus der antiken Literatur, vgl. Tac. hist. 4,61,2: vetere apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas … arbitrantur ‚entsprechend alter Sitte bei den Germanen, nach der sie sehr viele Frauen für Prophetinnen … halten‘; Caes. Gall. 1,50,4: quod apud Germanos ea consuetudo esset, ut matres familiae eorum sortibus vaticinationibusque declararent, utrum proelium committi ex usu esset necne ‚bei den Germanen sei es Brauch, daß die Familienmütter mit Hilfe von Runen und Weissagungen bestimmten, wann es richtig sei, eine Schlacht zu schlagen und wann nicht‘; Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: ta.. ...a.... a.t.. ...tpate....a. pap.......... pp.µ..te.. ..pe.a. p....tp..e., .e..e.µ..e., .appa...a. .fapt.da. .p.pep.pp.µ..a., ...µa .a..... .....a., ..µ..p.de.. t... ... a..µa..t... d.. t.. .tpat.p.d.. .....t.. ..f.pe.., .ata.t..a.a. d’ a.t... .... .p. .pat.pa .a..... .... .µf.p... e...... e.... d. ..aß..pa., .. ..aß..a ** .peppet.. t.. ..ß.t.. ..a.µ.t.µe. ..a.t.. µete.p...e.ta. .. d. t.. pp..e.µ.... a.µat.. e.. t.. .pat.pa µa.te.a. t... .p.....t., ...a. d. d.a....a.a. ..p.....e... ..af.e...µe.a. ..... t... ...e.... ‚ihre [= der Kimbern] Frauen, die mit ihnen in den Krieg zogen, wurden von wahrsagenden grauhaarigen Priesterinnen begleitet, die ein weißes Kleid, darüber einen mit Spangen gehefteten weißen Mantel und einen bronzenen Gurt trugen und barfuß gingen. Diese liefen im Heereslager mit Schwertern bewaffnet den Kriegsgefangenen entgegen, bekränzten sie und führten sie zu einem Bronzekessel, der etwa zwanzig Amphoren maß. Sie hatten einen Tritt, auf den stieg und über dem Kessel jedem einzelnen, während er emporgehoben wurde, die Kehle durchschnitt: aus dem in den Kessel strömenden Blut weissagten sie dann; anderen schnitten den Körper auf, beschauten die Eingeweide und verkündeten den Ihren dann mit lauter Simme den Sieg‘; Plut. caes. 19,8: .t. d. µ..... a.t... .µß...e t. µa.te.µata t.. .ep.. ...a...., a. p.taµ.. d..a.. pp..ß..p...a. .a. .e.µ.t.. ....µ... .a. ..f... te.µa.p.µe.a. pp.e...p...., ... ...a. µ.... t..e..a. pp.. .p...µ.a. ..a. .e..... ‚noch mehr entsank ihnen der Mut, als die heiligen Frauen, welche aus der Beobachtung der Wirbel und Strudel und aus dem Brausen der Flüsse die Zukunft dueteten, eine Schlacht vor dem Aufgang des Neumondes nicht zulassen wollten‘ (ihm nachfolgend Clem. Al. strom. 1,72,3: e... d. .a. pap. Gepµa.... a. .epa. .a...µe.a. ...a..e., a. p.taµ.. d..a.. pp..ß..p...a. .a. .e.µ.t.. ....µ... .a. ..f... te.µa.p..ta. .a. pp..e.p...... t. µ.....ta. a.ta. .... ... e.a.a. a.t... t.. µ.... ....a. pp.. .a..apa pp.. .p...µ.a. .e..... t.. ..a. ‚auch bei den Germanen gibt es die sogenannten heiligen Frauen, die aus der Beobachtung der Stromschnellen und aus den Wirbeln und dem Rauschen der Wellen die Zukunft erschließen und verkünden. Diese waren es, die ihnen nicht erlaubten, die Schlacht mit Caesar zu beginnen, bevor der neue Mond wieder zu sehen war‘); Cass. Dio 38,48,1-4: ..t..a..µ.... d. a.t.. ........, a. ...a..e. a. t.. ßapß.p.. .p...pe.... .f... .e...a.a. µ.deµ.a. pp. t.. ..a. .e..... µ.... .....a. … pp...p...t.. ... ..t.. .. t.. ppa.µ.t.. .µ..p.. te .t. t.. ...a.... .fp..t..e ‚während beide Heere einander gegenüber lagen, verboten auf Grund von Prophezeiungen die Frauen der Barbaren ihren Männern, vor dem Neumond sich in eine Schlacht einzulassen … da sich nun für Ariovist die Dinge so günstig entwickelten, kümmerte er sich nicht mehr weiter um die Frauen‘. Auch bei den Römern selbst standen die Prophezeiungen solcher germanischen Frauen in Ansehen. So befolgte Drusus den Rat einer Seherin an der Elbe umzukehren, vgl. Suet. Claud. 1,2: hostem etiam frequenter caesum ac penitus in intimas solitudines actum non prius destitit insequi, quam species barbarae mulieris humana amplior victorem tendere ultra sermone Latino prohibuisset ‚nachdem er den Feind mehrfach geschlagen und in die tiefsten Einöden hineingetrieben hatte, hörte er nicht eher mit der Verfolgung auf, als bis die Erscheinung einer Barbarin von übermenschlicher Größe in lateinischer Sprache dem Sieger verbot, noch weiter vorzudringen‘ (vgl. auch Cass. Dio 55,1,3: .... ..p t.. µe.... . .at. ...p.p.. f.... .pa.t..a.a a.t. .f. „p.. d.ta .pe..., .p...e ...pe.te; .. p..ta ... ta.ta .de.. p.pp.ta.. ...’ .p.... ‚ein Weib von übermenschlicher Größe stellte sich ihm [= Drusus] ja mit den Worten entgegen: «Wohin willst du denn, unersättlicher Drusus? Dir ist es nicht vergönnt, alle diese Länder zu schauen. Zieh also ab.»‘). Am Hof von Vitellius wirkte nach Suet. Vit. 14,5 eine chattische Frau: vaticinante Chatta muliere, cui velut oraculo adquiescebat ‚weil eine Frau aus dem Volk der Chatten, der er wie ein Orakel vertraute, prophezeit hatte‘; am Hofe Domitians die Semnonin Ganna, vgl. Cass. Dio 67,5,3: G...a (pap....., .. µet. t.. ....da. .. t. .e.t... .e......a) ‚Ganna, eine Jungfrau, die an Veledas Stelle getreten war und als Seherin in Germanien waltete‘. Auf einem Ostrakon, das in einem Militärlager im ägyptischen Elephantine (2. Jh. n.Chr.) gefunden wurde, auf dem eine Liste von Offizieren und deren Bediensteten steht, findet sich auch die Aufschrift: .a...ß..p. ...... [= ..µ....] ..ß.... ‚Baluburg, der semnonischen Sibylle‘. In späterer Zeit finden sich ebenfalls noch Seherinnen. So berichtet Iord. Get. 24 (repperit in populo suo quasdam magas mulieres, quas patrio sermone Haliurunnas is ipse cognominat ‚ erfuhr von dem Aufenthalt gewisser Zauberweiber in seinem Volk, die er selbst in seiner Muttersprache Haliurunnen nennt‘) von magas mulieres ‚wahrsagende Frauen‘, die got. haliurunnas heißen. Das Wort ist mit ahd. hallaruna ‚Zauberei, Nekromantie‘ und ae. hellerune ‚Wahrsagerin, Pythonissa‘ (< urgerm. *.al.oruno-, ein Kompositum aus urgerm. *.al.o- ‚Hölle‘ [> got. halja, ahd. hella, as. hellia, ae. hell, afries. helle, aisl. hel]59 und *runo- ‚Geheimnis‘ [> got. runa, ahd. as. runa, ae. run, aisl. rún]60) zu verbinden. Auch Greg. Tur. berichtet von Seherinnen; vgl. Franc. 5,14: tunc direxit Gunthchramnus puerum ad mulierem quandam sibi iam cognitam a tempori Chariberthi regis, habentem spiritum phitonis, ut ei quae erant eventura narraret ‚damals sandte Gunthramn einen seiner Leute zu einem Weibe, die ihm schon seit der Zeit König Chariberts bekannt war; die hatte einen Wahrsagergeist und sollte ihm vorhersagen, was ihm widerfahren würde‘. Paul. 1,3 nennt Gambara eine mulier … ingenuo acris et consiliis provida ‚Frau … von energischem Charakter und vorhersehend in Ratschlägen‘. Die ann. fuldens. nennen für das Jahr 847 eine alemannische Wahrsagerin namens Thiota: per idem tempus mulier quaedam de Alamanniae partibus nomine Thiota pseudoprophetissa Mogontiacum venit, quae 59 Vgl. Lühr 2000: 240; Casaretto 2004: 151. 60 Vgl. Lühr 2000: 216-217; Casaretto 2004: 318. Salomonis episcopi parroechiam suis vaticiniis non minime turbaverat ‚zu dieser Zeit kam ein Weib aus Alamannien, mit Namen Thiota, als falsche Prophetin nach Mainz, welche durch ihre Weissagungen den Sprengel des Bischofs Salomo nicht wenig beunruhigt hatte‘. nec aut consilia earum aspernantur aut responsa negligunt] nec ist nicht mit Lund als ”neque enim. aufzufassen,61 sondern steht in der Verbindung neque aut … aut für et nec …nec ‚und weder ... noch‘.62 61 Lund 1988: 136. Ähnlich auch Gudeman 1916: 86: ”nec ideo.. 62 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 47. 63 Wie hier wird consulta in der Regel als ‚(An-)Fragen‘ verstanden, was aber wegen dieser Germania-Stelle wohl kaum zutrifft (so etwa auch Wolff 1926: 203; richtig dagegen Heubner 1963-1982: IV, 150). 64 Zur Übereinstimmung zwischen consilium und consultum vgl. bereits Baumstark 1875: 396. 65 Hierzu vgl. Kühner – Stegmann II,1: 87-88. 66 Zu weiteren Stellen vgl. Gudeman 1916: 87. Zur Unterscheidung zwischen consilia und responsa vgl. auch Tac. hist. 4,65,4: delectus e propinquis consulta responsaeque ut internuntius numinis protabat ‚ein Auserwählter aus dem Kreis ihrer Verwandten [= der Veleda] überbrachte die Fragen63 und Antworten wie eine Mittelsperson der Gottheit‘,64 wobei der Unterschied darin besteht, dass ein consilium auch unaufgefordert und unverlangt gegeben werden kann, während ein responsum unbedingt eine Befragung voraussetzt (vgl. etwa Verg. Aen, 7,85-86: hinc Italae gentes omnisque Oenotria tellus / in dubiis responsa petunt ‚in schwieriger Lage holen von hier sich Italiens Völker und holt ganz Oinotria Auskunft‘). Daher ist zu Ersterem auch das in der Bedeutung starke Verb aspernari gesetzt, da die Bescheide auch aufgedrängt sein können, während zu Letzterem das schwächere negligere steht, weil es sich um erbetene Auskünfte handelt. Ähnliches berichtet Plut. virt. mulier. 6: .. t..t.. d.et..... pep. te p...µ.. .a. e.p.... ß...e..µe... µet. t.. ...a.... ‚seitdem blieben sie [= Kelten] dabei, über Krieg und Frieden mit den Frauen zu beraten‘ (Quellen 1, 424-425). vidimus] Es liegt kein Grund vor, vidimus als pluralis modestiae, also als ‚ich habe es erlebt‘, aufzufassen,65 da sich in c. 9,1 singularisches comperi ‚ habe ich … in Erfahrung bringen können‘ findet. Zur Bedeutung ‚erleben‘ von videre vgl. auch Tac. Agr. 2,3: et sicut vetus aetas vidit ‚und wie die alte Zeit gesehen‘.66 sub divo Vespasiano] Titus Flavius Vespasianus (später imperator Caesar Vespasianus Augustus) wurde am 17. November 9 n.Chr. geboren und verstarb am 24. Juni 79. Er wurde am 1. Juli 69 von dem Präfekten Titus Iulius Alexander als imperator proklamiert. Nach seinem Tod wurde er konsekriert.67 67 Zu Vespasianus vgl. ausführlich RE VI,2: 2623-2695. 68 Zum Folgenden vgl. ausführlich Schuhmann 1999: 136-142. 69 Jetzt anders, jedoch wohl ohne ausreichende Begründung Schaffner 2004: 509-513; er übersieht nämlich, dass es sich um drei separate Stützen für einen ursprünglichen Langvokal handelt. Dagegen ist die Anpassung von Fremdnamen in ein metrisches Schema verbreitet; vgl. Leumann – Hofmann 1963: 105-106. 70 Hierzu vgl. Ziegler 1994: 40, 244. 71 Schaffner 2004: 512-513 erklärt den Namen Veleda, den er allerdings mit kurzem -e- ansetzt, aus dem Germ.; er sei mit dem Namen der aisl. Seherin Volva zu verbinden; seine Etymologie des letzteren Namens ist jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten. Veledam] Der Name ist in den Hss. nicht ganz einheitlich überliefert:68 ueledum alezuAce, uelle dum br, om. R, Valedam C, uoledam b, Veledam übrige. An den anderen taciteischen Belegstellen ist dagegen in der Hauptsache die Schreibung velaed- neben vel(e)d- bezeugt. Statius bietet dagegen veleda (hss. auch vel dae neben veldae) während der Name bei Cass. Dio als ....da. (hss. auch ße..da.) erscheint; zusätzlich ist der Name in einer ardeatinischen Inschrift als .e..da. bezeugt (dass es sich hierbei um dieselbe Person handelt, legt der Zusatz µa.p.. pep. pap...[…] .. .. ....p.ta. ..ß..... ‚über die lange Jungfrau (…), die die Rheinwassertrinker verehren‘ nahe). Die durch die Metrik verbürgte Kürze des zweiten -e- bei Statius ist kaum aussagekräftig, da die Schreibung -ae- bei Tacitus als Umkehrschreibung von -e- zu erklären ist, wofür auch das inschriftliche -h- und dasselbige bei Cass. Dio sprechen.69 Der Name selbst lässt sich am ehesten dem Keltischen zuordnen und findet eine direkte Parallele in ogam-ir. VELITAS70 und air. fili t-St. ‚Dichter‘ (< ‚Seher‘). Das hierbei nicht direkt zu erklärende -d- ist entweder als germanische Lenisierung des -t- oder als Umsetzung eines keltischen -t- durch -d- in der lateinischen Schrift zu erklären.71 Die Person Veleda ist in der antiken Literatur mehrmals belegt; so mehrmals bei Tacitus: hist. 4,61,2: ea virgo nationis Bructerae late imperitabat, vetere apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente superstitione arbitrantur deas. tuncque Veledae auctoritas adolevit; nam prosperas Germanis res et excidium legionum praedixerat ‚diese, eine Jungfrau aus dem Stamm der Brukterer, übte einen tiefgreifenden Einfluß aus entsprechend alter Sitte bei den Germanen, nach der sie sehr viele Frauen für Prophetinnen und, bei Steigerung des Aberglaubens, für Göttinnen halten. Damals wuchs das Ansehen der Veleda; denn sie hatte den Germanen ihren Erfolg, nämlich die Vernichtung der Legionen, geweissagt‘; ebd. 4,65,3: arbitrum habebimus Civilem et Veledam, apud quos pacta sancientur ‚als Schiedsrichter werden wir Civilis und Veleda haben, von denen unsere Abmachungen bestätigt werden sollen‘; ebd. 4,65,4: legati ad Civilem ac Veledam missi cum donis … sed coram adire adloquique Veledam negatum ‚wurden Gesandte mit Geschenken zu Civilis und Veleda geschickt … persönlich Veleda aufzusuchen und sie anzusprechen wurde ihnen untersagt‘; ebd. 5,22,3: praetoriam triremem flumine Lupia donum Veledae traxere ‚das Flaggschiff, einen Dreiruderer, schleppten sie als Geschenk für Veleda den Lupia-Fluß hinauf‘; ebd. 5,24,1: nam Cerialis per occultos nuntios Batavis pacem, Civili veniam ostentans, Veledam propinquosque monebat fortunam belli, tot cladibus adversam, opportuno erga populum Romanum merito mutare ‚denn Cerialis stellte durch geheime Boten den Batavern Frieden, dem Civilis Gnade in Aussicht und mahnte Veleda und ihre Verwandten, das Kriegsglück, das ihnen so viele Rückschläge eingebracht, rechtzeitig durch einen Dienst am römischen Volk zu wenden‘; Cass. Dio 67,5,3: G...a (pap....., .. µet. t.. ....da. .. t. .e.t... .e......a) ‚Ganna, eine Jungfrau, die an Veledas Stelle getreten war und als Seherin in Germanien waltete‘; Stat. silv. 1,4,90: captivaeque preces Veledae ‚und die Bitten der gefangenen Veleda‘; inschriflich (2. Jh.): .e..da. … µa.p.. pep. pap...[…] .. .. ....p.ta. ..ß..... ‚Veleda … über die lange Jungfrau (…), die die Rheinwassertrinker verehren‘.72 diu apud plerosque numinis loco habitam] In vidimus … Veledam diu apud plerosque numinis loco habitam ist diu apud plerosque numinis loco habitam nicht wie ein Relativsatz zu Veledam aufzufassen, sondern Veledam diu apud plerosque numinis loco habitam ist ein von vidimus abhängiger AcI. 72 Zu den historischen Ereignissen um Veleda vgl. KP V: 1156; NP 12,1: 1163-1164. 73 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 525. 74 Vgl. auch zu plerumque c. 5. 75 Kühner – Stegmann II,1: 18. 76 Kühner – Stegmann II,1: 515. 77 So auch Gudeman 1916: 88 (allerdings unter tamquam): ”Nach der … Anschauung der Germanen, nicht der des Tacitus.. apud besagt hier ‚nach der Ansicht, dem Urteile‘.73 plerosque hat hier die abgeschwächte Bedeutung und steht für multos.74 loco + Genitiv kann anstelle von pro + Ablativ in Verbindung mit esse, habere, ducere und numerare verwendet werden. loco drückt dabei wie pro aus, dass ”etwas das eigentlich nicht ist, wofür es gelten oder angesehen werden soll.,75 also ”von einer bloß angenommenen Stellvertretung..76 Hieraus geht somit hervor, dass Tacitus sich von der Ansicht, Veleda sei ein numen, distanziert.77 Hiermit vergleichbar sind zwei weitere Aussagen bei Tacitus: hist. 4,61,2: ea virgo nationis Bructerae late imperitabat, vetere apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente superstitione arbitrantur deas ‚diese [= Veleda], eine Jungfrau aus dem Stamm der Brukterer, übte einen tiefgreifenden Einfluss aus entsprechend alter Sitte bei den Germanen, nach der sie sehr viele Frauen für Prophetinnen und, bei Steigerung des Aberglaubens, für Göttinnen halten‘; ebd. 4,65,4: delectus e propinquis consulta responsaeque ut internuntius numinis protabat ‚ein Auserwählter aus dem Kreis ihrer Verwandten [= von Veleda] überbrachte Fragen und Antworten wie eine Mittelsperson der Gottheit‘. sed et] sed steht hier ohne ein Bezugsglied, dient also dazu, ”die Rede einfach fortzusetzen oder einen neuen Gedanken anzuknüpfen..78 et steht im Sinne von etiam.79 olim] Der Zeitraum, in dem die nachfolgenden Personen einzuordnen sind, bleibt unklar. Es liegt nahe – wenn römische Überlieferung zugrunde liegt –, an die Zeit der Eroberungskriege des Drusus und Tiberius zu denken. 78 Kühner – Stegmann II,2: 76-77. 79 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 9: ”= etiam … Ebenso bei Tacitus … stets … sed et.; ebenso Lund 1988: 137; Anderson 1997: 72. 80 Vgl. zum Folgenden vgl. Schuhmann 1999: 132-136. 81 Vgl. Perret 1950: 53-54; Robinson 1991: 105-106; Perret 1997: 75; Schuhmann 1999: 132-133. 82 Schuhmann 1999: 134. 83 Wackernagel 1837. 84 Müllenhoff 1900: 211. Diese Emendation wird von Städele 1991: 325: ”überzeugend. genannt. Dagegen bereits Schönfeld 1911: 38: ”warum sollte die Seherin nicht wie so viele Germanen einen ungermanischen … Namen tragen?.; ebenso Rives 1999: 155: ”Since many other Germani had Celtic names, there ist no compelling reason to reject the manuscript reading.; Vgl. auch Reeb 1933: 28; Anderson 1997: 72. 85 Much 1976: 164, 169. 86 Koestermann 1970: 10. Weiter findet sich diese Lesart u.a. bei: Schweizer-Sidler 1923: 24; Halm 1930: 227; Städele 1991: 88. Befürwortet auch von Städele 1990: 257. Dagegen nimmt Perret 1997: 75 Albriniam auf. Auriniam]80 Dieser Name, der nur an dieser Stelle belegt ist, ist in den Handschriften uneinheitlich überliefert: Auriniam (WhCpQtfces), aurimam l, aurinam R, auarimam m, Auriniam (am Rande oder übergeschrieben Albriniam) BbEdo, auriniam (in marg. albrinam) u, aurimam (in marg. albrimam) e, fluriniam (supra l. albriniam) c, Albriniam .rbr, albrimam zA, ausgelassen va.81 Diese Lesarten, die letztendlich auf ein Nebeneinander von Auriniam und Albriniam weisen,82 wurden von Wackernagel in Albrunam geändert.83 Müllenhoff folgte diesem Vorschlag mit der Begründung: ”der name lautet in den früheren ausgaben Auriniam, was kein deutscher name sein kann..84 Diese Lesart wurde auch etwa von Much85 und in der kritischen Ausgabe von Koestermann86 übergenommen. Much begründet Albrunam folgendermaßen: ”Beiseitesetzen läßt sich diese [= die Lesart Albriniam] aber nicht, weil es ein zu merkwürdiger Fehler wäre, der zufälligerweise eine altgermanische Namenform ergeben hätte, diese Form aber in einer Zeit, der germanistische Kenntnisse fehlten, auch nicht mit Absicht eingeführt worden sein kann. Albriniam ist unbedenklich weiter in Albrunam zu bessern, …..87 Gegen eine solche Deutung der hss. Verhältnisse88 wurde aber zu Recht eingewandt, dass die Form Auriniam eindeutig die besser bezeugte Lesart sei89 und es Humanisten kaum schwer gefallen sein dürfte, diese in Albriniam zu germanisieren.90 Aus diesen Gründen ist denn auch die Lesart Auriniam in neueren Textausgaben wieder aufgenommen worden.91 87 Much 1976: 169. 88 Trotz der hss. Überlieferung wird bei Nedoma 2004: 170 die Konjektur Albrunam nach wie vor für unbedenklich gehalten. 89 Vgl. etwa Capelle 1929: 499-500: ”Der Name Aurinia ist nicht anzutasten, … Wackernagels Vermutung … findet in der handschriftlichen Überlieferung keine genügende Stütze.; RGA 28: 114. 90 Schönfeld 1911: 38: ”Die manus secunda hätte dann versucht, Aurinia zu germanisieren.. 91 Önnerfors 1983: 7; Winterbottom – Ogilvie 1985: 41; Rives 1999: 80. 92 Der Versuch von Schramm 2004 vermag nicht zu überzeugen (vgl. auch Nedoma 2004: 170: ”nicht überzeugend.). 93 Zur Funktion vgl. Pedersen 1913: 57-58. 94 Beispiele aus Whatmough 1970. 95 Auch diese Beispiele stammen aus Whatmough 1970. 96 Ein Element aur- ist im Keltischen nicht vorhanden; vgl. Stokes 1894: 4. 97 Zu hybriden Personennamen im Gallischen vgl. man allgemein Schmidt 1957: 49-54 mit Beispielen mit germanischen und lateinischen Elementen. Die Form Aurinia kann nicht aus dem Germanischen erklärt werden.92 In Hinblick auf Veleda, deren Name aus dem Keltischen stammt, liegt eine solche Erklärung für Aurinia ebenfalls nahe. Ein gängiges Personennamen bildendes Element ist im Keltischen das Suffix -inios, -inia.93 Es liegt auch in gallischen Personennamen vor, wie etwa Aedinius, Caldinius, Veliocassinius, Adnamatinia, Blandinia oder Eluinia.94 Das dabei übrig bleibende Element Aur-, das ebenfalls mehrmals belegt ist (etwa Aurus, Auritus, Aurac[…),95 ist aber nicht dem Keltischen,96 sondern vielmehr dem Lateinischen zuzuordnen. Es liegt bei Aurinia somit wohl ein hybrider Personenname vor,97 wobei aur- an dem lateinischen Wort aurum ‚Gold‘ angeschlossen werden kann. compluris alias venerati sunt] Wer diese anderen sind, bleibt unklar. Zu den weiteren bekannten Seherinnen s.o. Das Wort complures kommt bei Tacitus sonst nur noch hist. 2,4,1 (caesis compluribus hostiis ‚schlachtete er [= Titus] mehrere Opfertiere‘) und ebd. 2,22,3 (cum compluribus classicis ‚mit einigen Flottensoldaten‘) vor, sonst wird plures gebraucht. non adulatione nec tamquam facerent deas] Tacitus spielt hier auf die Verhältnisse in Rom an, wo – durch Ausdehnung des Kaiserkults – auch weibliche Angehörige des Kaiserhauses aus Schmeichelei vergöttlicht wurden (also erst zu Göttinnen gemacht werden mussten), während die Germanen, zwar aus Aberglauben, diese Frauen wirklich als höhere Wesen ansahen (vgl. arbitrantur deas [Tac. hist. 64,61,1]; s.o.). Vgl. hierzu ausführlich Tac. ann. 15,23,1-3: Memmio Regulo et Verginio Rufo consulibus natam sibi ex Poppaea filiam Nero ultra mortale gaudium accepit appellavitque Augustam dato et Poppaeae eodem cognomento. locus puerperio colonia Antium fuit, ubi ipse generatus erat. iam senatus uterum Poppaeae commendaverat dis votaque publice susceperat, quae multiplicata exolutaque. et additae supppplicationes templumque fecundidatis et certamen ad exemplar Actiacae religionis decretum, utque Fortunarum effigies aureae in solio Capitolini Iovis locarentur, ludicrum circense, ut Iuliae genti apud Bovillas, ita Claudiae Domitiaeque apud Antium ederetur. quae fluxa fuere, quartum intra mensem defuncta infante. rursusque exortae adulationes censentium honorem divae et pulvinar aedemque et sacerdotem ‚unter dem Konsulat des Memmius Regulus und Verginius Rufus wurde Nero von Poppaea eine Tochter geboren; er nahm dies mit einer über menschliches Maß hinausgehende Freude auf und nannte sie Augusta, wobei auch Poppaea den gleichen Beinamen erhielt. Der Ort der Niederkunft war die Kolonie Antium, wo er selbst geboren war. Der Senat hatte schon den schwangeren Leib Poppaeas den Göttern empfohlen und öffentliche Gelübde abgelegt, die jetzt vervielfacht eingelöst wurden. Auch zusätzliche Dankfeste wurden veranstaltet und ein Tempel der Fruchtbarkeit sowie ein Kampfspiel nach dem Vorbild der Kultspiele von Actium gestiftet; ferner sollten goldene Standbilder der Glücksgöttinnen auf dem Thron des kapitolinischen Iuppiter aufgestellt und ein Circusspiel wie für das julische Geschlecht in Bovillae, so für die Claudier und Domitier in Antium gegeben werden. Diese Beschlüsse wurden jedoch hinfällig, da das Kind im Verlauf des vierten Monats starb. Und wieder begannen die Schmeicheleien von Leuten, die göttliche Verehrung, ein Götterpolster, einen Tempel und einen Priester beantragten‘; ebd. 16,21,2: et cum deum honores Poppaeae decernuntur ‚und als göttliche Ehren für Poppaea beschlossen wurden‘; Suet. Claud. 11,2: aviae Liviae divinos honores et circensi pompa currum elephantorum Augustino similem decernenda curavit ‚verschaffte er seiner Großmutter Livia göttliche Ehrungen und beim Umzug im Zirkus einen von Elefanten gezogenen Wagen, ähnlich dem des Augustus‘; ds. Cal. 24,2: nec umquam postea … nisi per numen Drusillae deieravit ‚niemals hat er [= Caligula] später … anders als bei der göttlichen Drusilla geschworen‘; Cass. Dio 59,11,2-4: .. t. te ...a ..a t. .e ...... .d.d.t. ...f...., .a. ..’ ..aßat.... .a. .. t. ß...e.t.p... .p... ..ate.., .a. .. t. .. t. ...p. .fp.d..... ..a.µa a.t.. ...µ.tp.t.. t. t.. .e.. .p. ta.. .µ..a.. t.µa.. .ep... … ....... te t.. G.µ.... ß...e.t.. .. te t.. ..pa... a.t.. ..aßa.....a. .a. t... .e... ........µ.... ..pa...a. .µ..e., ....e.a. .a. .a.t. .a. t... pa...., e. .e.d..t. ‚sämtliche der Livia erwiesenen Ehrungen wurden auch ihr gewährt und darüber hinaus beschloß man, daß sie unter die Götter versetzt, ein goldenes Bild von ihr in der Kurie aufgestellt, ihr im Venustempel auf dem Forum ein Standbild, gleichgroß wie das der Göttin, geweiht, und dieses mit den nämlichen Riten verehrt werden solle … und tatsächlich erklärte auch ein gewisser Senator Livius Geminus unter Eid, wobei er im Falle einer Lüge sich und seinen Kindern den Tod wünschte, daß er gesehen habe, wie Drusilla zum Himmel emporstieg und mit den Göttern Zwiesprache tauschte‘; ds. 60,5,2: t.. te t.... t.. .....a. .. µ.... .pp.. ...... .t.µ..e. .... .a. .p..a..t..e., ..a.µ. t. t. a.t.. .. t. ......te.. .dp..a. .a. t.. ....a. ta.. .e.pap...... .ep.p..e.. pp..t..a., ta.. te ...a.... .p... t. ...µa a.t.. p..e...a. .e.e..a. ‚seine Großmutter Livia ehrte er [= Claudius] nicht nur mit Pferderennen, sondern ließ sie auch unter die Götter versetzen; und er errichtete auch von ihr eine Statue im Tempel des Augustus, wobei er die Vestalinnen mit dem Opferdienst betraute, und ordnete schließlich an, daß die Frauen bei Eidesleistungen ihren Namen verwenden sollten‘. adulatione (ein ”Ablativ des inneren Beweggrundes, d.h. des in der Seele des Handelnden liegenden Grundes, aus welchem etwas geschieht.)98 und tamquam facerent deas99 stehen in Variation zueinander, da beide kausale Funktion haben.100 98 Kühner – Stegmann II,1: 394. 99 Zu kausalem tamquam vgl. Kühner – Stegmann II,2: 456: ”Im silbernen Latein werden tanquam und quasi c. coni. nicht selten in kausalem Sinne gebraucht.. 100 Vgl. Sörbom 1935: 115-116. KAPITEL 9 1 Deorum maxime Mercurium colunt] Die Beschreibung der Verehrung gewisser Frauen wie Göttinnen leitet zu den germanischen Gottheiten über. Beide Textpassagen sind durch die Stichwörter deas (c. 8,2) und deorum (c. 9,1) miteinander verknüpft.1 1 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 88; Schweizer-Sidler 1923: 24; Perl 1988: 158; Benario 1999: 74; ähnlich auch Müllenhoff 1900: 212 (jedoch ohne die Nennung der Stichwörter). 2 Kühner – Stegmann II,1: 423. 3 Zur interpretatio romana vgl. allgemein Wissowa 1916-1919. So ist denn auch Mercurius selbst schon dem griechischen Gott Hermes angeglichen. 4 Timpe 1995: 107. 5 Dass Mercurius der Hauptgott ist, wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber aus maxime zu schließen. 6 So u.a. Jungandreas 1981: 33; Timpe 1995: 114; Rives 1999: 156; einschränkend Müllenhoff 1900: 212: ”vielleicht hatte Tacitus diesen Satz in erinnerung …, doch überträgt er damit nicht gallisches auf die Germanen.; Anderson 1997: 73-74. Anders Gudeman 1916: 88: ”Die Übereinstimmung … wird daher nur zufällig sein.; Reeb 1933: 78: ”so beweist das doch nur, daß Griechen und Römer fremde Götter mit einer ihrer Gottheiten gleichzusetzen pflegten, sonst nichts!.; Much 1967: 171 hält dies ”für unerweisbar und belanglos.. Positiver etwa Müllenhoff 1900: 212; Anderson 1997: 74: ”that the formula had become a stock one in ethnographic literature.; das genaue Verhältnis offen gelassen bei Schweizer-Sidler 1923: 24; Perl 1990: 158; Benario 1999: 74. deorum ist ein Genitivus partitivus, der bei adverbialen Superlativen stehen kann.2 Tacitus verwendet bei der Beschreibung der germanischen Götter die interpretatio Romana (zum Ausdruck vgl. c. 43,3: interpretatione Romana ‚nach römischer Anschauung‘), nennt also nicht die germanischen Namen, sondern deren römisches Pendant. Dieser Vorgang stellte für die Römer kein Problem dar, da ihrer Auffassung zufolge die Götter anderer Völker prinzipiell mit den eigenen Göttern übereinstimmten (vgl. Caes. Gall. 6,17,2: de his eandem fere quam reliquae gentes habent opinionem ‚der Glaube an diese Götter hat etwa denselben Inhalt wie bei den übrigen Völkern‘).3 Grundlage der interpretatio Romana war die Feststellung einer ”Funktionsgleichheit oder -ähnlichkeit religiöser Gestaltungen..4 Auffällig ist, dass Merkur als Hauptgott5 der Germanen angegeben ist, und nicht Iuppiter. Die Textstelle ist dabei wörtlich aus Caes. Gall. 6,17,1 übernommen,6 wo die Aussage jedoch auf die Gallier bezogen ist: deorum maxime Mercurium colunt ‚unter den Göttern verehren sie Merkur am meisten‘. Bereits vor ihm hatte Hdt. 5,7,1 den von den thrakischen Königen am meisten verehrten Gott als Hermes (= der römische Merkur) angegeben: .. d. ßa....e. a.t.. … ..ß..ta. .pµ... µ....ta .e.. .a. .µ...... µ..... t..t.. .a. ....... .e.....a. .p. .pµ.. ...t... ‚ihre Könige aber verehren … am meisten von den Göttern den Hermes und schwören nur bei ihm; sie behaupten, von Hermes abzustammen‘. Es wird in der Regel angenommen, dieser Text Herodots sei als Grundlage für die Aussage von Caesar anzusehen.7 Dies ist jedoch durchaus fraglich, da die Unterschiede zwischen beiden Textstellen recht groß sind. So wird Merkur nur von den thrakischen Königen am meisten verehrt, scheint somit also nicht der Hauptgott aller Thraker zu sein, während Merkur der Hauptgott aller Gallier ist. Auch ist die Begründung für die Gleichsetzung des thrakischen Gottes mit Merkur bei Herodot nicht angegeben, während diese bei Caes. Gall. 6,17,1 ausgeführt ist: hunc omnium inventorum artium ferunt, hunc viarum atque itinerum ducem, hunc ad quaestus pecuniae mercaturasque habere vim maximam arbitrantur ‚ihn halten sie für den Erfinder aller Künste, für den Führer auf allen Straßen und Wegen, und von ihm glauben sie, er habe den größten Einfluß auf den Erwerb von Geld und auf den Handel‘. Schließlich scheint ebenfalls keine ethnographische Tradition vorzuliegen, da nur diese drei Mal ein wichtiger Gott mit Merkur gleichgesetzt wird. Dagegen wird die Gleichsetzung des germanischen Gottes mit Merkur durch die gallische Gleichsetzung zumindest mitbedingt sein.8 7 Vgl. etwa Timpe 1995: 115 Fn. 38: ”Hinter Caesar steht Herod... 8 Vgl. Timpe 1995: 115-116. 9 Perl 1990: 158. 10 Vgl. Birkhan 1997: 723. 11 Vgl. Much 1967: 172 in der Zufügung von Lange. 12 Vgl. Wagner 1990: 284. Allerdings ist Perl kaum zu folgen mit seiner Aussage: ”wahrscheinlich ist der römische Name des gallischen Hauptgottes ohne weiteres auch auf den germanischen Hauptgott übertragen. … Zeugnisse für Verehrung des Mercurius im Rheingebiet sind daher eher gallischer als germanischer Herkunft..9 Solche Zeugnisse liegen in einigen Inschriften vor. In diesen wird Mercurius sowohl mit keltischen (vgl. Mercurius Visucius, wobei Visucius zu air. fiach ‚Rabe‘ gehört)10 als auch mit germanischen Beinamen belegt, wie Mercurius Cimbrius (CIL, XIII 6402) und Mercurius Cimbrianus (CIL, XIII 6604; ebd. 6605; ebd. 6742), Belege, die allerdings nicht auf eine sehr frühe Verehrung eines als Merkur bezeichneten Gottes auf Jütland, der Heimat der Kimbern, schließen lassen.11 Wichtiger als diese ist folgender Beleg, der zusätzlich den hinter Merkur stehenden germanischen Gott deutlich macht: Ein Weihestein aus dem Rheinland ist dem Mercurio Hrannoni gewidmet. Der Beiname, der im N.Sg. *Hranno lautet, ist mit dem in einer aisl. Sage bezeugten Beinamen des Odin (= Wodan), nämlich Hrani ‚grober Kerl, Krakeeler‘, identisch. Zwischen *Hranno und aisl. Hrani liegt lediglich ein Unterschied in der Expressivität vor.12 Dieser spät belegte Beiname hilft somit, den sonst isoliert stehenden frühen Beinamen zu erklären, zeigt aber des Weiteren an, dass sich hinter Merkur der Gott Wodan verbergen könnte. Die Inschriften sind somit teilweise germanischer Herkunft. Diese Gleichsetzung von Merkur mit Wodan lässt sich noch weiter durch folgende Quellen bis zur absoluten Gewissheit erhärten:13 13 Die Gleichsetzung wird allgemein akzeptiert, vgl. etwa Helm 1913: 266-268; de Vries 1970: 27-30; Ström 1975: 83, 99; Simek 1995: 270-271; Timpe 1995: 115; Wolfram 1995: 61; Polomé 1999: 280. Methodisch schwierig (da nur mit späteren Quellen gearbeitet wurde [der *Hranno-Beleg war noch nicht bekannt]) dagegen Buchholz 1968: 119. 14 So de Vries 1992: 844. 15 So Künzel – Blok – Verhoeff 1989: 405, s.v. Woensel. 16 Vgl. Strutynski 1975: 364, 379. 17 Jente 1921: 76, Anm. 1 geht davon aus, dass dieser Text ”auf die Worte des Tacitus. gegründet ist. a. Der Tagesnamen lat. Mercurii dies (vgl. ital. mercoledì, afrz. mercresdi, nfrz. mercredi, prov. dimercres, span. miércoles, rumän. miercuri) wurde in den germ. Sprachen ‚übersetzt‘ als ae. wodnesdæg (vgl. Angl. VIII, 321,6: þæs Wodnesdæges nama wæs of Mercurio ‚der Name des Wodanstages kommt von Merkur‘), mndl. woensdach, nndl. woensdag, mndd. wodens-, wonesdach, afries. wonsdei, aisl. Oðinsdagr (gebildet nach dem ae. Wort; schwed.- dän. onsdag); daneben ne. wednesday, nndl. dial. weunsdag und mndd. gudens-, godens-, guns-, gonsdach (mit Ersatz von w- durch g-, entweder durch romanischen Einfluss14 oder durch Tabuisierung des heidnischen Namens15).16 Dagegen ist die Bezeichnung nhd. Mittwoch (welches spätahd. mittawehha, mhd. mittewoche fortsetzt; vgl. mndd. middeweke, aisl. miðvikudagr, selbst eine Lehnübersetzung von lat. medio hebdomas [vgl. ital. dial. mezzedima, rätorom. mezemna]) Ersatz des alten germanisch-heidnischen Namens. b. Paulus Diaconus 1,9 berichtet: Wotan sane, quem adiecta littera Godan dixerunt, ipse est qui apud Romanos Mercurius dicitur et ab universis Germaniae gentibus ut deus adoratur ‚Wodan aber, den sie mit Beifügung eines Buchstabens Godan nannten, der bei den Römern Mercurius heißt und von allen Völkern Germaniens wie ein Gott verehrt wird‘; c. Jon. Bobbio, vita Colum. 1,27 (aus dem Jahre 642): illi aiunt se Deo suo Vodano nomine, quem Mercurium, ut alii aiunt, autumant, velle litare ‚sie erwiderten, sie wollten ihrem Gotte namens Wodan, den sie, wie andere berichten, auch Merkur nannten, ein Opfer darbringen‘; d. Matthew v. Westminster, flor. hist. p. 82, ed. 1601: maxime autem Mercurium, quem lingua nostra Voden appellamus ‚ganz besonders aber Merkur, den wir in unserer Sprache Wodan nennen‘; Geoffrey v. Monmouth 6,10: colimus maxime Mercurium, quem Woden lingua nostra appellamus ‚wir verehren ganz besonders Merkur, den wir in unserer Sprache Wodan nennen‘.17 e. In späterer Zeit tritt noch hinzu: Galfred. 6 p. 43: colimus maxime Mercurium, quem Woden lingua nostra appellamus ‚wir verehren ganz besonders Merkur, den wir in unserer Sprache Woden nennen‘; R. Manning, Hist. of. Engl. (1330): Mercuri is on oure langage Woden; Matth. Paris. p. 25-26 ed. 1644 Mercurium, Voden anglice appellatum ‚Merkur, auf anglisch Wodan genannt‘; vgl. auch ae. Gl. W.W. 32,20: Mercurium, woden. Davon abweichend ist die Angabe bei Ad. Brem. 4,26: Wodan, id est furor, bella gerit hominique ministrat virtutem contra inimicos … Wodanem vero sculpunt armatum, sicut nostri Martem solent ‚Wodan, die Wut, führt Kriege und verleiht dem Menschen Kraft gegen seine Feinde … Wodan dagegen stellen sie bewaffnet dar, wie wir den Mars‘, eine Gleichsetzung, die besser zur kriegerischen Funktion von Wodan in den aisl. Quellen passt. Es ist somit sicher, dass sich Wodan hinter der interpretatio romana Merkur verbirgt. Es fragt sich allerdings, wie diese Gleichsetzung zustande gekommen ist. Einige nehmen dabei an, dass ein rein mechanischer Vorgang vorliegt, indem die interpretatio romana des höchsten gallischen Gottes auf den höchsten germanischen Gott übertragen wurde,18 eine Annahme, die in Anbetracht des üblichen Vorgangs einer interpretatio romana kaum wirklich zu überzeugen vermag. Daher werden von anderen Elemente und Attribute Wodans aus späterer Zeit herangezogen, um die Gleichsetzung zu begründen,19 wobei klar ist, dass zwischen beiden eine ansehnliche Zeitspanne liegt (dass diese Zeitspanne aber kein grundsätzliches Hindernis ist, zeigt der oben erwähnte Beiname des Wodan).20 Dabei wird auf einige äußere und innere Merkmale hingewiesen, wie den Hut und den Speer Wodans, die mit dem petasus ‚breitkrempiger Hut‘ (gr. p.ta...) und dem caduceus ‚Heroldstab‘ (gr. dor. .ap..e...) des Merkur zu vergleichen seien, wie auf die beiden eigene Funktion als Seelenführer in das Jenseits21 und auf die Beziehungen zu Handel und Verkehr, ihre Listigkeit und Erfindungsgabe (so ist der Name Wodan in der westgerm. Literatur zweimal in Zaubersprüchen belegt, im Ae. im Neunkräuterspruch, im Ahd. im 2. Merseburger Zauberspruch).22 18 So etwa Perl 1990: 158; als Möglichkeit bei Städele 1991: 327. 19 So etwa Much 1967: 171; Simek 1995: 271; Rives 1999: 158. 20 Dieser Namensbeleg findet sich übrigens nicht bei Timpe 1995: 115, Anm. 39. 21 Offenbar als Hauptmotiv bei Wolfram 1995: 61 angesehen. 22 Vgl. Beck 2003: 121-126. Ganz unabhängig von der gallischen Situation kann jedoch die germanische nicht gesehen werden, da bei der ‚Entstehung‘ von Wodan durchaus Beeinflussung von der gallischen Seite vorlag.23 23 Vgl. Jungandreas 1981: 33. 24 Zu Wodan vgl. allgemein Simek 1995: 302-310, 480-481. 25 Zur Ausbreitung vgl. kurz Wolfram 1995: 60; vgl. auch Jungandreas 1981: 33. 26 Vermutete Reste des Wodanglaubens in England sind zusammengestellt bei Kuhn 1845; vgl. auch Simek 1995: 480-481. 27 Vgl. Lühr 2000: 23, 199; Beck 2003: 122. Dagegen geht Schaffner 2001: 323-325 von urgerm. *.odu- als Grundlage für den Götternamen aus und setzt als Bedeutung ‚Herr/Gott der mantischen Poesie‘ an. Abwegig ist der Vorschlag von Rübekeil 2003: 27-35 (vgl. Wagner 2003). 28 Vgl. auch Timpe 1995: 114. Zum Beweggrund Caesars vgl. auch Wolfram 1995: 61. Wodan24 wird zur damaligen Zeit kaum gemeingermanische Geltung gehabt haben.25 Wie auch aus den oben genannten Belegen hervorgeht, ist die Wodanverehrung offenbar besonders stark bei den Engländern gewesen (vgl. auch Vita S. Kentigerni [um 600]: Woden principalem deum Anglorum ‚Wodan, der Hauptgott der Angeln‘).26 Der Göttername urgerm. *.odana- (> ahd. Wuotan, as. ae. Woden, aisl. Óðinn, aschwed. Oþin, Oþan; neben as. Wodin, ae. Woeden [< urgerm. *.odina-], aschwed. Oþun [< urgerm. *.oduna-]) ist eine Ableitung mit den primus inter pares bezeichnenden Suffixen urgerm. *-ana-/-ina-/-una- von urgerm. *.oda- ‚Erregtheit, Dichtkunst‘ (> aisl. óðr; vgl. ahd. wuot ‚Wut‘, ae. wod ‚Eifer, Stimme, Gesang‘ [< urgerm. *.odo-]; neben aisl. Óðr GN, run. [Dat.sg.] woduride wohl ‚dem wie Wodan dahinstürmenden Reiter‘ [< urgerm. *.odu- ‚Raserei‘]).27 Die in diesem Kapitel gegebenen Angaben zur germ. Religion stehen in einem auffallenden Gegensatz zu dem ältesten Bericht über die germanische Religion bei Caes. Gall. 6,21,2, dass die Germanen lediglich Naturgottheiten verehren: deorum numero eos solos ducunt, quos cernunt et quorum aperte opibus iuvantur, Solem et Vulcanum et Lunam, reliquos ne fama quidem acceperunt ‚unter die Götter zählen sie nur die, die sie wahrnehmen und deren Wirken ihnen augenscheinlich zu Hilfe kommt, die Sonne, den Mond und Vulkan. Den Glauben an die übrigen kennen sie nicht einmal vom Hörensagen‘. Dieser Gegensatz ist sicherlich beabsichtigt.28 Allerdings kennt auch Tacitus noch die Vorstellung der Sonne als Gottheit (vgl. Tac. ann. 13,55,2: solem inde suspiciens et cetera sidera vocans quasi coram interrogabat, vellentne contueri inane solum ‚indem er [= Boiocalus] dann zur Sonne aufblickte und die übrigen Gestirne anrief, fragte er sie, als wären sie gegenwärtig, ob sie auf ödes Land herabschauen wollten‘; ebenso ist wohl auch die Angabe in c. 45,1 zu deuten: sonum insuper emergentis audiri formasque deorum et radios capitis aspici ‚dass man überdies das Tönen der emportauchenden Sonne höre und das Antlitz der Götter sowie die Strahlen ihres Hauptes sehe‘), dessen besondere Stellung sich noch länger hielt (vgl. Prok. BG 2,15,23: .e... µ..t.. .a. da.µ..a. p...... ..ß....., ..pa..... te .a. .ep.... ‚sie [= die in Thule Lebenden] verehren eine Menge von Göttern und göttlichen Wesen, am Himmel, in der Luft‘; ebenso definiert Knut der Große das Heidentum als: þæt man do weorðige hæðne goðas ond sunnan oððe monan, fyr oððe flod, wæter wyllas … ‚dass man anbete die heidnischen Götter und die Sonne oder den Mond, das Feuer oder den Fluss, Wasserquellen …‘). Es ist somit davon auszugehen, dass beide Autoren (da sie unterschiedliche Interessen verfolgen) nur eine halbe Religionsdarstellung bieten, und zwar jeweils eine andere Hälfte.29 29 Ähnlich auch Timpe 1995: 112-118; Polomé 1999: 279. 30 So auch Gudeman 1916: 88. 31 Much 1967: 173; so schon Müllenhoff 1900: 213. 32 So etwa Müllenhoff 1900: 214-215; Much 1967: 173; Anderson 1997: 74. certis diebus] Durch die Gleichheit im Ausdruck in c. 11,1 (certis diebus ‚an festgesetzten Tagen‘) wird nahe gelegt, dass die Menschenopfer mit den Versammlungen zusammenfallen;30 vgl. zu dieser Verbindung Tac. ann. 1,50,3: etenim attulerant exploratores festam eam Germanis noctem ac sollemnibus epulis ludicram ‚denn Kundschafter hatten berichtet, daß diese Nacht bei den Germanen gefeiert werde und zu heiterem Festmahl bestimmt sei‘. Ob damit auch ”der älteste Hinweis auf den germanischen Festkalender. vorliegt,31 muss freilich fraglich bleiben. Der Ausdruck certi dies ist der römischen Sakralsprache entnommen, wo die festgesetzten Tage mit dem Ausdruck stati dies ‚feststehende Festtage‘ bezeichnet werden (vgl. auch c. 39, 1: stato tempore ‚zu einem festen Zeitpunkt‘). humanis quoque hostiis litare fas habent] Tacitus schränkt das Menschenopfer auf den Kult des höchsten Gottes ein,32 eine Angabe, die allerdings nur für den ersten Teil der Germania zutrifft, wohl um die Stellung als Hauptgott der Germanen zu untermauern. Im zweiten Teil werden Menschenopfer/tötungen sowohl im Semnonenhain (c. 39,1: caesoque publice homine ‚und nachdem sie im Namen der Öffentlichkeit einen Menschen hingeschlachtet haben‘) wie bei dem Nerthuskult (c. 40,4: servi ministrant, quos statim idem lacus haurit ‚das besorgen Sklaven, die alsbald dieser selbe See verschlingt‘) erwähnt. Wie aus der Stellung von quoque hervorgeht (es steht direkt hinter humanis und hebt dieses Wort hervor), gab es für ‚Merkur‘ neben anderen Opfern (Opfertiere [s.u.]) auch Menschenopfer. Prinzipiell anders zu Opfern ist die Äußerung bei Caes. Gall. 6,21,1: neque sacrificiis student ‚noch legen sie großen Wert auf Opfer‘, jedoch ist diese Angabe in Gegensatz zu den Praktiken bei den Galliern zu verstehen. Menschenopfer bei den Germanen werden häufiger, nicht nur bezüglich Merkur, erwähnt; vgl. Tac. ann. 1,61,3: lucis propinquis barbarae arae, apud quas tribunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant ‚in den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und die Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten‘; ebd. 13,57,2: quia victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi viri, cuncta occidioni dantur ‚weil beide [= die Hermunduren und Chatten] für den Fall des Sieges das gegnerische Heer dem Ziu und Wotan geweiht hatten, ein Gelübde, nach dem Pferd und, kurz alles der Vernichtung anheimfällt‘; ebd. 14,30,3: nam cruore captivo adolere aras et hominum fibris consulere deos fas habebant ‚denn vom Blut von Kriegsgefangenen die Altäre dampfen zu lassen und aus menschlichen Eingeweiden den Willen der Götter zu erfragen hielten sie [= Britannier] für heiliges Recht‘; Caes. Gall. 1,53,7: is se praesente de se ter sortibus consultum dicebat, utrum igni statim necaretur an in aliud tempus reservaretur; sortium beneficio se esse incolumen ‚dieser [= C. Valerius Procillus] berichtete, daß man [= die Gefolgsleute des Ariovistus] in seiner Gegenwart dreimal über ihn das Los geworfen habe, ob er sofort verbrannt oder für später aufbewahrt werden sollte. Dem Ausgang der Lose habe er zu verdanken, daß er unverletzt sei‘; Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: t... ... a..µa..t... d.. t.. .tpat.p.d.. .....t.. ..f.pe.., .ata.t..a.a. d’ a.t... .... .p. .pat.pa .a..... .... .µf.p... e...... e.... d. ..aß..pa., .. ..aß..a ** .peppet.. t.. ..ß.t.. ..a.µ.t.µe. ..a.t.. µete.p...e.ta. .. d. t.. pp..e.µ.... a.µat.. e.. t.. .pat.pa µa.te.a. t... .p.....t., ...a. d. d.a....a.a. ..p.....e... ..af.e...µe.a. ..... t... ...e.... ‚diese [= kimbrische Priesterinnen] liefen im Heereslager mit Schwertern bewaffnet den Kriegsgefangenen entgegen, bekränzten sie und führten sie zu einem Bronzekessel, der etwa zwanzig Amphoren maß. Sie hatten einen Tritt, auf den stieg und über dem Kessel jedem einzelnen, während er emporgehoben wurde, die Kehle durchschnitt: aus dem in den Kessel strömenden Blut weissagten sie dann; anderen schnitten den Körper auf, beschauten die Eingeweide und verkündeten den Ihren dann mit lauter Simme den Sieg‘; Flor. epit. 2,30: qui uiginti centurionibus in crucem actis hoc uelut sacramento sumpserant bellum ‚die [= Cherusker, Sueben und Sigambrer] 20 Zenturionen gekreuzigt hatten und diesen Krieg, wie durch einen Eid (gebunden), … begonnen hatten‘ (AG 2, 24-25); Oros. 5,16,6: homines laqueis collo inditis ex arboribus suspensi sunt ‚die Menschen mit Stricken um den Hals an den Bäumen aufgehängt‘; Sidon. epist. 8,6,15: mos est … decimum quemque … ritu necare ‚es ist brauch jeden zehnten … auf hergebrachte Weise zu töten‘; Prok. BG 2,14,1: .e.. … ... d. .a. ...p.p.. ....a.. .....e..a. ..... a.t... .d..e. e..a. ‚Götter, deren Huld sie [= die Heruler] auch durch Menschenopfer gewinnen zu müssen glaubten‘; ebd. 2,15,24-25: t.. d. .epe... .f... t. ......t.. ...p.p.. ..t.. ..pep d.p....t.. p....a..t. pp.t... t..t.. ..p t. .pe. ......., .pe. .e.. a.t.. ..µ...... µ....t.. e..a. ‚als deren herrlichstes [= Opfer] erscheint ihnen [= den Thuliten] aber der Mensch, und zwar der Kriegsgefangene, den sie als ersten erbeuten. Diesen weihen sie dem Ares, den sie für den obersten Gott halten‘; ebd. 2,25,9-10: .p..aß.µe... d. t.. .ef.pa. .. .p....., pa.d.. te .a. ...a..a. t.. G.t..., ...pep ..ta..a e.p.., ..pe... te .a. a.t.. t. ..µata .. t.. p.taµ.. ..p.....a t.. p...µ.. .pp.pt.... .. ..p ß.pßap.. ..t.., Fp..t.a... .e....te., t. p.... t.. pa.a... d.... f........., ....a.. te .p.µe... ...p.p.. .a. ...a ... ...a .epe...te., ta.t. te t.. µa.te.a. p....µe... ‚sobald aber die Franken im Besitz der Brücke waren, brachten sie um, was sie an gotischen Weibern und Kindern da fanden, und warfen ihre Leichen als Erstlingsopfer des Krieges in den Fluß. Denn obwohl Christen, haben diese Barbaren das meiste von ihrem alten Heidenglauben beibehalten, und so pflegten sie Menschen- und andere grässliche Opfer, um darauf ihre Weissagungen zu gründen‘; Ad. Brem. 4,27: ibi etiam canes et equi pendent cum hominibus, quorum corpora mixtim suspensa narravit mihi alquis christianorum LXXII vidisse ‚da [= im Tempel Upsala] hängen Hunde, Pferde und Menschen; ein Christ hat mir erzählt, er habe 72 solche Leichen ungeordnet nebeneinander hängen sehen‘ (die Angabe bei Iord. Get. 5: quem Martem Gothi semper asperrima placavere cultura (nam victimae eius mortes fuere captorum), opinantes bellorum praesulem apte humani sanguinis effusione placandum, huic praede primordia vovebantur, huic truncis suspendebantur exubiae, eratque illis religionis preter ceteros insinuatus affectus, cum parenti devotio numinis videretur inpendi ‚diesen Mars haben die Goten immer mit einem grausamen Kultus verehrt – denn sein Opfer war der Tod der Kriegsgefangenen –, in der Meinung, daß der Lenker der Schlachten billigerweise durch Menschenblut versöhnt werden müsse. Ihm wurden die Erstlinge der Beute gelobt, ihm wurden an Baumstämmen erbeutete Rüstungen aufgehängt; es war ihnen eine ganz besondere Verehrung für ihn angeboren, da es so schien, als ob sie die göttliche Verehrung ihrem Stammesvater erwiesen‘ ist nicht zugehörig; vgl. Fn. 58). Die Römer hatten nicht allzu lange zuvor aufgehört, Menschenopfer darzubringen; vgl. Liv. 22,57,6: interim ex fatalibus libris sacrificia aliquot extraordinaria facta, inter quae Gallus et Galla, Graecus et Graeca in foro bouario sub terram uiui demissi sunt in locum saxo consaeptum, iam ante hostiis humanis, minime Romano sacro, imbutum ‚inzwischen brachte man nach der Anordnung der Schicksalsbücher einige außerordentliche Opfer dar. Unter anderem ließ man einen Gallier und eine Gallierin, einen Griechen und eine Griechin auf dem Rindermarkt lebendig in ein unterirdisches Verließ hinab, das schon früher Menschenopfer erlebt hatte, eine sonst keineswegs bei Römern übliche Form des Opferns‘ (vgl. ausführlich Plut. ait. rom. 83); auch bei den Griechen sind Menschenopfer noch in historischer Zeit belegt; vgl. Plut. themist. 13,3: .a. t... a..µa..t... t. ß.µ. pp..a.a...te., .....a.a., .. . µ..t.. ....e..e, t.. ....a. ...te.e....a. ‚ führte die Gefangenen zum Altar und zwang den Themistokles, das Opfer nach der Vorschrift des Wahrsagers zu verrichten‘. Menschenopfer lassen sich archäologisch nachweisen, obwohl bei den Funden zwischen rituellen Opfern und Hinrichtungen kaum unterschieden werden kann.33 Die Wendung fas habent kommt bei Tacitus mehrmals vor, vgl. hist. 5,13,1: evenerant prodigia, quae neque hostiis neque votis piare fas habet gens supersitioni obnoxia ‚es waren Vorzeichen geschehen; doch sie durch Opfer und Gelübde zu entsühnen, hält das dem Aberglauben ergebene … Volk [= die Juden] für nicht erlaubt‘; ann. 14,30,3: fas habebant ‚halten sie [= Britannier] für heiliges Recht‘. Ähnlich sind auch die Wendungen: Germ. c. 21,2: nefas habetur ‚gilt als ruchlos‘; hist. 5,5,3: nefas ‚Frevel‘. Für das Opfer bzw. für die Handlung des Opferns sind in den germ. Sprachen folgende Ausdrücke belegt: 33 Zu Menschenopfern vgl. Todd 2000 103-106; RGA 19: 533-546. 34 Vgl. Lühr 2000: 230. 35 Zur weiteren Etymologie vgl. Kölligan 2002; Casaretto 2004: 409-410. 36 Got. *tibr ist eine Konjektur für einmal überliefertes got. aibr ‚Opfergabe‘ (Mt. 5,23), die jedoch nicht a. got. blotan, ahd. bluozzan, ae. blotan, aisl. blóta < urgerm. *blote/a- ‚(einen Gott) verehren, opfern‘, zur Verbalwurzel vorurgerm. *bhleh2-d- (vgl. lat. flamen ‚Priester‘ < vorurital. *bhléh2-m. eigtl. ‚das Opfern‘ mit Übertragung auf den, der das Opfer ausführt);34 b. got. hunsl, ae. husel, aisl. húsl, hunsl, run.-schwed. hosli < urgerm. *.unsla- ‚Opfer‘;35 c. got. *tibr,36 ahd. zebar, ae. tiber/tifer, vielleicht auch aisl. tívor37 < urgerm. *ti.bra- ‚Opfergabe, Opfertier‘ mit unklarer weiterer Etymologie.38 allgemein akzeptiert wird (vgl. Schaffner 2001: 260, Anm. 477). 37 Hapax legomenon (Voluspa 31) mit einer nicht ganz zu sichernden Bedeutung. 38 Eine Auflistung der Vorschläge bei Schaffner 2001: 264-265; Casaretto 2004: 421. 39 et findet sich auch in den frühen Drucken kgJdS. 40 ac findet sich auch in den frühen Drucken ZwATPnVLehrMF. 41 Vgl. Robinson 1991: 195. 42 et nehmen etwa auf: Müllenhoff 1900: 216; Schweizer-Sidler 1923: 25; Halm 1930: 227; Reeb 1933: 28; Lenchantin de Gubernatis 1949: 8; Much 1967: 171; Lund 1988: 76; Städele 1991: 88; ac nehmen etwa auf: Passow 1817: 12; Günther 1826: 13; Grimm 1835: 5; Tross 1841: 8; Maßmann 1847: 60; Önnerfors 1983: 7; Winterbottom – Ogilvie 1985: 42; Perl 1990: 88; Robinson 1991: 284; Anderson 1997; Perret 1997: 75; Benario 1999: 22. 43 Die Folge wurde zuerst getilgt von Ritter 1865; darin etwa gefolgt von Gudeman 1916: 89, 241; Norden 1920: 173; Koestermann 1970: 11. 44 In diesen Hss. lautet der Text somit Martem concessis animalibus placant et Herculem. Diese Textfassung ist aufgenommen bei Holtzmann – Holder 1873: 36. 45 Hommel 1941-1942: 145. 46 Vgl. auch Perret 1950: 87-88, Anm. 3; Robinson 1991: 284; vgl. auch Lund 1988: 138. 47 Damit ist also eine Dreizahl erreicht. Die nachstehende Isis ist also nicht eingeführt worden, weil ”Tacitus für die Gottheiten an dieser Stelle eine Dreizahl zu erreichen wünschte. (Wagner 1979: 212). Herculem et Martem] Hier gibt es gleich zwei textkritische Probleme. Zum einen ist in den Hss. neben et in bBETdvormon39 auch ac (in den restlichen Hss.)40 überliefert,41 die beide in den Ausgaben zu finden sind.42 Die Lesart ac ist zwar besser bezeugt (auch ist die Konjunktion ac zwischen Namen belegt, vgl. c. 5,1: Noricum ac Pannoniam ‚Noricum und Pannonien‘), et (das ebenfalls zwischen zwei Namen belegt ist, vgl. c. 1,1: Rheno et Dannubio ‚Rhein und Donau‘) findet sich dagegen in den besseren Hss. (EBb). Zum anderen hat man die Folge Herculem et (ac) aus dem Text tilgen wollen,43 da in den Hss. Bb die Folge nachgestellt ist.44 Begründet wurde die Tilgung des vermeintlichen Glossems u.a. mit folgendem Argument: ”Ein gelehrter Leser wahrscheinlich der Karolingerzeit hat offenbar in dem Bericht des Tacitus das dritte Glied in der damals geläufig gewordenen und bekannten Götterdreiheit Wodan-Ziu-Donar vermißt und mit der für Tacitus’ Zeit ganz unmöglichen interpretatio Donar = Hercules ”& Herculem. oder ”Herculem &. an den Rand geschrieben..45 Warum diese Gleichsetzung für die Zeit des Tacitus ”ganz unmöglich. sei, wird dabei allerdings nicht erörtert. Auch aus paläographischen Gründen ist Herculem et (ac) nicht zu tilgen, da die Versetzung nur in den Hss. Bb vorkommt, somit nicht auf eine in den Text geratene Glosse schließen lässt.46 Es liegt folglich kein Grund vor, in den überlieferten Text einzugreifen. Es werden also neben Merkur (= Wodan) noch zwei weitere Götter genannt,47 Herkules und Mars, beide wiederum in der interpretatio romana. Diese Göttertrias erscheint auch auf Votivaltären aus der 1. Hälfte d. 2. Jh.s von equites singulares germanischer Abstammung (vgl. u.a. CIL, VI 31139: Marti Mercur[io] / Herculi ‚dem Mars, Merkur, Hercules‘; CIL, XIII 7789: Marti Hercul[i] / Mercurio ‚dem Mars, Hercules, Merkur‘). Die Erschließung des hinter dem Namen Herkules sich verbergenden germanischen Gottes (somit wird der Name Herkules anders gebraucht als in c. 3,1: primumque omnium virorum ‚den vortrefflichsten aller Helden‘), ist nicht ganz so gesichert wie bei Merkur und Mars.48 Bei Tacitus wird Herkules ein weiteres Mal erwähnt in ann. 2,12,1 von: in silvam Herculi sacram ‚im heiligen Hain des Donar‘. Auch gibt es auf germanischem Boden zahlreiche Weiheinschriften für Herkules.49 Es gibt sonach eigentlich keinen Hinweis, welcher germanische Gott gemeint sein kann. Von den vorhandenen Göttern ist wohl am ehesten Donar50 mit Herkules gleichzusetzen,51 da beide unterwegs im Kampf gegen Unholde,52 von großer Leibeskraft (vgl. den in Votivinschriften belegten Beinamen Magusanus des Hercules;53 Magusanus ist als ‚der zur Kraft, Stärke Gehörige‘, bzw. ‚deren Herrn‘ zu deuten, eine Ableitung mit dem Suffix urgerm. *-na- zu urgerm. *maguz/s ‚Kraft, Stärke‘, selbst eine Ableitung zur Verbalwurzel uridg. *magh-‚können, vermögen‘54),55 Menschenfreunde sind und ein bäuerisches Wesen haben. Zudem könnte der Hammer Donars an die Keule von Herkules erinnern.56 Falls dies zutrifft, kam die interpretatio romana wohl hauptsächlich wegen des übereinstimmenden Charakters zustande. 48 Vgl. etwa die Argumentation bei Much 1967: 175: ”Hercules muß hier der germanische Donnergot *Þunaraz … sein, da dieser gemeingermanische und überall hochangesehene Gott nicht übergangen sein kann.; ähnlich auch Anderson 1997: 74-75. 49 Vgl. Gutenbrunner 1936: 58-61. 50 Zu Donar vgl. allgemein Simek 1995: 74-75, 403-413. 51 Für die Gleichsetzung beider treten alle Forscher mit mehr oder weniger Skepsis ein, vgl. etwa Städele 1991: 327; Wolfram 1995: 61; Simek 1995: 176-177; Polomé 1999: 280. 52 So Simek 1995: 177. 53 Zu den Belegen vgl. Gutenbrunner 1936: 220-221. 54 Vgl. Wagner 1977. 55 Dies ist nach RGA 6: 5 die Hauptursache für die Gleichsetzung. 56 Vgl. Simek 1995: 177. In späterer Zeit wird Donar dagegen mit Juppiter gleichgesetzt, da beide für Blitz und Donner verantwortlich waren. Daher ist die Übersetzung von lat. Iovis dies (ital. giovedì, afrz. juesdi, nfrz. jeudi, span. jueves, rumän. joi) in den germ. Sprachen denn auch ahd. donarestag, mhd. donerstac, nhd. Donnerstag, mndd. doner(s)dach, mndl. donresdach, nndl. donderdag, ae. þunresdæg, ne. thursday, afr. thunresdei, aisl. þórsdagr aus. Man vgl. zu dieser Gleichsetzung Ad. Brem. 4,26: Thor … presidet in aere, qui tonitrus et fulmina, ventos ymbresque, serena et fruges gubernat … Thor autem cum sceptro Iovem simulare videtur ‚Thor … herrscht in der Luft; er gebietet Donner und Blitzen, Wind und Regen, Sonnenschein und Frucht … Thor endlich gleicht durch sein Zepter offensichtlich dem Jupiter‘; Wulfestan, falsis diis 47-51: þes Jovis is arwurðost ealra þæra goda / þe þa hæðenan hæfdon on heora gedwylde / and he hatte þor betwux sumum þeodum ‚dieser Juppiter ist der verehrteste aller der Götter, die die Heiden hatten in ihrem Wahn, und er hieß Thor unter einigen Völkern‘. Der Göttername urgerm. *þunara- (> ahd. donar, as. thuner, ae. ðunor, afries. thuner/tongher, aisl. þunarr) < uridg. *t.h2-ero- ‚Donner‘ (> gall. [FlN] Tanaros; mit Metathese gall. [GN] Taranus, kymr. akorn. bret. taran), eine Ableitung zur uridg. Verbalwurzel *(s)ten2- ‚donnern, rauschen, dröhnen‘ (> ai. tányati [< *(s)tenh2-.e/o-], ai. stányati, lat. tonare [< *(s)tonh2-e.e/o-]).57 57 Vgl. Lühr 2000: 289-290; Hardarson 2001: 104-105. 58 Dagegen ist die Stelle aus Iord. Get. 5 (s.o.), wo anscheinend von einem Mars der Goten gesprochen wird (als Parallele in neuerer Zeit etwa noch angegeben bei Perl 1990: 159 und Rives 1999: 160), nicht relevant, da – wie bereits Wagner 1970 nachwies – hier von Mars als einem Verwandten der Thraker die Rede ist. 59 Grienberger 1891: 389. Diese Deutung etwa auch bei de Vries 1977: 206 als ‚recht unsicher‘ bezeichnet; vgl. auch Simek 1995: 258. 60 Einwände dagegen bei Gutenbrunner 1936: 50-51. 61 Vgl. allgemein zu Ziu Simek 1995: 432-434, 488-489. 62 Die Gleichsetzung wird u.a. akzeptiert von Städele 1991: 327; Wolfram 1995: 61; Simek 1995: 257-258. Bei der Identifikation der hinter Mars stehenden germanischen Gottheit ist die Beleglage günstiger. Bei Tacitus wird Mars zwei weitere Male erwähnt, erstens in hist. 4,64,1, wo die Tenkterer ihn als den obersten Gott bezeichnen: praecipuo deorum Marti grates agimus ‚danken wir … Mars, dem obersten Gott‘58 und in ann. 13,57,2, wo er mit Mercurius genannt wird: quia victores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi viri, cuncta occidioni dantur ‚weil beide [= die Hermunduren und Chatten] für den Fall des Sieges das gegnerische Heer dem Ziu und Wotan geweiht hatten, ein Gelübde, nach dem Pferd und, kurz alles der Vernichtung anheimfällt‘. Daneben kommt Mars auch auf Weiheinschriften vor, einmal mit dem Beinamen Halamardus (CIL, XIII 8707: Marti / Halamard(o) / sacrum ‚das Heiligtum des Mars Halamardus‘), der von von Grienberger als ‚Mannmörder‘ gedeutet wurde, eine Interpretation, die zwar zu Mars passen würde, jedoch sprachlich nicht überzeugt.59 Es liegt – falls dies zutreffend ist60 – somit durchaus nahe, in Mars den germanischen Kriegsgott Ziu61 zu erblicken.62 Für diese Gleichsetzung sprechen noch folgende Argumente: a. Der Tagesname Martis dies (> ital. martedì, frz. mardi, prov. di martz, span. martes, rum. marti) wird in den germ. Sprachen als ahd. ziostag, ziestac, mhd. zistac, nhd. aleman. Zištig, schwäb. ziestag, ae. tiwesdæg, afr. tiesdei, tisdei, aisl. týsdagr wiedergegeben; b. Es gibt in ae. Glossen mehrere Gleichsetzungen zwischen Mars und ae. Tiw/Tig;63 63 Zu den Belegen vgl. Jente 1921: 87. 64 Vgl. Schaffner 2001: 603-606; vorsichtiger RGA 22: 343-345. Dagegen kennt Ad. Brem. 2,62 eine Verbindung zwischen dem Gott Thor und dem Thing: qui dum sua predicatione multos ad christianam fidem convertisset, ydolum gentis nomine Thor stans in concilio paganorum cepit anathematizare ‚als er durch seine Predigt viele zum christlichen Glauben bekehrt hatte, unternahm er es, das in dem heidnischen Thing stehende Götzenbild des Volkes namens Thor mit dem Bannfluch zu belegen‘. 65 Der Göttername liegt nicht vor in dem Namen ahd. Cyuuari = Suapa (Gl. 3,610,14), der früher als ‚Ziu-Leute‘ interpretiert wurde (so noch bei Braune – Eggers 1987 : 200 [vgl. ebd. S. 25]; geändert bei Braue – Reiffenstein 2004: 202). Dieser Name ist nämlich mit Wagner 1987: 519-524 nicht als ahd. sondern als vulg.lat. aufzufassen und zu tivari zu emendieren. 66 As. Saxnot hat eine Entsprechung in ae. Seaxnet, der als Sohn Wodans und Stammvater der Könige von Essex genannt wird. Falls der Name ‚Schwertgenosse‘ bedeutet und nicht ‚Freund der Sachsen‘, liegt es nahe, auch hier an den Kriegsgott zu denken. Saxnot wird u.a. von Wolfram 1995: 61 als Ziu-Ersatz angesehen. 67 Nicht weiter erwähnenswert ist die Konjektur von concessis in consuetis durch Reifferscheid (Angabe und ebenfalls Ablehnung bei Baumstark 1875: 417). 68 Dieser Meinung schließen sich etwa an Müllenhoff 1900: 217; Schweizer-Sidler 1923: 25; Much 1967: 176; Lund 1988: 138; Anderson 1997: 75; Rives 1999: 161. c. Inschriftlich findet sich als Beiname des Mars das Wort Thincsus (CWB 1593: Deo Marti Thincso). Dass dieser Beiname, der als ‚Schutzherr des Things‘ zu deuten ist, ein Epitheton des Ziu war, zeigt sich an das Eindringen in die Wochentagsnamen mndl. dijsdag, nndl. fläm. disendach, ndd. dingsdag, dinsdag.64 Der Göttername urgerm. *ti.a- (> got. [Runenname in der Salzburger Alkuin-hs.] tyz, ahd. *Ziu,65 ae. Tiw/Tig, aisl. Týr) geht auf uridg. *de..o- ‚himmlisch; Gott‘ zurück (> ai. devá-, av. daeuua-, alat. deivos, lat. deus, divus, air. día, lit. di.vas, lett. dièvs). Eine Göttertrias ist im germanischen Raum mehrmals belegt. So ist im as. Taufgelöbnis die Reihung Thuner, Woden und Saxnot66 belegt: ende ec forsacho allum dioboles uuercum and uuordum, Thunaer ende Uuoden ende Saxnote ende allum them unholdum, the hira genotas sind ‚und ich widersage allen Werken und Worten des Teufels, Donar und Wodan und Saxnot und allen Götzen, die ihre Genossen sind‘. Ad. Brem. 4,27 nennt für den Haupttempel in Uppsala die Götter Thor, Wodan und Fricco: si pestis et fames imminet, Thor ydolo lybatur, sie bellum, Wodani, sie nuptiae celebrandae sunt, Fricconi ‚wenn Seuchen und Hunger drohen, wird dem Götzen Thor geopfert, steht Krieg bevor, dem Wodan, soll eine Hochzeit gefeiert werden, dem Frikko‘. concessis animalibus] Die Stelle hat zwei Erklärungen erfahren.67 Zum einen ist man davon ausgegangen, dass hier ein Gegensatz zu den Menschenopfern zu finden sei, die in Rom nicht (mehr) erlaubt waren, so dass ein Vergleich mit römischen Verhältnissen vorläge.68 Zum anderen ist man der Meinung, dass sich concessis animalibus auf die jeweiligen Götter beziehe, so dass der Sinn der Stelle sei, dass die Germanen bestimmte Tiere Herkules, (andere) bestimmte Tiere Mars opferten.69 Zur Unterstützung der ersten Auffassung (wenn sie überhaupt begründet wird) wird auf Tac. hist. 5,4,1 verwiesen: Moyses … novos ritus contrariosque ceteris mortalibus indidit. profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta ‚gab Moyses ihm neue Kultbräuche, die im Gegensatz stehen zu denen aller übrigen Menschen. Unheilig ist dort alles, was bei uns heilig, andererseits ist erlaubt bei ihnen, was für uns als Schande gilt‘. Allerdings ist diese Stelle kaum beweiskräftig, da hier der Vergleich explizit angeführt wird, an der Germania-Stelle jedoch nicht. Und auch dort bezieht sich concessa nur auf die Juden, beinhaltet also keinen impliziten Vergleich mit den Römern. Es liegt somit kein Grund vor, concessis hier als impliziten Vergleich mit den Römern aufzufassen. Daher ist concessis animalibus als ‚Tiere der dafür erlaubten Art‘ zu verstehen. 69 So etwa Gudeman 1916: 89; Reeb 1933: 28; offenbar auch Perl 1990: 89. 70. 71 Vgl. Much 1967: 177. 72 In der Niederlegung bei Skedemosse (vgl. Hagberg 1967: 55-62), bei Feddersen Wierse (vgl. Reichstein 1991: 323). Mit dieser Auffassung kommt man zudem um die Tatsache herum, dass die Opfertiere der Germanen, wie aus den archäologischen Quellen hervorgeht, zum Teil andere sind als bei den Römern. Unter die germanischen Opfertiere fallen nämlich Hund, Schaf (vgl. hierzu auch got. sauþs ‚Opfer‘ neben aisl. sauðr ‚Schaf‘ [< urgerm. *sa.di-]),70 Rind und Pferd,71 selten auch Schweine,72 während bei den Römern Schwein, Schaf und Rind geopfert wurden. Da teilweise nur die nicht-essbaren Reste der Tiere gefunden wurden, ist davon auszugehen, dass die anderen Teile während eines Festmahls verspeist wurden (vgl. dazu auch Tac. hist. 4,14,2: Civilis primores gentis et promptissimos vulgi specie epularum sacrum in nemus vocatos ‚Civilis berief die Häupter des Stammes und die entschlossensten Männer aus dem Volk unter dem Vorwand eines Festmahls in einen heiligen Hain‘). pars Suevorum et Isidi sacrificat] Nach diesen drei Gottheiten, denen alle Germanen Opfer darbringen, spricht Tacitus von einer Göttin, der lediglich von einem Teil der Sueben geopfert wird. Auffällig an dieser Stelle ist demnach, dass Tacitus eine Aussage über die Religion nur eines Teiles der Germanen macht, während der erste Teil der Germania darüber handeln sollte, was allen Germanen eigen ist; Isis steht jedoch ungefähr auf der gleichen Stufe wie Nerthus (c. 40,2: nisi quod in commune Nertum, id est Terram matrem, colunt ‚außer dass sie gemeinsam Nerthus, das heißt die Mutter Erde, verehren‘) und Alces (c. 43,3: ea vis numini, nomen Alcis ‚darin besteht das Wesen der Gottheit, ihr Name ist Alcis‘). Es liegt somit eine Abschweifung vor, wie auch aus ceterum (s.u.) ersichtlich ist. Diese Stelle wird sehr kontrovers behandelt, von Helm wurde sogar vorgeschlagen, sie gänzlich zu streichen,73 was allerdings sowohl wegen der hss. Lage wie auch wegen des nachfolgenden ceterum nicht angebracht ist. Die Unklarheit der Interpretation hat mehrere Gründe: Zum einen kann Isis, wie aus den nachfolgenden Bemerkungen hervorgeht, nicht als interpretatio romana einer einheimischen Göttin aufgefasst werden (in Gegensatz zu den vorhergehenden Göttern), so dass tatsächlich – zumindest nach der Auffassung des Tacitus – von der ägyptischen Göttin Isis auszugehen ist.74 Zum anderen ist unklar, welcher Teil der Sueben gemeint ist und wo dieser Teil zu lokalisieren sei. Es ist also zunächst nach einer Verehrung der Isis im germanischen Raum zu fragen. In der römischen Provinz Germania (inferior/superior) lässt sich der Isiskult nachweisen, der sich in der Zeit von Kaiser Caligula (37-41 n.Chr.) schnell in den römischen Provinzen, wohl unter Einfluss von Kaufleuten, ausbreitete. Auch in Germanien wurden einige bronzene Isis- Statuen gefunden. Ein weiterer Schwerpunkt des Isiskultes findet sich später im Donautal. Von dort könnte der Kult weiter in das Binnenland vorgedrungen sein. Letztere Möglichkeit ist wegen der internen Darstellung in der Germania wohl wahrscheinlicher, da Tacitus in c. 2,1 und c. 4 berichtet hatte, er sei der Meinung, dass keiner über den Ozean nach Germanien eingewandert sei und die Germanen keine Berührung mit der Außenwelt gehabt hätten. Zusätzlich problematisch an der Identifizierung des Isiskultes im Nordwesten Germaniens ist, dass es hier keine Sueben gibt. Die Göttin Isis (Bedeutung ‚Thron‘) galt als Schutzgöttin, Zauberin und vor allem als Herrscherin in der Unterwelt wie als Himmelskönigin, Weltherrin und Schöpferin aller Kultur. Seit dem 2. Jh. v.Chr. ist ihr Kult in Italien nachweisbar. 73 Helm 1918. 74 Die Tatsache, dass es sich um einen fremdländischen, eingeführten Kult handelt, schließt die Annahme, dass sich hinter Isis die germanischen Gottheit Freya oder Nehalennia verbirgt, aus (so u.a. Wolfram 1995: 61; Simek 1995: 218; allgemein zu den Versuchen hinter Isis eine germanische Gottheit zu finden vgl. Polomé 1999: 280- 281). Es fragt sich allerdings, warum Tacitus diese Stelle hier eingeschoben hat. Da er der Meinung ist, dass die Germanen kaum Kontakte zu anderen Völkerschaften hatten, es sich bei dem Isis-Kult aber um einen eingeführten Kult handelt, muss es sich um eine neuere Erscheinung handeln. Es mag somit eine Rolle spielen, dass hier erneut auf die Eigenständigkeit der Germanen hingewiesen, da es sich um ein neuzeitliches Phänomen handeln muss. unde causa et origo peregrino sacro] Hieraus wird ersichtlich (wie aus advecta religio [s.u.]), dass Tacitus an eine fremde, ausländische Religion denkt, die als vollständiger Kult eingeführt worden ist. Das Wort origo bezieht sich natürlich nicht auf die Herkunft des Kultes aus Ägypten, sondern darauf, von wem dieser Teil der Sueben den Kult übernommen hat. Die Wörter causa und origo kommen häufiger zusammen vor, vgl. etwa Cic. orat. 174: primum ergo origo, deinde causa ‚zuerst also der Ursprung, dann die Ursache‘; ds. Tusc. 3,23: doloris huius igitur origo nobis explicanda est, id est causa efficiens aegritudinem in animo tamquam aegrotationem in corpore ‚wir müssen den Ursprung dieses Schmerzes erklären, also die Ursache, die den Kummer in der Seele erzeugt wie die Krankheit am Körper‘; Liv. 28,27,11: et causa atque origo omnis furoris penes auctores est ‚der Anlaß und der Ursprung jeder Raserei liegt bei den Anstiftern‘; Plin. nat. 11,181: ut pariat praecipuam vitae causam et originem ‚um Hauptursache und Ursprung des Lebens hervorzubringen‘; Plin. epist. 1,22,3: quas acri magnoque iudicio ab origine causisque primis repetit, discernit, expendit ‚denen er mit scharfsinnigem, sicherem Urteilsvermögen bis zur ihrem Ursprung und ihren Grundlagen nachgeht und sie danach scheidet und abwägt‘; Apul. met. 10,3,5: causa omnis et origo praesentis doloris ‚die ganze Grund und die Ursache meines jetzigen Schmerzes‘.75 75 Vgl. ThLL III: 664,68-71. 76 So Gudeman 1916: 90. 77 Vgl. Baumstark 1875: 423. origo, konstruiert mit Dativ, ist im Lateinischen seit Lukrez selten, findet sich aber auch etwa bei Vergil (Aen. 6,730-731: igneus est ollis vigor et caelestis origo / seminibus ‚Feuers Urkraft lebt und himmlischer Ursprung in jenen Keimen‘), so dass kein Grund vorliegt anzunehmen, dass ”die Konstruktion von causa die von origo nach sich gezogen. hätte.76 Das Wort peregrinus (in der Bedeutung wie externus) drückt, obwohl der Kult in Germanien vorkommt, den Kontrast zur Verehrung der einheimischen Göttertrias aus.77 parum comperi] Dieselbe Junktur kommt bei Tacitus noch hist. 2,42,1 vor: parum compertum ‚ließ sich nicht feststellen‘; vgl. bereits Sall. Iug. 67,3: id misericordiane hospitis an pactione aut casu ita evenerit, parum conperimus ‚ob das aus Mitleid seines Gastgebers, ob aufgrund einer Absprache oder durch Zufall so kam, habe ich nicht recht herausbringen können‘. Ob man aus dem Verbum comperire schließen kann, dass Tacitus nur mündliche Quellen vorgelegen haben,78 ist unsicher.79 78 So Gudeman 1916: 90. 79 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 26. 80 Kühner – Stegmann II,2: 416. 81 Da bei Tacitus ansonsten nur liburnica (sc. navis) belegt ist (man vgl. etwa Agr. c. 28,1: tres liburnicas ‚drei Liburnen‘), wurde von Gudeman 1916: 90, 241 (vorsichtig auch bei Anderson 1997: 77 überwogen) die Konjektur liburnica vorgenommen, die allerdings sowohl wegen der eindeutigen Beleglage (es ist in allen Hss. liburnae bezeugt) wie auch wegen der dichterischen Qualität (vgl. Anderson 1997: 77) kaum zu überzeugen vermag (vgl. auch Sörbom 1935: 26-27 Anm. 2). nisi quod] Die Verbindung nisi quod kommt seit Plautus im restriktiven Sinn vor. Sie steht gewöhnlich nach einem negativen Hauptsatz, jedoch ”auch ohne Beziehung auf eine Negation..80 Die Bedeutung ist ‚abgesehen davon, dass‘; vgl. auch Tac. Agr. 6,1: vixeruntque mira concordia, per mutuam caritatem et in vicem se anteponendo, nisi quod in bona uxore tanto maior laus, quanto in mala plus culpae est ‚sie [= Agricola und Domitia Decidiana] lebten in erstaunlicher Eintracht und wechselseitiger Liebe und gaben einander den Vorzug, wobei freilich einer guten Gattin um so höheres Lob gebührt, je mehr Schuld auf eine schlechte fällt‘. signum ipsum in modum liburnae figuratum] Die Figur der Göttin (zu signum ist signa aus c. 7,2 zu vergleichen; ein solches Zeichen könnten also die Krieger aus den Hainen in die Schlacht mitgenommen haben) ist also wie eine liburna gestaltet.81 Die liburna (der erste Beleg findet sich bei Caes. civ. 3,9,1: discessu Liburnarum ex Illyrico M. Octavius cum iis quas habebat navibus Salonas pervenit ‚nach Abfahrt der liburnischen Schiffe aus Illyricum landete Marcus Octavius mit seinem Geschwader in Salonä‘) war ein Zweireiher, der nach dem Vorbild illyrischer Seeräuberschiffe gebaut war. Er wurde nach dem Volksstamm der Liburni benannt, die an der istrisch-dalmatischen Küste zu lokalisieren sind (Plin. nat. 3,139: Arsiae gens Liburnorum iungitur usque ad flumen Titium. pars eius fuere Mentores, Himani, Encheleae, Bulini et quos Callimachus Peucetios appellat, nunc totum uno nomine Illyricum vocatur generatim ‚das Volk der Liburner erstreckt sich von der Arsia bis zum Fluß Titus. Ein Teil davon waren die Mentoren, Himaner, Encheleer, Buliner und diejenigen, welche Kallimachos Peuketier nennt; jetzt bezeichnet man allgemein das Ganze mit einem Namen als Illyricum‘). Der ‚Beweis‘ für die ausländische Herkunft des Kultes liegt also in dem den Germanen unbekannten Schiffstyp. Eine der Attribute der Göttin Isis war – neben Pflugschar und Mondsichel – ein Schiff.82 82 Als ein Fruchtbarkeitssymbol ist ein Schiffsbild weit verbreitet, so etwa bereits auf vorgermanischen Felszeichnungen. 83 So auch Gudeman 1916: 90; die Stelle lässt daher wohl kaum auf Tacitus’ ”positive Haltung den Germanen gegenüber. schließen (Lund 1988: 139). 84 Zu ceterum in dieser Funktion vgl. Kühner – Stegmann II,2: 79. 85 Zur Schreibung assimilare statt assimulare vgl. ThLL II: 895,78-896,7. 86 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 504-505. docet advectam religionem] Das Wort religio findet vermutlich deshalb Verwendung (wogegen in c. 39,2 und 43,3 das Wort superstitio verwendet wird), weil der Isiskult schon unter Caligula gesetzlich anerkannt worden war.83 Auffällig ist eine wörtlich und inhaltlich ähnliche Formulierung bei Lact. inst. 1,27: certus dies habetur in fastis, quo Isidis navigium celebratur, quae res docet illam non transasse, sed navigasse ‚man hat einen gewissen Tag im Kalender, an dem das Schiff der Isis gefeiert wird; diese Tatsache zeigt, dass sie nicht hinübergegangen, sondern mit dem Schiff gekommen ist‘. 2 ceterum] Der Anschluss ceterum nimmt das Vorhergehende – nach der Abschweifung über die Isisverehrung bei einem Teil der Sueben – wieder auf.84 nec cohibere parietibus deos neque in ullam humani oris speciem assimilare, ex magnitudine caelestium arbitrantur]85 Die Präposition ex steht von der Ursache.86 Obwohl die Abwesenheit von Götterbildern und Tempeln mit arbitrantur den Germanen zugeschrieben wird, rührt diese Stelle von antik-philosophischen Anschauungen her; vgl. u.a. Tac. Agr. 46,3: non quia intercedendum putem imagibus quae marmorae aut aere finguntur, sed, ut vultus hominum, ita simulacra vultus imbecilla ac mortalia sunt, forma mentis aeterna ‚nicht, daß ich glaubte, man müsse Einspruch erheben gegen Bildnisse, die aus Marmor oder Erz geschaffen werden; aber wie das Angesicht des Menschen sind auch die Abbilder seines Angesichts ohne Kraft und Dauer, die Gestalt des Geistes aber ewig‘; Herakl. VS 12 B5: .a. t... ....µa.. d. t..t...... e....ta., ...... e. t.. d.µ.....e....e...t., .. ........ .e... ..d’ .p.a. ..t.... e.... ‚auch zu den Götterbildern beten sie, wie einer mit Häusern schwatzte und wüsste nicht, was Götter und Heroen in Wahrheit sind‘; Emp. 21 B 133: ... ..t.. pe...a..a. .. .f.a.µ..... .f..t.. / .µet.p... . .ep.. .aße.., .p.p te µe...t. / pe..... ...p.p..... .µa..t.. e.. fp..a p.pte. ‚man kann die Gottheit sich nicht nahe bringen als erreichbar unseren Augen oder sie mit Händen greifen, Wege, auf denen die Hauptfahrstraße der Überzeugung den Menschen ins Herz einfällt‘; Cic. rep. 3,14: Xerxes inflammari Atheniensium fana iusisse dicitur, quod deos, quorum domus esset hic mundus, inclusos parietibus contineri nefas duceret ‚habe Xerxes befohlen, die Tempel der Athener zu verbrennen, weil er es für sündhaft hielt, die Götter, deren Haus dieses ganzes Weltall sei, zwischen Mauern eingeschlossen zu halten‘; ds. leg. 2,26: quod parietibus includerent deos, … quorumque hic mundus omnis templum esset et domus ‚weil sie [= die Griechen] in ihren Wänden die Götter einschlössen, … und deren Tempel und Haus diese ganze Welt sei‘; Diod. 22,9,4: ....µata d. µ..a .....a .a. .....a .ata.aß.. .ate...a.e. .t. .e... ...p.p.µ.pf... e..a. d.....te. ..ta.a. t..t... ........ te .a. ........ ‚als er [= Brennus] nur Bilder aus Stein und Holz vorfand, spottete er, dass man, meinend, dass die Götter eine menschliche Gestalt haben, sie aus Holz und Stein aufstelle‘. Die Angabe der Bild- und Tempellosigkeit von fremden Religionen ist denn auch frühzeitig in die Ethnographie aufgenommen worden; vgl. u.a. Hdt. 1,131,1: ....µata µ.. .a. ..... .a. ß.µ... ... .. ..µ. p..e.µ..... .dp.e..a. ‚es ist bei ihnen [= den Persern] nicht üblich, Götterbilder, Tempel und Altäre zu errichten‘; Tac. hist. 2,78,3: nec simulacrum deo aut templum – sic tradidere maiores – : ara tantum et reverentia ‚weder gibt es dort [= bei den Juden] ein Bild für den Gott noch einen Tempel – so ist es von den Vorfahren überliefert –, nur einen Altar und fromme Verehrung‘; ebd. 5,5,4: igitur nulla simulacra urbibus suis, nedum templis sistunt ‚daher stellen sie [= die Juden] in ihren Städten keine Götterbilder auf, schon gar nicht in den Tempeln‘; Comm. Lucani 1,451: sine templis colebant in silvis ‚ohne Tempel verehren sie die Götter in Wäldern‘; Plin. nat. 16,249: iam per se roborum eligunt lucos ‚sie [= Druiden] wählen an sich schon die Eichenhaine‘; Aug. civ. 4,31: dicit etiam antiquos Romanos plus annos centum et septuaginta sine simulacro coluisse. „quod si adhuc, inquit, mansisset, castius dii observarentur. ‚er [= Varro] sagt auch, die alten Römer hätten mehr als 170 Jahre lang die Götter ohne Bildnis verehrt. ”Wäre man dabei geblieben., bemerkt er, ”wäre der Gottesdienst ein reinerer.‘; Min. Fel. 32,1-2: intra unum aediculam vim tantae maiestatis includam? nonne melius in nostra dedicandus est mente, in nostro immo consecrandus est pectore? ‚soll ich die Größe solcher Majestät in eine einzige Zelle einschließen? Müssen wir nicht besser in unserer Seele ihm ein Heiligtum errichten, nicht lieber in unserer Brust eine Stätte weihen?‘. Nach Lund handelt es sich bei der Negierung von Götterbildern und Tempeln ”um Vorurteile und Voreingenommenheiten.,87 wobei er auf die Angabe Tac. ann. 1,51,1 verweist: profana simul et sacra et celeberrimum illis gentibus templum, quod Tanfanae vocabant, solo aequantur ‚weltliche Gebäude ebenso wie Heiligtümer, auch der bei jenen Stämmen hochangesehene heilige Bezirk, der den Namen Tanfana trug, wurden dem Erdboden gleichgemacht‘; nach ihm muss wegen des nachfolgenden solo aequantur ein Gebäude gemeint sein.88 Diese Interpretation ist jedoch kaum zwingend, wie schon Germ. 40,3 zeigt: est in insula Oceani castum nemus … is adesse penetrali deam intellegit … donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo reddat ‚auf einer Insel des Ozeans gibt es einen heiligen Hain … er [= der Priester] merkt es, wann die Göttin im Heiligtum anwesend ist … bis der gleiche Priester die des Umgangs mit den Sterblichen müde gewordene Göttin dem heiligen Ort wieder zurückgibt‘. Denn mit templum ist hier offensichtlich dasselbe gemeint wie mit nemus. In demselben Licht wird man auch das templum der Tanfana sehen müssen.89 Dies wird auch der Grund sein, warum dieses templum bis jetzt nicht lokalisiert werden konnte. 87 Lund 1988: 139. 88 Ebenso Much 1967: 181: ”wäre der von seiner Zerstörung gewählte Ausdruck solo aequantur schlecht gewählt, wenn es sich nur um eine Umzäunung gehandelt hätte.. 89 Ebenso etwa Müllenhoff 1900: 220-221; Gudeman 1916: 91; Schweizer-Sidler 1923: 27; Reeb 1933: 29; Perl 1990: 160; RGA 30: 329. Erst aus späterer Zeit stammen sichere Angaben über Tempelgebäude; vgl. u.a. Beda, hist. eccl. 1,30: quia fana idolorum destrui in eadem gente minime debeant … quia, si fana eadem bene constructa sunt, necesse est, ut a cultu daemonum in obsequio ueri Dei debeant commutari ‚daß die Heiligtümer der Götzen bei diesem Volk [= Engländer] keineswegs zerstört werden müssen … denn wenn diese Heiligtümer gut gebaut sind, müssen sie notwendigerweise vom Dämonenkult in die Verehrung des wahren Gottes verwandelt werden‘; ebd. 2,15: atque in eodem fano et altare haberet ad sacrificium Christi, et arulam ad uictimas daemoniorum ‚und er [= Raedwald] im gleichen Heiligtum sowohl einen Altar für das Opfer Christi als auch einen kleinen Altar für die Opferungen an die Teufel hatte‘; ebd. 3,30: coeperunt fana, quae derelicta erant, restaurare ‚begannen sie Tempel, die vernachlässigt worden waren, wiederherzustellen‘; Alc. vita willebr. 10: quia in ea eiusdem die fana fuere constructa ‚weil auf ihr [= der Insel Fositesland] Heiligtümer dieser Gottheit [= Fosites] errichtet waren‘; Ad. Brem. 4,26: nobilissimum illa gens templum habet, quod Ubsola dicitur, non longe positum ab Sictona civitate [vel Birka]. in hoc templo, quod totum ex auro paratum est ‚dieses Volk [= die Schweden] besitzt einen besonders angesehenen Tempel in Upsala, nicht fern vom Ort Sigtuna und von Birka entfernt. In diesem ganz aus Gold gefertigten Tempel‘ (dort stehen dann auch Götterbilder; ebd.: in hoc templo … statuas trium deorum veneratur populus, ita ut potentissimus eorum Thor in medio solium habeat triclinio; hinc et inde locum possident Wodan et Fricco ‚in diesem … Tempel … verehrt das Volk die Bilder dreier Götter; als mächtigster hat in der Mitte des Raumes Thor seinen Thronsitz. Den Platz rechts und links von ihm nehmen Wodan und Frikko ein‘). Während also die Angabe über die Tempellosigkeit der Germanen in dieser Absolutheit zutreffend ist (s. auch unten), muss zur Bemerkung über die Abwesenheit von Götterbildern angemerkt werden, dass viele menschgestaltige Holzpfähle (zumeist männlich, jedoch auch weiblich oder als Paare) in Mooren gefunden wurden, die vermutlich als Götterabbildungen gelten können.90 Jedoch ist auch hierbei der immer implizierte Vergleich mit den römischen Verhältnissen zu beachten. Die germanischen Götterabbildungen mussten im Vergleich mit den römischen Götterstatuen als kaum bemerkenswert gelten.91 90 Vgl. hierzu Krüger 1988: 372. 91 So auch Rives 1999: 164. 92 Vgl. weiter die Stellen bei Gerber – Greef 1962: I, 785 lucos ac nemora consecrant] Die Wörter lucus und nemus sind bei Tacitus mehrmals miteinander verbunden; vgl. u.a. Germ. 10,2: publice aluntur iisdem nemoribus ac lucis ‚werden auf Kosten der Öffentlichkeit in den genannten Gehölzen und Hainen gehalten‘; ebd. 45,5: fecundiora … nemora lucosque ‚besonders ergiebige Waldungen und Haine‘; dial. 9,6: in nemora et lucos ‚in Wälder und Haine‘; ebd. 12,1: nemora vero et luci ‚Wälder aber, Haine‘.92 Solche Waldheiligtümer werden bei Tacitus mehrfach erwähnt; vgl. Germ. 39,1: stato tempore in silvam … sacram … coeunt ‚zu einem festen Zeitpunkt versammeln sie [= die Semnonen] sich … in einem Wald, der … ihr Heiligtum ist‘; ebd. 40,3: est in insula Oceani castum nemus ‚auf einer Insel des Ozeans gibt es einen heiligen Hain‘; ebd. 43,3: apud Naharvalos antiquae religionis lucus ostenditur ‚bei den Nahanarvalen zeigt man einen Hain mit einem uralten Kult‘; hist. 4,14,2: Civilis primores gentis et promptissimos vulgi specie epularum sacrum in nemus vocatos ‚Civilis berief die Häupter des Stammes und die entschlossensten Männer aus dem Volk unter dem Vorwand eines Festmahls in einen heiligen Hain‘; ebd. 4,22,2: inde depromptae silvis lucisque ferarum imagines ‚dort die aus Wäldern und Hainen hervorgeholten Bilder von wilden Tieren‘; ann. 1,59,3: cerni adhuc Germanorum in lucis signa Romana quae dis patriis suspenderit ‚sehen könne man noch heute in Germanenhainen die römischen Feldzeichen, die er [= Arminius] den heimischen Göttern geweiht habe‘; ebd. 1,61,3: lucis propinquis barbarae arae, aput quas tribunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant ‚in den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten‘; ebd. 2,12,1: convenisse et alias nationes in silvam Herculi sacram ‚es seien auch andere Stämme hatten im heiligen Hain des Donar eingetroffen‘; ebd. 2,25,1: propinquo luco defossam Varianae legionis aquilam modico praesidio ‚in einem nahen Hain sei der Adler einer Legion des Varus vergraben und werde nur schwach bewacht‘; ebd. 4,73,4: nongentos Romanorum apud lucum, quem Baduhennae vocant … confectos ‚daß 900 Römer in einem Hain, den sie der Baduhenna zuschreiben, … aufgerieben worden‘. Dasselbe gilt auch für die Gallier; vgl. u.a. Tac. ann. 14,30,3: praesidium posthac inpositum victis, excisique luci saevis superstitionibus sacri ‚eine Besatzung wurde anschließend auf die besiegte Insel verlegt, und man zerstörte die Haine, die den Riten eines wilden Aberglaubens geweiht waren‘; Lucan. 1,453-454: nemora alta remotis / incolitis lucis ‚sie wohnen in den Tiefen der Wälder, in abgelegenen Hainen‘; Plin. nat. 16,249: iam per se roborum eligunt lucos ‚sie [= Druiden] wählen an sich schon die Eichenhaine‘. Dass die Angabe des Tacitus über die Götterverehrung zutrifft,93 bestätigen auch die in den einzelnen germanischen Sprachen belegten Wörter für den Begriff ‚Heiligtum‘:94 93 Darüber enttäuscht scheint Lund 1988: 139 zu sein: ”Die Germanen scheinen nach dem archäologischen Befund tatsächlich ‚ihre Götter‘ oder Idole auf heiligen abgegrenzten Plätzen verehrt zu haben.. 94 Nicht aussagekräftig ist as. ae. wih ‚Götterbild, Tempel‘, aisl. vé ‚heiliger Ort‘ < urgerm. *.i.a-‚ da es sich hierbei um eine Substantivierung von urgerm. *.i.a- ‚heilig‘ (> got. weihs, ahd. wih, as. wih-) handelt (vgl. Lühr 2000: 306-307); unsicher ist, ob das Wort nimidas ‚heilige Wälder‘ im Indiculus superstitionum et paganiarum genuin germanisch ist oder mit innerromanischer Entwicklung zu gall. nemetom zu stellen ist (vgl. Birkhan 1997: 751-752, Anm. 1). 95 Vgl. Griepentrog 1995: 33-57; Lühr 2000: 203; Casaretto 2004: 38-39. 96 Vgl. Bammesberger 1990: 156. 97 So Reeb 1933: 29: ”jenen geheimnisvollen Ort.. 98 Anders Müllenhoff 1900: 222: ”man versteht es gewöhnlich zu abstract und feierlich erhaben.. a. got. alhs < *al.- neben ahd. Alah- (nur in PN), as. alah, ae. ealh < urgerm. *al.a- ‚geschützter Ort‘< uridg. *h2élk-s (vgl. lit. a.kas ‚Hain‘);95 b. ahd. harug, haruh, ae. hearg, aisl. horgr < urgerm. *.argu- ‚Altar (aus Steinen)‘.96 deorumque nominibus appellant secretum illud] secretum illud bezieht sich wohl nicht auf die Örtlichkeit selbst,97 sondern ist abstrakt zu fassen,98 wie aus c. 40,4: arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud, quod tantum perituri vident ‚daher rührt ein geheimes Grauen und eine fromme Unkenntnis, was das für ein Wesen sei, das nur Todgeweihte schauen‘ hervorgeht. Aus diesem Grund werden dann auch die Haine nach den Gottheiten benannt (vgl. die oben angeführten Beispiele). quod sola reverentia vident] Zu reverentia in Bezug auf eine Gottheit vgl. c. 34,2: mox nemo temptavit, sanctiusque ac reverentius visum de actis deorum credere quam scire ‚seitdem hat niemand mehr solche Erkundungsfahrten unternommen, und man hat es für frömmer und ehrfurchtsvoller gehalten, an die Taten der Götter zu glauben als von ihnen zu wissen‘; Tac. hist. 2,78,3: nec simulacrum deo aut templum …: ara tantum et reverentia ‚weder gibt es dort [= bei den Juden] ein Bild für den Gott noch einen Tempel … nur einen Altar und fromme Verehrung‘. Auch bei dem Schlusssatz handelt es sich – trotz vident – um römisches Gedankengut; vgl. u.a. Tac. dial. 12,1: nemora vero et luci et secretum ipsum ‚Wälder aber, Haine und die Abgeschiedenheit‘; Sen. epist. 41,3: si tibi occurrerit uetustis arboribus et solitam altitudinem egressis frequens lucus … illa proceritas siluae et secretum loci et admiratio umbrae in aperto tam densae atque continuae fidem tibi numinis faciet ‚wenn du findest einen von alten und über die übliche Größe hinausgewachsenen Bäumen bestandenen Hain … diese Erhabenheit des Waldes, das Geheimnisvolle des Ortes und die Verwunderung über den in einer offenen Landschaft so dichten und ununterbrochenen Schatten wird in dir [= Lucilius] den Glauben an göttliches Walten wecken‘; Lucan. 3,411: arboribus suus horror inest ‚zittern die Bäume von innen her‘; Plin. nat. 12,3: haec fuere numinum templa … nec magis auro fulgentia … simulacra quam lucos et in iis silentia ipsa adoramus ‚Wälder waren die Tempel der höheren Mächte … den von Gold … glänzenden Götterbildern erweisen wir nicht größere Verehrung als den Hainen und selbst der in ihnen herrschenden Stille; Quint. inst. 10,1,88: Ennium sicut sacros vetustate lucos adoremus, in quibus grandia et antiqua robora iam non tantam habent speciem quantam religionem ‚Ennius wollen wir verehren wie die Haine, die ihr Alter heiligt, in denen die mächtigen alten Bäume nicht so sehr dem Auge etwas bedeuten wie dem frommen Sinn‘; Plin. epist. 1,6,2: iam undique silvae et solitudo ipsumque illud silentium … magna cogitationis incitamenta sunt ‚dazu ringsum der Wald und die Einsamkeit und überhaupt die lautlose Stille … das sind starke Anregungen für die Gedankenarbeit‘; Apul. mund. 30: rex omnium et pater, quem tantummodo animae oculis nostrae cogitationes vident ‚der König von allem und der Vater, den unsere Gedanken nur mit den Augen der Seele sehen‘. KAPITEL 10 1 Auspicia sortesque – observant] Ein auspicium bezeichnet die Vogelschau, übertragen ein Vorzeichen, ein sors dagegen das Los, übertragen das Orakel, die Weissagung. Auspicium ist somit nicht ”Oberbegriff mit der generellen Bedeutung ‚Wahrzeichen‘.,1 sondern es werden hier zwei verschiedene Arten von Weissagungen genannt, die im Folgenden chiastisch (c. 10,1: sortes, c. 10,2-10,3: auspicia) genannt werden. 1 Lund 1988: 139. 2 Zum Orakel bei den Germanen vgl. allgemein RGA 22: 134-141. 3 Das einmalig belegte aisl. hlautr, das auf einen a-St. weist, ist offenbar eine einzelsprachliche Neuerung (vgl. Schubert 1968: 20; Casaretto 2004: 180). 4 Vgl. Casaretto 2004: 180. 5 Vgl. Casaretto 2004: 59-60. Die weitere Etymologie ist unsicher; der Vorschlag bei Heidermanns 2004: 146 (Vrddhibildung zu urgerm. *tina- ‚Zinn‘ (> ahd. zin, ae. aisl. tin), also als ‚zinnartiger Stab‘ (da Zinn in Stäbchenform erscheint) scheint nicht befriedigend. 6 Kühner – Stegmann II,2: 479-480. Im Germanischen2 finden sich folgende Begriffe für 1. das Vorzeichen und 2. den Losentscheid: 1. a. ahd. heil(i), ae. hæl, aisl. heill < urgerm. *.a.li- ‚gute Vorbedeutung, Glück‘ < vorurgerm. vorurkelt. *ko.l- (> air. cél, kymr. coel ‚Wahrzeichen, Vorbedeutung‘); 2. a. got. hlauts, ahd. (h)loz, as. hlot, ae. hliet, hl.t, hlet < urgerm. *.la.ti- ‚Los, Anteil‘,3 neben ahd. (h)luz, ae. afries. hlot, aisl. hlutr < urgerm. *.luta- ‚Los, Anteil‘ (vgl. ae. hlyte < urgerm. *.luti- ‚Los, Anteil‘), Ableitungen zu urgerm. * .le.te/a- ‚erlangen, zuteil werden‘ (> ahd. liozan, as. hliotan, ae. hleotan, aisl. hljóta).4 b. got. tains*, ahd. zein, as. ten, ae. tan, afries. ten, aisl. teinn < urgerm. *ta.na- ‚Zweig, Los(stäbchen)‘.5 ut qui maxime] ut qui maxime steht für ut ii qui id maxime faciunt. Die Verbindung eines Superlativs mit ut qui bezeichnet ”einen möglichst hohen Grad..6 Die Germanen beachten somit Vorzeichen und Losentscheide am meisten von allen Völkern. Dass die Germanen auf Vorzeichen und Losentscheide Acht gaben, wird in der lat. Literatur mehrmals erwähnt: Caes. Gall. 1,53,7: is se praesente de se ter sortibus consultum dicebat, utrum igni statim necaretur an in aliud tempus reservaretur; sortium beneficio se esse incolumen ‚dieser [= C. Valerius Procillus] berichtete, daß man [= die Gefolgsleute des Ariovistus] in seiner Gegenwart dreimal über ihn das Los geworfen habe, ob er sofort verbrannt oder für später aufbewahrt werden sollte. Dem Ausgang der Lose habe er zu verdanken, daß er unverletzt sei‘; ebd. 1,50,4-5: cum ex captivis quaereret Caesar, quamobrem Ariovistus proelio non decertaret, hanc reperiebat causam, quod apud Germanos ea consuetudo esset, ut matres familiae eorum sortibus vaticinationibusque declararent, utrum proelium committi ex usu esset necne; eas ita dicere: non esse fas Germanos superare, si ante novam lunam proelio contendissent ‚als Caesar von Gefangenen wissen wollte, warum Ariovist sich nicht auf eine Entscheidungsschlacht einließe, erfuhr er folgendes: Bei den Germanen sei es Brauch, daß die Familienmütter mit Hilfe von Runen und Weissagungen bestimmten, wann es richtig sei, eine Schlacht zu schlagen und wann nicht. Sie hätten erklärt, die Götter seien gegen einen Sieg der Germanen, wenn sie vor dem folgenden Neumond eine Schlacht lieferten‘; Amm. 14,10,9 berichtet, dass die Alamannen sich zum Frieden entschließen: dirimentibus forte auspicibus vel congredi prohibente auctoritate sacrorum ‚vielleicht weil die Vorzeichen ihnen ungünstig waren oder ihre Priester vor einer Schlacht warnten‘; Agath. 2,6,7: ...’ a...µep.. papat.tte..a., .a. ta.ta pp.e.p.µ.... a.t... .p. t.. ..aµa..... µ..te.. µ. de.. ..e.... t.. .µ.pa. d.aµ..e..a. . .......e.. .. .pd.. .pa.te. .p.....ta. ‚sondern auf der Stelle in den Kampf ziehen, und dabei hatten ihnen doch alamannische Seher vorausgesagt, sie dürften sich an jenem Tage nicht schlagen oder müßten mit ihrem völligen Untergang rechnen‘. Allerdings wird dies ebenfalls von den Galliern berichtet, vgl. Iust. 24,4,3: augurandi studio Galli praeter ceteros callent ‚die Gallier sind in der Beschäftigung des Wahrzeichen- Beobachtens über die Anderen hinaus bewandert‘.7 7 Vgl. ebenfalls oben die Verbindung zwischen urgerm. *.a.li- und urkelt. *ko.l-. 8 Perl 1990: 161; ähnlich Lund 1988: 139. Beide mit Hinweis auf simplicius in c. 5,3. 9 So aufgefasst etwa auch von Baumstark 1875: 437; Müllenhoff 1900: 223; Schweizer-Sidler 1923: 27; Much 1967: 190; Anderson 1997: 78. sortium consuetudo simplex] In einigen neueren Kommentaren wird dies so verstanden, dass ”die Einfachkeit … der Prozedur … im Gegensatz zu manchen umständlichen Riten im römischen Kult. stünde.8 Allerdings liegt wohl nicht nur ein Vergleich mit den römischen Praktiken vor, sondern ebenfalls ein Gegensatz zu den auspicia, von denen es mehrere gab (vgl. c. 10,2-10,3). simplex ist somit nicht als ‚einfach‘ im Sinne von ‚primitiv‘ zu verstehen, sondern als ‚ein einzig‘ in Gegensatz zu dem der Zahl nach aus mehr als einer Einheit Bestehenden.9 virgam frugiferae arbori decisam] Dies steht auf den ersten Blick in Gegensatz zu der Angabe in c. 5,1. Allerdings sind hier wohl keine kultivierten Obstbäume aus römischer Sicht gemeint, sondern es ist aus germanischer Sicht an wild wachsende Fruchtbäume zu denken,10 etwa an Eichen (bei Cic. div. 2,85 wird auch bei den pränestinischen Losentscheiden Eichenholz erwähnt: sortis … in robore insculptas ‚die Lose … mit Kerben in ihrem Eichenholz‘) und Buchen. 10 Jedenfalls ist die auf diesen angeblichen Widerspruch fußende Konjektur von impatiens in patiens in c. 5,1 (so etwa Gudeman 1916: 92) nicht gerechtfertigt. 11 Dagegen ist die Bedeutung ‚ein Orakel erteilen‘ von gr. ..a.pe.. wohl nicht aus einer Bedeutung ‚die Lose aufheben‘ entstanden (so Much 1967: 194), sondern aus ‚aus der Tiefe aufsteigen lassen‘. 12 Vgl. RGA 6: 527. 13 Vgl. ThLL I: 2021,75. Fruchttragende Bäume galten bei den Römern als glückbringend (arbores felices); vgl. Plin. nat. 16,108: infelices autem existimantur damnataeque religione, quae neque seruntur umquam neque fructum ferunt ‚als Unglücksbäume aber, die von den gottesdienstlichen Handlungen ausgeschlossen sind, bezeichnet man alle, die nie angepflanzt werden und niemals Frucht tragen‘; Macr. sat. 3,20,3: arbores quae inferum deorum avertentiumque in tutela sunt, eas infelices nominant ‚Bäume, welche im Schutz der Unterweltgötter und der Abgewandten sind, diese nennen sie unglücklich‘. Auch bei anderen Völkern findet sich das Losorakel mit Hilfe von Holzzweigen (vgl. u.a. Hdt. 4,67,1-2 über die Skythen: µ..t.e. d. ....... e... p....., .. µa.te...ta. ..ßd.... .te..... p...... .de. .pe.. fa...... ..ßd.. µe...... ..e....ta., ...te. .aµa. d.e.e......... a.t..., .a. .p. µ.a. ....t.. ..ßd.. t....te. .e.p......, .µa te .....te. ta.ta ...e....... t.. ..ßd... .p... .a. a.t.. .at. µ.a. ...t..e.... a.t. µ.. .f. . µa.t... patp... ..t. ‚unter den Skythen gibt es viele Wahrsager. Sie weissagen aus vielen Weidenruten. Sie holen davon große Bündel, legen sie auf die Erde und nehmen sie auseinander; die einzelnen Ruten aneinanderlegend sagen sie Zaubersprüche her. Dabei sammeln sie unter Sprüchen die Stöcke wieder zusammen und legen sie erneut Stück für Stück zusammen auf. Diese Art der Weissagung haben sie von ihren Vätern ererbt‘; vgl. auch air. crannchor ‚Werfen des Holzes‘, eine Zusammensetzung aus crann ‚Baum; Gegenstand aus Holz‘ und cor ‚Werfen‘).11 Die Losstäbchen der Iren etwa waren aus Eibenholz.12 in surculos amputant] Die Verbindung amputare in kommt im Lat. sehr selten vor (so etwa noch Zeno, 2,21,5: amputatur in surculum palmes ‚ein Zweig wird zu einem Stäbchen geschnitten‘).13 Auf die Verwendung von Zweigen als Losstäbchen weist auch die Bedeutung von urgerm. *ta.na- ‚Zweig, Los(stäbchen)‘ (s.o.). Aus späterer Zeit vgl. lex Fris. XIV,1: quae sortes tales esse debent: duo tali de virga praecisi, quos tenos vocant … suam sortem, id est tenum ‚diese Lose müssen solche sein : zwei vom Zweig geschnittene Stäbchen, die sie teni nennen … sein Los, d.h. tenus‘. Vgl. auch die spezielle Bedeutung von aisl. spánn ‚Holzspan zum Losen‘ neben ‚Span‘.14 14 Zu Textstellen vgl. Seebold 1986: 556-558. 15 Anders Seebold 1986: 555. 16 Zu den Schwierigkeiten der Datierung der Entstehung der Runenschrift vgl. Düwel 2001: 178-179. Eine kontinuierliche Überlieferung von Runeninschriften beginnt erst ca. 200 n.Chr. 17 Anders Seebold 1986: 555. 18 Vgl. auch Derolez 1954: 354-359. Der Begriff divinatio wird, wie Derolez 1954: 358 in Erwägung gezogen notis quibusdam discretos] Die einzelnen Holzstücke werden durch notae voneinander unterschieden. Es ist eine alte Frage, ob mit diesen notae Runenzeichen gemeint sein können. Das Substantiv nota gibt nämlich keinen Aufschluss darüber, ob es sich hier um Runen handelt oder nicht,15 da nota sowohl ‚Merkmal, Zeichen‘ als auch ‚Schriftzeichen‘ bedeuten kann, obwohl es dann zumeist in Verbindung mit litterarum steht, vgl. u.a. (und in einem ähnlichen Kontext) Cic. div. 2,85: itaque perfracto saxo sortis erupisse in robore insculptas priscarum litterarum notis ‚und so seien aus dem geborstenen Felsen die Lose hervorgesprungen, mit Kerben in ihrem Eichenholz: Zeichen urtümlicher Buchstaben‘. Es gibt allerdings mehrere Schwierigkeiten, wenn man an dieser Stelle den Gebrauch von Runen annehmen will. Erstens ist es durchaus fraglich, ob die Runenzeichen damals bereits so umfassend in Gebrauch waren, dass sie schon generell für ein solches Verfahren hätten verwendet werden können, so dass die Römer davon hätten erfahren können.16 Zweitens gibt es keine weitere Parallele für Schriftorakel bei den Germanen. Schon wegen des zeitlichen Abstands nicht als Parallele hinzuzuziehen,17 ist folgender Satz in dem ma. Traktat de inventione litterarum (1. Hälfte des 9. Jh.s) Fassung A: litteras … cum quibus carmina sua incantationesque ac divinationes significare procurant, qui adhuc pagano ritu involvuntur ‚Buchstaben … mit denen sie, die bis heute der heidnischen Religion ergeben sind, ihre Gesänge, Zauberlieder und Weissagungen zu verkünden pflegen‘, zumal das Wort divinatio in Fassung B nicht vorkommt: quibus ob carminum eorum memoriam et incantationum uti adhuc dicuntur; quibus et runstabas nomen imposuerunt, ob id, ut reor, quod his res absconditas vicissim scriptitando aperiebant ‚man sagt, dass sie diese wegen der Überlieferung ihrer Lieder und Zauberformeln noch immer verwenden; und sie haben diesen den Namen ‚runstabas‘ beigelegt, deswegen, wie ich meine, weil sie mit ihnen wiederum verborgene Sachen durch wiederholtes Schreiben erschließen‘.18 Die Frage ist somit nicht hatte, ebenfalls nicht aus dieser taciteischen Textstelle stammen. 19 Für unentscheidbar hält die Frage auch Rives 1999: 166; Düwel 2001: 178. 20 Vgl. zu gekennzeichneten Losstäbchen RGA 22: 139-141. 21 Zur Verbindung vom Adj. candidus mit vestimenta vgl. ThLL III: 243,24-62. 22 Daher ist die Bemerkung von Much 1967: 191: ”Ein lichtes einfärbiges Laken mochte sich aber auch schon deshalb empfehlen, weil sich davon dunklere Gegenstände besser abhoben. wohl nicht zutreffend. Zur Farbe sicher entscheidbar,19 obwohl es Hinweise gibt, dass wahrscheinlich keine Runen bzw. Buchstaben im eigentlichen Sinn vorlagen (vgl. auch den Bericht bei Amm. 31,2,24 über die Alanen: futura miro praesagiunt modo. nam rectiores virgas vimineas colligentes, easque cum incantamentis quibusdam secretis praestituto tempore discernentes, aperte quid portendatur norunt ‚die Zukunft suchen sie auf merkwürdige Art zu erforschen. Sie sammeln gerade Weidenzweige und sortieren sie unter bestimmten geheimen Beschwörungsformeln zu einer festgesetzten Zeit, um auf diese Weise die Zukunft zu erkennen‘). Ebenfalls möglich (aber nicht beweisbar) ist es, unter notae Sinnbildzeichen oder runenähnliche Zeichen zu verstehen, wie sie etwa auf mehreren Pfeilschäften aus dem Moor von Nydam (Dänemark) bezeugt sind.20 Wie allerdings das römische Losverfahren tatsächlich ablief, ist nicht genau bekannt. Mit aller Wahrscheinlichkeit meint Tacitus hier notae vulgares oder notae publicae. super candidam vestem] Das Adjektiv candidus bedeutet hier nicht nur ‚weiß‘ im Sinne von ‚hell strahlend‘, sondern ebenfalls ‚rein‘, was sowohl ‚kultisch rein‘ als auch ‚fleckenlos‘ (in Gegensatz zu lat. sordidus) besagt.21 Die Farbe weiß spielt bei Kulthandlungen im Allgemeinen eine große Rolle (s. auch c. 10,2); vgl. generell Cic. leg. 2,45: color autem albus praecipue decorus deo est, cum in cetero tum maxime in textili ‚als Farbe paßt Weiß besonders gut zu einem Gott, das trifft im allgemeinen und ganz besonders auf ein Stück Stoff zu‘; des weiteren Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C über die kimbrischen Priesterinnen: ta.. ...a.... a.t.. ...tpate....a. pap.......... pp.µ..te.. ..pe.a. p....tp..e., .e..e.µ..e., .appa...a. .fapt.da. .p.pep.pp.µ..a., ...µa .a..... .....a., ..µ..p.de. ‚ihre Frauen [= der Kimbern], die mit ihnen in den Krieg zogen, wurden von wahrsagenden grauhaarigen Priesterinnen begleitet, die ein weißes Kleid, darüber einen mit Spangen gehefteten weißen Mantel und einen bronzenen Gurt trugen und barfuß gingen‘; Plin. nat. 16,250-251 berichtet über die Priester der Gallier: sacerdos candida veste cultus arborem scandit, falce aurea demetit, candido id excipitur sago ‚der Priester, bekleidet mit einem weißen Gewand, besteigt den Baum und schneidet die Mistel mit einem goldenen Messer ab: sie wird mit einem weißen Tuch aufgefangen‘.22 ‚weiß‘ vgl. allgemein Bechtold-Stäubli IX: 337-358. 23 Vgl. Robinson 1991: 160. 24 Müllenhoff 1900: 224. 25 Zum generellen hss. Verhältnis zwischen fortuitu und fortuito vgl. Neue 1985: II 623-624. 26 Vgl. Perret 1950: 124; Robinson 1991: 285; Perret 1997: 76. 27 Baumstark 1875: 464-467. Mit ungenügenden Gründen dagegen von Reeb 1933: 29: ”der Gebrauch des Futurums ist ungewöhnlich, dadurch wird aber die von sämtlichen Handschriften überlieferte Form geschützt.. 28 Vgl. etwa die Angabe bei Robinson 1991: 285; in den Text gesetzt u.a. von Önnerfors 1983: 8; Lund 1988: 76; Das Werfen der Lose auf einem Tuch war auch in späterer Zeit im skandinavischen Raum üblich, wie aus der Wendung aisl. bera hluti í skaut ‚die Lose auf das Tuch bringen‘ hervorgeht. temere ac fortuitu] Diese Wortverbindung ist im Lat. häufig bezeugt (vgl. u.a. Cic. orat. 186: nisi quando temere ac fortuito ‚wenn nicht jemals auf gut Glück und zufällig‘; ds. Tusc. 1,118: non enim temere nec fortuito sati et creati sumus ‚denn wir sind nicht auf gut Glück und zufällig geschaffen und gezeugt worden‘; Liv. 2,28,1: ne in foro subitis trepidaret consiliis et omnia temere ac fortuito ageret ‚um nicht auf dem Forum in Verlegenheit zu geraten, wenn rasche Entscheidungen getroffen werden mußten, und um nicht alles planlos und aufs Geratewohl zu tun‘) und macht ein Hendiadyoin aus. Es kommt beim Losverfahren somit auf den Zufall des Werfens an (vgl. dazu auch Cic. div. 2,85: quid enim sors est? idem prope modum, quod micare, quod talos iacere, quod tesseras, quibus in rebus temeritas et casus, non ratio nec consilium valet ‚wie nämlich verhält es sich mit einem Los? Doch etwa so, wie wenn man Morra spielt oder wie wenn man Würfel von dieser oder jener Art wirft: dabei herrschen Geratewohl und Zufall, nicht Vernunft noch Planung‘). Die Form fortuitu (eine sprachwirkliche Form, wie aus Prisc. 15,4,24 hervorgeht) die in den Hss. mETdvor bezeugt ist,23 wird von den meisten Herausgebern in Analogie zu den restlichen Hss. die fortuito bieten, abgelehnt, weil es ”die spätere schlechte form. sei.24 Allerdings könnte in dieser Schreibung durchaus ein Reflex des Codex Hersfeldensis vorliegen, da die humanistischen Schreiber wohl eher die vorgefundene Form fortuitu in fortuito geändert hätten als umgekehrt.25 si publice consuletur] In allen Hss. ist consuletur überliefert,26 eine Lesart, die in neuerer Zeit nur von Baumstark verteidigt worden ist,27 wogegen alle anderen Herausgeber der Meinung sind, dass das Futur im Kontext nicht zu rechtfertigen, consuletur also zu emendieren sei (nichts zur Klärung der Problematik vermag die Fassung bei Rudolf v. Fulda beizutragen: si publica consultatio fuit). Die verbreitetste Emendation ist die in consulitur, die auf Walch zurückgeht.28 Daneben finden sich auch consulatur29 und consultetur.30 Es gibt Perl 1990: 88; Städele 1991: 88; Robinson 1991: 285-286; Perret 1997: 76. 29 Zuerst von Beatus Rhenanus vorgeschlagen (vgl. Hirstein 1995: 218, 308); in den Text gesetzt u.a. von Gudeman 1916: 92; Lenchantin de Gubernatis 1949: 9; Much 1967: 189. 30 Zuerst vorgeschlagen von Haase (vgl. Müllenhoff 1900: 224), in den Text genommen von Schweizer-Sidler 1923: 27; Halm 1930: 227; Koestermann 1970: 11; Winterbottom – Ogilvie 1985: 42; Anderson 1997; Benario 1999: 22; so auch Kühner – Stegmann II,2: 207 unter den Beispielen des Konj.Präs. bzw. Perf. zum Ausdruck einer wiederholten Handlung. 31 So bereits verteidigt von Ernesti (vgl. Müllenhoff 1900: 224-225). 32 Kühner – Stegmann II,2: 143; vgl. auch Holtzmann – Holder 1843: 179: ”das Futur: wenn man befragen will.. 33 Die Lesart ist auch u.a. beibehalten von Passow 1817: 14; Günther 1826: 14; Grimm 1835: 6; Tross 1841: 9; Maßmann 1847: 62. 34 Perl 1990: 161. 35 Nicht überzeugend ist dagegen die Argumentation von Perl 1990: 71 und 161, dass diese Fügung nicht als ,der Stammespriester‘ im Sinne von ,Oberpriester‘ zu interpretieren sei, da Letzteres die Hinzufügung maximus oder summus erfordern würde. Die von ihm angeführte Parallelstelle Tac. ann. 3,58,3: privatis olim simultatibus effectum ut a pontificibus maximis ire in provincias prohiberentur: nunc deum munere summum pontificum etiam summum hominum esse ‚nur persönliche Streitereien seien einst der Grund gewesen, dass von der obersten Priesterschaft die Iuppiterpriester gehindert wurden, in die Provinzen zu gehen. Jetzt sei durch der Götter Gnade der höchste Priester auch der höchste Mensch‘ ist nämlich nicht zu vergleichen, da bei maximus ein Plural vorliegt, bei summus dies durch das folgende summus (das zwingend erforderlich ist) bedingt sein kann. Auch wird der dafür zuständige Priester nicht eben der unbedeutendste gewesen sein. allerdings an dieser Stelle keinen Grund, den Text zu ändern, da erstens die Verbindung von si mit einem Futur im Lat. gut bezeugt ist (vgl. u.a. Verg. ecl. 5,70: ante focum, si frigus erit, si messis, in umbra ‚dicht am Herde, wann’s kalt, zur Erntezeit aber im Schatten‘),31 zweitens das Futur ”nicht selten … als gnomisches Tempus zum Ausdruck eines allgemein gültigen Gedankens, einer allgemeinen Regel oder Vorschrift. verwendet wird (vgl. als Parallele etwa Cic. inv. 2,206: plus proficit, si ponetur ‚es ist mehr dienlich, wenn es gestellt wird‘),32 und drittens die Lesart einheitlich ist, d.h. für die Humanisten nicht verdächtig war.33 Das Adv. publice bezieht sich hier (wie in c. 10,2 und 15,2; vgl. auch c. 13,1: res publica ‚das Gemeinwesen‘) auf das öffentliche Leben (in Gegensatz zu privatim [s.u.]), das in strukturierten Bahnen verläuft. sacerdos civitatis] Zum Begriff civitas s. c. 8,1. Bei beiden Erwähnungen von Kulthandlungen (s. c. 10,2) ist von einem sacerdos civitatis die Rede (in Gegensatz zur juridischen Funktion, wo sacerdotes genannt werden [s. c. 7,1 und 11,2]; zum Begriff sacerdos im Allgemeinen s. c. 7,1). Auffällig ist hier, dass der Singular dabei auf die Beschreibung der religiösen Funktion beschränkt ist (Die angebliche Ausnahme in c. 10,2 ist anders, nämlich generalisierend aufzufassen). Aus der Parallelität zu pater familae34 geht hervor,35 dass es tatsächlich nur einen Priester pro Stammesgemeinschaft gab, der die Funktion des Vorzeichendeuters in Bezug auf sie ausübt (inwieweit damit andere Angaben zu vergleichen sind – Strab. Geogr. 7,1,4 p. 292C: .p.µpe..e d. .a. ..ß.., t.. F.tt.. .epe.. ‚an dem Zug nahm auch Libes, ein Priester der Chatten, teil‘; Amm. 28,5,14: nam sacerdos apud Burgundios omnium maximus vocatur Sinistus ‚der oberste Priester heißt bei den Burgunden Sinistus‘; Beda, hist. eccl. 2,13: cui primus pontificum ipsius Coifi continuo respondit ‚sofort antwortete ihm [= Edwin] Coifi, der erste seiner Priester‘ –, bleibt durchaus unklar). Hiermit ist allerdings nicht unbedingt eine Struktur in der Gruppe der sacerdotes angedeutet.36 sin privatim, ipse pater familiae] Losbefragungen im privaten Bereich führt der Hausvater aus. Der Begriff pater familiae, der in der Germania nur hier vorkommt, gibt die sakrale Funktion des Hausvaters wieder (s. zum Begriff familia c. 7,2) in Gegensatz zum Wort dominus, das auf die wirtschaftliche Funktion hinweist (s. zum Begriff dominus c. 20,1). Diese sakrale Funktion übte in früheren Zeiten auch der römische pater familias aus, vgl. Cato agr. 143,1: scito dominum pro tota familia rem diuinam facere ‚wisse, daß der Herr das Opfer für die ganze Hausgenossenschaft durchführt‘. precatus deos] Vgl. zur Formulierung Tac. hist. 4,53,3: Iovem, Iunonem, Minervam praesidesque imperii deos precatus ‚dann flehte er zu Iuppiter, Iuno und Minerva und zu den Schutzgöttern des Reiches‘. caelumque suspiciens] Zum Ausdruck vgl. u.a. Cic. nat. 2,4: cum caelum suspeximus caelestiaque contemplati sumus ‚wenn wir zum Himmel aufblicken und die Erscheinungen an ihm betrachten‘; ebd. 3,10: primum fuit, cum caelum suspexissemus, statim nos intellegere esse aliquod numen, quo haec regantur ‚der erste war, wir würden beim Anblick des Himmels sofort erkennen, es existiere ein göttliches Wesen, von dem dies alles regiert wird‘; Verg. Aen. 12,195-196: sic prior Aeneas; sequitur sic deinde Latinus / suspiciens caelum tenditque ad sidera dextram ‚so Aeneas zuerst; dann folgte ihm also Latinus, blickt zum Himmel empor und streckt zu den Sternen die Rechte‘. 36 In Gegensatz zur Annahme etwa von de Vries 1970: I, 398-399; zum Priestertum bei den Germanen vgl. RGA 23: 424-428. 37 Much 1967: 192. Der Grund, warum der Priester oder Hausvater zum Himmel schaut, ist sicherlich, eine direkte Beziehung zur Götterwelt zu haben, nicht ”weil betend.,37 da das Aufheben der Lose, das zeitgleich mit dem zum Himmel Schauen ist, nach dem Gebet stattfindet. Dass dabei gleichzeitig die Betrugsmöglichkeiten eingeschränkt waren, da nicht auf die Stäbchen geschaut werden konnte, war sicherlich ein praktischer Nebeneffekt. ter singulos tollit] Es werden also nacheinander dreimal je ein Losstäbchen vom Tuch aufgehoben, wobei das Distributivum ter für tres steht, wie es in der römischen Sakralsprache auch sonst häufiger vorkommt.38 Das Verbum tollere als Aufheben bzw. Ziehen der Lose kommt selten vor (vgl. zur Dreizahl und zu tollere Tib. 1,3,11-12: illa sacras pueri sortes ter sustulit, illi / rettulit e triviis omina certa puer ‚dreimal zog sie [= Delia] ein heiliges Los von dem Knaben am Dreiweg; günstiges immer verhieß, was ihr der Knabe da gab‘; zu tollere in dieser Verwendung vgl. Cic. div. 2,86: eoque conditas sortis, quae hodie Fortunae monitu tolluntur ‚dort barg man die Lose, und heute zieht man sie, wenn Fortuna dazu auffordert‘; Corp. V 5801,3: sortibus sublatis ‚nach dem Aufnehmen der Lose‘). Die Dreizahl (man vergleiche auch etwa die drei Söhne des Mannus) galt offensichtlich schon damals als eine magische Zahl; vgl. etwa auch Caes. Gall. 1,53,7: is se praesente de se ter sortibus consultum dicebat, utrum igni statim necaretur an in aliud tempus reservaretur; sortium beneficio se esse incolumen ‚dieser [= C. Valerius Procillus] berichtete, daß man [= die Gefolgsleute des Ariovistus] in seiner Gegenwart dreimal über ihn das Los geworfen habe, ob er sofort verbrannt oder für später aufbewahrt werden sollte. Dem Ausgang der Lose habe er zu verdanken, daß er unverletzt sei‘; in späterer Zeit Alc. vita willibr. 11: per tres dies semper tribus vicibus sortes suo more mittebat ‚ warf im Laufe von drei Tagen je dreimal nach seiner Gewohnheit das Los‘. 38 Löfstedt 1958: 83-84. 39 Vgl. RGA 22: 135. 40 Gudeman 1916: 94. 41 Vgl. auch Lund 1988: 141: ”e nota qua ante alius surculus ab alio descretus erat.. Baumstark 1875: 445 schließt aus ante, ”dass die impressio jeweils unmittelbar vor der Loosung vorgenommen wurde.. In späterer Zeit ist im Aisl. das Verbum taka upp belegt, das vom Aufheben der Losstäbchen beim Auslosen verwendet wird.39 secundum impressam ante notam] Die Vermutung von Gudeman, dass ante ”vielleicht eine verderbte Dittographie von notam. sei, da ”der Grund dieses Zusatzes nicht ersichtlich. ist,40 ist unberechtigt, da die Zeichen ja vor dem Beginn des Losverfahrens eingekerbt wurden.41 Für die Verwendung des Verbs imprimere mit (Schrift-)Zeichen vgl. Cicero, partit. orat. 26: nam ut illa constat ex notis litterarum et ex eo in quo imprimuntur ‚denn wie jene [= die schriftliche Festlegung] aus den Schriftzeichen besteht und aus dem Material, auf das sie aufgezeichnet werden‘. interpretatur] Das Verbum interpretari, das ein technischer Ausdruck ist (vgl. etwa Tac. hist. 4,82,2: tunc divinam speciem et vim responsi ex nomine Basilidis interpretatus est ‚da deutete er die Erscheinung als gottgesandt und sah den Sinn des Gottesspruches im Namen Basilides‘; Liv. 1,7,10: ‚te mihi mater, veridica interpres deum, aucturum caelestium numerum cecinit, tibique aram hic dicatum iri quam opulentissima olim in terris gens maximam vocet tuoque ritu colat‘ ‚meine Mutter, durch deren Mund die Götter die Wahrheit verkündeten, hat mir geweissagt, du [= Euander] würdest die Zahl der Himmlischen vergrößern und dir würde hier ein Altar geweiht werden, den dereinst das mächtigste Volk der Erde den größten nennen und nach deinem Ritus heilig halten werde‘; Cic. div. 1,12: quae est autem gens aut quae civitas, quae non aut extispicum aut monstra aut fulgora interpretantium aut augurum aut astrologorum aut sortium (ea enim fere artis sunt) aut somniorum aut vaticinationum (haec enim duo naturalia putantur) praedictione moveatur? ‚welches Volk aber oder welche Gemeinde ließe Verkündigungen nicht auf sich einwirken: von Eingeweideschauern, von Leuten, die Wunderzeichen oder Blitze erklären, von Auguren, Astrologen oder Losen (dies etwa sind die Formen, die sich auf eine Kunstlehre stützen), aus Träumen oder aus rasenden Prophezeiungen (in diesen zweien sieht man die natürlichen Formen)?‘; ebd. 1,92: Etruria autem de caelo tacta scientissume animadvertit eademque interpretatur, quid quibusque ostendatur monstris atque portentis ‚Etrurien andererseits achtet durchaus wissenschaftlich auf die Einschläge von Blitzen und erklärt zugleich, was Zeichen und Wunder je bedeuten‘), gibt wohl an, dass es sich bei den Zeichen um mehr handeln müsse, als die Angabe ‚ja/günstig‘ oder ‚nein/ungünstig‘, da sich dann das Ergebnis direkt ablesen ließe, obwohl beides letztendlich auf das Gleiche hinausläuft. Die Zeichen geben folglich wohl erst in ihrer Kombination Auskunft über den Losgegenstand. si prohibuerunt – sin permissum] Die Form prohibuerunt ist ein iteratives Perfekt.42 permissum steht der Abwechslung halber statt permiserunt. 42 Vgl. Persson 1927: 94. 43 Gudeman 1916: 94; ebenso etwa Müllenhoff 1900: 227-228; Much 1967: 193; Perl 1990: 161; Anderson 1997: 80. nulla de eadem re in eundem diem consultatio] An dieser Stelle wird zumeist auf den ”Gegensatz zu dem Verfahren der römischen haruspices, die ein auspicium oft so lange fortsetzten, bis sie ein günstiges Omen erhielten. verwiesen.43 Allerdings wird dabei übersehen, dass es sich hier um sortes, nicht um auspicia handelt. Jedoch wird auch hier das Losverfahren wohl am nächsten Tag wiederholt. in eundem diem steht für in eodem die (vgl. zu diesem Ausdruck auch Tac. ann. 3,71,2: bis eundem in annum ‚zweimal im Jahr‘). auspiciorum adhuc fides exigitur] Das heißt, dass ein Losentscheid, wenn er günstig ausgefallen ist, noch durch ein Vorzeichen zusätzlich (die Verwendung von adhuc im Sinne von praeterea findet sich zuerst bei Sen. epist. 52,4: praeter haec adhuc inuenies genus aliud hominum ‚außerdem wirst du [= Lucilius] noch finden eine andere Gruppe von Menschen‘; ebd. 66,5: sunt adhuc tertia ‚es gibt noch dritte Güter‘) bestätigt werden muss (zur Bedeutung von fides, vgl. auch etwa Tac. hist. 1,22,2: ex eventu fides ‚die Ereignisse bestätigten das‘; ebd. 2,78,2: fidem ominis ‚die Wahrheit des Vorzeichens‘). Damit wird die Entscheidung nicht nur von einem Verfahren abhängig gemacht, sonder auch gleichzeitig das Verfahren aufgewertet. In späterer Zeit finden sich ebenfalls doppelte Verfahren, wie bei Ad. Brem. scholion 133 (128): omnia, quae aguntur inter barbaros, sortiendo faciunt in privatis rebus; in publicis autem causis etiam demonum responsa peti solent ‚alles, was bei den Barbaren im persönlichen Leben geschieht, tun sie nach dem Los. Aber auch in Angelegenheiten, die alle angehn, holen sie gewöhnlich die Antworten der Götzen ein‘; im Aisl. im Fagrskinna 40: þá feldi hann blótspón, ok vitraðisk svá sem hann skyldi hafa dagráð at berjask, ok hann sér þá hrafna tvá, hversu gjalla ok fylgja alt liðinu ‚er warf das Los, und es ergab sich, als ob er günstige Gelegenheit haben sollte, sich zu schlagen, und er sieht dann zwei Raben, wie sie krächzen und der Heerschar überall folgen‘. Auf ein doppeltes Verfahren weist auch die Formulierung im Hymiskviða, 1 (über ein Verfahren der Götter): hristo teina / ok á hlaut sá ‚sie schüttelten die Zweige und schauten auf das Los‘; anders Völuspa, 63: þá kná Hoenir / hlautvið kiósa ‚da kann Hoenir das Losholz wählen‘.44 Das Wort auspicium ist hier allgemein zu nehmen und leitet über zur Beschreibung der verschiedenen Vorzeichen der Germanen. 44 Vgl. v. See – La Farge – Picard – Priebe – Schulz 1997: 279. 2 et illud quidem etiam hic notum] Tacitus behandelt jetzt die auspicia, die es bei den Germanen gab. Dabei geht er von der auch bei den Römern bekannten Vogeldeutung (vgl. Cic. div. 2,76: externa enim auguria … videamus. omnibus fere avibus utuntur, nos admodum paucis ‚wir wollen uns nämlich noch fremdländische Vogelzeichen vornehmen … So berücksichtigt man dort fast alle Vögel, wir nur ganz wenige‘) zu solchen über, die den Römern fremd sind. Die Folge et – quidem ist nicht als Fügung aufzufassen, sondern et weist zurück auf den letzten Teilsatz, während quidem zur Bekräftigung dient (vgl. die Parallele Cic. Tusc 1,52: est illud quidem vel maxumum animo ipso animum videre ‚dies ist freilich das Allergrößte, mit der Seele selbst die Seele zu erkennen‘).45 45 So auch Lund 1988: 141 (anders Perl 1990: 162: et – quidem stehe ”entschuldigend.). Vgl. auch Kühner – Stegmann II,1: 802-803. 46 So Döderlein 1850: 17; Perl 1990: 91, 162; Rives 1999: 166. 47 So Baumstark 1875: 467-468; Müllenhoff 1900: 228-229; Gudeman 1916: 94; Schweizer-Sidler 1923: 28; Reeb 1933: 30; Much 1967: 194; Lund 1988: 141; Anderson 1997: 80. 48 Much 1967: 194. Diese Auffassung wohl begründet von Wölfflin 1867: 161 und aufgenommen von Gudeman: 1916: 94; Schweizer-Sidler 1923: 28; Reeb 1933: 30. 49 Perl 1990: 162. Vgl. auch Baumstark 1875: 468: ”Hierauf habe ich zu bemerken, dass Tacitus ein elender Schriftsteller wäre, wenn er das, was er sagen sollte, blos auf Rücksicht für den Stil nicht sagt, und statt dessen das sagt, was er nicht hätte sagen sollen.. 50 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 619. 51 So auch Baumstark 1875: 467-468 mit Hinweis auf 186-187. Umstritten ist die Bedeutung von hic, und zwar ob es sich auf die Römer46 oder – im Gegensatz zum vorherrschenden Sprachgebrauch – auf die Germanen47 bezieht. Falls Tacitus mit hic jedoch die Römer meinen würde, wäre die Aussage zum einen sehr banal, zum anderen bliebe das Vergleichsmoment in etiam unklar (was wäre denn nämlich noch bei Römern und Germanen gleichermaßen bekannt ?). Da etiam das Vorhergehende aufnimmt (die sorgfältige Prozedur, welche die Germanen vornehmen), muss sich hic ebenfalls auf die Germanen beziehen: ‚die Germanen haben eine sorgfältige Prozedur, und des weiteren ist auch bei ihnen bekannt …‘. Es stellt sich dann jedoch die Frage, warum hier hic und nicht das zu erwartende illic steht. Die übliche Argumentation, dass hic hier gesetzt ist, da illic wegen des vorhergehenden illud ein ”lautlicher Schönheitsfehler. gewesen wäre (mit Hinweis auf c. 3,2: illo – hunc ‚auf jener – in diesen‘),48 ist wohl hinfällig, da durchaus auch ibi möglich gewesen wäre.49 Vielmehr kann aber hic nicht nur für das räumlich oder zeitlich Nahe, sondern auch für das in der Vorstellung Nahe verwendet werden,50 was hier der Fall sein wird.51 avium voces volatusque] Zum Ausdruck vgl. Nonnius, p. 429: auspicium avium ex volatu … et vocibus ‚das Vorzeichen aus dem Flug und den Stimmen der Vögel‘; Aug. doctr. christ. 2,24: id agunt ne videant volatus aut audiant voces avium ‚sie [= die Auguren] bemühen sich gar nicht, auf den Flug der Vögel zu sehen oder auf ihre Stimme zu hören‘. Unter volatus ist die Richtung des Vogelfluges zu verstehen. Gewöhnlicher als vox wird das Wort cantus verwendet, allerdings alliteriert vox mit volatus. Nach den späteren germanischen Quellen spielt die Vogelwahrnehmung ebenfalls eine Rolle (vgl. etwa die Termini ae. fugolhælsere, fugolhwata, fugolwiglere ‚Wahrsager‘, ahd. fogalari ‚Wahrsager‘, fogalskouwo, fogalwiso ‚Vogelschauer‘), jedoch war nicht die Flugrichtung entscheidend (dies schließt nicht aus, dass einst auch dieses entscheidend gewesen ist, was vielleicht aus einer Cicero-Stelle hervorgeht, falls untern den ‚Barbaren‘ auch die Germanen zu verstehen sind: Cic. div. 2,82: ita nobis sinistra videntur, Graiis et barbaris dextra meliora ‚uns scheint also, was sich links, den Griechen und Barbaren, was sich rechts ereignet, besser zu sein‘), sondern nur das Erscheinen gewisser Vögel und die Vogelstimmen (vgl. ahd. fogelrartod ‚Vogelzeichen‘, fogalrarton ‚wahrsagen, weissagen, Vorzeichen deuten‘, fogalon ‚wahrsagen, Vorzeichen deuten‘). Letzteres schlägt sich nieder in dem Bedeutungsübergang von ‚Klang‘ in urgerm. *.le.þra-52 (in ahd. [h]liodar ‚Rauschen‘ ae. hleoðor ‚Klang, Stimme‘) zu ‚Orakel‘ im Kompositum ahd. liodarsezzo ‚Wahrsager‘ (eigtl. ‚derjenige, der sitzt um das Orakel zu hören‘). In den späteren Quellen gelten Adler und Rabe als glückbringende, Eule, Krähe und Kuckuck dagegen als unglückbringende Vögel; vgl. etwa Prok. BG 4,20,13-14: ..t.. ...p ... ...p... t... ....µ.t.t... .. ..p.. t. .ppe..µe... .p... t... .p. d..dp.. te .a..µe... e.de .a. p.... .p....ta. e.te d. t.. .p..... t.. f.... ...e.. e.te .... µ.. t. ..ep..t.µe..., ...e..a. d. t.. .p..... µa.te..µ.... tepate...µe..., t... pap..... e.... .fa..e. .. te....eta. te..ap....ta .µ.pa.. ..tep.. ‚als Hermegisklus einst mit vornehmsten Warnen an einem Platze spazieren ritt, sah er auf einem Baum einen Vogel sitzen, der wiederholt krächzte. Sei es nun, daß er die Vogelstimme wirklich verstand, sei es, daß er eine andere Kenntnis besaß, aber so tat, als verstehe er die Weissagung des Vogels, jedenfalls erklärte er sogleich den Anwesenden, daß er in vierzig Tagen sterben müsse‘; Paul. 6,55: cui dum contum, sicut moris est, traderent, in eius conti summitate cuculus avis volitando veniens insedit. tunc aliquibus prudentibus hoc portentum visum est significari, eius principatum inutilem fore ‚als sie ihm [= Hildeprand] aber der Sitte gemäß den Speer in die Hand gaben, flog ein Kuckuck herbei und setzte sich auf dessen Spitze. Da wollten einige kluge Männer aus diesem Zeichen erkennen, daß sein Regiment nichts Gutes bringe‘. 52 Zu ai. srótra- ‚Ohr, Gehör‘, av. srao.ra ‚Gehör‘. In Rom zerfielen die auspicia in zwei Klassen: auguria impretativa (die erbetenen Zeichen) und auguria oblativa (die unerbetenen Zeichen). Die signa werden in fünf Klassen geschieden: ex caelo (Himmelszeichen), ex avibus (Vogelzeichen), ex tripudiis (Hühnerzeichen), ex quadripedibus (Zeichen von Vierfüßlern), ex diris (unglückliche Zeichen).53 interrogare] Dies ist ein terminus technicus der römischen Auguralsprache. 53 Vgl. KP I: 735. proprium gentis equorum quoque praesagia ac monitus experiri] Nun geht Tacitus über zu einem Vorzeichen, das seiner Meinung nach nur die Germanen kennen. Allerdings war das Pferdeorakel auch bei anderen Völkern geläufig (so bei den Griechen [Hom. Il. 19, 404-405: t.. d’ .p’ .p. ....f. pp...f. p.da. a..... .pp.. / ...... ‚unter dem Joch aber sprach der fußgeschmeidige Falbe Xanthos‘]; bei den Persern [Hdt. 1,189,1: t..t.. d. t.. G..d.. p.taµ.. d.aßa..e.. .pe.p.t. . ..p.. ...ta .....p.p.t.., ...a.t. .. t.. t.. .p.. .pp.. t.. .e.... .p. .ßp... ..ß.. .. t.. p.taµ.. d.aßa..e.. .pe.p.t., . d. µ.. ..µ...a. .p.ßp..... .....ee f.p.. ‚als er [= Kyros] diesen Gyndes nun überschreiten wollte, was nur auf Schiffen geschehen konnte, da sprang ihm eins der heiligen weißen Rosse aus Übermut in den Fluß und versuchte, ihn zu durchschreiten. Aber der Fluß riß es mit in die Tiefe und trug es fort‘; ds. 3,84,3: pep. d. t.. ßa....... .ß...e..a. t....de. .te. .. . .pp.. ..... .pa.ate..a.t.. pp.t.. f.....ta. .. t. pp.a.te.. a.t.. .p.ßeß...t.., t..t.. ..e.. t.. ßa....... ‚über die Königswahl beschlossen sie [= der Rat der Sieben] folgendes: Sie wollten vor das Stadttor reiten. Wessen Pferd bei Sonnenaufgang als erstes wiehere, der solle die Herrschaft erhalten‘; ebd. 3,86,1-2: d.e.e.a....t.. d. .at. t. pp...te..., .. .at. t..t. t. ..p... ......t. ..a t.. pap....µ.... ...t.. .ated.det. . ...ea .pp.., ...a.ta . .ape... .pp.. pp..dpaµ.. ..peµ.t..e. .µa d. t. .pp. t..t. p....a.t. ..tpap. .. a..p... .a. ßp..t. ....et.. .p..e..µe.a d. ta.ta t. .ape.. .te..... µ.. ..pep .. .....t.. te. .e..µe.a ‚sobald sie [= die Königskanditaten] vor das Tor an die Stelle kamen, wo in der vergangenen Nacht die Stute angebunden war, wieherte der Hengst des Dareios, indem er dorthin galoppierte. Im gleichen Augenblick, als das Pferd dies tat, fuhr ein Blitz aus heiterem Himmel, und man hörte Donner. Dieses Zusammentreffen der Zeichen war für Dareios wie eine göttliche Bestätigung‘; Min. Fel. 18,6: omitto Persas de equorum hinnitu augurantes principatum ‚ich will nicht reden von den Persern, welche nach dem Rossewiehern den Vorrang zuteilten‘; Iust. 1,10,5-9: nam et solem Persae unum deum esse credunt et equos eidem deo sacratos ferunt. et erat inter coniuratos Darius, Hystaspis filius, cui de regno sollicito equi custos ait, si ea res victoriam moraretur, nihil negotii superesse. per noctem deinde equum pridie constitutam diem ad eundem locum ducit ibique equae admittit … postera die itaque, cum ad statutam horam omnes convenissent, Darii equus cognito loco ex desiderio feminae hinnitum statim edidit et segnibus aliis felix auspicium domino primus emisit. tanta moderatio ceteris fuit, ut audito auspicio confestim equis desilierint et Darium regem salutaverint ‚denn auch die Perser glauben, dass die Sonne die alleinige Gottheit ist und sagen, dass Pferde dem Gott geweiht sind. Und unter den Verschwörern war Darius, der Sohn des Hystaspis, dem (unruhig wegen der Herrschaft) der Wächter des Pferdes sagte, dass, wenn diese Sache den Sieg verhindere, nichts an Sorge übrig wäre. Er führte das Pferd darauf in der Nacht vor dem festgesetzten Tag zu demselben Ort und dort ließ er eine Stute hinzu … Daher am nächsten Tag, als alle zur verabredeten Stunde zusammengekommen waren, erkannte das Pferd das Darius den Ort und brachte aus Wunsch nach der Stute ein Wiehern hervor und er ließ zuerst, weil die anderen schläfrig waren, das glückliche Vorzeichen für seinen Herrn verlauten. Die anderen waren so gefasst, dass sie, nachdem sie das Vorzeichen gehört hatten, sofort von den Pferden sprangen und Darius als König begrüßten‘]; in späterer Zeit bei den Pommern [Herbord. vita otton. 2,33: habebant enim caballum mirae magnitudinis et pinguem, nigri coloris et acrem valde. Iste tot anni tempore vacabat, tantaeque fuit sanctitatis, ut nullum dignaretur sessorem, habuitque unum de quatuor sacerdotibus templorum custodem diligentissimum. quando ergo itinere terrestri contra hostes aut praedatum ire cogitabant, eventum rei hoc modo per illum solebant praediscere: hastae 9 disponebantur humo, spacio unus cubiti ab invicem disiunctae. Strato ergo caballo atque frenato, sacerdos, ad quem illius pertinebat custodia, tentum freno per iacentes hastas in transversum ducebat ter atque reducebat. quod si pedibus inoffensis hastisque indisturbatis, equus transibat, signum habuere prosperitatis et securi pergebant; sin autem, quiescebant ‚sie hatten nämlich ein wunderbar großen und fettes Pferd, schwarz von Farbe und sehr muthig. Dasselbe wurde das ganze Jahr hindurch nicht gebraucht und war von solcher Heiligkeit, daß es keinen Reiter duldete, und es hatte einen von den vier Priestern der Tempel als sorgfältigen Wärter. Wenn sie nun zu Lande gegen ihre Feinde oder um Beute zu machen auszuziehen gedachten, so pflegten sie den Ausgang der Unternehmung durch jenes Pferd auf folgende Weise vorherzukunden: neun Lanzen wurden auf die Erde gelegt, eine von der anderen eine Elle entfernt. Nachdem dann das Pferd gesattelt und gezäumt war, führte es der Priester, dem seine Obhut zukam, am Zügel drei- oder viermal quer über die daliegenden Lanzen hin und her. Wenn das Pferd ohne mit den Füßen anzustoßen und ohne die Lanzen zu verschieben darüber hinwegging, so hielten sie das für ein Glückszeichen und zogen ruhig fort; wenn aber nicht, so hielten sie sich ruhig‘]), der Gegensatz ist somit nicht der zu allen anderen Völkern, sondern zu den Römern. Das Wort gens wird hier (wie auch anderswo; s. zum Begriff gens c. 1,1) für ‚das Gesamtvolk‘ verwendet. praesagium ist das instinktmäßige Vorauswittern (vornehmlich der Tiere; vgl. Paul. Fest. 223,18: praesagire est … praesipere; sagax est enim acutus et sollers ‚praesagire ist … voraus empfinden; denn sagax ist einsichtsvoll und erfinderisch‘; Plin. nat. 8,157: iidem praesagiunt pugnam ‚sie [= Pferde] fühlen eine Schlacht voraus‘; Cic. div. 1,65: sagire enim sentire acute est; ex quo sagae anus, quia multa scire volunt, et sagaces dicti canes. is igitur qui ante sagit quam oblata res est, dicitur praesagire, id est futura ante sentire ‚”sinnen. (sagire) bedeutet nämlich ”scharf wahrnehmen.; deshalb sprechen wir von Weibern ”mit übersinnlichen Kräften. (sagae), weil sie großes Wissen beanspruchen, und von ”spürsinnigen. (sagaces) Hunden. Der also, der auf etwas ”sinnt. (sagit), bevor es ihm begegnet, ”sinnt. wie man sagt ”voraus. (praesagit), das heißt, er nimmt die Zukunft im voraus war‘),54 monitus dagegen die Mahnung, gewöhnlich eine abratende; beide Wörter sind ebenfalls verbunden bei Tac. hist. 1,3,2: praeter multiplices rerum humanarum casus caelo terraque prodigia et fulminum monitus et futurorum praesagia ‚neben vielfältigen Wechselfällen im menschlichen Bereich (gab es) am Himmel und auf Erden Vorzeichen und Warnungen durch Blitze und Prophezeiungen der Zukunft‘. 54 So auch Baumstark 1875 : 463 ; Müllenhoff 1900 : 230. 55 Vgl. ThLL V,2 1666,42: ”temptando sequi.. experiri steht hier in der Bedeutung ‚erforschen, erkunden‘ (vgl. etwa Ov. fast. 4,814: magna fides avium est: experiamur aves ‚es ist auf die Vögel immer Verlaß. Laßt uns sehn, was uns der Vogelflug sagt‘).55 Auch in späterer Zeit finden sich Nachrichten über Pferdeorakel bei germanischen Stämmen, vgl. etwa Indiculus superstitionum et paganiarum, 13 (das gegen das sächsische Heidentum gerichtet war): de auguriis vel avium vel equorum vel bovum ‚über die Wahrzeichen von Vögeln oder Pferden oder Rindern‘. publice] publice steht in der gleichen Funktion wie in c. 10,1: si publice consultetur ‚wenn man eine öffentliche Losbefragung vornehmen will‘. iisdem nemoribus ac lucis] Dies sind die nämlichen Haine, die in c. 9,2 genannt wurden. Es liegt ein Abl. loci vor (vgl. auch etwa Tac. dial. 13,6: statuarque tumulo non maestus et atrox ‚ich möchte auch nicht traurig und finster auf meinem Grab dargestellt werden‘).56 candidi] Die weiße Farbe ist auch hier günstig (so auch bei den Römern, vgl. Liv. 27,37,11: ab aede Apollinis boues feminae albae duae porta Carmentali in urbem ductae ‚vom Tempel des Apollo aus wurden zwei weiße Kühe durch die Porta Carmentalis in die Stadt geführt‘), so wie in c. 10,1 ebenfalls von einer candida vestis die Rede ist. Auch bei den Persern war die Farbe der Pferde weiß (s.o. und Hdt. 7,40,4: .p...e d. t..t.. t.. d..a .pp.. .pµa .... .p.. .pet.ta.t., t. .pp.. µ.. e..... .e.... ..t. ‚diesen zehn Rossen folgte der heilige Wagen des Zeus, von acht Schimmeln gezogen‘), dagegen wurden bei den Pommern schwarze Pferde verwendet (s.o.). nullo mortali opere contacti] Zur Ausdrucksweise vgl. Tac. dial. 12,2: hoc primum habitu cultuque commoda mortalibus in illa casta et nullis contacta vitiis pectora influxit ‚in dieser Gestalt und in diesem Gewand paßte sie sich in der ersten Zeit den Sterblichen freundlich an und strömte in jene reinen und von keinen Lastern berührten Herzen‘. 56 Zum Abl. in der Funktion eines Lokativs s. Hofmann – Szantyr 1972: 145-147. 57 Zu et mit nachfolgender Negation s. Hofmann – Szantyr 1972: 480. 58 Löfstedt 1956: I,121; für Beispiele (gerade bei Tacitus) vgl. ebd. S. 122-123; vgl. auch Kühner – Stegmann II,1: 210-212. 59 Ob dagegen ein Beleg aus der altnord. Hrafnkelssaga Freysgoða (in dem der Besitzer Hrafnkell jeden tötet, der das heilige Ross Freyfaxi, das dem Gotte Freyr geweiht ist, reitet) in diesen Kontext gehört (so Much 1967: 195), bleibt äußerst fraglich. 60 Die Emendation von Robinson 1991: 96, 286 vom überlieferten contactis in contacti sunt ist schon wegen der hss. Überlieferung abzulehnen (anders begründet bei Güngerich 1937: 257). 61 Diese Bedeutung ist jedoch nicht in ThLL IV: 624,4-625,2 aufgeführt. Die Negation nullus, auf der hier der Nachdruck liegt,57 zeigt an, dass die Pferde zu keiner Zeit mit keinerlei Arbeit in Berührung kamen. Die Fügung mortali opere steht für mortalium opere. Die Verwendung des Adjektivs anstelle eines Genitivs gehört ”zu den charakteristischen Eigentümlichkeiten … der dichterisch gefärbten Prosa..58 Auch hier handelt es sich darum, dass die Pferde unbefleckt sein müssen. Aus späterer Zeit ist im Agutn. das Kompositum verkhailigr ‚werkheilig‘ bezeugt (Gutalag 1,8,1).59 contacti60 steht hier für contaminati, was sehr selten vorkommt.61 quos pressos] Das Verbum premere wird häufig dichterisch anstelle von iungere verwendet,62 häufig mit der Zufügung von iugo (vgl. u.a. Ov. met. 1,124: pressique iugo 62 So auch Müllenhoff 1900: 230; Gudeman 1916: 95; Schweizer-Sidler 1923: 28; Lund 1988; 141. 63 So Reeb 1933: 30; vgl. auch Müllenhoff 1900: 231. 64 Vgl. Much 1967: 198: ”Da es sich, wenn ein rex dabei beteiligt ist, um eine Staatsaktion handeln muß, gehört das folgende civitatis auch zu sacerdos.; . 65 Gudemann 1916: 95: ”Letzterer Zusatz und vel beweisen, daß es sich hier nicht um zwei verschiedene Personen handelt, sondern jeder von diesen Titeln bezeichnet das Staatsoberhaupt schlechthin. T fügt aber einen synonymen Begriff hinzu, weil er eine monarchische Regierungsform den Germanen im allgemeinen abspricht und einer mißverständlichen Deutung vorbeugen will.; ähnlich Rives 1999: 167-168. gemuere iuvenci ‚und es stöhnten, gedrückt vom Joche, die Rinder‘; ebd. 12,77-78: tum colla iugo canentia pressos / exhortatus equos currum derexit in hostem ‚da feuert er [= Achilles] an die am Hals vom Joche gedrückten Rosse, die schaumüberflockten, und lenkt auf den Feind seinen Wagen‘). Allerdings kommt es auch ohne iugo vor und steht dann in der Bedeutung ‚kurz halten, anziehen‘ (vgl. etwa Verg. Aen. 1,62-63: qui foedere certo / et premere et laxas sciret dare iussus habenas ‚der sollte nach festem Vertrage klug, auf Geheiß, bald straff, bald locker führen die Zügel‘; ebd. 11,600: et pressis pugnat habenis ‚und sträubt sich dem Zwange der Zügel‘; Ov. met. 14, 819-820: pressos temone cruento / … equos ‚das vom blutger Deichsel gedrückte Gespann‘). Es liegt daher hier der Gedanke nahe, dass die Pferde kurz am Wagen gehalten werden. sacro curru] Es scheint müßig, darüber zu spekulieren, in welcher Beziehung dieser heilige Wagen zu dem in c. 40,3 (est in insula Oceani castum nemus dicatumque in ea vehiculum veste contectum ‚auf einer Insel des Ozeans gibt es einen heiligen Hain, auf ihr befindet sich auch ein geweihter Wagen, der mit Decken verhüllt ist‘) genannten (welcher der Nerthus geweiht ist, allerdings von Rindern gezogen wird) steht und ob es sich ”um die regelmäßig wiederkehrende Umfahrt des Gottes, nicht um ein Einspannen der heiligen Pferde, wenn man ein Orakel halten wollte. handelt.63 Heilige, von Pferden gezogene Kultwagen finden sich seit der älteren Bronzezeit, also schon etwa tausend Jahre vor dieser Schilderung. sacerdos ac rex vel princeps civitatis] Der Genitiv civitatis ist auch auf den sacerdos zu beziehen,64 so dass hier dieselbe Fügung und damit auch die gleiche Bedeutung wie in c. 10,1 (sacerdos civitatis ‚der Priester der Stammesgemeinschaft‘) vorliegt. Aus diesem Grund ist auch princeps so aufzufassen. Gudeman wollte die Junktur rex vel princeps als Beschreibung einer und derselben Person auffassen.65 Diese Interpretation scheint aber nicht möglich zu sein, da die Fügung princeps civitatis, wie gesagt, nicht als ,das Stammesoberhaupt‘ aufgefasst werden kann und offenbar vel hier disjunktive Funktion hat, somit solche Stämme, an deren Spitze ein rex steht, von jenen scheidet, in denen die princeps das Sagen haben (s. auch c. 11,2).66 Es sind also sowohl ein religiöser als auch ein staatlicher Vertreter bei dieser Vorzeichenschau anwesend, so dass es sich um eine staatliche handeln wird. hinnitusque ac fremitus] Beide Wörter sind im Lateinischen mehrmals miteinander verbunden (vgl. Lucr. 5,1073: denique non hinnitus item differre videtur ‚schließlich sieht man nicht, daß das Wiehern sich auch unterscheidet‘; Liv. 2,64,11: fremitus hinnitusque equorum ‚das Schnauben und Wiehern der Pferde‘; etwas abweichend, da nicht beides auf Pferde bezogen ist: Amm. 27,10,13: per fremitus territos et equorum hinnitus et tubas ‚unter furchtbarem Kriegsgeschrei, Pferdewiehern und Trompetenklang‘). Aus quos ist bei beiden Substantiven quorum zu ergänzen (vgl. zur Konstruktion Tac. hist. 2,92,2: cum flebilis et egens nobilium turba, quos ipsos liberosque patriae Galba reddiderat ‚während die beklagenswerte, mittellose Schar des Adeligen, die Alba samt ihren Kindern in die Heimat zurückgeführt hatte‘). nec ulli auspicio maior fides] Hiermit wird dieses Vorzeichen, welches nach Tacitus nur den Germanen eigen ist, auch als das wichtigste hingestellt. 66 So auch Much 1967: 198; Lund 1988: 141; Perl 1990: 162; Anderson 1997: 81. Veraltet dagegen Baumstark 1875: 472; Müllenhoff 1900: 230-231. 67 Vgl. Till 1943: 91; Robinson 1991: 178; Perret 1997: 77. 68 Robinson 1991: 286. Vor apud sacerdotes wurde sed eingefügt von Halm (vgl. Müllenhoff 1900: 232) und Gudeman 1916: 96. 69 Vgl. Delz 1970: 232. Für nicht notwendig hält sie Persson 1927: 95-96; ebenso schon Baumstark 1875: 473- 474; dahin tendierend auch Till 1943: 91-92. 70 Demgegenüber ist die Einfügung valet idem durch Delz 1970: 232 durch nichts gedeckt. non solum apud plebem, sed apud proceres, apud sacerdotes] An dieser Stelle gibt es ein textkritisches Problem, da das hier in den Text aufgenommene sed lediglich in den Hss. CpQEa (in E oberhalb der Zeile) bezeugt ist.67 Das bei Rudolf v. Fulda geschriebene sed etiam ist dagegen nicht als Stütze für die Textgestaltung heranzuziehen, weil dieser den Text häufiger umgestaltet hat. Gegen die Einfügung von sed hat sich vor allem Robinson ausgesprochen: ”Probably the text ist corrupt, but I suspect that the corruption ist too deep to be healed by the simple expedient of inserting sed before apud proceres, as has been done in some of our MSS. or before apud sacerdotes, as some commentators have done..68 Allerdings ist offensichtlich das Wort sed ausreichend, einen lesbaren und sinnvollen Text zu erhalten. Syntaktisch scheint eine Einfügung notwendig69 und von der Überlieferung her erlaubt zu sein,70 so dass sie unbedenklich in den Text zu nehmen ist.71 Die Funktion von sed ist, 71 Ebenfalls eingefügt bei Müllenhoff 1900: 231-232; Schweizer-Sidler 1923: 29; Reeb 1933: 30; Much 1967: 189; Lund 1988: 78, 141-142; Perl 1990: 90. 72 Gudemann 1916: 96. Ebenda: ”statt principes.; etwas anders Perl 1990: 162-163: ”proceres geht wie principes ... auf die gesellschaftliche Stellung innerhalb der Stammesgemeinschaft.; er geht aber ebenfalls davon aus, dass mit proceres die principes gemeint sind (vgl. Perl 1990: 70 und 259). proceres und sacerdotes vom vorhergehenden Wort plebs abzutrennen; dadurch wird das nachfolgende se insofern eindeutig, als es sonst auf alle drei Gruppen bezogen werden müsste, was unwahrscheinlich ist. Das Wort plebs (zur Etymologie des Wortes vgl. man Klingenschmitt 1992: 127.) bezeichnet im Lateinischen die Masse der römischen Bürger im Gegensatz zu den Patriziern. Seine Bedeutung änderte sich aber im Laufe der Zeit. Meinte plebs zunächst noch eine Art Stand (es gibt die Abfolge senatus, equites, plebs), so engt der Begriff sich später auf das arme Volk ein. In der Kaiserzeit ist plebs ,der unruhige Pöbel‘. Daneben bleiben die alten Titel wie tribuni plebis weiter bestehen. Nach Meinung der Patrizier hatten die Angehörigen der plebs keine Familien mit göttlichen Ahnherren. Tacitus bezeichnet mit diesem Wort offensichtlich eine Schicht, die unterhalb der proceres (s.u.) wie der sacerdotes (s. c. 7,1) steht. Nach c. 11,2 liegt in der Versammlung bei der plebs die Entscheidung über die wichtigen Angelegenheiten, wo sich ihre Mitwirkung jedoch auf ihr Abstimmungsverhalten beschränkt. Diese passive Funktion wird auch durch die passivische Form audiuntur (s. c. 11,2) unterstrichen. Nach c. 12,3 steht eine Körperschaft von hundert Personen aus der plebs dem dort Recht sprechenden Anführer zu dessen Beratung und zur Verbürgung seines Urteils zur Seite, wohl um der Parteilichkeit der Anführer entgegenzuwirken. Die plebs umfasst demnach alle ingenui (s. c. 20,1), allerdings in ihrer gesellschaftlichen Funktion, sofern diese nicht unter die Zuständigkeit der proceres und sacerdotes, d.h. der nobiles fallen. Das Wort proceres bezeichnet im Lateinischen die Vornehmsten im Gegensatz zu vulgus ,die Leute; der Pöbel; die Masse‘ und pauperes ,die Armen‘. Im ersten Teil der Germania kommt es nur in c. 10,2 vor, einer Stelle, die wenig Aussagekraft hat (in der Germania erscheint es daneben nur noch in c. 46,1: ac torpor procerum ‚dazu mangelnde Entschlusskraft der Vornehmen‘). Auch sie sehen das Pferdeorakel für das wichtigste an. Der Begriff proceres wird zwischen die Begriffe plebs (s.o.) und sacerdotes (s. c. 7,1) eingereiht. Hieraus wird ersichtlich, dass die proceres eine von der plebs getrennte Gruppe sind. Es wird allgemein angenommen, dass proceres hier anstelle von principes steht, ”weil dem Gedanken nach der staatsrechtliche Begriff nicht betont werden durfte..72 Die Frage bei dieser Deutung ist aber, warum von Tacitus dann nicht das Wort nobiles gewählt wurde. Eine mögliche Erklärung scheint zu sein, dass bei Tacitus sowohl die proceres als auch die sacerdotes unter den Begriff nobiles fallen, nobiles somit bei der Reihung nicht in Frage kam. Der Begriff principes war aber zu eng, da es wohl auch nobiles gab, die nicht principes waren. Ein Mittelbegriff war somit notwendig. In der Reihung plebs – proceres – sacerdotes ist nicht die Herkunft berücksichtigt, sondern nur die gesellschaftliche Stellung der betreffenden Personen. Die Angabe über das Vertrauen der gesamten Bevölkerung, also nicht nur der plebs, in die Vorzeichen steht in Gegensatz zu den Verhältnissen in Rom, wo der Volksglauben von den Gebildeten belächelt wurde (vgl. Pol. 6,56,8-11: .p. t....t.. ..p ..tetpa..d.ta. .a. pape....ta. t..t. t. µ.p.. pap’ a.t... e.. te t... .at’ .d.a. ß.... .a. t. ..... t.. p..e.. ..te µ. .ata..pe.. .pepß..... . .a. d..e.e. .. p...... e..a. .a.µ...... .µ.. .e µ.. d...... t.. p...... ..p.. t..t. pep......a.. e. µ.. ..p .. ..f.. ..dp.. p...te.µa ...a.a.e.., .... ..d.. .. ..a..a... . t....t.. tp.p... .pe. d. p.. p..... ..t.. ..afp.. .a. p..pe. .p...µ... papa..µ.., .p... ......, ..µ.. ß.a..., .e.peta. t... .d..... f.ß... .a. t. t..a.t. tpa..d.. t. p.... .....e.. ‚die Religion spielt dort [= in Rom] im privaten wie im öffentlichen Leben eine solche Rolle und es wird so viel Wesens darum gemacht, wie man es sich kaum vorstellen kann. Vielen wird das wahrscheinlich seltsam erscheinen, ich glaube indessen, daß es um der Masse willen geschieht. Denn wenn man ein Staatswesen bilden könnte, das nur aus Weisen besteht, würden solche Methoden wohl nicht nötig sein. Da jedoch die Masse immer leichtfertig und voller gesetzwidriger Begierden ist, geneigt zu sinnlosem Zorn, zu Leidenschaften, die sich in Gewalttaten entladen, bleibt nichts übrig, als sie durch dunkle Angstvorstellungen und eine gut erfundene Mythologie im Zaum zu halten‘; Cic. div. 2,51: vetus autem illud Catonis admodum scitum est, qui mirari se aiebat, quod non rideret haruspex, haruspicem cum vidisset ‚jener alte Ausspruch Catos dagegen trifft die Sache genau; er pflegte zu sagen, er wundere sich, dass ein Beschauer nicht lachen müsse, wenn er einen Beschauer sehe‘; Aug. civ. 4,27: aliqua etiam quae obsit populis nosse ‚manches auch, was dem Volk zu wissen schädlich sei‘). se enim ministros deorum, illos conscios putant] Zur Verbindung der Wörter minister und conscius vgl. Liv. 39,34,9: quia et ipse sermonem cum eo contulerat et multorum talium ministrum et conscium habebat ‚weil er selbst die Unterredung mit ihm gehabt hatte und er sein Helfershelfer und Mitwisser in vielen solchen Fällen gewesen war‘. Das Pronomen se bezieht sich, wie aus dem vorhergehenden sed hervorgeht, sowohl auf die proceres wie auf die sacerdotes.73 73 Diejenigen, die sed auslassen, beziehen se auf alle drei Gruppen, die, die sed vor sacerdotes einfügen, dagegen nur auf sacerdotes. 74 Baumstark 1875: 474-475. 75 So Perl 1990: 162: ”Die Erklärung am Schluß … ist wieder römische Zutat, die den Germanen untergeschoben wird.. Vgl. auch Gudemann 1916: 96: ”Wir haben es aber hier nur mit einer idealisierenden Betrachtung des T zu tun, nicht mit einem von seinem Gewährsmann mitgeteilten Geständnis der germanischen Priester selbst.. 76 So Lund 1988: 142: ”diese Bemerkung muß einen römischen Leser nicht wenig verblüfft haben, denn der Begriff minister deorum … war ihnen völlig fremd.. 77 Vgl. Much 1967: 199 (jedoch ohne weitere Begründung): ”Die Bezeichnung als ,Diener der Götter‘ stimmt mit den germanischen Anschauungen überein.. 78 Man vgl. Düwel 2001: 26; RGA 30: 486-487. 79 Düwel 2001: 8: ”Die Runen können neben ihrem Lautwert auch einen Begriffswert repräsentieren, der dem Runennamen entspricht.. 80 Got. þius* ist nur im Plural belegt, im Singular steht dafür das Kompositum þiumagus ,Knecht‘, eigentlich ,Knechtjunge‘. 81 Mit dem Suffix urgerm. *-linga- weitergebildet auch ae. þeowling ,Sklave‘. In der Hs. B ist – wie in b – anstelle von illos die Form istos überliefert (das allerdings in b in illos korrigiert wurde), eine Lesart, für die sich Baumstark eingesetzt hat.74 Allerdings lässt die hs. Beleglage diese Form kaum als alt erscheinen. Umstritten ist, ob die Vorstellung minister deorum römisch ist75 oder nicht.76 Die Wendung selbst hat jedenfalls einen Vorläufer: Firm. math. 4,15,9: ministros … servosque deorum ‚Diener … und Sklaven der Götter‘; ebenfalls zu vergleichen ist Cic. leg. 3,43: Iovique optimo maximo se consiliarium atque administrum datum ‚daß er [= Vogelschauer] Juppiter Optimus Maximus als Ratgeber und Helfer dient‘. Aber auch in der germanischen Vorstellung ist eine solche Bezeichnung verankert,77 wie aus der Runeninschrift auf dem Ortband von Thorsberg (um 200 n.Chr.) hervorgeht. Dort findet sich die Inschrift owlþuþewaz. Hierzu liegen hauptsächlich zwei Deutungen vor.78 Die erste geht davon aus, dass Rune 1: o und 2: w vertauscht sind. Es wäre somit wolþuþewaz zu lesen. Die zweite setzt voraus, dass die Rune 1: o eine so genannte Begriffsrune ist,79 die in *oþala ,ererbter Besitz‘ aufzulösen ist. Nach dem w sei die homorgane u-Rune nicht mehr geschrieben worden, zu lesen sei also wulþuþewaz. Beide Deutungen laufen indessen auf dasselbe hinaus: Es liegt ein Kompositum vor, bestehend aus urgerm. *.ulþu- (> got. wulþus ,Herrlichkeit‘, aisl. Ullr ,Name eines Gottes, eig. der Strahlende‘) und *þe.a- ‚Knecht, Diener‘ (> got. þius*,80 run. þewaz, ahd. deo, ae. þeow,81 as. theo- [in theolico ,demütig‘], aisl. PN -þér [etwa in Eggþér]). Das Kompositum bedeutet demnach vermutlich ,Ull-Diener, Ull- Gefolgsmann‘. Der ”Träger [= des Namens] gehörte also wohl dem Priesterstand an..82 Nur etwa hundert Jahre nach der hier belegten Fügung minister deorum, erscheint im germanischen Raum somit ein Beleg, der dieses Verhältnis zwischen einem Menschen und einem Gott gleichermaßen zum Ausdruck bringt. Ebenfalls kann der runeninschriftliche PN auf dem Schildfesselbeschlag 3 von Illerup (um 200 n.Chr.) laguþewa hier angeführt werden. Der Name ist als Kompositum aus urgerm. *lagu- ‚See, Wasser‘ (> as. ae. lagu, aisl. logr) und *þe.a- ‚Diener‘, somit als ‚Diener des Sees‘ zu deuten83 (mit Hinweis auf c. 40 der Germania: servi ministrant, quos statim idem lacus haurit ‚das besorgen Sklaven, die alsbald dieser selbe See verschlingt‘). Dass sich eine solche Vorstellung noch länger hielt, zeigen auch die mit urgerm. *þe.a- gebildeten PN .a...e.. (zu got. fani ,Sumpf‘) und Arintheus (zu aisl. arinn ,eine zum Opfer bestimmte Feuerstätte, Herd‘). 82 Krause 1993: 69. Vorsichtiger Düwel 2001: 26: ”Unklar ist, ob ein sakraler oder profaner Name vorliegt, ob also das erste Glied zum Götternamen Ullr oder zum Appellativ got. wulþus ‚Glanz‘ gehört.. 83 Vgl. Wagner 2000: 382. 84 Baumstark 1875: 459. Unverständlich dagegen Lund 1988: 142: ”die Fortsetzung überraschend.. 85 Baumstark 1875: 459. 86 Kühner – Stegmann II,1: 650. Allerdings kann in der nachklassischen Zeit alius auch statt alter in der Bedeutung ‚ein zweiter‘ stehen. Somit könnte man sich auch der Meinung von Reeb 1933: 31 anschließen, der alia erklärt: ”die nicht zur Nachprüfung eines Losorakels dient.. 3 est et alia observatio auspiciorum] Baumstark sieht eine Schwierigkeit in dem Wort alia: ”Da bereits das Zweite, gegenüber dem Ersten, eine alia observatio war, so scheint es sehr unpassend, das Dritte durch ein est et alia observatio einzuleiten.,84 um diese danach zu beheben: ”Tacitus denkt an das Erste … nicht weiter, und hat seine Gedanken nur bei denjenigen Arten, welche den Germanen eigenthümlich sind. Auf diese Weise hat er dann erst von einer Art gesprochen, und an diese reiht er noch die zweite … an..85 Die Schwierigkeit besteht aber kaum, da alius ”ein anderer, d.h. ein von den erwähnten unterschiedener. bedeutet, also bei mehr als zwei verwendet wird (wogegen dann alter steht).86 Das Folgende ist als eine Art Nachtrag zu verstehen, wohl mit einem gewissen Seltenheitswert, wie auch das Folgende (gravium bellorum) bestätigt. qua gravium bellorum eventus explorant] Die Junktur von eventus und explorare findet sich mehrmals: Val. Max. 1,8,10: is bello ciuili … euentum grauissimi motus explorare cupiens ‚jener, im Bürgerkrieg wünschend, den Ausgang der schwersten Erschütterung zu erforschen‘; Curt. 7,7,8: explorare eventum rerum sacrificiis iubet ‚er [= Darius] ließ … durch Opfer den künftigen Lauf der Dinge erforschen‘; ds. 7,7,9: dum fibris pecudum explorantur eventus latentium rerum ‚während man noch an Tiereingeweiden verborgene Geschicke herauszufinden suchte‘. Die Lesart explorant hat sicherlich von der hss. Lage her den Vorzug vor exploratur, das sich nur in B und b (hier aus explorantur korrigiert) findet. Nur der Ausgang von Kriegen kann so erforscht werden. Eine Auskunft über den Kriegsausgang, allerdings unter Zuhilfenahme anderer Mittel, war auch den Römern bekannt, vgl. Sil. 5,59-61: tunc ales, priscum populis de more Latinis / auspicium, cum bella parant mentesque deorum / explorant super eventu … ‚dann verschmähte der Vogel – seit alters war bei den Römern Vogelschau Sitte bei Kriegsbeginn, über den Ausgang der Götter Meinung zu erforschen – …‘. eius gentis, cum qua bellum est, captivum quoquo modo interceptum cum electo popularium suorum] Nach Lund87 und Perl kann an dieser Stelle gens mit ‚Land‘ wiedergegeben werden, da nach Perl ”Tacitus hier mit gens sowohl einheimische Stämme als auch fremde Völker meint..88 Diese Deutung89 übersieht allerdings, dass es für die Bedeutung von gens unwesentlich ist, ob damit germanische oder nichtgermanische Einzelstämme gemeint sind. Ein geographischer Aspekt scheidet wegen der Zufügung patriis quemque armis aus. Da daher ebenfalls kaum eine ‚Stammesgruppe‘ gemeint sein kann, hat gens hier die Bedeutung ‚Völkerschaft‘. 87 Lund 1988: 142: ”Gens kann jedoch hier im Sinn von ‚Land‘ wiedergegeben werden.. 88 Perl 1983: 59; weiter schreibt er: ”Als gemeinsamen Nenner für ,Völker und Stämme‘ habe ich als Verlegenheitslösung ,Länder‘ genommen.. Vgl. aber die Fn. 39 auf S. 63: ”An den beiden Stellen <= c. 10,3 und 15,2> liegt auf gens kein geographischer oder territorialer Akzent. Bei den ethnologischen oder staatrechtlichen Termini schwingt allerdings manchmal ein geographischer Aspekt mit., was sich doch gegenseitig auszuschließen scheint. Perl 1990: 91 und 95 übersetzt gens hier mit ”Volk beziehungsweise Stamm. und ”Stämme beziehungsweise Völker.. 89 Sie erscheint Perl 1983: 59 ”methodisch wichtig.. 90 Es handelt sich somit wohl eher nicht um ”eine Art Gottesurteil., sondern es wird eher beabsichtigt, dass der eigentliche Kampf ”durch den Vorkampf magisch positiv festgelegt. werden sollte (Städele 1991: 331). Wenn der eine ein irgendwie Aufgegriffener, der andere dagegen ein Ausgewählter ist, sind die Chancen kaum gleich verteilt, was womöglich der Sinn gewesen sein mag, um ein positives Vorzeichen zu erlangen.90 Es stellt sich jedoch die Frage, was passiert wäre, wenn der Gefangene den Ausgewählten geschlagen hätte. Für ein solches Verfahren gibt es keine weiteren Belege. Aus späterer Zeit gibt es zwar auch den Zweikampf, allerdings nicht als Vorzeichen, sondern direkt als Entscheidungsschlacht (vgl. Frontin. strat. 4,7,5: C. Marius Teutono provocanti eum et postulanti, ut prodiret, respondit, si cupidus mortis esset, laqueo posse eum vitam finire: cum deinde instaret, gladiatorem contemptae staturae et prope exactae aetatis obiecit ei dixitque, si eum superasset, cum victore congressurum ‚als ein Teutone den Gaius Marius herausforderte und verlangte, er solle vortreten, antwortete Marius, jener könne, wenn er sich nach dem Tod sehne, seinem Leben mit einer Schlinge ein Ende machen. Da er aber bei seinem Verlangen beharrte, sandte ihm Marius einen Gladiator entgegen, der armselig an Wuchs und hochbetagt war, und erklärte, wenn er diesen bezwungen hätte, werde er selbst mit dem Sieger kämpfen‘; Agath. 1,2,7: µ..... ..e..... ......e..a. .a. .. .f.... a.t... d.a...d..e.e.. ‚sollen jena nur allein kämpfen und die Sache unter sich ausmachen‘; Prok. BG 1,20,1-4: .aµ..t.. d. pa.de. p..... … d.. t.. ..µat.. .. .f.... e. ....ta. .p....a.te., .a. a.t.. ..a µ.. .a...a.te. .p. t.. .e...ap... ...µat.., ...tt.... d. t.. .tep.. ...µ..a.te., pa.a.e.. ....e.... .. d. ....p.tata .. t.. ....a .a...taµ...., t.. ...tt.... d..e. ......... pe.e.. … .a. .pe. ta.ta .. .aµ..ta. ..p..ta ..e...e. … t. ..µpe...ta ..µßa...te. .....e.. .at. .p.t.. .e....p... ....p....t. ‚viele Samnitenkinder aber … wählten zwei besonders kräftige Jungen aus ihrer Mitte, nannten den einen Belisar, den anderen Wittigis und ließen sie miteinander ringen. Beide kämpften unter Aufbietung aller Kräfte, und Wittigis kam offensichtlich zu Fall … als die Samniten davon hörten … deuteten vielmehr das Geschehen in dem Sinne, daß Belisar einen entscheidenden Sieg erringen werde‘; Paul. 1,12: hunc solum pro omnibus pugnaturum obiciunt; mandant Langobardis, unum quem vellent suorum mitterent, qui cum eo ad singulare certamen exiret, ea videlicet conditione, ut, si suus bellator victoriam caperet, Langobardi itinere quo venerant abirent; sin vero superatur ab altero, tum se Langobardis transitum per fines proprios non vetituros ‚den allein stellten sie [= die Assipiter] für alle in den Kampf; den Langobarden ließen sie sagen, sie sollten einen von ihren Leuten stellen, welchen sie wollten, dass er mit jenem einen Zweikampf ausfechte und zwar unter der Bedingung, dass die Langobarden auf dem Weg, den sie gekommen, wieder umkehrten, wenn ihr Kämpfer den Sieg davontrüge; sollte er dagegen überwunden werden, so wollten sie den Langobarden den Zug durch ihr Gebiet nicht mehr verwehren‘; Greg. Tur. Franc. 2,2: ‚ne pereant, quaeso, populi utriusque falangae, sed procedant duo de nostris in campum cum armis bellicis, et ipse inter se confligant. Tunc ille, cuius puer vicerit, regione sine certamine obtenebit‘. Ad haec cunctus consensit populus, ne universa multitudo in ore gladii rueret ‚”laßt doch, ich bitte euch, nicht viel Volk auf beiden Seiten umkommen, sondern zwei von uns mögen mit ihren Kriegswaffen auf den Kampfplatz treten und die Sache unter sich ausfechten. Wessen Kämpe dann siegt, der nehme das Land ohne Streit.. Alle stimmten dem bei, auf daß nicht das ganze Volk fiele vor der Spitze des Schwertes‘). Ob dies allerdings so zu interpretieren ist, dass Tacitus auf fehlerhafte Informationen zurückgriff oder ob sich die Verhältnisse geändert hatten, bleibt unklar.91 91 So auch Rives 1999: 168. Perl 1990: 163 geht davon aus, dass beide Arten von Vorzeichen bei den Germanen vorhanden waren. 92 Vgl. KP 2: 1217. 93 Vgl. Robinson 1991: 202 Anm. 6. 94 Die Bedeutungen beider Wörter liegen jedoch teilweise recht eng beisammen. 95 Vgl. Robinson 1991: 202. Auch aus dem römischen Bereich sind solche Zweikämpfe belegt, die stellvertretend Kriege entschieden, etwa bei dem Streit um die Vorherrschaft zwischen Rom und Alba Longa durch die Drillingspaare der Horatii und Curiatii.92 committunt] Das Verbum ist ein Terminus aus dem Gladiatorenwesen, gebraucht von Gladiatoren, die man gegeneinander kämpfen ließ; vgl. etwa Suet. Aug. 45,2: spectavit autem studiosissime pugiles et maxime Latinos, non legitimos atque ordinarios modo, quos etiam committere cum Graecis solebat ‚besonders gern aber sah er Boxern zu, und zwar hauptsächlich römischen, nicht nur den Kämpfen von Berufsboxern, die er auch mit Griechen kämpfen ließ‘. pro praeiudicio] In der Hs. B findet sich pro preiudicio, in . pro iudicio.93 Ebenso hat Rudolf v. Fulda pro iudicio in seinem Text. Es wird sich hierbei jedoch um Zufall handeln. Die Bedeutung von praeiudicium passt jedenfalls besser (eine ähnliche Wendung findet sich bei Liv. 26,2,4: pro praeiudicato ‚als im voraus entschieden‘), da hier eine vorgreifende Entscheidung gemeint ist.94 Bei Rudolf von Fulda liegt wohl, wie häufiger, Vereinfachung des Wortlauts vor. In den beiden Hss. mag an ein Versehen bei der Auflösung der Kürzungen von pro und prae gedacht werden, wobei in B das Richtige nachgetragen wurde. Die Übereinstimmung ist somit nur scheinbar.95 Hiermit beendet Tacitus seine Aufzählung der Vorzeichen, die allerdings nur eine Auswahl aus dem Vorhandenen bietet. In der antiken Literatur findet sich noch Folgendes: Die Prophezeiung aus den Wirbeln der Flüsse, vgl. Plut. caes. 19,4: .t. d. µ..... a.t... .µß...e t. µa.te.µata t.. .ep.. ...a...., a. p.taµ.. d..a.. pp..ß..p...a. .a. .e.µ.t.. ....µ... .a. ..f... te.µa.p.µe.a. pp.e...p...., ... ...a. µ.... t..e..a. pp.. .p...µ.a. ..a. .e..... ‚noch mehr entsank ihnen der Mut, als die heiligen Frauen, welche aus der Beobachtung der Wirbel und Strudel und aus dem Brausen der Flüsse die Zukunft deuteten, eine Schlacht vor dem Anfang des Neumondes nicht zulassen wollten‘; Clem. Al. strom. 1,72,3: e... d. .a. pap. Gepµa.... a. .epa. .a...µe.a. ...a..e., a. p.taµ.. d..a.. pp..ß..p...a. .a. .e.µ.t.. ....µ... .a. ..f... te.µa.p..ta. .a. pp..e.p...... t. µ.....ta ‚auch bei den Germanen gibt es die sogenannten heiligen Frauen, die aus der Beobachtung der Stromschnellen und aus den Wirbeln und dem Rauschen der Wellen die Zukunft erschließen und verkünden‘. Die Prophezeiung aus gerinnendem Blut und Eingeweiden, vgl. Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: .. d. t.. pp..e.µ.... a.µat.. e.. t.. .pat.pa µa.te.a. t... .p.....t., ...a. d. d.a....a.a. ..p.....e... ..af.e...µe.a. ..... t... ...e.... ‚aus dem in den Kessel strömenden Blut weissagten sie [= die kimbrischen Priesterinnen] dann; anderen schnitten den Körper auf, beschauten die Eingeweide und verkündeten den Ihren dann mit lauter Simme den Sieg‘; hierauf scheint auch aisl. hlaut ‚Opferblut‘ zu weisen, das zu aisl. hlióta ‚losen‘ gehört. KAPITEL 11 1 De minoribus rebus – de maioribus] Nachdem von Zukunftsdeutungen die Rede war, wobei ein rex vel princeps anwesend war, also von Handlungen, die von Staatswegen erfolgten, geht Tacitus nun zu anderen Themen über, die den Staat betreffen. Der Übergang zwischen beiden Themenkreisen basiert auf römischen Gegebenheiten.1 1 Vgl. Wolff 1986: 281; Perl 1990: 163; Anderson 1997: 83. Kaum zutreffend ist es daher, mit Müllenhoff 1900: 233 (ebenso Much 1967: 201) einen germanischen Zusammenhang anzunehmen. 2 Aus diesem Grund lässt sich die Annahme, dass es sich bei den minores res etwa um ”gewisse formalien und executive massregeln. handelt (so Müllenhoff 1900: 234; ebenso Schweizer-Sidler 1923: 29), nicht weiter abstützen. 3 Vgl. Müllenhoff 1900: 234; Gudeman 1916: 97; Schweizer-Sidler 1923: 29; Reeb 1930: 1931; Much 1967: 206; Lund 1988: 142; Perl 1990: 91; Anderson 1997: 83. 4 Die Bedeutung ‚beschließen, entscheiden‘ ist im ThLL IV: 592,22-594,8 unter consultare nicht verbucht (vgl. auch Lund 1988: 142). 5 Das Wort ist u.a. bei Tertullian bezeugt (vgl. ThLL IV: 593,83-594,2). 6 So auch etwa Perret 1997: 77: ”ressortissent aux délibérations.; Rives 1999: 81: ”take counsel.. 7 Lund 1988: 142; so auch Perl 1990: 164 und Anderson 1997: 83. 8 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 97; Schweizer-Sidler 1923: 29; Reeb 1933: 31. Was genau unter den minores res und den maiores res zu verstehen ist, wird nicht näher erläutert.2 Es ist durchaus fraglich, ob sich der römische Leser darunter etwas Genaueres vorstellen konnte. Nach c. 22,2 fallen Entscheidungen über Krieg und Frieden, Aussöhnung von Feinden, Eheanbahnungen und Landverteilung unter die maiores res. Auch die Aufnahme in die waffenfähige Gesellschaft ist offenbar eine maior res, da sie auf dem concilium vollzogen wird (vgl. c. 13,1). principes] Zum Begriff princeps vgl. unter c. 5,3. consultant] Dem Verb consultare wird üblicherweise an dieser Stelle die Bedeutung ‚beschließen, entscheiden‘ zugesprochen.3 Begründet wird dies mit dem Gegensatz zum nachfolgenden quorum penes plebem arbitrium est. Für consultare ist eine solche Bedeutung aber nicht zu sichern,4 sondern sie liegt lediglich in der spät bezeugten Ableitung consultata vor.5 Somit ist die Bedeutung hier ‚gründlich beratschlagen‘.6 omnes] Nach Lund sind unter omnes ”alle freien Männer im Gegensatz zu den principes. zu verstehen.7 Diese Auffassung ist jedoch zu bezweifeln, da – wenn die principes schon über die kleineren Sachen beratschlagen – es kaum wahrscheinlich ist, dass sie mit den wichtigen Angelegenheiten nichts zu tun haben. Die omnes bestehen deshalb aus zwei Gruppen, die der plebs und die der principes.8 ea quoque, quorum penes plebem arbitrium est] Mit dem Pronomen ea werden die maiores res aufgenommen.9 Zum Begriff plebs vgl. c. 10,2. 9 Zum Pronomen is vgl. Kühner – Stegmann II,1: 617-618. 10 Vgl. Robinson 1991: 150; Perret 1997: 77. 11 Much 1967: 206. 12 Vgl. auch Anderson 1997: 83: ”Pertractentur … has much better MSS. authority.. 13 Vgl. Robinson 1991: 150: ”These examples show the possibility of an unintentional change of pertractentur to pre-. On the other hand an abbreviation such as ultã (ultra) … suggests the possibility of the opposite error, pretractentur > per-.. 14 Die Form pertractentur wurde früher häufiger bevorzugt, vgl. u.a. Passow 1817: 16; Günther 1826: 16; Grimm 1835: 6; Tross 1841: 10; Maßmann 1847: 64; Holtzmann – Holder 1873: 38; Baumstark 1875: 480; Müllenhoff 1900: 234; Schweizer-Sidler 1923: 29; Reeb 1933: 31; Perl 1990: 90; Perret 1997: 77 In den neueren Ausgaben findet sich zumeist praetractentur: Gudeman 1916: 97; Halm 1930: 228; Lenchantin de Gubernatis 1949: 10; Much 1967: 201; Koestermann 1970: 12; Önnerfors 1983: 9; Winterbottom – Ogilvie 1985: 43; Lund 1988: 78; Robinson 1991: 287; Städele 1991: 90; Anderson 1997; Benario 1999: 24. 15 Robinson 1991: 150 (ebenso S. 287: ”but it is clearly required by the context.); vgl. auch Much 1967: 206: ”[praetractentur] ist aber als das ungewöhnlichere Wort hier wohl das ursprüngliche.; Lund 1988: 143: ”pertractentur, eine Lesart, die kaum irgendeinen wird überzeugen können.. apud principes pertractentur] In den Hss. sind die Schreibungen praetractentur (in Wc.A, in br als pretactentur) und pertractentur (in mhpQtfbBETdvormonalezuRces) überliefert, während in C praetractentur aus pertractentur verbessert ist.10 Die Überlieferung zeigt deutlich, dass die Behauptung, ” … mit pertractentur die Waage., nicht zutreffend ist.11 pertractentur ist eindeutig das besser Überlieferte.12 Graphisch ist die ältere Lesart nicht zu ermitteln,13 obschon die Handschriftenverteilung auf pertractentur weist. Die Herausgeber sind sich dagegen uneins, welcher Form der Vorzug zu geben ist.14 praetractantur wird von Robinson folgendermaßen verteidigt: ”Praetractentur is unquestionable the better reading – one which an editor would be justified in adopting even if it had no manuscript authority..15 Zunächst ist danach zu fragen, was die genaue Bedeutung beider Wörter ist. Der Bedeutungsunterschied ist minimal: praetractare bedeutet ‚vorher in Bewegung ziehen, vorberaten‘, pertractare bedeutet erstens ‚überall betasten, befühlen‘, zweitens ‚geistig eingehend behandeln, sich geistig mit etwas beschäftigen, durchdenken, studieren, untersuchen‘. Die Beleglage im Lateinischen und auch bei Tacitus spricht für die Form pertractentur. Bei Tac. dial. 1,2 ist die Form pertractantes belegt, dagegen findet sich keine Form von praetractare.16 Auch bei anderen Autoren ist pertractare häufig belegt, etwa bei Cicero, Plinius und Silius, wogegen das Verbum praetractare erst bei Tertullian vorkommt.17 Schließlich scheint auch die Bedeutung von pertractare hier genau das Richtige zu treffen. Denn eine ‚Vorberatung‘ hat kaum einen Zweck, wenn der Entscheidungsträger (die plebs) dem bei der Vorberatung Erreichten nicht zustimmen wollen. Die Situation wird sich realistischer abgespielt haben. Die principes werden auf die Entscheidungsfindung bei den maiores res durch ihre Mitwirkung Einfluss genommen haben. In welchem genauen Verhältnis diese Beratungen zu denen in c. 22,2 (sed et de reconciliandis in vicem inimicis et iungendis affinitatibus et adsciscendis principibus, de pace denique ac bello plerumque in conviviis consultant ‚aber auch über die gegenseitige Versöhnung verfeindeter Personen und die Anknüpfung von Verwandtschaftsbeziehungen sowie die Wahl von Anführern, endlich auch über Krieg und Frieden beratschlagen sie meist bei Gastgelagen‘) stehen, bleibt unklar. Somit sprechen alle Argumente dafür, dass hier das Verbum pertractare einzusetzen ist. 16 Daher entfällt auch das Argument von Anderson 1997: 83: ”the verb [praetractare] occurs in Dial. c. 1 but not elsewhere in Tacitus., was wohl auf einem Missverständnis des Wortlauts bei Müllenhoff 1900: 234 beruht: ”pertractare wendet zwar Tacitus auch nur einmal noch im dial. c. 1 an.. 17 Vgl. hierzu Müllenhoff 1900: 234: ”praetractare kommt kaum noch vor außer bei Tertullian, dem verschrobensten lateinschreiber, der praetractatus = pp.ß...e.µa gebraucht. das richtige für pp.ß...e.e..a. äre ante tractare (Sueton. Aug. 35).. 18 Vgl. Lund 1988: 143 und die Bemerkungen in Hofmann – Szantyr 1972: 225: ”Bei künstlichen Stilisten erscheint penes statt oder im Wechsel mit apud. und 239: ”sie [= penes] tritt nicht nur … wie apud … ein.. 19 Vgl. Lund 1988: 143; Hofmann – Szantyr 1972: 225: ”dies [= apud für ab agentis] wäre dadurch begünstigt, daß apud aliquem schon bei Plt. und Tac. in Grenzfällen gleich ab sein konnte.. 20 Baumstark 1875: 480. 21 Baumstark 1875: 480; Müllenhoff 1900: 233-234; Reeb 1930: 31. 22 Vgl. ThLL II: 341,42-342,29. 23 Für diese Auffassung spricht, dass bei den im ThLL II: 341,42-342,29 aufgeführten Stellen viele vorkommen, die eine Folge apud + Amtsperson(en) zeigen. Neuerdings wird angenommen, dass die Präpositionen penes und apud lediglich der Variation halber wechseln;18 zusätzlich soll apud hier anstelle von a in Agens-Funktion stehen.19 Dagegen hatte man früher angenommen, dass apud ”etwas Bestimmteres als ein blosses ab. ausdrücke,20 und hat die Bedeutung als ‚im Rate/Kollegium der principes‘ bestimmt.21 Da nun nicht von einer Vorberatung der Anführer die Rede ist, diese vielmehr mit dabei sind, liegt die Interpretation von apud im Sinne von coram nahe.22 Es wäre hiermit etwa Tac. hist. 1,15,1 zu vergleichen: si te privatus lege curiata apud pontifices, ut moris est, adoptarem ‚wenn ich dich als Privatmann nach dem Kuriatsgesetz vor deb Pontifices, wie es Brauch ist, adoptierte‘.23 Es ist aus dem Wortlaut bei Tacitus nicht auf die Existenz eines Senats zu schließen. In Gegensatz dazu berichtet Caes. Gall. 4,11,3 über die Ubii, dass an deren Spitze principes und ein senatus standen: quorum si principes ac senatus sibi iureiurando fidem fecissent ‚wenn die führenden Männer und der Senat der Ubier ihnen gegenüber durch einen Eid zusicherten‘; in späterer Zeit auch Claud. get. 479-482 (s.o.) Sidon. carm. 7,452-453: veterum coetus de more Getarum / contrahitur ‚die Versammlung der Alten wird nach Brauch der Geten zusammengebracht‘; Cass. Dio 39,48,1: .a. a.t.. .. ppe.ß.tep.. .ata....te. ‚die Älteren unter ihnen [= Tenkterern und Usipetern] mißbilligten ein solches Vorgehen‘. Nach Tac. ann. 11,19,1 wird bei den Friesen ein Senat erst von den Römern eingeführt: idem senatum magistratus leges inposuit ‚er [= Corbulo] gab ihnen auch einen Ältestenrat, Behörden, Gesetze‘. coeunt – certis diebus] Man vergleiche zur Ausdrucksweise c. 39,1: stato tempore … coeunt ‚zu einem festen Zeitpunkt versammeln sich‘. Diese Versammlungen wurden somit nicht eigens einberufen. Ob dies hier die prägnantere Bedeutung ‚Termin, Frist‘ hat, muss offen bleiben. Die Begründung, dass sich die Bedeutung ‚Tag‘ nicht mit dem Folgenden (nämlich et alter et tertius – absumitur) vertrüge, wird von Baumstark jedenfalls nicht an dies, sondern an certus geknüpft.24 24 Baumstark 1875: 482 (das Argument dann auch etwa von Müllenhoff 1900: 234 [nicht begründet dagegen etwa von Gudeman 1916: 97; Reeb 1933: 31] übernommen) übersetzt certus nämlich unterschiedlich: ”zu bestimmten Fristen. und ”an ganz bestimmten Tagen. (Unterstreichung von mir). Lässt man die Zufügung ‚ganz‘ weg, läuft beides auf dasselbe hinaus (vgl. Benario 1999: 77: ”on specified days.). Ebenfalls nicht stichhaltig ist das Argument von Gudeman 1916: 97: ”Man beachte, daß T. nicht sagt ‚cum nova est luna aut plena‘., da die Zeitdauer des Neu- bzw. Vollmondes mit dem bloßen Auge betrachtet ebenfalls nicht nur ein Tag ist. 25 Dagegen ist die Etymologie eines weiteren Wortes für das Ding, urgerm. *maþla-, unsicher; vgl. c. 12,1. Zur Verknüpfung von festgesetzten Tagen und der Volksversammlung ist ebenfalls mindestens eines der germ. Wörter für die Versammlung zu vergleichen (s. auch c. 12,1):25 Urgerm. *þenga- ‚Versammlung‘ > ahd. ding ‚Gericht(stag), Gerichtsort, Rechtssache; (Volks-)Versammlung, Beratung; Ding, Geschehnis‘, as. afries. thing, ae. ðing, aisl. þing ‚Gericht, Versammlung, Sache‘ < urgerm. *þenga- ‚(festgesetzte) Zeit; Versammlung‘; dazu gehört urgerm. *þen.sa- > got. þeihs ‚Zeitpunkt‘. Dass beide Wörter zusammengehören zeigen einzelsprachliche Belege von urgerm. *þenga-, welche die alte Bedeutung noch aufweisen (ae. þinggemearc ‚berechnete Zeit‘, ahd. thiu thinku untaz ‚tenus usque, bis an‘, thiu thinku unzi nu ‚hactenus usque nunc, bis dahin‘. Nicht ganz geklärt ist, wie das Götterepitheton germ-lat. Thincsus26 und lgb. (-)thinx ‚die im Thing abgemachte, rechtsgültige Handlung; Vermachung, Zuwendung, Erbeinsetzung, Freilassung‘ genau dazupassen.27 Die Gruppe um urgerm. *þenga- ist mit der Verbalwurzel *ten(H)- ‚dehnen, spannen, ziehen‘ (> ai. tanóti; vgl. air. tan ‚Zeit‘) zu verbinden, die hier eine Erweiterung mit *-k- oder *-gh- erfahren hat.28 26 Belegt in einer Inschrift auf einem Votivaltar bei Housesteads am Hadrianswall (nach 150 n.Chr. von Tuihanten, die bei den römischen Grenztruppen dienten, gestiftet): Deo Marti Thincso et duabus Alaesiagis Bede et Fimmilene ciues Tuihanti. Vielleicht liegt ein zweiter Beleg des Götterepithetons in einer Inschrift auf einem Votivaltar bei Brougham Castle vor: Tincso. 27 Zu einer Besprechung älterer Vorschläge und einer neuen Interpretation vgl. Schaffner 2001: 599-606. Abweichend davon sieht Molinari im Auslaut eine Angleichung an lat. Wörter wie sphinx (vgl. die Angabe bei Francovich Onesti 2000: 124). 28 Vgl. EWA II: 651; Schaffner 2001: 606. Eine Erweiterung mit *-p- liegt vor in lat. tempus ‚Zeitspanne‘. Wegen der abweichenden Ablautsstufe ist hiermit wohl nicht salfränk. thunginus ‚Thingvorsitzender, Gaurichter‘ (vgl. ahd. ON Tuncinasheim) zu verbinden, vgl. EWA I: 651 (anders, wenig überzeugend Schaffner 2001: 602). 29 Vgl. RGA 19: 289-299. 30 Vgl. Bach 1953: 406-407. Dagegen scheint der afränk. ON Harimalla keine Dingstätte anzuzeigen, sondern den Ort, wo sich das Heer versammelt (obwohl nach Rives 1999: 170: ”there is no reason to think that the assemblies he describes did not consist largely of warriors.), wie auch der GN Harimella ‚die zur Sammelstelle des Heeres Gehörige (Göttin)‘ bezeichnet (vgl. Wagner 2002: 96). 31 Vgl. etwa Annibaldi 1910: 52; Lenchantin de Gubernatis 1949: 10. Die Angabe fehlt bei Robinson 1991: 207. 32 Zu den Drucken vgl. Maßmann 1847: 64; Hirstein 1995: 293, 297, 302, 310. 33 Ausnahmen finden sich lediglich im 19. Jh. (so etwa Passow 1817: 16; Günther 1826: 16). Die Form accidit bei Baumstark 1875: 482 beruht wohl auf einem Versehen. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass solche Versammlungen außer an festen Tagen auch an festgesetzten Örtlichkeiten stattfanden, wie es durch ON nahe gelegt wird, die wahrscheinlich eine solche Örtlichkeit bezeichnen (Tacitus nennt anderswo heilige Heine als Versammlungsorte, vgl. ann. 2,12,1: convenisse et alias nationes in silvam Herculi sacram ‚es seien auch andere Stämme hatten im heiligen Hain des Donar eingetroffen‘ [wohl nicht als Volksversammlung ist dagegen die Angabe in hist. 4,14,2 zu deuten: Civilis primores gentis et promptissimos vulgi specie epularum sacrum in nemus vocatos ‚Civilis berief die Häupter des Stammes und die entschlossensten Männer aus dem Volk unter dem Vorwand eines Festmahls in einen heiligen Hain‘]; damit zu vergleichen ist die Angabe, dass das sächsische Ding in Markloh ‚Grenzhain‘ oder ‚lichter Wald‘ stattfand29), vgl. Theotmalli (8. Jh.) und Ofdemodinge (963).30 nisi quid fortuitum et subitum inciderit] In den meisten Hss. ist die Lesart incidit bezeugt, lediglich die Hs. E (und davon abhängiges T) lesen inciderit,31 das zusätzlich in den alten Drucken kJUO bezeugt ist.32 incidit hat denn auch in nahezu allen neueren Ausgaben Eingang gefunden.33 Die Form inciderit ist jedoch sicherlich als lectio difficilior zu beurteilen. Es ist dabei von einer Abkürzung der Silbe -er- mit ~ als Vorlage, somit von der Schreibung -it auszugehen. Der Ausfall dieser Kürzung ist einfacher zu erklären als eine sekundäre Hinzufügung. Durch den Konjunktiv wird die Bedingung als eine unentschiedene Möglichkeit hingestellt.34 34 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 389, 393. 35 Zum ausschließenden oder einschränkenden nisi vgl. Kühner – Stegmann II,2: 414-415. 36 Vgl. ThLL VII,1: 967,76-77. nisi steht im einschränkenden Sinn.35 Die Adjektiva fortuitus und subitus finden sich öfter miteinander verbunden; vgl. Tac. dial. 10,6: fortuitae et subitae dictionis impetu ‚den Schwung einer zufällig eigegebenen und übereilten Rede‘; ds. ann. 15,58,3: fortuitus sermo et subiti occursus ‚ein zufälliges Gespräch und eine unvermutete Begegnung‘; Cic. orat. 1,150: nam si subitam et fortuitam orationem commentatio et cogitatio facile vincit ‚denn wenn das Werk reiflicher Überlegung und Besinnung mit Leichtigkeit die Stegreif- und die Zufallsrede übertrifft‘. Bei diesen nicht festgelegten Versammlungen handelt es sich um das gebotene Ding; vgl. Caes. Gall. 4,19,2: Suebos posteaquam per exploratores pontem fieri comperissent, more suo concilio habito ‚nachdem die Sueben durch Späher vom Bau der Brücke erfahren hatten, beriefen sie, ihren Bräuchen folgend, einen Landtag ein‘, wonach sie dann Beschlüsse fassen. cum aut inchoatur luna aut impletur] Zur Stellung des Substantivs zwischen den beiden Verben vgl. Tac. dial. 37,8: plures et intulerit ictus et exceperit ‚je mehr Hiebe sie ausgeteilt und empfangen hat‘. Tacitus verwendet hier die ungewöhnlicheren, dichterischen Verben inchoare (eine genaue Entsprechung scheint jedoch zu fehlen36) und implere (vgl. zur Verwendung Ov. met. 2,344: luna quater iunctis inplerat cornibus orbem ‚viermal hatte der Mond sich, die Hörner schließend, gerundet‘; Curt. 8,9,36: lunae cursu notant tempora, non, ut plerique, cum orbem sidus implevit, sed cum se curvare coepit in cornua ‚nach dem Mondlauf bestimmen sie die Zeitabschnitte, doch nicht wie sonst, wenn das Gestirn seine Bahn erfüllt hat, sondern wenn es sich zum Horn zu krümmen beginnt‘; Man. 1,469: praecipue, medio cum luna implebitur orbe ‚vornehmlich, wenn sich der Mond inmitten der Umlaufbahn rundet‘) anstelle der gebräuchlicheren crescere und decrescere/minui. Dass der Mond gewählt wurde, um Termine (hier zur Volksversammlung) zu vereinbaren (vgl. auch Tac. ann. 1,50,3-4, wo an eine Nacht mit Neumond zu denken ist [für Vollmond tritt Much 1967: 207 ein]: etenim attulerant exploratores festam eam Germanis noctem ac sollemnibus epulis ludicram … iuvit nox sideribus inlustris ‚denn Kundschafter hatten berichtet, daß diese Nacht bei den Germanen gefeiert werde und zu heiterem Festmahl bestimmt sei … zustatten kam die sternhelle Nacht‘; Sidon. carm. 7,452-453: luce nova veterum coetus ex more Getarum / contrahitur ‚bei Neumond wird die Versammlung der Alten nach Brauch der Geten zusammengebracht‘), kann nicht weiter verwundern, da die Germanen weder einen Kalender noch eine sonstige feste Zeitrechung kannten. Über die Häufigkeit dieses festgelegten Zusammentreffens, wobei es sich um das so genannte ungebotene Ding (zum gebotenen Ding s.u.) handelt, ist dabei nichts ausgesagt. Wohl zu Recht wird von den Kommentatoren einhellig ein vierzehntägiges Treffen abgelehnt. Jedoch berichtet Cass. Dio 72,2,4 von einer Versammlungsbeschränkung im Jahre 180 n.Chr. auf einmal im Monat bei den Markomannen: pp..ep.ta.e µ..t.. .f.... ..a µ.te p....... µ.te p...a... t.. ..pa. ..p.....ta., ...’ .pa. .. ....t. µ... .a. .. t.p.. ..a ..at..t.p... t.... ..µa... pap..t.. ‚er [= Commodus] untersagte ihnen [= den Markomannen] hingegen, sich beliebig of und überall im Lande zu versammeln; vielmehr durften sie nur einmal im Monat zusammentreten, und zwar an einem bestimmten Ort in Gegenwart eines römischen Zenurios‘ (AG 2, 320-321); hieraus kann auf eine dichtere Frequenz bei ihnen (vielleicht zweimal im Monat bei jedem Voll- und Neumond) geschlossen werden.37 37 Dagegen findet das ungebotene Ding unter Karl dem Großen nur noch dreimal im Jahr statt. 38 Zu weiteren außergerm. Verwandten (wie lat. mensis ‚Monat‘) vgl. Lühr 2000: 193-194; vgl. auch Schaffner 2001: 531-532, Fn. 66. 39 Dazu mit einem anderen Suffix got. mel ‚Zeit, Stunde‘, ahd. mal, ae. mæl, aisl. mál ‚Zeitpunkt, Mahlzeit‘ < vorurgerm. *meh1-lo-. 40 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 749. Dass der Mond als Zeitmesser fungierte, zeigt auch seine Etymologie: got. mena, ahd. as. mano, ae. afr. mona, aisl. máni < urgerm. *menan- ‚Mond‘ gehört als Umbildung zu einem n-St. aus einem alten t-St. (vgl. die Weiterbildung urgerm. *menoþa- ‚Monat‘ [> got. menoþs, ahd. manod, as. manuth, ae. mon[a]þ, afries. monath, aisl. mánaðr]),38 der an die Verbalwurzel uridg. *meh1- ‚messen‘ anzuschließen ist.39 nam agendis rebus hoc auspicatissimum initium credunt] Zum Ausdruck vgl. Quint. inst. 10,1,85: auspicatissimum … exordium ‚den glückverheißenden Anfang‘. Der Dat. des Gerundivums im Sinne eines Finalsatzes nach einem Adj. der bei Tac. sonst häufig vorkommt,40 findet sich in seinen kleineren Werken nur hier. Unter den res sind alle möglichen Unternehmungen zu verstehen (vgl. auch die Auflistung bei Plin. nat. 18,322: omnia quae caeduntur, carpuntur, tondentur, innocentius decrescente luna quam crescente fiunt. stercus nisi decrescente luna ne tangito, maxime autem intermestrua dimidiaque stercorato, verres, iuvencos, arietes, haedos decrescente luna plena noctu facito. arborum radices luna plena operito. umidis locis interlunio serito et circa interlunium quadriduo. ventilare quoque frumenta ac legumina et condi circa extremam lunam iubent, seminaria cum lunam supra terra sit, fieri, calcari musta, cum luna sub terra, item materias caedi ‚alles, was gefällt wird, gepflückt und abgeschnitten wird, geschieht sicherer bei abnehmendem als bei zunehmendem Mond. Den Mist rühre nur bei abnehmendem Mond an, am besten dünge aber bei Neu- oder Halbmond. Eber, junge Stiere, Widder und Böcke kastriere bei abnehmendem Mond. Eier lege nur bei Neumond unter. Gruben lege in einer Vollmondnacht an. Baumwurzeln häufle bei Vollmond an. An feuchten Stellen säe bei Neumond und in den vier Tagen um Neumond. Man empfiehlt auch, Getreide und Hülsenfrüchte gegen Ende des letzten Mondviertels zu schwingen und einzulagern, Pflanzschulen anzulegen, wenn der Mond oberhalb der Erde steht, Most zu treten, wenn der Mond unter ihr steht, auch Holz zu fällen und sonstige Arbeiten ‘), nicht nur die Volksversammlung.41 41 So auch Müllenhoff 1900: 235; Gudeman 1916: 97-98; Anderson 1997: 84. Vollmond und Neumond gelten nicht nur bei den Germanen als günstiges oder ungünstiges Vorzeichen (vgl. Caes. Gall. 1,50,5: eas ita dicere: non esse fas Germanos superare, si ante novam lunam proelio contendissent ‚sie [= die Familienmütter] hätten erklärt, die Götter seien gegen einen Sieg der Germanen, wenn sie vor dem folgenden Neumond eine Schlacht lieferten‘; Plut. caes. 19,4: .t. d. µ..... a.t... .µß...e t. µa.te.µata t.. .ep.. ...a.... … ... ...a. µ.... t..e..a. pp.. .p...µ.a. ..a. .e..... ‚noch mehr entsank ihnen der Mut, als die heiligen Frauen, … eine Schlacht vor dem Anfang des Neumondes nicht zulassen wollten‘; Frontin. strat. 2,1,16: C. Caesar in Gallia, quia compererat Ariovisto Germanorum regi institutum et quasi legem esse non pugnandi decrescente luna, tum potissimum acie commissa impeditos religione hostes vicit ‚da Gaius Caesar im Gallischen Krieg erfahren hatte, daß es für Ariovistus, den König der Germanen, Sitte und beinahe Gesetz war, bei abnehmendem Mond nicht zu kämpfen, lieferte er vorzugsweise gerade dann eine Schlacht und konnte so die von ihrem Aberglauben gehemmten Feinde besiegen‘; Cass. Dio 38,48,1: ..t..a..µ.... d. a.t.. ........, a. ...a..e. a. t.. ßapß.p.. .p...pe.... .f... .e...a.a. µ.deµ.a. pp. t.. ..a. .e..... µ.... .....a. ‚während beide Heere einander gegenüber lagen, verboten auf Grund von Prophezeiungen die Frauen der Barbaren ihren Männern, vor dem Neumond sich in eine Schlacht einzulassen‘; Amm. 14,10,9: at barbari suscepto pro instantium rerum ratione consilio, dirimentibus forte auspicibus vel congredi prohibente auctoritate sacrorum, mollito rigore, quo fidentius resistebant, optimates misere delictorum veniam petituros et pacem ‚die Barbaren hingegen faßten entsprechend der Lage der Dinge ihren Entschluß. Vielleicht weil die Vorzeichen ihnen ungünstig waren oder ihre Priester vor einer Schlacht warnten, dämpften sie ihren Mut, mit dem sie so zuversichtlich Widerstand zu leisten suchten, und schickten einige Fürsten, um Verzeihung für ihre Vergehen und Frieden zu erbitten‘; Iord. Get. 11: istum lunae commoda incommodaque ‚dieser das Ab- und Zunehmen des Mondes‘; Agath. 2,6,7: ...’ a...µep.. papat.tte..a., .a. ta.ta pp.e.p.µ.... a.t... .p. t.. ..aµa..... µ..te.. µ. de.. ..e.... t.. .µ.pa. d.aµ..e..a. . .......e.. .. .pd.. .pa.te. .p.....ta. ‚sondern auf der Stelle in den Kampf ziehen, und dabei hatten ihnen doch alamannische Seher vorausgesagt, sie dürften sich an jenem Tage nicht schlagen oder müßten mit ihrem völligen Untergang rechnen‘; vgl. sogar noch aus viel späterer Zeit bei Hans Rudolf Manuel: leg nun ein rüstig panzer an, bschow weder nüw noch wädel, sonder bitt den Gott umb bistand, den schwyzerdegen nim in d’hand und triff sie uf den schädel ‚lege nun einen rüstigen Panzer an, schaue weder auf Neu- oder Vollmond, sondern bitte Gott um Beistand, nimm den Schweizerdegen in die Hand und triff sie auf den Schädel‘), sondern auch etwa bei den Spartanern (vgl. Hdt. 6,106,3: e...t. d. ... ..e.e..e..a. .fa.a. µ. .. p..pe.. ...t.. t.. ...... ‚und sie erklärten, sie dürften am Neunten nicht ins Feld rücken, sondern erst, wenn die Mondscheibe voll sei‘). nec dierum numerum ut nos, sed noctium computant] In einer Art Exkurs wird noch eine weitere, von den Römern abweichende Zeitberechnungsart erwähnt, nämlich die Zählung nach Nächten42 (die natürlich mit der Mondrechnung eng verknüpft ist), wogegen die Römer43 nach Tagen zählten. In späterer Zeit finden sich ebenfalls noch Spuren dieser Nachtrechnung, vgl. etwa: 42 Warum diese Zählung nach Lund 1988: 143 nur ”für die vergangene Zeit. und nicht auch für zukünftige Zeitzählung gelten soll, bleibt unklar. 43 Zur Wichtigkeit des Mondes auch bei den Römern vgl. allgemein Plin. nat. 18,321-325. a. L. S. 58: et super XL noctis opera trigaverit ‚und ihn über 40 Nächte von der Arbeit zurückhält‘; ebd. 62,1: usque ad tres noctes ‚binnen drei Nächte‘; ebd. 80,2: ut iterum in decem noctis exinde exiat ‚daß er binnen zehn Nächten von dort wiederum hinausgehe‘; ebd. 82,1: in noctes XL placitum faciant ‚sollen einen Termin in 40 Nächten bestimmen‘; ebd. 91,1: hoc est de illa die in XL noctes in mallobergo iterum ei solem culcaverit … hoc est in noctis XIV ‚d.h. daß man ihm nach 40 Nächten von jenem Tage gerichtlich wiederum Sonnenfrist setzt … d.h. in 14 Nächten‘; b. Volospá 6 wird gesagt, dass die Götter u.a. die Nacht zur Zeitrechnung bestimmt hatten: nótt ok niðiom nofn um gáfo, / morgin héto ok miðian dag, / undorn ok aptan, árom at telia ‚der Nacht und dem Neumond gaben sie Namen, den Morgen benannten sie und den Mittag, den Vormittag und den Abend, um das Jahr zu bemessen‘; c. Nibelungenlied 1450,1: über dise siben naht ‚in einer Woche‘; d. Sachsenspiegel I, 67: wen man abir beklait umme ungerichte, deme sal man teidingen dries, immer ubir vierzchenacht ‚wen man aber wegen eines Verbrechens verklagt, dem soll man dreimal eine Frist setzen, immer über vierzehn Nächte‘; Ebenfalls sind folgende Temporalausdrücke zu vergleichen: a. ahd. hinaht ‚diese Nacht‘ > mhd. hinaht > nhd. arch. adv. heint ‚letzte Nacht‘; b. nhd. Zwölfnächte, Weihnachten; c. ae. seofon nihte ‚Woche‘ > me. soueniht(e) > spätme. sennyt > ne. sennight, ae. feowertyne niht ‚vierzehn Nächte‘ > me. fourten(n)iht > ne. fortnight; d. ne. Hallowe’en. Diese Zählweise beschränkt sich natürlich nicht auf die Germanen, sondern findet sich bei vielen anderen Völkern, etwa den Galliern (vgl. Caes. Gall. 6,18,2: ob eam causam spatia omnis temporis non numero dierum, sed noctium finiunt ‚daher begrenzen sie die Zeitabschnitte nicht nach der Zahl der Tage, sondern der Nächte‘; kymr. wythnos ‚Woche‘ < *‚acht Nächte‘, eine Zusammenrückung aus kymr. wyth ‚acht‘ [< urkelt. *o.to-] und kymr. nos ‚Nacht‘ [< urkelt. *nokt-stu-];44 der gall. Kalender von Coligny aus dem 2. Jh. n.Chr. zeigt ebenfalls die Zählung nach Nächten45), Indern (vgl. den Ausdruck ai. nisam ‚Nacht für Nacht‘), Spartanern (vgl. Hdt. 6,106,3 [s.o.]) und Athenern (vgl. Macr. sat. 1,3,4: eosque a solis occasu ad solem iterum occidentem … unum diem esse dicere ‚dass sie sagten, dass vom Sonnenuntergang bis zum erneuten Sonnenaufgang ein Tag ist‘). 44 Nicht zu überzeugen vermag der Vorschlag von Birkhan 1997: 785-786, dass Bildungen wie engl. fortnight auf kymr. Substrateinfluss zurückgehen. 45 Vgl. Birkhan 1997: 786-790 mit der dort aufgeführten Literatur. 46 Lund 1988: 143; ebenso Benario 1999: 79: ”The verb computant indicates that they counted on their fingers.. Das Verbum computare erinnert wohl nicht daran, ”daß die Menschen der Antike … mit den Fingern zählten..46 Die im ThLL III: 2177,39-2180,34 aufgelisteten Beispiele bieten für diese Annahme keinen Hinweis. 47 So auch Müllenhoff 1900: 236; Anderson 1997: 84. 48 So auch Lund 1988: 143; Rives 1999: 81: ”make their appointments … set their dates.; Benario 1999: 25: ”fix and settle.; ähnlich bereits Reeb 1933: 31: ”constituunt ‚treffen eine Verabredung‘ … condicunt ‚etwas ankündigen‘.. 49 Zu dieser selteneren Bedeutung vgl. ThLL IV:139,35-42. 50 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 236; Gudeman 1916: 98; Schweizer-Sidler 1923: 30; Much 1967: 208; Perl 1990: 91; offen gelassen bei Anderson 1997: 84-85. 51 Vgl. zur Interpretation Lorenz 1984: 182-185. sic constituunt, sic condicunt] Zur Verbindung beider Verben vgl. Plaut. Curc. 5: si status condictus cum hoste intercedit dies ‚sei ein Termin mit einem Fremden auch schon festgesetzt‘; Gell. 16,4,4: status condictusve dies ‚ein festgesetzter oder bestimmter Tag‘. Zu beiden Satzgliedern ist diem o.ä. zu ergänzen. Auch dies bezieht sich – zumal der Satz im Exkurs über die Zeitzählung steht – nicht ausschließlich auf die Versammlungen.47 Das zweimalige sic bezieht sich auf das vorher Gesagte. Die Verben constituere und condicere sind hier Synonyme,48 bedeuten somit ‚anberaumen‘ (vgl. Sall. Iug. 66,2: in diem tertium constituunt ‚entscheiden sie sich für den übernächsten Tag‘) und ‚festsetzen, beschließen‘ (vgl. Sen. dial. 10,16,3: dum ueniat condictum tempus cenae ‚bis kommt die festgesetzte Zeit des Mahles‘; Gell. 10,24,9: sacerdotes quoque populi Romani, cum condicunt in diem tertium, ‚die perendini‘ dicunt ‚ebenso wenn Priester eine Ankündigung auf den dritten Tag ergehen lassen, bezeichnen sie diesen Tag mit dem Ausruck: perendini [übermorgen]‘49). Die Verben haben also nicht, wie allgemein angenommen wird,50 die juristische Bedeutung ‚Termine bestimmen, verabreden‘ und ‚Termine annehmen (von der Gegenpartei)‘. nox ducere diem videtur] Die Vorstellung, dass die Nacht dem Tag vorangeht, ist natürlich unmittelbar mit der Zeitrechnung nach Nächten verbunden. Auch von dieser Vorstellung sind in den literarischen und sprachlichen Quellen noch Reste vorhanden: a. Snorri Sturluson, Gylfaginning 10: Norfi eða Narfi … átti dóttur er Nótt hét … var … sonr Dagr … Þa tók Allfoðr Nótt ok Dag … ok gaf þeim .ii. hesta ok .ii. kerrur ok setti þau upp á himin, at þau skulo ríða á hverium .ii. doegrum umhverfis iorðina. Ríðr Nótt fyrri … ‚Norfi oder Narfi … hatte eine Tochter, die Nótt [= Nacht] hieß … ihr Sohn war Dagr [= Tag] … Da nahm Allfoðr Nótt und Dagr … und gab ihnen zwei Pferde und zwei Wagen und versetzte sie an den Himmel, damit sie jeden Tag um die Erde reiten sollten. Nótt reitet voran …‘;51 b. ahd. sunnunaband, ae. sunnanæfen ‚Sonnabend‘, eigtl. ‚Vorabend des Sonntags‘; c. ae. Frige æfen ‚Donnerstagabend‘, eigtl. ‚Vorabend des Freitags‘; d. mhd. vastnaht, nhd. Fastnacht, mnddt. vastnacht ‚Tag vor Aschermittwoch‘. Auch diese Vorstellung ist weiter verbreitet; sie findet sich etwa bei den Galliern (vgl. Caesar, Gall. 6,18,2: mensum et annorum initia sic observant, ut noctem dies subsequatur ‚bei der Berechnung von … Jahres und Monatsanfängen gehen sie so vor, daß der Tag der Nacht folgt‘) und den Griechen (vgl. Hes. theog. 124: ...t.. d’ a.t’ ....p te .a. .µ.p. ......t.. ‚und diese [= die Nacht] das Himmelsblau und den hellen Tag‘; Soph. Trach. 94-96: .. a...a ... ..ap...µ..a / t..te. .ate....e. te f.......µe... / ..... ‚den Sternennacht, wenn ihr Gefunkel erstirbt, gebiert und wiegt in Schlaf, wenn sein Leuchten verglüht, Helios‘). Zu vergleichen sind ebenso sprachliche Ausdrücke aus verschiedenen idg. Sprachen, wie ai. naktamdinam ‚bei Nacht und Tag‘, gr. .....µep.. ‚Tag von 24 Stunden‘, aksl. nošted.nije ‚Nacht und Tag‘. Parallel hierzu findet sich im Germanischen der Jahresanfang mit dem Winter, der in dem aisl. Ausdruck vetranættr ‚Winteranfang (= 14. Oktober)‘ selbst auch mit einer Nacht anfängt. Der Winter als Anfang des Jahres ist ebenfalls auf dem gallischen Kalender von Coligny bezeugt. illud ex libertate vitium, quod non simul nec iniussi conveniunt] In allen neueren Ausgaben erscheint der Text als: illud ex libertate vitium, quod non simul nec ut iussi conveniunt ‚Folge ihrer Freiheit ist dieser Fehler, daß sie nicht gleichzeitig und weisungsgemäß zur Versammlung kommen‘.52 Hierbei wird der Begriff libertas teils als ‚Mangel einer straffen Ordnung und Führung‘,53 teils dagegen als ‚Freiheitssinn‘54 verstanden. Problematisch bleibt ebenfalls das Nebeneinander der Wörter vitium und libertas.55 52 Perl 1990: 91. 53 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 237; Gudeman 1916: 98; Schweizer-Sidler 1923: 30; Much 1967: 208. 54 So etwa Reeb 1930: 31; Perl 1990: 164; Anderson 1997: 83. 55 Vgl. Lund 1988: 143: ”trotz dem tadelnden Wort vitium schreibt Tacitus libertate, nicht licentia, wie man hätte erwarten können.. 56 So etwa Gudeman 1916: 98; Much 1967: 208; Anderson 1997: 85. Auch die Fügung nec ut iussi wird unterschiedlich gedeutet. Manche gehen davon aus, dass die Versammlungen, die an den certi dies stattfanden, keinen besonderen Befehl erforderten,56 andere dagegen unterstreichen das Wort libertas, wobei auf Tac. hist. 4,76,2 verwiesen wird: nam Germanos … non iuberi, non regi, sed cuncta ex libidine agere ‚die Germanen aber … ließen sich nicht befehlen, nicht lenken, sondern würden in allem nach eigener Willkür handeln‘ (diese Interpretation würde bedeuten, dass das Zuspätkommen aus dem Sich-nichts-befehlen-Lassen herrührt; verwiesen wird ebenfalls auf Caesar, Gall. 4,1,9 [über die Disziplinlosigkeit der Sueben]: quod a pueris nullo officio aut disciplina adsuefacti nihil omnino contra voluntatem faciunt ‚daß sie von Kind an nicht zu irgendwelchen Verpflichtungen oder zu Disziplin erzogen werden und nichts gegen ihren eigenen Willen tun‘57). Allerdings ist diese Stelle nicht damit zu vergleichen, da es sich hier um eine allgemeine Aussage über das Verhalten der Germanen bei der Volksversammlung handeln würde, dort um das Benehmen rechtsrheinischer Verstärkungstruppen.58 Jedoch wäre nec ut iussi in beiden Fällen überflüssig.59 Im ersten Fall würde es nämlich lediglich die Angabe coeunt … certis diebus wiederholen, im zweiten Fall die libertas der Germanen. 57 So Much 1967: 209. 58 So etwa Reeb 1930: 31 (unverständlich ist seine Bemerkung: ”denn es bestand keine Verpflichtung zur Teilnahme.; Much 1967: 208-209; Lund 1988: 143. 59 Vgl. allgemein Müllenhoff 1900: 237: ”diese bemerkung ist etwas auffallend.. 60 So Gudeman 1916: 98; Much 1967: 209; Perl 1990: 164-165; Städele 1991: 333; Rives 1999: 171. 61 Schweizer-Sidler 1923: 30. 62 Von Sörbom 1935: 37 wird coeunt und conveniunt als Variation gewertet. 63 Vgl. Perret 1950: 54; Robinson 1991: 106; Perret 1997: 77. Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag die Annahme, dass für die Verzögerung praktische Gründe eine Rolle spielten, wie etwa die teilweise lange und beschwerliche Anreise, das Nicht-genau-Wissen, wann Neumond bzw. Vollmond ist, etc.60 da die Dauer der Anreisezeit bei den Teilnehmern bekannt gewesen sein wird. Auch an ein ”Mißverständnis des Beobachters.,61 weil einige Teilnehmer vor dem Beginn der Versammlung eintrafen (mit Hinweis auf aisl. Verhältnisse), ist wohl nicht zu denken. Wohl nicht als wirksames Mittel gegen den Zeitverlust ist die Angabe bei Caes. Gall. 5,56,2 (über eine Sitte bei den Treverer) zu verstehen: qui ex iis novissimus convenit, in conspectu multitudinis omnibus cruciatibus adfectus necatur ‚wer von ihnen als letzter eintrifft, wird vor den Augen der Menge auf jede mögliche Art gefoltert und anschließend getötet‘. Ebenfalls ist es schwierig, das Verbum convenire auf das sich Einfinden der sich Versammelnden zu beziehen (zumal dies oben schon mit dem Verb coire zum Ausdruck gebracht wurde62), da im Nachsatz von einer Dauer von zwei oder drei Tagen die Rede ist, was in Widerspruch zu coeunt … certis diebus stehen würde. Das Verb convenire muss sich an dieser Stelle vielmehr auf die Versammlung selbst beziehen. Der Aufbau der Versammlungsbeschreibung hat sich also jetzt von dem Eintreffen der Teilnehmer zur Versammlung selbst hinbewegt. Nun ist in den Hss. neben nec ut iussi in WmhCcBbrls auch noch nec ut iussu in a, nec iussi in .tfbrezuRAce, nec in iussu in Q und nec iniussi in pEdvo überliefert (die Hs. t bietet dagegen eine lacuna).63 Die frühen Drucke bieten folgendes Bild: nec ut iussu JdS, nec iniussu kg, nec iussi ZwATPnVLehrMF.64 Von diesen Varianten haben nec ut iussu und nec iussi dasselbe inhaltliche Problem wie nec ut iussi, da auch sie lediglich entweder certis diebus oder libertas variieren würden. Somit bleibt die Variante iniussi übrig, die inhaltlich keine Schwierigkeiten macht.65 Zum Ausdruck ist Liv. 3,20,3 zu vergleichen: cum … omnes in verba iuraverint, conventuros se iussu consulis nec iniussu abituros ‚denn alle haben geschworen, sie würden auf Geheiß des Konsuls kommen und nicht ohne seinen Befehl weggehen‘. 64 Vgl. Hirstein 1995: 286. 65 Zu iniussus vgl. ThLL VII,1: 1686,1-35; vgl. Heges. 5,38,2: iniussi ascenderant milites ‚die nicht befohlenen Soldaten erstürmten‘. 66 Eine solche technische Bedeutung passt in diesem Kontext, da auch weiterhin termini technici der römischen Amtssprache verwendet werden. 67 Zur Schreibung -e- für -oe- in der Hs. E vgl. c. 12,2 penarum für poenarum. 68 Vgl. Robinson 1991: 203. 69 Vgl. Maßmann 1847: 65; Hirstein 1995: 297. 70 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 86-87. Da sich das Wort libertas kaum auf die ‚Freiheit‘ an sich beziehen kann, Tacitus bei seiner Beschreibung aber bereits bei der Versammlung selbst angekommen ist, liegt es nahe, libertas in diesem Kontext zu verstehen. In einer Versammlung, wo die Germanen – wie aus dem Nachfolgenden hervorgeht – eine Freiheit in der Abstimmung haben, kann libertas eben in diesem Sinne, nämlich als die ‚bürgerliche Freiheit als Inbegriff der Rechte und Vorteile als Bürger, insbes. des Stimmrechts in den Komitien‘ aufgefasst werden.66 Diese übertriebene Mitsprachefreiheit bei Entscheidungen kann nun auch sehr wohl mit dem Wort vitium verknüpft werden. sed et alter et tertius dies cunctatione coetuum absumitur] Alle neuren Textausgaben nehmen das Wort coeuntium, das auch die Mehrheit der Hss. bieten, in den Text auf. Das Wort würde sich auf das Eintreffen der Teilnehmer beziehen, da es sich auf coeunt zurückbezieht. Jedoch ist Tacitus bereits zur Versammlung selbst fortgeschritten. Nun ist in den Hss. ETo die Lesart cetuum,67 in dvr coetium belegt,68 die auch in dem frühen Druck k erscheint.69 Dieses Wort scheint genau den hier erforderlichen Sinn zu treffen. Die in der Mehrheit der Hss. vorliegende Form coeuntium kann dabei als unter dem Einfluss des vorhergehenden coeunt erklärt werden. Der Plural coetuum ist dabei wohl als genereller Plural zu verstehen, welche ”die Gattung. betont.70 Es handelt sich somit um einen Vorgang, wie er bei jeder Versammlung abläuft. In den Hss. ist neben der Lesart absumitur in hc.CpQtfbBEdvormonabrs auch adsumitur in Rs2 bzw. assimiliertes assumitur in mTlezuAce belegt ; beides bietet W adbsumitur.71 Robinson nimmt an, dass ein altes Verderbnis zwischen B und D in einer Majuskelschriftvorlage des Codex Hersfeldensis vorliegt.72 Jedoch ist ein so alter Fehler mit erhaltener Korrektur kaum wahrscheinlich.73 Da nur in der Hs. W beide Varianten überliefert sind, handelt es sich vermutlich weniger um eine Doppelüberlieferung aus dem Codex Hersfeldensis, als vielmehr um einen Fehler mit Verbesserung im humanistischen Archetyp.74 71 Vgl. Perret 1950: 54; Robinson 1991: 124; Perret 1997: 77. 72 Robinson 1991: 125. 73 Vgl. Perret 1950: 54. 74 So als Möglichkeit auch Perret 1950: 54. 75 Zu et – et vgl. Kühner – Stegmann II,2: 34; Persson, 1927: 96. 76 Lund 1988: 143. 77 Nicht hiermit zu verbinden ist die in späterer Zeit im Aisl. belegte Wendung á þriggia nátta fresti ‚eine Frist von drei Tagen‘; nach Ausweis der altisländischen Sagas wurden in dieser Zeit Familienangelegenheiten zwischen Angehörigen, die sich hier trafen, geregelt. 78 So auch Lund 1988: 143; cunctatio bedeutet somit nicht ‚(persönliche) Saumseligkeit‘ (so etwa Gudeman 1916: 99; Reeb 1933: 32). 79 Vgl. Robinson 1991: 265. 80 So etwa Müllenhoff 1900: 237; Gudeman 1916: 99. 81 So etwa Schweizer-Sidler 1923: 30; Reeb 1933: 32; Much 1967: 209; Anderson 1997: 85. Dagegen ist die Frage offen gelassen bei Lund 1988: 143 (allerdings mit unzureichender Begründung): ”Es ist gleichgültig, ob Die Folge et alter et tertius dies75 wird von Lund gedeutet als ”vielleicht unbestimmt: ‚ein paar Tage‘..76 Jedoch spricht nichts dagegen, die Formulierung (vgl. zum Ausdruck die Wendung Tac. hist. 2,21,3: et nox parandis operibus absumpta ‚die Nacht wurde für die Bereitstellung von Belagerungsgerät verwendet‘; ds. ann. 2,8,2: ita plures dies … absumpti ‚so wurden mehr Tage … vergeudet‘; ebd. 3,17,3: biduum … absumptum ‚zwei Tage brachte man … zu‘) wörtlich aufzufassen.77 Das Wort cunctatio ist im Sinne von retardatio aufzufassen.78 Das Geschehen kann somit folgendermaßen nachgezeichnet werden: Nachdem die Germanen sich an certis diebus einfinden (dies ist jeweils der erste Tag), vergeht jedes Mal noch ein zweiter und möglicherweise auch dritter Tag. 2 ut turbae placuit] In allen neuren Ausgaben fängt hier mit einem neuen Satz das c. 11,2 an. Jedoch geht aus der Einteilung der Hss. die bei illud und bei silentium einen größeren Einschnitt machen,79 eindeutig hervor, dass dies kaum korrekt ist. Vielmehr gehört ut turbae placuit noch zum Vorhergehenden; es ist somit zu erwarten, dass mit dem Nachsatz die Begründung dafür geliefert wird, warum noch einige Zeit vergeht, bevor die Versammlung eröffnet wird. Das Wort ut wird jedoch teils als vergleichende Partikel ‚wie‘,80 teils als temporale Konjunktion ‚sobald als, wenn‘ aufgefasst.81 Gegen die temporale Bedeutung man ut als eine vergleichende Partikel oder eine temporale Konjunktion ansieht, denn Tacitus will nur zeigen, dass den Germanen jede disciplina fehlt.. 82 Vgl. Hofmann – Szantyr 1972: 635-636. 83 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 451-452. 84 Vgl. ähnlich auch Baumstark 1875: 483*: ”Es ist also selbstverständlich, dass dieses sich selbst leitende Volk selber den Augenblick des Beginns der Verhandlung bestimmte, und dies besagen Tacitus’ Worte ut turbae placuit; die Dingmänner selbst beschlossen (placuit), jetzt wollen wir hören.. 85 Zu placere + Dat. vgl. Kühner – Stegmann II,1: 312. 86 Vgl. die Angabe etwa bei Robinson 1991: 288. Diese Emendation noch übernommen bei Schweizer-Sidler 1923: 30; als (vielleicht vorzuziehende) Möglichkeit auch bei Holtzmann – Holder 1873: 184 genannt. spricht jedoch, dass temporales ut bei Tacitus nur vereinzelt vorkommt; hierfür verwendet er vielmehr ubi.82 Das hier also vorauszusetzende vergleichende ut kann nun auch kausale Bedeutung annehmen (vgl. etwa Caes. Gall. 6,7,7: celeriter haec ad hostes deferuntur, ut ex magno Gallorum equitum numero nonnullos Gallicis rebus favere natura cogebat ‚diese Reden drangen schnell zu den Feinden, da sich in der großen Schar gallischer Reiter bei Labienus einige befanden, die ihre Herkunft zwang, die gallische Sache zu begünstigen‘).83 Der Grund, warum also zwei oder drei Tage vergehen, bevor die Versammlung eröffnet wird, liegt darin, dass die Volksmenge es so will. Erst mit ihrer Zustimmung kann die Versammlung offiziell eröffnet werden.84 Anstelle des hss. einheitlich überlieferten turbae85 wollte Gronovius turba emendieren,86 so dass der Satzteil als ‚sobald die Menge groß genug erschienen ist‘ zu interpretieren wäre. Diese Änderung vermag aber kaum zu überzeugen, da man zum einen satis erwarten würde (vgl. etwa Tac. hist. 4,23,1: vis et arma satis placebant ‚Macht und Waffen schienen ausreichend‘; Liv. 33,31,6: cum primum ei vires suae satis placuissent ‚sobald ihm [= Antiochus] seine Streitkräfte stark genug zu sein schienen‘; ds. 39,30,8: ubi satis placuere vires ‚sobald sie [= die spanischen Hilfstruppen] stark genug zu sein glaubten‘), zum anderen Tacitus sonst turba nicht im Sinne von numerus verwendet, ein Gebrauch, der nur sehr selten belegt ist (etwa Quint. inst. 1,2,15: sed neque praeceptor bonus maiore se turba, quam ut sustinere eam possit, oneraverit ‚jedoch wird sich ein guter Lehrer wohl nicht mit einer Schülerschar, die er nicht bewältigen kann, belästigen‘). Das Wort turba bezeichnet im Lateinischen eigentlich keine Gesellschaftsform. Es meint zunächst ganz allgemein ,die lärmende Unordnung einer Menge, das Gewühl‘. Unter diese Menge kann auch die ,Menschenmenge auf der Straße‘ fallen, also ,das Menschengewühl‘. Erst in der Gleichstellung mit vulgus erhält turba eine gesellschaftliche Komponente. turba wird hier in der gleichen Funktion wie plebs verwendet. Das einmalige Auftreten von turba soll wohl das Durcheinander zum Ausdruck bringen, das sich – wenigstens nach Tacitus – zu Beginn der Volksversammlung abspielt.87 87 Vgl. auch Perl 1990: 165: ”turba weist auf ein Durcheinander ohne bestimme Ordnung.. 88 Vgl. etwa Fuhrmann 1995: 19: ”nimmt man Platz.. 89 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 237; Schweizer-Sidler 1923: 31; Much 1967: 209; Lund 1988: 143-144; Anderson 1997: 85; Benario 1999: 77. 90 Nicht weiter aussagekräftig ist dagegen die u.a. bei Müllenhoff 1900: 237 angeführte Parallele im Sachsenspiegel 791: ‚sitzend soll man urteil finden‘. 91 So offenbar auch Hochstetter (non vidi; vgl. die Angabe bei Lund 1991b: 2060). Eine gewisse Doppeldeutigkeit der Aussage mag natürlich beabsichtigt sein. 92 Den Römern wurde schon vom Zwölftafelgesetz das Waffentragen verboten. considunt armati] Das Verb considere wird in aller Regel in der Bedeutung ‚sich niedersetzen, sich setzen‘ genommen.88 Dies wird einerseits damit begründet, dass es sich hierbei um einen Gegensatz zum Usus bei den Römern handelt, die während den Beratschlagungen standen, andererseits, dass der Brauch des Sitzens bei den Germanen mehrmals dokumentiert ist89 (vgl. die beratenden Germanen auf der Marcussäule, die sitzend abgebildet sind und die Angabe über die Goten bei Claud. get. 479-482: primosque suorum / consultare iubet, bellis annisque uerendos. / crinigeri sedere patres, pellita Getarum / curia ‚er [= Alarich] befahl die Ersten der Ihren und die an Jahren Ehrwürdigen zur Kriegsversammlung. Dort saßen die langhaarigen Väter, die mit Fellen bedeckte Kurie der Geten‘).90 Da es sich an dieser Stelle jedoch vielmehr um den Beginn der Beratungen handelt (auf die Beratungsposition der Teilnehmer wird denn auch weiter kein Wert gelegt), scheint nichts dagegen zu sprechen, an dieser Stelle die Bedeutung ‚Sitzung halten, zur Beratung sich niederlassen‘ anzunehmen (vgl. Cic. Flacc. 16: licentia contionum. cum in theatro imperiti homines rerum omnium rudes ignarique consederant, tum bella inutilia suscipiebant ‚durch … die Zügellosigkeit der Volksversammlungen. Die unerfahrenen, gänzlich ahnungslosen und unwissenden Leute nahmen im Theater Platz: schon beschlossen sie unnötige Kriege‘; Suet. Aug. 35,3: ut prius quam consideret quisque ‚daß jeder, bevor er Platz nahm‘).91 Diese Annahme wird noch dadurch bekräftigt, dass der Gegensatz zu den römischen Gewohnheiten durch das Wort armati zum Ausdruck gebracht wird,92 eine Tatsache, die in der Germania noch zweimal hervorgehoben wird (c. 13,1: nihil autem neque publicae neque privatae rei nisi armati agunt ‚alle das Gemeinwesen betreffenden wie auch privaten Angelegenheiten erledigen sie aber ausnahmslos in Waffen‘; c. 22,1: tum ad negotia nec minus saepe ad convivia procedunt armati ‚danach begeben sie sich an ihre Geschäfte und nicht weniger oft zu Gastgelagen, und das in Waffen‘). Das Waffentragen auf der Volksversammlung bedeutet jedoch nicht, dass ”das Kriegerische und Aggressive im Benehmen der Germanen … hervorgehoben. wird, wie Lund annimmt,93 werden doch, wie aus dem weiteren Text hervorgeht, die Waffen lediglich zur Zustimmung von Vorschlägen verwendet. 93 Lund 1988: 144. 94 Vgl. Rhee 1970: 67-70. 95 Eine Ausnahme findet sich z.B. in Tross 1841: 10 (tamen). 96 Vgl. Perret 1950: 54; Robinson 1991: 178, 207, 288; Perret 1997: 77. Zur Verteilung in den alten Drucken vgl. Massmann 1847: 65. Weil die Germanen bewaffnet zur Versammlung kommen, heißt sie bei den Langobarden denn auch gairethinx ‚Speerding‘ (gaire- < urgerm. *ga.za- ‚Speer‘).94 Später wurde bei manchen germanischen Stämmen das Waffentragen verboten, wie aus einem Gebot von Pippin dem Jüngeren hervorgeht: MGH LL 4,521: ut nullus ad mallum vel placitum infra patriam arma, id est scutum et lanceam, portet ‚dass keiner zum Mallus oder zur Versammlung innerhalb der Heimat die Waffen, diese sind Schild und Lanze, tragen soll‘. Auch die Gallier tragen bei der Volksversammlung ihre Waffen (vgl. Liv. 21,20,1: armati [ita mos gentis erat] in concilium venerunt ‚man war in Waffen zur Versammlung erschienen; das war dort [= in Gallien] Stammessitte‘; Caes. Gall. 5,56,2: quo lege communi omnes puberes armati convenire coguntur ‚alle erwachsenen Wehrfähigen sind nach allgemein verbindlichem Volksbeschluss gezwungen, sich bewaffnet einzufinden‘; allgemeines Waffentragen nach Nicol. Dam. FGrHist 90 F 103e: .e.t.. ..d.p.f.p...te. t. .at. p.... p..ta pp.tt.... ‚die Kelten tun in der Stadt alles in Waffen‘). Das generelle Waffentragen war auch bei den Griechen (Thuk. 1,6,1: p..a ..p . ..... ...d.p.f.p... d.. t.. .f.p.t... te .....e.. .a. ... ..fa.e.. pap’ ........ .f.d..., .a. ...... t.. d.a.ta. µe.’ .p... .p....a.t. ..pep .. ß.pßap.. ‚denn ganz Hellas ging einst in Waffen wegen der mauerlosen Siedlungen und der unsichern Straßen, und das Leben mit dem Schwert war ihnen vertraut wie den Barbaren‘; Aristot. pol. 2,8 p. 1268b: ...d.p.f.p...t. te ..p .. ......e. ‚die Griechen nämlich trugen eiserne Waffen‘) und bei den Persern (Amm. 23,6,75: omnes tamen promiscue vel inter epulas festosque dies gladiis cincti cernuntur ‚alle sieht man ohne Unterschied sogar bei den Gelagen und an Festtagen mit dem Schwert gegürtet‘) verbreitet. silentium per sacerdotes, quibuscum et coercendi ius est, imperatur] Alle Herausgeber geben als Lesart quibus tum.95 Dieses tum ist in den Hss. Wc.abrlezuR belegt; von den restlichen Hss. lesen s tamen korr. in tum, mbBdvorAce tamen, ET tamen und am Rande tantum, Cp cum und Q cunque korr. in cun.96 Sofern man überhaupt auf die hss. Lage eingeht, pflegt man davon nur die Varianten tantum und tamen zu behandeln, die Lesart cum wurde bisher kaum beachtet. So schreibt etwa Lund: ”Statt der Lesart tum haben Codex X tamen und E tantum, beides ist jedoch dem Sinn des Kontextes zuwider..97 Dies ist aber sicherlich nicht die zutreffende Erklärung. Viel eher liegen sowohl bei tamen als bei tantum unterschiedliche, falsche Auflösungen einer Kürzung vor, die in einer Schreibung tu vermutet wurde.98 97 Lund 1988: 144; vgl. auch Müllenhoff 1900: 238. 98 So richtig Müllenhoff 1900: 238: ”B b lesen tamen, was sich aus der abkürzung tam., die mit tum verwechselt wurde, erklärt.; vgl. auch Perret 1950: 54. Zu tantum abweichend Till 1943: 82: ”tantum … stammt zweifellos vom Korrektor, der am überlieferten Text mit Recht Anstoß nahm, jedoch völlig willkürlich und unrichtig den Text änderte.. 99 Gudemann 1916: 99. Ebenso u.a. Passow 1817: 17; Holtzmann – Holder 1873: 185; Perl 1988: 165 (”tum zeigt, daß dies Recht den Priestern nicht generell zustand; ihre Kompetenz beschränkte sich auf Störungen der verkündeten Ruhe des Thingfriedens.); Anderson 1997: 86 (”implying that they had not such power at all times.). 100 Die Begründung von Lund 1988: 144 (”daß die Priester in Friedenszeiten dieselbe Funktion nicht ausübten …, sonst wären die Germanen im Alltag ja nicht frei gewesen.) ist von dessen interpretatorischem Ansatz vorgegeben und vermag kaum zu überzeugen. 101 Lund 1988: 144. 102 Lund 1988: 144. 103 Vgl. auch Picard 1991: 108: ”c. 11: Strafgewalt im öffentlichen, nichtmilitärischen Bereich.. 104 Zu Ausnahmen vgl. man Hofmann – Szantyr 1972: 484. 105 Man vgl. Kühner – Stegmann II,2: 9. Die Interpretation der Lesart tum ist indes in den Kommentaren nicht einheitlich. Einige Interpreten möchten tum als ,nur dann‘ verstanden wissen, ”nämlich solange die Sitzung dauerte, denn auch im Kriege hatte der Priester ganz besondere Machtbefugnisse..99 Es stellt sich dann aber die Frage, wer außerhalb der Versammlung die Rechtsprechung ausübte.100 Lund will demgegenüber tum als ”ut in bello. verstehen,101 woraus er schließt, ”daß die Priester in Friedenszeiten dieselbe Funktion nicht ausübten..102 Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass die Volksversammlungen – zumal in diesen über Fragen von Krieg und Frieden gesprochen wurde – sicher (auch) in Friedenszeiten stattfanden, der Priester seine Funktion somit (auch) in dieser Zeit ausübte.103 Gegen jegliche Deutung von tum spricht nicht zuletzt das Wort et. Die Stellung von et, das hier sicherlich die Bedeutung ,auch‘ hat und in den meisten Fällen104 vor dem angereihten Substantiv steht,105 zeigt nämlich deutlich an, dass nicht tum, sondern coercendi ius der hervorgehobene Begriff ist. Ein Vergleich mit c. 7,1 liegt somit ganz sicher nicht vor. Der hervorgehobene Begriff coercendi ius ist an silentium … imperatur angereiht. Tacitus beschreibt also, wie das silentium … imperatur von den Priestern wirksam umgesetzt werden könne. Ein nicht betontes tum macht aber an dieser Stelle keinen Sinn, da dann zu erwarten wäre, dass auch andere Aufgabenbereiche der Priester auf der Volksversammlung genannt würden, was indessen nicht der Fall ist. Somit bleibt als einzige Lesart – falls man nicht von einer Verderbnis ausgehen möchte – cum übrig. Wenn man es nicht von quibus losgelöst stehen lässt (was dann keinen Sinn ergeben würde), sondern es daran anfügt,106 ergibt sich quibuscum mit der Bedeutung ,denen (allen)‘. Diese Wiederherstellung ist inhaltlich problemlos. Die Fehlerkette lässt sich dabei leicht nachvollziehen: cum wurde – mit der häufigen Verwechslung von c und t –107 als tum verschrieben, was dann in einigen Hss. fälschlicherweise als eine Kürzung aufgefasst und mit tamen oder tantum aufgelöst wurde. 106 Zur Worttrennung innerhalb einzelner Wörter in dem Codex Hersfeldensis vgl. Robinson 1991: 261-262. 107 Zu dieser Verwechslung in den Hss. vgl. Robinson 1991: 54-55. 108 Kühner – Stegmann II,1: 556; vgl. auch ebd. S. 378 mit Beispielen. 109 Vgl. Gudeman 1916: 99; Perl 1990: 165. 110 In dieser prägnanten Bedeutung wird coercere seit Cicero häufig verwendet (vgl. Gudemann 1916: 99; ThLL III: 1436,76-1437,26). 111 Perl 1990: 165; ähnlich auch Schweizer-Sidler 1923: 31: ”Einen eigentlichen Leiter der Versammlung gibt es nicht.. Die Präposition per steht hier zur Bezeichnung des ”persönlichen Urheber., wo also ”eigentlich ab c. abl. stehen müßte..108 Wie die Form sacerdotes im Vergleich zum nachfolgenden Singular rex zeigt, liegt ein echter Plural vor; Tacitus nimmt somit mehrere Priester pro Stammesgemeinschaft an.109 Sie gebieten Ruhe, die sie, wenn nicht Folge geleistet wird, mit dem ihnen zustehenden ius coercendi durchsetzen können. Das Verb coercere steht für puniendo coercere.110 Die römische coercitio beinhaltet die Maßnahmen der Magistrate, die von ihrer richterlichen Tätigkeit kaum getrennt waren und darauf abzielten, Ungehorsam zu beugen und Gehorsam zu erzwingen. Dies konnte mit Strafen aller Art verbunden sein. Wie das Verb imperatur zeigt, fußt auch an dieser Stelle die Machtbefugnis der Priester wie in c. 7,1 auf ihrem imperium (vgl. zum notwendigen imperium auch Ulp. dig. 2,4,2: magistratus, qui imperium habent, qui et coercere aliquem possunt et iubere in carcerem duci ‚Staatsbeamten, welche Amtsgewalt haben, und auch Jemanden in Strafe nehmen können, und den Befehl geben, dass er eingekerkert werde‘). Der Priester verfügt demnach über ein imperium, Ruhe auf der Volksversammlung zu gebieten und diese – falls nötig – auch mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Die Behauptung von Perl, dass die Priester ”nicht etwa die Leitung der Versammlung , was Sache des rex und der principes war.,111 ist am Text kaum zu verifizieren (es ist jedenfalls nicht angängig, eine Nichtleitungsfunktion des Priesters aus einem Gegensatz zu römischen Gewohnheiten zu schließen, wo der leitende Beamte der Versammlung diese auch eröffnete). Selbst wenn die Priester nicht die offizielle Leitung der Versammlung innehatten, so besteht doch auf jeden Fall eine recht enge Verbindung zwischen dem silentium imperare und den Abläufen während der Versammlung, da diese mit mox ,bald danach‘ hieran angeschlossen sind. Auch scheint das imperium für eine wie auch immer geartete Leitungsfunktion der Priester auf der Versammlung zu sprechen.112 Ob das ius coercendi der Priester auf die Volksversammlung beschränkt war oder darüber hinausreichte, berichtet Tacitus nicht ausdrücklich. Hierüber kann aber möglicherweise die Stellung des Nebensatzes Aufschluss geben. Dieser ist nämlich direkt hinter sacerdotes eingefügt, nicht hinter imperatur. Das ius coercendi wird somit den sacerdotes allgemein zugeteilt und nicht nur in Bezug auf silentium … imperatur zu verstehen sein. Auch sachlich erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die sacerdotes diese Rechtsbefugnis in Friedenszeiten nur auf der Volksversammlung gehabt hätten; es bliebe nämlich unklar, worauf ihre Legitimation sich in diesem Fall stützen würde. 112 Ähnlich auch Much 1967: 210: ”Die Priester hatten also die Aufgabe eines die Versammlung eröffnenden Vorsitzenden.. 113 Vgl. etwa Reeb 1933: 32; Perl 1990: 165; Anderson 1997: 86; Benario 1999: 77. Von Perl 1990: 165 wird noch der Hain mit den heiligen weißen Pferden (c. 10,2) in die Nähe des Versammlungsplatzes gelegt. Von etlichen Kommentatoren wird aus der Anwesenheit und der Funktion der Priester auf einen heiligen Hain als Örtlichkeit der Volksversammlung (vgl. hierzu Ad. Brem. 2,62: ydolum gentis … stans in concilio paganorum ‚ein Götzenbild dieses Volkes …, das am Versammlungsplatze der Heiden [= der Schweden] stand‘) geschlossen.113 Jedoch wird dies zum einen nicht ausdrücklich ausgesagt (die angeführten Stellen – Tac. Germ. 39,1: stato tempore in silvam auguriis patrum et prisca formidine sacram omnes eiusdemque sanguinis populi legationibus coeunt ‚zu einem festen Zeitpunkt versammeln sich Abordnungen aller Völkerschaften, soweit sie gleichen Geblüts sind wie sie, in einem Wald, der aufgrund der Sehertätigkeit der Väter sowie aufgrund altherkommener Ehrfurcht ihr Heiligtum ist‘; ds. hist. 4,14,2: Civilis primores gentis et promptissimos vulgi specie epularum sacrum in nemus vocatos, ubi nocte ac laetitia incaluisse videt ‚ Civilis berief die Häupter des Stammes und die entschlossensten Männer aus dem Volk unter dem Vorwand eines Festmahls in einen heiligen Hain; sowie er sah, daß sie durch das nächtliche Fest in hitziger Stimmung geraten waren‘; ds. ann. 2,12,1: convenisse et alias nationes in silvam Herculi sacram ausurosque nocturnam castrorum oppugnationem ‚es seien auch andere Stämme im heiligen Hain des Donar eingetroffen und würden einen nächtlichen Angriff auf das Lager wagen‘ – sind jedenfalls nicht unmittelbar vergleichbar), zum anderen – bei Annahme einer allgemeinen richterlichen Funktion der Priester – auch nicht unbedingt notwendig. Auch aus den sprachlichen Quellen geht eine richterliche Funktion des Priesters hervor: a. westgerm. *a..a-.arda- > ahd. ewart,114 as. eward (?),115 ae. .weweard116 ,Priester‘, ein Kompositum aus urgerm. * a..a- (> mit unterschiedlicher Stammbildung: ahd. ewa ,Recht, Gesetz, Regel, Gebot‘, ae. .[w] ,Gesetz, Satzung, Religion‘, as. eo, eu ,Gesetz‘, afr. a, e, ewe, ewa ,Gesetz‘, andfränk. ewa ,lex, Gesetz‘) und *.ard-a- (> got. -wards [in daurawards ,Türhüter‘], ahd. wart ,Wächter‘, as. ward ,Hüter, Schützer, Wächter‘, ae. weard ,Wärter, Hüter, Beschützer; Herr‘). Das Kompositum definiert den Priester also als ‚den Hüter des Gesetzes, des Rechts‘, wodurch ihm eine Rechtsfunktion zugesprochen wird. b. Im Ahd. ist das Wort coting ‚tribunus‘ belegt, das auf eine Bedeutung ‚priesterlicher Gerichtsvorsteher‘ zurückweist, da hier eine Ableitung zu urgerm. *gud-a- ‚Gott‘ vorliegt (s. zur Ableitungsbasis c. 7,1). c. Im Altisländischen bedeutet das Wort goðar ‚Richter‘, was sich aus einer Bedeutung ‚Priester‘ entwickelt hat. 114 Eine Erweiterung zum n-St. liegt in ahd. e(o)warto vor. 115 Nur belegt in Genesis 180 (Nom.Pl.): the æuuardas, das aber vielleicht wegen der Alliteration fehlerhaft ist (als êuuardas im Text gelassen von Behaghel 1984: 250; dort auch die Änderungsvorschläge). 116 Nur einmal in Blickl. Hom. 161,27 belegt. 117 Diese Änderung ist aufgenommen u.a. bei Gudeman 1916: 99; Reeb 1933: 32; Much 1967: 201; Koestermann 1970: 12; Perl 1990: 90; Fuhrmann 1995: 18. 118 Vgl. Robinson 1991: 226. 119 Vgl. Much 1967: 210; Perl 1990: 165-166. mox rex vel princeps – audiuntur] Der Herausgeber Perizonius wollte wegen der Pluralform audiuntur und dem Wort cuique das überlieferte princeps in principes ändern,117 eine Emendation, die in den Hss. lezuARce bereits vorweggenommen ist.118 Der Singular princeps wurde dabei als Einwirkung von rex vel princeps aus c. 10,2 verstanden.119 Die Textänderung ist aber überflüssig, da bei durch vel, aut oder sive getrennten Subjekten, auch wenn beide singularisch sind, das Verb – gerade auch bei Tacitus – häufiger im Plural steht; vgl. etwa Tac. dial. 37,6: nec Ciceronem magnum oratorem P. Quinctius defensus aut Licinius Archias faciunt ‚den Cicero macht nicht die Verteidigung des Publius Quinctius oder des Licinius Archias zu einem großen Redner‘; ds. ann. 1,42,1: non mihi uxor aut filius patre et re publica cariores sunt ‚nicht sind mir Gattin oder Sohn teurer als Vater und Staat‘.120 Zu cuique auf zwei Personen bezogen vgl. quemque in c. 10,3.121 120 Vgl. Hofmann – Szantyr 1972: 434: ”regelmäßig bei Tac. … steht der Plural.; Kühner – Stegmann II,1: 48. 121 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 648. 122 Perl 1990: 166; vgl. auch Reeb 1933: 32; Much 1967: 210. Zu Recht nicht mehr aktuell ist die Annahme, dass sich die Abstufungen auf einen jeden in der Volksversammlung beziehen (vgl. etwa Schweizer-Sidler 1923: 31; vgl. auch die Angabe bei Müllenhoff 1900: 239); schon die nachstehende Fügung iubendi potestate spricht dagegen. Die nicht aktive Funktion des Volkes kommt auch durch die passive Form audiuntur zum Ausdruck. 123 Vgl. Müllenhoff 1900: 239; Anderson 1997: 86. 124 Dagegen als direkte Angabe verstanden von Perl 1990: 166. prout aetas cuique, prout nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est] Diejenigen, die principes in den Text nehmen, vermuten, dass sich ”die Reihenfolge nach bestimmten Qualifikationen … auf mehrere principes. bezieht.122 Bei im Text belassenem princeps zielt die Aussage darauf ab, dass das Gehör, das dem König oder Anführer geschenkt wird, von den vier genannten Qualitäten abhängt, die ihm auctoritas verleihen.123 Es liegt sonach nur indirekt eine Angabe über eine Differenzierung innerhalb der principes vor.124 Auch die Vorschläge eines Königs sind somit nicht aufgrund seiner Stellung von vornherein mehrheitsfähig. Zur Fügung decus bellorum vgl. c. 32,1: Tencteri super solitum bellorum decus equestris disciplinae arte praecellunt ‚die Tenkterer zeichnen sich über den gewöhnlichen Kriegsruhm hinaus durch ihre Fertigkeit in der Reitkunst aus‘; vgl. auch Tac. hist. 2,24,1: ne omne belli decus illuc concederet ‚um nicht jenem [= Fabius Valens] allen Kriegsruhm abtreten zu müssen‘; ebd. 3,8,3: sed gloriae avidus atque omne belli decus sibi retinens ‚in Wahrheit strebte er [= Mucianus] nur nach Ruhm und beanspruchte alle Kriegsehre für sich‘; Liv. 5,51,10: reddidere igitur patriam et uictoriam et antiquum belli decus amissum ‚so haben sie [= die Götter] uns die Vaterstadt zurückgegeben und den Sieg und den alten Kriegsruhm, den wir verloren hatten‘; ds. 7,40,5: satis fuit eritque unde belli decus pariatur ‚es hat genug Gelegenheiten gegeben und es wird noch genug geben, wo man Kriegsruhm gewinnen kann‘; ds. 9,38,6: quod belli Romani decus ab Samnitibus fortuna ad Etruscos auertisset ‚weil das Schicksal den Ruhm im Krieg mit den Römern von den Samniten weg zu den Etruskern verlagert habe‘; Val. Flac. 5,539: nec decus oblati dimiseris advena belli ‚Fremdling zwar, wirst du den Ruhm im kommenden Kriege nicht missen‘; Sil. 3,507: post belli decus atque acies ‚nach Kriegsruhm und Schlachten‘. Ob facundia tatsächlich die ‚natürliche Beredsamkeit‘ in Gegensatz zu eloquentia, das die ‚erlernte Beredsamkeit‘ ausdrücken soll, bedeutet,125 bleibt fraglich.126 Das ans Ende der Auflistung gestellte facundia erleichtert die Anknüpfung an auctoritate suadendi. auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate] Die entgegengesetzten Paare auctoritate suadendi und iubendi potestate stehen chiastisch. 125 So Lund 1988: 144 mit Hinweis auf Liv. 2,32,8: placuit igitur oratorem ad plebem mitti Menenium Agrippam, facundum virum ‚daher beschlossen sie, Menenius Agrippa als Unterhändler zu den Plebejern zu schicken, einen beredten Mann‘. 126 Beide Wörter werden denn auch im ThLL V,2: 408,51 und ThLL VI,1: 157,75 ähnlich umschrieben. 127 Zum Abl. modi ohne cum (besonders bei Tacitus) vgl. Kühner – Stegmann II,1: 409-410. 128 In den Hss. CbrlezuARce ist anstelle von aspernantur der übrigen Hss. die Lesart aspernatur überliefert (vgl. Annibaldi 1910: 53; Robinson 1991: 213 [Robinson führt jedoch aspernatur nicht als Lesart von C an]). Es liegt hierbei lediglich die Auslassung eines n-Abkürzung-Striches vor. 129 Vgl. ThLL VI,1: 1280,1-44. 130 Lund 1988: 144. auctoritate und potestate sind Abl. modi.127 die in Gegensatz zu coercendi ius stehen. Unter auctoritas ist das persönliche Prestige, unter potestas der mit einer Position verbundene Einfluss zu verstehen. Zur fehlenden absoluten potestas vgl. c. 7,1 (nec regibus infinita aut libera potestas ‚so wie die Könige keine grenzenlose und unbeschränkte Herrschermacht besitze‘). Wie die Verbindung mit dem Nachfolgenden deutlich zeigt, findet keine Erörterung der Vorschläge statt, sondern man schreitet sofort nach der Rede zur Abstimmung; auch dies spricht gegen die Einsetzung des Plurals principes. Zum Inhaltlichen vgl. Liv. 1,7,8: Euander … auctoritate magis quam imperio regebat loca ‚Euander … herrschte mehr durch sein Ansehen als aufgrund der Vollmacht eines Herrschers‘. si displicuit sententia – sin placuit] Es handelt sich hierbei um Termini technici der römischen Senatssprache; es liegt also eine interpretatio romana vor. fremitu aspernantur]128 Mit fremitus sind die Meinungsäußerungen gemeint, mit denen die Germanen den vorgebrachten Antrag ablehnen.129 Der Meinung von Lund, fremitus charakterisiere zusätzlich ”die Äußerungen der Barbaren als disharmonisch.,130 ist kaum beizupflichten, da lediglich beschrieben wird, wie die Germanen Anträge ablehnen oder akzeptieren, zumal das Annehmen von Vorschlägen nicht als ‚harmonisch‘ beschrieben ist. Das Murren als Ausdruck der Unzufriedenheit findet sich auch Tac. hist. 3,10,3: fremitu et clamore aspernantur. uni Antonio apertae militum aures; namque et facundia aderat mulcendique vulgum artes et auctoritas ‚mit Gelärm und Gebrüll wandten sie sich auch von den anderen ab. Allein dem Antonius schenkten die Soldaten Gehör; denn er verfügte über Beredsamkeit, Fähigkeit, die Menge zu besänftigen, und Ansehen‘. frameas concutiunt] Die Interpretation des Verbs concutere an dieser Stelle ist umstritten. Zum einen wird es im Sinne von collidere als ‚gegeneinander schlagen‘,131 zum anderen im Sinne von vibrare als ‚schwingen, schütteln‘ verstanden.132 Nun ist zwar das Zusammenschlagen von Waffen mehrmals bezeugt (vgl. Tac. hist. 5,17,3: ubi sono armorum tripudiisque [ita illis mos] adprobata sunt dicta ‚als sie mit Waffengeklirr und Kriegstanz – so ist es Brauch bei ihnen – seinen Worten Beifall gespendet hatten‘; wie ebd. 4,15,1: magno cum adsensu auditus barbaro ritu et patriis execrationibus universos adigit ‚mit lautem Beifall wurde seine Rede [= des Civilis] aufgenommen; nach Barbarenritus und unter den landesüblichen Verwünschungen vereidigte er dann alle‘ zu verstehen ist, bleibt unklar;133 ebenso bei den Galliern, vgl. Caes. Gall. 7,21,1: conclamat omnis multitudo et suo more armis concrepat, quod facere in eo consuerunt cuius orationem approbant ‚die ganze Menge schrie Beifall und lärmte nach ihrem Brauch mit den Waffen, wie es die Gallier zu tun gewohnt sind, wenn ihnen die Rede eines Mannes gefällt‘; bei den Römern, vgl. Liv. 28,29,10: exercitus, …, gladiis ad scuta concrepuit ‚das Heer … schlug dröhnend mit den Schwertern an die Schilde‘), jedoch ergeben sich inhaltlich durchaus Probleme. Denn entweder hätte jeder Germane zwei Framen haben müssen, um diese aneinander zu schlagen, oder der einzelne Germane hätte seine Meinung nicht allein kundtun können, da er auf die Frame seines Nachbarn angewiesen gewesen wäre (dass man zwei Gegenstände braucht, geht auch aus Sen. nat. 2,28,1 deutlich hervor: sed palma cum palma collata plausum facit; et plurimum interest utrum cauae concutiantur an planae et extentae ‚denn nur zusammengeschlagene Handflächen bringen Klatschen hervor; und dann ist ein großer Unterschied, ob man sie hohl aneinanderschlägt oder flach und ausgestreckt‘),134 ganz abgesehen davon, dass ein Aneinanderschlagen von Speeren kaum eine laute akustische Wirkung gehabt hätte.135 Demnach ist man gezwungen, die Stelle entweder als ‚die Frame an den Schild schlagen‘ oder 131 Vgl. ThLL IV: 119,84-120,3 (diese Stelle ist hier eingeordnet); so etwa Gudeman 1916: 100; Schweizer- Sidler 1923: 31; Reeb 1933: 32; Lund 1988: 144; Anderson 1997: 87; Rives 1999: 172; Benario 1999: 78. 132 Vgl. ThLL IV: 118,48-83; so etwa Löschhorn 1966. Die Frage ist bei Perl 1990: 166 offen gelassen: ”Das Zusammenschlagen der Framen kann keinen lauten Beifall ergeben haben; man hat auch an ein Schwingen oder Schütteln der Speere gedacht …, also ein optisches, kein akustisches Zeichen der Zustimmung. Sonst ist aber Lärmen mit Waffen üblich … Auf eine eindrucksvolle Schlußpointe legt Tacitus mehr Wert als auf detaillierte Sachangaben.. 133 Von Perl 1990: 166 wird diese Stelle unter ‚Lärmen mit Waffen‘ subsumiert. 134 Dieses Problem hat Much 1967: 211 durchaus gesehen. 135 So auch u.a. Much 1967: 211; Perl 1990: 166; Anderson 1997: 87. frameas im Sinne von arma zu verstehen, will man die Bedeutung ‚zusammenschlagen‘ beibehalten.136 Beides steht jedoch nicht im Text. Dagegen können solche Einwände nicht gegen die übliche Bedeutung von concutere ‚schwingen‘ vorgebracht werden. Durch ein Schwingen der Waffen werden also Vorschläge angenommen. Ein Schütteln von Waffen ist sonst nur als Drohgebärde bezeugt, vgl. Tac. hist. 2,22,1: adverus temere subeuntes cohortes Germanorum, cantu truci et more patrio nudis corporibus super umeros scuta quatientium ‚gegen die blind anstürmenden Kohorten der Germanen, die unter wildem Gesang und nach heimischem Gebrauch mit nacktem Oberkörper ihre Schilde über den Schultern schwangen‘; Amm. 21,13,16: omnes post haec dicta in sententiam … suam hastasque vibrantes irati post multa, quae benivole responderant, petebant duci se protinus in rebellem ‚alle billigten nach diesen Worten die Ansicht des Kaisers und schüttelten voller Zorn ihre Lanzen. Nach vielen Beifallsrufen verlangten sie, sofort gegen den Empörer geführt zu werden‘. 136 So etwa Much 1967: 211; Anderson 1991: 87. 137 Es geht kaum an, mit Lund 1988: 144 die übliche Bedeutung ‚schwingen‘ wegen dieser späteren Ähnlichkeit abzulehnen: ”Es liegt … kaum ein Grund vor, die Interpretation … zu akzeptieren, nach der concutere hier im (zwar) üblichen Sinne von vibrare zu verstehen sei, zumal … mit dieser Auslegung unserer Stelle eine Übereinstimmung inhaltlicher Art mit dem viel später bezeugten rechtlichen Phänomen ‚vapnaták‘. etabliert werden soll. 138 Vgl. Fritzner 1896: III,864 (vgl. oepto upp allir með vápnataki ‚alle schrieen auf mit Huldigung‘). 139 Vgl. Bosworth – Toller 1991: 1155. In späterer Zeit137 findet sich eine ähnliche Art der Zustimmung, die aisl. vápnatak ‚Huldigung‘ genannt wird;138 vielleicht ist auch ae. wæpengetæc ‚Bezirk‘ zu vergleichen.139 Auch dies steht in Gegensatz zu den römischen Gewohnheiten, wo als Zeichen des Beifalls geklatscht wurde. honoratissimum assensus genus est, armis laudare] Es gibt somit noch andere Arten der Zustimmung, wie etwa Beifall durch Bewegung; vgl. dazu Tac. hist. 5,17,3: ubi sono armorum tripudiisque (ita illis mos) adprobata sunt dicta ‚als sie mit Waffengeklirr und Kriegstanz – so ist es Brauch bei ihnen – seinen Worten Beifall gespendet hatten‘. KAPITEL 12 1 Licet apud concilium accusare quoque] Obwohl das gesamte elfte Kapitel schon die Volksversammlung zum Inhalt hatte, fällt das Wort concilium erst jetzt.1 1 Das daneben in einigen Hss. (c.CpQce, in s concilium korr. in consilium korrigiert) bezeugte consilium (vgl. Perret 1950: 68; Robinson 1991: 118; Perret 1997: 78) kommt schon wegen der Bezeugung sowie aus sachlichem Grund nicht in Betracht. 2 So etwa Lund 1988: 144; wohl auch Much 1967: 212; Perl 1990: 91: ”Man darf.; offenbar auch Benario 1999: 78: ”It is also permitted.. 3 So etwa Baumstark 1875: 486; Gudeman 1916: 100; Schweizer-Sidler 1923: 31; Reeb 1933: 32. 4 Müllenhoff 1900: 240-241 hält die Frage denn auch für belanglos. Auch Baumstark 1875: 486 muss zugeben, dass ”beide Ausdrücke sich sehr nahe stehen.. 5 Vgl. dazu Kühner – Stegmann II,1: 524 (mit weiteren Beispielen). 6 Zur Stellung von quoque vgl. Kühner – Stegmann II,2: 53. 7 Vgl. Baumstark 1875: 485-486; Müllenhoff 1900: 240-241; Gudeman 1916: 101; Schweizer-Sidler 1923: 31; Reeb 1933: 94; Much 1967: 212. 8 Vgl. ThLL I: 350,15: ”apud iudices.. Umstritten ist, ob licet hier lediglich eine schwächere Bedeutung hat, also wie concessum/permissum est steht,2 oder stärker als ‚es ist rechtlich/gesetzlich gestattet‘ (vgl. dazu etwa Cic. Phil. 13,6: licet autem nemini contra patriam ducere exercitum ‚und niemand darf eine Armee gegen sein Vaterland führen‘) verwendet wird.3 Jedoch scheinen beide Bedeutungen kaum wirklich auseinander gehalten werden zu können, da sich das, was man darf, natürlich auf irgendeine Legitimation stützt.4 Die Präposition apud wird bei Tacitus häufig gleich in + Abl. verwendet.5 Die Stellung von quoque hinter accusare zeigt an,6 dass es neben den anderen Vorgängen auch die Möglichkeit gab, Anklage zu erheben; hiermit leitet Tacitus zu den Rechtsbräuchen bei den Germanen über. Wie solche Anklagen genau abliefen, berichtet Tacitus nicht. Die früher geführte Diskussion, ob nur auf der Versammlung oder auch noch außerhalb von ihr Anklage erhoben werden durfte,7 ist nach Ausweis von c. 12,3 dahingehend zu entscheiden, dass es auch außerhalb von ihr eine richterliche Tätigkeit gab. Für diese Annahme spricht übrigens auch das Wort licet. Das Wort accusare ist ein gerichtlicher terminus technicus mit der Bedeutung ‚jemanden vor dem Richter in Strafsachen anklagen‘.8 Zur Bezeichnung der Volksversammlung sind im Germanischen folgende Wörter vorhanden: 1. got. maþl* ‚Versammlungsort, Markt‘, frk.-lat. mallus, mallum ‚Gerichtsstätte, Termin‘,9 ahd. mahal ‚Gerichtsstätte, Versammlung, Vertrag‘, as. mahal ‚Gericht(sversammlung); Rede, Lehre‘,10 ae. mæðel, meðel, mæl ‚Versammlungsplatz, Versammlung, Rede‘, aisl. mál ‚Versammlung, Verabredung; Sprache, Rede‘, aschwed. anorw. mall ‚Rede, Sprache‘11 (auch verbaut in lgb. gamahal ‚Eideshelfer‘) < urgerm. *maþla-. Die weitere Etymologie ist unklar. Es stehen sich zwei Alternativen gegenüber; die eine nimmt als Vorform vorurgerm. *mad- tlo- ‚Ort des Zusammentreffens‘ an,12 die andere dagegen vorurgerm. *mot-lo- ‚abgemessene Zeit‘.13 2. urgerm. *þinga- ‚(festgesetzte) Zeit‘; s. c. 11,1. 9 Schaffner 2001: 245 erklärt mallus, mallum als eine Vernersche Variante und führt es auf urgerm. *madla- zurück (so auch Nedoma 2004: 373). Dies ist jedoch kaum notwendig, da die Schreibung -ll- romanisch sein kann (vgl. Wagner 2002). 10 Die Lautfolge -hal- im Ahd. und As. die einen Sprossvokal -a- enthält, lässt sich aus einem westgerm. Lautwandel *-þl- > *-.l- in den Kasus obliqui erklären (vgl. Lühr 1982: 666 [mit Anm. 2]; Lühr 2000: 125; Schaffner 2001: 244-245; Nedoma 2004: 373). Der Lautwandel wird zuerst in dem Matronen-Beinamen Mahalinehae fassbar (vgl. Gutenbrunner 1936: 183; Neumann 1987: 109). 11 Anorw. aschwed. mall wird von Schaffner 2001: 245 ebenfalls auf urgerm. *madla- zurückgeführt. Die Formen sind aber wohl besser als verselbständigte Kompositionshinterglieder zu deuten (vgl. Noreen 1904: § 298). 12 So etwa Lühr 2000: 125-126; Schaffner 2001: 245-246; Casaretto 2004: 405. 13 So etwa Bammesberger 1990: 89. Wie die Angaben in c. 11,1 zeigen, scheidet diese Etymologie nicht aus (trotz des Einwandes von Casaretto 2004: 405: ”Semantisch problematisch.). 14 Gudeman 1916: 100-101; vgl. auch Anderson 1997: 87. 15 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 24. 16 Vgl. Gudeman 1916: 101; anders Lund 1988: 145. 17 Vgl. ThLL V,1: 1360,9-24; ebd. VII,1: 2125,68-76. et discrimen capitis intendere] Der Ausdruck ist nicht nur ”zur näheren Erklärung des farblosen accusare hinzugefügt.,14 sondern et dient hier zur Anreihung eines wichtigeren Begriffs.15 Denn accusare bezieht sich auf das in c. 12,2 Erwähnte, wobei die Begriffe accusare und discrimen capitis intendere in chiastischer Reihenfolge abgehandelt werden. Die Junktur discrimen capitis intendere ist kein terminus technicus der römischen Rechtssprache,16 jedoch in Analogie ähnlicher Wendungen (etwa litem, actionem, periculum intendere; vgl. etwa Liv. 9,26,11: in quos crimen intendebatur ‚gegen die Anklage erhoben wurde‘; Cic. Mil. 36: diem mihi, credo, dixerat, multam inrogarat, actionem perduellionis intenderat ‚er hatte mir einen Termin angekündigt, eine Geldstrafe gegen mich beantragt, einen Prozeß wegen Hochverrates eingeleitet‘)17 gestaltet. Die Verbindung discrimen capitis ist seit Cicero häufig. Die intentio stellt innerhalb des römischen Prozesses den Klageantrag, d.h. das Begehren des Klägers dar, und somit zumeist auch den Streitgegenstand.18 Auch in der republikanischen Zeit in Rom lag die endgültige Entscheidung über das Strafmaß bei der Volksversammlung; vgl. Cic. leg. 3,6: cum magistratus iudicassit inrogassitve, per populum multae poenae certatio esto ‚wenn ein Magistrat ein Urteil gefällt oder eine Strafe verhängt hat, soll durch das Volk eine Entscheidung über die Geldbuße oder die Strafe gefällt werden‘. distinctio poenarum ex delicto] Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 14,49,2: pro magnitudine delicti poenam statui par fuisse ‚eine der Bedeutung des Vergehens entsprechende Strafe festzusetzen wäre angemessen gewesen‘. 18 Vgl. RE IX,2: 1596-1600. 19 Vgl. Sörbom 1935: 16. 20 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 505-506. 21 Unverständlich ist die Bemerkung von Lund 1988: 145: ”Wir dürfen vielleicht hieraus die Schlußfolgerung ziehen, daß nicht jede kriminelle Person bestraft würde, …., da aus c. 12,2 eindeutig hervorgeht, dass auch bei leichteren Vergehen Strafen ausgesprochen wurden. 22 So etwa Lund 1988: 145: ”die Wörter ... kommen hier als Synonyme vor …., jedoch dann mit der Einschränkung ”jedoch so, daß.. Die Aussage, dass die unterschiedlichen Strafen aus der Art des Vergehens herrühren, wird weiter unten durch diversitas supplicii variiert.19 Die Präposition ex steht von der Gemäßheit.20 Da in c. 12,2 von leviora delicta die Rede ist, handelt es sich hier vermutlich um gravia delicta; vgl. zu einer ähnlichen Unterscheidung der Straftatschwere Caes. Gall. 7,4,10: nam maiore commisso delicto igni atque omnibus tormentis necat, leviore de causa auribus desectis aut singulis effossis oculis domum remittit ‚denn bei größeren Vergehen ließ er [= Vercingetorix] die Schuldigen nach Anwendung aller Arten von Foltern verbrennen, bei weniger schwerwiegenden Anlässen ließ er ihnen die Ohren abschneiden oder ein Auge ausstechen und schickte sie nach Hause zurück‘ (diese Stelle ist jedoch nur von der Art, nicht jedoch von der Sache her vergleichbar, da hier die Willkürlichkeit einer Einzelperson über die Strafe entscheidet, während es sich bei den Germanen um ein in was für einer Form auch immer kodifiziertes Bestrafungssystem handelt). Es handelt sich also nicht um alle Straftaten, sondern (wie aus c. 12,2 [s.u.] eindeutig hervorgeht) um die scelera und flagitia.21 proditores et transfugas] Die Wörter proditor und transfuga sind zwar keine Synonyme,22 es liegt jedoch eine stehende Verbindung vor; vgl. etwa Tac. hist. 4,58,5: transfugae e transfugis et proditores e proditoribus inter recens et vetus sacramentum invisi deis errabitis? ‚Überläufer aus den Reihen von Überläufern und Verräter aus den Reihen der Verräter – so wollt ihr zwischen neuem und altem Eid, den Göttern verhaßt, hin und her taumeln?‘; ds. ann. 4,48,3: quanto perfugae et proditores ferre arma ad suum patriaeque servitium incusabantur ‚weil sie beschuldigt wurden, als Überläufer und Verräter Waffen zu tragen, um sich und das Vaterland zu versklaven‘; Liv. 25,16,20: Lucanum proditorem ac transfugam omnes peterent ‚alle sollten auf den lukanischen Verräter und Überläufer losgehen‘; Curt. 5,8,9: proditores et transfugae in urbibus meis regnant ‚in meinen Städten regieren Verräter und Überläufer‘; ds. 8,3,14: quod transfuga et proditor … interfectus esset ‚daß der Überläufer und Verräter ermordet worden war‘; Veg. mil. 3,6: et interdum transfugae proditoresque non desunt ‚und zuweilen sind Überläufer und Verräter anwesend‘; Amm. 31,15,2: docti per proditores et transfugas ‚sie [= die Sieger] hatten nämlich von Verrätern und Überläufern erfahren‘. Die beiden Wörter bezeichnen zwei unterschiedliche Arten von Landesverrätern. Der proditor ist der Verräter von Staatsangelegenheiten, etwa von Militärplänen, ein transfuga ist dagegen der Überläufer zum Feind (in den meisten Fällen wird auch er allerdings wohl ein proditor gewesen sein). Es wird jedoch schwer gewesen sein, einen transfuga bestrafen zu können, da dieser sich ja bereits abgesetzt hatte, andererseits wird man ihn, falls er auf frischer Tat erwischt wurde, vermutlich sofort getötet haben.23 Das römische Strafrecht kannte die verräterische Verbindung mit dem Feinde nicht als einen eigenständigen Tatbestand. Die proditio unterstand der Gerichtsbarkeit des Feldherrn, wie andere militärische Delikte auch. Das Verfahren und die Bestrafung eines Verräters (Auspeitschen und Hinrichtung mit dem Beil) sind mit ähnlichen Delikten vergleichbar; vgl. Liv. 2,5,5: direptis bonis regum damnati proditores sumptumque supplicium ‚nach der Plünderung des königlichen Besitzes wurden die Verräter verurteilt und die Hinrichtung vollzogen‘; Arr. Menand. dig. 49,16,6,4: exploratores, qui secreta nuntiaverunt hostibus, proditores sunt et capitis poenas luunt ‚Kundschafter, welche Geheimnisse den Feinden entdeckt haben, sind Verräter, und büssen mit der Todesstrafe‘. 23 Ebenso Gudeman 1916: 101; Much 1967: 212. Ein transfuga, der dies nicht unbedingt nur im Krieg sein muss (vgl. Paul. dig. 49,15,19,5: si vero servus transfugerit ad hostes ‚ist hingegen ein Sklave zu den Feinden übergelaufen‘; ebd. 49,15,19,8: transfuga autem non is solus accipiendus est. qui aut ad hostes aut in bello transfugit, sed et qui per indutiarum tempus aut ad eos, cum quibus nulla amicitia est, fide suscepta transfugit ‚als Überläufer ist aber nicht blos derjenige anzusehen, der entweder zu den Feinden, oder im Kriege überging, sondern auch der, welcher während der Zeit des Waffenstillstandes zu denen, mit welchen kein Freundschaftsbündnis besteht, nach dadurch erhaltener Sicherheit überging‘), verlor dagegen sein Bürgerrecht, seine Stellung in der Familie und in der Armee, und falls er wieder in die Hände der Römer fiel, wurde er gefoltert und hingerichtet. Um ihn habhaft werden zu können, wurde in Friedensverträgen häufig die Rückgabe einer solchen Person vereinbart. Das widerrechtliche Verlassen des Heeres wird in den karolingischen Gesetzen mit dem Terminus harisliz bezeichnet,24 ein Kompositum aus hari- ‚Heer‘ (< urgerm. *.ar.a- ‚Heer‘ [> germ. PN mit dem Namenelement Charia-, got. harjis, ahd. hari, heri, as. heri, ae. afr. here, aisl. herr]) und -sliz ‚Zerstörung‘, eine Ableitung zum Verb ahd. slizan ‚(zer)reißen, zerbrechen‘ (< urgerm. *slite/a- [> as. ae. slitan, afries. slita, aisl. slíta]). Die Möglichkeit der Tötung von Landsverrätern ist ebenfalls in den späteren germanischen Rechtsquellen belegt; vgl. E. Roth. 4: si quis inimicûs intra prouincia inuitatverit aut introduxerit, animae suae incurrat periculum et res eius infiscentur ‚ruft einer Feinde ins Land oder führt er sie herein, so geht es ihm ans Leben, und [all] sein Gut wird eingezogen‘; L. Alam. 25: si quis homo aliquis gentem extraneam infra provinciam invitaverit, ut ibi praeda vastent hostiliter vel domos incendant, et ille ex hoc probatus fuerit, aut vitam perdat aut exilium eat, ubi dux miserit, et res eius infiscentur in publico ‚wenn irgendein Mann ein fremdes Volk in die Provinz ruft, damit sie dort feindlich plündern oder die Häuser anzünden und jener dessen überführt wird, verliere er das Leben oder gehe in die Verbannung, wohin ihn der Herzog schicht, und sein vermögen werde zum Staatsgut eingezogen‘; L. Bai. 2,1: ut nullus liber Baiuvarius alodem aut vitam sine capitale crimine perdat, id est si in necem ducis consiliatus fuerit aut inimicos in provinciam invitaverit aut civitatem capere ab extraneis machinaverit et exinde probatus inventus fuerit; tunc in ducis sit potestate vita ipsius et omnes res eius in patrimonium ‚kein freier Bayer verliere Erbe oder Leben ohne Kapitalverbrechen, das heißt, wenn er dem Herzog nach dem Leben getrachtet oder Feinde in das Land gerufen oder bewirkt hat, daß der Ort von Fremden eingenommen ist und er dessen überführt befunden wird; dann sei sein Leben in der Gewalt des Herzogs und sein gesamtes Vermögen (falle) in das Erbgut‘. 24 Vgl. RGA 14: 12-14. arboribus suspendunt] Die Verräter und Überläufer werden an Bäumen aufgehängt.25 Das Verb suspendere bezieht sich auf das ostendi. 25 Unverständlich ist die Aussage bei Lund 1988: 145: ”Die römische Färbung dieser Stelle zeigt sich außerdem besonders darin, daß sich Tac. eben auf diejenigen Todesstrafen konzentriert, die in den Augen der Römer für die entehrendsten galten …, was sich vor allem darin zeigt, daß Frauen, die zum Tode verurteilt waren, mit einem Strick stranguliert wurden … Die Germanen, die ja in einer Welt der Männer leben, behandeln deshalb Feiglinge … in derselben Weise, wie die Römer Frauen bestrafen.. Strangulieren ist übrigens nicht gleich Erhängen. 26 Vgl. RE Suppl. VII: 1614. Obwohl das Erhängen, und zwar an so genannten arbores infelices (die unter dem Schutz von unterirdischen Göttern standen), als Todesstrafe auch im republikanischem Rom üblich war (allerdings auch bei anderen Verbrechen; vgl. Liv. 1,26,6: infelici arbori reste suspendito ‚man soll ihm [= den Hochverräter] am Baum des Unheils aufhängen‘; ds. 1,26,11: arbore infelici suspende ‚hänge ihn an den Baum des Unheils‘; Plin. nat. 16,108: infelices autem exisitmantur damnataeque religione, quae neque seruntur umquam neque fructum ferunt ‚als Unglücksbäume aber, die von den gottesdienstlichen Handlungen ausgeschlossen sind, bezeichnet man alle, die nie angepflanzt werden und niemals Frucht tragen‘),26 liegt keine Übertragung der altrömischen Strafpraxis vor, da diese Art der Todesstrafe für die Germanen bei den antiken Autoren mehrfach bezeugt ist; vgl. Tac. ann. 1,61,4: quo tribunali contionatus Arminius, quot patibula captivis ‚auf welcher Erhöhung Arminius zum Heer gesprochen habe, wieviele Galgen für die Gefangenen‘; ebd. 4,72,3: rapti qui tributo aderant milites et patibulo adfixi ‚man [= die Friesen] überfiel die zur Tributerhebung eingesetzten Soldaten und schlug sie ans Kreuz‘; Oros. 5,16,6: homines laqueis collo inditis ex arboribus suspeni sunt ‚die Menschen mit Stricken um den Hals an den Bäumen aufgehängt‘; Prok. BG 2,15,24-25: t.. d. .epe... .f... t. ......t.. ...p.p.. ..t.. ..pep d.p....t.. p....a..t. pp.t... t..t.. ..p t. .pe. ......., .pe. .e.. a.t.. ..µ...... µ....t.. e..a.. .epe...ta. d. t.. a..µ...t.. .. ....te. µ...., .... .a. .p. ..... .peµ..te., .a. .. t.. .....a. ..pt...te., ta.. ...a.. te .te....te. .a..t.. .d.a.. ...t..ta.. ‚als deren herrlichstes [= Opfer] erscheint ihnen [= den Thuliten] aber der Mensch, und zwar der Kriegsgefangene, den sie als ersten erbeuten. Diesen weihen sie dem Ares, den sie für den obersten Gott halten. Sie opfern den Kriegsgefangenen in der Weise, daß sie ihn nicht nur einfach töten, sie hängen ihn vielmehr an ein Holz oder werfen ihn in die Dornen oder bringen ihn sonst wie auf martervollste Art um‘; in einem ganz anderen Kontext steht dagegen die viel spätere Nachricht bei Ad. Brem. 4,27: sacrificium itaque tale est: ex omni animante, quod masculinum est, novem capita offeruntur, quorum sanguine deos [tales] placari mos est. corpora autem suspenduntur in lucum, qui proximus est templo. is enim lucus tam sacer est gentilibus, ut singulae arbores eius ex morte vel tabo immolatorum divinae credantur ‚die Opferfeier geht folgendermaßen vor sich: von jeder Art männlicher Lebewesen werden neun Stück dargebracht; mit ihrem Blute pflegt man die Götter zu versöhnen. Die Leiber werden in einem den Tempel umgebenden Haine aufgehängt. Dieser Hain ist den Heiden so heilig, daß man glaubt, jeder einzelne Baum darin habe durch Tod und Verwesung der Schlachtopfer göttliche Kraft gewonnen‘. Die für das Erhängen in Frage kommenden Bäume waren nach Ausweis späterer Quellen mit Vorliebe laublose und dürre.27 27 Vgl. Amira – Eckardt 1967: 138. 28 Zum Lautlichen vgl. Lühr 2000: 300. 29 Vgl. Lühr 2000: 203. 30 So etwa Müllenhoff 1900: 242: ”die beiden synonyma … ihr unterschied modificiert sich in dieser Vereinigung nur wenig.; Schweizer-Sidler 1923: 32: ”doch ist kaum eine scharfe Scheidung der Figur vorzunehmen.; Much 1967: 213: ”Diese öfter wiederkehrende Verbindung besagt in ihren Teilen ziemlich das gleiche.; Lund 1988: 145: ”die beiden Synonyme ... stellen hier die Stilfigur Hendiadyoin dar.; Anderson 1997: ”The words … are nearly synonymous.. Für einen solche Baum ist im Ahd. das Wort wizipoum bezeugt, ein Kompositum aus wiz(z)i- ‚Strafe‘ (< urgerm. *.iti.a- [> as. witi, ae. afries. wite, aisl. víti]) und -boum ‚Baum‘ (< urgerm. *ba..ma- [> got. bagms, as. bom, ae. beam, afries. bam, aisl. baðmr]28). Der Galgen wird bezeichnet mit got. galga, ahd. as. galgo, ae. g(e)alga, afries. galga, aisl. galgi < urgerm. *galgan-, eigtl. ‚biegsamer Stamm‘, eine Ableitung zu uirdg. *g.ha/elgh- ‚biegsam sein‘.29 ignavos et imbelles] Auch in dieser stehenden Verbindung (vgl. Tac. Germ. 31,1: ignavis et inbellibus manet squalor ‚Feiglingen und Kriegsscheuen bleibt ihr Wust‘; ds. Agr. 15,3: nunc ab ignavis plerumque et inbellibus eripi domos ‚jetzt aber würden ihnen meist von Feiglingen und Kriegsuntüchtigen die Häuser entrissen‘; Liv. 26,2,11: ignavi et imbelles inter hostes ‚gegen den Feind feige und mutlos‘; Amm. 18,5,5: sed inbellis et ignavus ‚aber unkriegerisch und feige‘; Macr. sat. 2,2,3: ignaviam imbelliamque militum ‚die Feigheit und Mutlosigkeit der Soldaten‘) sind die beiden Wörter keine Synonyme, wie allgemein angenommen wird.30 Unter ignavi sind die im Krieg feigen, mutlosen Soldaten (vgl. Cic. Tusc. 2,54: ut ignavus miles ac timidus … abiecto sctuo fugiat ‚daß ein feiger und ängstlicher Soldat … den Schild wegwirft und flieht‘), dessen Gegensatz fortis und strenuus ist (vgl. Tac. Agr. 30,1 : ita proelium atque arma, quae fortibus honesta, eadem etiam ignavis tutissima sunt ‚so sind Kampf und Waffen, für die Tapferen ehrenhaft, auch für die Feigen das Sicherste‘; ds. hist. 2,46,2: fortes et strenuos etiam contra fortunam insistere spei, timidos et ignavos ad desperationem formidine properare ‚tapfere, starke Männer würden auch wider das Schicksal an der Hoffnung festhalten, furchtsame, feige eilig voll Angst in Hoffnungslosigkeit flüchten‘). Dagegen sind die imbelles die weniger Kriegstüchtigen bzw. die Unkriegerischen (vgl. Tac. hist. 4,33,4: caesorum eo die in partibus nostris maior numerus et imbellior ‚an Gefallenen gab es an diesem Tag auf unserer Seite die größere Zahl – aber es traf nur die minder Kriegstüchtigen‘; ebd. 4,80,3: alios ut imbelles … increpat ‚die anderen beschimpfte er [= Antonius] als Feiglinge‘. Jedoch wird das Wort auch häufig von Nichtkämpfenden verwendet, vgl. Tac. ann. 4,49,3: sed nihil aeque quam sitis fatigabat, cum ingens multitudo bellatorum, inbellium uno reliquo fonte uterentur ‚doch nichts quälte diesen [= dem eingeschlossenen Feind] so sehr zu wie der Durst, da für die gewaltige Menge von Kriegern und Nichtkämpfenden nur mehr eine Quelle zur Verfügung stand‘; ebd. 13,54,1: eoque Frisii iuventutem saltibus aut paludibus, imbellem aetatem per lacus admovere ripae agrosque vacuos et militum usui sepositos insedere, auctore Verrito et Malorige ‚daher führten die Friesen ihre junge Mannschaft durch Wälder und Sümpfe, die wegen ihres Alters nicht Wehrfähigen über die Seen an das Rheinufer heran und besetzten die herrenlosen, der Verwendung durch die Soldaten vorbehaltenen Ländereien unter Führung von Verritus und Malorix‘; ebd. 13,56,3: imbellis aetas in praedam divisa est ‚und was nicht im wehrfähigen Alter stand, als Beute verteilt‘), dessen Gegensatz bellicosus ist. Hier kommt Tacitus zu einer zweiten Gruppe von schweren Verbrechen, nämlich zu den Fällen, bei denen eine Person sich im Krieg passiv verhält. Auffällig ist allerdings, dass nach Ausweis von c. 6,4 das Wegwerfen des Schildes, das immerhin als flagitium (s. auch unten) bezeichnet wird, nicht die Todesstrafe nach sich zieht, sondern nur die soziale Isolation, die allerdings viele mit dem Strick beenden (laqueo finierunt). Ebenfalls werden nach c. 31,1 bei den Chatten die ignavi et imbelles nicht hingerichtet. Es ist somit davon auszugehen, dass nur besonders schwere Fälle dieses Tatbestands die Todesstrafe nach sich zogen.31 Vielleicht wird der Tatbestand auch danach beurteilt, ob dieser schon vor dem Kriegsbeginn erfüllt ist (ein solcher Vorwurf findet sich in viel späterer Zeit im Altisländischen, wo Loki dem Byggvir Feigheit vorwirft; Locasenna 46: ok þic í fletz strá 31 So auch Baumstark 1875: 486-487; Gudeman 1916: 101; Much 1967: 213; Perl 1990: 166; Rives 1999: 174. finna né mátto / þá er vágo verar ‚im Stroh unter der Bank verstecktest du dich, zogen Krieger zum Kampf‘).32 Gemäß den späteren germanischen Rechtstexten zieht dieses passive Verhalten nicht bei allen germanischen Völkern die Todesstrafe nach sich; vgl. lib. pap. lothar. § 74(71): quicumque liber homo a comite suo ammonitus … ad patriam defensandam ire neglexerit … capitalem subiaceat sententiam ‚irgendein freier Mann, der von seinem Grafen aufgefordert wird, das Vaterland zu verteidigen, und dies vernachlässigt …, fällt unter der Todesstrafe‘; dagegen (ohne Strafe) L. Vis. 9,2,5: servi dominici, qui in hoste exire conpellunt, si ab eis aliquis se forte redimerit, quantum ab eo accepit, in novecuplum comiti civitatis cogatur exolvere ‚wenn sich jemand bei den Königsdienern, die das Heeresaufgebot durchzuführen haben, freigekauft hat, so müssen sie das Empfangene neunfach dem Stadtgrafen entrichten‘. 32 So Müllenhoff 1900: 242; Anderson 1997: 87; als Möglichkeit erwogen von Much 1967: 213. 33 Nach Lund 1988: 145 gehört sie ”zu den Hauptschwierigkeiten der Germania-Forschung.. 34 Die Interpretation dieser Stelle, etwa durch solche Wissenschaftler wie K. A. Eckhardt, war verantwortlich dafür, dass die Gesetze gegen Homosexuelle im Dritten Reich radikal verschärft wurden (man vgl. hierzu Lund 1995: 60-67; K. A. Eckhardt hatte sich schon im Dezember 1933 in einem Artikel in der Zeitschrift des Reichsbundes der höheren Beamten für eine Orientierung der Strafen am ”germanischen. System ausgesprochen). Sogar noch in Much 1967: 213 finden sich folgende Bemerkungen, die der damalige Neubearbeiter W. Lange nicht für nötig gefunden hatte zu entfernen: ”die sich durch Unzucht wider die Natur vergangen haben., ”waren solche Verirrungen. und ”wurde solcher Unfug, wenn er bei Germanen selbst vorkam, sehr streng bestraft.. Bezeichnend ist auch Reeb 1933: 95, Anm. 2: ”Nach M. Hirschfeld nannte die Pariser Polizei noch im 18. Jahrh. die Homosexuellen einfach les infâmes ‚wohl in Anlehnung an die corpore infames des Tac.‘ Wie aus obigen Stellen zu ersehen ist, ist die französische Ausdrucksweise vielmehr die Fortsetzung der allgemeinen römischen Bezeichnung. (Sperrung von mir). 35 Einen praktischen Überblick über die Veröffentlichungen und die jeweiligen Interpretationen zu dieser Junktur (in Zusammenhang mit den Moorleichen) findet sich bei Lund 1991b: 2060-2073. Die Auffassung von Schäfer 1954, dass sich der Ausdruck corpore infamis auf Frauen bezieht (bereits erwogen von Thorvildsen 1952), ist hinfällig (vgl. Lund 1991b: 2065); im Folgenden wird hierauf denn auch nicht weiter eingegangen. Ebenfalls kaum zutreffend ist die Interpretation von Gaedeken 1934: 139, dass der Ausdruck corpore infamis sich auf einen Überläufer bezieht, da die Überläufer bereits vorher abgehandelt worden waren. 36 In der älteren Literatur zumeist umschrieben mit ‚unnatürliches Laster‘ oder ähnlich. So etwa ThLL IV: 1004,48 (eingeordnet unter ebd. 1003,84: ”de stupro, concubitu.); Baumstark 1875: 487; Müllenhoff 1900: 242-243; Gudeman 1916: 101-102; Schweizer-Sidler 1923: 32; Reeb 1933: 95; Lund 1988: 146; Perl 1990: 166- 167; Lund 1991a: 1896; Städele 1991: 334; Anderson 1997: 87; Rives 1999: 174-175; Benario 1999: 78; vgl. auch die entsprechende, bei Lund 1991b: 2060-2071 angeführte Literatur. 37 So etwa Beckman 1920; Sandklef 1944; Lund 1974 (zögernd). corpore infames] Diese vielfach behandelte Stelle33 hat im Dritten Reich zu weitreichenden Konsequenzen in der Rechtssprechung geführt.34 Für diese Stelle gibt es mehrere Erklärungen:35 1. Der verbreitetsten und heute wohl fast allgemein akzeptierten Auffassung zufolge steht die Junktur im Sinne von ‚homophile Männer‘,36 wobei ein Teil der Interpreten corpore infamis mit urgerm. *arga- (s.u.) gleichsetzt.37 Zur Unterstützung dieser These werden mehrere Parallelstellen (auch aus Tacitus) angeführt, die eine solche Deutung untermauern; deren Aussagewert ist allerdings zu überprüfen (s.u.). Um die dabei entstandene Zweiteilung innerhalb dieser Dreiergruppe zu überbrücken, wird angenommen, dass ”ie beiden für uns unterschiedlichen Begriffe … sich jedoch nach römischer Denkweise <überschneiden>, denn wer ein Feigling … ist, der zeigt auch ein Benehmen, das an das unmännlicher Männer … erinnert.;38 diese Behauptung wird jedoch nicht mit Textbelegen weiter abgestützt.39 38 Lund 1988: 146. 39 Auf was für schwankendem Boden man bei dieser Deutung steht, wird aus Lund 1989: 273 deutlich, wo er entgegen seiner sonstigen Auffassung, dass nur corpore infames für ‚homosexuelle Männer‘ steht, behauptet: ”Der Ausdruck ignavos et inbelles et corpore infames bezieht sich somit auf homosexuelle Männer, und zwar im negativen Sinne. Denn der Ausdruck corpore infames spielt aller Wahrscheinlichkeit nach auf Prostitution an.. 40 Much 1967: 213-214; so auch Weiser-Aall 1933: 212; Strömbäck 1942; Ström 1986. 41 Vgl. ausführlich Schuhmann 2002: 462. 42 Nicht aussagekräftig sind die Angaben bei antiken Autoren über Homosexualität bei den Germanen, da sie tendenziös sind oder sein können (vgl. Rives 1999: 174 mit Stellenangaben). 43 Die Argumentation von Rives 1999: 175: ”and the lack of later laws regulating specific practices does not prove that they could not in earlier periods have been liable to severe punishment at the hands of the community. geht natürlich ins Leere, da seine Schlussfolgerung erst recht nicht beweisfähig ist. 44 Die wenigen Ausnahmen, nämlich lex Visigoth. 3,5,4 und eine Verordnung im Skandinavischen Recht aus dem 12. Jh. sind sicher auf den Einfluss des Römischen Rechts zurückzuführen; vgl. Gade 1986. 2. Much vergleicht dagegen die gesamte Dreierreihe ignavus et imbellis et corpore infamis mit dem Wort aisl. argr, ragr ‚feig, weibisch‘ und behauptet: ”Für die Germanen verbinden sich also diese Begriffe, und man versteht, warum er die angeführten Vergehen alle mit derselben Strafe belegt. Ja, ein des Lateinischen kundiger Germane hätte das einzige Wort arg in seinen verschiedenen Bedeutungen durch ‚ignavus et imbellis et corpore infamis‘ wiedergeben können … Todesstrafe … traf die ‚Argen‘, die ignavi, imbelles und corpore infames zugleich waren..40 Diese Dreierreihe stünde somit als lateinische ‚Übersetzung‘ für urgerm. *arga- (> ae. earg, afr. erg, ahd. ar(a)g, ais. argr, ragr; ebenfalls lgb. arga [vgl. ebenfalls Paul. 6,24: memento, dux Ferulf, quod me esse inertem et inutilem dixeris et vulgari verbo arga vocaveris ”‚denke daran, Herzog Ferdulf, dass du mich einen feigen und untüchtigen Mann oder in unserer Sprache einen Arga genannt hast‘.). Nun lassen sich die tatsächlich belegten Bedeutungen der einzelsprachlichen Fortsetzer lediglich auf eine ursprüngliche Bedeutung ‚nutzlos, ohne Nutzen, wirkungslos‘ für urgerm. *arga- zurückführen,41 so dass sie kaum als Grundlage für die Dreierreihung ignavus et imbellis et corpore infamis gedient haben wird. Gegen die Deutung von corpore infamis bzw. der gesamten Junktur spricht übrigens auch,42 dass in den späteren germanischen Gesetzestexten von einer Bestrafung von Homosexuellen keine Rede43 ist.44 3. Ebenfalls wurde daran gedacht, die Junktur als ‚körperlich gezeichnet‘ zu deuten, im Sinne von ‚Selbstverstümmler‘.45 Für eine solche Bedeutung haben sich allerdings keine weiteren Parallelen gefunden. 45 So etwa Steiner 1941; Dieck 1986. 46 Ebenso bereits Hammerich 1968: 281-282, der in der Dreierreihung Synonyme erblickt: ”ein typischer Taciteischer dreigliedriger Ausdruck: ‚… feige, kriegsuntüchtige, weibische Memmen‘.. Warum Lund 1991b: 2068 diese Auffassung so kategorisch ablehnt, bleibt, in Anbetracht seiner Auffassung, dass die Begriffe ‚Feigheit‘ und ‚homosexuell‘ sich überschneiden, unklar. Letztendlich auch Rives 1999: 174: ”Since such men were assumed to be inherently cowardly, it is likely enough that all three of the terms Tacitus uses here denote one class of person, rather than two separate classes of cowards and passive homosexuals.. 47 So bereits zutreffend Holtzmann – Holder 1873: 190: ”In diesem Zusammenhang kann corpore infames nicht von einem unnennbaren Laster, wie alle Ausleger thun, verstanden werden.. Der Ansatz von Much ist jedoch in dem Punkt durchaus richtig, dass in der Dreierreihung (ignavus, imbellis, corpore infamis) eine zusammengehörige Gruppe zu sehen ist, die inhaltlich auf dasselbe abzielt.46 Da sich die beiden ersten Begriffe (ignavus, imbellis) auf das – aus verschiedensten Gründen – Nichtausführen von Kriegshandlungen beziehen, ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich auch corpore infames hierauf beziehen wird. Es muss somit mit der Junktur corpore infamis eine Eigenschaft bezeichnet werden, welche die Nichtteilnahme am Krieg begünstigt. Homosexualität kann jedenfalls kaum als eine solche Eigenschaft angesehen werden.47 Nun wurden aus Tacitus zwei Parallelstellen angeführt, welche die Deutung als Homosexueller für die Junktur corpore infamis beweisen würden. Von diesen ist aber nur eine Stelle, nämlich Tac. ann. 15,49,4, für die Interpretation der Junktur tatsächlich aussagekräftig, da sich aus der zweiten Parallelstelle, Tac. ann. 1,73,2: Cassium quendam mimum corpore infamem ‚einen gewissen Cassius, einen durch corpore infamis berüchtigten Schauspieler‘ für die Bedeutung von corpore infamis nichts ableiten lässt. In Tac. ann. 15,49,4 findet sich nun eine Gegenüberstellung zweier Personen, die eine Verschwörung gegen Nero geleitet hatten: nam Scaevino dissoluta luxu mens et proinde vita somno languida; Quintianus mollitia corporis infamis et a Nerone probroso carmine diffamatus contumeliam ultum ibat ‚denn Scaevinus hatte durch sein ausschweifendes Leben jegliche Energie eingebüßt und verbrachte daher sein träges Leben im Halbschlaf; Quintianus, wegen mollitia corporis in Verruf gebracht und von Nero in einem Schmähgedicht verschrieen, wollte die Beleidigung rächen‘. Der Erstere ist dissoluta luxu und vita somno languida, also geistig erschlafft. Der Zweite ist dagegen mollitia corporis infamis und a Nerone probroso carmine diffamatus. Durch die sicher bewusste Gegenüberstellung liegt es nahe, anzunehmen, dass der Zweite körperlich erschlafft ist; von expliziter Homosexualität kann somit nicht die Rede sein. Es werden hier also solche Männer bezeichnet, die nicht für den Krieg taugen, womöglich dicke Personen, die ein zu luxuriöses Leben führen. Gegen die Bedeutung ‚Homosexueller‘ spricht auf jeden Fall auch die Bedeutungsbreite von infamis. Im ThLL VII,1: 1342,30-31 ist nur eine einzige Stelle aus dem Cod. Theod. 9,7,3 (cum vir nubit in feminam … ut exquisitis poenis subdantur infames, qui sunt vel qui futuri sunt rei ‚wenn ein Mann sich nach Weiberart einer Hure gleich Männern Preis giebt … damit diejenigen, welche jetzt und künftig sich dessen schuldig gemacht, als Infamierte der ausgesuchten Strafe unterworfen werden‘) angeführt, in der infamis im Sinne von ”sexus perversus. benutzt ist.48 Jedoch hat das Wort selbst auch hier nicht die Bedeutung ‚Homosexueller‘, sondern steht lediglich im Sinne von ‚der einen schlechten Ruf hat‘. Ebd. 1340,75-76 ist schließlich die nämliche Junktur ebenfalls in einem kriegerischen Kontext aufgelistet, nämlich zur Beschreibung eines Überläufers: Liv. 22,22,7: ceterum transfugam sine magnae rei proditione venientem ad hostes nihil aliud quam unum vile atque infame corpus esse ratus, id agebat, ut quam maximum emolumentum novis sociis esset ‚er [= Abalux] glaubte, ein Überläufer, der nichts Wichtiges verrät, bringe nichts mit als sein unbedeutendes und ehrloses Ich. So bemühte er sich sehr, seinen neuen Freunden von möglichst großem Nutzen zu sein‘. 48 Aufschlussreich ist auch Adams 2002, der weder infamis oder corpore infamis im Index auflistet, womit nahe gelegt ist, dass das Wort keine spezifisch sexuelle Bedeutung hat, noch eine der oben genannten Stellen aus Tacitus zitiert; im Übrigen ist auch mollitia nicht im Index vorhanden. 49 Robinson 1991: 288 sieht das nur in den Hss. Wh erscheinende et als alt an und nimmt es im Sinne von etiam in seinen Text auf; dieses et will er ebenfalls in pro und positos der Hss. abrlezuARce wiederfinden (s. Fn. 70), was er als fehlerhafte Auflösungen erklärt. Diese Ansicht ist jedoch mit Perret 1950: 54 (”nous n’en voyons guère la possibilité.) abzulehnen. Er übersieht hierbei jedoch, dass ein solches steigerndes et vor dem zugehörigen Wort steht, man somit annehmen müsste, dass die Körper mit noch etwas anderem bedeckt wären. 50 Vgl. Gudeman 1916: 102; Reeb 1933: 32; Much 1967: 214; Lund 1988: 146; Perl 1990: 93; Rives 1999: 82; Benario 1999: 78. caeno ac palude iniecta insuper crate mergunt]49 Die Verbindung caeno ac palude (vgl. zur Verbindung u.a. Ov. met. 1,418-419: caenumque udaeque paludes / intumuere aestu ‚schwellend in Hitze, gegoren der Sümpfe Nässe und Schlamm‘; Plin. nat. 32,39: tertium genus testudinum est in caeno et paludibus viventium ‚die dritte Schildkrötenart ist die im Schlamm und in Sümpfen lebende‘) wird von einigen als Hendiadyoin aufgefasst,50 was jedoch nicht zwingend ist (vgl. denn auch Val. Max. 8,2,3: quae postea Marium hostem a senatu iudicatum caenoque paludis, qua extractus erat, oblitum ‚die [= Fannia] später Marius nach Kräften unterstützte; als dieser vom Senat zum Staatsfeind erklärt worden war, hatte man ihn schlammbedeckt aus einem Sumpf gezogen‘), da in caenum stets der Nebenbegriff des Ekelhaften enthalten ist. Dass in dieser Allgemeinheit die kriegsunwilligen Menschen ertränkt werden konnten, vermochte Tacitus umso leichter behaupten, da für ihn Germanien, wie aus c. 5,1 hervorgeht, zum größten Teil paludibus foeda ‚abstoßend wegen der Sümpfe‘ war.51 51 So auch Perl 1990: 167. 52 Vgl. zu diesem Gebrauch ThLL VII,1: 2054,53-2055,9. 53 Vgl. Gerber – Greef 1962: I, 659. 54 Vgl. Perret 1950: 54; Robinson 1991: 125, 144-145; Perret 1997: 78. 55 Vgl. Perret 1950: 54; zu solchen Fehlern vgl. Robinson 1991: 247-248. 56 So u.a. Schweizer-Sidler 1923: 32-33; Reeb 1933: 95; Lund 1988: 146; Perl 1990: 167; als Möglichkeit auch bei Benario 1999: 78. 57 So auch Anderson 1997: 88; als Möglichkeit ebenfalls bei Benario 1999: 78. 58 So Lund 1988: 146; offenbar auch Rives 1999: 176: ”Drowning seems to have been a relatively infrequent cause of death, contrary to what is implied here.. 59 Auch das obige suspendere weist streng genommen nicht unbedingt darauf hin, dass die Betroffenen erhängt wurden, sondern nur, dass sie aufgehängt wurden; die Todesart ist also auch beim Verb suspendere offen gelassen. Das Adverb insuper hat hier die wörtliche Bedeutung,52 wie sie bei Tacitus nur noch in c. 16,3 und c. 34,1 vorkommt: utraeque nationes usque ad Oceanum Rheno praetexuntur ambiuntque immensos insuper lacus et Romanis classibus navigatos ‚beide Stämme werden bis zum Ozean hin vom Rhein umsäumt und umschließen zudem unermessliche Seen, welche auch schon von römischen Flotten durchfahren wurden‘.53 Mit cratis (in den Hss. findet sich die Lesart crate in hc.pQtfbETdvormones2, dagegen cgrate in B, grate am Rande crate in W, grate in s, gratem in m, create in C, procrate in lzuAce, pro crate in br, proiecte in R, positos rate in a,54 wobei wohl eine einfache Verwechselung zwischen c und g vorliegt55) kann jede Art von Flechtwerk bezeichnet werden. Ob, wie allgemein angenommen wird, das Flechtwerk zur Verhinderung des Wiederkehrens des Toten diente,56 scheint auch in Anbetracht derselben Gewohnheit bei den Römern (s.u.) durchaus fraglich. Es werden sicher mehr praktische Gründe vorgelegen haben, wie das Verhindern des Wiederauftauchens des Leichnams.57 Das Verb mergere bedeutet allgemein ‚versenken‘, braucht somit nicht die spezielle Bedeutung ‚ertränken‘ zu haben.58 Es ist also hier nicht gesagt, dass diese Menschen nur durch Ertränken hingerichtet werden, sie könnten ebenso gut auf andere Weise zu Tode gekommen und anschließend versenkt worden sein.59 Das Versenken bezieht sich auf das abscondi (s.u.). Der Wortlaut und Inhalt der Stelle erinnert stark an Liv. 1,51,9: deiectus ad caput aequae Ferentinae crate superne iniecta saxisque congestis mergetur ‚man stürzte ihn in die Ferentinaquelle und ertränkte ihn [= Turnus], indem man Flechtwerk über ihn warf und es mit Steinen beschwerte‘; Liv. 4,50,4: quos necari sub crate iusserat ‚die – seinem Befehl gemäß – unter Flechtwerk getötet werden sollten‘. Diese Strafe ist auch sonst in der Antike mehrfach bezeugt; vgl. Plaut. Poen. 1025-1026: sub cratim ut iubeas se supponi átque eo / lapides imponi multos, ut sese neces ‚du sollst befehlen, daß man unter einen Korb ihn setz und so viel Steine darauf werfe, bis den Geist er aufgibt‘; Curt. 10,4,2: itaque rursus – nam parumper, quibus imperatum erat, dubitaverant – mergi in amnem, sicut vincti erant, iussit ‚er befahl daher wie zuvor – denn einen Augenblick hatten die Beauftragten gezögert – jene, gefesselt wie sie waren, im Fluß zu ertränken‘; lebendiges Begraben findet sich u.a. bei Hdt. 7,114,2: pep..... d. t. ....ta. .at.p...e.. ‚es ist persische Sitte, Menschen als Opfer lebendig zu begraben‘. Da es sich bei den Verbrechen um Kriegsverbrechen handelt, die nach Ausweis von c. 7,1 im Krieg vom Priester geahndet werden, liegt der Gedanke nahe (obwohl er nicht zum Ausdruck gebracht ist), dass auch die Bestrafung der auf der Volksversammlung verhandelten Verbrechen von den Priestern, die auf der Versammlung anwesend sind, vollstreckt wird. Spätere Quellen bezeugen lediglich das Ertränken im Moor von Frauen; vgl. lex Gundobada, 34,1: si qua mulier maritum suum, cui legitime est iuncta, dimiserit, necetur in luto ‚trennt sich ein Weib von seinem rechtmäßigen Mann, so soll man es im Sumpf ertränken‘; Guðrún. 3,11: leiddo þá mey í mýri fúla ‚da führten sie die Magd zum faulen Moor‘; jedoch Ulrich Boner, Edelstein, 32,27: man sprichet, wer von vorhten stirbt, daz der im selber daz erwirbt daz man in sol in mel begraben (vgl. auch – jedoch nach der Wiederentdeckung der Germania und vielleicht von ihr beeinflusst – Fischart, Flöhhatz 227- 228: dan welcher stirbet gleich vor schrecken, / den soll man mit Kükat bedecken). Nicht hiermit in Verbindung zu bringen ist die Angabe in L. Fris. add. sap. XI,1: qui fanum effregerit et ibi aliquid de sacris tulerit, ducitur ad mare, et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur aures eius, et castratur et immolatur diis, quorum templum violavit ‚wer ein Heiligtum aufbricht und dort etwas von den Weihsachen nimmt, werde zum Meer geführt, und auf dem Sande, den die Flut des Meeres zu bedecken pflegt, werden seine Ohren aufgeschlitzt, und er wird entmannt und den Göttern hingeopfert, deren Tempel er entehrte‘. Anders schließlich auch die Mitteilung in Tac. Germ. 40,4: servi ministrant, quos statim idem lacus haurit ‚das besorgen Sklaven, die alsbald dieser selbe See verschlingt‘. Da die Interpretation der tatsächlich gefundenen Moorleichen bereits Schwierigkeiten bereitet, ist ihre Verknüpfung mit diesem Bericht durchaus fraglich.60 diversitas supplicii illuc respicit] Zum Ausdruck vgl. c. 39,2: eoque omnis superstitio respicit, tamquam ‚und der ganze Kult beruht auf dem Glauben, dass‘. 60 Vgl. RGA 20: 222-229 61 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 456. 62 Vgl. Georges 1988: II,2522-2523. 63 Vgl. ThLL VI,1: 840,56: ”id quod dedecus affert, malum factum.. tamquam im Sinne eines Aussagesatzes im AcI ist bei Tacitus sehr häufig; der Inhalt hat subjektive Färbung.61 tamquam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagitia abscondi] Die moralisierende Schlussbetrachtung stammt von Tacitus, wobei römische Begriffe den Germanen untergeschoben wurden. Es wird von Tacitus eine Unterscheidung zwischen scelera und flagitia gemacht. Beide Wörter werden häufiger nebeneinander verwendet, vgl. etwa Tac. ann. 13,47,1: hactenus Nero flagitiis et sceleribus velamenta quaesivit ‚bis jetzt suchte Nero seine Schandtaten und Verbrechen noch zu bemänteln‘; Cic. fam. 9,2,1: cum omnes in omni genere et scelerum et flagitiorum volutentur ‚wo sich alles in einem Wust von Schandtaten und Verbrechen wälzt‘; Sall. Iug. 15,2: gratia, voce, denique omnibus modis pro alieno scelere et flagitio, sua quasi pro gloria, nitebantur ‚mit ihrem Einfluß, ihrer Beredsamkeit, kurz, in jeder Weise machten sie sich stark für die verbrecherische Tat eines Fremden, als gelte es ihren eigenen Ruhm‘; Sen. dial. 1,6,1: scelera et flagitia ‚Verbrechen, entehrende Taten‘; Flor. epit. 1,47: sine flagitio, sine scelere ‚ohne Schandtat, ohne Verbrechen‘. scelus62 ist eine Tat, die andere verletzt, flagitium63 dagegen eine Tat, die dem Fehlenden selbst zur Schande gereicht, wozu in militärischem Kontext auch Verrat und Feigheit gehören (vgl. Cic. Tusc. 4,73: quasi vero ipse non propter lubidinem tanta flagitia et faciat et dicat ‚als ob er nicht selbst wegen eben dieses Begehrens so viele Schändlichkeiten täte und sagte‘; ds. Cat. 2,25: hinc pietas, illinc scelus ‚hier Pflichtgefühl, dort Ruchlosigkeit‘; ds. Cato 40: hinc patriae proditiones, hinc rerum publicarum eversiones, hinc cum hostibus clandestina colloquia nasci, nullum denique scelus, nullum malum facinus esse, ad quod suscipiendum non libido voluptatis impelleret; stupra vero adulteria et omne tale flagitium nullis excitari aliis illecebris nisi voluptatis ‚es sei dies eine Quelle des Hochverrats, der Revolutionen und geheimer Unterhandlungen mit dem Feind; kurz: kein Verbrechen, keine Schandtat sei denkbar, die nicht durch die Begierde nach sinnlicher Lust veranlaßt werden könnte; Unzucht aber und Ehebruch und alle derartigen Schändlichkeiten seien auf keinen anderen Anreiz zurückzuführen als eben auf die Sinnlichkeit‘; Liv. 39,16,1: minus tamen esset, si flagitiis tantum effeminati forent – ipsorum id magna ex parte dedecus erat –, a facinoribus manus, mentem a fraudibus abstinuissent ‚es wäre jedoch weniger wichtig, wenn sie nur durch ihr schimpfliches Tun weibisch geworden wären – das war zum großen Teil ihre eigene Schande – und ihre Hände von Untaten und ihren Geist von Verbrechen ferngehalten hatten‘; Aug. doctr. christ. 3,10: quod autem agit indomita cupiditas ad corrumpendum animum et corpus suum, flagitium vocatur, quod autem agit ut alteri noceat, facinus dicitur; et haec sunt duo genera omnium peccatorum ‚was die ungezähmte Begierlichkeit tut, um die geistige Seele und den eigenen Leib zu verderben, das heißt man Schandtat, was sie aber tut, um dem Nächsten zu schaden, das nennt man Übeltat. Das sein zwei Arten, in die man alle Sünden einteilt‘). Die germanischen Sprachen kennen als Ausdrücke hierfür: a. ahd. fravali, ae. fræfel < *fraflin- ‚Frevel‘, eine Ableitung vom Adj. urgerm. *frafl(.)a- ‚rücksichtslos‘ (> ahd. fravali, as. fravol, ae. fræfel[e]);64 64 Vgl. RGA 9: 583-584. 65 Vgl. Casaretto 2004: 322. 66 Vgl. die Angabe bei Gudeman 1916: 102. 67 Ausnahmen sind etwa Passow 1817: 18; Günther 1826: 18; Tross 1841: 11; Holtzmann – Holder 1873: 38; Baumstark 1875: 491. 68 Mit dem Ausfall eines Wortes rechnet dagegen Lenchantin de Gubernatis 1949: 10: ”poenarum .. 69 Mützell 1856. 70 Robinson 1991: 54, 288. b. got. fairina, ahd. as. firina, ae. firen, afries. firne, ferne < urgerm. *ferino- neben aisl. firn < *ferinu- ‚das Außergewöhnliche, aus dem Althergebrachten Herausfallende‘ (vgl. auch die Komposita ahd. firintat, as. firindad, firinwerk, ae. firenweorc, aisl. firnarverk).65 Bei der indirekten Rede gebraucht Tacitus dum in der Regel mit dem Indikativ.66 2 sed et levioribus delictis pro modo poenarum equorum pecorumque numero convicti multantur] Von fast allen neueren Herausgebern wird – in Nachfolge von Acidalius – das in allen Hss. einhellig überlieferte poenarum in poena abgeändert.67 Daneben finden sich noch zwei weitere Emendationen, die sich zu Recht nicht haben durchsetzen können, obwohl sie sich näher an die Überlieferung halten:68 poena rata69 und poena nam.70 Das angeblich fehlerhafte poenarum wurde dabei folgendermaßen begründet: ”Überliefert ist poenarum, das in seiner Endung den folgenden Genitiven angeglichen ist..71 Problematisch dabei ist, dass die Emendation von poenarum zu poena erst vorgenommen werden konnte, nachdem man nach poenarum eine Interpunktion (Doppelpunkt) eingesetzt hatte, da der Satz sed et levioribus delictis pro modo poenarum: keinen Sinn ergibt. Eine solche Interpunktion ist jedoch von der hss. Überlieferung her kaum gerechtfertigt.72 Nun ergibt aber der Text, so wie er überliefert ist, einen verständlichen Sinn.73 Dabei ist levioribus delictis als eine Art Ablativus absolutus (‚bei leichteren Vergehen‘) zu fassen.74 Die Präposition pro wird von der Gemäßheit gebraucht,75 die gesamte Wendung pro modo poenarum somit für ‚gemäß des Strafmasses‘,76 und zwar je nachdem wie hoch die Strafe bei jedem Delikt angesetzt ist.77 Das durch pro modo poenarum zum Ausdruck gebrachte Relative des Strafmasses erklärt auch, warum bei equorum pecorumque numero nicht noch wie in c. 21,1: certo armentorum ac pecorum numero ‚mit einer bestimmten Zahl von Groß- und Kleinvieh‘ certo steht. pro modo poenarum und certo sind inhaltlich identisch.78 71 Much 1967: 217; so auch Müllenhoff 1900: 247-248; undeutlich ist dagegen die Bemerkung bei Lund 1988: 147: ”Poena ist übrigens eine Emendation Acidalius’ der Lesart der Hss. poenarum, denn es heißt unten pars multae (= pars poenae) der Variation halber.. 72 Vgl. auch, allerdings unter anderen Voraussetzungen, Müllenhoff 1900: 248: ”lässt man sie [= die Lesart poenarum] in der tat gelten, so würde natürlich das kolon, das jetzt hinter poena erforderlich ist, fallen.. 73 Vgl. zutreffend (auch allgemeingültig) Holtzmann – Holder 1873: 191: ”da damit [= mit der hss. Überlieferung] ein passender Sinn sich ergibt, so darf nicht geändert werden.. 74 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 248. 75 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 516. 76 Zu modus im Sinne von mensura vgl. ThLL VIII: 1252,69: ”i.q. mensura.; so auch Baumstark 1875: 492. 77 Vgl. hierzu Baumstark 1875: 491-493. Der Einwand von Müllenhoff 1900: 248: ”müsste es nicht notwendig pro modo delicti oder delictorum heißen?. ist daher hinfällig. Aus diesem Grund ist auch die Anmerkung von Gudeman 1916: 102: ”Danach scheint T. noch nichts über die Abstufung der Buße je nach dem Rang des geschädigten Klägers gewusst zu haben. nicht richtig. 78 Vgl. auch Baumstark 1875: 492. 79 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 9. 80 Anders Anderson 1997: 88, der in sed et … exsolvitur eine Parenthese sieht. Perl 1990: 167-168 will sich zwischen beiden Möglichkeiten nicht entscheiden. sed et steht, wie stets bei Tacitus, im Sinne von sed etiam.79 Wie zum einen der enge Anschluss, zum anderen weiter unten die Bemerkung pars multae regi vel civitati ‚ein Teil der Strafe … an den König bzw. die Stammesgemeinschaft‘ zeigt, werden auch diese leviora delicta auf der Volksversammlung behandelt.80 Der Ausdruck levioribus delictis (zum Ausdruck vgl. u.a. Cic. Mur. 62: at leve delictum est ‚doch die Missetat ist gering‘; Sil. 13,844-845: neque enim leviora domantur / delicta ‚werden gleichschwere Frevel gezüchtigt‘) lässt einen weiten Spielraum zu. Aus der Bemerkung in c. 21,1 über die Sühnung von Totschlag zu urteilen, fällt auch dieser unter die leviora delicta. Dass die Buße in der Form von Vieh bezahlt wird, erklärt sich aus dem weithin Fehlen von Geld (s. c. 5,3). Da pecora an dieser Stelle equi gegenübergestellt ist, liegt hier nicht die Bedeutung ‚Kleinvieh‘, sondern die allgemeinere vor, also eine andere als in c. 21,1 (s.o.). Die Wiedergutmachung mit Vieh findet man auch noch in späterer Zeit.81 Die späteren Volksrechte weisen jedoch auch Geldangaben auf, obwohl es möglich ist, dass die Summen in der Regel mit Vieh beglichen wurden.82 In diesen Gesetzen ist für fast jedes erdenkliche Vergehen die Buße genauestens festgelegt.83 81 Daneben findet sich auch Getreide als Zahlung; von Pferden ist demgegenüber keine Rede mehr; vgl. Amira – Eckhardt 1967: 141-142. 82 Vgl. etwa die L. Rib. 36,11, wo es eine ‚Umrechnungstabelle‘ zwischen Geld und Vieh gibt. 83 Vgl. allgemein RGA 17: 179-180; ebd. 24: 218; Amira – Eckhardt 1967: 141-142. 84 Zum generellen Plural vgl. Kühner – Stegmann II,1: 86-87. 85 Vgl. Lühr 2000: 319; Casaretto 2004: 64. 86 Vgl. Lühr 2000: 233; Casaretto 2004: 103-104. 87 So Lund 1988: 147. 88 Vgl. auch Baumstark 1875: 493: ”Tacitus charakterisiert diese pars multae quae regi vel civitati exsolvitur in gar keiner Weise auch nur etwas genauer.; wohl auch Schweizer-Sidler 1923: 33: ”Die multa zerfällt auch später noch in zwei (nicht immer gleiche) Teile.. 89 Gudeman 1916: 103; zur Begründung: ”denn über die rechtlichen Bestimmungen … bei den wenigen germanischen Gemeinwesen, denen T eine monarchische Regierung zuschreibt, konnte er noch keine Kunde besitzen.. 90 Much 1967: 218; ebenso Baumstark 1875: 495; Müllenhoff 1900: 248; Reeb 1933: 90; Lund 1988: 147; Anderson 1997: 89; wohl auch Schweizer-Sidler 1923: 33. 91 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 107-110. Der Plural convicti hat unbestimmte Bedeutung.84 Für das Vergehen kennen die germanischen Sprachen das Wort got. dulgs, ahd. tolc, ae. dolg, afries. dolg, dolch, aisl. dolg < urgerm. *dulga- m./n. ‚Schuld‘.85 Als Ausdruck für die Buße verwenden die germanischen Sprachen das Wort got. bota, ahd. buoz(a), as. bota, ae. bot, afries. bote, aisl. bót < urgerm. *boto- f. ‚Buße‘.86 pars – pars] pars steht hier wohl nicht im Sinne von ”die Hälfte.,87 sondern meint unbestimmt ‚ein bestimmter Teil‘.88 multae regi vel civitati] Ein Teil der Buße wird also an den Staat bzw. die Staatsführung bezahlt. Die Tatsache, dass Tacitus hier nicht – wie in c. 10,2 – rex vel princeps civitatis schreibt, sondern den princeps bzw. die principes übergeht, wurde unterschiedlich bewertet. Nach Gudeman ist ”regi auch hier = princeps civitatis..89 Dagegen will nach Much ”Tac. … wohl nur dem Fall Rechnung tragen, daß es sich nicht um ein Königreich handelt, sondern um einen Stamm, an dessen Spitze mehrere principes stehen..90 Da vel aber disjunktive Funktion hat,91 liegt es nahe, dass entweder die civitas einen Teil der Buße erhält oder der König (wohl weil dieser als Repräsentant der civitas fungiert).92 Es wird also eine eindeutige Trennung vorgenommen zwischen solchen Völkerschaften, die einen rex haben, und solchen, bei denen kein rex an der Spitze steht. Dass solche Stämme damit ”egalitär sind.,93 ist jedoch nicht gesagt. 92 Unwahrscheinlich ist die ebenfalls mögliche Deutung, dass der öffentliche Bußteil in derselben Völkerschaft entweder an den rex oder an die civitas geht. 93 Lund 1988: 147. 94 Vgl. Amira – Eckhardt 1967: 141. 95 Die Lesart uindicauit in bB (vgl. Robinson 1991: 195) beruht sicher auf einer falschen Auflösung einer Abbreviatur. Auch noch in späteren Zeiten ist eine Zahlung an die Öffentlichkeit üblich, obwohl hier zumeist nur der Herrscher als alleiniger Einnehmer genannt wird.; vgl. E. Roth. 9: si quis qualemcumque hominem ad regem incusauerit … et si prouare non potuerit … uuergild suo conponat, medietatem regi, et medietatem cui crimen iniectum fuerit ‚wenn jemand irgendwen um etwas … beim König anklagt … kann aber [jener] den Beweis nicht führen … so muß … sein Wergeld erlegen, halb an den König, halb an den der Tat Bezichtigten‘; ebd. 13: unusquisque conponat solidos quinquagenta, medietatem regi et medietatem, cui solacia denegauerit ‚so muß er 50 Schillinge erlegen, halb an den König, halb an den, dem er die Hilfe abgeschlagen hat‘; ebd. 18: medietatem regi et medietatem, cui iniuria inlata fuerit ‚halb an den König, halb an den, dem wider Recht geschah‘; ebd. 26: medietatem regi et medietatem, cui ipsa iniuria inlata fuerit aut mundius de ea pertenuerit ‚halb an den König, halb an die, der solche Unbill widerfahren ist, oder an ihren Muntwalt‘; L. Fris. 16,1: die homicidio ad partem dominicam pro freda XXX solidi componuntur, qui sol(idus) tribus denariis constat ‚für einen Totschlag werden an den königlichen Teil als Friedensgeld 30 Schillinge gebüßt, welcher Schilling aus drei Pfennigen besteht‘. Dieser Teil wird als ‚Friedensgeld‘ (germ.-lat. fredus, afränk. frethu, afr. fretho, frethopanning, aisl. friðkaup, landkaup) bezeichnet.94 ipsi, qui vindicatur, vel propinquis eius]95 Das hier ebenfalls durch disjunktives vel getrennte propinquis eius bezieht sich auf den Fall, dass der Betroffene nicht mehr am Leben war, also auf ein Tötungsdelikt. In den späteren germanischen Gesetzen erhalten die Verwandten eine je nach Verwandtschaftsgrad genau abgestufte Buße. 3 eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque reddunt] Dies ”ist wieder ein viel besprochener und viel umstrittener satz.,96 und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist die genaue Interpretation von pagus vicusque unklar, zweitens wird die einhellig überlieferte Verbalform reddunt teilweise in reddant abgeändert. 96 Müllenhoff 1900: 250; vgl. auch Fuhrmann 1995: 74: ”ein dunkler Passus.. 97 Vgl. Baumstark 1875: 495-496; Müllenhoff 1900: 251; Gudeman 1916: 103; Schweizer-Sidler 1923: 33-34; Much 1967: 218; Perl 1990: 168; Anderson 1997: 89. 98 Dies wäre mit dem Verbum creare zum Ausdruck gebracht worden (vgl. Baumstark 1875: 496; Müllenhoff 1900: 251; Gudeman 1916: 103; Schweizer-Sidler 1923: 33). Anders Lund 1988: 148: ”Unsere Stelle handelt somit von der Wahl der künftigen als eine Art Richter fungierenden principes.. 99 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 250; Perl 1990: 168. 100 Anders, nämlich mit Hinweis auf c. 13,2, Kristensen 1983: 24. 101 Vgl. etwa Lund 1988: 87: ”Hieraus ergibt sich, daß die Partikel et an dieser Stelle besagt, daß in den schon erwähnten Concilien außer den schon genannten Rechtshandlungen auch die Wahl der principes … stattfindet.; Rives 1999: 82: ”Likewise … are chosen the leaders.; Benario 1999: 27: ”Chieftains … are also selected.; 102 Vgl. Reeb 1933: 33; Perl 1990: 168; Anderson 1997: 89. 103 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 9. 104 Lund 1988: 147. 105 Perl 1990: 168 schließt dagegen aus et ”[d]ieselben concilia, die aus den principes die reges und duces Mit eliguntur in iisdem conciliis et principes wird eine weitere Aufgabe der Versammlungen erwähnt, nämlich die Auswahl von Recht sprechenden Anführern. Das Verb eligere wird in den neueren Interpretationen so gedeutet,97 dass es sich um eine Auswahl aus den vorhandenen Anführern handele, welche die Recht sprechende Funktion übernehmen, da sonst das Verb creare zu erwarten sei.98 Jedoch wird das Verb eligere von Tacitus auch bei der Wahl zum Römischen Kaiser verwendet (vgl. hist. 1,16,1: loco libertatis erit quod eligi coepimus ‚als Ersatz für die Freiheit wird es gelten, daß mit uns die Wahl eingesetzt hat‘). Entscheidender als das bloße Verb eligere ist die Deutung des Nebensatzes qui iura per pagos vicosque reddunt, der hier anstelle eines Adjektivs ,Recht sprechend‘ steht.99 Die Anführer werden somit in die Funktion der ,Rechtsprechung‘ hineingewählt, müssen also schon principes sein.100 Der Plural in iisdem conciliis ist distributiv aufzufassen, bedeutet somit ,auf eben solchen Versammlungen (sc. wo auch angeklagt werden darf)‘. Unklar ist die Interpretation von et. Von manchen wird et zu eligere gezogen,101 von anderen dagegen auf principes bezogen.102 Von der Position her kommt nur Letzteres in Betracht.103 Der Einwand von Lund, dass aber ”im Vorhergehenden … nicht von irgendeiner Wahl die Rede gewesen. sei,104 ist kaum stichhaltig, da andere Wahlvorgänge übergangen sein können105 (ebenso wie in c. 12,1 bei accusare quoque ‚auch Anklage erhoben … werden‘ andere Vorgänge ausgelassen sein werden).106 wählen (7,1), wählen auch die Richter aus.. Hieraus schlussfolgert er weiter, dass es nur einen Recht sprechenden princeps pro Stammesgemeinschaft gegeben hätte. Das Problem bei diesem Vergleich ist allerdings, dass in c. 7,1 die Wahl nicht im Zusammenhang mit einer Versammlung geschildert wird. Es ist somit anzunehmen, dass auf einer Volksversammlung mehrere principes zu Richtern gewählt wurden. 106 Vgl. allgemein Müllenhoff 1900: 251, dass ”auf das unschuldige wort et zu viel gewicht. gelegt wurde. 107 Vgl. Gudemann 1916: 103. 108 Müllenhoff 1900: 252. 109 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 252; Schweizer-Sidler 1923: 34; Much 1967: 218-219; wohl auch Perl 1990: 168- 169; Anderson 1997: 89. 110 Vgl. Baumstark 1875: 497 111 Lund 1988: 147-148. Unklar ist ebenfalls, wie lange diese principes das Richteramt ausübten.107 Einen Hinweis auf eine zumindest nicht lebenslängliche Anstellung scheint der Plural in conciliis zu geben, der womöglich eine sich regelmäßig wiederholende Handlung ausdrücken soll. Die Fügung iura (ius) reddere bezieht sich wie iura/ius dicere auf zivilrechtliche Streitigkeiten. Nach allgemeiner Ansicht wird durch die Folge per pagos vicosque der ”räumliche umfang der tätigkeit dieser richterhäuptlinge. bestimmt.108 Das Wort pagus, das in der Germania noch zwei weitere Male vorkommt (c. 6,3: centeni ex singulis pagis sunt ‚es sind jeweils hundert aus den einzelnen Einheiten‘ und 39,3: centum pagis habitantur ‚sie [= die Semnonen] sind Sitz von hundert Heereseinheiten‘), hat nach einhelliger Auffassung an allen diesen drei Stellen dieselbe Bedeutung: Es handelt sich um eine Unterabteilung eines Stammes, so dass pagus als ,Gau‘ oder ,Landbezirk‘ zu übersetzen sei (s. c. 6,3). Für die Folge per pagos vicosque bedeutet das, dass sie wie folgt zu übersetzen wäre (und meist auch in etwa so übersetzt wird): ,In diesen Versammlungen werden auch die Fürsten gewählt, die in den Gauen und Dörfern Recht sprechen; einem jeden stehen hundert Beisitzer aus dem Volke als Ratgeber und gleichzeitig zur Bekräftigung seiner Autorität zur Seite‘. Gegen dieses Textverständnis erheben sich aber mehrere Bedenken. Teils wird – offenbar wegen per – davon ausgegangen, dass die gewählten Richter zusammen mit ihren hundert Beisitzern nach Beendigung der Volksversammlung durch die einzelnen Gaue und Dörfer ziehen, um dort Recht zu sprechen,109 teils, dass sie in den Gauen und Dörfern Recht sprechen.110 Dagegen spricht aber bis zu einem gewissen Grade die Verbalform reddunt. Nimmt man an, dass die Ausübung der Rechtsprechung erst später, also nach der Versammlung, stattfindet, so wäre am ehesten die Form reddant zu erwarten. Aufgrund dieser Überlegung hat Lund denn auch die betreffende Konjektur von Ernesti übernommen und reddunt gegen alle Handschriften in reddant emendiert.111 Doch ließe sich reddunt durchaus beibehalten, wenn man diesen Satzteil als einen adjektivischen Nebensatz verstehen wollte, der ”schlechtweg eine Tatsache ausdrückt..112 Andererseits ist aber zu bedenken, dass diese Ausdrucksweise im Lateinischen nicht sehr häufig ist. Ebenfalls ist die Folge per pagos vicosque eine eigenartige Formulierung, da man – so wie allgemein angenommen wird – nicht durch die Gaue ziehen kann, ohne auch durch die darin befindlichen Dörfer zu kommen.113 Wohl aufgrund dieser Überlegung wird per pagos vicosque teilweise auch anders, nämlich als ”die in den Dörfern ihrer Gaue Recht sprechen. übersetzt.114 Problematisch daran ist jedoch, dass man hiermit den Richter zu einer Art von Gaufürsten macht (wobei die erst aus späterer Zeit bekannte Instanz des ,Gaufürsten‘ zur Erklärung dieser Stelle herangezogen wurde), obwohl an dieser Stelle nur von der Wahl eines Richters, nicht von der eines Gauvorstehers die Rede ist.115 Der Ausdruck per pagos vicosque wird denn auch zu Recht als Redundant angesehen.116 Desgleichen stellt sich das faktische Problem, wie eine so große Gruppe in den Dörfern Unterkunft und Verpflegung hätte finden sollen.117 Daher hatte denn auch Gudeman angenommen, ”die Hinzufügung von vicos. zeige, dass ”nicht jeder pagus 100 comites stellte.,118 eine Annahme, die sich im Text nicht abstützen lässt. Schließlich ist noch zu bemerken, dass die so gut wie ausnahmslose Übersetzung von per durch lokales ,in‘ keinerlei Stütze an den sonstigen Verwendungen von per findet.119 112 Kühner – Stegmann II,2: 298; vgl. auch Müllenhoff 1900: 250; Schweizer-Sidler 1923: 34; Reeb 1933: 93; Much 1967: 218; Perl 1990: 168. 113 Lund 1988: 81 dreht die beiden Wörter denn auch um: ”die in den Dörfern und in den Bezirken Recht sprechen sollen“. 114 Vgl. Reeb 1933: 33; Mauersberger 1978: 49; Woyte 1982: 23; Perl 1990: 93: ”die in den Dorfsiedlungen der einzelnen Landbezirke Recht sprechen.; abweichend Baumstark 1875: 497: ”ein Begriff, der pagus mit seinen vicis, das Ganze mit seinen Theilen, der aus den vicis bestehende pagus.. 115 Vgl. gegen diese Gleichsetzung zu Recht u.a. Perl 1990: 168-169; Anderson 1997: 89. 116 Vgl. Benario 1999: 78. 117 Vgl. Much 1967: 219: ”und 100 sind reichlich viele, zumal, wenn man wirklich an ein Herumziehen des Gerichtes von Dorf zu Dorf denken wollte.. 118 Gudeman 1916: 103. 119 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 554-558. 120 Vgl. etwa Baumstark 1875: 497; Müllenhoff 1900: 237; Gudeman 1916: 103; Schweizer-Sidler 1923: 34; Reeb 1933: 92, Anm. 3; Perl 1990: 168; Anderson 1997: 89. Dagegen fehlt der Hinweis auf diese Stelle u.a. bei Much 1967: 218-219; Lund 1988: 147-148; Rives 1999: 177-178; Benario 1999: 78. In den Kommentaren zu den Annalen wird an dieser Stelle ebenfalls regelmäßig auf Germ. 12,3 verwiesen (vgl. Furneaux 1956: 254; Koestermann 1963: 199). Nun steht die Folge pagus vicusque, die in der Germania nur hier vorkommt, bei Tacitus nicht allein. Sie erscheint, wie längst bekannt ist, auch noch in ann. 1,56,3,120 so dass man berechtigt ist, von einer Fügung zu sprechen. In ann. 1,56,3 ist – durchaus einschlägig – von einem Einfall des Germanicus ins Land der Chatten die Rede. Ein Teil der Jungmannschaft ergab sich, reliqui omissis pagis vicisque in silvas disperguntur ‚ließen die übrigen ihre pagi vicique im Stich und zerstreuten sich in die Wälder‘. Das kann offensichtlich kaum bedeuten, dass sie sich ,unter Aufgabe ihrer Gaue und Dörfer‘ in die Wälder zerstreuten. Die Wälder, in die sie sich zurückziehen konnten, konnten nämlich einerseits nicht außerhalb aller Gaue gelegen haben und mussten zudem zu Fuß erreichbar gewesen sein. Auch müssten sie, falls man sich ihr Stammesgebiet als in Gaue eingeteilt vorstellt, sich damit außerhalb dieses gesamten Gebiets, d.h. zu anderen Stämmen begeben haben. Für pagus scheidet an dieser Stelle die Bedeutung ,Gau‘ somit aus. Es ist also unmöglich, an dieser Stelle die Wörter pagus und vicus als voneinander völlig getrennte Begriffe aufzufassen, sondern es kann mit pagus nur eine kleinere Einheit gemeint sein, vermutlich ein (allenfalls etwas größeres) Dorf oder ein Flecken,121 was dann umgekehrt auch für Germ. 12,2 gelten muss.122 Das Problem dabei ist, dass sowohl pagus als auch vicus die Bedeutung ,Dorf‘ haben können, die Folge pagus vicusque somit redundant erscheint. Man hat dies dadurch zu beheben versucht, dass man in pagus eine größere, in vicus eine kleinere Einheit vermutete.123 Dabei bleibt aber die Unsicherheit, was die beiden Wörter genau bezeichnen sollen, da für den germanischen Raum sowohl pagus als auch vicus grundsätzlich jeweils zwei Bedeutungen haben kann: pagus kann sowohl ,Distrikt‘ als auch ,Dorf‘, vicus dagegen sowohl ,Dorf‘ als auch ,Gehöft‘ bedeuten. Dies in Gegensatz zur Verwendung für Einheiten im römischen Gebiet; dort ist vicus eindeutig, da es eine Einheit über der villa bezeichnet. In der Folge pagus vicusque ist somit jedes Wort einzeln nicht unmittelbar verständlich, sondern doppeldeutig; wenn man jedoch das -que nicht als reihend, sondern als explikativ auffasst (in dieser Funktion ist -que bei Tacitus mehrmals belegt, etwa Germ. 29,2: ultra Rhenum ultraque veteres terminos imperii ‚über den Rhein und über die alten Reichsgrenzen‘, also ‚über den Rhein, d.h. über die alten Reichsgrenzen‘; hist. 4,17,2: fusum victumque ‚verjagt und besiegt‘; ebd. 4,57,2: spoliati exutique ‚ausgeraubt und geplündert‘),124 beide Begriffe also zusammennimmt, kann sich pagus aus vicus, und vicus aus pagus erklären: Die jungen Männer lassen ihre pagi, und zwar vici im Stich, also ihre pagi, die vici sind, und ihre vici, die pagi sind. Es wird mit der Folge pagus vicusque offenbar lediglich die 121 Heller 1992: 81 übersetzt in dieser Richtung: ”ließen die übrigen ihre Dörfer … im Stich.; ebenso Sontheimer 1991: 57: ”während die Übrigen ihre Dörfer … verließen.. 122 Typisch für die Folgen der Vernachlässigung dieser Annalenstelle für das Verständnis von c. 12,2 ist, dass Wuilleumier – Hellegouarc’h 1990: 51 in seiner Ausgabe der Annalen pagis vicisque in etwa zutreffend mit ”leurs bourgs et leurs villages. übersetzt; Perret 1997: 78 in seiner Ausgabe der Germania pagos vicosque dagegen mit ”les cantons et … le bourgs.. Wo Wuilleumier – Hellegouarc’h mit ,bourg‘ pagus wiedergibt, gebraucht Perret denselben Terminus in derselben Formel für vicus. 123 Vgl. Koesterman 1963: 199: ”zur Bezeichnung größerer und kleinerer Bezirke … innerhalb der civitas.; Wuilleumier – Hellegouarc’h 1990: 51: ”leurs bourgs et leurs villages.. 124 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25; vgl. Heraeus 1875: 122. ,Schnittmenge‘ beider Ausdrücke bestimmt, so dass sie die möglichst eindeutige Angabe für die Einheit ,germanisches Dorf‘ darstellt. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Interpretation auch für Germ. 12,2 Gültigkeit besitzen kann. Von den verschiedenen Verwendungsweisen von per125 kommen die instrumentale, modale und kausale aus nahe liegenden Gründen nicht in Frage. Was die räumliche betrifft, kann nicht von der Bewegung durch einen Raum hindurch oder zwischen verschiedenen Orten gesprochen werden, da diese Bedeutung ein Bewegungsverb verlangt, was von iura reddere kaum gesagt werden kann. Es bleibt also nur die distributive Verwendungsweise von per übrig.126 Sie besagt, dass etwas auf eine Vielheit von Gegenständen verteilt wird, wobei per, genau wie hier, mit dem Plural steht. Die Stelle könnte demnach so verstanden werden, dass jedem Dorf als solchem sein Recht wird. Die Aufgabe der Recht sprechenden Anführer wäre also offenbar die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Dörfern. Dazu bedarf es aber keines Umherziehens des Richterkollegiums. Die auf der Volksversammlung gewählten Richter dürften also dort die den Dörfern betreffenden Streitigkeiten in zivilrechtlichen Fragen geschlichtet haben. Nicht ganz auszuschließen ist, dass in per ein temporaler Aspekt eine Rolle spielen könnte, da die gewählten Recht sprechenden Anführer den einen Rechtsfall nach dem anderen werden behandelt haben. Dieses Nebeneinander eines distributiven und temporalen Aspekts könnte möglicherweise auch etwa in Liv. Andr. trag. 3-4: praeda per participes aequiter / partita est ‚die Beute ist unter den Teilnehmern gleichmäßig verteilt‘ gesehen werden: Die Beute wird unter den Teilnehmern aufgeteilt, und zwar durch Aufteilung untereinander (distributiv), indem der eine nach dem andern seinen Teil erhält (temporal). Bei dieser Auffassung erübrigt sich einerseits die Unsicherheit bezüglich der Verbalform reddunt, andererseits auch die Frage, ob es sich bei diesen Anführern um ,Gaufürsten‘ handle. 125 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 554-558; Hofmann – Leumann 1972: 239-242. 126 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 554. Da nun die Wörter pagus und vicus, wenn sie als getrennte Begriffe aufgefasst werden, inhaltliche Schwierigkeiten bereiten, und es zweitens wegen des Gleichlauts zwischen ann. 1,56,3 und Germ. 12,3 mehr als wahrscheinlich ist, dass die Folge pagus vicusque beide Male nebeneinander gestellt werden kann, ist auch bei Germ. 12,2 von einer einzigen Bedeutung ,Dorf‘ auszugehen. Dem distributiven Verständnis von per nach muss die Folge pagus vicusque in c. 12,3 nicht nur als eine territoriale (wie in ann. 1,56,3), sondern auch als eine organisatorische Einheit verstanden werden.127 Die Stelle besagt demnach, dass auf der Volksversammlung aus den Anführern solche ausgewählt werden, die in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Dörfern Recht sprechen. 127 Anders Perl 1990: 168. 128 Zur Nichtnotwendigkeit eines Vergleichs zwischen beiden Autoren vgl. Lund 1988: 147. 129 Teilweise wird angenommen, dass die Angaben bei Tacitus diesen Äußerungen widersprächen (vgl. etwa Lund 1988: 147; Perl 1990: 169); Tacitus behauptet aber nicht, dass es eine gemeinsame Magistratur in Friedenszeiten gäbe, da es ansonsten keine Notwendigkeit zur Wahl von rechtsprechenden Anführern gegeben hätte. 130 Kraner – Dittenberger 1961: 187; man vgl. auch Constans 1959: 192: ”il est difficile de dire si le second mot ne fait que préciser le premier.. 131 Kraner – Dittenberger 1961: 187; man vgl. auch Constans 1959: 192: ”ou s’il désigne une division de la regio.. 132 Eine unbeweisbare Annahme ist der Erklärungsversuch von Constans 1959: 194: ”la juridiction du chef de région serait une juridiction d’appel.. Es stellt sich allenfalls die Frage,128 ob diese Deutung einem Vergleich mit den Angaben über die germanische Rechtsprechung bei Caes. Gall. 6,23,5 standhalten kann. Caesar berichtet nämlich, dass die Germanen in Friedenszeiten keine gemeinschaftliche Magistratur hätten.129 Es gibt lediglich principes regionum atque pagorum, die eine Recht sprechende Funktion ausüben. Hier hat – ebenso wie in c. 12,3 per pagos vicosque – die Folge regionum atque pagorum Schwierigkeiten bei der Interpretation bereitet. Es ist nämlich das Verhältnis zwischen regio und pagus unklar. Die Frage ist, ob pagus etwa ”nur zur Erklärung des mehrdeutigen Begriffs.130 zu regio hinzugesetzt ist und beide letztendlich gleichbedeutend sind, oder ob pagi ”die Unterabteilungen.131 einer regio bezeichnen. Letztere Annahme scheint aber unwahrscheinlich zu sein, da es doch wohl zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den principes regionum und denen der pagi gekommen wäre.132 Ebenfalls unbeantwortet bliebe die Frage, in welchem genauen Verhältnis die Einteilungen regio und pagus zueinander stehen. Bei der ersten Interpretation wird teilweise angenommen, dass beide Ausdrücke auf dieselben Unterabteilungen der civitas gehen, nur dass bei pagi mehr an die Bevölkerung, bei regiones an den von ihr bewohnten Bezirk gedacht wird. Indessen ist auch dies unwahrscheinlich, da dann – natürlich im Extremfall – principes von Bezirken und principes von deren Bewohnern angenommen werden müssten, somit sich beide Bereiche überlappen würden. Auch bei Caesar liegt somit eine Problematik dann vor, wenn man versucht, beide Wörter separat zu interpretieren. Es scheint demnach auch an dieser Stelle möglich, beide Begriffe in dieser Folge als zusammengehörig anzusehen. Das bedeutet, dass hier atque, wie in Germ. 12,2 -que, explikativ aufzufassen ist, der zweite Begriff also zur Erläuterung des ersten angehängt ist.133 regio ist an sich ein äußerst dehnbarer Begriff, der durch das angefügte pagus eingeschränkt wird: Es handelt sich um ein Gebiet, und zwar in der Größe eines pagus. Zum möglichen Einwand gegen diese Auffassung, dass man an dieser Stelle auch allein mit pagus ausgekommen wäre, da dieser Terminus bei Caesar mehrmals vorkommt und demnach ausreichend gewesen wäre, vgl. c. 6,3. Mit der Folge regionum atque pagorum ist somit vermutlich eine Unterabteilung eines Stammes gemeint, und zwar eine festgesetzte, da ansonsten ein solcher princeps kein deutlich von anderen abgegrenztes Einsatzgebiet gehabt hätte. 133 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25. 134 Eine solche stillschweigende Korrektur von Caesar bei Tacitus kommt indessen mehrmals vor und ist somit kein Argument gegen die oben vorgebrachte Erklärung. 135 Robinson 1991: 263. 136 Diese comites sind nicht mit den comites der Gefolgschaftsanführer identisch (anders Kristensen 1983 passim), da es sich bei dieser Gruppe um temporäre comites (nur während der Versammlung), bei den comites Der Vergleich zwischen den Angaben von Caesar und Tacitus ergibt, dass Tacitus in Bezug auf seine Formulierung Caesar eng folgt, inhaltlich aber eine abweichende Aussage macht.134 Während nämlich Caesar berichtet, dass es principes für bestimmte Gebiete, vielleicht so etwas wie ,Gaue‘ gibt, in denen sie Recht sprechen, werden nach Tacitus principes ausgewählt, die Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Dörfern auf der Volksversammlung entscheiden. Die Rechtsprechung der principes hinsichtlich der pagi vicique bezieht sich also darauf, dass sie zivilrechtliche Streitfälle zwischen sozialen Einheiten entscheiden, welche in etwa den Umfang von Dörfern haben. centeni singulis ex plebe comites] Alle neueren Ausgaben fassen den Rest des Kapitels als einen Satz auf. In Anbetracht der Schreibung in der Hs. E: Centeni sin/gulis ex plebe comites. Consilium simul / et auctoritas adsunt und der Annahme, dass ”in the larger groupings of words into clauses and sentences they [= the manuscripts] exhibit such uniformity.,135 spricht nichts gegen die Beibehaltung dieser Interpunktion. Gegen die traditionelle Auffassung von den herumreisenden Richtern samt ihrem Beirat spricht auch die hohe Zahl der Gefolgsleute; es wäre wirtschaftlich kaum möglich gewesen, eine solche Menge in der Landwirtschaft einerseits zu entbehren und andererseits zu ernähren. Nicht ganz klar ist, wie centeni zu deuten ist.136 Vielfach wird angenommen, dass hier eine Fehlinterpretation des Gewährmannes des Tacitus (oder dessen Quelle) vorliegt und dass der Gefolgschaftsanführer um solche außerhalb der Versammlung handelt. 137 Vgl. etwa Reeb 1933: 94; Much 1967: 219; Anderson 1997: lix-lxii. 138 Vgl. Rives 1999: 178. 139 Wenig wahrscheinlich ist die Annahme von Städele 1991: 335, dass ”die Zahl Hundert für den germ. Gewährsmann ‚(sehr) viele‘. bedeutet hätte. 140 So auch Gudeman 1916: 103; Reeb 1933: 33; Lund 1988: 148; Anderson 1997: 89. 141 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 253: ”sie finden somit gemeinschaftlich das recht und der princeps tut nur zuletzt als richter den ausspruch.; Schweizer-Sidler 1923: 34: ”Die centeni finden das Urteil, das der princeps ausspricht.; Reeb 1933: 33: ”als beratende und beschließende Versammlung.. 142 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 253; Schweizer-Sidler 1923: 34. 143 Anderson 1997: 89. es sich hier eigentlich um die aus späterer Zeit belegten ‚Hunderter‘ (ein solches Verhältnis liegt auch – jedoch in anderem Kontext – bei Caes. Gall. 2,28,2 bei den Nerviern vor: ex sescentis ad tres senatores, ex hominum milibus LX vix ad quingentos qui arma ferre possent, sese redactos esse ‚daß von ihren 600 Senatoren noch drei, von 60 000 Stammesangehörigen knapp 500 übriggeblieben seien‘) handelt (ahd. as. hunno, mhd. hunne, hunde ‚Herr über hundert‘ < urgerm. *.undnan-).137 Jedoch scheint es sich hierbei kaum um etwas Altes zu handeln.138 Die Zahl der Gefolgsleute ist somit als hundert anzunehmen.139 consilium simul et auctoritas adsunt] simul et steht im Sinne von et … et.140 Die Wörter consilium und auctoritas sind bei Tacitus ebenfalls verbunden dial. 36,5: cum et populum et senatum consilio et auctoritate regerent ‚da sie Volk und Senat durch ihren Rat und Einfluß lenkten‘; hist. 2,44,2: quos Annius Gallus consilio precibus auctoritate flexerat ‚sie hatte Annius Gallus durch Zureden, Bitten und dank seines Ansehens dazu gebracht‘. In Nachfolge dieser Stellen hat man zum einen den comites eine aktive Rolle bei der Urteilsfindung zugesprochen,141 zum anderen das Wort auctoritas häufig im Sinne von ,Vergrößerung des persönlichen Ansehens‘ verstanden.142 Dies stößt jedoch auf die Schwierigkeit, dass mit simul et zwei verschiedene, aber doch vergleichbare Funktionen ausgedrückt sein müssen. Zielt die Beratertätigkeit des Kollegiums auf den Richter selber, so kann es sich bei der auctoritas nicht um das Ansehen handeln, das er bei anderen besitzt. Vielmehr muss, um die Gleichheit der Hinsicht zu wahren, damit eine Funktion ausgedrückt sein, die sich ebenfalls auf ihn bezieht. Nun hatte Anderson zu Recht darauf hingewiesen, dass consilium simul et auctoritas hier für et consiliarii et auctores steht.143 Beide haben somit die Aufgabe, das Urteil der Richter zu verbürgen, so dass dessen Wortlaut später bezeugt werden kann. Die comites haben also keine Urteil findende Kraft. KAPITEL 13 1 Nihil autem neque publicae neque privatae rei nisi armati agunt] Nach Lange sind die ”c. 13-15 … wohl die umstrittensten in der neueren Forschung..1 1 Lange in Much 1967: 221. 2 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 97. 3 Diese Einschränkung des Waffentragens lag natürlich durchaus im Interesse der Römer. Mit dieser Bemerkung kehrt Tacitus wieder zu c. 11,2 (considunt armati ‚Sitzung hält man in Waffen‘, frameas concutiunt ‚rasseln sie mit den Framen‘ und armis laudare ‚der Beifall mit den Waffen‘), zurück, wo er berichtet hat, dass die Germanen bewaffnet zur Volksversammlung gehen, wonach sich ein Exkurs über die Rechtsprechung bei den Germanen angeschlossen hatte. Daher hat autem hier auch keine adversative Bedeutung, sondern setzt das Vorhergehende fort.2 Die Wichtigkeit des Waffentragens im öffentlichen Leben der Germanen wird auch noch einmal c. 22,1 unterstrichen (tum ad negotia nec minus saepe ad convivia procedunt armati ‚danach begeben sie sich an ihre Geschäfte und nicht weniger oft zu Gastgelagen, und das in Waffen‘); hierzu ist auch Tac. hist. 4,64,1, wo die Tenkterer sich über eine von den Römern auferlegte Maßnahme beschwerten, zu vergleichen: quod contumeliosus est viris ad arma natis, inermes ac prope nudi sub custode et pretio coiremus ‚was noch schmachvoller ist für Männer, die zum Waffendienst geboren sind, daß wir nur waffenlos und beinahe nackt, unter Bewachung und nur für Geld zusammenkommen können‘.3 In viel späterer Zeit findet sich im aisl. Hávamál, 38 ebenfalls ein Beleg für diese Wichtigkeit des Waffentragens im täglichen Leben: vápnom sínom scala maðr velli á / feti ganga framarr ‚von seinen Waffen gehe weg der Mann, keinen Fuß auf dem Feld‘. Das Tragen von Waffen ist durchaus nicht etwas spezifisch Germanisches, sondern gilt in vielen Kulturen, wie etwa bei den Griechen (vgl. Thuk. 1,6,1: p..a ..p . ..... ...d.p.f.p... d.. t.. .f.p.t... te .....e.. .a. ... ..fa.e.. pap’ ........ .f.d..., .a. ...... t.. d.a.ta. µe.’ .p... .p....a.t. ..pep .. ß.pßap.. ‚denn ganz Hellas ging einst in Waffen wegen der mauerlosen Siedlungen und der unsichern Straßen, und das Leben mit dem Schwert war ihnen vertraut wie den Barbaren‘) und Kelten (vgl. Liv. 21,20,1: in iis noua terribilisque species uisa est, quod armati – ita mos gentis erat – in concilium uenerunt ‚hier bot sich ihnen ein Anblick, der ihnen neu war und sie erschrecken ließ: man war in Waffen zur Versammlung erschienen‘; Nicol. Dam. FGrH 90 F 103e: .e.t.. ..d.p.f.p...te. t. .at. p.... p..ta pp.tt.... ‚die Kelten tun in der Stadt alles in Waffen‘). Erst als dies bei den Griechen und Römern nicht mehr erlaubt war, konnte dieses Element zu einem Topos bei der Beschreibung ‚barbarischer‘ Völker werden. Dass dies aber, wie Norden behauptet,4 nur ein Topos ist, ist kaum wahrscheinlich.5 Bei Völkerschaften, bei denen das Rechtssystem wenig Sicherheit garantiert, ist das Waffentragen zum persönlichen Schutz durchaus angebracht. 4 Norden 1959: 140-141. 5 So auch Rives 1999: 179: ”This long-standing tradition about the Gauls no doubt influenced the reports about the Germani, although there is no reason to suppose that they did not also customarily bear arms.. 6 Lund 1988: 148. 7 Vgl. auch Lund 1988: 148; Rives 1999: 179-180. 8 Rives 1999: 180. 9 Vgl. hierzu LMA VII: 1646-1647. 10 Baumstark 1875: 504. So auch übernommen von Müllenhoff 1900: 256. arma sumere] Der Ausdruck hat sein bildliches Gegenstück in togam (virilem) sumere ‚die Männertoga anlegen‘. Die Junktur ist jedoch kaum ein ”von Tac. … ad hoc geprägter Ausdruck.,6 da sie auch schon bei Cic. Tusc. 1,86 erscheint: non inparatus arma sumpsisset ‚ hätte nicht unvorbereitet zu den Waffen gegriffen‘. Durch die Parallelität beider Ausdrücke wird von Tacitus eine ebensolche zwischen dem germanischen und römischen Akt der Aufnahme in die Erwachsenengesellschaft bereits angedeutet, wie sie dann weiter unten direkt ausgeführt wird (haec apud … ‚das heißt bei‘). Kontrastiv sind hingegen die Begriffsinhalte der Wörter arma und toga (virilis). Nach gängiger römischer Vorstellung sind arma und toga Metaphern für ‚Krieg‘ und ‚Frieden‘ (vgl. Cic. orat. 3,167: appellare … togam pro pace, arma ac tela pro bello ‚die Bezeichnung … ›Toga‹ anstatt Friede, ›Wehr und Waffen‹ anstatt Krieg‘).7 Allerdings sagt Tacitus damit zumindest nicht ausschließlich, ”that for the Germani, adult life means warfare.,8 sondern dass der Krieg eine wichtige Rolle im Erwachsenenleben spielt. Im Mittelalter heißt diese Waffenübergabe mhd. swertname oder swertleite, was allerdings der technische Ausdruck für die Schwertumgürtung, d.h. für das Ritterwerden, ist.9 Dieser Vorgang ist kaum mit der Angabe des Tacitus zu verbinden. non – moris] Hinzuzufügen ist est (dieselbe Wendung ebenfalls in c. 21,2). Baumstark nimmt an, dass moris est in der Bedeutung von mos est abweichend ist. Für ersteres nimmt er die Bedeutung ‚es ist ein Stück ihrer Sitte‘, für Letzteres ‚es ist eine allgemeine Sitte, ein Gebrauch‘ an.10 moris erklärt er dabei als einen Genitivus partitivus. Dagegen geht Szantyr davon aus, dass moris est gleich mos est sei.11 In der Tat scheint es sich bei moris est um einen nachklassischen Ausdruck in derselben Verwendung wie mos est zu handeln.12 ante cuiquam – quam civitas suffecturum probaverit] Das Partizip suffecturum dient als Akkusativ-Prädikat zu probaverit. 11 Hofmann - Szantyr 1972: 62. So auch etwa Gudeman 1916: 104; Reeb 1930: 33; Much 1967: 222, Lund 1988: 148. 12 Vgl. Kühner - Stegmann II,1: 670, 672. 13 Anders etwa Baumstark 1875: 505; Perl 1990: 170. 14 Gegen die militärische Bedeutung auch u.a. Müllenhoff 1900: 256; Gudeman 1916: 104; Schweizer-Sidler 1923: 34; Reeb 1930: 33. 15 So aufgefasst von Gudeman 1916: 104, Much 1967: 222. 16 So aufgefasst von Müllenhoff 1900: 256, Schweizer-Sidler 1923: 34, Lund 1988: 148. 17 Vgl. Persson (1927), S. 97ff. 18 Ausnahmen habe ich nicht feststellen können. 19 Zum Folgenden vgl. Perret 1950: 119; Robinson 1991: 125; Perret 1997: 78. 20 Vgl. Hirstein 1995: 286. 21 Vgl. Robinson 1991: 125. Das Verb probare ist in der lateinischen Militärsprache ein terminus technicus mit der Bedeutung ‚Rekruten prüfen, mustern‘ (vgl. Plin. epist. 10,30,2: ille enim dies, quo primum probati sunt, veritatem ab iis originis suae exegit ‚der Tag, an dem sie gemustert wurden, forderte von ihnen die wahrheitsgemäße Angabe ihrer Herkunft‘). Diese spezifische Bedeutung liegt hier allerdings nicht vor,13 da es sich hier nicht nur um Rekruten handelt; denn die aktive Teilnahme am Krieg ist nur eine der Aufgaben, die mit der Aufnahme in die Erwachsenengesellschaft verbunden sind.14 Die Form probaverit kann entweder Futurum exactum15 oder Konjuktiv Perfekt16 sein, wobei Letzteres wohl eher in Frage kommt.17 cum] Alle neueren Ausgaben bieten die Lesart tum.18 Allerdings ist diese Form in den Hss. recht selten.19 Sie findet sich nur in den weniger wichtigen Hss. h.Crbrs; dagegen steht cum in den wichtigeren Hss. QBETdvomon; beide Wörter hinter- oder übereinander erscheinen in den Hss. cbalezuARce; hierauf lässt auch die Folge tum eum in den Hss. tf schließen (die Hs. m bietet verderbtes tum eut.u; die Reihung tum eum findet sich auch in den meisten der frühen Drucke [ZwAPnVLehrSMF], dazu auch T [Tu eum]; dagegen bloßes tum in Jd und cum in k),20 die wohl aus tum cum stammen wird und zur Einführung eines Objekts (als Vorwegnahme von iuvenem) geändert wurde (die Lesart der Hs. W ist nicht ganz gesichert, vermutlich ist aber cum zu lesen;21 einmaliges alleiniges eum findet sich in p). Es ist somit sehr wahrscheinlich, dass sowohl tum als auch cum im humanistischen Archetyp standen. Allerdings wird es sich hierbei kaum um eine Doppelform handeln, die aus der Codex Hersfeldensis stammt, da eine solche wohl etwa in den Hss. pQE Eingang gefunden hätte. Da dies hier nicht der Fall ist, scheint es, dass im Codex Hersfeldensis nur cum stand, das – vielleicht zur Verdeutlichung – von Humanisten mit tum glossiert wurde, was dann in den erhaltenen Hss. als Text überliefert wurde. Jedoch können indikativische cum-Sätze nachgestellt, ”gewissermaßen relativisch angeknüpft , so daß sie in selbständiger Bedeutung ein neues Moment anschließen und die Erzählung weiterführen..22 Zu interpretieren ist ein solches cum, das den Hauptgedanken anschließt, als quo tempore. Da cum hss. die ältere Lesart und von der Bedeutung her unproblematisch ist, ist es in den Text aufzunehmen. in ipso concilio] Hier wird von Tacitus eine vierte Aufgabe der Volksversammlung mitgeteilt: Die Aufnahme junger Männer in die Gesellschaft. Die Aufnahme geschieht also öffentlich. Diese Öffentlichkeit steht in Gegensatz zum römischen togam (virilem) sumere, das eine private Zeremonie (mit Ausnahme der deductio in forum) war. 22 Kühner – Stegmann 1992: II,2 340. 23 So etwa Schweizer - Sidler 1923: 35 und Reeb 1930: 33. 24 Baumstark 1875: 506; so auch Schweizer - Sidler 1923: 34. 25 Müllenhoff 1900: 257; vgl. auch Schweizer - Sidler 1923: 35; teils auch Much 1967: 222 (mit Leugnung der zweiten Möglichkeit: ”so selten.); Dobesch 1993: 33: ”Doch gibt es eine dritte Möglichkeit, die ehrenhalber vorausgestellt wird: Principum aliquis gibt die Waffen.. Das Alter bei der Aufnahme in die Gesellschaft nennt Tacitus nicht. Auch ist es wohl kaum erlaubt aus dem Vergleich der germanischen mit der römischen Zeremonie auf ein identisches Alter dabei zu schließen.23 Aus späteren Quellen ist zu ersehen, dass das Alter der Volljährigkeit bei einzelnen Stämmen ziemlich unterschiedlich war; so trat sie bei den salischen Franken und den Sachsen schon nach dem vollendeten zwölften Lebensjahr, bei den Ribuarier dagegen erst nach dem vollendeten fünfzehnten Lebensjahr ein. Das Anlegen der toga (virilis) bei den Römern geschah dagegen meist im fünfzehnten bis achtzehnten Lebensjahr. vel principum aliquis vel ipsi vel propinqui – iuvenem ornant] In allen Textausgaben ist anstelle von ipsi die Lesart pater zu finden, welche sich auch in den meisten Hss. findet. Allerdings bereitet dabei die Reihenfolge Probleme, da ”der Vater … vor dem princeps aliquis genannt werden sollen, und nicht minder auch die propinqui..24 Diese Störung in der Abfolge hat man zu erklären versucht, indem man die Waffenübergabe seitens eines princeps als ”besondere auszeichnung. ansah, oder der princeps sie in dem Fall vornahm ”wenn der vater tot und verwandte nicht vorhanden waren..25 Diese Problematik entstand hauptsächlich deswegen, weil man in der Waffenübergabe nicht den Akt der Volljährigkeitserklärung, sondern die Entlassung aus der väterlichen Gewalt erblickte,26 denn diese ist natürlich nur Sache des Vaters oder eines Vormunds. Daher wurde diese Ansicht denn auch abgelehnt; die Entlassung aus der väterlichen Gewalt trete erst bei dem Eintritt in eine Gefolgschaft bzw. bei der Gründung eines eigenen Hausstands ein.27 Das Problem bei der Beurteilung dieser Frage ist, dass hier jeweils viel spätere Verhältnisse mit der Beschreibung des Tacitus verknüpft werden, ein methodisch bedenkliches Verfahren. Zunächst ist der taciteische Text in sich zu verstehen. 26 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 506-510; Reeb 1930: 33. 27 So Scherer 1878: 85-95; Müllenhoff 1900: 257-259; Schweizer - Sidler 1923: 35. Gudeman 1916: 104 erblickt in der Waffenübergabe keinen Akt der ‚emancipatio‘, bemerkt aber, ”daß der wehrhaft gemachte Germane nicht mehr der patria potestas unterstand.. 28 Auf die Funktion von aliquis gehen nur Baumstark 1875: 506: ”die mehrfache Zahl der principes im concilium. und Much 1967: 222: ”daß es sich nicht oder doch nicht ausschließlich um principes handelt, die an der Spitze des Staates stehen. ein. 29 Vgl. Perret 1950: 55; Robinson 1991: 125. 30 Vgl. Müllenhoff 1900: 257. Anders Robinson 1991: 126: ”I am inclined to regard propinqui as an interpolation introduced because of the plural verb. (vgl. auch S. 289: ”From a stylistic point of view propinquus seems to me slightly preferable to propinqui.); Robinson nimmt denn auch die Lesart propinquus im Text auf. 31 So Baumstark 1875: 506; Schweizer - Sidler 1923: 34-35; Reeb 1930: 33; Lund 1988: 148. Die Waffenübergabe kann zunächst durch irgendeinen Anführer vorgenommen werden. Durch die Hinzufügung des unbestimmten Pronomens aliquis wird die Waffenübergabe von einem der auf der Versammlung anwesenden principes ausgeführt.28 Durch disjunktives vel angereiht kommt dann der pater (nicht unbestimmt), schließlich – erneut durch disjunktives vel angereiht – propinqui. Die Form propinqui (daneben ist in den Hss. mhc.Ccor.pQtfabrlezuARces2, W am Rand der Singular propinquus überliefert,29 der sicherlich eine Angleichung an pater darstellt;30 inhaltlich macht diese Form jedoch wenig Sinn, da dabei unklar bliebe, welcher Verwandte gemeint sei) wird zu Recht als ‚unbestimmter Plural‘ bestimmt (zur Verwendung vgl. Tac. dial. 34,1: iuvenis ille … deducebatur a patre vel a propinquis ad eum oratorem ‚wurde der junge Mann … von seinem Vater oder von Verwandten dem Redner zugeführt‘),31 drückt somit dasselbe aus wie princeps aliquis. Nun ist davon auszugehen, dass die drei durch disjunktives vel getrennten Subjekte halbwegs in einer gleichberechtigten Reihenfolge (wohl nach abnehmender Wichtigkeit) nebeneinander stehen. Dies ist jedoch nach gängiger Meinung nicht der Fall. Lediglich der princeps aliquis und der pater seien gleichberechtigt, einer der Verwandten übergibt dagegen die Waffen lediglich in dem Fall, wenn der Vater tot ist, oder besondere Umstände dies verlangen.32 Es wird somit eine Zweiteilung kreiert, bei der auf der einen Seite der princeps, auf der anderen der Vater oder ein Verwandter steht.33 Eine solche Zweiteilung ist jedoch wegen des funktionell gleichlaufenden vel kaum gerechtfertigt. 32 Vgl. etwa Schweizer - Sidler 1923: 34; Dobesch 1993: 33: ”etwa wenn dieser tot oder sonst praktisch oder juristisch unfähig dazu ist.. 33 Vgl. etwa die Paraphrase von Much 1967: 222: ”sei es durch einen Fürsten, sei es durch den Vater oder Verwandte.; ähnlich bereits Baumstark 1875: 506. 34 Vgl. Robinson 1991: 187, 203. 35 Vgl. Hirstein 1995: 297 (die Lesart ipsi wurde auch von Beatus Rhenanus in seinem Exemplar der Ausgabe n übergeschrieben). 36 Eine Verschreibung kommt sicher kaum, eine Verlesung durchaus nicht in Betracht. 37 Passow 1817: 19. 38 Günther 1826: 18. Nun ist in einigen wenigen Hss. nämlich in ETdvo und in pQ am Rand,34 ebenso wie im frühen Druck k die Lesart ipsi bezeugt,35 die – da in unterschiedlichen Hss.-Gruppen bezeugt – durchaus ernst zu nehmen und sicherlich auch die lectio difficilior ist.36 Sie hat jedoch in der Diskussion kaum eine Rolle gespielt, schon wegen der Bedeutung des Vaters in späterer Zeit. Allein Passow hatte einst bemerkt: ”vel ipsi. Nor. lectio haud plane spernenda.,37 Günther dagegen eingewandt: ”Cod. Long. ipsi (i.e. cives), male et ipsum et ob sequ. v. propinqui..38 In der Tat kann unter dem Bezugspunkt von ipsi hier kaum etwas anderes als die Mitglieder der civitas, also die cives, verstanden werden. Wenn man nun propinqui als ‚einer der Verwandten‘ auffasst, liegt es durchaus nahe in pluralischem ipsi eine gleiche Verwendungsweise zu sehen, das Wort somit als ‚einer der cives‘ aufzufassen. Wenn man ipsi in den Text aufnimmt, bekommt man somit erstens eine Reihung, die in jedem der drei Glieder gleichförmig in Bezug auf die Unbestimmtheit der Person ist, zweitens eine Reihung, bei der jedes Glied einzeln für sich durch disjunktives vel von den anderen getrennt ist. Und in der Tat wäre es auffallend, wenn die civitas, die den Anwärter schließlich auf dessen Waffenfähigkeit überprüft, keine Rolle bei der Waffenübergabe spielen würde. Es liegt somit eine absteigende Reihung in der Feierlichkeit, vielleicht auch Bedeutung, der Waffenübergabe vor. Ein weiterer Hinweis, dass der Vater bei der Waffenübergabe keine Rolle spielt, ist aus der Verwendung von domus (s.u.) zu schließen. Da der Jugendliche nach der Wehrhaftmachung nicht mehr als ein Teil der domus gilt, ist es schlüssiger, dass jemand von außerhalb der domus diese Handlung vollführt, der Vater dagegen als Leiter der domus dafür nicht geeignet scheint. Jedenfalls ist die Waffenübergabe seitens eines princeps nicht mit der principis dignatio gleichzusetzen.39 Auch von ‚Adoptionen‘ seitens eines princeps ist hier keine Rede (aus späterer Zeit sind solche ‚Adoptionen‘ dagegen durchaus bezeugt, etwa bei Paul. 1,23- 24, der von Alboin berichtet: ‚scitis‘, inquit, ‚non esse aput nos consuetudinem, ut regis cum patre filius prandeat, nisi prius a rege gentis exterae arma suscipiat‘ … sumensque Turisindus arma Turismodi filii sui, ea Alboin tradidit, eumque cum pace incolomen ad patris regnum remisit. reversus ad patrem Alboin, eius dehinc conviva effectus est ”‚ihr wisst‘, sprach er, ‚wie bei uns der Brauch ist, dass der Sohn des Königs nicht eher mit seinem Vater tafeln darf, als bis er vom König eines fremden Volks die Waffen erhalten hat‘ … Turisind langte die Waffen seines Sohnes Turismod herab und übergab sie dem Alboin und entließ ihn dann wohlbehalten in seines Vaters Reich. Nach seiner Rückkehr wurde Alboin nun endlich vom Vater zum Tischgenossen gemacht.).40 39 Die Gleichsetzung beider Vorgänge etwa bei Reeb 1930: 34, 99 (Fn. 1); Much 1967: 223: ”Notwendigerweise erfolgte aber dabei auch der Eintritt in einen taktischen Verband.; Perl 1990: 170. 40 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 258. Bemerkenswert ist auch die von Cass. var. 4,2 überlieferte Waffenübergabe von Theoderich dem Großen an dem Herulerkönig Rodulf (vgl. RGA 25: 58). 41 Zur Etymologie des Namens vgl. Gutenbrunner 1936: 102. scuto frameaque] Schild und Speer sind auch als Hauptwaffen der germanischen Kriegsausrüstung in c. 6,1 genannt. Auffälligerweise werden beide Waffen auch in einer Weiheinschrift aus Tongern für die germanische Matrone Vihansa41 angeführt; CIL 13,3592: Vihansae Q. Cattius Libo Nepos centurio leg. III Cyrenaicae scutum et lanceam d(ono) d(edit) ‚der Vihansa gab Q. Cattius Libo Nepos, Centurio der 3. Cyrenäischen Legion Schild und Lanze als Geschenk‘. Auch in späterer Zeit sind nach Ausweis von MGH LL 4,521 Schild und Lanze die Hauptwaffen gewesen: ut nullus ad mallum vel placitum infra patriam arma, id est scutum et lanceam, portet ‚dass keiner zum Mallus oder zur Versammlung innerhalb der Heimat die Waffen, diese sind Schild und Lanze, tragen soll‘. haec apud illos toga. hic primus iuventae honos] Bei haec … hic liegt Attraktion des Pronomens vor. Hier wird explizit der Vergleich zwischen der römischen toga (virilis) und der germanischen Waffennahme gezogen. Beide Akte werden somit als rechtlich (in etwa) gleich betrachtet. In Rom trugen die noch nicht in die Gesellschaft Aufgenommenen die toga praetexta. Im Alter zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren legte der Römer dann während einer feierlichen Zeremonie am 17. März die toga virilis an (togam [virilem] sumere). Damit war er ein vollgültiges Mitglied der Gemeinschaft geworden.42 ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae] Der junge Germane trat durch die Waffennahme in die Gesellschaft ein. Somit ist er, wie der Römer nach dem Anlegen der toga (virilis), ein Teil des öffentlichen Lebens. 42 Vgl. hierzu KP 5: 880. 43 Ob es auch die ”nächstkleinere gesellschaftliche Organisationsform. ist (Perl 1990: 170, auch 70), geht aus diesem Beleg nicht hervor. 44 Man vgl. hierzu etwa Drexler 1988: 1-30; KP 4: 1381-1384 (mit Literaturangaben). 45 So auch Perl 1983: 58. 46 Diese beiden Argumente auch bei Perl 1990: 170. Das Wort domus bezeichnet – wie aus der Gegenüberstellung zu res publica hervorgeht – eine private Organisationsform.43 Das Wort steht hier also in seiner metonymischen Bedeutung als ‚Hausgenossenschaft‘, umfasst also die Personen, die in der domus leben (vgl. Isid. orig. 9,4,3: domus unius familiae habitaculum est ‚das Haus ist die Wohnstätte einer Familie‘). Der Jugendliche ist vor der Waffenübernahme lediglich ein Teil dieser. Das Syntagma res publica wird in der Germania nur an dieser Stelle verwendet. Lat. res publica44 bezeichnet eine öffentliche Angelegenheit, ein militärisches Einzelunternehmen, den öffentlichen Besitz, das öffentliche Interesse, die politische Gesamtlage oder die Sache oder das Eigentum des Volkes. In dieser Bedeutung nähert sich die Verbindung unserem Begriff ,Staat‘. So ist die res publica eng mit Begriffen wie ius, lex und libertas verbunden und setzt einen Senat oder Gemeinderat, Magistraturen und eine Volksversammlung voraus, die Gesetze gibt und Beamte wählt, so dass auch den italischen Landgemeinden eine eigene res publica zugesprochen werden kann. res publica steht hier in der gleichen Bedeutung wie sonst civitas, d.h. es wird damit die organisatorische Struktur eines Einzelstammes bezeichnet.45 Die Wahl der Wortverbindung an dieser Stelle hat wohl zwei Gründe: civitas hatte Tacitus schon kurz vorher verwendet, so dass hier ein Fall einfacher variatio vorliegen könnte. Aber zusätzlich suggeriert res publica einen Vergleich mit römischen Verhältnissen: Wie bei den Römern mit dem Anlegen der toga (praetexta) die Aufnahme in die res publica darstellt, geschieht sie bei den Germanen durch die Waffenübergabe.46 Tacitus stellt somit beide Vorgänge auf die gleiche Ebene. Die Fügung res publica bezeichnet das nicht-römische Staatswesen ebenfalls bei Tac. ann. 4,43,5: quo iure Vulcacius Moschus exul in Massiliensis receptus bona sua rei publicae eorum et patriae reliquerat ‚nach dem gleichen Recht war Vulcacius Moschus als Verbanter in Massilia aufgenommen worden und hatte jetzt sein Vermögen dieser Gemeinde als seiner Heimat hinterlassen‘; ebd. 14,27,3: ut consensu et caritate rem publicam efficerent ‚so daß sie [= ganze Legionen] in einträchtiger Wertschätzung eine Gemeinschaft bildeten‘. 2 insignis nobilitas aut magna patrum merita] Die Junktur insignis nobilitas erscheint ebenfalls Tac. ann. 3,24,3: qui per insignem nobilitatem et eloquentiam praecellebat ‚der [= Silanus] sich durch hohen Adel und ungewöhnliche Beredsamkeit auszeichnete‘. Beide Begriffe bilden keinen absoluten Gegensatz,47 da die nobilitas einer Person schließlich nicht zuletzt auch auf der magna merita der Vorfahren beruht. Die magna merita derjenigen mit insignis nobilitas liegt lediglich weiter zurück. Ebenso modifizierend wird aut ebenfalls in c. 6,1: nudi aut sagulo leves ‚wobei sie nur leicht bekleidet sind oder einen kurzen Überwurf tragen‘ und c. 7,1: nec infinita aut libera potestas ‚keine grenzenlose und unbeschränkte Herrschermacht‘ verwendet. 47 So auch Müllenhoff 1900: 259; Schweizer - Sidler 1923: 35; Much 1967: 223. 48 Man vgl. auch Gudemann 1916: 105: ”Das Attribut [= insignis] deutet darauf hin, daß im germanischen Adel Rangunterschiede bestanden.; Perl 1990: 172: ”insignis nobilitas weist darauf, daß es auch innerhalb des Adels Differenzierungen gab.. 49 Vgl. Robinson 1991: 207. 50 Vgl. ThLL I: 794,44-797,41; 799,78-800,68. So können beide Wörter neben puer stehen. 51 Für eine Änderung von adulescentibus in adulescentolis sind demgegenüber keine Gründe zu ersehen. 52 Vgl. Robinson 1991: 196. Durch die Hinzufügung des Adjektivs insignis wird eine Strukturierung innerhalb der nobiles-Gruppe vorausgesetzt.48 Unter die magna merita sind wohl primär kriegerische Taten zu fassen, wie auch in Tac. hist. 1,5,1: magnis meritis ‚für große Leistungen‘ damit Kriegstaten bezeichnet werden. principis dignationem etiam adolescentibus assignant] Die Hs. E (samt der von ihr abhängigen T) bietet als einzige die Lesart adolescentibus, alle anderen dagegen adolescentulis.49 Da es zwischen beiden keinen wirklichen Unterschied gibt,50 ist eine Entscheidung zu Gunsten der einen wie der anderen Lesart nicht möglich. Falls jedoch in adulescentibus eine Angleichung an adolescentum aus c. 14,2 gesehen werden könnte, wäre adolescentulis vorzuziehen.51 Die Interpretation dieser Stelle ist in der Forschung äußerst umstritten. Die handschriftliche Lesung ist jedoch ohne Probleme, da das in den Handschriften Bba überlieferte Wort dignitatem52 zweifelsohne als lectio facilior anzusehen ist53 (der 53 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 259; Much 1967: 223; Lund 1988: 149; Dobesch 1993: 30: ”sekundäre Interpretation.. 54 Vgl. ThLL V,1: 1132,14-15, 1133,9 und 27. 55 Nach Müllenhoff 1900: 259 wurde bis 1819 ausschließlich die passivische Bedeutung von dignatio vertreten, ”bis (Longolius und) Orelli … dignatio activ, transitiv als ‚würdigung, auszeichnung von seiten des fürsten‘ erklärte.. Ausführliche Beschreibungen der Argumente bieten Baumstark 1875: 511-525; Müllenhoff 1900: 259- 261; Perl 1990: 171-172. 56 Für diese Bedeutung treten z.B. ein: Baumstark 1875: 511-513; Müllenhoff 1900: 259-261; Reeb 1930: 34; Much 1967: 223-224; Wolff 1986: 257; Lund 1988: 149; Perl 1990: 172; Städele 1991: 336. Emendationsvorschlag von Lund 1988: 149: ”…, dann läßt sich die Stelle vielleicht folgendermaßen emendieren: principis dignationem., da nach ihm die ”Interpretation sprachlich betrachtet ein wenig gekünstelt erscheint, da das Verbalsubstantiv [sc. dignationem] als Akkusativ in einer syntaktischen Kette, die Nominativ, Akkusativ und Dativ impliziert, auftritt., ist als nicht notwendig abzulehnen). Dagegen ist die Interpretation der Wendung principis dignationem umstritten. dignatio ist ein Verbalsubstantiv, welches zwei Bedeutungen hat, zum einen eine aktivische ‚die Würdigung, Anerkennung des Wertes (Verdienstes) einer Person‘ und zum anderen eine passivische ‚die durch Verdienst erregte hohe Meinung‘.54 Die erste ist mit ‚Würdigung, Gunst, Gnade, Ehre‘, die zweite mit ‚Rang, Stellung, Würde‘ zu übersetzen. Zu beiden kann ein Genitiv gestellt werden, einerseits ein Genitivus subjectivus, andererseits ein Genitivus objectivus. Die Wendung kann also mit ‚Würdigung von Seiten eines princeps‘ oder mit ‚Würde, Rang eines princeps‘ übersetzt werden. Für beide Auffassungen sind Argumente vorgebracht worden.55 Für die aktivische Bedeutung wurde angeführt,56 dass die adulescentuli in Gegensatz zu den robustiores ac iam pridem probati stehen, welche dieselben sind wie der in c. 13,1 genannte iuvenem, da die Altersreihenfolge puer – adulecetulus – iuvenis ist (vgl. Tac. dial. 35,3: cum pueri inter pueros et adulescentuli inter adulescentulos … et dicant et audiantur ‚da Knaben unter Knaben, junge Männer unter jungen Männern… reden und sich hören lassen‘; ebd. 35,4: minus prudentiae exigentes pueris delegantur, controversiae robustioribus assignantur ‚weniger Klugheit erfordernd den Knaben übertragen, die Streitreden den schon Gereifteren zugewiesen‘). Es sei nun unwahrscheinlich, dass solche adulescentuli schon die Würde eines princeps bekommen. Ebenfalls hätte von einer solchen princeps-Würde schon einmal die Rede sein müssen, damit Tacitus etiam adulescentulis hätte schreiben können, da etiam sich – wie die Stellung zeige – auf adulescentulis bezieht. Wäre gemeint ‚Würde, Rang eines princeps‘, hätte etiam vor principis stehen müssen. Auch sei im Folgenden von adulescentuli als principes keine Rede mehr. Schließlich stünden die nächstgenannten comites dann ohne einen Anführer da, da dieser nicht genannt worden wäre. Als Argument für die passivische Bedeutung ‚Würde‘ wird angegeben,57 dass dignatio bei Tacitus in den anderen zwölf Belegen des Wortes nur so verwendet wird (vgl. etwa hist. 1,52,4: imperatoris dignationem ‚die Würde eines Herrschers‘).58 Auch wurde zu Recht bemerkt, dass – falls es sich um eine Würdigung seitens eines princpes handle, was doch wohl eine Auszeichnung ist – die Bemerkung nec rubor est … zumindest befremdlich wäre.59 Auch scheint das Verbum assignare seiner Bedeutung nach ungezwungener zur passivischen Bedeutung von dignatio zu passen. Das Verbum ist bei Tacitus mehrmals belegt; vgl. etwa Germ. c. 2,2: Manno tres filios adsignant ‚dem Mannus schreiben sie drei Söhne zu‘; ebd. 14,1: sua quoque fortia facta gloriae eius adsignare ‚die eigenen tapferen Taten seinem Ruhm zuzurechnen‘; dial. 35,4: pueris delegantur, controversiae robustioribus adsignantur ‚ den Knaben übertragen, die Streitreden den schon Gereifteren zugewiesen‘; ebd. 36,3: assignatae etiam domibus inimicitae ‚die in den Familien vererbten Feindschaften‘; hist. 1,30,3: imperium adsignabunt ‚sollen die den Thron vergeben‘; ebd. 2,60,1: ac pleraque fortuita fraudi suae adsignantes ‚und noch viele andere Zufälligkeiten schrieben sie ihren verräterischen Absichten zu‘. Die Bedeutung von adsignare ist somit etwa ‚anweisen, eine Anweisung geben, verleihen‘. Dass hier tatsächlich die passivische Bedeutung vorliegt, wird ebenfalls nahe gelegt durch den Vergleich mit hist. 1,52,4: Vitellio tres patris consulatus … imponere iam pridem imperatoris dignationem ‚dem Vitellius aber verliehen die drei Konsulate des Vaters … schon längst die Würde eines Herrschers‘. Auch hier sind es nämlich große Verdienste der Vorfahren, die einer Person die dignatio imperatoris verleihen. Die Kontexte beider Stellen sind durchaus vergleichbar. 57 Für die passivische Bedeutung treten z.B. ein: Gudeman 1916: 105; Schweizer - Sidler 1923: 35; Büchner 1985: 313-314; Antonsen 1997: 92; Rives 1999: 181. 58 Dass dies ein Beweis für diese Stelle sei, wird natürlich von denjenigen, die dignatio aktivisch auffassen, geleugnet (vgl. etwa Perl 1990: 172). Es ist zwar kein Beweis im engeren Sinne, zeigt jedoch an, wie Tacitus das Wort verwendet hat. Dass in Gegensatz dazu Tacitus’ Zeitgenossen das Wort auch aktivisch verwendet haben, ist jedenfalls nicht als Argument dagegen zu werten, dass Tacitus das Wort lediglich passivisch benutzt hat. 59 Anders freilich etwa Wolff 1986: 260, Anm. 6. Es liegt somit nahe, die Fügung passivisch aufzufassen, und zwar dann im Sinne von ‚Anführerrang‘. Ob die jungen Männer diesen Rang damit tatsächlich ausüben oder ob sie nur designierte Anführer sind, bleibt hingegen offen. Ersteres mag in Anbetracht der Aussage in c. 14,2 plerique nobilium adulescentum petunt ultro eas nationes ‚begeben sich viele der vornehmen jungen Männer von sich aus zu solchen Stämmen‘ näher liegen. Es ist dabei aber die Position von etiam näher zu erklären. Es wurde eingeworfen, dass von einer solchen princeps-Würde schon die Rede hätte sein müssen, damit man schreiben könne, dass auch schon junge Männer diese zugewiesen bekommen können.60 Dagegen ist einzuwenden, dass auch von der Würdigung seitens eines princeps vorher nicht die Rede war, lediglich von einer Waffenübergabe. Auch bei dieser Interpretation wird somit der Bezugspunkt zum etiam aus der princeps-Handlung geholt, in welche ebenfalls noch hineininterpretiert wird, dass damit eine Aufnahme in die Gefolgschaft verbunden sei. Bei der passivischen Auffassung von dignatio, die auch jungen Männern zuteil werden kann, kann etiam bezüglich der Funktion des princeps bei der Waffenübergabe aufgefasst werden: auch schon junge Männer können diesen princeps-Rang bekommen, der u.a. die Waffenübergabe beinhaltet. 60 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 260. 61 Lund 1988: 149; vgl. auch Städele 1991: 336: ”Die Verbesserungsvorschläge für das offensichtlich verderbt überlieferte Wort ….. 62 Vgl. etwa Anderson 1997: 92: ”These older men are – most awkardly – not defined till the next clause as the comites of a princeps.; ebenso Lund 1988: 149: ”da sie die Erwähnung einer neuen noch nicht genannten Gruppe bringt.;. 63 Vgl. auch Lund 1988: 149. Anders Perl 1990: 172: ”so daß dieser Begriff [= comites] vom Ende her bereits auf den ganzen Satz ausstrahlt.. 64 Vgl. die Angabe bei Robinson 1991 : 290. Diese Konjektur hat die größte Verbreitung gefunden; vgl. etwa Halm 1930: 229; Koestermann 1970: 13; Much 1967: 224 (Zufügung Lange): ”Koestermanns Text ceteri robustioribus … sollte jedoch auch erwogen werden. gegen den Originaltext von Much, der ceteris beibehält; Heubner 1989: 175-176; Rives 1999: 182. 65 Gudeman 1916: 243: ”(gewissen) bestimmten älteren und längst erprobten Mitgliedern.. Nach ihm bedürfe seine Konjektur ”gar keine Änderung., da er von einer Abkürzung ct.s ausgeht. Allerdings gibt es für die ehemalige Existenz dieser Kürzung keinen Hinweis. 66 Vgl. die Angabe bei Koestermann 1970: 13. 67 Lund 1988: 149; vgl. auch Städele 1991: 336: ”Die Verbesserungsvorschläge … können nicht befriedigen". ceteris robustioribus ac iam pridem probatis aggregantur] In den Handschriften ist ceteris einheitlich überliefert. Man hat aber gemeint, hier emendieren zu müssen, da die Stelle ”unzweifelhaft korrupt. sei,61 zumal eine bis jetzt noch nicht eingeführte Gruppe, die der comites,62 bezeichnet werden soll, und ”it is most unusual to supply a word from the following clause …..63 Es gibt drei Emendationsvorschläge: 1. Lipsius änderte ceteris in ceteri;64 2. Gudeman wandelte ceteris in certis ab;65 3. Koestermann emendierte ceteris in ceterum.66 Jedoch hat sich Lund zu Recht gegen diese Emendationen geäußert: ”Die Emendationen … überzeugen nicht, da sie den Kontext nicht genügend berücksichtigen..67 Gerade gegen ceteri ist geltend zu machen, dass dann alle Personen, die gerade für waffenfähig erklärt wurden, in Gefolgschaften aufgeteilt werden,68 ein doch – schon aus ökonomischen Gründen – wohl unwahrscheinlicher Vorgang. Aber auch Lunds eigener Emendationsvorschlag, die Änderung in aetate, ist schon wegen des handschriftlichen Befunds nicht durchschlagend.69 68 Vgl. etwa Heubner 1989: 176: ”die anderen jungen Krieger dagegen gesellten sich den schon Kräftigeren und schon länger im Waffendienste Erprobten zu.. 69 Lund 1988: 149: ”Ich schlage vor, daß man statt ceteris (oder vielmehr ceteri, die Lesart des Archetyps, wie ich glaube), aetate liest. Die Verwechslung von c und e kommt bekanntlich häufig vor.. Aus denselben Gründen ist auch die Emendation von Städele 1991: 336 nicht überzeugend: ”Meiner Ansicht nach entspräche … eher comitibus oder vielleicht sogar catervis, das Tacitus in seinen historischen Schriften oft auf germ. ‚Horden‘ anwendet.. Von Anderson 1997 wird die Stelle mit dem crux desperationis versehen. 70 Eine Aussage, dass junge Leute mit Anführerrang sich anderen jungen, aber erfahreneren, Leuten anschlossen, macht kaum einen Sinn. 71 Vgl. etwa Robinson 1991: 289-291; Perl 1990: 172. 72 Daher treffen alle Interpretationen, die von einer Einführung einer neuen Gruppe ausgehen (alle, die hier schon Gefolgschaftsleute erwarten) nicht das Richtige. 73 Das Verbum aggregare bezieht sich somit auf das Hinzufügen der neuen, jungen principes zu den älteren, nicht auf die comites (so etwa Baumstark 1875: 519-520, dessen angeführte syntaktische Parallele aus c. 26 auf einem geänderten Text beruht; Perl 1990: 172). 74 Baumstark 1875: 514; ebenso Perl 1990: 171. 75 Reeb 1930: 34. Wenn man das ceteris im Text halten will (und die handschriftliche Überlieferung spricht entschieden dafür), gibt es zwei mögliche Bezugspunkte: Erstens adulescentuli und zweitens principes. Bei dem ersten Bezugspunkt ergeben sich allerdings einige Schwierigkeiten. Denn dabei kann eigentlich nur von der aktivischen Bedeutung bei dignatio ausgegangen werden,70 die aber wohl nicht zutrifft. Ebenfalls schwingt bereits die Gefolgschaft mit,71 was wegen der Verwendungsweise von ceteri nicht statthaft ist, da ceteri nicht einfach ‚die anderen‘, sondern ‚die übrigen alle, der andere gleichartige Teil‘, also die Restlichen der schon genannten, bezeichnet.72 Eine völlig zwangslose Interpretation der Stelle ergibt sich dagegen, wenn man ceteris auf principes bezieht. Die neuen jungen Anführer werden den schon älteren und erfahrenen, denen sie beigesellt werden, gegenübergestellt.73 Gegen eine solche Deutung wurde geltend gemacht, dass man schlecht von principibus aggregantur sprechen könne: ”Aber wer ertrüge einen grex principum …?..74 Allerdings ist das Wort keine direkte Ableitung von grex ‚Herde‘, sondern ist eine Bildung zu gregare (das von Menschen gebraucht ‚sich [zusammen]scharen‘ bedeutet), die erst seit Cicero belegt ist. Auch grex selbst ist von Menschen verwendet ‚die Schar, der Kreis, die Gesellschaft‘. Das Verbum aggregare bedeutet somit lediglich ‚beigesellen, zugesellen‘, was problemlos auf eine Gruppe von principes zutreffen kann, der man sich anschließt. Von Reeb wurde dabei eingewandt, dass ”die Worte rosbustioribus ac probatis … die Beziehung auf principes aus, bei denen doch andere Eigenschaften hervorgehoben werden müssten..75 Allerdings hatten schon Schweizer – Sidler bemerkt, dass in robustiores nicht nur das Element des ‚kräftigeren‘ steckt, sondern es ebenfalls an ”die Bedeutung ‚älter‘. streife (zu dieser Bedeutungsnuance vgl. etwa Tac. dial. 35,4: ex his suasoriae quidem tamquam plane leviores et minus prudentiae exigentes pueris delegantur, controversiae robustioribus assignantur ‚davon werden die Empfehlungsreden als eindeutig und von geringerem Gewicht und weniger Klugheit erfordernd den Knaben übertragen, die Streitreden den schon Gereifteren zugewiesen‘; Quint. inst. 2,2,14: pueros adulescentibus permixtos sedere non placet mihi … tamen vel infirmitas a robustioribus separanda est ‚daß die Knaben mit den Jünglingen durcheinandersitzen, gefällt mir nicht … so soll man doch die noch schwachen Kinder vom kräftigeren Alter trennen‘).76 Bei probatis hat Reeb schließlich das entscheidende iam pridem weggelassen, eine Fügung, die auch etwa bei Cicero belegt ist und ‚schon längst, schon seit langem‘ bedeutet (vgl. etwa Cic. Verr. 2,29: ego iam pridem ab eo cui meam existimationem caram fore arbitror peto ‚ich bemühe mich schon lange bei jemandem, von dem ich glaube, daß ihm mein Ruf etwas wert ist‘). Die ganz jungen principes sind eben noch nicht probati. Die ganz jungen Personen können somit zwar schon princeps werden, obwohl sie eigentlich noch nicht alt genug dazu sind und ebenfalls keine eigene Leistungen vorzuweisen haben, sie werden aber denen, die diese Eigenschaften aufweisen, beigesellt. 76 Schweizer - Sidler 1923: 35; vgl. ebenfalls Müllenhoff 1900: 261-262, Gudeman 1916: 105, Perl 1990: 172. 77 Anders Reeb 1930: 34. 78 Vgl. Müllenhoff 1900: 262; Löfstedt 1956a: 196-197; Lund 1988: 149; Anderson 1997: 93. Es liegt somit kaum ein Gegensatz zu den römischen Verhältnissen vor,77 wo die jungen Adeligen ihre militärische Karriere häufig ohne jegliche militärische Erfahrung als tribunus militum begannen. nec rubor] Die Wendung ist poetisch (vgl. etwa Ov. ars 3,167: nec rubor est emisse ‚auch erröten sie nicht, wenn sie‘s kaufen‘; Tib. 2,1,29-30: non festa luce madere / est rubor ‚am Festtag bringt es nicht Schande, wenn man sich reichlich begoß‘), wird jedoch auch anderswo in der Prosa verwendet (vgl. u.a. Cic. nat. 1,75: nec ille fusus et candore mixtus rubor sanguis est ‚und ihre mit strahlendem Weiß gemischte Röte ist kein Blut‘). Sie steht für nec rubori est.78 Als paralleler Ausdruck findet sich pudor est neben pudori est (vgl. etwa bei Liv. 40,27,10: quantus pudor esset ‚eine wie große Schande es sei‘). Der bedeutungsmäßige Unterschied zwischen pudor und rubor liegt darin, dass Ersteres das Gefühl der Scham, Letzteres den Grund zur Scham bezeichnet (vgl. zu rubor in dieser Bedeutung auch Tac. dial. 37,1: ergo non minus rubore quam praemiis stimulabantur ‚also wurde sie ebenso durch das Ehrgefühl wie durch Auszeichnungen angespornt‘).79 79 Nicht ganz richtig ist demnach, wenn behauptet wird, dass ”nec rubor = nec pudor est. (Much 1967: 224; ebenso Gudeman 1916: 105; vgl. abgeschwächt Lund 1988: 149: ”Nec rubor est steht hier demnach im Sinne von nec pudor est oder nec pudori est.). 80 Vgl. Kühner - Stegmann II,1: 695; Hofmann - Szantyr 1972: 359. 81 Der Terminus ‚Gefolgschaft‘ wird hier beibehalten, obwohl er umstritten ist. 82 Vgl. Baumstark 1875: 522; Müllenhoff 1900: 262; Gudeman 1916: 106; Schweizer - Sidler 1923: 35; Reeb 1930: 34; Much 1967: 224. Allerdings ist es, wie oben schon gesagt, bei einer aktivischen Auffassung von dignatio merkwürdig, dass es für einen ganz jungen Adeligen eine Schande sein soll, bei einer Aufnahme in die Gefolgschaft, was doch wohl eine Ehre ist, unter viel erfahreneren Kämpfern gesehen zu werden. 83 Daher ist die Bemerkung von Much 1967: 224 nicht ganz richtig, dass hier ”zum erstenmal der Ausdruck, der geradezu ein technischer wird zur Bezeichnung der germanischen Gefolgsleute. begegnet. 84 Zur Unterschiedlichkeit vgl. auch Müllenhoff 1900: 262; Schweizer - Sidler 1923: 35. Anders Kristiansen 1983: 27: ”Lediglich derjenige, der die Kapitel einzeln herauslöst und es unterläßt, den gesamten Zusammenhang, zu dem die einzelnen Aussagen jeweils gehören, zu berücksichtigen, kann auf die Vorstellung verfallen, daß Tacitus mit dem Satz nec rubor inter comites aspici in Kap. 13 etwas gänzlich Neues einführt. Es gibt kein einziges Argument dafür, daß die comites des Kap. 13 eine ganz andere Institution repräsentieren als diejenigen des Kap. 12.. Von rubor hängt die AcI-Konstruktion ab.80 inter comites aspici] Dieser Satz wird (einerlei bei welcher Auffassung von dignatio) in dem Sinne interpretiert, dass es für den jungen Adeligen keine Schande sei, unter den Gefolgschaftsleuten81 gesehen zu werden.82 Bei der passivischen Auffassung von dignatio wäre es wohl in der Tat – trotz des jungen Alters – keine besondere Ehre, unter den einfachen Gefolgsleuten zu sein. Daher kann dies auch nicht gemeint sein. Nun hatte Tacitus das Wort comites schon in c. 12,3 verwendet,83 womit er die Beisitzer für die principes mit Richterfunktion bezeichnete. Es scheint somit, dass ein princeps definiert ist als ein Adeliger mit einem Gefolge. In c. 12,3 waren es auf ein paar Tage gewählte principes, die somit ihre comites auch nur ein paar Tage behielten, hier handelt es sich um permanente principes, die deshalb auch ein permanentes Gefolge bekommen. Beide Gruppen sind also nicht identisch und haben auch nicht dieselbe Funktion, sondern sind lediglich als Organisationsform zu vergleichen.84 Da die jungen Adeligen selbst einen princeps-Rang zugesprochen bekommen, werden sie auch ein Gefolge haben. Es scheint nun viel natürlicher, den Satz inter comites aspici so aufzufassen, dass es für die jungen Adeligen keine Schande ist inmitten der Gefolgsleute, und zwar der eigenen gesehen zu werden, auch wenn sie bis jetzt nichts geleistet haben. Erst an dieser Stelle findet somit der Übergang zum Gefolgschaftswesen statt. Der Begriff war schon eingeführt, so dass diese Stelle insofern an c. 12,3 anschließt. Fern zu halten von den taciteischen Äußerungen über die Gefolgschaft ist die Aussage von Caes. Gall. 6,23,7: atque ubi quis ex principibus in concilio dixit se ducem fore, qui sequi velint, profiteantur, consurgunt ii qui et causam et hominem probant, suumque auxilium pollicentur atque a multitudine conlaudantur ‚sobald in einer Versammlung einer der führenden Männer verkündet, er werde einen solchen Zug anführen, und wer ihm folgen wolle, solle sich melden, stehen die auf, denen das Unternehmen und sein Leiter gefallen, und versprechen ihre Unterstützung. Sie werden vom ganzen Volk gelobt‘, da es hier um eine je nach Gelegenheit zusammengefundene Gruppe geht, bei Tacitus dagegen um eine feste Größe bei den Germanen.85 Bei dem Wort comites liegt eine interpretatio romana vor, so dass man nicht genau weiß, was die Germanen darunter verstanden haben. Das Wort comes ist kein technischer Begriff. Es wird zumeist verwendet, um jemanden mit einem niedrigeren Status oder Rang zu bezeichnen. In den Schriften des Tacitus wird damit häufig ein Gefolgsmann römischer Magistrate oder Generäle bezeichnet. Dagegen gebraucht Tacitus in seinen Werken, wenn er von Gefolgsleuten bei den Germanen spricht, das Wort cliens (vgl. ann. 1,57,3: et ereptus Segestes magna cum propinquorum et clientium manu ‚es kam … zur Befreiung des Segestes samt einer großen Schar von Verwandten und Gefolgsleuten‘; ebd. 2,45,1: ni Inguiomerus cum manu clientium ad Maroboduum perfugisset ‚wenn nicht Inguiomerus mit einer Gruppe von Anhängern zu Marbod übergegangen wäre‘; ebd. 12,30,2: secuti mox clientes et acceptis agris in Pannonia locati sunt ‚bald folgten ihm seine Anhänger und erhielten Akkerland in Pannonien, wo sie angesiedelt wurden‘). 85 Vgl. Lund 1991: 1899-1900. 86 Vgl. Casaretto 2004: 242. Auffällig ist, dass dem comes, wörtlich ‚Mitgänger‘, in den germ. Sprachen eine semantisch identische Bildung entspricht: got. gasinþa*, ahd. gisindo, ae. gesiða, aisl. sinni < urgerm. *ga-senþan- ‚Reisegefährte‘.86 gradus quin etiam et ipse comitatus habet iudicio eius, quem sectantur] Üblicherweise wird folgender Text gegeben: gradus quin etiam ipse comitatus habet, wobei quin etiam auf gradus bezogen wird. Allerdings ergibt sich dabei durchaus eine Schwierigkeit, da dies als Begründung aufgefasst wird, warum es für einen jungen Adeligen keine Schande sei, unter Gefolgsleuten gesehen zu werden. Zum einen hätte man eine begründende Erläuterung wohl kaum durch quin etiam erwartet, sondern eher durch nam oder Ähnliches. Zum anderen wird in der Literatur mit diesen gradus die aus späterer Zeit belegbare Einteilung der Gefolgschaft verglichen, welche vor allem im ae. Beowulf ausgeführt ist.87 Hier teilt sich die Gefolgschaft in die ae. geoguð ‚Jugend‘ und duguð ‚Tugend‘ (vgl. Beow. 620-622: ymbeode þa ides Helminga duguþe ond geogoþe dæl æghwylcne, sincfato sealde ‚die Dänenkönigin ging zu beiden Gruppen, den Jungen und den Alten, und reichte ihnen die kostbaren Becher‘; beide Gruppen scheinen somit in der Halle getrennt zu sitzen).88 Unter die Ersteren fallen die zur Erziehung am Hof weilenden Knappen aus vornehmen Familien,89 unter Letztere die älteren, bewährten Kämpfer. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass der junge Adelige gleich in die zweite Gruppe eingeordnet wird, die nach Ausweis späterer Quellen tatsächlich in sich gegliedert ist (schon bei Amm. 16,12,60 ist von tres amici iunctissimi des Alamannenkönigs Chnodomarius die Rede; im Ae. ist dann die Rede von einem runwita ‚geheimer Ratgeber, Vertrauter‘ und rædbora ‚Ratgeber‘; diejenigen, die in unmittelbarer Nähe des Anführers kämpfen, heißen eaxlgesteallan ‚Schultergefährten‘).90 Er wird somit in die jugendliche Gruppe eingereiht, was als Begründung dafür, dass es keine Schande sei, dort gesehen zu werden, kaum ausreicht. 87 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 263-264; Schweizer-Sidler 1923: 36; Much 1967: 224. 88 Vgl. Hoops 1932: 85. 89 Sicher nicht ganz richtig ist die Angabe bei Müllenhoff 1900: 263, dass diese noch nicht waffenfähig waren (vgl. Beow. 64-67: þa wæs Hroðgare heresped gyfen, wiges weorðmynd, þæt him his winemagas georne hyrdon, oðð þæt seo geogoð geweox, magodriht micel ‚Hrothgar war im Kampf erfolgreich und erlangte Ruhm dabei, so dass ihm seine Stammesgenossen gerne gehorchten, bis die Schar der jungen Krieger angewachsen war, eine starke Gefolgschaft‘). 90 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 264 und Much 1967: 225-226. 91 Das et wurde auch von Beatus Rhenanus in seinem Exemplar der Ausgabe von Venedig (1497) übergeschrieben. 92 Passow 1817: 20; Günther 1826: 19. 93 Vgl. Hofmann - Szantyr 1972: 676-677. 94 So Much 1967: 225. Nun ist in einigen Hss. (ETr) und frühen Drucken (kU) auch die Lesart gradus quin etiam et ipse comitatus habet bezeugt,91 die auch in einigen späteren Ausgaben Eingang gefunden hat,92 also unter Einfügung eines et. Dieses et kann nicht als Kopula verstanden werden, sondern nur als Adverb ‚auch‘, und ist somit auf ipse comitatus zu beziehen, was nichts anderes bedeuten kann, als dass es (wie unter den principes) auch in der Gefolgschaft Abstufungen gibt. Auch der Bezugspunkt von quin etiam scheint nicht eindeutig zu sein. Die Folge hat steigernde Funktion,93 aber es fragt sich, falls man die Folge auf gradus bezieht, wozu sie im Vorhergehenden als Steigerung dient. Da der junge Adelige, nach der geläufigen Interpretation des Textes, doch wohl nicht sofort ganz oben in der Gefolgschaft angesiedelt wird, hat es wenig Sinn, gradus als steigernd zu nec rubor aufzufassen.94 Nun bezieht sich die Folge quin etiam oft nicht auf das Vorhergehende, sondern auf das Nachfolgende und steht demgemäß häufig am Satzanfang oder Satzgliedanfang nach einem Komma.95 Es ist somit zu überlegen, ob sie hier, wie et, ebenfalls auf ipse comitatus bezogen werden kann. Dass dies das Richtige trifft, kann aus der Interpunktion in der Hs. E geschlossen werden, wo sich der Text folgendermaßen findet: Gradus: quin etia & ip.e comi/tatus ht. iudicio eius que sectantur: Die Doppelpunkte geben Einschnitte an, die in etwa heutigen Kommata entsprechen, so dass eine Bedingung für den Bezug von quin etiam auf das Nachfolgende erfüllt ist. Auch inhaltlich scheint dieser Bezug besser zu passen, denn man kann die Steigerung dann als ‚nicht nur unter den Anführern, ja sogar im Gefolge selbst gibt es Rangstufen‘ interpretieren. Diese Deutung wird auch durch das Nachfolgende unterstützt, wo von der aemulatio sowohl bei den Gefolgsleuten wie bei den Anführern die Rede ist. Somit ist sowohl das et als auch der Bezug von quin etiam auf comitatus für das Textverständnis erforderlich. 95 Vgl. Menge 1993: 324. 96 So Wolff 1986: 260-261; See 1994: 36; Lund 1988: 150. 97 Vgl. Baumstark 1875: 522-523; Gudeman 1916: 106; Schweizer-Sidler 1923: 36; Reeb 1930: 34; Perl 1990: 172. 98 Man vgl. die gegensätzlichen Meinungen auf der archäologisch-geschichtlichen Ebene etwa zwischen Lund 1991: 1899: ”Ein Gefolgschaftswesen bei den Germanen zu Tacitus’ Zeit läßt sich geschichtlich nicht nachweisen. und Steuer 1992: 257: ”Dabei sollte der Archäologe auch davon ausgehen, daß die Germanen Gefolgschaften bildeten, als die sozialen und politischen Bedingungen diese erforderten, nicht weil die Kelten ihnen das vorgemacht haben … Beispiele konnten zeigen, daß es wenigstens archäologische Hinweise auf Hofgefolge als unmittelbare Begleitung eines Anführers gibt, daß ebenso mit verstreut wohnenden (bestatteten) Angehörigen einer solchen Gefolgschaft zu rechnen ist.. 99 Man vgl. die gegensätzlichen Meinungen auf der literarischen Ebene etwa zwischen See 1994: 45: ”Näher aber liegt wohl der Gedanke, daß Tacitus … keltische Verhältnisse auf Germanien überträgt. und Perl 1990: 174: ”Die Vermutung, die Beschreibung der germanischen Gefolgschaft … sei eine bloße Übertragung gallischer Verhältnisse, läßt außer Betracht, daß mehrere spezifische Einzelangaben ohne Parallelen sind.. Ob durch gradus tatsächlich ein Vergleich mit den römischen gradus honorum ausgedrückt wird,96 ist durchaus unsicher. Die Wendung eius, quem sectantur (vgl. zum Ausdruck Tac. dial. 20,4: iuvenes … qui … oratores sectantur ‚die jungen Männern, … die sich … den Rednern anschließen‘) ist Umschreibung für den Gefolgschaftsanführer (= princeps), wohl damit das Wort nicht zu häufig vorkommt.97 Es gibt eine Diskussion darüber, ob Gefolgschaften, wie Tacitus sie beschreibt, bei den Germanen überhaupt eine historische Realität gewesen seien,98 oder ob hier nicht lediglich ein literarischer Topos vorliege, der von entsprechenden Institutionen bei den Kelten – beschrieben etwa bei Polybios und Caesar – auf die Germanen übertragen sei.99 Es scheint jedoch keinen hinreichenden Grund für die Leugnung von Gefolgschaftsstrukturen bei den Germanen zu geben.100 100 Vgl. hierzu auszführlich RGA 10: 537-554. 101 Vgl. RGA 10: 533-537. 102 Es liegen Ableitungen zu urgerm. *senþa- ‚Weg‘ (> got. sinþs, ahd. sint, as. sid, ae. sið) vor (< uridg. *sento- ‚Weg‘ [> air. set, kymr. hynt]); vgl. Lühr 2000: 210. 103 Vgl. EWA I: 518-519. 104 Vgl. Lühr 2000: 226. 105 Vgl. Gudeman 1916: 106; Much 1967: 226. Für eigenständige germanische Gefolgschaftsstrukturen sprechen auch folgende Begriffe, die dem Gefolgschaftswesen zugeschlagen werden können:101 a. ahd. gisindi, as. gisithi, ae. gesið, aisl. sinni < urgerm. *gasenþi.a- ‚Gefolge, Schar‘ mit dazugehörigem got. gasinþa*, ahd. gisindo, ae. gesiða < urgerm. *gasenþan- ‚Gefährte, Weggenosse; Gefolgsmann‘;102 b. ahd. -segga (nur in beinsegga ‚Dienerin‘), as. seg(g), ae. secg, aisl. seggr < urgerm. *sag..a/o(n)- ‚Begleiter(in)‘ < uridg. *sok..o- ‚Gefährte‘ (> lat. socius);103 c. got. (-)drauht- (in gadrauhts ,Soldat‘, drauhtiwitoþ , Feldzug‘), ahd. truht, as. druht- (in druhtskepi ,Herrschaft‘), ae. dryht, afries. drecht, dracht, aisl. drótt ,Gefolge, Schar‘, auch in PN (vgl. got. Dructacharius, lgb. Dructemarius) < urgerm. *dru.ti- ,Menge, Schar, Heer, Gefolge, Volk‘, eine Ableitung zu urgerm. *dre.ge/a- ‚Gefolgschaft leisten‘ (> got. driugan, ae. dreogan).104 magnaque et comitum aemulatio, quibus primus apud principem suum locus, et principum, cui plurimi et acerrimi comites] Zum Ausdruck vgl. Tac. dial. 34,1: ad eum oratorem, qui principem in civitate locum obtinebat ‚dem Redner zugeführt, der eine führende Stellung im Staat einnahm‘. Wie durch die vorhergehende Folge gradus quin etiam et ipse comitatus habet schon angedeutet wurde, gibt es sowohl in der Gefolgschaft wie unter deren Anführern Rangabstufungen, so dass es in beiden Gruppen einen ständigen Wettstreit um Vorrangsstellungen gibt. suum zeigt die enge Verbindung zwischen den Mitgliedern der Gefolgschaft und dem Anführer an.105 Das Kriterium für das Ansehen der Anführer ist somit ein großes und wehrhaftes Gefolge. Die Zahl der Gefolgsleute wird allerdings durch die Grenzen bei der Verpflegung (s. c. 14,2) eingeschränkt gewesen sein. Der schon erwähnte Alamannenkönig Chnodomarius hatte zweihundert Gefolgsleute (vgl. Amm. 16,12,60: comitesque eius ducenti numero ‚und zweihundert seiner Begleiter‘), was sicherlich als eine hohe Zahl gelten darf. Ebenfalls keine Zahlenangabe macht Tacitus bei den Gefolgschaften des Segestes (ann. 1,57,3: et ereptus Segestes magna cum propinquorum et clientium manu ‚es kam … zur Befreiung des Segestes samt einer großen Schar von Verwandten und Gefolgsleuten‘), Inguiomerus (ann. 2,45,1: ni Inguiomerus cum manu clientium ad Maroboduum perfugisset ‚wenn nicht Inguiomerus mit einer Gruppe von Anhängern zu Marbod übergegangen wäre‘), Catualda (ann. 2,62,2: is valida manu finis Marcomanorum ingreditur ‚er drang mit einer starken Mannschaft ins Markomannenland ein‘) und Vannius (ann. 12,30,2: secuti mox clientes et acceptis agris in Pannonia locati sunt ‚bald folgten ihm seine Anhänger und erhielten Akkerland in Pannonien, wo sie angesiedelt wurden‘). Dasselbe Kriterium ist auch bei den Galliern bezeugt, vgl. Caes. Gall. 6,15,2: atque eorum ut quisque est genere copiisque amplissimus, ita plurimos circum se ambactos clientesque habet. hanc unam gratiam potentiamque noverunt ‚wer von ihnen die vornehmste Herkunft oder die meisten Mittel hat, der hat auch die meisten Clienten und Sklaven um sich. Sie kennen nur dies eine Kriterium für Ansehen und Macht‘; Pol. 2,17,12: pep. d. t.. .ta.pe.a. µe...t.. .p..d.. .p.....t. d.. t. .a. f.ßep.tat.. .a. d..at.tat.. e..a. pap’ a.t... t..t.., .. .. p.e..t... ..e.. d... t... .epape...ta. .a. ..µpep.fep.µ..... a.t. ‚von besonderer Bedeutung war für sie das Gefolgschaftswesen, denn am gefürchtetsten und mächtigsten ist bei ihnen, wer die zahlreichsten Klienten und ständigen Begleiter hat‘. Jedoch sind die Anzahl der Klienten der gallischen Adeligen nicht mit der der germanischen vergleichbar. Nach Caes. Gall. 1,4,2 hatte Orgetorix 10 000 solche Personen um sich: die constituta causae dictionis Orgetorix ad iudicium omnem suam familiam, ad hominum milia decem, undique coegit et omnes clientes obaeratosque suos, quorum magnum numerum habebat, eodem conduxit ‚zu dem festgesetzten Gerichtstermin bot Orgetorix seine gesamten Sklaven, etwa 10 000 Mann, von allen Seiten her auf. Desgleichen ließ er alle seine Clienten und Schuldner, über die er in großer Zahl verfügte, dazukommen‘. 3 haec dignitas, hae vires magno semper et electorum iuvenum globo circumdari: in pace decus, in bello praesidium] Die Wörter decus und praesidium kommen häufiger zusammen vor, vgl. etwa bei Lucr. 2,643: praesidioque parent decorique parentibus esse ‚und sich zu rüsten, Wehr und Zierde den Eltern zu werden‘; Sall. Iug. 19,1: pars originibus suis praesidio, aliae decori fuere ‚brachten ihren Mutterstädten teils Schutz, teils auch Prestige‘. Die genaue Interpretation der Stelle ist unklar, da die Interpunktion unsicher ist. Inhaltlich wird dasselbe wie im vorhergehenden Satz ausgesprochen. Das Problem liegt darin, dass man mit haec dignitas, hae vires und mit in pace decus, in bello praesidium zwei Ausdrücke hat, für die eine Ergänzung durch est in Frage kommt. Wo immer man es ergänzt, muss man den Hauptsatz ansetzen. Es fragt sich somit, ob nach vires106 oder nach circumdari,107 bzw. nach beiden108 zu interpungieren ist. Auch hat man haec dignitas, hae vires zum Vorhergehenden gezogen und erst mit magno einen neuen Satz anfangen lassen.109 Dies hat man gemeint tun zu dürfen, da bei den anderen hic-Reihungen in der Germania immer Rückbezug vorliegt (vgl. c. 13,1, 18,2 und 32.1). Allerdings ist dieses Argument hier nicht stichhaltig, da der Satz (so wie er hier aufgefasst ist) stilistisch betrachtet drei Hauptglieder hat, von denen das mittlere Glied magno – circumdari das wichtigste ist, das von den beiden anderen, kleineren eingerahmt ist. Auch sind im nachfolgenden Satz übrigens die Wörter id und ea vorverweisend (s.u.).110 Zusätzlich spricht für diese Auffassung, dass es ebenfalls einen Bezug zwischen dignitas und decus auf der einen und vires und praesidium auf der anderen Seite gibt.111 Schließlich kann ein Rückbezug nur auf aemulatio zielen, worüber Baumstark zu Recht schreibt: ”aemulatio kann aber nicht genannt werden dignitas oder vires..112 106 So interpungieren etwa Fuhrmann 1995: 22; Anderson 1997. 107 So interpungieren etwa Maßmann 1847: 69; Winterbottom - Ogilvie 1985: 44; Lund 1988: 80; Städele 1991: 94; Benario 1999: 26. 108 So interpungieren die meisten Herausgeber, etwa Passow 1817: 20; Grimm 1835: 8; Holtzmann - Holder 1873: 40; Gudeman 1916: 106; Schweizer-Sidler 1923: 36; Halm 1930: 229; Reeb 1933: 34; Lenchantin de Gubernatis 1949: 11; Koestermann 1970: 13; Önnerfors 1983: 11; Perl 1990: 92; Robinson 1991: 290; Perret 1997: 79. 109 Tross 1841: 12 mit der Bemerkung: ”Egregiam huius loci distinguendi rationem a Sellingio propositam confirmat codex noster, neque potest dubitari, quin ea sit ut verissima, ita et optima.; vgl. auch Rudolphi 1855: 11; Anderson 1997: 94. 110 Zur Argumentation vgl. auch Baumstark 1875: 523; Müllenhoff 1900: 264. Bezug auf das Folgende nehmen auch etwa Gudeman 1916: 106 und Much 1967: 226 an. 111 Vgl. Gudeman 1916: 106; Anderson 1997: 94. 112 Baumstark 1875: 523. 113 Vgl. Robinson 1991: 203; Perret 1997: 79. 114 Nicht aufgenommen ist et etwa von Passow 1817: 20 (et sei ”multo deterius, nec sane e more Taciti.); Grimm 1835: 8; Tross 1841: 12; Maßmann 1846: 69; Holtzmann - Holder 1873: 40; Gudeman 1916: 106; Önnerfors 1983: 11; Winterbottom - Ogilvie 1985: 44; Robinson 1991: 290; Perret 1997: 79; Anderson 1997; Perl 1990: 92; Benario 1999: 26. Ein weiteres, textkritisches Problem liegt bei et vor, da dieses lediglich in einigen wenigen Hss. (EdvomonTr) und einem Druck (k) überliefert ist.113 Unterschiedlich wird der Wert der Überlieferung eingeschätzt, da das et von einigen verworfen,114 von anderen dagegen in den Text aufgenommen wird.115 Sogar von denjenigen, die et in den Text stellen, wird zugegeben, dass die Frage nach dessen Ursprünglichkeit womöglich unentscheidbar sei.116 Allerdings ist wohl kaum eine Erklärung dafür zu finden, warum diese wenigen Hss. das et hinzugefügt hätten.117 Dagegen hatte Lund zu Recht mehrere Argumente für die Erhaltung von et angeführt.118 Zunächst ist die Lesung mit et die lectio difficilior per se. Zweitens kommen dieselbe Zergliederung und Zweiteilung des Gedankens im unmittelbaren Kontext mehrmals vor (vgl. oben plurimi et acerrimi und unten numero ac virtute; noch direkter vergleichbar ist die Wendung in c. 16,2: materia ad omnia utuntur informi et citra speciem aut delectationem ‚zu allem benutzen sie unbearbeitetes Bauholz ohne alle Zier oder Anmut‘). Drittens werden die Wörter magnus und electus auch anderswo auf ähnliche Weise kombiniert.119 Unter electi sind alle für die Gefolgschaft Auserwählten zu verstehen, nicht adelige Personen (zur Bedeutung vgl. u.a. Tac. hist. 1,31,2: ad electos Illyrici exercitus ‚zu den Abteilungen des illyrischen Heeres‘; ebd. 4,77,2: pontem electa manu firmavit ‚die Brücke … sicherte durch eine auserlesene Schar‘). 115 Aufgenommen ist et etwa von Schweizer-Sidler 1923: 36; Halm 1930: 229; Reeb 1933: 34; Lenchantin de Gubernatis 1949: 11; Much 1967: 226; Koestermann 1970: 13; Lund 1980: 80; Städele 1999: 94. 116 Vgl. Much 1967: 226: ”Ob das et … späterer Zusatz ist oder nicht, bleibt unentscheidbar. und Lund 1988: 150: ”da die Lesart et sich nur im Codex E findet, ist es schwierig festzustellen, ob sie als echt akzeptiert werden soll oder nicht.. 117 Die Erklärung von Robinson 1991: 205 vermag jedenfalls kaum zu überzeugen: ”There ist just one reading to the t branch which ceteris paribus should be accepted as genuine, (vii) et electorum, for it can hardly be an interpolation. On the other hand, it is highly improbable that this group alone would preserve the true tradition. I suggest the following explanation fort he presence of the et. In 16,4 (x) t omits et. Probably the omission was originally made in b, but the et was added in the extreme left margin of the page. In the transcription of t this marginal et was erroneously incorporated in the text of the preceding page5 (between semper and electorum); 5 We may note that in E there is almost exactly a page of writing intervening between the two passages.. 118 Lund 1988: 150; vgl. auch Sörbom 1935: 88. 119 Murgia 1981: 132-134. 120 Vgl. Robinson 1991: 204; nach Maßmann 1846: 69 hat die Hs. mon die Lesart cuiusque. 121 Vgl. etwa Gudeman 1916: 106; Anderson 1997: 94. nec solum in sua gente, sed apud finitimas quoque civitates id nomen, ea gloria est, si numero ac virtute comitatus emineat] In fast allen Ausgaben erscheint nach gente das Wort cuique, das jedoch in den Hss. Etdvor, wie im Druck (k) fehlt.120 Inhaltlich ist cuique – entweder distributiv ”jeder für sich genommen. oder individualisierend ”jeder, wer es nur sei. – nicht überzeugend; ohnehin ist das Wort principi, das auch direkt hätte dastehen können, nach gängiger Meinung zu ergänzen.121 Auch wäre dann eine andere Stellung des Wortes im Satz zu erwarten, etwa ”id nomen, ea gloria cuique est, si ….. Früher war es daher auch üblich, cuique auf sua zu beziehen, wie etwa Günther: ”Verborum positura significantior quam si scriptum esset: in sua cuique gente..122 Diese (durchaus näher liegende) Interpretation stößt jedoch auf die Schwierigkeit, dass es dann nur einen Gefolgschaftsanführer pro gens geben dürfte, was durch keine andere Stelle gedeckt, durch das Vorhergehende sogar unwahrscheinlich ist. Der Versuch, ohne cuique auszukommen, ist somit durchaus gerechtfertigt. Die Einfügung von cuique ist wohl durch die Unsicherheit in der Bestimmung von comitatus im Nebensatz, entweder als Nominativ oder als Genitiv, zustande gekommen.123 Die Interpretation als Genitiv ist zwar die weiter verbreitete,124 wobei jedoch das Fehlen eines Subjekts auffällig wäre. 122 Günther 1826: 19. 123 Zur Unsicherheit vgl. etwa Much 1967: 226: ”comitatus ist Nominativ oder Genitiv.. 124 Sie findet sich etwa bei Schweizer - Sidler 1923: 36; Lund 1988: 150; Perl 1990: 93; Anderson 1997: 94. 125 Lund 1988: 150. Variation liegt vor im Wechsel der Präpositionen in – apud. Nach Lund liegt auch in der Reihung gens – civitas ein ”Austausch der Synonyme. vor.125 Dies ist allerdings nur bedingt richtig, da mit dem Wort civitas die organisatorische Struktur einer Völkerschaft zum Ausdruck gebracht wird, was bei gens nicht der Fall ist. Bei id nomen, ea gloria sind id und ea vorverweisend auf das Folgende (nomen und gloria sind bei Tac. hist. 2,37,1 ähnlich verbunden: militia clarus gloriam nomenque … meruisset ‚hatte er … bekannt durch seine Kriegstaten, sich einen ruhmvollen Namen … gemacht‘). expetuntur enim legationibus et muneribus ornantur] Schon in c. 5,3 war die Rede von Geschenken durch fremde Gesandte und principes: argentea vasa, legatis et principibus eorum muneri data ‚Silbergefäße, die man ihren Abgesandten und Anführern zum Geschenk gegeben hat‘; auch noch in c. 15,2 werden solche Geschenke erwähnt: gaudent … finitimarum gentium donis ‚freuen sie sich über Geschenke der Nachbarstämme‘. Die beiden Paare stehen chiastisch. et ipsa plerumque fama bella profligant] Wie diese Stelle genau zu verstehen ist, ist unklar. Die Junktur bellum profligare kommt mehrmals in der Bedeutung ‚den Krieg beenden‘ vor, vgl. Liv. 9,37,1: hac expeditione consulis motum latius erat quam profligatum bellum ‚durch dieses Unternehmen des Konsuls war der Krieg eher ausgeweitet als seinem Ende nähergebracht worden‘; ds. 21,40,11: ac profligare bellum ‚und den Kampf zu Ende führen‘; ds. 35,6,3: ut is, qui profligatum bellum haberet ‚daß er, der den Krieg zu Ende gebracht habe‘. Bei Tacitus steht die Wendung etwa hist. 2,4,3: profligaverat bellum Iudaicum Vespasianus ‚den jüdischen Krieg hatte Vespasianus (fast) schon beendet‘; ebd. 3,50,1: sufficere … e legionibus lecti profligato iam bello videbantur ‚von den Legionen abgezweigte Truppen schienen für den fast schon beendeten Krieg zu genügen‘; ebd. 4,73,1: statui pauca disserere, quae profligato bello utilius sit vobis audisse ‚habe ich mich entschlossen, kurz darzulegen, was jetzt, da der Krieg niedergeschlagen ist, für euch zu hören nützlicher ist‘. Hier liegt aber wohl eine etwas abweichende Bedeutung vor, und zwar, dass schon der bloße Ruf – vielleicht, dass sich ein solcher princeps in den Krieg einmischen wird – einen Krieg entscheiden kann. KAPITEL 14 1 Cum ventum in aciem] Zur Ausdrucksweise vgl. Cic. leg. 2,6: sed ventum in insulam est ‚aber jetzt ist die Insel erreicht‘. cum hat die Bedeutung ‚so oft als, wenn‘,1 da das Nachfolgende bei allen Schlachten gilt. cum ventum in aciem steht vom Ausdruck parallel zu c. 15,1: quotiens bella non ineunt ‚Ziehen sie nicht gerade in den Krieg‘.2 1 Zu cum + Ind. bei wiederholten Handlungen vgl. Kühner – Stegmann II,2: 337-338. 2 So auch, etwas eingeschränkt, Sörbom 1935: 63. 3 Zu T als direkte Abschrift von E vgl. Robinson 1991: 206-208 (gegen Gudeman 1928: 376, Anm. 1; Jäkel 1926). 4 Diese Lesart lässt sich natürlich dann problemlos beiseite setzen, wenn man mit Robinson 1991: 206, Anm. 2 davon ausgeht, dass ”the readings peculiar to E … are almost without exception the most inept blunders.. 5 Man kann somit die Aussage von Reeb 1933: 100: ”Tac. spricht in gehobener Sprache von ihr [= Einrichtung turpe principi virtute vinci, turpe comitatui virtute principem non adaequare] Alle Hss. bieten hier die Lesart virtutem prinicpis non adaequare ‚es ist eine Schmach für das Gefolge, der Tapferkeit des Anführers nicht gleichzukommen‘, welche auch alle Herausgeber aufgenommen haben, nur E und das von ihm abhängige T3 geben virtute prinicipem. Eine Entscheidung zwischen beiden Lesarten scheint nicht möglich, da beide textlich-inhaltlich und auch stilistisch gleichwertig sind (die Lesart der Hs. E findet etwa in der Konstruktion bei Plin, epist. 2,7,4 eine Parallele: ut posset senes illos provocare virtute ‚daß er [= Cottius] es an Tugenden mit den alten Herren aufnehmen konnte‘). Für die gängige Lesart virtutem principis spricht, dass Verbindungen von Abstraktum mit einem Genitiv-Konkretum häufig vorkommen (etwa navium cursum ‚den Kurs der Schiffe‘, altitudinem muri ‚die Höhe der Mauer‘). Für die Lesart von E spricht dagegen ein paläographisches Argument. Bei einer Schreibung virtute principe ist eher Anlass, den m-Abkürzungs-Strich über dem -e von principe auf das -e von virtute zu setzen, als in einer Schreibung virtute principis den m-Strich über virtute auf das -is von principis. Paläographisch scheint virtute principem somit die ursprünglichere Lesart zu sein,4 die Änderung in virtutem principis eine Angleichung über fehlerhaftem virtutem principe an den normalen lateinischen Sprachgebrauch. Ebenfalls als ein Argument für den dadurch entstehenden Gleichlauf kann dienen, dass die beiden durch anaphorisches turpe eingeleiteten Satzteile so gleich aufgebaut sind5 (zusätzlich ist der zweite Teil nach dem rhetorischen Prinzip der wachsenden Satzglieder länger6).7 des Gefolgswesens]; neben Gleichbau der Glieder: 1. turpe – turpe (nachdrückliche Wiederholung des Anfangswortes), …. (ähnlich auch Benario 1999: 80) auf das ganze Satzglied ausweiten. Vgl. zur Anapher auch Baumstark 1875: 525; Gudeman 1916: 107. 6 Vgl. hierzu Hofmann – Szantyr 1972: 722-724. 7 Gegen diese ”auf den ersten Blick bestechende Lesart. hatte Gudeman 1916: 243 eingewandt, ”daß bei dieser stilistischen Angleichung … ohne erkennbaren Grund an der ersteren Stelle virtute ein instrumentaler, an der zweiten Stelle ein modaler Ablativ wäre.. Jedoch ist dies kein ausreichendes Argument gegen die Lesart in E, da ein Wechsel bei gleichem Ausdruck auch etwa in c. 2,3: primum a victore … mox a se ipsis ‚zunächst … wie der Sieger … sich späterhin aber auch selber‘ vorkommt. 8 Vgl. auch Baumstark 1875: 525; Reeb 1933: 34. 9 Müllenhoff 1900: 265. Es gilt also auch für die Gefolgsschafts-principes das Merkmal der Tapferkeit, wie schon bei der Wahl der Heerführer (c. 7,1: duces ex virtute sumunt ‚Heerführer nach der ihrer Tapferkei‘). Nicht näher ausgeführt wird, in welchem Verhältnis diese prinicpes zu den ‚normalen‘ Heerführern aus c. 7,1 stehen. Die Aussage virtute vinci ist nicht generell (etwa bezüglich anderer principes) zu verstehen, sondern steht im Verhältnis zur Tapferkeit der Gefolgschaftsmitglieder.8 Das Verb adaequare drückt ”den wetteifer zwischen führer und gefolge aus..9 Eine solche kämpfende Gefolgschaft ist in den antiken Quellen nur schwer zu fassen, da es nicht möglich ist, zwischen Gefolgschaftspersonen und Mitgliedern des ‚normalen‘ Heeres zu unterscheiden. Unklar ist etwa, wer mit den delecti des Arminius (Tac. ann. 1,65,4: simul haec et cum delectis scindit agmen ‚zugleich mit diesem Kampfruf durchbricht er [=Arminius] mit einer Eliteschar den Heereszug‘) oder des Sido und Italicus (Tac. hist. 3,21,2: Sido atque Italicus Suebi cum delectis popularium primori in acie versabantur ‚die Sueben Sido und Italicus standen mit auserwählter Mannschaft ihrer Landsleute im Vordertreffen‘) gemeint ist. Was gänzlich anderes beschreibt jedenfalls Caes. Gall. 6,23,7: atque ubi quis ex principibus in concilio dixit se ducem fore, qui sequi velint, profiteantur, consurgunt ii qui et causam et hominem probant, suumque auxilium pollicentur ‚sobald in einer Versammlung einer der führenden Männer verkündet, er werde einen solchen Zug anführen, und wer ihm folgen wolle, solle sich melden, stehen die auf, denen das Unternehmen und sein Leiter gefallen, und versprechen ihre Unterstützung‘, da es sich hierbei um eine temporäre Verbindung handelt, während es sich beim Gefolgschaftswesen sicher um eine dauernde Einrichtung handelt. Auch die aus späterer Zeit stammenden Wendungen (aus dem ahd. Hildebrandslied 26 folches at ende ‚an der Spitze der Kriegsschar‘, aus dem ae. Riddle, 80,8 herges on ende ‚an der Spitze des Heeres‘ und aus dem mhd. Nibelungenlied, 2020,1-2: ez zæme, sô sprach Hagene, … / daz die herren væhten z’aller vorderôst ‚”es ziemte sich., sagte Hagen, ”dass die Herren in vorderster Reihe kämpfen.‘) sind natürlich kaum mit irgendeiner Sicherheit auf eine Gefolgschaft zu beziehen. iam vero] iam vero drückt (noch deutlicher als bloßes vero) eine Steigerung zum Vorhergehenden aus, ”oft in nachdrücklichem Übergange zu einem neuen Gedanken..10 10 Kühner – Stegmann II,2: 81. 11 Zu weiteren Stellen vgl. Gerber – Greef 1962: II, 1197. 12 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 448-449. 13 Robinson 1991: 96-97. 14 Robinson 1991: 97. infame in omnem vitam ac probrosum superstitem principi suo ex acie recessisse] Die Adjektive infamis und probrosus sind bei Tacitus häufiger miteinander verbunden, so u.a. ann. 3,69,1: ne quis vita proborsus et opertus infamia provinciam sortitetur ‚niemand, der ein lasterhaftes Leben führe und dessen übler Ruf offenkundig sei, solle eine Provinz erlosen dürfen‘; ebd. 15,49,4: Quintianus mollitia corporis infamis et a Nerone probroso carmine diffamatus ‚Quintianus, wegen mollitia corporis in Verruf gebracht und von Nero in einem Schmähgedicht verschrieen‘.11 superstes ist hier (anders als in c. 6,4: superstites bellorum ‚die den Krieg überlebten‘) mit dem Dativ verbunden (ebenfalls bei Tacitus mit Dativ verbunden in ann. 5,8,2: Pomponius … Tiberio superstes fuit ‚Pomponius … überlebte so Tiberius‘).12 Da in der Hs. W im Haupttext principe steht (offenbar wie in h), über das korrektes i übergeschrieben ist, vermutet Robinson als korrekte Lesart principis,13 da es nach ihm eine ”confusion between final -is and e. gegeben habe.14 Sogar wenn man dies mittragen wollte, ergibt diese Emendation das Problem, dass man gezwungen ist, das in allen Hss. (also auch in W!) bezeugte suo in sui zu ändern. Da es kaum gerechtfertigt ist, dass eine Emendation eine folgende bedingt, ist die Schreibung principe am ehesten als Fehlschreibung zu erklären, die denn auch vom Schreiber der Hs. W beseitigt wurde. ex acie recessisse steht entgegengesetzt zu ventum in acie. Diese Aussage ist sprachlich und inhaltlich in Bezug mit der in c. 6,4 (scutum reliquisse praecipuum flagitium, nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas, multique superstites bellorum infamiam laqueo finierunt ‚den Schild im Stich gelassen zu haben, ist die größte Schande, und dem Entehrten ist es nicht gestattet, an heiligen Handlungen teilzunehmen oder zu Versammlungen zu gehen, und viele, die den Krieg überlebten, machten ihrer Schande mit dem Strick ein Ende‘) zu verbinden. Jedoch bleibt die genaue Verbindung unklar, da in c. 6,4 von einer tatsächlichen Bestrafung, nämlich dem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, hier dagegen lediglich von einer moralischen Verurteilung die Rede ist.15 15 Vgl. auch Baumstark 1875: 526: ”Tacitus spricht übrigens nur von der moralischen Verurtheilung solcher Pflichtvergessenheit.; daher übertrieben Kristensen 1983: 42: ”lebensgefährlich ist die Schande für denjenigen, der seinen Häuptling überlebt, indem er sich aus dem Kampf zurückzieht.. 16 Anders Benario 1999: 80. An ein freiwilliges ‚bis auf den Tod Kämpfen‘ ist wohl nicht bei Tac. ann. 2,11,2-3 zu denken: Chariovalda dux Batavorum … labitur, ac multi nobilium circa ‚Chariovalda, der Führer der Bataver … sank … und viele seiner Edelinge rings um ihn‘, da hier offensichtlich keine Wahlmöglichkeit vorlag.16 Dass die Verbindung zwischen einem Anführer und seinem Gefolge auch bei einmaligen Raubzügen sehr groß war, berichtet Caes. Gall. 6,23,8: qui ex his secuti non sunt, in desertorum ac proditorum numero ducuntur, omniumque his rerum postea fides derogatur ‚wer von ihnen dem Führer dann nicht folgt, der wird für einen Verräter und Deserteur gehalten, und in Zukunft wird ihm in allen Bereichen die Vertrauenswürdigkeit abgesprochen‘. Näher liegt aus späterer Zeit die Aussage bei Amm. 16,12,60 über das Gefolge des Königs Chnodomarius nach dessen Gefangennahme: comitesque eius ducenti numero et tres amici iunctissimi flagitium arbitrari post regem vivere, vel pro rege non mori, si ita tulerit casus, tradidere se viciendos ‚und zweihundert seiner Begleiter sowie drei seiner nächsten Freunde ließen sich fesseln; sie hielten es für eine Schande, den König zu überleben oder nicht für ihn zu sterben, wenn es der Zufall mit sich brachte‘; Liban. orat. 18,70 (epit. Jul. 545): ..e..... ..µ.. . ..... . p.pte.. ‚ihr [= den Franken] Gesetz war es zu siegen oder zu sterben‘. Ebenfalls diesem Gedanken nahe zu stehen scheint aus späteren Zeiten die Aussage im altenglischen Beow. 2883-2891, wenn den Gefolgsleuten des Beowulf vorgehalten wird, dass sie ihn beim letzten Kampf im Stich gelassen hätten: wergendra to l.t / þrong ymbe þeoden, þa hyne sio þrag becwom … londrihtes mot / þ.re m.gburge monna .ghwylc / idel hweorfan, syððan æðelingas / feorran gefricgean fleam eowerne, / domleasan d.d. deað bið sella / eorla gehwylcum þonne edwitlif ‚zu wenige Verteidiger scharten sich um den Herrn, als er in Bedrängnis kam … Jeder Angehörige der Sippe muß nun seines Landbesitzes verlustig umherwandern, sobald Krieger aus der Ferne von eurer Flucht, der ruhmlosen Tat erfahren. Der Tod ist für jeden Mann besser als ein Leben in Schande‘. Auch hinter der christlichen Umsetzung im altsächsischen Hel. 3996-3998 wird dieser Gedanke verborgen liegen: that ist thegnes cust, / that hie mid is frâhon samad fasto gistande, / dôie [mid] im thar an duome17 ‚das ist des Gefolgsmannes Ruhm, dass er zur Seite seines Herrn standhalte, ohne zu wanken, für ihn freiwillig sterbe‘. Bei Saxo Gram. 2,8,2 wird über das Verhalten der Begleiter von Rolvo (= Hrólfr kraki) nach dessen Tod berichtet: tantum enim excellentissimis regis meritis ea pugna a militibus tributum est, ut ipsius caedes omnibus oppetendae mortis cupiditatem ingeneraret, eique morti iungi vita iucundius duceretur ‚ja, so reichlich vergalten die Mannen in der Schlacht dem König dessen hehre Verdienste, dass nach seinem Fall alle den Tod suchten und lieber dort mit ihm verbunden sein wollten, als weiterzuleben‘. 17 Die Vorlage hierfür ist eamus et nos ut moriamur cum eo ‚lasst auch uns gehen, damit wir mit ihm sterben‘. Die Bedenken bei Kuhn 1956: 27-29 vermögen nicht wirklich zu überzeugen, da der altsächsische Text viel ausführlicher ist als der lateinische. Eine Begründung für diese Erweiterung vermag Kuhn nicht zu liefern. 18 Dagegen ist die von Much 1967: 228-229 angeführte Parallele aus dem altenglischen Gedicht The Battle of Maldon als Beschreibung des Racheideals des getöteten Herrn und nicht als eine Beschreibung des zusammen mit seinem Herrn Sterbens aufzufassen (vgl. Niles 1991). Ebenfalls bei Saxo Gram. vers 289-291 ist eine Nachdichtung des altnordischen Gedichts Bjarkamál erhalten, wo am Ende Biarco sagt: dum vita manet, studeamus honeste / posse mori clarumque manu decerpere funus; / ad caput extincti moriar ducis obrutus ‚versuchen wir, solange unser Leben noch dauert, ehrenhaft zu sterben und mit unserer Hand ein ruhmvolles Ende herbeizuführen! Umkommen will ich, besiegt, zu Häupten meines erschlagenen Königs‘.18 Das genaue Gegenteil dieser Aussage legt Tac. ann. 2,14,3 dem Germanicus in den Mund: sine pudore flagitii, sine cura ducum abire fugere ‚ohne Gefühl für Ehrlosigkeit, ohne sich um ihre Führer zu kümmern zögen sie ab und liefen davon‘. Die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gefolgschaft und dem Anführer ähnelt sehr dem, was über die entsprechende Einrichtung bei den Galliern berichtet wird: Caes. Gall. 3,22,2-3: quorum haec est condicio uti omnibus in vita commodis una cum iis fruantur quorum se amicitiae dediderint, si quid his per vim accidat, aut eundem casum una fecerant aut sibi mortem consciscant; neque adhuc hominum memoria repertus est quisquam qui eo interfecto, cuius se amicitiae devovisset, mortem recusaret ‚ihre Lebensweise [= die der Soldurii] sieht so aus, daß sie alle Annehmlichkeiten des Lebens gemeinsam mit denen genießen, mit denen sie Freundschaft geschlossen haben; wenn einem von ihnen Gewalt widerfährt, tragen sie gemeinsam mit ihm sein Unglück oder begehen Selbstmord. Bis heute kann sich niemand an einen von ihnen erinnern, der sich nach dem Tod des Mannes, dem er Freundschaft gelobt hatte, zu sterben geweigert hätte‘; ebd. 7,40,7: Litaviccus cum suis clientibus, quibus more Gallorum nefas est etiam in extrema fortuna deserere patronos, Gergoviam perfugit ‚Litaviccus floh mit seinen Clienten nach Gergovia. Für Clienten ist es nach gallischer Sitte ein Frevel, selbst im größten Unglück ihren Patron zu verlassen‘; Plut. sert. 14,4: ...... d’ ..t.. .ß.p...., t... pep. t.. .p...ta teta.µ..... ...ap......e.. a.t. pe...t., .a. t..t. t.. ..e. ßapß.p.. .at..pe.... ...µa...t.. ‚es gab eine spanische Sitte, daß die Männer der Umgebung eines Führers, wenn er fiel, mit ihm in den Tod gingen, und dies nannten die dortigen Barbaren «die Weihe»‘; Sall. hist. frg. 1,125: se regibus devovent et post eos vitam refutant ‚dass sie sich den Königen zu eigen ergaben und nach ihnen das Leben verschmähten‘; Val. Max. 2,6,11: Celtiberi etiam nefas esse ducebant proelio superesse, cum is occidisset, pro cuius salute spiritum deuouerant ‚die Keltiberer hielten es auch für unzulässig, eine Schlacht zu überleben, wenn derjenige gefallen war, für dessen Wohl sie ihren Geist geopfert hatten‘ (AG 1, 194-195). Derselbe Gedanke war auch den Römern nicht fremd, wie aus Tac. Agr. 33,6 hervorgeht (Agricola spricht vor der Schlacht zu den Soldaten): proinde et honesta mors turpi vita potior, et incolumitas ac decus eodem loco sita sunt ‚deshalb ist ein ehrenvoller Tod mehr als ein schimpfliches Leben; aber Unversehrtheit und Ehre liegen hier ja beisammen‘. Hieraus aber mit Lund zu schließen, dass ”die Stelle … gemäß römischer Denkweise geschrieben und konzipiert. ist,19 scheint doch zu weitreichend zu sein. illum defendere, tueri] Die beiden Wörter defendere und tueri sind auch bei Tac. dial. 7,1 miteinander verbunden: tueri et defendere ‚zu schützen und zu verteidigen‘ (ebenso noch etwa bei Cic. fam. 13,64,1: tuetur ac defendit ‚schützt und verteidigt‘; ds. orat. 1,172 : tueri atque defendere ‚schützen und verteidigen‘). 19 Lund 1988: 151. 20 Vgl. auch Benario 1999: 80. 21 Gudeman 1916: 107. 22 Schweizer-Sidler 1923: 37. 23 Meiser 1871. Da defendere das Verteidigen gegen eine tatsächliche, tueri gegen eine mögliche Gefahr bedeutet,20 liegt zwar von der Sache her die Stilfigur ..tep.. pp.tep.. vor,21 inhaltlich aber durchaus eine Steigerung.22 Die asyndetische Verbindung von defendere und tueri, die in allen Hss. so bezeugt ist, wurde von Meiser23 in defendere et tueri emendiert, was von Baumstark24 und Müllenhoff 24 Baumstark 1875: 527. 25 Müllenhoff 1900: 266. 26 Zu verbalen Asyndeta im Allgemeinen vgl. Kühner – Stegmann II,2: 151-152. 27 Für weitere Stellen vgl. Gudeman 1916: 107. 28 Vgl. die zutreffende Aussage von Baumstark 1875: 525: ”Selbst Gedanken von gar nicht besonders ungewöhnlicher Art treten auf diese Weise [= durch die rhetorische Stilistik] als interessante hervor, erhalten jedenfalls eine Steigerung ihrer Bedeutung, und selbst das Gewöhnliche wird also ansprechend.. 29 So etwa Baumstark 1875: 526 (allerdings etwas zurückgenommen: ”Sacramentum, ganz eigentlich der Eid welchen der Soldat seinem Feldherrn schwört …, passt hier ebenfalls … Praecipuum sacramentum ist also die bedeutednste eidliche Verpflichtung, wofür man auch allgemeiner sagen darf: ‚heiligste Verpflichtung‘.); Müllenhoff 1900: 266-267; Schweizer-Sidler 1923: 37; Kristensen 1983: 42: ”… ist der Kern des Eides, den die comites abgelegt haben. (vgl. auch S. 69; Lund 1988:; Rives 1999: 83: ”oath. (jedoch im Kommentar [S. 186- 187] etwas zurückgenommen). gutgeheißen wurde, da das Asyndeton bei Synonymen ”auffallend ist..25 Jedoch kommt ein solches Asyndeton bei Tacitus auch öfters vor, vgl. dial. 23,2 vor: fastidiunt, oderunt ‚nicht mögen und ablehnen‘; ann. 2,14,3: abire fugere ‚zögen sie ab und liefen davon‘, so dass für die Emendation keine Notwendigkeit vorhanden ist.26 sua quoque fortia facta gloriae eius assignare] Die Verbindung fortia facta kommt häufig vor, etwa Sall. Cat. 59,6: plerosque ipsos factaque eorum fortia noverat ‚kannte er [= Marcus Petreius] die meisten persönlich und auch ihre tapferen Taten‘.27 Der Ausdruck gloriae assignare findet bei Vell. 2,38,6 eine genaue Entsprechung: Cypro devicta nullis adsignanda gloria est ‚den Ruhm, Zypern unterworfen zu haben, kann sich kein einzelner zuschreiben‘. Der Gedanke war selbstverständlich auch den Römern nicht fremd.28 So schreibt Tacitus dasselbe Benehmen auch dem jungen Agricola zu (Agr. 8,3): nec Agricola umquam in suam famam gestis exultavit: ad auctorem ad ducem ut minister fortunam referebat. ita virtute in obsequendo, verecundia in praedicando extra invidiam nec extra gloram erat ‚doch niemals prahlte Agricola zu eigenem Ruhm mit dem Geleisteten: stets führte er als Untergebener den Erfolg auf den Feldherrn als den Urheber zurück; so blieb er durch männlichen Gehorsam und durch Zurückhaltung im Selbstruhm dem Neide fern und doch nicht fern dem Ruhme‘. Ebenso wurden die Siege der römischen Heere in der Kaisertitulatur ausgewiesen. Ähnlich ist auch die gedankliche Vorstellung im ae. Beow. 2095-2096: þær ic, þeoden min, þine leode / weorðode weorcum ‚als ich deinen Männern, mein Gebieter, durch meine Taten Ehre machte‘. praecipuum sacramentum] Das Wort sacramentum wird häufig als ‚Eid‘ aufgefasst,29 da es bei Tacitus immer in der Bedeutung ‚Fahneneid‘ steht (vgl. ann. 1,42,3: divus Iulius seditionem exercitus verbo uno compescuit, Quirites vocando qui sacramentum eius detrectabant ‚der göttlichte Iulius hat eine Meuterei seines Heeres mit einem einzigen Wort unterdrückt, indem er die als Quiriten anredete, die ihm den Treueid brechen wollten‘; ebd. 15,67,2: interrogatusque a Nerone quibus causis ad oblivionem sacramenti processisset ‚auf die Frage Neros, aus welchen Beweggründen er es zum Bruch des Fahneneids habe kommen lassen‘; hist. 1,76,2: Iudaicum exercitum Vespasianus, Syriae legiones Mucianus sacramento Othonis adegere ‚das Heer von Judäa ließ Vespasianus, die syrischen Legionen Mucianus den Fahneneid auf Otho schwören‘). Aber mit dem Adjektiv praecipuus, das hier – wie in c. 6,4: scutum reliquisse praecipuum flagitium ‚den Schild im Stich gelassen zu haben, ist die größte Schande‘ – in superlativischer Funktion steht, passt diese Übersetzung hier nicht unbedingt.30 Auch ein Fahneneid mit solchem Inhalt scheint eher unwahrscheinlich.31 Die gesamte Situation legt für sacramentum eine Übersetzung ‚heiligste Pflicht/Verpflichtung‘ näher, also die allgemeinere Bedeutung (näher am Fahneneid liegt die Vereidigung der Bataver bei Tac. hist. 4,15,1: magno cum adsensu auditus barbaro ritu et patriis execrationibus universos adigit ‚mit lautem Beifall wurde seine [= Civilis] Rede aufgenommen; nach Barbarenritus und unter den landesüblichen Verwünschungen vereidigte er dann alle‘). Ebenso drückt sich mit dem Wort .at..pe.... ‚Weihung‘ Plut. sert. 14,4 aus: ...... d’ ..t.. .ß.p...., t... pep. t.. .p...ta teta.µ..... ...ap......e.. a.t. pe...t., .a. t..t. t.. ..e. ßapß.p.. .at..pe.... ...µa...t.., t... µ.. ...... ..eµ.... ...... t.. .pa.p..t.. .a. t.. .ta.p.., .ept.p.. d. p...a. µ.p..de. ...p.p.. .ate.pe...t.. .a.t... .......... ‚es gab eine spanische Sitte, daß die Männer der Umgebung eines Führers, wenn er fiel, mit ihm in den Tod gingen, und dies nannten die dortigen Barbaren «die Weihe». Den anderen Führern folgten nur wenige Schildknappen und Gefährten solcher Art, dem Sertorius aber viele Zehntausende von Männern, die sich ihm «geweiht» hatten‘. Daher muss nicht unbedingt, wie Anderson annimmt, das Wort sacramtentum als interpretatio romana verstanden werden.32 30 Vgl. auch Wolff 1986: 265: ”daß Tacitus bei praecipuum sacramentum nicht eine faktische germanische Eidesleistung im Sinn hat.. 31 Vgl. Much 1967: 231: ”Es kann auch unmöglich in einem Treueid ausdrücklich ausgesprochen worden sein, daß man die eigenen tapferen Taten dem Führer anrechnen wolle.. 32 Anderson 1997: 95: ”The Roman term for the military oath is introduced by way of comparison, like haec apud illos toga above: Tacitus was not thinking of an oath actually taken by the comites.; ähnlich auch Schweizer-Sidler 1923: 37; Rives 1999: 187. Da es sich also nicht um einen formellen Eid handelt, liegt kein Hinweis vor, die bei Marculf überlieferte Eidesformel trustem et fidelitatem ‚Trost und Treue‘,33 welche die Gefolgsleute dem Fürsten schwören, hiermit in Verbindung zu bringen.34 33 Vgl. Schidt-Wiegand 1991: 367. 34 Für eine Koninuität sprechen sich etwa aus: Müllenhoff 1900: 266-267; Much 1967 231. Dagegen etwa Rives 1999: 186-187. 35 Lund 1988: 151. 36 Diese Textpassage hat im Dritten Reich eine wesentliche Rolle gespielt (vgl. etwa den Slogan: ‚Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer‘; vgl. dazu Lund 1995: 51-54). 37 Vgl. Perl 1988: 175: ”Den Paragraphen beschließt eine poetische Formulierung.; Benario 1999: 80-81. Eben wegen der Tatsache, dass es sich bei dem hier beschriebenen Vorgang nicht um einen (Fahnen)eid handelt, ist es für das Verständnis dieser Stelle unwichtig, dass ”wir nicht genau , worin das sacramentum der Römer bestand..35 principes pro victoria pugnant, comites pro principe]36 Der stilisierte Schlusssatz37 gibt das Resultat der Verpflichtung an. 2 si civitas, in qua orti sunt, longa pace et otio torpeat] Die Vorstellung, dass eine lange Friedenszeit für die militärische Tüchtigkeit schlecht ist, findet sich in der Germania ebenfalls ausgedrückt in c. 36,1: Cherusci nimiam ac marcentem diu pacem inlacessiti nutrierunt ‚gaben sich die Cherkusker geraume Zeit unangefochten einem übermäßig erschlaffenden Frieden hin‘ und c. 40,3: pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum amata ‚dann kennt, dann liebt man nur Friede und Ruhe‘. Der gleiche Gedanke findet sich bei Tacitus ebenfalls noch Agr. 11,4: plus tamen ferociae Britanni praeferunt, ut quos nondum longa pax emollierit. nam Gallos quoque in bellis floruisse accepimus; mox segnitia cum otio intravit, amissa virtute pariter ac libertate ‚doch zeigen die Britannier mehr Wildheit, weil ja noch keine lange Friedenszeit sie verweichlicht hat; denn auch die Gallier haben sich einst im Kriege hervorgetan, wie wir vernommen haben; später drang mit der Muße Erschlaffung ein, und sie verloren mit der Tapferkeit auch die Freiheit‘; ebd. 21,1: namque ut homines dispersi ac rudes eoque in bella faciles quieti et otio per voluptates adsuescerent ‚damit sich nämlich die zerstreut lebenden und rohen und deshalb zum Kriege neigenden Menschen durch Wohlleben an Ruhe und Muße gewöhnten‘; hist. 1,88,2: primores senatus aetate invalidi et longa pace desides, segnis et oblita bellorum nobilitas, ignarus militae eques, quanto magis occultare et abdere pavorem nitebantur, manifestus pavidi ‚die Häupter der Senates, altersschwach und in der langen Friedenszeit erschlafft, der träge Adel, der vom Krieg nichts mehr wußte, der Ritterstand, der vom Militärwesen nichts mehr verstand – je mehr sich all diese bemühten, ihre Angst zu verbergen, um so deutlicher zeigten sie ihre Angst‘; ebd. 2,17,1: sed longa pax ad omne servitium fregerat ‚die lange Friedenszeit hatte die Leute gebrochen: bereit zu jedem Sklavendienst‘. Die Junktur pax et otium kommt bei Tacitus häufiger vor, etwa hist. 2,67,2: prima classicorum legio in Hispaniam missa, ut pace et otio mitesceret ‚die 1. Legion der Flottensoldaten wurde nach Spanien verlegt, damit sie in Frieden und Waffenruhe ihr wildes Wesen ablege‘. Zur Verbindung von otium und torpere vgl. Sall. Cat. 16,3: scilicet ne per otium torpescerent manus aut animus ‚offenbar um Hand und Hirn im Nichtstun ja nicht erschlaffen zu lassen‘. plerique nobilium adulescentum petunt ultro eas nationes, quae tum bellum aliquod gerunt] In den Hss. Etdvor wie in den Drucken Sk ist die Lesart adulescentum überliefert, wogegen die restlichen Hss. adulescentium bieten.38 Da die Endung -um bei adulescens zwar seltener, aber durchaus möglich39 ist, scheint sie den Vorzug vor offenbar normalisiertem adulsecentium zu haben. Dass Tacitus beide Endungen verwenden konnte, geht aus dem bei ihm belegten Wechsel zwischen parentum und parentium hervor.40 Die Ursache für die Wahl der Form adulescentum könnte darin liegen, dass damit ein zweimaliges -ium (nobilium adulescentium) vermieden wird, sie könnte also aus euphonischen Gründen gewählt sein. 38 Vgl. Robinson 1991: 204; Hirstein 1995: 291, 297. 39 Zum Verhältnis der beiden Endungen bei adulescens vgl. Neue – Wagener III: 406-407. 40 Vgl. Gerber – Greef 1962: II, 1053-1054. 41 Vgl. Robinson 1991: 156. Die Variante tamen im Druck J (vgl. Hirstein 1995: 293), das als tñ abgekürzt ist, verdankt seine Existenz wohl einer Verlesung einer Abkürzung tu (= tum), wie sie etwa in der Hs. b erscheint. 42 Anderer Auffassung ist Robinson 1991: 156: ”I regard the concurrence as fortuitous.. In den Hss. gibt es ebenfalls ein Nebeneinander von cum (in den Hss. WCEezuARce) und tum (in den restlichen Hss.).41 Da die Verteilung innerhalb der Hss. kaum als zufällig betrachtet werden kann,42 scheint in cum etwas Altes vorzuliegen. Die Lesart cum ist allerdings an dieser Stelle sinnlos, wie auch aus der Hs. u ersichtlich ist, die am Rande schreibt: corrige: quae bellum, also vorschlägt cum zu unterdrücken. Die Änderung von cum in tum ist dabei wohl als Humanistenkorrektur zu beurteilen (es handelt sich hierbei sicher nicht um eine Verbesserung im Hersfeldensis, wie aus der Tatsache, dass es keine Hs. gibt, die beide Formen bietet, hervorgeht), eine Lesart, die zwar nicht unmöglich, aber dennoch schwierig ist. Die gängigen Übersetzungen geben es denn auch sehr frei wieder, zumeist als ‚gerade‘ oder seltener ‚zur Zeit, zu der Zeit‘.43 Aber tum in der Funktion der Angabe eines Zeitpunkts, der mit einem anderen Zeitpunkte zusammenfällt bedeutet ‚damals, da, darauf, daraufhin‘,44 passt also nicht wirklich. Es scheint somit, dass das nur annähernd korrekte tum eine möglichst sparsame Humanistenkorrektur des evident falschen cum ist. Vielleicht wäre zu überlegen, ob nicht eine Emendation in iam vorzuziehen wäre, welches genau das von den Übersetzungen gewählte ‚gerade‘ ausdrückt.45 Die fehlerhafte Lesart cum könnte durch eine Verlesung von a durch u in den Codex Hersfeldensis gelangt sein.46 43 Vgl. etwa Lund 1988: 81; Städele 1991: 95; Fuhrmann 1995: 23. 44 Menge 2000: 206. 45 Vgl. zur Funktion von iam ThLL VII,1: 102,74: ”de tempore praesenti et instante i.q. nunc, statim.. 46 Also aus iam > *ium > cum; zur Verwechselung von a und u vgl. Robinson 1991: 54. 47 So u.a. Reeb 1933: 98. 48 So u.a. Baumstark 1875: 528; Gudeman 1916: 108; Perl 1990: 175. 49 So u.a. Müllenhoff 1900: 268: ”einerlei ob gefolgsleute oder führer.; Schweizer-Sidler 1923: 37: ”vor allem die Anwärter auf die Stellung eines Gefolgsherrn …, aber auch Edlinge im Dienste eines Gefolgsherrn.; Much 1967: 231; Anderson 1997: 95. 50 Vgl. etwa Baumstark 1875: 528-529; Müllenhoff 1900: 267; Much 1967: 231; Perl 1990: 175. 51 Much 1967: 231; ebd.: ”Gerade solche sind es ja später, in der Sagazeit auf Island, die Reisen ins Ausland unternehmen und sich der ‚hirð‘ nordischer oder englischer Fürsten anschließen.. Umstritten ist, wer genau mit dem Begriff adulescentuli gemeint ist. Zum einen wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei – wegen der Hinzufügung von nobiles – um Gefolgschaftsanführer,47 zum anderen, dass es sich um adelige Gefolgsleute handle,48 während die meisten Kommentatoren beide Möglichkeiten vertreten.49 Gegen die Annahme von Gefolgschaftsanführern wurde eingewandt, dass es kaum so viele von ihnen gegeben haben könne.50 Jetzt spricht aber zum einen die Wortwahl, adulescentes für eine Verbindung mit den adulescentoli, die in c. 13,2 genannt wurden, zum anderen auch das Adjektiv nobilis, das dem dortigen insiginis nobilitas entspricht. Denn ansonsten wäre einerseits ohne Vorwarnung eine zweite neue Gruppe von adulescentes eingeführt worden, andererseits müsste angenommen werden, dass ”nobiles … offenbar nicht soviel wie insignis nobilitas, sondern ‚Leute aus guten Häusern‘, dasselbe wie ags. æðelingas oder anord. ór góðum ættum..51 Für letztere Auffassung gibt es jedoch keine Handhabe, so dass hier von demselben Personenkreis wie in c. 13,2 auszugehen ist. Die plerique nobilium adulescentum sind somit Jugendliche, die für den Anführerrang bestimmt sind (nicht ganz ausgeschlossen werden kann – obwohl dies nicht aus dem Wortlaut hervorgeht –, dass es sich um solche adulescentes handelt, die zwar eine insignis nobilitas haben, aber dennoch bei dem eigenen Volk keine dignatio principis bekommen). Diese Deutung wird auch unterstützt durch die Setzung von ultro, das für sua sponte ‚von sich aus‘ steht.52 In der üblichen Deutung von adulescentes als comites ist das Wort ultro nämlich überflüssig. Wenn man jedoch diese Stelle als Gegensatz zu der in c. 13,3 versteht, wird ultro verständlich: Die adulescentuli müssen – in Gegensatz zu den arrivierten Gefolgschaftsanführern, deren Hilfe erbeten wird – sich selbst anderen anbieten. Zu bemerken ist dabei ebenfalls, dass die geäußerte Annahme, dass der Weggang der comites anderswohin vom Gefolgschaftsanführer bewilligt wurde,53 durch die Setzung von ultro nicht wahrscheinlich ist. Diese Vermutung einer solchen Bewilligung ist aber unbedingt notwendig, wenn man unter adulescentes Gefolgschaftsleute versteht, da diese dem Gefolgschaftsanführer gegenüber eine Verpflichtung eingegangen sind, welche sicher kaum einseitig lösbar war. 52 Vgl. Gudeman 1916: 108; Reeb 1933: 35. 53 So etwa Schweizer-Sidler 1923: 37. 54 Vgl. EWA II: 1041-1044; vgl. auch die Entsprechung run. alja-markiz ‚Ausländer‘ (Runeninschrift von Kårstad; 400-450; vgl. Düwel 2001: 34). Ob unter den aufgesuchten Stämmen nur germanische zu verstehen sind, oder ob auch etwa keltische Stämme in Frage kommen, bleibt offen. In späterer Zeit ist ein solches Ausweichen nach fremden Gegenden kaum reizvoll, wie aus der Etymologie des Wortes Elend hervorgeht, das auf eli-lenti (vgl. as. elilendi, ae. el[e]land, afries. elilend, el[l]end) ‚Ausland, fremdes Land‘ zurückgeht; vgl. auch das Adj. ahd. elilenti (vgl. as. elilendi, ae. elelænde) ‚fremd, nicht einheimisch, unglücklich, elend; bedürftig‘.54 quia et ingrata genti quies] Zur Aussage vgl. c. 15,1: oderint quietem ‚die Ruhe hassen‘ und c. 40,3: pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum amata ‚dann kennt, dann liebt man nur Friede und Ruhe‘. Ebenfalls mit dieser Angabe zu vergleichen sind Tac. hist. 4,16,1: erumpentibus paulatim indiciis, quae Germani, laeta bello gens, non diu occultaverant ‚denn allmählich kamen Beweise zutage, welche das kriegsbegeisterte Volk der Germanen nicht lange hatte verheimlichen können‘; Caes. Gall. 6,35,7: non hos palus – in bello latrociniisque natos –, non silvae morantur ‚Sümpfe und Waldgebiete konnten sie [= Sugambrer] nicht aufhalten, da sie für Kriege und Raubzüge wie geschaffen sind‘; Plut. aem. 12,4: .... µ.. ..p a.t. de....t. .a.t.p.a., µ.p... µ.. .ppe.., µ.p... d. papaß.ta., µ....f.p.. p..te., ..dpe. .. .e.p.e.. e.d.te., .. p.e.., ... .p. p..µ.... ... ..µ..te., ...’ .. .p... .a. µ.a. t..... µe.et..te. .e. µ..e..a. .a. .pate.. t.. ..t.tatt.µ.... ‚denn es waren auf sein [= des Aemilius] Ansuchen Basterner zu ihm gekommen, zehntausend Reiter und ebenso viele Begleitmannschaften zu Fuß, alles Berufssoldaten, Männer, die sich weder auf Ackerbau noch auf Schiffahrt verstanden, auch nicht als Hirten vom Ertrag ihrer Herden lebten, sondern immer nur die eine Arbeit und die eine Kunst übten: zu kämpfen und den Gegner zu schlagen‘; Prok. BG 2,14,10-11: .p.... te a.t... ...a.t.. tp... .. ta.t. d. t. e.p... .tp.ß.. .a. a.t. .. ..a. ....µe... ..d...f.. ...d.. .f.. t.. ..eµ..a ........, f..t..t.. te .e. pap’ a.t.. µa..a... te .a. ...a...d. ......., ...... t. t.... a.t.. .pe..e....te. ...µa.. ...µ. ..de.. ....d.p...t. ‚drei Jahre lebten sie [= Heruler] so in Frieden, waren aber mit diesem Zustand ganz und gar nicht zufrieden. Sie überhäuften daher ihren König Rodulfus mit bitteren Vorwürfen; ständig wurden sie bei ihm vorstellig, nannten ihn feig und weibisch und schleuderten ihm höhnend noch andere Schimpfworte ins Gesicht‘; abweichend hiervon jedoch Tac. hist. 4,76,2: pecuniamque ac dona, quis solis corrumpantur, maiora apud Romanos, et neminem adeo in arma pronum, ut non idem pretium quietis quam periculi malit ‚Geld und Geschenke, wodurch allein sie [= die Germanen] sich bestechen ließen, gebe es in reicherem Maße bei den Römern, und niemand sei derart auf Waffentaten versessen, daß er nicht lieber um gleichen Lohn Frieden der Gefahr vorzöge‘. et facilius inter ancipitia clarescunt] In den Hss. ist auch die Lesart clarescant in CpQtf neben clarescunt der übrigen Hss. bezeugt. Zum Konjunktiv stellen sich auch die alten Drucke Pn, die ut facilius … clarescant bieten.55 Dieses eingeschobene ut scheint seine Existenz lediglich dem Zweck zu verdanken, dem Konjunktiv einen Sinn abzugewinnen. Zwar hatte Passow für den Konjunktiv angeführt, er stehe, ”quia inter inpotentis et validos falso quiescas.;56 dagegen spricht aber, dass das Verb clarescere hier als zweites Glied in einer dreiteiligen Reihung steht (verbunden durch et – et – que), deren ersten Teil ingrata genti quies lediglich durch den Indikativ est ergänzt werden kann. Ein Indikativ ist dann auch für die darauf folgende Verbalform zu erwarten. 55 Vgl. Hirstein 1995 : 288 (ohne ut der Druck w). 56 Passow 1817: 21. ancpitium steht für periculum, wie es bei Tacitus ebenfalls noch der Fall ist in hist. 3,40,2: quod inter ancipitia deterrimum est ‚das verkehrteste in kritischer Lage‘; ann. 11,26,3: scelusque inter ancipitia probatum ‚und das unter schwierigen Umständen gebilligte Verbrechen‘; ebd. 14,22,2: fovebantque multi, quibus nova et ancipitia praecolere avida et plerumque fallax ambitio est ‚und viele bezeigten ihm [= Rubelius Plautus] ihre Gunst, die den lebhaften und meist trügerischen Ehrgeiz besitzen, sich bei neuen und ungewissen Erscheinungen vorzeitig festzulegen‘. In der gleichen Bedeutung wie hier wird clarescere bei Tac. ann. 11,16,2 verwendet: iamque apud proximos, iam longius clarescere ‚und schon wurde er bei den Nachbarn, schon im weiteren Umkreis berühmt‘. Auch das Verb clarescunt, dessen Subjekt plerique nobilium adulescentum ist,57 wurde gegen die Annahme, dass unter den adulescentes Gefolgschaftsanführer zu verstehen seien, verwendet, da diese bereits clari wären.58 Die adulescentes waren dies aber gerade nicht; sie mussten sich ihren Status erst noch erarbeiten. 57 Dagegen schlägt Gudeman 1916: 108 als Subjekt comites vor. 58 Vgl. Müllenhoff 1900: 267; Anderson 1997: 96. 59 Aber T1 schreibt über tuere ein a (vgl. Annibaldi 1910: 53). 60 Vgl. Robinson 1991: 196. 61 Vgl. Hirstein 1995: 286. 62 Baumstark 1875: 529-530 (ebenso Holtzmann – Holder 1873: 42). 63 Dagegen hatte Baumstark 1875: 530 noch tuentur als lectio difficilior ausgemacht: ”ist unleugenbar die Lesart tuentur die weniger leichte … da bei derselben lediglich ein bei Tacitus nicht seltener Wechsel des Subjects, durch das allgemeine ‚man‘ auszudrücken, stattfindet … dieses ist der Punkt, welchem die interpolirte Lesart tueare ihr Dasein verdankt.. Eine solche Interpretation ist indessen aber unwahrscheinlich, da bei zwei in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden, identischen Formen ein Subjektswechsel zu unvermittelt wäre (ebenso Müllenhoff 1900: 267: ”weil der subjectwechsel ausgesprochen sein müste.). 64 Vgl. Lund 1988: 151. 65 Zu -re anstelle von -ris bei Tacitus vgl. Kühner – Stegmann I: 676. 66 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 267: ”aus dem corrupten tuearunt, wie er der regel gemäss tuear¯ verstand, machte der Abschreiber von Bb tuentur.. 67 Der Hinweis auf weitere konjunktivische Stellen bei Tacitus etwa bei Lund 1988: 151 ist nicht stichhaltig, da magnumque comitatum non nisi vi belloque tuere] Die Verbalform ist in der Überlieferung nicht einheitlich. In den Hss. bB findet sich tuentur, in ET tuere,59 in den restlichen dagegen tuare.60 Im Druck k steht zusätzlich noch die Lesart tueantur.61 Während noch Baumstark tuentur bevorzugte,62 findet sich in den neueren Ausgaben lediglich noch tueare, da dies die lectio difficilior sei63 und Tacitus in ähnlichen Aussagen ebenfalls die zweite Person verwendet (vgl. c. 6,4: instes, c. 14,3: persuaseris und possis, c. 36: quiescas).64 Bei allen wird somit nur zwischen tuentur und tueare gewählt, die Lesart tuere bleibt unberücksichtigt. Vom paläographischen Standpunkt scheint man zunächst von einer Form tue(a)r~ ausgehen zu müssen, wie sie etwa in E (und nach Müllenhoff in .) bezeugt ist. Nun kann ein -r~ sowohl in -re wie in -runt aufgelöst werden.65 Eine Form tue(a)runt wurde im Falle eines Deponens aber automatisch in tue(a)ntur umgeändert.66 Somit ist die Form tue(a)runt sekundär, und es ist von tuere bzw. tueare auszugehen. Von diesen beiden Formen ist tuere der Vorzug zu geben,67 da diese Form sich in die zusammengehörende Reihung (et – diese nicht in indikativischer Umgebung stehen. 68 Zur 2.sg.ind. als Wiedergabe für unpersönliches ‚man‘ vgl. Kühner – Stegmann II,1: 654: ”So auch die 2. Pers. Sing. Indic. … Die Bezeichnung des unbestimmten Subjekts hat mit dem Konjunktive durchaus nichts zu schaffen, da dasselbe auch in indikativischen und imperativischen Sätzen angenommen werden muß, sondern lediglich mit den drei Personen des Verbs.. 69 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 653-654. 70 Zu non nisi (erst seit augusteischer Zeit ungetrennt nebeneinander) vgl. Kühner – Stegmann II,2: 413-414. 71 Vgl. auch Baumstark 1875: 530-531. 72 Lund 1988: 151. 73 Vgl. für Stellen Gudeman 1916: 108, der ebenfalls erwägt, ob nicht ein .. d.. d.... vorliege. 74 Vgl. Baumstark 1875: 531: ”An beiden Stellen … kommt gleichmässig das bellum vor, dagegen steht statt der vis der ersten Stelle an zweiter das Wort raptus.. 75 So auch Benario 1999: 81. 76 So Much 1976: 232. 77 Auf den Vorschlag von Meiser, pro ‚gemäß‘ einzuschieben, und von Madvig, die ganze Stelle zu liberalitates, ille bellatorum equum, ille cruentam victricemque frameam abzuändern, braucht nicht weiter eingegangen zu werden, da solche Änderungen zu weitreichend sind. et – que) der vorhergehenden Indikative (nicht ausgedrücktes est und clarescunt) einreiht.68 Die Abänderung in tueare ist demgegenüber als lectio facilior zu betrachten, da das unpersönliche ‚man‘ häufiger durch den 2.Sg. des Konjunktivs ausgedrückt wird.69 Der Wechsel zum unpersönlichen Subjekt ist dadurch zu erklären, dass die Aussage für alle Gefolgschaftsanführer gilt, nicht nur für die adulescentes. non nisi70 ist eine sehr starke Verbindung. Gewalttat und Krieg sind somit die einzige Möglichkeit, das Gefolge zu unterhalten.71 Der Ausdruck vi belloque ist nicht ”abundant.,72 obwohl es sich um eine stehende Verbindung handelt,73 da zwei verschiedene Möglichkeiten vorliegen, die es ermöglichen ein Gefolge zu erhalten: vi ist Gewalttat, also Raubzug, bello dagegen die Kriegsunternehmung. Die Richtigkeit dieser Erklärung zeigt sich am nachfolgenden per bella et raptus, wo vis also durch raptus abgeändert ist.74 Es war wirtschaftlich gesehen nicht möglich, ein Gefolge ohne Kriegs- und Raubbeute zu verpflegen. Es ist somit ein ökonomisches Interesse vorhanden, ständig Kriege zu führen.75 exigunt enim principis sui liberalitate] Das Subjekt von exigunt sind die comites; der Begriff muss aus dem vorangehenden comitatus abstrahiert werden. Auch hieraus hat man geschlossen, dass es sich bei den adulescentes um Gefolgschaftsleute handeln müsse.76 Die Einführung eines neuen Subjekts ist aber durch das vorhergehende allgemeine tuere problemlos. Die Textstelle wird von einigen als verderbt angesehen, da man den bloßen Ablativ nach exigere als nicht korrekt ansah. Von Acidalius wurde zur Verbesserung77 zwischen enim und principis die Präposition a eingeschoben.78 Dagegen wurde eingewandt,79 dass hier poetischer Sprachgebrauch vorliege und ”die Dichter in der Behandlung der Präpositionen sich sehr Vieles erlauben..80 Müllenhoff hatte des Weiteren angemerkt, dass anstelle von a vielmehr e(x) einzufügen sei.81 Mit Hinweis auf c. 22,1, wo in den Hss. e neben enim steht, schlug Lund vor, enim durch e(x) zu ersetzen.82 Gegen diesen Ersatz hatte sich aber bereits Müllenhoff sicherlich zu Recht ausgesprochen: ”doch ist enim hier … kaum entbehrlich und nicht durch e oder ex zu verdrängen..83 Lund selbst ist sich denn auch bewusst, dass die Einfügung von e(x) oder auch a nicht zwingend erforderlich ist,84 zumal durch den Ablativ liberalitate bereits ein separativer Begriff85 zum Ausdruck gebracht wird.86 Das Pronomen suus drückt ein Näheverhältnis zwischen comes und princeps aus (vgl. hierzu auch c. 8,1). 78 Diese Emendation wird noch von Robinson 1991: 291 beibehalten. Auch Heubner 1989: 176 will sie als ”notwendig. beibehalten: ”Aber die hier vertretene Meinung vom präpositionslosen Verbum … steht auch sonst auf schwachen Füßen. Baehrens hat neben anderen Belegen auch eine Annalenstelle beigebracht, … nur hat er dabei übersehen, daß bereits Rhenanus a … eingefügt hat und die Herausgeber ihm ohne weiteres gefolgt sind.; eine Konjektur durch eine andere Konjektur zu stützen, ist aber wohl kaum angebracht. 79 Vgl. auch Baehrens 1912: 363; Wissowa 1916a: 672. 80 Baumstark 1875: 531. 81 Müllenhoff 1900: 268. 82 Lund 1988: 152. 83 Müllenhoff 1900: 268-269. 84 Lund 1988: 152: ”Ob das Praeverbium in Form einer Präposition (ab, ex oder de) wiederholt wird, ist eine stilistische (keine syntaktische) Frage, denn die Wiederholung ist fakultativ. Kurz: Ob die Stelle, die heil ist, auch echt ist, läßt sich kaum mehr sagen.. Letztere Aussage ist aber methodisch verfehlt: Eben weil die Stelle heil ist, gibt es keinen Grund, an ihr herumzuemendieren. 85 Kaum zutreffend dürfte die Einordnung als abl. causae ‚auf Grund‘ durch Gudeman 1916: 108 sein (ebenso Reeb 1933: 35; Much 1967: 232); vgl. Anderson 1997: 96: ”To take liberalitate as abl. of cause, ‚on the ground of‘ is hardly natural.). 86 Vgl. Baehrens 1912: 363. Zum separativen Ablativ ohne Präposition (auch explizit exigere) vgl. Kühner – Stegmann II,1: 361-363; vgl. schließlich auch ThLL V,2: 1462,29-32. Die Pflicht eines Anführers zur Freigiebigkeit ist in späteren germanischen Quellen vielfach bezeugt. So werden im Beow. Hroþgar und Beowulf mehrmals als Schatzgeber bezeichnet (vgl. u.a. Beow. 20-24: swa sceal geong guma gode gewyrcean, / fromum feohgiftum … / þæt hine on ylde eft gewunigen / wilgesiþas, þinne wig cume, / leode gel.sten ‚so soll ein junger Mann … mit guten Taten und angemessenen Geschenken bewirken, daß später im (Mannes)alter, wenn es Krieg gibt, seine Stammesgenossen als Gefolgsleute zu ihm stehen und ihm Hilfe leisten‘; ebd. 2864-2866: þæt la mæg secgan, se ðe wyle soð specan, / þæt se mondryhten, se eow ða maðmas geaf, / eoredgeatwe, þe ge þ.r on standað ‚wer die Wahrheit sagen will, kann wohl behaupten, daß der Herr, der euch diese Schätze gab, die Bewaffnung, in der ihr dort steht, seine Rüstungen‘). Im Altenglischen ist ein Wort für ‚Thron‘ gifstol ‚Gabe-stuhl‘, für ‚Palast‘ gifheal ‚Gabe-halle‘. Im Altisländischen ist eines der Wörter, die zur Umschreibung eines Fürsten dienen, mildingr. In dem altenglischen Spruch Cotton Gnomes 14-15 heißt es: geongne ædeling sceolan gode gesidas / byldan to beaduwe and to beahgife ‚gute Gefährten sollen den jungen Fürsten aneifern zum Kampf und zur Verteilung von Ringen‘. Für den Begriff ‚freigiebig‘ kennt das Germanische zwei Ausdrücke: a. got. *mildeis/*milds* (vgl. das Abstraktum mildiþa* ‚Milde‘), ahd. milti, as. mildi, ae. afries. milde, aisl. mildr < urgerm. *meldi.a/i- ‚mild, barmherzig‘, eine Ableitung zu uridg. *meldh- ‚weich sein‘ (> ai. mardhati; vgl. gr. µa..a... ‚weich‘ [< *m.dh-]);87 87 Vgl. Lühr 2000: 249-250; Casaretto 2004: 470. 88 Vgl. Lühr 2000: 200-201. 89 Vgl. Robinson 1991: 207. 90 Die Einschränkung bezieht sich erstens auf die Verbindung zweier Relativsätze, zweitens (bei Sallust und Tacitus) auf die Verbindung zweier Wörter, von denen das erstere ein Pronomen ist (vgl. Kühner – Stegmann II,2: 35). 91 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 36. b. as. aru, aisl. orr < urgerm. *ar.a- ‚bereit(willig)‘ < vorurgerm. *(h3)or.o- (vgl. ai. árvan- ‚Renner, Ross‘, av. auruua.t- ‚schnell, Renner‘), eine Ableitung zu uridg. *h3er- ‚sich erheben, sich in Bewegung setzen‘.88 Jedoch war die Freigiebigkeit nicht nur im germanischen Raum erwünscht, sondern auch in Rom, wo ebenfalls die principis liberalitas dem Ausdruck nach bekannt war; vgl. Plin. epist. 7,31,4: ex liberalitate imperatoris Nervae ‚der Freigebigkeit des Kaisers Nerva‘. illum bellatorem equum, illamque cruentam victricemque frameam] In den Hss. ET ist die Lesart illamque überliefert, während die Übrigen bloßes illam bieten,89 was auch alle neueren Herausgeber aufgenommen haben. Nun kann man auf der einen Seite sagen, dass das erste -que ausgelassen wurde, da es als redundant gegenüber dem -que von victricemque empfunden wurde, aber auch, dass E das erste -que als Vorwegnahme des -que in victricemque gesetzt hat und T diesen Fehler abgeschrieben hätte. Eine Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten scheint kaum möglich zu sein. Denn zum einen ist der Gebrauch der Wiederholung -que … -que zwar in der Prosa eingeschränkt,90 jedoch bei den Dichtern viel freier,91 und an dieser Stelle liegen durchaus dichterische Wendungen vor (s.u.). Auf der anderen Seite hätte man vielleicht erwarten können, dass – bei einer hs. Ausgangslage -que … -que – auch das zweite -que als überflüssig empfunden wäre und man deshalb bloß victricem geschrieben hätte. Eben eine solche Fassung bietet Maßmann, der also (ohne jegliche Anmerkung) überhaupt kein -que gibt.92 Beide Argumente können aber nicht als zwingend gelten. Und da in der Hs. E vor illam eine Interpunktion steht und -que nur in E und dem von ihm abhängigen T erscheint, kann es als nicht genug gesichert angesehen werden, obwohl es möglicherweise die richtige Textfassung ist; daher wird es hier nicht aufgenommen. 92 Maßmann 1847: 71. 93 So etwa Gudeman 1916: 198; Reeb 1933: 35; Anderson 1997: 96. 94 So etwa Müllenhoff 1900: 269; Much 1967: 232: ”sondern ‚jenes herkömmliche, vielgenannte‘. Es handelt sich um typische Geschenke, von denen immer wieder geredet wird.. 95 Vgl. Woltersdorf 1919; Reeb 1935: 35; Lund 1988: 152. 96 Warum Lund 1988: 152 (”scheint eine vergilianische Färbung zu haben.) so zurückhaltend ist, bleibt unklar. 97 Zu weiteren Stellen vgl. Gudeman 1916: 109. 98 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 232-233; Hofmann – Szantyr 1972: 157. 99 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 239-240; so ebenfalls Gudeman 1916: 109; Schweizer-Sidler 1923: 37; Anderson 1997: 96. Es ist umstritten, worauf sich illum und illam beziehen, ob auf die comites93 oder ob es allgemeiner zu fassen sei.94 Da das Pronomen ille aber manchmal einen Genitivus possessivus vertritt,95 also für ‚von ihnen‘ steht, ist wohl nur der Bezug auf comites gegeben. Die Wendung bellator equus ist dichterisch96 und zuerst bei Vergil, georg. 2,145 bezeugt: hinc bellator equus campo sese arduus infert ‚steilaufsteigend stürzt sich von hier ins Getümmel das Streitroß‘; es handelt sich bei ihr um eine Imitation des gr. p..eµ..t.. .pp.. (Theokr. 15,51-52: t.. p..eµ..ta. / .pp.. t. ßa...... ‚sieh, die Paradepferde des Königs‘). Danach kommt die Wendung in der Dichtung häufig vor (so u.a. Verg. Aen. 10,890-891: et inter / bellatoris equi cava tempora conicit hastam ‚und schleudert [= Aeneas] zwischen die Schläfen des Streitrosses wuchtig die Lanze‘; Ov. met. 15,368: pressus humo bellator equus crabronis origo est ‚unter den Boden gebracht, ist das Kriegsroß der Hornisse Ursprung‘97), jedoch kaum in der Prosa, obwohl die Verwendung anderer Substantive auf -tor in adjektivischer Funktion weit verbreitet ist (vgl. für Tacitus etwa ann. 3,74,4: victoris exercitus ‚des siegreichen Heeres‘).98 Entsprechend (sogar mit der femininen Endung -trix wegen des Bezugs auf framea) ist victricem verwendet. Die beiden Adjektive cruens und victrix (dieses Adjektiv auf Waffen bezogen findet sich ebenfalls etwa bei Verg. Aen. 3,54: Agamemnonias victriciaque arma ‚Agamemnons siegreichen Waffen‘; Sen. epist. 120,7: retento armorum uictricium decore ‚kehrte er [= Horatius Cocles] im vollen Schmuck der siegreichen Waffen … zurück‘; bei Tacitus wird es sonst nur von Personen gesagt) stehen proleptisch, indem sie auf den künftigen Einsatz des Speers verweisen, also ebenfalls ein dichtersprachlicher Gebrauch.99 Es handelt sich um die auch aus späterer Zeit zu belegenden, typischen Geschenke, bestehend aus Pferd und Waffe (vgl. etwa Fred. contin. ad ann. 764: rex multa munera auri et argenti et pretiosa vestimenta, equites et arma eum ditavit ‚der König machte ihm reiche Geschenke an Gold und Silber, kostbaren Gewändern, Pferden und Waffen‘; vgl. ebenfalls Beow. 1030-1036: heafodbeorge / wirum bewunden … eahta mearas / f.tedhleore ‚den mit Draht umwundenen Kopfschutz … acht Pferde mit goldverziertem Zaumzeug‘; lat.-ae. Gespr.: quid dat ipse tibi? vestit me bene et pascit, aliquando dat mihi equum aut armillam, ut libentius artem meam exerceam ‚was gibt er selbst dir? Er kleidet mich gut und ernährt mich, manchmal gibt er mir ein Pferd oder eine Armspange, damit ich meine Kunst noch lieber ausübe‘). Ob es sich bei der Waffe zu Tacitus’ Zeit immer um einen Speer gehandelt hat oder ob die Frame nur stellvertretend für ‚Waffe‘ steht, ist unklar; im Aisl. ist freilich aus späterer Zeit die stabende Wendung marr ok mæki ‚Pferd und Schwert‘ belegt. Die Frame wird von Tacitus wohl nur deshalb gewählt sein, weil diese nach ihm die typische Angriffswaffe der Germanen ist (s. c. 6,1). Jedenfalls wird das Pferd das wichtigere Geschenk gewesen sein, da wohl nicht jeder der Gefolgschaftsleute ein solches besessen haben wird. Diese Wichtigkeit zeigt sich zum einen an der Voranstellung des Pferdes nicht nur in aisl. marr ok mæki ‚Pferd und Schwert‘, sondern auch in ae. mearas and madmas ‚Pferde und Geschenke‘ wie in mhd. ros unde gewant ‚Ross und Gewand‘, zum anderen auch an der Entwicklung von mhd. meidem, die Entsprechung von got. maiþms, as. medom, ae. madum ‚Kostbarkeit, Geschenk‘ (< urgerm. *ma.þma-; vgl. aisl. [pl.] meiðmar ‚Kleinode‘ [< *ma.þmo-]),100 das nur noch ‚Ross, Hengst‘ bedeutet. 100 Vgl. Casaretto 2004: 383. 101 Much 1967: 232. 102 So etwa Müllenhoff 1900: 270. 103 Much 1967: 233. So auch Anderson 1997: 96. 104 So etwa Reeb 1933: 35. Zu nam in der Praeteritio vgl. Kühner – Stegmann II,2: 118-119. nam epulae et, quamquam incompti, largi tamen apparatus pro stipendio cedunt] Der Anschluss nam gilt als ”schwer verständlich.101 und wird teils durch den Ausfall eines Gedankens,102 teils ”aus dem Gegensatze zwischen liberalitate und pro stipendio.,103 teils als in der Praeteritio stehend erklärt.104 Am nächsten liegt die Annahme, dass nam zur Begründung dient und aus exigunt zu erklären ist. Die beiden Sätze hätten nämlich auch umgekehrt geschrieben werden können in der Form: ‚Da die Mahlzeiten als bloße Löhnung gelten, verlangen sie von der Freigiebigkeit … ein Pferd …‘. Die Fügung cedere pro kommt vor Tacitus nur selten vor; zuerst bei Cato agr. 150,2: oues, quae non peperint, binae pro singulis in fructu cedunt ‚Schafe, die nicht geboren haben, gehen je zwei für eins bei den Nutzprodukten ein‘. Später ist sie, vor allem in juristischen Texten, häufig.105 105 Vgl. ThLL III: 732,21-42. 106 Auf das von Puteolanus interpolierte convictus, das in einigen weiteren alten Drucken aufgenommen wurde (vgl. Hirstein 1995: 293) und auch in späterer Zeit durchaus Beachtung fand (vgl. die Angaben bei Baumstark 1875: 532), braucht hier – da ohne hs. Gewähr – nicht weiter eingegangen zu werden. 107 Much 1967: 233. Die erste Möglichkeit bevorzugen u.a. Gudeman 1916: 109; Reeb 1933: 35; die zweite dagegen u.a. Baumstark 1875: 532-33; Müllenhoff 1900: 270; Schweizer-Sidler 1923: 38. Ohne Entscheidung Much 1967: 233; Anderson 1997: 96. 108 Nicht vergleichbar ist der von Reeb 1933: 35 beigebrachte Beleg Mela 2,14: epulae visceribus humanis apparabantur ‚es werden Mahlzeiten aus menschlichen Eingeweiden zubereitet‘, da hier eine Verbalform vorliegt. 109 Vgl. die umständliche Erklärung von incompti bei Baumstark 1875: 532: ”Tacitus sagt ausdrücklich, dass die apparatus durchaus incomti waren, d.h. nicht vornehm und ohne Zier …, was bei apparatus zwar nicht an und für sich nothwendig, aber deshalb ganz gut zulässig ist, weil der Begriff des apparatus als ein ganz allgemeiner erscheint.. Umstritten ist, wie epulae et, quamquam incompti, largi tamen apparatus aufzufassen sei.106 Die beiden Möglichkeiten sind bei Much zusammengestellt: ”Man kann epulae et apparatus auffassen als epulae cum apparatibus … Doch ist auch denkbar, daß apparatus, das mit Vorliebe von den Zurüstungen für Gastmähler gebraucht wird, die Bedeutung ‚Gelage‘ selbst angenommen hat … Dann stünden den epulae als dem Alltäglichen, der Teilnahme an der Tafel des Herrn, die gelegentlich stattfindenden Gelage gegenüber..107 Im ersten Fall wäre apparatus eine nähere Erläuterung zu epulae, im zweiten Fall wäre es dagegen als ‚(sonstige) Bewirtungen, Schmausereien, Gelage‘ zu verstehen und somit als etwas anderes als epulae aufzufassen. Gegen die letztere Auffassung spricht jedoch, dass apparatus in der hier anzunehmenden Bedeutung kaum belegbar ist (der Hinweis auf Suet. Vit. 13,1: nec cuiquam minus singuli apparatus quadringenis milibus nummum constiterunt ‚und keinen kostete der Aufwand für ein Essen weniger als 400 000 Sesterzen‘ ist kaum ausreichend).108 Auch wäre durch die Hinzufügung von incompti zu apparatus diese letztendlich wohl nicht von den epulae zu unterscheiden.109 Die erste Auffassung kann dagegen durch die Belege innerhalb der Germania selbst untermauert werden: c. 21,2: apparatis epulis ‚mit aufwendigen Gastmählern‘ und c. 23: sine apparatu … expellunt famem ‚ohne aufwendige Zubereitung … vertreiben sie den Hunger‘ (vgl. ebenfalls etwa Tac. hist. 2,62,1: exhausti conviviorum apparatibus principes civitatum ‚ausgesogen wurden durch die Zurichtung von Gastmählern die Vornehmen der Gemeinden‘; Liv. 23,4,2: apparatis accipere epulis ‚sie bewirteten sie mit großem Aufwand‘). Auch passt eine nähere Bestimmung zu epulae, da mit diesem Wort an sich nicht ausgesagt ist, ob es sich um ein einfaches oder reichliches Mahl handelt. Da es sich somit bei dem nach et Stehenden wohl um eine nähere Erklärung von epulae handelt, steht dieses in explikativer Funktion.110 110 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,2: 25-26. 111 Vgl. etwa die Schilderung der Cena Trimalchionis durch Petron. 112 Lund 1988: 152. 113 Sicher richtig ist die Bemerkung von Rives 1999: 188, dass dies ”calls attention to the personal, as opposed to institutional, nature of the relationship.. Damit ist allerdings nicht automatisch ein Amateurstatus verbunden. 114 So Rives 1999: 187-188 mit Hinweis auf c. 15,1. Die Wendung quamquam incompti steht natürlich in Gegensatz zu den üppigen römischen Gastmählern.111 Zur Bedeutung von incomptus vgl. Tac. ann. 3,2,2: praecedebant incompta signa, versi fasces ‚den Anfang des Zuges machten die Feldzeichen, ohne Schmuck, und die Rutenbündel, zur Erde gekehrt‘. Die Bemerkung von Lund, dass ”der Amateurstatus der germanischen Krieger … betont. wird,112 scheint in Anbetracht der fehlenden Wertschätzung des Geldes bei den Germanen (vgl. c. 5,3) und der Wendung cedere pro kaum zutreffend zu sein.113 Aus den späteren germanischen Quellen wird ebenfalls die Wichtigkeit des gemeinsamen Mahles von Anführern und Gefolgsleuten deutlich. Im Altenglischen heißen die Gefolgsleute u.a. beodgeneatas ‚Tischgenossen‘ (vgl. Beow. 343, 1713) oder heorðgeneatas ‚Herdgenossen‘ (vgl. Beow. 261, 1580, 2180, 2418, 3179), im Altnordischen ist eine Bezeichnung für sie verðung ‚Tischgenossenschaft‘, eine Ableitung von verðr ‚Mahlzeit‘; im Althochdeutschen findet sich gimazzun ‚Speisgenossen‘; bei den Franken und Burgundern heißen sie conviva regi ‚Tischgenosse des Königs‘. Im Beow. 81 gibt der Fürst ihnen sinc æt symle ‚Schätze beim Gastmahl‘, bzw. ebd. 2431: sinc ond symbel ‚Schätze und Nahrung‘; dagegen ist ein Ausdruck für ‚unterwerfen‘ in Beow. 5: meodosetla ofteah ‚er entzog die Metbank‘. Ob ein Unterschied zwischen diesen und den bei Tacitus beschriebenen Verhältnissen darin liegt, dass in späteren Zeiten auch eine Hausgenossenschaft vorlag, während dies bei Tacitus nicht der Fall ist,114 ist kaum verifizierbar, da über das Vorhandensein oder Fehlen einer Hausgenossenschaft bei Tacitus nichts ausgesagt wird (in c. 15,1 wird lediglich gesagt, dass die Sorge für Haus und Hof und Felder den Frauen und Alten und jeweils Schwächsten aus der Familie überlassen bleibt; hieraus aber zu schließen, dass die Gefolgschaftsleute hier auch wohnten, ginge zu weit, weil es sich dort nur um die principes, nicht um die comites handelt). 3 materia munificientiae per bella et raptus] Zum Ausdruck vgl. Sen. dial. 6,20,5: non hastam consularia spolia uendentem, nec caedes, nec locata publice latrocinia, bella, rapinas, tantum Catilinarum ‚nicht die Lanze bei der Versteigerung konsularischer Beute, weder Mordtaten noch von Staats wegen ausgeschriebene Räubereien, Kriege, Plünderungen, so viele Männer wie Catilina‘; Amm. 31,8,3: inter quae Valens audito lugubri bellorum direptionumque eventu ‚inzwischen erfuhr Valens von dem traurigen Ausgang der Kämpfe und Raubzüge‘. Dieser ganze Satz sagt dasselbe aus wie magnumque comitatum non nisi vi belloque tuere in c. 14,2; er ist jedoch nicht überflüssig, weil zum einen ohne ihn das Folgende ohne Verbindung anschließen würde,115 zum anderen jetzt das logische Subjekt wieder die principes sind. Es liegt somit eine Abfolge zwischen principes – comites – principes vor. materia steht hier in der seltenen Bedeutung ‚Mittel‘ (vgl. zu dieser Bedeutung etwa Ov. met. 8,875-876: vis tamen illa mali postquam consumpserat omnem / materiam ‚aber, als allen Stoff die Gewalt seines Übels verzehrt‘). 115 Vgl. auch Baumstark 1875: 535. 116 Müllenhoff 1900: 271: ”munificentia ist gegenüber dem vorher verwendeten liberalitas eine steigerung. liberalis ist … ‚honnet‘, munificus ‚generös‘, bis zur Verschwendung.. So auch Much 1967: 233: ”Dabei ist munificentia mehr als liberalitas.; Anderson 1997: 97: ”a stronger word.. 117 So auch etwa Baumstark 1875: 533; Lund 1988: 152. 118 Lund 1988: 152. Trotz etwa Müllenhoff116 besteht kein Unterschied zwischen munificentia und liberalitas; es liegt lediglich variatio vor (vgl. Sen. benef. 1,9,1: liberalitatis materiam ‚Stoff für Großzügigkeit‘).117 per bella et raptus ist dasselbe wie vi belloque in c. 14,2, steht allerdings in Chiasmus dazu. Die Auffassung von Lund, dass der Ausdruck abundant ist,118 ist erneut nicht zutreffend, da die beiden Möglichkeiten der Beschaffung der materia vorliegen. Raub und Krieg war eine gängige Beschaffungsmöglichkeit für Reichtum (natürlich nicht nur bei den Germanen; zu den Thrakern vgl. Hdt. 5,6,2: t. ... .p. p...µ.. .a. ....t... ......t.. ‚von Krieg und Raub zu leben ist das Schönste‘), vgl. etwa: Caes. Gall. 6,23,6: latrocinia nullam habent infamiam quae extra fines cuiusque civitatis fiunt ‚Raubzüge, die außerhalb der Stammesgrenzen unternommen werden, betrachten sie nicht als Schande‘; ebd. 6,35,4-10: trans Rhenum ad Germanos pervenit fama diripi Eburones atque ultro omnes ad praedam evocari … transeunt Rhenum … multos ex fuga dispersos excipiunt, magno pecoris numero, cuius sunt cupidissimi barbari, potiuntur. invitati praeda longius procedunt … oblata spe Germani, quam nacti erant praedam, in occulto relinquunt; ipsi Atuatucam contendunt ‚das Gerücht, die Eburonen würden ausgeplündert und obendrein sei jedermann aufgerufen, Beute zu machen, drang bis zu den Germanen jenseits des Rheins vor … sie [= Sugambrer] überschritten den Rhein … dort griffen sie viele zerstreute Flüchtlinge auf und bemächtigten sich einer großen Anzahl von Vieh, wonach die Barbaren besonders begierig sind. Diese Beute verlockte sie, weiter vorzurücken … Dieser Vorschlag [= Atuatuca zu plündern] lockte die Germanen sehr. Sie ließen das, was sie schon erbeutet hatten, in einem Versteck zurück und wandten sich schnell nach Atuatuca‘; Mela 3,28: ius in viribus habent, adeo ut ne latrocinii quidem pudeat ‚sie üben das Faustrecht aus, so daß sie sich nicht einmal des Raubens schämen‘; Tac. ann. 2,52,1: vagos primum et latrociniis suetos ad praedam et raptus congregare ‚und scharte zunächst Landstreicher und an Räubereien gewöhnte Leute zu Plünderungen und Raubzügen zusammen‘; ebd. 12,29,3: fama ditis regni, quod Vannius triginta per annos praedationibus et vectigalibus auxerat ‚auf die Kunde von den Schätzen des Königreiches …, die Vannius 30 Jahre lang durch Räubereien und Handelszälle noch vermehrt hatte‘; ds. hist. 1,46,2: per latrocinia et raptus ‚mit Plünderungen und Überfällen‘; ebd. 2,58,1: per latrocinia et raptus apta bello manus ‚eine durch Raubzüge und Plünderungen für den Krieg geübte Truppe‘; Diod. 5,32,4: ....... ..p .. pa.a... ...te.e.. .p. t.. ....tp.a. ..pa. .pep..µe... .a. .atafp..e.. .p..t.. ‚seit alters her setzen sie nämlich ihren Ehrgeiz darein, in fremde Länder einzufallen und diese auszuplündern und alle anderen Menschen nur zu verachten‘. nec arare terram aut expectare annum tam facile persuaseris] Die Konstruktion persuadeo + Inf. anstelle von + ut war zunächst dichterisch, kommt aber seit Cicero auch in der Prosa vor.119 119 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 680-687 (S. 682 zu persuadeo [mit Belegstellen]). 120 Anders Baumstark 1875: 535. Zu nec arrare terram vgl. c. 15,1: agrorum cura feminis senibusque ‚die Sorge für … Felder … den Frauen und Alten‘; die Wendung arare terram scheint nicht dichterisch zu sein, vgl. Varro, rust. 1,2,16: neque scirent etiam arare terram aut serere arbores ‚und es noch nicht verstehen, den Boden zu pflügen oder Bäume zu pflanzen‘; Cic. div. 2,50: cum terra araretur et sulcus altius esset impressus ‚als beim Pflügen eine Furche etwas tiefer gezogen worden war‘.120 annus steht hier in der dichterischen Bedeutung ‚Jahresertrag‘ (also wird wie annona verwendet; zu diesem Gebrauch vgl. etwa Lucan. 3,451-452: curvoque soli cessantis aratro / agricolae raptis annum flevere iuvencis ‚die Bauern jammerten, daß man ihnen die Ochsen nahm und daß die Ernte des Landes, das von den krummen Pflügen nicht mehr bearbeitet werden konnte, verloren war‘; Stat. silv. 3,2,22: Pharium … annum ‚die pharische (ägyptische) Jahresernte‘; Claud. gild. 57: Pharium … annum ‚die pharische Ernte‘; vgl. zu dieser Bedeutung auch Tac. Agr. 31,1: ager atque annus in frumentum ‚des Ackers jährlicher Ertrag zur Fruchtabgabe‘). Wie aus tam facile hervorgeht, liegt kein völliges Heraushalten aus den landwirtschaftlichen Tätigkeiten vor, sondern nur ein ‚weniger‘ als die übrigen Männer.121 121 So auch Reeb 1933: 98-99; diese Annahme wird auch durch die Ausführungen über die Lebensweise der tapfersten Chatten in c. 31,3 bestätigt: nulli domus aut ager aut aliqua cura ‚keiner hat Haus oder Feld oder sonst einen Erwerb‘, was als absolute Ausnahme dargestellt ist. 122 Die in den Hss. pQtf überlieferte Variante hostes anstelle von hostem der restlichen Hss. könnte unter Einfluss dieser Caesarstelle eingedrungen sein. vocare hostem] vocare steht hier als verbum simplex anstelle des Kompositums provocare (vgl. hierzu Tac. hist. 4,80,3: neque ipse deerat adrogantia vocare offensas ‚und Antonius selbst tat auch alles, um durch anmaßendes Verhalten Anstoß zu erregen‘; ds. ann. 6,34,1: interim Oroden sociorum inopem auctus auxilio Pharasmanes vocare ad pugnam ‚inzwischen forderte den Orodes, der keine Bundesgenossen hatte, der durch Zugang verstärkte Pharasmanes zur Schlacht heraus‘; Caes. Gall. 5,43,6: nutu vocibusque hostes se introire vellent vocare coeperunt ‚dann begannen sie [= römische Soldaten], die Feinde mit Winken und Zurufen aufzufordern hereinzukommen, wenn sie wollten122) was ebenfalls dichterisch ist (vgl. Verg. georg. 4,76: magnisque vocant clamoribus hostem ‚und fordern mit lautem Geschrei zum Kampf den Gegner‘). vulnera mereri] Der Ausruck vulnera mereri ist stipendium mereri ‚Sold verdienen‘ nachgebildet (vgl. inhaltlich auch Val. Max. 2,6,11: qui in acie gaudio exultabant tamquam gloriose et feliciter uita excessuri, lamentabantur in morbo quasi turpiter et miserabiliter perituri ‚die [= Gallier und Kimbern] in der Schlacht vor Freude hochsprangen, als schieden sie gleichsam ruhmreich und glücklich aus dem Leben: [Beide] jammerten, wenn sie an einer Krankheit gewissermaßen mit Schande und Elend zugrunde gehen sollten‘ [AG 1, 194-195]). Das Objekt ist auffällig: Die Wunden sind für den Germanen das, was für den Bauer die Ernte ist, also der Lohn für die Anstrengung (wie aber aus dem Folgenden hervorgeht, sind die Wunden nur das Mittel zum Zweck [sanguine parare]). Die ganze Stelle steht in Gegensatz zum Idealbild des alten Roms, wo die Männer gleichzeitig Bauer und Krieger waren, vgl. Verg. Aen. 9,607-608: at patiens operum parvoque adsueta iuventus / aut rastris terram domat aut quatit oppida bello ‚aber die Jugend, anspruchslos, mit Ausdauer schaffend, zähmt mit der Karste das Land, wirft Festungen nieder im Kriege‘; vgl. auch etwa Veg. mil. 1,3: de qua parte numquam credo potuisse dubitari aptiorem armis rusticam plebem, quae sub diuo et in labore nutritur, solis patiens, umbrae neglens, balnearum nescia, deliciarum ignara, simplicis animi, paruo contenta, duratis ad omnem laborum tolerantiam membris, cui gestare ferrum, fossam ducere, onus ferre consuetudo de rure est ‚daher glaube ich, dass niemals gezweifelt werden kann, dass das Landvolk tauglicher für Waffen ist, welches unter dem freien Himmel und in Arbeit erzogen wird, die Sonne erduldend, den Regen vernachlässigend, keine Bäder, kein Komfort kennend, von einfachem Gemüt, mit wenig zufrieden, mit Gliedern, gestählt zur Erduldung jeglicher Arbeit, dem das Eisen zu tragen, einen Graben zu leiten, eine Last zu tragen eine Gewohnheit vom Land ist‘. pigrum quin immo et iners videtur sudore acquirere quod possis sanguine parare] Das stilistisch auffällige Kapitel schließt mit einer Schlusssentenz, die mit quin immo eingeleitet wird. Die Fügung quin immo (die bei Tacitus sonst nur im Dialogus verwendet wird [etwa c. 6,2: quin immo]), das etwas stärker als quin etiam123 und wie dieses nachgestellt ist, passt gut zum pointierten Schluss. quin immo gehört zum ganzen Satzglied.124 Die Adjektive piger und iners sind ebenfalls verbunden bei Sen. dial. 5,3,1: calcar ait esse uirtutis, hac erepta inermem animum et ad conatus magnos pigrum inertemque fieri ‚ein Ansporn, sagt er [= Aristoteles], zur Tüchtigkeit sei er, nehme man ihn weg, werde wehrlos die Seele und zu großen Unternehmungen faul und unfähig‘; ds. epist. 70,16: quid ergo est, quod nos facit pigros inertesque? ‚was also ist es, das uns träge macht und entschlußlos?‘; Lucan. 6,106-107: at liber terrae spatiosis collibus hostis / aere non pigro nec inertibus angitur undis ‚die Feinde, die sich ungehindert im Gelände bewegen und auf weiten Höhenzügen lagern, leiden zwar nicht unter der trägen Luft und dem brackigen Wasser‘. 123 Vgl. Baumstark 1875: 535-536. 124 Vgl. Baumstark 1875: 536; anders offenbar Lund 1988: 153: ”faul, ja sogar schlapp.. sudor … sanguis ist eine stehende Verbindung (vgl. etwa Enn. scaen. 18: sine sudore et sanguine ‚ohne Schweiß und Blut‘; Cic. div. 2,58: nec … sanguis nec sudor ‚kein Blut, kein Schweiß‘; Liv. 2,48,2: quorum sanguine ac sudore partus sit ‚die es mit ihrem Blut und ihrem Schweiß gewonnen hätten‘; Val. Max. 7,6,1: tam multo sudore et sanguine ‚so viel Schweiß und Blut‘; Sen. epist. 67,12: sed sudore et sanguine ‚sondern mit Schweiß und Blut‘). Die durch Alliteration miteinander verbundenen Wörter stehen in Gegensatz zueinander (sudor steht für den Schweiß des Bauern, sanguis für die Kriegsverletzungen).125 Die Verben adquirere und parare sind Synonyme. 125 Vgl. auch Städele 1991: 338. Zum Inhalt vgl. auch etwa Caes. Gall. 6,22,3: ne adsidua consuetudine capti studium belli gerendi agri cultura commutent ‚ihre Stammesgenossen sollen keinen Gefallen an der Seßhaftigkeit finden und dadurch ihre kriegerische Neigung zugunsten des Ackerbaues aufgeben‘; Mela 3,27: bella cum finitimis gerunt, causas eorum ex libidine arcessunt, neque imperitandi prolatandique quae possident, nam ne illa quidem enixe colunt ‚mit ihren Nachbarn führen sie Krieg, wobei sie die Gründe dafür nach Belieben aufgreifen, nicht etwa aus Herrschsucht oder zwecks Erweiterung ihres Besitzes – denn nicht einmal diesen bestellen sie eifrig‘. Diese Haltung ist aber nicht nur für die Germanen bezeugt, sondern auch etwa für die Lusitanier (Strab. Geogr. 3,3,5 p. 154C: e.da.µ.... d. t.. ..pa. .pap...... .at. te .app... .a. ß....µata .a. t. t.. .p.... .a. .p..p.. .a. t.. papap...... p..... .µ.. .. p.e.... a.t.. t.. .p. t.. ... .f..te. ß... .. ...t.p.... d.et..... .a. ...e.e. p...µ. pp.. te ........ .a. t... .µ.p... a.t... ‚aber obwohl das Land ein gesegnetes ist, nicht nur für Fruchtanbau und Viehzucht, sondern auch wegen der Menge des Goldes und Silbers und dergleichen, haben trotzdem die meisten von ihnen das Leben von den Erzeugnissen des Bodens aufgegeben, sich auf Räuberei verlegt und ständig Krieg gegeneinander und gegen ihr Nachbarn geführt‘) und für die Thraker (Hdt. 5,6,2: t. ... .p. p...µ.. .a. ....t... ......t.. ‚von Krieg und Raub zu leben ist das Schönste‘). KAPITEL 15 1 Quotiens bella non ineunt] Umstritten ist, ob das Subjekt von ineunt die comites et principes1 oder alle germanischen kriegerischen Personen sind.2 Gegen letztere Auffassung spricht eindeutig die Tatsache, dass eine Erweiterung des Personenkreises in keinerlei Weise angedeutet ist,3 zumal das häusliche Leben der Germanen in späteren Kapiteln behandelt wird. Dagegen ist die Verbindung zwischen diesem Satz und dem Vorhergehenden sehr eng: das Wort bella verbindet den Anfang von c. 15 mit dem Ende von c. 14,3: per bella et raptus; der ganze Satzteil c. 15,1: quotiens bella non ineunt steht in Gegensatz zu c. 14,1: cum ventum in aciem ‚ist man aufs Schlachtfeld gekommen‘. Jedoch besagt dies nicht, dass das Subjekt von ineunt entweder comites et principes oder lediglich comites sind, sondern, dass das Subjekt dasselbe ist wie am Ende von c. 14. Und weil das Subjekt dort principes war (s. c. 14,3), so muss dies auch hier der Fall sein. Direkt ausgesprochen ist dieses Subjekt dann in c. 14,2: principibus.4 1 So etwa Gudeman 1916: 110; Schweizer-Sidler 1923: 38; Reeb 1933: 35; Much 1967: 234; Lund 1988: 153; Perl 1990: 176; Anderson 1997: 97. Auch Kristensen 1983: 56 nimmt dies an, allerdings ohne Begründung oder Untersuchung (”Gehen wir davon aus, was wahrscheinlich ist ….; vgl. jedoch auch weiter unten), was bei einer Detailarbeit über die Gefolgschaft jedoch unabdingbar wäre. Müllenhoff 1900: 273 nimmt als Subjekt dagegen bloß die Gefolgsleute an. Nicht ganz eindeutig Rives 1999: 188: ”that this and the following observations apply to the warrior bands described above. But since Tacitus deliberately presents these groups as the most characteristic institution of the Germani, their traits inevitably serve to characterize the people as a whole.. So wohl auch Timpe 1995: 198. 2 So etwa Baumstark 1875: 536-537; vgl. auch die bei Kristensen 1983: 42, Anm. 121 genannte Literatur. Die Annahme, dass das Subjekt von ineunt überhaupt alle Germanen seien, wurde schon von Baumstark 1875: 537 (vgl. ebenso Müllenhoff 1900: 272) zu Recht zurückgewiesen. 3 So vermag auch die Auffassung von Baumstark 1875: 536 (”Die Schlussworte des vierzehnten Kapitels von nec arare an sind so allgemein, dass sie ein umfänglicheres logisches Subject voraussetzen, indem der Sinn zwar auch auf die comites passt, aber nicht blos auf sie, sondern auf die Germanen überhaupt, in deren Charakter die Faulheit wie die Kriegslust ein Hauptzug ist.) kaum zu überzeugen, da in c. 14 ganz sicher nur von den Gefolgsleuten die Rede ist. Daher muss Baumstark auch ”bekennen, der Schriftsteller benimmt sich etwas tadelhaft, weil er auf diese wichtige Aenderung mit keinem Buchstaben aufmerksam macht. (ebd). 4 Ähnlich auch Kristensen 1983: 56: ”Wahrscheinlicher ist es, daß Tacitus an die Gesamtheit denkt, nämlich comitatus bestehend aus princeps und seinen comites, so daß Haus, Heim, Boden usw. … dem Häuptling gehören.. 5 Anders Lund 1991a: 1900: ”d.h. ‚Raubzüge‘ nicht ‚Kriege‘.. 6 Vgl. Annibaldi 1910: 54. Das Wort bella nimmt verkürzt nur per bella auf, sodass es als ‚Kriege‘, nicht als ‚Raubzüge‘ aufzufassen ist.5 non multum venatibus, plus per otium transigunt] Diese Textstelle ist in den Hss. einheitlich als non multum venatibus überliefert außer in r, wo non fehlt.6 Letztere Lesart wurde von etlichen früheren Herausgebern (zunächst von Acidalius [sicherlich ohne Kenntnis der Hs. r]) gewählt,7 da angeblich ein Widerspruch zu Tacitus’ eigenen Angaben (vgl. c. 17,1: gerunt et ferarum pelles ‚auch Tierfelle werden getragen‘; c. 23,1: recens fera ‚frisches Wild‘) und denen von Caesar vorliegen würde: Gall. 6,21,3: vita omnis in venationibus … consistit ‚ihr ganzes Leben besteht aus Jagen‘ (vgl. auch von den Sueben ebd. 4,1,8: multumque sunt in venationibus ‚und sind viel auf der Jagd‘; vgl. auch ebd. 6,28,2-3: hos studiose foveis captos interficiunt. hoc se labore durant adulescentes atque hoc genere venationis exercent, et qui plurimos ex his interfecerunt, relatis in publicum cornibus, quae sint testimonio, magnam ferunt laudem ‚die Einheimischen setzen allen Eifer daran, sie [= Auerochsen] in Gruben zu fangen und zu töten. Diese anstrengende Tätigkeit härtet die jungen Männer ab, die sich in dieser Art von Jagd üben. Wer die meisten Auerochsen getötet hat, trägt hohes Lob davon, wenn die Hörner als Beweis seiner Leistung öffentlich ausgestellt werden‘). Die Hinzufügung von non erklärt Gudeman als ”Dittographie, entweder des vorhergehenden non oder des folgenden ‚m‘..8 Nun ist der Hinweis auf Caesar kaum stichhaltig, da Tacitus mehrmals stillschweigend dessen Angaben korrigiert.9 Aber auch zu sich selbst steht Tacitus wohl kaum in Widerspruch, da er weder den Gefolgschaftsanführern im Speziellen noch den Germanen im Allgemeinen die Jagd gänzlich abstreitet. 7 So etwa auch von Lipsius, Ernesti, Bekker, Ritter, Kritz, Doederlein (vgl. die Angaben bei Müllenhoff 1900: 273); Gudeman 1916: 110. 8 Gudeman 1916: 244. 9 Vgl. Müllenhoff 1900: 274: ”indes selbst wenn Tacitus etwas anderes behauptete als Caesar – woher nähmen wir das recht jenen aus diesem zu corrigieren?.; Norden 1959: 316-317: ”es liegt aber eine stillschweigende Ablehnung Caesarischer Worter vor.; ebenso auch u.a. Lund 1988: 153; Perl 1990: 176; Anderson 1997: 98. So sogar Gudeman 1916: 243: ”Bei der Lesart der Hss setzt sich T. nicht nur mit Caesar, was nicht von Belang wäre ….. 10 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 273-274: ”Tacitus will nur sagen dass die zeit, die die Germanen auf die jagd verwendeten, nicht groß ist im verhältnis zu der, die sie per otium hinbringen.; Schweizer-Sidler 1923: 38; Reeb: 1933: 152; Anderson 1997: 97: ”i.e. relatively little time, as compared with that passed in idleness.. Etwas abweichend dagegen Lund 1988: 153 ”im Gegensatz zu plus., dann aber berichtigend: ”daß non multum streng genommen besagt, daß die Comites nicht so viel Zeit auf die Jagd verschwenden, wie sie mit dem Nichtstun verbringen.. 11 Vgl. Müllenhoff 1900: 272: ”wenn die art der existenz, die uns hier entgegentritt, die allgemeine wäre, das volk alsbald zu grunde gehen muste.. 12 Vgl. auch Rives 1999: 189: ”But Tacitus clearly means to emphasize in the first half of this chapter that tese Es fragt sich lediglich, wie das non multum genau einzuordnen ist. Es steht in einem relativen Verhältnis zum nachfolgenden plus. non multum ist daher nicht absolut zu verstehen, sondern als ‚weniger in Vergleich zum Nichtstun‘.10 Die relative Bedeutungslosigkeit der Jagd an dieser Stelle ist denn auch sicher nicht der Realität entsprechend,11 sondern er arbeitet an dieser Stelle die absolute Faulheit der Gefolgschaftsanführer in Friedenszeiten heraus;12 non warriors, when not fighting, do nothing useful or energetic whatsoever.. 13 Nicht weiterführend ist daher auch der Hinweis auf die spätere Jagdvorliebe der deutschen Fürsten, wie bei Gudeman 1916: 110 (der non streicht): ”Die Tatsache wird durch die deutsche Mythologie und die nationalen Epen allenthalben bestätigt, wie denn die Liebe zur Jagd stets ein eigentümliches Merkmal der germanischen Rasse geblieben ist.. 14 Baumstark 1875: 541; vgl. auch Müllenhoff 1900: 273-274: ”streicht man non, so wird der satz schief und erhält eine ganz verkehrte wendung.. 15 Vgl. hierzu Sörbom 1935: 84-87. 16 Nicht ganz klar ist, was Perl 1990: 176 meint: ”Mit dem otium verstehen sie nichts anzufangen, Krieg ist … der Normalzustand., da in Friedenszeiten das otium eben ihre ‚Beschäftigung‘ ist. multum ist also in einer ganz bestimmten Absicht gesetzt.13 Daher wäre sogar der Aussage von Baumstark beizupflichten: ”Nicht streichen darf man also gegen die Handschriften das non vor multum, sondern gegen die Handschriften müsste man es einsetzen, wenn es in denselben fehlte..14 Dagegen in Übereinstimmung mit Caesar beschreibt Sen. dial. 1,4,14 die Jagd als Nahrungsgrundlage der Germanen: in alimentum feras captant ‚zur Nahrung fangen sie Wild‘. Der Wechsel zwischen Ablativ (venatibus) und einer Präpositonalwendung (per otium) kommt bei Tacitus häufig vor: vgl. c. 18,1: libidine … ob nobilitatem ‚aus Zügellosigkeit … ihrer vornehmen Abkunft wegen‘; c. 40,1: per obsequium … proeliis ‚dank ihrer Unterwürfigkeit … durch Kämpfe‘; vgl. auch etwa Tac. Agr. 9,4: virute aut per artem ‚seines Verdienstes oder durch Kunst‘; ebd. 41,2: temeritate aut per ignaviam ‚durch Verwegenheit oder Feigheit‘.15 Die Wendung per otium transigunt ist ebenfalls bei Plin. paneg. 48,1 belegt: magnam partem dierum inter tot imperii curas quasi per otium transigis! ‚du verbringst einen großen Teil der Zeit zwischen so vielen Sorgen des Reiches, als ob mit Nichtstun‘. In Friedenszeiten kennen die germanischen Gefolgschaftsanführer nur das otium,16 womit das genaue Gegenteil zu dem Begriff labor improbus, das den römischen Bauer kennzeichnet, zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Verg. georg. 1,145-146: labor omnia vicit / improbus et duris urgens in rebus egestas ‚in allem bewährte sich siegreich arge Mühsal und, drängend in hartem Dasein, das Darben‘). Eine ähnliche Aussage macht Hdt. 5,6,2 über die Thraker: .p... e..a. ......t.., ... d. .p..t.. .t.µ.tat.. ‚wer faul ist, wird hoch geehrt, wer sein Feld bebaut, zu tiefst verachtet‘. Die von Tacitus hier über die Gefolgschaftsanführer gemachte Bemerkung über den Jagdaufwand trifft natürlich für alle Germanen zu, da sie noch weniger Zeit für eine solche Freizeitbeschäftigung hätten als die principes, die sonst nichts tun. Aus den Untersuchungen zum Knochenanteil im Abfall einzelner Siedlungen geht hervor, dass die Wildknochenanteile im Abfall des gut untersuchten Marschengürtels etwa in Tofting nur 0,8%, in Wulfshof 3,3% betragen. Ähnliche Prozentsätze liefern auch die Untersuchungsergebnisse für Vallhagar (Dänemark) und den Siedlungsplatz von Seinstedt. Jagdwild spielte also, ebenso wie Fischfang, anscheinend nur eine untergeordnete Rolle im Ernährungsplan. Dies wird ebenfalls durch das fast völlige Fehlen von Wildtierknochen bei den Tieropfern bestätigt.17 dediti somno ciboque] Dieser Satzteil gibt den Inhalt des otium der Gefolgschaftsanführer an, ist also zum Vorhergehenden zu ziehen. Da es in c. 23,1 heißt, dass die Germanen mäßig im Essen sind, geht auch hier hervor, dass das Subjekt dieses Kapitels nicht alle Germanen sind. 17 Vgl. hierzu Much 1967: 235-236; Jankuhn 1976: 101-102; Reichstein 1991: 27-30; Todd 2000: 73-74; zur Jagd vgl. allgemein RGA 16: 2-12. 18 Da Menschen, die so leben, nach Sallust wie Tiere sind, zieht Rives 1999: 189 den Schluss, dass ”Tacitus meant to associate these élite Germanic warriors with the animal-like people attacked by Sallust.. Eine solche Gleichsetzung wird aber durch den restlichen Inhalt nicht weiter gestützt. 19 Vgl. Anderson 1997: 98: ”The whole passage is somewhat disjointed, and variously punctuated by editors.. 20 Müllenhoff 1900: 274; ebenso Baumstark 1875: 537-538: ”Darum behaupte ich, die Worte fortissimus bis nihil agens, welche bei einer Verbindung mit dem Vorausgehenden streng genommen im Ablat. absol. auszudrücken wären, beginnen einen neuen Satz, da der vorige ohnehin gross genug ist und mit dediti somno ciboque sehr concinn abschliesst.. Schweizer-Sidler 1923: 39 setzt einen Punkt dazwischen 21 So etwa Passow 1817: 23; Tross 1841: 13; Winterbottom – Ogilvie 1985: 45; Perl 1990: 94; Anderson 1997; Benario 1999: 28. 22 So etwa Günther 1826: 22; Grimm 1835: 8; Maßmann 1847: 72; Holtzmann – Holder 1873: 42; Gudeman 1916: 110; Halm 1930: 230; Reeb 1933: 35; Lenchantin de Gubernatis 1949: 12; Koestermann 1970: 14; Önnerfors 1983: 12; Robinson 1991: 292; Perret 1997: 80. Lund 1988: 82 setzt zwischen ciboque und fortissimus einen Gedankenstrich. Ein ähnlicher Ausdruck findet sich bei Sall. Cat. 2,8: dediti ventri atque somno ‚dem Bauch und Schlafen frönend‘.18 fortissimus quisque ac bellicosissimus nihil agens] Dies bezieht sich natürlich nur auf die häusliche Seite des Lebens. Wie die Interpunktion in dem ganzen Abschnitt zu setzen sei, ist umstritten.19 Müllenhoff will ”dediti somno ciboque von fortissimus quisque usw. scharf. trennen,20 während andere weniger scharf entweder ein Semikolon bzw. einen Doppelpunkt21 oder sogar nur ein Komma22 dazwischen einfügen. Gegen eine scharfe Abtrennung spricht allerdings, ganz abgesehen von der hss. Überlieferung, in der keine solche Trennung angezeigt ist,23 auch das Zusammengehören von non non multum – plus – nihil, die eine inhaltliche Steigerung anzeigen (plus per otium transigunt und nihil agens drücken dasselbe, allerdings bis ins Äußerste gesteigert, aus).24 23 Vgl. etwa die Schreibung in der Hs. E (vgl. Till 1943: f. 69r): plus per ocium transigunt | dedita somno ciboq; fortissimus q_sq; | ac bellicosissimus nihil agens. Vgl. zur Interpunktion auch zu delegata domus (s.u.). 24 Vgl. auch Baumstark 1875: 537: ”(Tempus) per otium transigunt, dann nihil agens … bezeichnen im Wesentlichen das Gleiche, nur unter wachsender Steigerung. (jedoch zieht er ipsi hebent ebenfalls in die Steigerung mit ein [s.u.]). 25 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 646: ” nach Superlativen, in der klassischen Sprache im Mask. und Fem. fast nur im Singulare ….. Der Plural ist dagegen nur regelrecht bei Pluralia tantum und wenn es sich um Gruppen oder Klassen handelt; seit der Kaiserzeit wird der Plural aber freier verwendet (vgl. auch Tac. agr. 36,2: proximos quosque ‚die Nächststehenden‘). 26 Vgl. Baumstark 1875: 539. Die Singulare fortissimus quisque ac bellicosissimus (sc. quisque) sind klassisch- lateinisch gesetzt,25 wohl aus stilistischem Grund wegen des vorhergehenden, im Plural stehenden Verbs transigunt.26 Es handelt sich um die Tapfersten und Kriegerischsten der Gefolgschaftsanführer. Zur Verbindung beider Adjektive vgl. etwa Lact. inst. 1,18,8: fortes ac bellicosos duces ‚tapfere und kriegstüchtige Anführer‘; Amm. 31,10,6: uirum bellicosum et fortem ‚der [= Mallobaudes] ein kriegstüchtiger und tapferer Mann war‘; ds. 31,16,3: at Gothi Hunis Halanisque permixti nimium bellicosis et fortibus ‚die Goten ihrerseits im Bunde mit den überaus kriegstüchtigen, tapferen … Hunnen und Alanen‘; Anon. Vales. 12(58): vir enim bellicosissimus fortis ‚er [= Theoderich] war ja ein sehr kriegerischer, tapferer Mann‘. Wie aus der steigernden Reihenfolge non multum – plus – nihil hervorgeht, arbeiten die ‚normalen‘ Gefolgschaftsanführer offenbar ein wenig im Hauswesen mit, die Tapfersten und Kriegerischsten dagegen überhaupt nicht. delegata domus et penatum et agrorum cura feminis senibusque et infirmissimo cuique ex familia] Zur Wendung vgl. etwa Vell. 2,97,2: cura deinde atque onus Germanici belli delegata Druso Claudio ‚Die Last der Verantwortung für den Germanenkrieg wurde daraufhin Drusus Claudius übertragen‘; Sen. nat. 4,7,2: quibus delegata erat cura prouidendae tempestatis ‚die Gewitterwache‘; Colum. 11,2,72: possit eorum curam … vilicae delegare ‚mag er [= der Verwalter] die Besorgung der Dinge … der Verwalterfrau überlassen‘. Die Folge delegata … cura wird von allen Interpreten als Ablativus absolutus verstanden,27 während die Möglichkeit, sie als delegata … cura aufzufassen – falls überhaupt erwogen – abgelehnt wird.28 Der Einzige, der für diese Ablehnung eine Begründung bietet, ist Müllenhoff: ”weil er [= der Satzteil delegata – familia] lediglich erklärt, wie der fortissimus quisque ein nichtstuer sein kann..29 Jedoch ist dies nur eine der Möglichkeiten. Bei der Annahme eines Ablativus absolutus muss nämlich angenommen werden, dass das delegata cura eine geplante Handlung ist: Diese Sorge überträgt man den Frauen. Dagegen liegt, wenn man von einem Hauptsatz ausgeht, eine gewisse Notwendigkeit für die Frauen vor, diese Sorge zu übernehmen, weil die Gefolgschaftsanführer sich um nichts kümmern. Beide Möglichkeiten kommen in Frage (vielleicht ist die letztere sogar die näher liegende, weil das Übertragen der Sorge das otium stören würde). Die letztere Interpretation wird allerdings durch die Interpunktion der Hss. nahe gelegt. Während etwa die Hs. E hier nihil agens. Dele|gata domus bietet,30 beginnen die Hss. WmBs2 mit Delegata sogar einen neuen Paragraphen.31 Von der hss. Überlieferung her ist die Annahme eines Ablativus absolutus somit wenig wahrscheinlich. Da dies auch von der Interpretation her keine Schwierigkeiten macht, ist die hss. Interpunktion beizubehalten. 27 Vgl. Baumstark 1875: 538; Müllenhoff 1900: 274; Gudeman 1916: 111; Schweizer-Sidler 1923: 39; Reeb 1933: 35; Much 1967: 236; Anderson 1997: 98. 28 Baumstark 1875: 538: ”delegata etc. ist entweder Ablat. absol. oder ebenfalls, per Asyndeton, delegata est, doch ziehe ich das erstere vor.; Müllenhoff 1900: 274: ”ich will noch bemerken dass der satz delegata – familia unmöglich nominativ sein kann, sondern ein ablativus absolutus sein muss.. 29 Müllenhoff 1900: 274. 30 Till 1943: f. 69r. 31 Vgl. Robinson 1991: 266 mit der Folgerung, dass in solchen Fällen die Einteilung des Codex Hersfeldensis vorliegt (S. 267: ”Are we to conclude that the paragraph divisions shown above give us the paragraphing of Hf.? I believe such a conclusion to be almost inevitable.). 32 Vgl. Robinson 1905: 205. 33 Vgl. Neue – Wagener II: 136. 34 An einen reinen Schreibfehler ist dagegen wohl weniger zu denken, da sie in zwei Untergruppen belegt ist. Alle Editionen bieten die Schreibung penatium, die denn auch in den meisten Hss. bezeugt ist. Lediglich die Hss. ErbrAR schreiben penatum.32 Da beide Endungen für den Gen.pl. bezeugt sind,33 die Endung -um, da seltener, aber als lectio difficilior zu gelten hat,34 wird sie hier bevorzugt. Die Verbindung der Wörter domus und penates ist häufiger belegt (so etwa Cic. Mil. 38: cum domum ac deos penatis suos illo oppugnante defenderet ‚als er [= Milo] sein Haus und seine Penaten gegen ihn [= Clodius], den Belagerer, verteidigte‘; Ov. met. 7,574-575: fugiuntque penates / quisque suos, sua cuique domus funesta videtur ‚aus dem eigenen Hause flieht ein jeder; es scheint einem jeden sein Heim eine Gruft‘; Liv. 2,40,7: intra illa moenia domus ac penates mei sunt ‚hinter diesen Mauern sind mein Haus und meine Hausgötter‘; Val. Flac. 1,721: o domus, o freti nequiquam prole penates! ‚oh, mein Haus, ihr Penaten! Zur See seid ihr nutzlos dem Enkel!‘; Stat. silv. 2,1,67: muta domus, fateor, desolatique penates ‚stumm ist das Haus, ich gebe es zu, ohne Trost die Penaten‘), jedoch ist dann mit penates immer dii penates ‚Penaten‘ gemeint. Nach Lund liegt in der Reihung eine ”Synonymverdoppelung. vor,35 während andere annehmen, dass ”domus mehr das Äußere, penates mehr das Innere des Hauswesens bezeichnet..36 Die Wendung hier ist mit c. 25,1: suam quisque sedem, suos penates ‚seinem eigenen Wohnsitz, seinem eigenen Hof‘ vergleichbar. 35 Lund 1988: 153 (mit Hinweis auf c. 46,3). So ebenfalls bereits Halm, der daher domus aus dem Text strich (vgl. Baumstark 1875: 539). 36 Much 1967: 236. So auch Müllenhoff 1900: 275; Gudeman 1916: 111; Schweizer-Sidler 1923: 39; Reeb 1933: 35-36; Anderson 1997: 98. 37 Vgl. Müllenhoff 1900: 275-276: ”infirmissimus quisque sind neben den senibus die schwachen kinder und sonst untüchtige, die dem kriegsdienst nicht gewachsen sind.; Gudeman 1916: 111; Schweizer-Sidler 1923: 39; Much 1967: 236; Anderson 1997: 98. Nicht eindeutig Reeb 1933: 36: ”‚allen Schwachen‘, die nicht die Waffen führen können., worunter ebenfalls die ‚Alten‘ fallen könnten. 38 Müllenhoff 1900: 275. Vgl. auch Gudeman 1916: 111: ”‚Familie’ im engeren Sinne.; Schweizer-Sidler 1923: 39; Much 1967: 236; Lund 1988: 153; Perl 1990: 176; Anderson 1997: 98. 39 Baumstark 1875: 539. 40 Baumstark 1875: 539. 41 Much 1967: 236. So auch Müllenhoff 1900: 275. 42 Perl 1990: 176. Nicht stichhaltig ist dagegen das von Gudeman 1916: 111 angeführte Argument, dass die Sklaven ”auch wenn sie firmissimi waren, für den comitatus nicht in Betracht. kamen, da an dieser Stelle nicht von der Gefolgschaft die Rede ist. Nicht ganz deutlich ist, wer genau unter infirmissimo cuique ex familia zu verstehen ist. In der Regel werden darunter lediglich die Kinder verstanden, die (noch) nicht in den Krieg ziehen können,37 wie auch aus c. 25,1 hervorgeht: cetera domus officia uxor ac liberi exequuntur ‚die übrigen hauswirtschaftlichen Aufgaben nehmen die Gattin und die Kinder wahr‘. Diese Einengung des Wortes infirmissimus auf die Kinder hat zur Folge, dass familia ”in dem engen sinne von ‚familie haus‘ verstanden werden. muss.38 Dagegen hatte Baumstark familia noch weiter verstanden: ”Familia bezeichnet hier sowohl die eigentliche Familie, als das Gesinde..39 Daher waren nach ihm auch unter den infirmissimi neben anderen ””Unkräftigen. … auch die jüngeren Söhne. zu verstehen.40 Gegen die Annahme, dass auch Gesinde bzw. Sklaven mit zu verstehen seien, wurde zum einen eingewandt, ”daß man die kräftigeren von ihnen habe faulenzen lassen.,41 zum anderen, dass die Sklavenschaft ”die Hausarbeiten … nicht verrichtete..42 Beide Argumente sind jedoch kaum überzeugend. Einerseits braucht infirmissimus nicht nur im rein physischen Sinne gebraucht zu sein (Sklaven sind im Allgemeinen die schwächsten Mitglieder einer familia), andererseits ist nicht nur von Hausarbeiten die Rede, sondern auch von der agrorum cura; die Sorge für die Felder ist aber auch die Aufgabe von Sklaven, da sie einen Teil ihres Getreides abgeben müssen (vgl. c. 25,1). Es liegt somit nahe, familia hier weiter zu fassen.43 Inhaltlich ist die Aussage in c. 31,3 über die Chatten zu vergleichen: nulli domus aut ager aut aliqua cura ‚keiner hat Haus oder Feld oder sonst einen Erwerb‘. Ähnliche Äußerungen über das Verhalten bei anderen Völkern finden sich etwa bei Strabo (Geogr. 3,4,17 p. 165 C: .e.p...... a.ta. ‚diese letztere [= die Frauen der Skythen] verrichten die Landarbeit‘), Silius Italicus (3,350-353: cetera femineus peragit labor: addere sulco / semina et impresso tellurem vertere aratro, / segne viris: quicquid duro sine Marte gerendum, / Callaici coniux obit inrequieta mariti ‚Frauen verrichten die andere Arbeit: Samen in Furchen einzustreuen, das Wenden des Erdreichs mit lastendem Pfluge scheint den Männern nicht schicklich. Was außer dem drückenden Kriegsdienst anfällt, verrichtet die rastlose Frau des kalläkischen Gatten‘), Iustinian (44,3,7: feminae res domesticas agrorumque culturas administrant, ipsi armis et rapinis serviunt ‚die Frauen [= der Parther] verrichten die häuslichen Dinge und die Bestellung der Felder, sie selbst taugen zu Waffen und Rabuzügen‘) und Ammianus Marcellinus (31,2,20: omnis igitur aetas et sexus imbellis circa uehicula ipsa uersatus muniis distringitur mollibus. iuuentus vero equitandi usu a prima pueritia coalescens incedere pedibus existimat uile et omnes multiplici disciplina prudentes sunt bellatores. unde etiam Persae, qui sunt originitus Scythae, pugnandi sunt peritissimi ‚alle [= der Alanen], die infolge ihres Alters oder Geschlechts nicht waffenfähig sind, halten sich in unmittelbarer Nähe der Wagen auf und verrichten leichte Arbeiten. Die Jugend aber wächst von klein auf in ständiger Übung zu Pferde heran und hält es für verächtlich, zu Fuß zu gehen, und alle sind infolge vielfacher Übung geschulte Krieger. Aus demselben Grunde sind ja auch die Perser, die ihrer Herkunft nach Skythen sind, sehr erfahrene Krieger‘). 43 Die Folge -que et (die lediglich eine Variation zu -que … -que darstellt) dient zur Anreihung, und zwar in der Art, dass eine Erweiterung des vorausgehenden Begriffes, also ein Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen stattfindet; vgl. zu -que et Persson 1929: 209.. 44 Vgl. Perret 1950: 55; Robinson 1991: 126; Perret 1997: 80. ipsi hebent] Die Lesart der meisten Hss. ist habent (in m.CpQtfbdvorabrlezuARce; teils als hn.t geschrieben); dagegen findet sich hebent lediglich in den Hss. hcBETs, wogegen beide Lesarten in der Hs. W (haebent) stehen.44 Die Form habent (die im Übrigen im Nachfolgenden die Änderung von mira diversitate zu miram diversitatem in der Hs. b zur Folge hatte) ist inhaltlich sinnlos (vgl. c. 14,2: torpent; c. 46,1: torpor). Die Ursache für diese Verschreibung wird von Robinson im lautlichen Bereich gesucht, nämlich wegen Verwechselung von a und e im Vulgärlateinischen.45 Problematisch hierbei ist allerdings, dass der Fehler dann alt sein müsste, wobei einige Hss. aus unterschiedlichen Hss.-Gruppen dann separat voneinander die richtige Lesart restituiert hätten.46 Es liegt somit näher, an eine fehlerhafte Auflösung einer Abkürzung zu denken. In Frage kommt dabei wohl eine Schreibung hn.t oder ht..47 45 Robinson 1991: 236. 46 Der Fehler müsste bereits im Cod. Hersfeldensis gestanden haben. Dabei ist es ausgeschlossen, dass es sich um eine alte Dublette handelt, da Spuren von solchen sich immer in mehreren Hss. finden. 47 Vgl. Cappelli 1994: 162, 165. 48 Zur Distributivität von quisque vgl. Kühner – Stegmann II,1: 644. Nicht richtig ist daher die Bemerkung von Schweizer-Sidler 1923: 39: ”der Plural erklärt sich aus dem Kollektivbegriff von quisque.; vgl. Kühner – Stegmann II,1: 644: ”Quisque … jeder … (individualisierend und distributiv) …, während omnes eine Gesamtheit, und omnis, jeder (kollektiv) … bezeichnet.. 49 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 39; Much 1967: 236-237. 50 So Gudeman 1916: 111. 51 Reeb 1933: 36. Noch anders Baumstark 1875: 537-538, der in ipsi dieselben sieht, die nach ihm das Subjekt des Verbs ineunt sind: ”die germanischen Männer …, welche dem Kriegerleben und Kriegergeschäfte mit aller Entschiedenheit oblagen, mochten sie in Gefolgschaftsverhältnissen leben oder nicht. (S. 537). 52 Vgl. Baumstark 1875: 537; Gudeman 1916: 111; Much 1967: 237. 53 Vgl. Much 1967: 237. 54 Vgl. Gudeman 1916: 111. Das Wort ipsi nimmt das vorherige fortissimus ac bellicosissimus quisque wieder auf, wobei der Plural sich aus dem distributiven quisque erklärt.48 Unter ipsi fallen also nur die Tapfersten und Kriegerischsten,49 wohl nicht allgemein die principes50 und erst recht nicht ”Gefolgsherr und Mannen..51 Dass ipsi nicht so weit aufzufassen ist, zeigt sich zum einen dadurch, dass ipsi hebent als Variation zu nihil agens gesetzt ist,52 zum anderen darin, dass ipsi in Gegensatz zu den feminae senesque et infirmissimus quisque stehen,53 die nicht alle Frauen etc. umfassen können, da diese sich wiederum in Gegensatz zum fortissimus quisque befinden. Dass hier eine kleine Gruppe gemeint ist, geht ebenfalls aus c. 46,1 hervor, wo Tacitus den torpor bei den Bastarnen ebenfalls den proceres nachsagt. mira diversitate naturae] In der Bedeutung ‚Gegensatz, Widerspruch‘ ist diversitas erst seit Tacitus belegt.54 Die Verbindung der Wörter mira und diversitas findet sich ebenfalls bei Tac. hist. 1,62,1: mira inter exercitum imperatoremque diversitas ‚erstaunlich war zwischen Heer und Imperator der Gegensatz‘; vgl. ebenfalls Plin. epist. 6,33,5: notabilis prorsus et mira eadem in causa … tanta diversitas ‚bemerkenswert und sonderbar, dieser gewaltige Unterschied in ein und derselben Sache‘; Gell. 20,7,1: mira et prope adeo ridicula diversitas fabulae apud Graecos poetas deprenditur super numero Niobae filiorum ‚wunderlich und fast lächerlich ist der Widerspruch, der sich bei den griechischen Dichtern in der Sage findet über die Angabe der Anzahl von Niobe’s Kindern‘. Mit natura verbunden etwa bei: Plin. nat. 5,65: tam parvo distat ibi tanta rerum naturae diversitas ‚auf einer so kurzen Strecke ist dort die Landesnatur verschieden‘; Quint. inst. 10,2,19: nam quaedam sunt imitabilia, quibus aut infirmitas naturae non sufficiat aut diversitas repugnet ‚denn manche Dinge sind unnachahmbar, weil bei ihnen die Naturanlage zu schwach ist, so daß sie nicht ausreicht, oder zu verschieden, so daß sie sich sträubt‘; Tert. anim. 25,8: ex diuersitate naturae ‚trotz der Verschiedenheit der Natur‘. cum iidem homines sic ament inertiam et oderint quietem] In einigen Hss. ist anstelle von richtigem (i)idem die Lesart (i)isdem überliefert: [h]i[i]dem in Wmhc.CptfbBvrbrs, [h]i[i]sdem in dlezARce, iisdem korr. in iidem in QEu und quod a,55 die ihre Ursache in dem fälschlicherweise als Präposition aufgefassten cum hat. Wegen der Verbreitung des evident falschen iisdem ist diese Lesart sicherlich dem Humanistenarchetyp zuzuschreiben, womöglich gar dem Codex Herfeldensis.56 Nicht entscheidbar dagegen ist die Frage, ob die Korrektur bereits im Codex Hersfeldensis bzw. im Humanistenarchetyp stand (wohl durch Expungierung von s), oder ob es sich jeweils um separate humanistische Korrekturen handelt.57 55 Vgl. Perret 1950: 69; Robinson 1991: 106; Perret 1997: 80. 56 Anders jedoch Robinson 1991: 107: ”Because of the preceding cum the error might well have occurred independently in several manuscripts.. 57 Vgl. zur Datierung der Expungierung in E Till 1943: 19: ”Das s ist … bereits vom Schreiber selbst getilgt worden.. 58 Zur Stilistik vgl Benario 1999: 81: ”The five Latin words, from ament to quietem, are perfectly balanced. Further, the two verbs are strongly contradictory.; vgl. auch Städele 1991: 339: ”Es handelt sich um eine der Stellen, an denen man den Eindruck gewinnt, Tacitus habe einen ganzen Abschnitt nur um der Schlußpointe willen so komponiert.. 59 Da es sich um eine stilisierte Pointe in der Form eines Paradoxons handelt, sind die Versuche, in ihr eine ‚historische Wahrheit‘ zu finden, sinnlos (vgl. etwa Baumstark 1875: 539: ”da es psychologisch gar nichts Auffallendes hat, wenn Leute solcher Uncultur von der höchsten und aufgeregtesten Unruhe des wilden Krieges in das schroffste Extrem des Gegentheils, der absoluten Ruhe, verfallen. Denn je grösser vorher die Anstrengung und Erschöpfung gewesen, desto grösser musste das Bedürfnis der Wiedererstarkung sich geltend machen und die Betreffenden, selbst gegen ihren Willen, überwältigen.; ebenso u.a. Schweizer-Sidler 1923: 39; Reeb 1933: 36; Anderson 1997: 98; die Letzteren mit der Angabe, dass ein solcher Wechsel für Naturvölker kennzeichnend sei). Als Pointe ebenfalls verkannt von Gudeman 1916: 111: ”Die Beobachtung ergab sich aus der ganzen vorhergehenden Schilderung des comitatus und ist keineswegs eine leere rhetorische Phrase.. Als ”starke Übertreibungen. enthaltend aufgefasst von Much 1967: 237: ”daß ein ganzes Volk bei solcher Lebensweise sehr bald zugrundegehen müßte … Aus der späteren nordischen Sagaliteratur, die uns ein anschauliches und ungetrübtes Bild von Kulturzuständen gibt, in denen sich die altgermanischen kaum wesentlich verändert fortsetzen, findet jene angebliche Bärenhäuterei … keine Bestätigung.. Tacitus schließt die Darstellung mit einer zugespitzten Pointe58 in der Form eines Paradoxons.59 Hierbei bezieht sich inertia auf c. 15,1: per otium transigunt – nihil agens – hebent,60 quies (welches die Ruhe des Friedens bedeutet; vgl. c. 40,3: pax et quies ‚Friede und Ruhe‘; vgl. auch Tac. hist. 4,1,3: pax et quies bonis artibus indigent ‚Frieden und Ruhe bedürfen guter Eigenschaften‘) dagegen auf c. 14,2: ingrata genti quies ‚ist Ruhe diesem Volk verhaßt‘. Vgl. zu einer solchen Widersprüchlichkeit ebenfalls Tac. Agr. 32,1: an eandem Romanis in bello virtutem quam in pace lasciviam adesse creditis? ‚oder glaubt ihr, den Römern stünde im Kriege Tapferkeit in gleichem Maße zu Gebot wie im Frieden Zügellosigkeit?‘; vgl. auch Hdt. 5,6,2 (über die Thraker): .p... e..a. ......t.., ... d. .p..t.. .t.µ.tat.. ‚wer faul ist, wird hoch geehrt, wer sein Feld bebaut, zu tiefst verachtet‘. Die Aussage bei Tac. hist. 4,76,2: et neminem adeo in arma pronum, ut non idem pretium quietis quam periculi malit ‚und niemand sei derart auf Waffentaten versessen, daß er nicht lieber um gleichen Lohn Frieden der Gefahr vorzöge‘ ist nicht unmittelbar hierher zu stellen, sondern aus der Absicht der Rede des Tutor zu erklären. 60 Von Lund 1988: 154 wird inertia auf c. 14,3: pigrum bezogen, was jedoch kaum zutreffen wird, da der Kontext dort ein kriegerischer ist. 61 Much 1967: 237. 62 Vgl. auch Städele 1991: 339. 63 Much 1967: 237; ähnlich auch Müllenhoff 1900: 276; Gudeman 1916: 112; Perl 1990: 177; Benario 1999: 82. 2 mos est civitatibus ultro ac viritim conferre principibus vel armentorum vel frugum] Wenn Much schreibt: ”Der rhetorische Abschluß des vorausgehenden Satzes deutet einen stärkeren Absatz an.,61 ist dies zwar prinzipiell korrekt, c. 15,1 und c. 15,2 gehören aber dennoch eng zusammen, da es in beiden Abschnitten um die Frage geht, was Gefolgschaftsanführer in Friedenszeiten tun.62 In c. 15,1 wird das Private näher beleuchtet, in c. 15,2 das Öffentliche. Zu mos est vgl. c. 13,1: moris est ‚es ist … üblich‘. Da civitas im ersten Teil der Germania bezüglich der organisierten Struktur eines einzelnen Stammes gebraucht wird (vgl. c. 8,1), liegt eine solche Verwendung auch hier vor. Aus diesem Grund sind unter den principes die ständigen Anführer einer Stammesgemeinschaft zu verstehen. Weil die Abgabe offenbar an alle Anführer geht, scheint es nicht notwendig zu sein, diese Stelle als Erklärung dafür zu verstehen, ”wie die Erhaltung eines Gefolges im Frieden möglich ist.,63 zumal Tacitus in c. 14,2 davon sprach, dass magnumque comitatum non nisi vi belloque tueare ‚ein großes Gefolge läßt sich nur durch Gewalttat und Krieg unterhalten‘. Die Hinzufügung von civitas legt die Annahme nahe, dass hier in erster Linie an die Staatsanführer zu denken ist.64 Es ist daher wohl angedeutet, dass alle Personen eines Stammes in einer näheren Beziehung zu einem der Anführer stehen.65 Wie mos est schon andeutet, handelt es sich um eine Abgabe, die nicht gesetzlich geregelt ist, somit nicht um eine Steuerabgabe. Diese Freiwilligkeit wird noch durch das Wort ultro unterstrichen. Das Wort viritim drückt dagegen aus, dass jeder die Abgabe einzeln entrichtet. Es zeigt an, dass jeder Einzelne die Abgabe ohne Verpflichtung für seine Verwandten abgibt. frux steht hier in der Bedeutung ‚Feldfrucht, Korn‘, wie auch in Tac. Agr. 12,5: solum … patiens frugum fecundum ‚der Boden trägt … reichlich Früchte‘. 64 So auch Baumstark 1875: 541-542. 65 So auch Perl 1990: 177. 66 Vgl. Leumann – Szantyr 1972: 54. 67 Unklar ist, ob es sich hierbei um einen Gräzismus handelt (vgl. Kühner – Stegmann II,1: 435; Gudeman 1916: 112). 68 So etwa Gudeman 1916: 111; Schweizer-Sidler 1923: 39; Reeb 1933: 36; ähnlich wohl auch Benario 1999: 82. 69 Vgl. Müllenhoff 1900: 276; ebenso wird der absolute Gebrauch angenommen von Baumstark 1875: 543; Much 1967: 238; Anderson 1997: 99. Der absolute Gebrauch des Gen. partitivus findet sich im Lat. selten;66 vgl. u.a. Tac. ann. 15,53,2: et ceterorum ut quisque audentiae habuisset ‚und wer von den übrigen noch Wagemut besitze‘.67 Im Allgemeinen wird dabei angenommen, dass die Genitive von einem aus quod zu supplierenden id oder aliquid abhängen.68 Jedoch müsste in diesem Fall der Konjunktiv subveniat folgen;69 vgl. etwa Tac. hist. 2,44,3: superesse cum ipso Othone militum quod trans Padum fuerit ‚zum Einsatz bereit stünden mit Otho selbst die Truppenverbände jenseits des Po‘. Der absolute Gebrauch soll wohl die Unbestimmtheit ausdrücken; die Germanen kennen keine Quote, da jedem die Abgabemenge freisteht. Das Fehlen von Steuern ist für die Germanen kennzeichnend. Ebendeshalb rechnet Tacitus in c. 43,1 die Gotiner und Oser wegen ihrer Steuerabgaben nicht zu den Germanen: Gotinos Gallica, Osos Pannonica lingua coarguit non esse Germanos, et quod tributa patiuntur. partem tributorum Sarmatae, partem Quadi ut alienigenis imponunt ‚dass sie keine Germanen sind, beweist bei den Kotinern ihre gallische, bei den Osern ihre pannonische Mundart, sowie, dass sie Abgaben hinnehmen müssen. Zum Teil erlegen ihnen, da sie fremden Stammes sind, diese Abgaben die Sarmaten auf, zum Teil die Quaden‘. Pflichtabgaben kennen nur die Sklaven (vgl. c. 25,1: frumenti modum dominus aut pecoris aut vestis ut colono iniungit ‚der Herr erlegt ihm, gleich einem Pächter, eine bestimmte Menge Getreide, Vieh oder Tuch auf‘). Die nichtsteuerliche Abgabe ist noch unter Karl dem Großen vorhanden; vgl. Ann. Laur. min. 753: in die autem Martis campo secundum antiquam consuetudinem dona illis regibus a populo offerebantur ‚am Tag aber, auf dem Marsfeld, wurden nach alter Gewohnheit jenen Königen Geschenke vom Volk dargebracht‘. Für die Abgaben kennen die germ. Sprachen die Wörter: a. got. gild, ahd. gelt, as. geld, ae. gield, afries. ield, geld, aisl. gjald < urgerm. *gelda-, eine Ableitung zu urgerm. *gelde/a- ‚(ent)gelten‘ (> got. -gildan, ahd. geltan, as. geldan, ae. geldan, gildan, afries. ielda, aisl. gjalda);70 70 Vgl. Casaretto 2004: 74-75. 71 Vgl. Casaretto 2004: 551. 72 Hierzu vgl. Lühr 2000: 255. b. got. gilstr*, ahd. gelstar < urgerm. *gelstra- ‚Steuer, Tribut‘, eine Ableitung zu urgerm. *gelde/a- ‚(ent)gelten‘ (s.o.);71 c. ahd. stiura, as. -stiuria (in heristiuria ‚Heersteuer, Sold‘), ae. steor < westgerm. *ste.r.o- ‚Unterstützung, Abgabe‘, eine Ableitung zu urgerm. *ste.ro(n)- ‚(stützender) Pfahl, Stock‘.72 Die Steuer ist somit ursprünglich die unterstützende, helfende Abgabe. quod pro honore acceptum] Auch dies zeigt an, dass es sich nicht um eine steuerliche, sondern um eine freiwillige Abgabe handelt. Es ist anzunehmen, dass ein Anführer umso höher angesehen ist, je mehr Gaben er erhält. etiam necessitatibus subvenit] Die Abgabe hat demnach (auch) rein praktische Gründe, da die Anführer sich ohne diese ihren Lebensstil – sie selbst tragen zur ökonomischen Sicherung nichts bei – nicht leisten könnten. Ob zum Lebensunterhalt auch die Verpflegung eines Gefolges gehört, wird hier nicht explizit gesagt. gaudent praecipue finitimarum gentium donis] Auch dies erhöht die Position des jeweiligen Anführers. Zu den Geschenken vgl. c. 5,3: est videre apud illos argentea vasa legatis et principibus eorum muneri data ‚Silbergefäße, die man ihren Abgesandten und Anführern zum Geschenk gegeben hat‘. Eine Möglichkeit des Bekanntwerdens bei den Nachbarstämmen ist in c. 13,3 näher beschrieben: sed apud finitimas quoque civitates id nomen, ea gloria est, si numero ac virtute comitatus emineat ‚sondern auch bei den benachbarten Stammesgemeinschaften genießt ein Gefolge Ansehen und Ruhm, wenn es sich durch Größe und Tapferkeit auszeichnet‘. Das Wort gentes wird an dieser Stelle – ebenso wie in c. 10,3 – von Perl als ‚Länder‘ gedeutet: ”Die Interpretation ergibt, daß Tacitus hier mit gens sowohl einheimische Stämme als auch fremde Völker meint. Als gemeinsamen Nenner für ,Völker und Stämme‘ habe ich als Verlegenheitslösung ,Länder‘ genommen..73 Lund ordnet dagegen diesen Beleg unter ,kleinere Bevölkerungsgruppe‘ ein.74 Perls Deutung, die ihm ”methodisch wichtig erscheint.,75 übersieht allerdings, dass ebenso wie in c. 10,3 durch die Zufügung patriis quemque armis gesichert ist, dass kein geographischer Aspekt mitschwingt, hier donis anzeigt, dass es sich nicht um ,Länder‘, sondern um ,Einzelstämme‘ handelt, da nur diese Geschenke geben können.76 Unwichtig ist schließlich die Frage, ob mit gentes germanische oder nichtgermanische Einzelstämme gemeint sind.77 73 Perl 1983: 59. Vgl. auch S. 63 Fn. 39: ”An den beiden Stellen [= c. 10,3 und 15,2] liegt auf gens kein geographischer oder territorialer Akzent. Bei den ethnologischen oder staatrechtlichen Termini schwingt allerdings manchmal ein geographischer Aspekt mit.; dies scheint sich jedoch gegenseitig auszuschließen. Perl 1990: 95 übersetzt das Wort mit ”Stämme beziehungsweise Völker.. 74 Lund 1988: 40. Auf S. 142 heißt es allerdings: ”Gens kann jedoch hier [= c. 10,3] im Sinn von ,Land‘ wiedergegeben werden … So auch in c. 15,2.. 75 Perl 1983: 59. 76 Im übertragenen Sinne wäre die Bedeutung ,Länder‘ zwar durchaus möglich, es ist aber unwahrscheinlich, dass Tacitus das Wort gens gegen seinen sonstigen Gebrauch einmal so verwendet hätte. 77 Anders Baumstark 1875: 544: ”Die finitimae gentes sind … germanische Völkerschaften.. 78 Vgl. Perret 1950: 68; Robinson 1991: 116; Perret 1997: 80. 79 Baumstark 1875: 544. Zu non modo … sed vgl. Kühner – Stegmann II,2: 60-61. 80 Die Folge sed et ist in der Verbindung non modo … sed et erst nachklassisch (vgl. Kühner – Stegmann II,2: 59). 81 Kühner – Stegmann II,2: 58. 82 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 277: ”dass es fehlen kann und in der auslassung sogar eine steigerung liegt … beweist natürlich nicht dass Tacitus es wegließs.. 83 Vgl. Robinson 1900: 94. 84 Kühner – Stegmann II,1: 378. 85 Die Auslassung findet sich nur in einer einzigen Hss.-Gruppe. Der Wegfall eines Wortes ist generell häufiger als die Hinzufügung. 86 Robinson 1991: 100: ”I adopt (perhaps wrongly) the … a singulis.. quae non modo a singulis, sed et publice mittuntur] Während die Mehrheit der Hss. die Lesart sed et bietet, findet sich bloßes sed in den Hss. CpQtflezuARce, in . schließlich fehlerhaftes et si.78 Der Einzige, der bloßes sed als richtige Lesart verteidigte, ist Baumstark, da ”sed (ohne et oder etiam) … das zweite Glied hervor, wie es hier passend ist..79 Da jedoch non modo … sed et80 ebenfalls dann gebraucht wird, wenn ein Begriff angeschlossen wird, ”welcher den des ersten Satzgliedes an Bedeutung und Wichtigkeit überragt.81 und die Überlieferung eindeutig für sed et spricht, ist dieses beizubehalten.82 Während sich in der überwältigenden Mehrheit der Hss. die Lesart a singulis findet, fehlt in den Hss. Wmhs2 a.83 Da sich ein Ablativ ohne a(b) zur Bezeichnung des Urhebers nur ”vereinzelt in späterer Prosa. findet,84 die Überlieferung eindeutig für a spricht,85 ist das Wort – trotz des Bedenkens von Robinson86 – im Text zu behalten.87 87 Vgl. auch Sörbom 1935: 95. 88 So etwa Gudeman 1916: 112; Lund 1988: 154; Anderson 1997: 99. 89 So u.a. Schweizer-Sidler 1923: 40; Much 1967: 234; Koestermann 1970: 14; Önnerfors 1983: 12; Winterbottom – Ogilvie 1985: 45; Perl 1990: 94; Anderson 1997; Benario 1999: 28. 90 So etwa Gudeman 1916: 244; Robinson 1997: 99. Zur Verteilung vgl. Robinson 1991: 191. 91 Vgl. auch Bruun – Lund 1981: 505-506. 92 Vgl. Murgia 1981: 133. 93 Lund 1988: 154; ebenso etwa Baumstark 1875: 545; Gudeman 1916: 112; Reeb 1933: 36. 94 So ebenfalls Müllenhoff 1900: 278. 95 Vgl. ThLL VIII: 134,52-71. Hieraus geht auch hervor, dass die Emendation in magnifica überflüssig ist Üblicherweise wird angenommen, dass a singulis dem viritim entspricht.88 Dies ist jedoch kaum zutreffend, da viritim jedes gewöhnliche Stammesmitglied meint. Nun erscheint es unwahrscheinlich, dass ein gewöhnliches Stammesmitglied die Anführer anderer Stämme so kannte, dass er ihnen Geschenke zukommen ließe; auch fragt man sich, wo ein einfaches Mitglied solche Geschenke (nämlich erlesene Pferde und kostbare Waffen) hätte hernehmen sollen. Schon wegen der Art der Geschenke liegt die Annahme nahe, dass es sich bei a singulis um a singulis principibus handelt. Natürlich kennen diese Bevorrechteten einander näher und drücken ihre guten gegenseitigen Beziehungen durch den Austausch erlesener Geschenke aus. Während es sich demnach bei Geschenken a singulis um Privatgeschenke handelt, liegen bei Geschenken, die publice übergeben werden, Staatsgeschenke vor. electi equi] Gute Pferde mussten den Anführern willkommen sein, da die eigenen Pferde nach Ausweis von c. 6,2: non forma, non velocitate ‚weder durch Wohlgestalt noch durch Schnelligkeit‘ bestechen. Es ist somit entweder anzunehmen, dass es sich um Geschenke von nicht-germanischen Stämmen handelt, oder die Aussage ist in dem Sinne relativ zu verstehen, dass die geschenkten Pferde mehr electus waren als die anderen Pferde. magna arma] Obwohl in allen Hss. einheitlich die Lesart magna überliefert ist, übernehmen viele Herausgeber von Meiser die Emendation magnifica,89 wobei darauf hingewiesen wird, dass in c. 34,2 in den Hss. magnum neben magnificum erscheint.90 Nun sind beide Stellen jedoch erstens inhaltlich nicht vergleichbar,91 und zweitens spricht gerade die einheitliche Überlieferung an dieser Stelle gegen die Konjektur. Schließlich kommen magnus und electus häufiger nebeneinander vor.92 Von denjenigen, die magna im Text beibehalten, wird es im Sinne von ‚groß‘ erklärt, da ”die großgewachsenen Barbaren Freude an großen Waffen fanden..93 Jedoch vermag diese Erklärung wegen der Parallelität zu electus kaum zu überzeugen.94 Wahrscheinlicher ist es daher, dass magna hier die Bedeutung ‚kostspielig, kostbar‘ hat.95 Hiermit ist – auch inhaltlich – Sall. Iug. 80,3: praeterea regis (134,52): ”fere i.q. magnificus.. 96 Vgl. auch Gudeman 1916: 112-113: ”Hier an den ebenfalls phalera genannten Pferdeschmuck zu denken, verbietet der ganze Zusammenhang der Stelle.; anders etwa Reeb 1933: 124: ”Schmuckplatten des Pferdegeschirrs.. 97 Vgl. Maxfield 1981: 86-89, 91-95. Bocchi proxumos magnis muneribus et maioribus promissis ad studium sui perducit ‚außerdem bringt er Vertraute des (mauretanischen) Königs Bocchus durch große Geschenke und noch größere Versprechungen dazu, daß sie sich für ihn einsetzen‘ zu vergleichen. Zur Verbindung equus und arma vgl. Tac. hist. 1,88,3: conspicua arma, insignes equos ‚auffallende Waffen, prächtige Pferde‘. phalerae torquesque] Das Wort phalerae kann sowohl Pferdeschmuck als auch Brustschmuck bedeuten. Letztere Bedeutung ist dabei vorzuziehen, da es sich zum einen bei phalerae und torques um das erweiterte dritte Glied einer oratio trimembris handelt, so dass beide Wörter bedeutungsmäßig in etwa gleichzusetzen sind (auch war von den electi equi bereits die Rede).96 Zum anderen handelt es sich inhaltlich bei beiden Wörtern um so genannte dona militaria, die militärischen Auszeichnungen im römischen Heer, die Soldaten im Range ab dem Centurio verliehen wurden.97 Beide werden öfters zusammen genannt; vgl. u.a. Tac. hist. 2,89,2: et militum phalerae torquesque splendebant ‚ebenso funkelten Brustschmuck und Halsketten der Soldaten‘; ds. ann. 12,36,3: tunc incendetibus regiis clientulis phalerae torques … traducta ‚dann, während des Aufzugs der königlichen Vasallen, wurden der Brustschmuck, die Halsketten … vorübergetragen‘; Cic. Verr. 3,185: Q. Rubrium, excellentem virtute auctoritate copiis, corona et phaleris et torque donasti ‚du hast … Q. Rubrius, einen Mann, der sich durch Tüchtigkeit, Ansehen und Reichtum auszeichnet, mit einem Kranz, einem Brustschmuck und einer Halskette beschenkt‘; Suet. Aug. 25,3: dona militaria aliquanto facilius phaleras et torques, quicquid auro argentoque constaret, quam vallares ac murales coronas, quae honore praecellerent, dabat ‚als Geschenke an die Soldaten gab er wesentlich leichter Plaketten und Halsketten, und was sonst aus Gold und Silber bestand, als Wall- und Mauerkronen, die in höherem Ansehen standen‘; Sil. 15,255- 256: phaleris hic pectora fulget; / hic torque aurato circumdat bellica colla ‚hier strahlen von Orden die Brüste, hier umgibt sich der Hals von Kriegern mit goldener Kette‘; CIL I,624: donatus torquibus armillis paleris coronis ‚beschenkt mit Halsketten, Armspangen, Plaketten, Kränzen‘; ebd. II,4461: donato / ab Imp(eratore) Traiano torqui/bus armillis phaleris ‚beschenkt vom Kaiser Trajan mit Halsketten, Armspangen, Plaketten‘; ebd. III,2718: donatus a Tib. Caesare tor(quibus) armillis faleris ‚beschenkt von Tiberius Caesar mit Halsketten, Armspanngen, Plaketten‘; ebd. V,7495: phalaris / torquibus / armillis don[atus ‚beschenkt mit Plaketten, Halsketten, Armspangen‘; ebd. X,1202: donis donato a divo / Traian(o) bello Parthic(o) / corona murali torquib(us) / armillis phalaris ‚beschenkt mit Geschenken vom göttlichen Trajan im Parthischen Krieg mit einer Mauerkranz, mit Halsketten, Armspangen, Plaketten‘; ebd. X,3733,3: donis donato ab / Imp(eratore) Traiano torquibus / armillis phaleris ob / bellum Parthicum i[te]m ab / Imp(eratore) Hadriano corona / aurea torquibus armillis / phaleris ob bellum Iudaicum ‚beschenkt mit Geschenken vom Kaiser Trajan – Halsketten, Armspangen, Plaketten – wegen des Parthischen Krieges, erneut vom Kaiser Hadrian mit einem goldenen Kranz, Halsketten, Armspangen, Plaketten wegen des Jüdischen Krieges‘. phalerae waren zunächst Pferdeschmuckplatten aus Metall, die nur Kavalleristen verliehen wurden, seit der Zeit des Bundesgenossenkrieges auch Infanteristen. Sie wurden mehrfach verliehen und auf einem Riemenwerk getragen. Sie waren aus Metall, rund oder oval, glatt oder mit Ornamenten verziert.98 98 Vgl. KP 4: 699-700. 99 Vgl. KP 5: 890. 100 Diese stammen nicht aus dem Römischen Reich, sondern sind wohl im Kölner Raum hergestellt (vgl. Rives 1999: 190; anders Todd 2000: 117). 101 Vgl. Much 1967: 239-243. 102 So Rives 1999: 190-191. 103 Es ist daher nicht sicher, dass diese Stelle ”römische Färbung. hat (so Lund 1988: 154); vgl. auch Baumstark 1875: 546: ”Ich … betone … dass Tacitus rein … referirt …, ohne alle römische Tendenz und ohne irgend torques sind runde Metallschmuckstücke, die nach den einander fast berührenden Enden, die einem gedrehten Strick gleichen, benannt sind. Sie waren aus Gold, Silber oder Bronze gefertigt und wurden um den Hals getragen.99 Die einzig bekannten phalerae sind im Moor von Thorsberg gefunden und in die Zeit zwischen 220-240 n.Chr. zu datieren.100 torques aus der Zeit des Tacitus sind ebenfalls äußerst selten und stammen wohl aus dem Baltikum.101 Sie könnten somit auf finitimae gentes weisen. Wegen der spärlichen Bezeugung ist jedoch durchaus denkbar, dass die Junktur phalerae torquesque in einem allgemeineren Sinn, nämlich als ‚militärische Auszeichnungen‘, zu verstehen ist, so wie sie auch in einigen der oben zitierten Stellen gebraucht ist.102 Ebenfalls nicht auszuschließen ist – in Anbetracht von c. 5,3: est videre apud illos argentea vasa legatis et principibus eorum muneri data ‚Silbergefäße, die man ihren Abgesandten und Anführern zum Geschenk gegeben hat‘ –, dass hier lediglich Geschenke aus Edelmetall gemeint sind, wobei stellvertretend solche ausgewählt sind, die zum militärischen Kontext passen.103 welchen Tadel.. 104 Vgl. ThLL I: 318,5-319,63. iam et pecuniam accipere docuimus] Unklar ist, ob diese Stelle wörtlich im Sinne vom normalen Geldempfang oder übertragen im Sinne von Bestechungsgeld zu verstehen ist.104 Da Tacitus jedoch auch sonst von der Bestechlichkeit der Germanen redet, liegt letztere Bedeutung näher. Sicher ist jedenfalls, dass die Römer mit Hilfe von Geld Einfluss auf die Stämme auszuüben versuchten (zur Gefahr bei der Geldannahme vgl. Caes. Gall. 6,22,3: ne qua oriatur pecuniae cupiditas, qua ex re factiones dissensionesque nascuntur ‚auch die Geldgier soll dadurch [= durch den jährlichen Ackerwechsel] im Keim erstickt werden, weil sie die Entstehung gegnerischer Parteien und Streit begünstigt‘. Vgl. auch bei den Jugurthinern Sall. Iug. 8,1: ea tempestate in exercitu nostro fuere conplures novi atque nobiles, quibus divitiae bono honestoque potiores erant, factiosi domi, potentes apud socios, clari magis quam honesti, qui Iugurthae non mediocrem animum pollicitando accendebant, si Micipsa rex occidisset, fore uti solus imperi Numidiae potiretur; in ipso maxumam virtutem, Romae omnia venalia esse ‚in dieser Zeit gab es in unserem Heer mehrere junge Adlige, denen Reichtum wichtiger war als Anstand und gute Sitte: Cliquenanhänger in der Heimat, Großtuer bei den Bundesgenossen, eher bekannt als geachtet. Diese heizten Jugurtha, der ja hoch hinaus wollte, durch ihre Versprechungen an: Wenn König Micipsa umgekommen sei, könne er sich allein der Herrschaft über Numidien bemächtigen; in ihm stecke höchste Energie, in Rom sei für Geld alles zu haben‘). Zu solchen Geldtransfers vgl. u.a.: Tac. Germ. 42,2: raro armis nostris, saepius pecunia iuvantur ‚selten unterstützen wir sie durch unsere Waffen, häufiger durch Geld‘; ds. hist. 4,76,2: pecuniamque ac dona, quis solis corrumpantur, maiora apud Romanos, et neminem adeo in arma pronum, ut non idem pretium quietis quam periculi malit ‚Geld und Geschenke, wodurch allein sie sich bestechen ließen, gebe es in reicherem Maße bei den Römern, und niemand sei derart auf Waffentaten versessen, dass er nicht lieber um gleichen Lohn Frieden der Gefahr vorzöge‘; ds. ann. 11,16,1: igitur Caesar auctum pecunia … hortatur gentile decus magno animo capessere ‚so stattete ihn den der Kaiser mit Geldmitteln aus … und ermahnte ihn, die seiner Familie zustehende Würde stolzen Sinnes entgegenzunehmen‘; Cass. Dio 67,5,1: Fap..µ.p.. . t.. Fep...... ßa...e.. … t.. ..µ.t.a... ...te.e .a. ..µµa..a. µ.. ... .t..e, .p.µata d. ..aße. ‚Chariomerus, der König der Cherusker … ging … Domitian um Hilfe an. Er erhielt indessen keine militärische Unterstützung, wohl aber Geld‘. Vgl. aus späterer Zeit SHA (Capitolinus, V. Marci Ant.) 21,7: emit Germanorum auxilia contra Germanos ‚erkaufte er [= Marcus Aurelius] sich germanische Hilfsvölker gegen die Germanen‘; Maurik. 10,4: .p.f.e.p..ta. d. .p.µa... e......, f....epd. ..ta ‚sie [= die blonden Völker] sind leicht durch Geld zu verführen, da sie habsüchtig sind‘. Das Verb docere ist sarkastisch verwendet; vgl. zur Zersetzung der Gesellschaft durch die Römer Tac. Agr. 21,2: paulatimque descensum ad delenimenta vitiorum, porticus et balinea et convivorum elegantiam. idque apud imperitos humanitas vocabatur, cum pars servitutis esset ‚allmählich verfiel man auch auf die Reize der Laster: auf Säulenhallen und Bäder und üppige Gelage. Und dergleichen galt den Unerfahrenen für feine Bildung, während es doch ein Stück Knechtschaft war‘.105 105 Aus diesem Grund ist es wenig wahrscheinlich, dass an dieser Stelle eine satirische Anspielung auf die gekauften Siege etwa von Caligula vorliegt (so etwa Müllenhoff 1900: 280; Schweizer-Sidler 1923: 40). Diese Geldübergaben führten letztendlich dazu, dass sich die Germanen den Frieden teuer bezahlen ließen; vgl. Herodian. 6,7,9: t..t. ..p µ....ta Gepµa... pe....ta f...p..p.. te ..te. .a. t.. e.p.... .e. pp.. ..µa.... .p..... .ap..e...te. ‚denn darauf sind die Germanen vor allem erpicht, da sie geldgierig sind und den Römern den Frieden meist für Geld verkaufen‘; ds. 1,6,9 (allgemein): f..e. ..p t. ß.pßap.. f....p.µat.. .a. ...d.... .atafp....a.te. . d.’ .p.dp.µ.. .a. .f.d.. t. .pe..de. pp.. t.. ß... p.p....ta. . µe..... µ..... t.. e.p.... ..t..ata.......ta. ‚denn von Natur aus ist das Barbarentum geldgierig, und verachtet die Gefahren: entweder verschaffen sie sich ihren Bedarf durch Angriffe und Einfälle, oder sie lassen sich den Frieden durch viel Geld vergüten‘; vgl. auch allgemein Aur. Vict. epit. Caes. 14,10: iactabat palam plus se otio adeptum quam armis ceteros ‚er [= Hadrian] wiederholte offen, dass er mehr durch seine Ruhe als andere Kaiser durch Waffen erreicht hatte‘. KAPITEL 16 1 Nullis Germanorum populis urbes habitari satis notum est] Der Anfang dieses Kapitels ist mit dem Vorhergehenden nicht durch Initialwörter verknüpft, was einen stärkeren Schnitt kennzeichnet: ab c. 16 wird die vita privata behandelt.1 Der Übergang ist durch einen hinzuzudenkenden Gegensatz angedeutet: c. 15,2: docuimus : c. 16: (non docuimus) Germanorum populis urbes habitari.2 1 Eine Einteilung in öffentliches und privates Leben findet sich auch – obwohl schwächer ausgeprägt – bei Caes. Gall. 6,21-6,23. 2 Vgl. Perl 1990: 177. 3 Vgl. Robinson 1991: 208. Eine zweite Hand hat jedoch nullis in T in nullas korrigiert. Maßmann 1847: 73 gibt für die Hs. b die Lesart nullos an; diese lässt sich jedoch nicht verifizieren (die Lesart nullos findet sich auch im Druck J, aber hier ist populis ebenfalls in populos abgeändert; vgl. Hirstein 1995: 293). 4 Man würde eher erwarten: Germanorum populis nullas urbes habitari. 5 Aus diesem Grund ist diese Stelle nicht vergleichbar mit c. 10,1: nulla de eadem re in eundem diem consultatio, wo nullus und dessen Substantiv ebenfalls weit auseinander stehen; die Konstruktion ist jedoch consultatio de. In der Hs. E (und in der davon abhängigen Hs. T) findet sich die Lesart nullis, während sämtliche andere Hss. nullas bieten.3 Inhaltlich besteht zwischen beiden Fassungen kein Unterschied: ‚Die Völker der Germanen bewohnen keine Städte‘ : ‚Keine Völker der Germanen bewohnen Städte‘. Für die Lesart der Hs. E spricht, dass damit die in der Germania gängige Fügung nullus + Gen. + Subst. vorliegt (vgl. etwa c. 5,2: nullam Germaniae venam ‚daß es in Germanien keine Ader gibt‘; c. 6,1: nulla cultus iactatio ‚mit reicher Ausstattung wird nicht geprunkt‘; c. 19,1: nullis spectaculorum illecebris ‚nicht von Verlockungen bei Schauspielen‘). Ebenfalls steht nullus betont am Anfang des Satzes, wo es natürlicher ist zu lesen ‚kein einziges Volk‘ als ‚sie bewohnen keine einzige Stadt‘. Außerdem ist bei der Lesart nullas der Einschluss Germanorum populis unorganisch,4 da populis nicht eine nähere Bestimmung zu nullas urbes ist.5 Schließlich lässt sich die Lesart nullis auch besser an den vorhergehenden Schluss von c. 15 anschließen. Das Verb docuimus ist auf Personen bezogen, das hinzuzudenkende non docuimus ebenfalls (docuimus nullos Germanorum populos). Da diese Lesart somit nicht als fehlerhaft abgetan, sondern sogar gestützt werden kann, ist sie hier bevorzugt. Ab diesem Kapitel ist wieder von allen Germanen die Rede, wie aus dem hinzugesetzten Germanorum hervorgeht. Von den Interpreten wird populis einhellig als Dativ agentis bzw. auctoris eingestuft.6 Es ist aber nicht ganz auszuschließen, dass die Form als Ablativ aufzufassen ist. Es würde sich hier dann um eine der wenigen Fälle aus der Prosa handeln, wo der Ablativ bei Personen ohne ab steht.7 6 Vgl. etwa Kühner – Stegmann II,1: 325; Gudemann 1916: 113; Schweizer-Sidler 1923: 40; Reeb 1933: 36; Lund 1988: 155; Anderson 1997: 100; Benario 1999: 82. 7 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 378 mit weiteren Stellenangaben. 8 Lund 1988: 155 9 Vgl. Leumann – Szantyr 1972: 32. Das Wort urbes ist natürlich vom römischen Standpunkt aus gesagt. Das Wort urbs steht in Gegensatz zu oppidum und castellum. Diejenigen, die in den Aussagen des Tacitus lediglich eine Aneinanderreihung ethnographischer Topoi und eine Beschreibung der Germanen auf einer sehr niedrigen Kulturstufe erblicken, müssen an dieser Stelle jedoch zugeben, dass diese Schilderung einer tatsächlichen Gegebenheit entspricht: ”Die negative Haltung des Tacitus ist unverkennbar … Es muß jedoch zugegeben werden, daß die Beschreibung des Tacitus dem archäologischen Befund einigermaßen entspricht..8 Das Verbum habitare wird seit Vergil transitiv verwendet.9 Diese Stelle ist die einzige in der gesamten Germania, in der Tacitus auf die Kenntnis germanischer Dinge bei seinen Zeitgenossen (satis notum est) Bezug nimmt. Die Aussage des Tacitus ist in der Hinsicht zutreffend, dass es keine Städte wie im Römischen Reich gab. Dagegen gab es durchaus ständig bewohnte größere Ansiedlungen, die u.a. als oppida bezeichnet werden; vgl. u.a. Tac. hist. 5,19,1: non tamen ausus oppidum Batavorum armis tueri ‚trotzdem wagte er [= Civilis] nicht, den Hauptort der Bataver mit Waffen zu schützen‘; ds. ann. 1,56,4: Mattio – id genti caput ‚Mattium – das ist der Hauptort des Stammes‘; ebd. 2,62,2: inrumpit regiam castellumque iuxta situm ‚ erstürmte die Königsburg und das danebenliegende Kastell‘; ebd. 12,29,3: eoque castellis sese defensare ‚sich in Kastellen zu verteidigen‘; Caes. Gall. 4,19,2: uti de oppidis demigrarent, liberos uxores suaque omnia in silvis deponerent ‚die Städte zu verlassen und Frauen, Kinder und allen Besitz in die Wälder zu schaffen‘; ebd. 6,10,2: Ubiis imperat, ut … omnia ex agris in oppida conferant ‚die Ubier wies er [= Caesar] an, … ihre gesamte Habe vom Land in die Stadt zu bringen‘; Ptol. listet 94 p..e.. in der Gepµa..a µe.... auf, die allerdings zum größten Teil römische Lager und Handelstationen waren; andere spätere Autoren kennen lediglich vici (SHA, max. 12,1: ingressus igitur Germaniam Transrenanam per triginta vel quadraginta milia barbarici soli vicos [incendit] ‚nach seinem Einmarsch in das Germanien jenseits des Rheins Maximinus auf einer Strecke von dreißig bis vierzig Meilen des Barbarenlandes die Dörfer ‘), villae et domicilia (Amm. 17,1,7: quorum digressu miles libere gradiens opulentas pecore uillas et frugibus rapiebat nulli parcendo extractisque captiuis domicilia cuncta curatius ritu Romano constructa flammis subditis exurebat ‚nach ihrem Abzug streiften unsere Truppen ungehindert umher und plünderten die an Vieh und Früchten reichen Gehöfte. Keins verschonten sie. Die Gefangenen befreiten sie und setzten alle Wohnhäuser in Brand, die sorgfältig nach römischer Weise gebaut waren‘) und ..µa. (Herodian. 7,2,3: t.. te ..µa. .µp.pp.. ‚er [= Maximinus] steckte die Dörfer in Brand‘). In den südlichen Gegenden, wo ehemals die Kelten wohnten, gab es ebenfalls befestigte Ansiedlungen, wie die Ortsnamen auf -dunum zeigen. Die Germanen bezeichneten die ihnen durch die Römer und Gallier bekannt gewordenen Städte mit got. baurgs, ahd. as. burg (vgl. u.a. die ON Augs-burg, Regens-burg), ae. bur(u)g, aisl. borg (mit sekundärem Übertritt in die f. o-St.) < urgerm. *burg- f. < uridg. nom.sg. *bhérg.h-s, gen.sg. *bh.g.h-és (> jav. b.r.z- ‚Höhe, Berg; hoch‘, air. brí ‚Hügel, Berg‘)‘;10 es bezeichnete ursprünglich die natürliche Anhöhe, auf die man sich bei Gefahr zurückzog. 10 Vgl. Lühr 2000: 191. 11 An Abweichungen in den Hss. findet sich lediglich anstelle von inter se in den Hss. brlzuARce interest, in e inter eos; anstelle von iunctas bietet C uictas (vgl. Robinson 1991: 214; Annibaldi 1910: 54). 12 Much 1967: 247. 13 Much 1967: 247-248. ne pati quidem inter se iunctas sedes] Obwohl die Stelle in den Hss. einheitlich überliefert ist,11 wollte Much iunctas in munitas abändern, da es nach ihm ”auffallend , wenn uns zweimal mitgeteilt würde, daß die Germanen ihre Häuser freistellen..12 Diese Konjektur, die ebenfalls von Jankuhn (bei Much) abgelehnt wird,13 hat aber zu Recht keinen Eingang in die Ausgaben gefunden, da erstens eine zweifache Mitteilung in der Germania noch anderswo belegt ist (vgl. etwa c. 14,2: ingrata gentis quies ‚Ruhe diesem Volk verhasst‘ : c. 15,1: oderint quietem ‚die Ruhe hassen‘), zweitens im Vordersatz das Zusammenstehen der Häuser nicht direkt zum Ausdruck gebracht ist. Ebenfalls stünde diese Emendation in Widerspruch zu den Angaben in Tac. ann. 1,57,1: neque multo post legati a Segeste venerunt auxilium orantes adversus vim popularium, a quis circumsedebatur ‚wenig später trafen Gesandte von Segestes ein mit der Bitte um Hilfe gegen die Übermacht seiner Landsleute, von denen er eingeschlossen wurde‘; ebd. 2,62,2: inrumpit regiam castellumque iuxta situm ‚ erstürmte die Königsburg und das danebenliegende Kastell‘.14 14 Ebenso sprechen die archäologischen Befunde dafür, dass es munitas sedes – sogar im germanischen Inland – gegeben hat (vgl. Much 1967: 247-248). 15 Vgl. etwa Baumstark 1875: 554; Müllenhoff 1900: 283; Gudeman 1916: 114; Schweizer-Sidler 1923: 40; Anderson 1997: 101; wohl auch Reeb 1933: 36; ohne Belang nach Much 1967: 247: ”Mag man das ne pati quidem in abgeschwächter Bedeutung nehmen oder nicht ….. 16 Vgl. zur steigernden Funktion von ne … quidem Kühner – Stegmann II,2: 54. 17 So auch Müllenhoff 1900: 283: ”der nachdruck liegt natürlich auf pati.. 18 Der Ausdruck ‚unter sich dulden‘ würde durch apud se statt inter se ausgedrückt (vgl. Baumstark 1875: 553; Müllenhoff 1900: 283; anders Much 1967: 247: ”Auch das inter se ist bei solchem gegenseitigen Nichtdulden verständlich und offenbar mit Absicht gebraucht statt des andernfalls zu erwartenden apud se.). 19 Vgl. Baumstark 1875: 553; Gudeman 1916: 114. 20 So u.a. Baumstark 1875: 553; Müllenhoff 1900: 283; Schweizer-Sidler 1923: 40; Much 1967: 247; Anderson 1997: 101; offenbar auch Gudeman 1916: 114: ”Siedlungen.. 21 So Reeb 36, 113. 22 Perl 1990: 178. 23 Lund 1988: 155; ebenso Benario 1999: 82: ”Joined homes characterize a city.. 24 Baumstark 1875: 553. 25 So bereits Schwarz 1920-1921: 78; vgl. auch Anderson 1997: 101: ”But that meaning is quite alien to the context.. pati steht zwar in abgeschwächter Bedeutung,15 beinhaltet jedoch, wegen der Einrahmung durch ne … quidem,16 eine Steigerung zu habitari. Daher liegt auf pati auch der Nachdruck (habitari – pati).17 inter se gehört nicht zu pati,18 sondern zu iunctas. inter se verstärkt den Begriff iunctas; es handelt sich um eng zusammenhängende sedes.19 Umstritten ist, was genau mit (iunctae) sedes gemeint ist. Als Bedeutung wird zum einen ‚Wohnungen‘,20 zum anderen ‚Stammsitze‘21 angenommen. Eine Zwischenposition scheint Perl einzunehmen, wenn er von ”Siedlungsgebiete. bzw. ”Siedlungskammern. spricht.22 Lund geht schließlich davon aus, dass der Ausdruck inter se iunctas sedes als ”eine Periphrase für den römischen Begriff ‚Stadt‘. aufzufassen sei,23 wobei er auf Cic. Sest. 91: domicilia coniuncta, quas urbes dicimus ‚die Anhäufungen von Häusern, die bei uns Städte heißen‘ verweist. Diese Auffassung ist jedoch kaum überzeugend, da hieraus zu folgern wäre, ”dass auch zusammenhängende Dörfer als Städte zu betrachten wären.,24 wobei zusätzlich der durch ne … quidem angezeigte Gegensatz zwischen den urbes und den iunctae sedes verloren gehen würde. Gegen die Auffassung als ‚Stammessitze‘ spricht, dass eine solche Bedeutung nicht in diesen Kontext passt.25 Denn zum einen handelt das gesamte Kapitel um die Beantwortung der Frage nach der Beschaffenheit germanischer Häuser, zum anderen liegt ganz offensichtlich eine Abstufung der Wohnmöglichkeiten vor. Da als erste und also größte Wohnform die Stadt genannt wird, ist die Annahme, dass darauf der Freiraum zwischen Stämmen angeschnitten wird, um danach wieder auf den vicus herabzusteigen, kaum überzeugend.26 Es muss sich also bei sedes um eine Siedlungsform handeln, die kleiner als eine Stadt ist; in Frage kommt somit nur ein Dorf.27 Für diese Auffassung spricht ebenfalls die durch ne … quidem ausgedrückte Steigerung. Es muss sich um etwas handeln, was dem Römer noch weniger bedrohlich vorkommt als die Stadt, wo es die Germanen aber dennoch nicht aushalten; dabei kann es sich nur um ein Dorf handeln, wo die Häuser aneinander gebaut sind. 26 Das Aus-dem-Augen-Lassen des Kontexts lässt auch den Entlastungsversuch von Reeb 1933: 113 als nicht überzeugend erscheinen: ”Denn daß die Gegenüberstellung von Städten und Stammsitze unlogisch sei … kann ich nicht zugeben, wenn Tac. sagen wollte: die Germanen bewohnten keine Städte, ja in ihrer Abneigung gegen engeres Zusammenleben duldeten sie nicht einmal unmittelbaren Anschluß der Stammesgebiete, was doch weniger bedrückend wäre.. Dasselbe kontextuelle Argument spricht übrigens auch gegen die ‚Siedlungsgebiete‘ von Perl, da hier ebenfalls über Einzelsiedlungen hinausgegriffen wird. 27 Vgl. auch Baumstark 1875: 553: ”Wir haben es also auch in dem Letzteren zwei Species des einen Genus, nämlich a) eigentliche Städte, und b) andere Ortschaften und Flecken, wo die Häuser längs der Strasse unmittelbar mit einander verbunden sind. Dies ist der Sinn des inter se junctae sedes.. 28 Gudeman 1916: 114. 29 Vgl. EWA 1998: 727-728; Casaretto 2004: 87. 30 EWA 1998: 729-730. Auch diese Angabe ist, schon wegen der engen Verbindung beider Satzteile, die parallel gebaut sind, satis notum. Daher ist die Bemerkung von Gudeman: ”Daß auch diese Tatsache allgemein bekannt gewesen sein sollte, ist nicht wahrscheinlich, wir werden daher wohl eine Brachylogie annehmen müssen. hinfällig.28 Zum Inhalt vgl. Tac. hist. 4,64,2: postulamus a vobis muros coloniae, munimenta servitii, detrahatis ‚fordern wir [= die Tenkterer] von euch: die Mauern der Koloniestadt, Zwingwerke eures Sklavenlebens – reißt sie nieder‘; vgl. aus späterer Zeit Amm. 16,2,12: nam ipsa oppida ut circumdata retiis busta declinant ‚Städte selbst meiden sie nämlich, als wären sie mit Netzen umspannte Gräber‘; Iulian. epist. ad Ath. p. 278 D: p..... p... Gepµa... pep. t.. pep.p..µ..a. .. .e.t... p..e.. … .at......t.. ‚denn viele der Germanen hatten sich bei den in Gallien zerstörten Städten niedergelassen‘. Zur Bezeichnung des Begriffes ‚Dorf‘ werden in den germanischen Sprachen folgende Wörter verwendet: a. got. þaurp, ahd. dorf, ae. þorp, þrop, as. thorp, tharp throp, afr. thorp, therp, aisl. þorp < urgerm. *þurpa- ‚Acker; Dorf, Hof, Bauernhaus‘ < uridg. t.bo- (vgl. osk. trííbúm ,Haus, Gebäude‘ < vorurital. *treb-; umbr. tremnu ‚tabernaculo‘ < vorurital. *treb-no-; akymr. treb ,Haus, Wohnung‘ < uridg. *treb-eh2).29 Hierzu stellt sich wohl aisl. þref (neben þrep) ,Lattenboden; Galerie, Gerüst‘, aisl. (poet.) þrafni ,Stock, Stab, Balken‘,30 so dass die Grundbedeutung des Hauses als ,aus Balken Bestehendes‘ anzusetzen wäre.31 In den germ. Sprachen gibt es ein Nebeneinander der Bedeutungen ,Haus‘ und ,Dorf‘, das sich auch bei urgerm. *.a.ma- (s.u.) findet. Dasselbe Wort bezeichnet somit sowohl den Einzelhof als auch die Gruppensiedlung; 31 Ansonsten gibt es in den germ. Sprachen keine Anschlussmöglichkeiten, da die Verknüpfung mit ahd. thrupo, drupo ,cuneus, Heerschar‘ nicht haltbar ist. 32 Casaretto 2004: 388-389. 33 Lühr 1982: 628. 34 Man vgl. LIV 2001: 320. 35 Lühr 1997: 37: ”Die Bedeutung ,Dorf‘ ... erklärt sich daraus, daß nicht nur ein Einzelgegenstand wie Haus mit einem Wort im Singular bezeichnet werden konnte, sondern auch eine Einheit von Gleichartigem, hier also von mehreren Häusern.. 36 Man vgl. zu den einzelnen Bildungen und zur Semantik Lühr 1997: 27-28. 37 Vgl. Casaretto 2004: 563-564. 38 Zu diesem Vorgang vgl. etwa Krause 1968: 149. b. got. haims* (im Singular -i-Stamm [Dat. haimai, Akk. haim], im Plural -o-Stamm [Gen. haimo, Dat. haimom, Akk. haimos]) < *.a.mi/o- ‚Dorf, Land‘;32 vgl. ahd. heima < urgerm. *.a.mo- ‚Wohnsitz‘;33 neben mhd. heim, ae. ham, as. hom, afr. ham, hom, aisl. heimr < urgerm. *.a.ma- ‚Haus, Landgut; Dorf‘, eine Ableitung mit den Suffixen urgerm. *-mi/a/o-, die Verbalabstrakta bilden, welche zu Konkreta werden können. Die Ableitungsbasis stellt die Verbalwurzel uridg. *k.e.- ,liegen‘ dar, die im Germ. nicht fortgesetzt ist.34 Das semantische Verhältnis zwischen ‚Haus‘ und ‚Dorf‘ ist dasselbe wie bei urgerm. *þurpa- (s.o.). Die Bedeutung ,Dorf‘, die für das Simplex nur im Got. belegt ist, ist als alt anzusehen, da sie auch in Komposita wie ahd. heimgart(o) ,Dorfanger, Gemeindegarten‘ belegt ist;35 c. got. weihs, süddt. Wiß-, Weiß- (in ON) < urgerm. *.e..sa- ‚Dorf, Weiler‘ < vorurgerm. *.e.k.es- (vgl. ai. vís-, av. vis ,Herrenhaus; Niederlassung; Clansdorf‘, apers. vi.- ,[königliches] Haus, Hof, Palast‘ [< *.ik.-]; weitergebildet als i-St. aksl. v.s. ,Dorf‘; ebenfalls liegt eine Weiterbildung vor in ai. vésa- ,Haus; Hurenhaus, Bordell‘, gr. ..... ,Haus[stand], Haus und Hof‘, lat. vicus ,Häusergruppe, Dorf, Flecken, Stadtviertel‘ [< *.o.k.o-]36).37 Dagegen sind die wgerm. Formen ahd. wich, ae. wic, as. wic, afr. wik ,Wohnstätte, Dorf‘ allesamt aus lat. vicus ,(Stadt)viertel, Quartier; Dorf, Flecken‘ entlehnt. Im Germ. wurde der alte s-St. (vorurgerm.) durch Thematisierung in die Klasse der neutralen a-St. überführt.38 Da es sich bei den s-St. um eine alte Bildung handelt, ist anzunehmen, dass das Wort ursprünglich auch im gesamten Wgerm. vorhanden war, dort aber vom Lehnwort ersetzt wurde; ein letzter Hinweis auf die Existenz des Wortes liegt nur in den süddt. ON vor. Während für das Indoiranische durch das Wort eine sozial-organisatorische Siedlungsform, etwa ,kleine Gruppe‘, leicht zu fassen ist, sind die Bedeutungen der Vorform der gr. lat. aksl. und got. Wörter, also die der Erweiterungen, vielleicht als ,Niederlassung dieser kleinen Gruppe‘ zu interpretieren.39 Inwieweit eine solche Bedeutung allerdings im Germ. noch vorhanden war, bleibt unklar; got. weihs ist jedenfalls nur das bloße Dorf. colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit] Dies ist die Folge des vorher Gesagten. Die dreifache Anapher mit ut kommt ebenfalls vor in Tac. dial. 32,2: idque non doctus modo et prudens auditor, sed etiam populus intellegit … ut legitime studuisse, ut per omnes eliquentiae numeros isse, ut denique oratorem esse fateatur ‚und das merkt nicht nur der gebildete und sachkundige Zuhörer, sondern auch das Volk … als er zu erkennen gibt, daß er ordentlich studiert und alle Stufen der Redekunst durchlaufen habe, kurz, daß er ein echter Redner sei‘; ds. hist. 3,66,4: ut censuram patris, ut tres consulatus, ut tot egeregiae domus honores deceret ‚wie es der Zensur des Vaters, den drei Konsulaten, so vielen Ehrenämtern des erhabenen Hauses entspreche‘. colunt steht absolut ohne die Hinzufügung des Ortes (vgl. u.a. Tac. ann. 2,41,2: quaequae aliae nationes usque ad Albim colunt ‚sowie über die anderen Völkerschaften, die im Gebiet bis zur Elbe wohnen‘; Ulp. dig. 43,13,1,4: si modo hoc factum eius incommodum circa colentibus adferat ‚sobald aus diesem Unternehmen den Umwohnern ein Schaden entspringt‘). 39 Zimmer 1987: 232. 40 Vgl. ThLL V,1: 1307,3-7. 41 Müllenhoff 1900: 283. Die erste Übersetzung wird u.a. präferiert von Perl 1990: 95; Anderson 1997: 101; Rives 1999: 83; die zweite Übersetzung u.a. von Gudeman 1916: 114; Reeb 1933: 36. discretus und diversus treten hier in etwa als Synonyme auf (bemerkenswert ist der Bezug von discretus auf Menschen, der sonst nur spätlat. ist: Aug. in psalm. 47,11: discretae vivite ‚lebt abgeschieden‘; Sidon. epist. 7,10,1: inter discretos separatosque ‚zwischen den Abgeschiedenen und Abgesonderten‘; Tert. adv. Marc. 4,22,2: longe … discreti a claritate Christi ‚weit … abgeschieden von der Herrlichkeit Christi‘).40 Nach Müllenhoff ist die Folge nicht als ”‚abgesondert und einzeln‘, sondern ‚abgesondert, getrennt und verschieden nach lage und richtung‘. aufzufassen.41 Es liegt hier jedoch bei dis- wohl nicht die Bedeutung ‚auseinander‘, sondern ‚weg, ab‘ vor, so dass diversus die Bedeutung ‚nach einer ganz anderen Seite hin-, abseits gelegen‘ hat (vgl. auch Tac. ann. 3,2,2: etiam quorum diversa oppida, tamen obvii ‚auch Leute, deren Städte abseits lagen, kamen trotzdem herbei‘).42 42 Vgl. Georges I: 2246. Anders Müllenhoff 1900: 285: ”hätte Tacitus ganz weit zerstreute einzelgehöfte im sinne gehabt, so hätte er nicht bloss sagen dürfen colunt discreti ac diversi, was nur auf häusergruppen deutet, die ohne ordnung bei einander liegen; sondern er hätte etwa dispersi gebrauchen müssen, huc et illuc dispersi.. 43 So Lund 1988: 155: ”der Umstand, daß die Germanen weit voneinander leben, erklärt ihre Wildheid.; Rives 1999: 192: ”it is just as likely that he was simply emphasizing the different house types favoured by the Germani and the Romans … in order to stress again Germanic wildness and intolerance of restrictions.; vgl. – etwas abweichend – Perl 1990: 178: ”Die verstreute Ansiedlung und das Fehlen von Städten ist für den Römer ein Zeichen von unzivilisiertem Entwicklungsstand der Barbarenvölker …, aber die hier beschriebene feste Siedlungsform hat Seßhaftigkeit zur Grundlage.. 44 Müllenhoff 1900: 283. So auch Reeb 1933: 115: ”sondern auf die Gesamtwohnweise nicht in geordnetem städtischem Zusammenschluß, sondern in Haufensiedlungen ohne strenge Straßenfluchten.; ähnlich Much 1967; 249: ”so braucht man in das discreti ac diversi nur den Gegensatz zum Wohnen in großen Massen hineinzulegen.. 45 Gudeman 1916: 114. So auch Schweizer-Sidler 1923: 40-41; nicht entschieden bei Anderson 1997: 101: ”The description would cover both modes of settlement.. 46 Anders Müllenhoff 1900: 285 (vgl. Fn. 42). 47 Die untersuchten Siedlungsgebiete zeigen an, dass der Platzwahl aus Gründen, wie etwa günstiges Ackerland, Wassernähe, aber dennoch trocken, oder Wasserwegnutzung geschah (vgl. Much 1967: 249-250). 48 Vgl. hierzu allgemein für den deutschen Raum Bach 1953: 272-299, 370-389. Die Annahme, dass diese Angabe die Wildheit der Germanen erklärt,43 ist nicht zutreffend, da an dieser Stelle lediglich von der Bauart der germanischen Häuser die Rede ist. Umstritten ist, worauf sich die Aussage genau bezieht. Zum einen wird davon ausgegangen, dass ”Tacitus … demnach nicht mehr sagen , als dass die häuser nicht alle in derselben weise orientiert sind, auch keine reihen und straßsen bilden, sondern jeder sie legt, wie er lust hat.,44 zum anderen, dass sie sich ”auf die innerhalb des Landes weit zerstreuten Dörfer.45 bezieht. Die zweite Deutung wird jedoch kaum zutreffen, da auch die Dörfer in Italien zerstreut liegen und in diesem Kapitel überall der Gegensatz zur römischen Siedlungsweise hervorgehoben wird. Tacitus beschreibt hier die Siedlungsweise jedes einzelnen Germanen ( colunt discreti ac diversi, nämlich voneinander). Belanglos ist dabei, ob die Häuser in einer Art Dorf näher zusammen oder völlig separat liegen.46 Die Wahl des Siedlungsortes wird natürlich von ökonomischen bzw. praktischen Gesichtspunkten geleitet.47 Die drei hier angeführten Kriterien finden ihren Widerhall in der Ortsnamengebung; zu vergleichen sind Ortsnamen auf -bach, -beck, -born, -brunn, -springe, -feld, -wang, -loh, -wald oder -busch.48 Das Verb placuit zeigt an, dass der Einzelne die Entscheidung über seinen Wohnsitz seinen Bedürfnissen entsprechend trifft und sich diesbezüglich nicht der Zentralentscheidung einer höheren Instanz unterwirft. Zu vergleichen ist auch die Angabe bei Caes. Gall. 6,30,3 über die Eburonen: sed hoc factum est, quod aedificio circumdato silva – ut sunt fere domicilia Gallorum, qui vitandi aestus causa plerumque silvarum ac fluminum petunt propinquitates – comites familiaresque eius angusto in loco paulisper equitum nostrorum vim sustinuerunt ‚dies gelang dadurch, daß seine Begleiter und Freunde in einem Haus mitten im Wald dem Ansturm unserer Reiter eine Zeitlang Widerstand leisten konnten, weil der Zugang zu dem Haus sehr schwierig war. Die Wohnhäuser der Gallier liegen meist so, weil man die Hitze vermeiden will und daher in die Nähe von Flüssen und Baumgruppen strebt‘. vicos locant non in nostrum morem conexis et cohaerentibus aedificiis] In den Hss. ist neben locant ebenfalls die Lesart longant überliefert.49 Letztere Form hat jedoch keinen Anspruch auf Gültigkeit, da das Verb longare erst spätlat. ist und nur bei christlichen Schriftstellern (Arnobius und Venantius Fortunatus) vorkommt,50 somit eine späte Bildung darstellt.51 49 Die Beleglage der Hss. ist die Folgende: locant am Rande longant QET, longant am Rande oder übergeschr. locant Bd, locant in den übrigen Hss. (vgl. Robinson 1991: 191 ; Perret 1997: 80). 50 Vgl. ThLL VII,2: 1632,53-59. 51 Über das mögliche Aufkommen (vielleicht aus einer Verwechselung von C und G [LOCANT > LOGANT > longant]) und Alter von longant in den Hss. vgl. Robinson 1991: 194, 247-248; vgl. auch Müllenhoff 1900: 284; anders Till 1943: 92: ”daß die Randnotiz dem Korrektor zuzuschreiben ist, der ohne jeden ersichtlichen Grund die Aussage des Tacitus von der Form der germanischen Siedlungen durch eine Angabe über ihren Umfang ersetzen wollte.. 52 Allerdings von Ta übergeschrieben. 53 Vgl. zur asyndetischen Fügung zweier Adjektive Kühner – Stegmann II,2: 150-151. 54 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 284: ”natürlich ‚dörfer‘.; Schweizer-Sidler 1923: 41; Much 1967: 250; Jankuhn 1976: 93; Perl 1990: 178; Anderson 1997: 101; Fuhrmann 1995: 25: ”Ihre Dörfer legen sie nicht in unserer Weise an, dass die Gebäude verbunden sind und aneinander stoßen.; Lund 1998: 83: ”Die Dörfer legen sie nicht, wie wir, mit untereinander verbundenen und zusammenhängenden Häusern an.; Perl 1990: 95: ”Ihre Dorfsiedlungen legen sie nicht nach unserer Weise mit aneinandergereihten und zusammenhängenden Gebäuden an.; Rives 1999: 83: ”They do not lay out villages in the way customary among us.; Benario 1999: 83: ”The village was the largest community.. 55 So Gudemann 1916: 103: ”Dies [= pagi und vici] waren politische Unterabteilungen der civitas, die letztere von geringerem Umfang... 56 So Perl 1990: 69 und 178: ”Tacitus verwendet vicus nur im territorialen Sinn als Ansammlung von Häusern, nicht für ein Element der organisatorischen Struktur der Stammesgemeinschaft im Sinne von ,Gemeinde‘.; vgl. ebenfalls Schweizer-Sidler 1923: 34. In der Folge conexis et cohaerentibus ist das et in den Hss. ETdvor ausgelassen.52 Es wird sich hierbei wohl um einen Fehler in diesen Hss. handeln, obwohl die Möglichkeit einer asyndetischen Fügung nicht ganz ausgeschlossen ist.53 Nach allgemeiner Auffassung wird in der Germania das lat. Wort vicus zur Bezeichnung des germanischen Dorfes verwendet,54 wobei lediglich offen sei, ob es sich hierbei um eine politische Unterabteilung der civitas handle,55 oder ob keine organisatorische Form vorliege.56 Das Wort vicus hat im Lat. zwei Bedeutungen: Auf dem Land meint es ,Gehöft (Landgut, Bauernhof)‘57 oder – als eine Menge vereinigter Wohnungen – ,Weiler, Dorf‘, dagegen in der Stadt einen ‚Stadtbezirk‘ oder gar nur eine Straße im Sinne von ,Stadtviertel, Häuserreihe, Gasse‘. Da es im Gebiet der Germanen jedoch nach Tacitus keine Städte gibt, kann hier nur die erstere Bedeutung in Betracht kommen. Die übliche Interpretation als ‚Dorf‘ macht an dieser Stelle jedoch Schwierigkeiten, da die Aussage, dass die Germanen nicht in zusammenhängenden Wohnsitzen leben, in dem Fall nicht weniger als viermal wiederholt werden würde: 1. ne pati quidem iunctas sedes, 2. colunt discreti ac diversi, 3. non in nostrum morem conexis et cohaerentibus aedificiis, 4. suam quisque domum spatio circumdat, wobei es sich hier um die gängige germanische Siedlungsweise handeln soll.58 Dazu kommt, dass die Übersetzung von vicos locant mit ”Dörfer anlegen. von einer höchst ungewöhnlichen Voraussetzung auszugehen scheint. locare beinhaltet nämlich ein planmäßiges Errichten, Anlegen oder Aufstellen,59 wie auch die Wendung c. 6,3: ante aciem locant ‚vor der Schlachtreihe aufstellt‘ zeigt. Wenn vicus die Bedeutung ,Dorf‘ hätte, müsste locare die planmäßige Gründung eines gesamten Dorfes bezeichnen, etwa in der Art, wie die Römer ihrerseits Städte (in erster Linie Rom selber) in ihrer Gesamtanlage begründeten (vgl. z.B. Verg. Aen. 1,247-248: hic tamen ille urbem Patavi sedesque locavit / Teucrorum ‚er [= Antenor] aber gründete hier Patavium, gründete Wohnsitz hier den Teukrern‘). Wenigstens nach der Vorstellung des Tacitus dürften Dörfer in Germanien aber viel eher gewachsen als in ihrer Gesamtheit in einem Zuge angelegt worden sein,60 wie aus dem Wort placuit deutlich hervorgeht (s.o.).61 Schließlich kommen diejenigen, die eine Bedeutung ‚Dorf‘ annehmen, damit eigentlich nicht aus: ”Dörfer legen sie (immerhin) an..62 Mit dieser Bedeutung würde – 57 Georges 2004: 888 definiert vicus in diesem Sinn als ”Pachthof mit den umliegenden Arbeiterwohnungen etc... 58 Vgl. etwa Schweizer-Sidler 1923: 41; Much 1967: 250; Perl 1990: 178; Rives 1999: 192. Bei Sörbom 1935: 18 wird der Wechsel zwischen aedificiis und domum als bloße Variante gewertet. 59 Vgl. etwa die Wendungen castra locare, urbem locare oder fundamenta urbis locare. 60 Zu planmäßig angelegten Siedlungen vgl. Todd 2000: 61-72. 61 Irrelevant ist daher die Ausführung von Herrmann in Perl 1990: 179: ”Die Ausführungen von Tacitus dienten vielfach als Beleg für angeblich generelle Einzelhofsiedlung. Die archäologische Forschung hat demgegenüber erwiesen, daß 1. Dorfsiedlungen oder Weiler das Siedlungsgebiet prägten; 2. deren Anlage vorwiegend nicht von Willkür und Einzelentscheidung bestimmt war, sondern in hohem Maße der Disziplin der Gemeindeentscheidung unterlag. Damit stimmen die Ausführungen des Tacitus über Landaufteilung überein ….. Der erste Punkt ist aber für die Schilderung des Tacitus belanglos, der zweite Punkt widerspricht zusätzlich gänzlich der taciteischen Schilderung der Wohnweise, die von placuit bestimmt ist. Etwas abweichend Jankuhn 1976: 88: ”Die Form solcher Gruppensiedlungen konnte sehr verschieden sein. Unregelmäßige Haufenanlagen … stehen neben geplanten regelmäßigen Dörfern.. 62 Schweizer-Sidler 1923: 41; vgl. auch Much 1967: 249: ”Wenn es vorher hieße: sie dulden keine eng miteinander verbundenen Siedlungen, so müßte man die Stelle wohl auf Einzelsiedlungen deuten, und, da sie ohne jede Einschränkung, also doch wohl in Beziehung auf die Gesamtheit gemacht wird, verstünde man nicht, wie dann im nächsten Satz auf einmal ohne weitere Aufklärung von Dörfern gesprochen werden kann.. wie auch das ”immerhin. zeigt – die absteigende Größenordnung des Wohnens unterbrochen werden. All diese Probleme lösen sich dann jedoch widerspruchslos auf, wenn man vicus die Bedeutung ,Gehöft‘ im Sinne von ,Landgut, Bauernhof‘ beilegt. Dabei ist es unwichtig, ob die Gehöfte näher zusammenliegen oder weit voneinander entfernt sind. Denn zum einen braucht man keine Häufung derselben Aussage anzunehmen, zum anderen werden auch in Germanien die Gehöfte planmäßig angelegt worden sein,63 und schließlich wird die nächstkleinere Wohneinheit genannt. Falls man vicus übrigens nicht als ‚Gehöft‘ auffasst, bleibt ebenfalls die Schwierigkeit, dass diese Einheit einfach übergangen wäre. 63 Dementsprechend wird locare im Lateinischen im architekturalen Kontext vor allem bei der Errichtung kleinerer Gebäudeeinheiten verwendet. Vgl. ThLL VII,2: 1563,57-1564,15. 64 Vgl. Perl 1990: 178. 65 Vgl. etwa Müllenhoff 1900: 284; Gudeman 1916: 114; Schweizer-Sidler 1923: 41; Much 1967: 251. Es kann gefragt werden, warum Tacitus für den Begriff ,(Einzel)gehöft‘ nicht das gängige Wort villa (rustica) verwendet hat, das in der Germania überhaupt nur in c. 41,1: his domos villasque patefecimus ‚haben wir ihnen Zugang zu unseren Häusern und Landgütern gewährt‘ vorkommt und dort für ein römisches (Einzel)gehöft gebraucht wird. Da solche aber anders gebaut waren – die einzelnen Gebäude einer villa (rustica) stießen nämlich auch aneinander –,64 wurde das Wort offenbar nicht auch für die germanische Form verwandt. Das Wort villa kann immer dann in Bezug auf germanische Verhältnisse verwendet werden, wenn es sich um romanisierte Germanen handelt; vgl. ann. 13,57,3, wo villas arva vicos bei den Ubiern genannt werden. So wie aber die römische villa planmäßig errichtet wurde, geschah dies auch auf germanischer Seite (zu vergleichen ist der parallele Ausdruck bei Serv. georg. 2,382: a fontibus, circa quos villae consueverant condi ‚von den Brunnen her, um welche Villen gewöhnlich gebaut wurden‘). Für dieselbe Sache, die aber bei den Germanen anders aussah, verwendete Tacitus das genau passende Wort: vicus. Wegen der nicht zutreffenden Bedeutung ‚Dorf‘ wird die Stelle so interpretiert, dass in den römischen Dörfern die Häuser eine Straßenfront bildeten, in Germanien dagegen nicht.65 Da dies aber auch für die römische villa im Vergleich zu den germanischen Gehöften gilt, spricht auch dies nicht gegen die obige Interpretation. Für die Wörter, die zur Bezeichnung des Begriffes ‚Gehöft‘ verwendet werden, vgl. oben unter ‚Dorf‘. Zu in nostrum morem vgl. c. 6,2. Die Ausdrucksweise, die von Lund als ”abundant. bezeichnet wird,66 drückt zwei unterschiedliche Bautechniken aus. Bei conexus handelt es sich um zwei direkt nebeneinander gebaute Häuser, bei cohaerens dagegen um Häuser, die sich eine Wand teilen.67 Die Verbindung von conexus und cohaerens kommt ebenfalls vor bei Min. Fel. oct. 17,2: cum ita cohaerentia conexa concatenata sint ‚denn sind so unzertrennlich miteinander verknüpft und verkettet‘. 66 Lund 1988: 155. 67 Vgl. Reeb 1933: 36: ”in locker oder ganz eng zusammenhängenden Gebäudereihen., mit Beispielen. 68 So Müllenhoff 1900: 284: ”es ist der hof.; Much 1967: 251. Die meisten Kommentatoren sagen allerdings zur Bedeutung von domus nichts. 69 Much 1967: 251. 70 Nicht gegen diese Auffassung spricht die Interpretation von Jankuhn 1976: 93: ”Die Hofanlagen waren in den Dörfern dort, wo gute Beobachtungsmöglichkeiten Erkenntnisse gestatten, von Zäunen umschlossen. So bestätigt sich in der Tat die dem Römer besonders auffallende … Siedlungsweise vicos locant non in nostrum morem, conexis et cohaerentibus aedificiis; suam quisque domum spatio circumdat ….. Denn von spatio circumdat kann nicht auf eine Einzäunung geschlossen werden. 71 Zu einem Überblick über die Siedlungsweise der Germanen aus archäologischer Sicht vgl. Todd 2000: 61-72. 72 Vgl. Lund 1988: 155. 73 Vgl. Casaretto 2004: 179-180. 74 Neben diesen starken Formen steht der n-Stamm *gard-an- > got. garda* ,Hürde, Viehhof‘, ahd. garto, as. gardo, afr. garda ,Garten‘; vgl. Lühr 2000: 280. 75 Vgl. Ulrich 1995: 63: ”Seine Funktion als Herr über die Knechte und Diener ... wurde mit gardawaldands umschrieben.. Abzulehnen ist somit Benveniste 1969 [1]: 336: ”Le gotique sépare la ,maison‘ comme lieu suam quisque domum spatio circumdat] Diejenigen, die vicus als ‚Dorf‘ begreifen, müssen domus als ‚Hof‘ auffassen.68 Eine solche Interpretation wirft aber ein von Much erkanntes Problem auf: ”Es wäre wohl verfehlt, daraus zu schließen, daß der germanische Hof nur aus einem Gebäude bestand.,69 was in der Tat kaum glaubhaft ist. Dazu kommt, dass domus das Haus als Sitz der Familie bezeichnet, also nicht den Hof. Es ist somit das Haupthaus auf dem Hof gemeint.70 Auch diese Angabe71 steht in Gegensatz zu der Bauweise des römischen Hauses, das in der Regel einen inneren Hof hatte.72 Zur Bezeichnung des (Haupt)hauses verwenden die germanischen Sprachen folgende Wörter: a. got. gards < urgerm. *gardi- ‚Haus, Familie; Hof‘73 (neben ahd. gart ,Kreis; Garten‘, ae. geard ,Hof, Einschließung; Umfriedung; Wohnung; Land‘, as. gard ,Zaun, Wohnung‘, aisl. garðr ,Zaun, Hof, Garten‘ < urgerm. *garda- ‚Hof, Garten, Wohnung, Zaun‘).74 Das Wort hat schon früh die metonymische Bedeutung ,Familie‘ entwickelt, da das zweimal bezeugte got. Kompositum gardawaldands , Hausherr‘ in einem Zusammenhang verwendet wird, in dem der ,Herr‘ zu seinem ,Diener‘ spricht, somit der gardawaldands als Herr des Hauswesens charakterisiert ist;75 d’habitation et domaine clos (gards) ..... 76 Vgl. Lühr 2000: 265; Casaretto 2004: 449-450. 77 Lund 1988: 155 (in Nachfolge von Whitehead 1979). 78 Kühner – Stegmann II,2: 434. 79 Vgl. Perret 1950: 117; Robinson 1991: 10. 80 Perret 1950: 117-118. Kaum wahrscheinlich ist die Annahme von Perl 1990: 179, dass Decembrio im Text ”inscitia , am Rand die Variante inscientia, was er für eine Korrektur hielt., da ansonsten Varianten durchaus Eingang in die Textüberlieferung gefunden haben. 81 Vgl. Robinson 1991: 11. 82 Robinson 1991: 12. b. got. -hus (in gudhus ,Tempel‘), krimgot. hus, ahd. as. andfrk. ae. afries. aisl. hus < urgerm. *.usa- ,Haus‘, eine Ableitung zur Verbalwurzel vorurgerm. *ke.H-s- ,bedecken‘.76 Unter der Annahme einer s-mobile-Variante ist weiterhin hierher ahd. scur ,Wetterdach, Schutz‘, lat. ob-scurus ,dunkel‘, eigtl. ,bedeckt‘ zu stellen. Für urgerm. *.usa- ist somit von einer Grundbedeutung ,Schutz, Bedeckung‘ auszugehen. sive – sive] Ob die Reihung sive – sive bei Tacitus so verwendet wird, ”daß das zweite Glied das verrät, was Tacitus selbst für die wahrscheinlichere Möglichkeit hält.,77 ist nicht sicher, da es bei dieser Reihung eigentlich ”gleichgültig , unter welchem der angeführten Fälle das im Hauptsatz Ausgesagte stattfindet..78 adversus casus ignis remedium – inscitia aedificandi] Während alle Hss. die Lesart inscitia überliefern, hatte Decembrio, der den Codex Hersfeldensis offenbar eingesehen hatte, im Jahre 1455 vermerkt: utitur autem cornelius hoc uocabulo inscientia non Inscitia79 ‚Cornelius verwendet aber das Wort inscientia, nicht inscitia‘. Da sich diese Bemerkung in der Beschreibung des Germania-Teils findet, hat Perret hierin ein starkes Argument gesehen, dass keine der überlieferten Hss. direkt aus dem Codex Hersfeldensis stamme, sondern alle von einem humanistischen Archetyp herrührten. In diesen hätte sich bereits der Fehler inscitia eingeschlichen.80 Nun sind allerdings die übrigen Angaben bezüglich des Codex Hersfeldensis des Decembrio nicht ganz fehlerfrei,81 so dass Robinson zu einer anderen Schlussfolgerung gelangte: ”Apparently this notice belongs with the Dialogus, which ist the only one of the Tacitus works to use inscientia. This circumstance may lead to suspect that Decembrio did not have the Hersfeld Codex before him when he composed the notice as it now stands, but that he compiles it from disorganized notes which he had previously made, perhaps rather hastily, when he saw the manuscript..82 Aber das ist wenig glaubwürdig, da es sich dann fragt, warum er darauf hingewiesen haben soll, dass Tacitus an dieser Stelle nicht inscitia, sondern inscientia geschrieben hat, was auch überliefert ist. Nun ist der semantische Unterschied zwischen beiden Wörtern geringfügig.83 inscientia ist ‚das Nichtwissen‘, also ‚die Unkenntnis, die Unbekanntheit‘,84 inscitia dagegen zum einen ‚das Ungeschick, die Unerfahrenheit, der Unverstand‘, zum anderen ‚der Mangel an Verständnis, die Unkenntnis, Unwissenheit‘.85 Das Entscheidungsargument von Lund zugunsten von inscitia, nämlich dass ”die Lesart inscientia das völlige Fehlen von Baukunst bei den Germanen implizieren würde.,86 ist ebenso wenig zutreffend wie die Argumentation von Gudeman für inscientia, weil ”eine etwaige Unerfahrenheit (inscitia) von selbst ausgeschlossen ist..87 Denn Tacitus berichtet hier lediglich über die Unkenntnis der Bauweise zusammenstehender Häuser, was sowohl durch inscitia wie durch inscientia ausgedrückt wird. 83 Vgl. ThLL VII,1: 1840,58 (zu inscientia): ”inscitia. und ebd.: 1841,59 (zu inscitia): ”inscientia.. 84 Vgl. ThLL VII,1: 1840,57-58: ”strictius de statu inscientis fere i.q. ignorantia, laxius de statu inscii vel insciti fere i.q. imperitia, inscitia.. 85 Vgl. ThLL VII,1: 1841,58-59: ”stricitus de statu insciti fere i.q. imperitia, insipientia, laxius de statu inscii fere i.q. ignorantia, inscientia. 86 Lund 1988: 156. 87 Gudeman 1916: 244. 88 Vgl. ThLL VII,1: 1840,42-55. 89 Vgl. hierzu ebenfalls Güngerich 1937: 263. 90 Vgl. Gerber – Greef 1962: I, 155-156. 91 Vgl. Gudeman 1916: 115. Dazu kommt, dass in den lateinischen Hss. beide Wörter häufiger verwechselt werden,88 so dass es kein Argument zugunsten von inscitia oder inscientia außer der Angabe bei Decembrio gibt. Da Decembrio in seinen Angaben mehrmals fehlerhaft ist, scheint es ratsam, auf die hss. Überlieferung zurückzugreifen, die einhellig inscitia bietet, und es offen zu lassen, ob diese korrumpiert ist oder nicht.89 Eine mögliche Erklärung für die Angabe bei Decembrio könnte sein, dass er in der Tat bei der Abfassung seiner Bemerkungen den Codex Hersfeldensis nicht vor sich hatte, sondern aus Bemerkungen zitierte. In diesen könnte sich inscientia eingeschlichen haben, das er dann fälschlicherweise als Lesart des Codex Hersfeldensis ausgab. Die Apposition remedium, die mit einer Präpositionaljunktur statt des üblicheren Genitivs erweitert ist (vgl. ähnlich Tac. hist. 1,20,3: nec remedium in ceteros fuit ‚diese Maßnahme wirkte aber nicht beruhigend auf die übrigen‘), steht in Variation zu dem kausalen Ablativ inscitia. Casus, verbunden mit einem Gen. findet sich bei Tacitus häufiger.90 Das Wort aedificandi leitet zur nachfolgenden Schilderung der Wohnhäuser (aedificium) über.91 Beide Erklärungsmöglichkeiten entstammen römischem Denken, obwohl die Gefahr des Übergreifens von Feuer bei Holzhäusern in der Tat größer als bei Steinhäusern ist. Die Feuergefahr in den römischen Städten war berüchtigt (vgl. Sen. contr. 2,1,11: tanta altitudo aedificiorum est tantaeque viarum angustiae, ut neque adversus ignem praesidium nec ex ruinis ullam in partem effugium sit ‚so groß ist die Höhe der Gebäude und so groß die Enge der Straßen, daß es weder gegen Feuer einen Schutz noch aus den Trümmern auf irgendeine Seite einen Fluchtweg gibt‘) – im Übrigen brannten auch trotz offener Bebauung die germanischen ‚Städte‘ (vgl. Herodian. 7,2,3: e.µap..tata ..p t. p.p .p...µeta. t.. p..e.. a.t.., .. ......, .a. t.. .....e.. .p..a. ‚sehr leicht nämlich verzehrt das Feuer sowohl ihre Städte, soweit sie solche haben, als auch sämtliche Gebäude‘) –, so dass auch nach der Niederbrennung Roms offener gebaut wurde (vgl. Tac. ann. 15,43,1: ceterum urbis quae domui supererant non, ut post Gallica incendia, nulla distinctione nec passim erecta, sed dimensis vicorum ordinibus et latis viarum spatiis cohibitaque aedificiorum altitudine ac patefactis areis additisque porticibus, quae frontem insularum protegerent ‚die Stadtviertel jedoch, die die Palastanlage übrigließ, wurden nicht, wie nach dem gallischen Brand, ohne jede Besonderheit und planlos bebaut, sondern mit sorgsam ausgemessenen Häuserzeilen und breiten Straßen dazwischen; auch beschränkte man die Höhe der Häuser, ließ Innenhöfe frei und fügte Säulengänge an, die die Vorderseite der Mietshäuser beschatten sollten‘; Suet. Ner. 16,1: formam aedificiorum urbis novam excogitavit et ut ante insulas ac domos porticus essent, de quarum solariis incendia arcerentur, easque sumptu suo extruxit ‚er [= Nero] ersann eine neue Art von Häuserformen für die Stadt Rom, insbesondere ließ er vor Miets- und Einzelhäusern überdeckte Säulengänge bauen, von deren flachen Dächern aus Brände bekämpft werden konnten‘). Die Unterlegenheit in der Bautechnik entspricht dem Vorurteil der Unterlegenheit der Barbaren im Allgemeinen auf Wissensgebieten (vgl. auch c. 5,2: nec tamen affirmaverim nullam Germaniae venam argentum aurumve gignere. quis enim scrutatus est? ‚dennoch möchte ich nicht behaupten, daß es in Germanien keine Ader gibt, die Silber oder Gold führt. Denn wer hätte je danach gesucht?‘; c. 19,1: litterarum secreta viri pariter ac feminae ignorant ‚heimliche Briefe sind Männern wie Frauen gleichermaßen unbekannt‘; c. 26,1: faenus agitare et in usuras extendere ignotum ‚Geldverleih zu betreiben und dazu auch noch Zinsen zu nehmen, ist unbekannt‘; c. 26,4: unde annum quoque ipsum non in totidem digerunt species. hiems et ver et aestas intellectum ac vocabula habent; autumni perinde nomen ac bona ignorantur ‚darum teilen sie auch das Jahr selber nicht in ebenso viele Abschnitte ein. Für Winter und Frühling und Sommer besitzen sie Begriff und Bezeichnung; den Namen des Herbstes kennen sie ebenso wenig wie seine Gaben‘; c. 45,4: nec quae natura quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve ‚von welcher Beschaffenheit er [= der Bernstein] aber ist oder wie er entsteht, haben sie, da Barbaren, nicht zu ergründen gesucht oder in Erfahrung gebracht‘). Die Bemerkung von Müllenhoff: ”der wahre grund liegt in dem alten freiheitssinn, nach dem jeder unabhänig sein will. noch duldet die freiheit des individuums keine staatsgewalt neben und über sich und jeder ist könig auf seinem hofe.92 wurde von Gudeman zu Recht als ”ganz unwahrscheinlich. abgelehnt.93 92 Müllenhoff 1900: 285; vgl. auch Schweizer-Sidler 1923: 41: ”Der eigentliche … Grund liegt in dem Unabhänigkeitssinn der Germanen (my house, my castle).; Anderson1997: 102: ”the real reason was the spirit of isolation, bred of the love of independance, which English people have inherited.; etwas abgeschwächt Baumstark 1875: 564: ”dass man als den ersten Grund hinzufügt den in ihrem Culturmangel begründeten Hang und Zwang zum Einzelleben.. 93 Gudeman 1916: 114; vgl. auch Perl 1990: 178: ”ohne sie als Ausdruck germanischer libertas (”Eigenbrötelei.) zu begreifen.. 94 Vgl. Robinson 1991: 94. 95 Kühner – Stegmann II,2: 45. 96 Kühner – Stegmann II,2: 54-55. 97 Lund 1988: 156. 98 Vgl. auch Baumstark 1875: 565. 2 ne caementorum quidem apud illos aut tegularum usus] In den Hss. Wmhces2 ist nec … quidem anstelle des ansonsten einhelligen ne … quidem bezeugt.94 In ‚guter‘ Sprache steht nec … quidem nicht für ac (et) ne … quidem, ”sondern jeder der beiden Wörter ist für sich zu fassen, so daß nec auch nicht bedeutet und quidem einem einzelnen Worte angehört, das nachdrücklich hervorgehoben werden soll“.95 Dagegen hat ne … quidem eine steigernde Funktion,96 die hier wegen dem vorherigen Fehlen zusammenhängender Gebäude verlangt wird. Der Unterschied zwischen caementa und tegulae liegt nach Lund im Gebrauch: ”caementum, um Wände zu bauen, … tegulae, um Dächer zu konstruieren..97 Wahrscheinlicher ist es jedoch, einen Unterschied im Gestein zu erblicken, nämlich in Bruch- und Backsteinen, wie auch durch den Konnektor aut (nicht et) nahe gelegt wird. Jedenfalls konnten tegulae auch für Fußböden verwendet werden; vgl. Vitr. 5,10,2: suspensurae caldariorum ita sunt faciendae, ut primum sesquipedalibus tegulis solum sternatur ‚die hängenden Fußböden der heißen Bäder müssen so angelegt werden, daß zuerst aus Ziegelplatten von 1 ½ Fuß ein Bodenbelag gelegt wird‘.98 Auch diese Angaben stehen in Gegensatz zur römischen Bauweise, wo gewöhnlich Gussmauerwerk aus Bruchsteinen und Mörtel zwischen Holzverschalungen und Ziegelbauweise angewandt wurde; vgl. Vitr. 2,1,6-7: tunc vero ex fabricationibus aedificiorum gradatim progressi ad ceteras artes et disciplinas, e fera agrestique vita ad mansuetam perduxerunt humanitatem. tum autem instruentes animo se ac prospicientes maioribus cogitationibus ex varietate artium natis, non casas sed etiam domos fundatas et latericiis parietibus aut e lapide structas materiaque et tegula tectas perficere coeperunt, deinde observationibus studiorum e vagantibus iudiciis et incertis ad certas symmetriarum perduxerunt rationes ‚da wahrlich führten sie [= die Menschen], nachdem sie Schritt für Schritt vom Häuserbau zu den übrigen Künsten und Wissenschaften fortgeschritten waren, die menschliche Gesellschaft von einem wilden und tierhaften zu einem friedfertigen, gesitteten Leben. Dann aber begannen sie, geistig sich ausbildend und mit größeren Gedanken, die aus der Mannigfaltigkeit der Künste entsprangen, in die Zukunft schauend, statt Hütten Häuser mit Grundmauern zu bauen, die Wände aus Ziegeln hatten oder aus Stein und Holz errichtet und mit Ziegeln gedeckt waren. Dann brachten sie es durch Beobachtungen, die sie bei ihrer Berufsausübung machten, von vagen und unsicheren Urteilen zu den bestimmten Berechnungen symmetrischer Verhältnisse‘; Tac. dial. 20,7: quid enim, si infirmiora horum temporum templa credas, quia non rudi caemento et informibus tegulis extruuntur, sed marmore nitent et auro radiantur? ‚denn was sollte man dazu sagen, wenn jemand die Tempel unserer Zeit für weniger standfest hielte, weil sie nicht aus unbearbeitetem Bruchstein und unförmigen Ziegeln erbaut werden, sondern von Marmor glänzen und von Gold schimmern?‘ Eine ähnlich Aussage findet sich bei Herodian. 7,2,4: ..... µ.. ..p pap’ a.t... . p...... .pt.. .p.... ‚denn es besteht bei ihnen ein Mangel an Bruchsteinen und gebackenen Ziegeln‘. Die Angaben über das Fehlen von Stein und Ziegeln bei den Germanen werden durch die sprachlichen Gegebenheiten bestätigt. Wörter, die mit der Maurerei zu tun haben, stellen sämtlich Lehnwörter aus dem Lateinischen dar, vgl. etwa: Mauer < lat. murus; Kalk < lat. calc-; Mörtel < lat. mortarium; Ziegel < lat. tegula; Pfeiler < lat. pila; tünchen, eine Ableitung von ahd. tunihha < lat. tunica; Mörtel < ; Zement < ; Pfosten < ; Pforte < lat. porta; Keller < lat. cellarium; Estrich < lat. astra/icus.99 Sie sind zusammen mit der entsprechenden Technik 99 Auch das got. Wort kelikn ‚Turm, Hochbau‘ ist eine Entlehnung, und zwar aus gall. celicnon (vgl. Casaretto 2004: 94), obwohl unklar ist, um was für ein Material es sich handelt. Dasselbe gilt ebenfalls für die turris der Veleda (Tac. hist. 4,65,4: ipsa edita in turre ‚sie wohnte in einem hohen Turm‘); nach Much 1967: 254 hätte man sich diesen Turm ”vielleicht auch als einen Bau mit Trockenmauern vorstellen.. 100 Trier 1969: 72-73. 101 So Reeb 1933: 37; Schuhmacher in Reeb 1933: 116: ”Materia … kann sich nur auf Verwendung von Holz, Felchtwerk, Stroh bzw. Rohr und Lehm beziehen.. 102 So etwa Müllenhoff 1900: 286; Gudeman 1916: 115; Schweizer-Sidler 1923: 41; Much 1967: 254; Lund 1988: 156; Perl 1990: 97; Anderson 1997: 102; Rives 1999: 194. Offen gelassen bei Baumstark 1875 565: ”Nimmt man es ganz allgemein als Baumaterialien (Steine miteingeschlossen), dann erst dürften die Prädicate des informi … und citra speciem aut delectationem als bezeichnend und sinnbereichernd erfunden werden … obgleich ich schliesslich offen bekenne, dass die andere Art der Erklärung von materia … in ihrem vollen Rechte ist.. 103 Vgl. Anderson 1997: 102. 104 Vgl. Lühr 2000: 159. 105 Vgl. Reeb 1933: 37: ”also auch statt der Grundmauern.. entlehnt worden. Dagegen stammen viele romanische Wörter der Holz- oder Lehmbauweise aus dem Germanischen. Diese Angaben werden auch von den archäologischen Funden bestätigt. Lediglich in Skandinavien wurde Stein verwendet.100 materia ad omnia utuntur informi] Die genaue Bedeutung von materia ist umstritten, entweder sei es im weiteren Sinne als ‚Baumaterial‘101 oder im engeren Sinne als ‚Bauholz‘102 zu fassen. Für die letztere Bedeutung spricht zum einen der Gegensatz zu der Steinbauweise (caementum oder tegula), zum anderen, dass ansonsten informis als ‚hässlich anzusehen‘ aufgefasst werden müsste, wobei das nachfolgende citra speciem (s.u.) rein tautologisch wäre.103 materia in dieser Bedeutung findet sich bei Tacitus häufiger, etwa hist. 4,23,3: perfugae captivique docebant struere materias in modum pontis ‚Überläufer und Gefangene unterwiesen sie, aus Bauholz eine Art von Sturmbrücke zusammenzufügen‘; ebd. 5,20,2: et cadendis materiis operatum ‚und mit Holzfällen beschäftigt waren‘; ann. 1,35,1: materiae lignorum adgestus ‚das Herbeischaffen von … Baumaterial, Brennholz‘ (in dieser Bedeutung ist das Wort zuerst verwendet bei Plaut. Epid. 37: ut materies suppetat scutariis ‚daß es den Waffenschmieden nie am Zeuge fehlt‘; ds. Poen. 915: proba materies data est ‚der Stoff ist gut‘ verwendet). Zur Bezeichnung des Bauholzes verwenden die germ. Sprachen das Wort ahd. zimbar, as. timbar, ae. afries. timber, aisl. timbr < urgerm. *tembra- < *temra-, eine Ableitung der Verbalwurzel uridg. *dem- ‚bauen‘ (vgl. gr. d.µ. ‚[er]bauen‘, got. -timan [in gatiman ‚ziemen, passen‘], ahd. zeman ‚ziemen, passen‘ . ‚sich zusammenfügen‘ < uridg. *dém- e/o-).104 ad omnia beinhaltet alles beim Hausbau,105 nicht überhaupt alles.106 106 So scheint Rives 1999: 194 die Stelle aufzufassen: ”Archeological evidence indicates that the Germani did indeed use wood for a wide range of purposes: not only houses and other buildings, but also wells, furniture, carts and wagons, tools, weapons and dishes.. 107 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 545. Es handelt sich um eine Erweiterung der bildlichen Bedeutung ”von dem, was diesseit des Zieles bleibt, das Ziel nicht erreicht. (ebd.). 108 Kühner – Stegmann II,2: 103. Das Wort informis zeigt an, dass die Germanen das Bauholz nicht über das Notwendige hinaus bearbeiten, sie verwenden es somit nicht gänzlich ‚unbehauen‘ (vgl. Liv. 21,26,9: deinde et ipsi milites simul copiae materiae, simul facilitate operis inducti, alveos informes, nihil dummodo innare aquae et capere onera possent, curantes, raptim, quibus se suaque transveherant, faciebant ‚dann wurden auch die Soldaten durch das viele Bauholz und die leichte Arbeit dazu verleitet und machten hastig plumpe Einbäume zurecht. Sie hatten ja dabei auf nichts anderes zu achten, als daß diese nur auf dem Wasser schwimmen und Lasten fassen konnten. Auf ihnen wollten sie sich und ihr Gepäck über den Strom schaffen‘). Dieselbe Angabe findet sich ebenso bei Herodian. 7,2,4: ..a. d’ e.de.dp.., ..e. ..... ..... ..te.e.a. ..µp.....te. a.t. .a. .pµ....te. .....p.....ta. ‚doch besitzen sie baumreiche Wälder und also reiche Mengen an Holz, das sie miteinander verbinden und zu zeltförmigen Häusern zusammenfügen‘. Auch in späteren Quellen ist das Bauen von Häusern mit Holz belegt, etwa für die Langobarden im E. Roth. 282: si quis de casa erecta lignum quodlibet aut scindolam furauerit ‚wer vom [schon] aufgerichteten [Neu-]Bau ein Holz oder eine Schindel stiehlt‘; ebd. 283: si quis de lignamen adunatum in curte aut in platea ad casam faciendam furauerit ‚wer aus dem Verband der Hölzer, [welche] zum Hausbau auf dem Hof oder der Straße [liegen], etwas stiehlt‘. citra speciem aut delectationem] Diese Aussage ist eine nähere Erläuterung zu informis. citra wird hier (wie von anderen Autoren der silbernen Latinität) im Sinne von sine verwendet.107 Bei Tacitus kommt dieser Gebrauch nur in den kleineren Schriften vor. Der älteste Beleg aus der Dichtung findet sich bei Ov. trist. 5,8,23: vel quia peccavi citra scelus ‚teils weil mein Fehl kein Verbrechen gewesen‘; aus der Prosa bei Sen. contr. 1,2,13: etiamsi citra stuprum ‚auch wenn ohne Unzucht‘. Die beiden Ausdrücke vertreten fehlende negative Adjektive mit in-. Da in citra eine Negation liegt, wird mit aut ”ein folgender Begriff … als Teil oder nähere Bestimmung untergeordnet..108 species ist somit der übergeordnete Begriff, während delectatio die subjektive Empfindungsweise des Betrachters bezeichnet. Die Gebäude sind also nicht nur ohne Schönheit, sie vermögen auch nicht zu gefallen. Die subjektive Hässlichkeit wurde ebenfalls in c. 5,1 mit den Wörtern horrida und foeda unterstrichen. Mit dieser Schmucklosigkeit germanischer Häuser stimmen auch andere Bezeichnungen dieser Häuser überein; vgl. Strab. Geogr. 7,1,3 p. 291C (über die suebischen Behausungen): .. .a..ß.... ...e.. .f.µep.. ...... papa..e... ‚sie wohnen in Hütten, die nur für den Bedarf des Tages ausgerüstet sind‘; Plin. nat. 16,3 (über die Wohnstätten der Chauken): illic, misera gens, tumulos optintenta altos aut tribunalia exstructa manibus ad experimenta altissimi aestus, casis ita inpositis navigantibus similes, cum integant aquae circumdata, naufragis vero, cum recesserint, fugientesque cum mari pisces circa tuguria venantur ‚dort wohnen sie, ein armseliges Volk, auf hohen Halligen oder auf künstlichen, der erfahrungsgemäß höchsten Flut angemessenen Dämmen, auf denen ihre Hütten stehen, Seefahrern ähnlich, wenn die Wassermassen ringsumher alles bedecken, Schiffbrüchigen aber ähnlich, wenn die Flut zurückgetreten ist; sie machen in der Umgebung ihrer Behausungen Jagd auf Fische, die mit dem Meer entweichen wollen‘; Amm. 18,2,15 (bei den Alamannen): postque saepimenta fragilium penatium inflammata ‚die umzäunten leicht gebauten Hütten wurden ein Raub der Flammen‘. Die Angabe stellt natürlich eine Übertreibung dar. Zwar sind auch einfache Häuser aus unbearbeitetem Holz bekannt, wie das nordjütische Haus von Malle Hedegård aus der älteren römischen Kaiserzeit, jedoch sind auch Reste in Feddersen Wierde erhalten, die zeigen, dass das Zimmermannshandwerk während der römischen Kaiserzeit ein voll ausgebildeter Beruf war.109 Über die Dächer sagt Tacitus nichts aus; vgl. dagegen Plin. nat. 16,156: tegulo earum domus suas septentrionales populi operiunt, durantque aevis tecta talia ‚die im Norden wohnenden Völker bedecken ihre Häuser mit einem Dach aus Schilf, und solche Dächer halten jahrhundertelang‘; Sen. dial. 1,4,12: Germanos dico et quicquid circa Istrum uagarum gentium occursat … imbrem culmo aut fronde defendunt ‚die Germanen meine ich und was am Unterlauf der Donau an Nomadenvölkern begegnet … gegen Regen schützen sie sich mit Stroh und Laub‘. 109 Vgl. zur Holzverarbeitung RGA 2: 96-98; Todd 2000: 125. quaedam loca diligentius illinunt] diligentius ist kein Komparativ (‚sorgfältiger als andere‘) sondern ein Elativ (‚mit mehr Sorgfalt‘). Es heißt also nicht, dass die Germanen alles bestrichen hätten, sondern der Ausdruck steht in Vergleich zur Zierdelosigkeit des Bauholzes. Unklar, und letztendlich auch nicht aus dem Text entscheidbar,110 ist, ob es sich bei den bestrichenen Stellen um Innen-111 oder – wie die meisten annehmen – Außenwände112 handelt.113 110 Vgl. auch Rives 1999: 195: ”consequently, it is very difficult to determine what the actual Germanic practice may have been.. 111 So Lund 1988: 156: ”Die Stelle behandelt demnach die inneren Wände der Häuser und nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, die äußeren Wandflächen.. 112 So etwa Baumstark 1875: 572; Müllenhoff 1900: 289; Schweizer-Sidler 1923: 42; Reeb 1933: 37; Anderson 1997: 103. 113 Letztere Interpretation scheint ein wenig mehr für sich zu haben, da ansonsten ein nicht angekündigter Wechsel in das Innere der Häuser vorgegangen wäre (vgl. Baumstark 1875: 572: ”Wenn Jemand behaupten will, die quaedam loca seien nicht von der Aussenseite des Hauses zu verstehen, sondern von dem Innern desselben, so sagt er damit, dass Tacitus ein elender Schmierer ist, da derselbe auch nicht eine Silbe davon bemerkt, nicht die mindeste Andeutung gibt, er spreche nun von etwas Anderem als dem Bisherigen.); vgl. jedoch Vitr. 6,5,1: cum ad regiones caeli ita ea fuerint disposita, tunc etiam animadvertendum est, quibus rationibus privatis aedificiis propria loca patribus familiarum et quemadmodum communia cum extraneis aedificari debeant. namque ex his quae propria sunt, in ea non est potestas omnibus intro eundi nisi invitatis, quemadmodum sunt cubicula, triclinia, balneae ceteraque, quae easdem habent usus rationes. communia autem sunt, quibus etiam invocati suo iure de populo possunt venire, id est vestibula, cava aedium, peristylia, quaeque eundem habere possunt usum. igitur is, qui communi sunt fortuna, non necessaria magnifica vestibula nec tabulina neque atria, quod in aliis officia praestant ambiundo neque ab aliis ambiuntur ‚wenn die Räume in Hinsicht auf die Himmelsrichtungen so verteilt sind, dann muß man seine Aufmerksamkeit darauf richten, in welcher Weise in Privatgebäuden die Zimmer gebaut werden müssen, die allein den Hausherren gehören, und wie die, die auch Leuten, die nicht zur Familie gehören, zugänglich sind. Denn in die Privaträume haben nicht alle Zutritt, sondern nur geladene Gäste, z.B. in die Schlafräume, Speisezimmer, Baderäume und die übrigen Räume, die gleichen Gebrauchszwecken dienen. Allgemein zugängliche Räume aber sind die, in die auch uneingeladen Leute aus dem Volk mit Fug und Recht kommen, d.h. Vorhallen, Höfe, Peristyle und solche Räume, die in derselben Weise benutzt werden können. Daher sind für Leute, die nur durchschnittliches Vermögen besitzen, prächtige Vorhallen, Empfangssäle, Atrien nicht notwendig, weil diese Leute anderen durch ihren Besuch ihre Aufwartung machen, aber nicht von anderen besucht werden‘. 114 Vgl. Robinson 1991: 181. 115 Theoretisch denkbar, aber wegen der hss. Lage nicht nachzuweisen, ist, dass in allen anderen Hss. eine Angleichung von et – ac > ac – ac stattgefunden habe und nur die Hss. pQtf das Ursprüngliche bewahrten. 116 Vgl. Baumstark 1875: 569; Anderson 1997: 104 (als eine Möglichkeit der Interpretation). terra ita pura ac splendente] Während die meisten Hss. die Lesart ac bieten, zeigen die Hss. pQtf et, während in C ut steht,114 das entweder als Fehllesung von et oder als separater Fehler aufzufassen ist. Wegen der hss. Verteilung liegt es nahe, in et eine Vermeidung von zweimaligem ac zu sehen.115 Die Wörter purus und splendens stehen in etwa als Synonyme. terra ist am besten kollektivisch als ‚Erde‘ aufzufassen und nicht als eine (bestimmte) Erdart.116 Somit ist die Annahme, dass es sich um einen weißen Farbton handle,117 nicht zu sichern; eine solche Farbe ist denn auch nicht direkt ausgedrückt.118 117 So etwa Müllenhoff 1900: 289; Gudeman 1916: 115. 118 Vgl. Baumstark 1875: 569. 119 Vgl. Robinson 1991: 293; Perret 1997: 80. 120 Vgl. Maßmann 1847: 74; auf die Konjektur invitet des Rhenanus in dessen Ausgabe von 1533 (vgl. Hirstein 1995: 223, 308; diese Konjektur wurde u.a. übernommen in der Aldine Ausgabe; vgl. Massmann 1847: 74; zum Wert dieser sekundären Ausgaben vgl. Robinson 1991: 332) braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. 121 imitetur nehmen u.a. in ihren Text auf: Passow 1817: 24; Günther 1826: 23; Grimm 1835: 9; Tross 1841: 14; Massmann 1847: 74; Baumstark 1875: 569; Müllenhoff 1900: 289; Schweizer-Sidler 1923: 42; Halm 1930: 231; Reeb 1933: 37; Lechantin de Gubernatis 1949 13; Much 1967: 255 (jedoch mit der Bemerkung: ”Mindestens ebenso gut ist mit der Lesart von c, imitentur, auszukommen.); Koestermann 1973: 15; Winterbottom – Ogilvie 1985: 45; Büchner 1985: 159; Perl 1990: 96; Robinson 1991: 293; Anderson 1997; Perret 1997: 80; Benario 1999: 30; wohl auch Rives 1999: 84; imitentur dagegen etwa: Gudeman 1916: 115; Lund 1988: 82; Önnerfors 1983: 12. 122 Winterbottom – Ogilvie 1985: 45. 123 Vgl. etwa Bruun 1976: 137-138. Nicht auszukommen ist dagegen mit Übersetzungen wie ”daß es den Eindruck … macht. (Much 1967: 255; ähnlich auch Rives 1999: 84), da das ‚es‘ nicht spezifiziert ist. 124 Daher ist auch die Erklärung von Baumstark 1875: 569-570 nicht stichhaltig: ”Hier nur soviel, dass nicht die Erde selbst, sondern ihr color und splendor sachlich das Subject zu imitetur sind... 125 Die im Griechischen und Indischen ererbte Konstruktion eines Subjekts im Neutrum Plural mit einem singularischen Prädikat – dies würde imitetur zulassen – ist erst spätlateinisch (es liegt teilweise griechischer Einfluss vor, teilweise wird die Konstruktion durch die Überführung der pluralen Neutra in die feminine -a- Deklination unterstützt); vgl. Hofmann – Szantyr 1972: 431. 126 So Lund 1988: 156 mit Hinweis auf ThLL VII,1: 436,18-43; zu beachten ist jedoch zum einen, dass hier (436,41-42) die Lesart imitetur erscheint, zum anderen, dass die Nachahmung (436,18) ”de similitudine fortuita. ist. 127 Lund 1988: 156: ”Zu ähnlichen Ergebnissen war schon C. Hachtmann (1882), S. 189 gekommen, der unsere Stelle folgendermaßen interpretierte: ‚Sie bestreichen gewisse Stellen ... ziemlich sorgfältig mit einer reinen und glänzenden Erdart in der Weise, daß sie Gemälde und Linien von Farben (wie wir dies auf den Wänden unserer, d.h. der römischen Zimmer sehen) nachahmen‘.. Das Vorhandensein mineralischer Farben zeigt sich an dem Wort aisl. steina ‚bemalen‘, das eine Ableitung zu aisl. steinn ‚Stein‘ ist, also eigentlich ‚(mit einer mineralischen Farbe) malen‘ bedeutet. ut picturam ac lineamenta colorum imitentur] Während die Mehrheit der Hss. die Lesart imitetur bietet, überliefern die Hss. c.ER die Form imitentur.119 Auch die älteren Drucke schwanken zwischen diesen beiden Formen,120 wie dies auch bei den modernen Ausgaben der Fall ist.121 Nach Winterbottom – Ogilvie handelt es sich um einen ”locus obscurus..122 Problematisch an der Lesart imitetur ist, dass als Subjekt nur das singularische terra in Frage kommt,123 was heißt, dass das, was wie ein Bild aussieht, die dafür verwendete Farbe wäre.124 Eine solche Aussage ist inhaltlich kaum logisch. Bei der Lesart imitentur ist dagegen zunächst unklar, ob das Subjekt die Germanen oder die vorher genannten loca sind.125 Wenn die Germanen das Subjekt sind, wäre das Verb mit ‚nachahmen‘ zu übersetzen.126 Nach Lund liegt demnach ein versteckter Vergleich vor ”zwischen der römischen Kultur und der primitiveren Lebensweise der Germanen..127 Dies würde jedoch bedeuten, dass einige Germanen römische Wandgemälde gesehen und danach – mehr schlecht als recht – versucht hätten, solche nachzuahmen. Eine solche Interpretation scheint aber kaum wahrscheinlich. Nun bedeutet das Verb imitari ebenfalls ‚gleichkommen, ähnlich sein‘ (zu dieser Bedeutung vgl. u.a. Plin. nat. 12,24: folium alas avium imitatur ‚sein Blatt [= des Palabaumes] gleicht den Vogelflügeln‘),128 so dass das Subjekt die quadam loca wären.129 Diese ähneln somit einem Wandgemälde. Für die Lesart imitentur spricht übrigens ebenfalls, dass eine Verschreibung von imitentur zu imitetur mit dem Auslassen eines Abkürzungsstriches für n leichter begreiflich wäre als die Hinzufügung eines solchen. 128 Vgl. ThLL VII,1: 435,80-436,43. 129 So auch Bruun 1976: 137. 130 Vgl. Baumstark 1875: 571; Müllenhoff 1900: 289; Perl 1990: 179. 131 Kühner – Stegmann II,2: 16. 132 Zur logischen Seite vgl. Baumstark 1875: 571: ”denn im Wesen der pictura liegen nothwendig die colores …, nicht aber im Wesen der lineamenta, die auch ohne colores sein können.. 133 Vgl. Müllenhoff 1900: 289. Das allgemeine pictura wird durch die Hinzufügung ac lineamenta colorum eingeschränkt.130 Letztere kommen somit den quaedam loca am nächsten. Die Konjunktion ac verbindet zwei ”Begriffe, von denen der vorangehende eine schwächere, der folgende eine stärkere Bedeutung hat..131 Das Wort colorum gehört aus syntaktischen Gründen somit nur zu lineamenta.132 Der Ausdruck lineamenta colorum ist als lineamenta colorata aufzufassen.133 Es handelt sich hierbei um mit Farben ausgefüllte Umrisse; zur Bedeutung von pictura und lineamenta vgl. auch Cic. rep. 5,1,2: nostra vero aetas cum rem publicam sicut picturam accepisset egregiam, sed iam evanescentem vetustate, non modo eam coloribus isdem quibus fuerat renovare neglexit, sed ne id quidem curavit ut formam saltem eius et extrema tamquam liniamenta servaret ‚unser Zeit aber hat, nachdem sie den Staat wie ein kostbares, aber infolge seines Alters schon verblassendes Gemälde empfangen hatte, nicht nur versäumt, es in den Farben, die es gehabt hatte, zu erneuern, sondern hat nicht einmal darauf Bedacht genommen, wenigstens seine Form und gleichsam die äußeren Konturen zu erhalten‘. Farbspuren lassen sich archäologisch nur in Ausnahmefällen finden. Die Hausurnen aus der jüngeren Bronzezeit, auf denen sich gemalte Linien und Flächen erkennen lassen, deuten auf diese Praxis bei Häusern im Norden hin. 3 solent et subterraneos specus aperire] Lund bemerkt zu dieser Stelle: ”Die Beschreibung der unterirdischen Höhlen dient in erster Linie dem Zweck, die primitive Lebensweise der Barbaren darzustellen, denn man glaubte in der Antike, dass die ersten Menschen in Höhlen gelebt hätten..134 Dies ist aber kaum zutreffend, da im Folgenden der Zweck dieser Gruben näher beschrieben wird. Auch ist von einem Wohnen in solchen Gruben im Folgenden nicht die Rede (s.u.). 134 Lund 1988: 157. 135 Vgl. Gudeman 1916: 115: ”(Wirkung statt Ursache) = terram effodiendo specus aperire.. Zur metonymischen Verwendung von aperire135 vgl. etwa Tac. hist. 3,25,3: simul attollere corpus, aperire humum ‚zugleich nahm er [= Sohn der Iulius Mansuetus] den Leichnam auf, hob ein Grab aus‘; vgl. auch Plin. nat. 37,105: cum lapicidinae quadam aperiantur ‚wenn gewisse Steinbrüche eröffnet werden‘. Unterirdische Räumlichkeiten werden vielen Völkern zugeschrieben, neben den Germanen (vgl. Plin. nat. 19,9: in Germania autem defossae atque sub terra id opus agunt ‚in Germanien aber verrichten die Frauen diese Arbeit [= linnene Kleider machen] in Kellerräumen‘) auch etwa den Armeniern (Xen. an. 4,5,25: a. d’ ....a. ..a. .at..e..., t. µ.. .t.µa ..pep fp.at.., ..t. d’ e.pe.a.. a. d. e...d.. t... µ.. .p........ .p..ta., .. d. ...p.p.. .at.ßa.... .p. ...µa... ‚die Wohnungen waren unterirdisch, unten geräumig, während der Zugang einer Zisterne glich. Für die Zugtiere waren Eingänge ausgehoben; die Menschen stiegen auf einer Leiter hinunter‘), den Skythen (vgl. Verg. georg. 3,376-380: ipsi in defossis specubus secura sub alta / otia agunt terra ‚tief in Höhlen leben im Schoß der Erde die Menschen sorglos in Muße dahin‘; Mela 2,10: ob saeva hiemis admodum assidue, demersis in humum sedibus, specus aut suffossa habitant ‚wegen der Strenge des recht langwierigen Winters verlegen sie ihre Wohnstätten in die Erde und hausen in Höhlen und Erdgräben‘), den Kappadokiern und Thrakern (vgl. Varro, rust. 1,57,2: quidam granaria habent sub terris speluncas, quas vocant ..p..., ut in Cappadocia ac Thracia ‚manche nehmen als Kornspeicher unterirdische Höhlen, die sie Silos, s...., nennen, wie zum Beispiel in Kappadokien und Thrakien der Fall ist‘), den Sardiniern (vgl. Diod. 5,15,4: ...’ .. µ.. ....e... .ataf....te. e.. t.. .pe.... .a. .ata.e.... .....e.. .ata..e...a.te. ‚vielmehr flüchteten schutzsuchend die Iolaeier ins Bergland, legten dort unterirdische Behausungen an‘) sowie den Baktrern (vgl. Curt. 7,4,24: siros vocabant barbari specus, quos ita sollerter abscondunt, ut, nisi qui defoderunt, invenire non possint; in his conditae fruges erant ‚”Siren. nannten die Barbaren die Höhlen, die sie so geschickt verborgen anlegen, daß sie nur wiederfindet, wer sie gegraben hat. Hier versteckten sie ihre Feldfrüchte‘). eosque multo insuper fimo onerant] Es kann sich hierbei natürlich nur um Vorratsräume handeln, die man mit wärmendem Mist bedeckte (s.u.). suffugium hiemi et receptaculum frugibus] In den Hss. ist die Lesart hiemi einheitlich überliefert. In den neueren Ausgaben wird diese Lesart jedoch in der Regel als nicht richtig verworfen136 und entweder in hiemis oder in hieme emendiert.137 136 Die Lesart hiemi findet sich lediglich noch bei Gudeman 1916: 116; Reeb 1933: 37; Lechantin de Gubernatis 1949: 13; Robinson 1991: 293; Perret 1997: 80. Sie wird auch von Georges II: 2911 gutgeheißen. 137 Die Emendation in hiemis geht nicht – wie gemeinhin angegeben (vgl. etwa Robinson 1991: 293) auf Reifferscheid zurück (vgl. dazu Baumstark 1875: 578); diese Emendation findet sich u.a. bei Müllenhoff 1900: 290; Schweizer-Sidler 1923: 43; Halm 1930: 231; Much 1967: 245; Koestermann 1973: 15; Önnerfors 1983: 12; Winterbottom – Ogilvie 1985: 46; Anderson 1997; Lund 1988: 82; Benario 1999: 30. Der Urheber der Emendation hieme lässt sich ebenfalls nicht sicher feststellen (Baumstark 1875: 579 nennt Göbel; dagegen Furneaux nach Lund 1988: 157); diese Lesart ist bisher nur von Perl 1988: 96 aufgenommen. 138 Lund 1988: 157. 139 Much 1967: 257. 140 So u.a. Anderson 1997: 104: ”These were of two kinds, underground chambers for use in winter … and pits for storing produce … Some think that Tacitus confused the two, but he plainly had in mind only the former: there was room in them to store some provisions.; Rives 1999: 195: ”Tacitus apparently had in mind subterranean chambers that served both as winter quarters fort he Germani themselves and as storehouses for their crops.. 141 Vgl. u.a. Lund 1988: 157: ”Tacitus sagt, daß die Germanen warme Höhlen haben, wo sie sich im kalten Winter aufhalten. Bei den Römern gab es dagegen kühle Kellerräume, wo man sich im heißen Sommer aufhielt.; Much 1967: 256: ”Daß Tacitus hier, wie Much meint, zwei Dinge, nämlich Grubenhäuser und Vorratsgruben, zusammenfaßt, erscheint mir einleuchtend. Die Sitte, Häuser in den Boden einzutiefen, ist alt und weitverbreitet. (dagegen richtig Lund 1988: 157: ”denn diese sind nicht völlig unterirdisch.; ebenso Rives 1999: 195); vgl. auch etwa Baumstark 1875: 577; Schweizer-Sidler 1923: 43: ”Tac. wirft übrigens wohl zwei Dinge zusammen, die jeden Herbst neu gegrabenen (Getreide-)Mieten, die nach der Füllung über den Boden hervorragen und mit Mist Man hat gemeint, eine solche Emendation vornehmen zu müssen, da der Dativ hiemi besagen würde, ”daß der Winter in den erwähnten Räumen einen Schutz hat..138 Die Dativ- Form hiemi sei ”sinnwidrig an frugibus angeglichen..139 Zur Untermauerung der Emendation werden mehrere Parallelen angeführt, wie Tac. Germ. 46,3: ferarum imbriumque suffugium ‚Zufluchtstätte vor wilden Tieren und Regengüssen‘; ds. ann. 4,66,2: unum urgentium malorum suffugium ‚die einzige Zuflucht gegen eindringendes Unheil‘; Plin. epist. 9,39,2: nullum in proximo suffugium aut imbris aut solis ‚in der Nähe gibt es keinen Schutz gegen Sonne und Regen‘; Cic. Manil. 39: hiemis … perfugium ‚eine Zufluchtsort vor den Unbilden des Winter‘; Curt. 8,4,11: frigoris remedium ‚ein Mittel gegen die Kälte‘. Nun hat man generell angenommen, dass Tacitus an dieser Stelle entweder eine Räumlichkeit mit doppelter Funktion meint, nämlich einen unterirdischen Raum für Menschen und Feldfrüchte,140 oder von zwei verschiedenen Sachen spricht, nämlich erstens von unterirdischen Räumen für Menschen, zweitens von unterirdischen Räumen als Lagerstätte für Feldfrüchte, die er irrtümlich zusammengeworfen hätte.141 Beide Annahmen bedeckt werden, und die für die Dauer angelegten Wohngruben, die keinen Mist brauchen.; Perl 1990: 180: ”Erdhöhlen als Wohnung und Speicher … Tacitus hat bei seinen Angaben wohl nicht genügend differenziert.. 142 Anders Gudeman 1916: 116: ”Wenn daher T. ohne jede Einschränkung auch menschliche Wohnräume von einem Misthaufen als Schutz gegen Kälte bedeckt sein läßt, so setzt diese Tatsache allerdings eine primitive Kulturstufe voraus, die wir aber nicht durch eine ästhetischere Deutung von fimus idealisieren dürfen.. 143 Für diese Deutung spricht auch der archäologische Befund; vgl. Rives 1999: 195: ”The difficulty ist that Tacitus’ description does not correspond to any archaeologically attested structures … they [= Grubenhäuser] werde hardly ‚underground pits‘, but instead ordinary houses whose floors were dug out to some 0.5 to 1.0 metres below ground level. On the other hand, there is some evidence for storage pits.. 144 Daher sind Angaben über Erdhöhlen als Wohnungen bei anderen Völkern (etwa bei den Armeniern oder bei den Skythen) hiermit nicht zu vergleichen. 145 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25-26. 146 Perl 1990: 180. 147 Vgl. aber Baumstark 1875: 578: ”als an dem Dativus frugibus bei receptaculum, wofür freilich und zwar consequent von Unbesonnenen der Genitibus frugum verlangt und eingeschwärzt wurde.; ebenso Gudeman 1916: 244. sind jedoch wegen des Vorhergehenden, nämlich der Bedeckung mit Mist, unwahrscheinlich; es kann sich nur um Vorratsräume handeln.142 Dies wird auch durch das Nachfolgende nahe gelegt,143 da es sich bei der Vernichtung um die Wegnahme der ökonomischen Grundlage handelt, nicht um die Vernichtung von Räumlichkeiten an sich, die wieder aufgebaut werden können.144 Da es sich somit nur um eine Räumlichkeit handelt, kann das nach suffugium hiemi/hiemis/hieme folgende et receptaculum frugibus keine zweite Funktion dieser Räumlichkeiten beinhalten. et ist daher explikativ als ‚und zwar‘ aufzufassen.145 Tacitus verwendet in der Fügung receptaculum frugibus den seltenen Dat. der sonst offenbar nur bei Liv. 38,30,7 vorkommt: receptaculum peregrinis mercibus ‚ein Stapelplatz für fremde Waren‘, so dass Perl in ihm einen ”Archaismus. sieht.146 Auch bei receptaculum ist sonst – ebenso wie bei suffugium – der Gen. üblich, wie etwa auch in c. 46,3: hoc senum receptaculum ‚dies ist der Unterschlupf der Alten‘; nun ist kein moderner Herausgeber darauf verfallen, an dieser Stelle frugibus in frugum zu emendieren.147 Nun hat Tacitus jedoch in der Germania Konstruktionsweisen einander angeglichen, u.a. in c. 6,3: apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate peditum ‚wobei die Schnelligkeit der Fußsoldaten … dem Reiterkampf angemessen ist und damit übereinstimmt‘. Da er auch hier nun bei receptaculum eine ungewöhnliche Konstruktionsweise gewählt hat, ist dies ein starkes Argument für die Beibehaltung vom Dat. hiemi, zumal sowohl den Humanisten wie allen Editoren bis ins späte 19. Jh. diese Lesart nicht verdächtig vorkam. Es fragt sich somit, wie der Dat. hiemi zu verstehen ist. Da es sich bei suffugium hiemi und receptaculum frugibus nicht um einen inhaltlichen Gleichlauf handelt, ist die Auffassung von hiemi als Dat. incommodi abzulehnen.148 Auch sprachlich ist diese Auffassung nicht wahrscheinlich zu machen.149 Demgegenüber ist die Auffassung, hiemi als in tempus hiemis aufzufassen, problemlos,150 wie etwa aus Plin. nat. 8,133 hervorgeht: praeparant hiemi et irenacei cibos ‚auch die Igel sammeln Wintervorrat‘. Unterirdische Vorratsräume werden auch von anderen Völkern berichtet; vgl. (für die Kappadokier und Thraker) Varro, rust. 1,57,2: quidam granaria habent sub terris speluncas, quas vocant ..p..., ut in Cappadocia ac Thracia; alii, ut in Hispania citeriore, puteos, ut in agro Carthaginiensi et Oscensi. horum solum paleis substernunt et curant, ne umor aut aer tangere possit, nisi cum promitur ad usum ‚manche nehmen als Kornspeicher unterirdische Höhlen, die sie Silos, s...., nennen, wie zum Beispiel in Kappadokien und Thrakien der Fall ist, andere – wie etwa in der östlicheren Provinz Spanien – Schächte, wie man es zum Beispiel in der Gegend von Neukarthago und Osca beobachtet. Deren Boden streuen sie mit Spreu ein und sorgen dafür, dass das Getreide mit Feuchtigkeit oder Luft nur in Berührung kommen kann, wenn es zum Verzehr hervorgeholt wird‘; (für die Baktrier) Curt. 7,4,23-24: tritici nihil aut admodum exiguum reperiebatur. siros vocabant barbari specus, quos ita sollerter abscondunt, ut, nisi qui defoderunt, invenire non possint; in his conditae fruges erant ‚an Weizen fand sich nichts oder doch nur ganz wenig. ”Siren. nannten die Barbaren die Höhlen, die sie so geschickt verborgen anlegen, daß sie nur wieder findet, wer sie gegraben hat. Hier versteckten sie ihre Feldfrüchte‘; wohl auch (in Thrakien) Amm. 31,6,6: conditoria frugum occulta ‚zu den geheimen Vorratslagern von Feldfrüchten‘. 148 So jedoch u.a. Gudeman 1916: 116; Perret 1997: 80: ”contre l’hiver.. 149 Vgl. ausführlich Önnerfors 1958: 47-50; so jedoch bereits Baumstark 1875: 579. 150 So auch u.a. Baumstark 1875: 579 (mit älterer Literatur); wohl auch Robinson 1991: 293. 151 Der einzige neuere Herausgeber, der locis beibehält, ist Perret 1997: 81 (älter etwa Holzmann – Holder 1873: 44). 152 Die Auslassung von locis bei Maßmann 1847: 74 ist wohl ein Versehen und keine Emendation (so auch Müllenhoff 1900: 291; anders Baumstark 1875: 581). 153 In Nachfolge von Acidalius; so etwa bei Müllenhoff 1900: 291; Gudeman 1916: 116; Schweizer-Sidler 1923: 43; Halm 1930: 231; Reeb 1933: 37; Much 1967: 245; Koestermann 1970: 15; Winterbottom – Ogilvie 1985: 46; Anderson 1997; Benario 1999: 30. 154 Zuerst von Bährens (vgl. Robinson 1991: 293); übernommen u.a. von Önnerfors 1983: 13; Perl 1990: 96; Robinson 1991: 293. 155 So Lund 1988: 82. quia rigorem frigorum eius modi locis molliunt] Auch hier findet sich bei locis eine einheitliche hss. Überlieferung. Jedoch hat man auch hier gemeint emendieren zu müssen;151 die zumeist übernommen Konjektur152 ist die in loci,153 daneben findet sich auch lacus154 und loca.155 Eine Begründung der Emendation wird dabei nur selten geliefert. Nach Robinson sei locis ”on stylistic grounds. zu verwerfen,156 nach Lund sei es ”kaum glaubhaft, daß der kausale Nebensatz (sc. quia … molliunt) dasselbe Subjekt wie der Hauptsatz. habe ”(sc. Germani), zumal es sich um zwei Verba agendi in zwei verschiedenen Sätzen handelt, die sich auf unterschiedliche Handlungen beziehen (sc. aperire und molliunt).;157 noch schwächer ist schließlich die Begründung bei Müllenhoff : ”besser ist mit Acidalius loci zu lesen..158 156 Robinson 1991: 293. 157 Lund 1988: 158. 158 Müllenhoff 1900: 291; ebenso Much 1967: 257. 159 Lund 1988: 158 mit Hinweis auf ThLL VII,2: 864,59-62. Das Argument von Robinson 1991: 293: ”Tacitus may well have read la2kkoß in the Greek work which he was excerpting. vermag kaum zu überzeugen. 160 Vgl. auch Robinson 1991: 293. 161 Perl 1990: 180; vgl ebenso Gudeman 1916: 116. 162 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 408-412; zur Verwendung bei Tacitus ohne cum vgl. ebd. 409-410. 163 Vgl. ThLL VIII: 1366,22-23: ”rigorem corporum solvere.. Nun ist ein stilistischer Einwand aber keine hinreichende Begründung für eine Konjektur. Diese macht loci/lacus/loca zum Subjekt von molliunt, wogegen bei der Lesart locis die Germanen das Subjekt sind. Der eigentliche Grund für diese Emendationen liegt in quia, dass den (Beweg)grund angibt: Die Germanen heben unterirdische Räume aus, weil diese die Kälte, nicht weil die Germanen selbst die Kälte brechen. Nun hat Lund gegen lacus zu Recht eingewandt, dass dies wegen seiner Bedeutung nicht zu receptaculum passe.159 Jedoch, auch sein eigener Vorschlag loca vermag nicht zu überzeugen, da loca den überlieferten Buchstabenbestand zu sehr abändert (eine Vorlageform auf -s wäre unerlässlich160). Der Hinweis, dass loca mit den nachfolgenden Wörtern aperta, abdita und defossa kongruieren würde, übersieht, dass es sich hierbei um ”ein rhetorisch aufgebautes Raisonnement. handelt,161 somit allgemeiner als nur von diesen loca zu verstehen ist. Nun lässt sich locis, als Abl. modi verstanden,162 durchaus verteidigen, wenn man den quia-Satz nicht an die beiden vorhergehenden Sätzen anschließt, sondern als Erklärung zu suffigium bzw. receptaculum auffasst. Der mit quia eingeleitete Satz gibt somit den Grund an, warum solche Orte als Zufluchtsort dienen können; eben weil man mit ihnen den Frost mildert. Es liegt somit kein Grund vor, das einheitliche locis zu ändern. Zu rigor in der Bedeutung ‚Strenge, Härte‘ vgl. u.a. Lukr. 5,640: gelidumque rigorem ‚und kalten Erstarrung‘; Sen. dial. 2,9,1: hiemis rigorem ‚des Winters Kälte‘; Plin. nat. 11,98: contra rigorem hiemis ‚gegen die Härte des Winters‘. Zu rigor bildet mollire den Gegensatz163 (vgl. Amm. 14,10,9: mollito rigore ‚dämpften sie [= Alamannen] ihren Mut‘). Die Abmilderung der Kälte ist wegen des unfreundlichen Klimas in Germanien (vgl. c. 4,1: frigora atque inediam caelo solove assueverint ‚sie seien aufgrund von Klima wie auch Bodenbeschaffenheit durchaus gewöhnt, Kälte und Hunger auszuhalten‘; c. 5,1: humidior, qua Gallias, ventosior, qua Noricum ac Pannoniam aspicit ‚es [= Germanien] ist feuchter gegen Gallien zu, windiger gegen Noricum und Pannonien hin‘) notwendig (vgl. Sen. dial. 3,11,3: non suffugia aduersus perpetuum caeli rigorem ‚nicht für Schutz gegen die ständige Rauheit des Klimas‘), wie demgegenüber in Italien die Hitze abgemildert werden muss (vgl. Plin. epist. 5,6,30: subest cryptoporticus subterraneae similis; aestate incluso frigore riget ‚unter der Wandelhalle befindet sich ein kellerartiges Gewölbe, im Sommer eisig infolge der eingeschlossenen Kaltluft‘). et si quando hostis advenit, aperta populatur, abdita autem et defossa aut ignorantur aut eo ipso fallunt, quod quaerenda sunt] In den Hss. ETdvo findet sich die Lesart populatio, die sich auch im Druck k findet, wogegen die restlichen populatur lesen;164 ebenso steht in diesen Hss. wie in pr ebenso wie im Druck k ignoranter anstelle von ignorantur der übrigen Hss.165 Letztere Abweichung166 wird ihre Ursache in einer zugrunde liegenden Kürzung haben, wie aus der Schreibung in der Hs. r ignorantr hervorgeht.167 Demgegenüber lässt sich in populatio vielleicht eine alte Lesart sehen,168 die in den restlichen Hss. in nahe liegendes populatur geändert wurde.169 164 Vgl. Robinson 1991: 204; Hirstein 1995: 298. 165 Vgl. Robinson 1991: 204; Hirstein 1995: 298. 166 Zur Bedeutung von ignorantur vgl. ThLL VII,1: 314,6-17; vgl. Cic. tusc. 5,64: cuius ego quaestor ignoratum a Syracusanis, cum esse omnino negarent, saeptum undique et vestitum vepribus et dumetis indignavi sepulcrum ‚als ich Quaestor war, habe ich sein [= des Archimedes] Grab, das die Syrakusaner nicht kannten und behaupteten, es existiere überhaupt nicht, gefunden, dicht umgeben und verhüllt von Büschen und Sträuchern‘. 167 Vgl. Annibaldi 1910: 54; die Hs. E scheint das fehlerhafte -e- expungiert zu haben; vgl. Till 1943: f. 69v. 168 Weniger wahrscheinlich erscheint eine Änderung von sinnvollem populatur in populatio auf Grund von aperta. 169 Wollte man populatio beibehalten, müsste aperta in aperti oder apertorum geändert werden (vgl. Passow 1817: 23), was wenig empfehlenswert ist. 170 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 391-392. 171 Anders Lund 1988: 158 wegen dessen Emendation loca. Eine gewisse Rhetorik nimmt er aber dennoch an: ”Der Satz abdita … quaerenda hat vielleicht einen ironischen Klang.. advenit ist Perf. das hier statt des üblicheren Konj. steht170 (vgl. c. 14,2: si civitas … longa pace et otio torpeat ‚ist die Stammesgemeinschaft … in langem Frieden und Untätigkeit erschlafft‘). Da es sich um einen rhetorischen Schluss handelt, sind die Wörter aperta, abdita und defossa unbestimmt zu nehmen (s.o.).171 Die Junktur von aperta und populatur findet sich ebenfalls Tac. ann. 1,56,4: Caesar incenso Mattio – id genti caput – aperta populatus vertit ad Rhenum ‚der Caesar ließ Mattium – das ist der Hauptort des Stammes – in Brand stecken und das offene Land verwüsten und wandte sich dann zum Rhein‘. abdita und defossa finden sich mehrmals verbunden; vgl. u.a. Tac. hist. 3,33,2: abdita scrutari, defossa eruere ‚ suchten …, was versteckt, wühlten hervor, was vergraben war‘; vgl. auch Sen, ad marc. consol. 2,5: defodit se et abdidit ‚vergrub und versteckte sie sich‘. Zu fallunt ist hostem zu ergänzen; vgl. Hor. carm. 3,14,19-20: Spartacum siqua potuit vagantem / fallere testa ‚falls ein Krug bei Spartacus’ wildem Streifzug glücklich davonkam‘. Zum Inhaltlichen vgl. Curt. 7,2,24: siros vocabant barbari specus, quos ita sollerter abscondunt, ut, nisi qui defoderunt, invenire non possint; in his conditae fruges erant ‚”Siren. nannten die Barbaren die Höhlen, die sie so geschickt verborgen anlegen, daß sie nur wieder findet, wer sie gegraben hat. Hier versteckten sie ihre Feldfrüchte‘. Wegen dieser Nähe wurde vermutet, dass beide auf einer gemeinsamen Quelle (vielleicht Poseidonios) fußen.172 172 Vgl. Gudeman 1916: 117. KAPITEL 17 1 Tegumen omnibus sagum] Der Übergang von der Beschreibung der Behausung zur Kleidung der Germanen wird durch die Setzung des Einführungswortes tegumen markiert, das eigentlich ‚Decke, Bedeckung‘ bedeutet (Ableitung vom Verb tego ‚ich [be]decke‘) und dadurch an abdita und defossa anknüpft.1 Bereits bei Verg. Aen. 3,594 kommt es in der Bedeutung ‚Hülle‘ vor: consertum tegumen spinis ‚Lumpen mit Dornenverschluß‘. Von der Kleidung der Fußsoldaten war bereits in c. 6,1 die Rede: nudi aut sagulo leves ‚wobei sie nur leicht bekleidet sind oder einen kurzen Überwurf tragen‘. Während es sich bei den Reitern aber um ein leichteres, kurzes Kleidungsstück handelt (sagulo leves), ist mit sagum, womit alle Germanen bekleidet sind, ein grobes, schweres wollenes Tuch gemeint, das als Umwurf diente und so vor Wind und Wetter schützte. 1 Vgl. Perl 1990: 180. Ähnlich Lund 1988: 159. Abweichend Much 1967: 260: ”Von der Wohnung zur Kleidung ist ein so kurzer Schritt, daß er unvermittelt gedacht werden konnte.. Das Wort sagum (wovon sagulum als Deminutiv abgeleitet ist; beide Wörter werden aber fast ohne Unterschied nebeneinander verwendet) – gr. ..... genannt – ist mit der Sache aus dem Keltischen entlehnt (vgl. bereits Varro, l.l. 5,167: ut sagum, reno Gallica ‚z.B. sagum und reno aus dem Keltischen‘; Afran. com. 284: Gallum sagatum, pingui pastum taxea ‚einen Gallier im Mantel, genährt mit fettigem Speck‘; [ohne Bezeichnung als sagum] Mart. 4,19,1: hanc tibi Sequanicae pinguem textricis alumnam ‚dieses dicke Produkt einer sequanischen Weberin‘; Isid. orig. 19,24,13: sagum autem Gallicum nomen est ‚Sagum aber ist ein gallisches Wort‘; daher wird das sagum auch häufig als typisches Kleidungsstück der Gallier erwähnt; vgl. etwa Pol. 2,28,7: .. µ.. ... .....µßpe. .a. ..... … t... e.pete.. t.. ..... pep. a.t... ...ta.a. ‚ die Insubrer und Bojer nun gingen in ihren … leichten Mänteln in den Kampf‘; ds. 2,30,1: t... µ.. .p... t.. .e.t.. p..... e..p..t.a. .. .a... µet. t.. ..a..p.d.. pape.... ‚leisteten zwar den weiter hinten stehenden Kelten die Mäntel und Hosen gute Dienste‘; Lucil. fragm. 410-411: cónventús pulchér: bracaé, saga fúlgere, tórques / †datis† magní ‚eine prächtige Versammlung: ein flimmerndes Leuchten von Pluderhosen, Kriegsmänteln und großen … Halsketten‘; Diod. 5,30,1: ..t... µ.. ßapt... .p.µa.. pa.t.dap... d......µ..... ‚gefärbte und buntbestickte Hemden‘; Strab. Geogr. 4,4,3 p. 196C: .a..f.p.... ‚sie tragen Pelerinen‘. Manchmal wird es als vielfarbig geschildert: Verg. Aen. 8,660: virgatis lucent sagulis ‚Kriegsmäntel tragen sie [= Gallier], grellgestreifte‘; Tac. hist. 2,20,1: versicolori sagulo ‚in seinem [= Caecina] bunten Kriegsmantel‘; ebd. 5,23,1: sagulis versicoloribus ‚mit buntfarbigen Mänteln‘). Im alten Rom war es als Kleidungsstück für die Sklaven üblich (vgl. Cato agr. 59: quotiens cuique tunicam aut sagum dabis, prius ueterem accipito, unde centones fiant ‚so oft du jedem eine Tunika oder einen Mantel geben wirst, nimm zuerst den alten an, woraus Filzdecken werden können‘), während es in der späten Republik zum Soldatenmantel wurde (vgl. Caes. civ. 1,75,3: reliqui coeunt inter se et repentino periculo exterriti sinistras sagis involvunt ‚die übrigen rotteten sich zusammen, zogen, bestürzt über die plötzlich auftretende Gefahr, ihre Kriegsmäntel über die linken Arme‘; Sall. hist. frg. 2,59,2: in sagum ‚bis auf den Mantel‘). Mit sagum wird ein viereckiges Männergewand aus grober Wolle mit dreieckigem oder rundem Ausschnitt für den Kopf bezeichnet (vgl. Isid. orig. 19,24,13: dictum autem sagum quadrum eo quod apud eos primum quadratus vel quadruplex esset ‚aber es wird deswegen viereckiges sagum genannt, weil es bei ihnen anfangs quadratisch oder vierfach war‘). Das sagulum wurde entweder über den Kopf gezogen oder als Umhang getragen, wobei es auf der rechten Schulter mit einer Schnalle oder Fibel zusammengehalten wurde (vgl. Varro, Men. 569: cum neque aptam mollis umeris fibulam sagus ferret ‚da der weiche Mantel keine Spange trug, die’n hielt schultrig‘). sagum ist auch noch als Tracht in Spanien und Ligurien bezeugt.2 2 Potthoff 1992: 168-172. 3 Das heute gebräuchliche Wort Mantel, das im 11. Jh. aufkommt und im Germanischen zu mndd. mantel, mndl. nndl. mantel, ne. mantle, aisl. motull, nnorw. nschw. mantel zu stellen ist, ist aus lat. mantellum ‚Hülle, Decke‘ entlehnt. Letzteres ist eine Ableitung von lat. mantum ‚ein kurzer Mantel‘, das seinerseits aus dem Keltiberischen stammt (vgl. Isid. orig. 19,24,15: mantum Hispani vocant quod manus tegat tantum; est enim breve amictum ‚die Spanier nennen es mantum, weil es bloß die Hände bedeckt; denn es ist ein kurzes Gewand‘; zur Sache selbst vgl. Birkhan 1997: 163, 1072). 4 Vgl. Darms 1978: 232-235; Casaretto 2004: 397-398. 5 Das Wort hat keine sichere Etymologie (vgl. Casaretto 2004: 236). Für das, was unter sagum zu verstehen ist, werden in den germanischen Sprachen folgende Wörter verwendet:3 a. got. hakuls*, ahd. hachul, mndd. hakel, ae. hæcele, hacele, afries. hezil, aisl. hokull < urgerm. *.aku/ila/o(n)- ‚Mantel, Oberkleid‘, eine Ableitung von nicht fortgesetztem urgerm. .ako- ‚Ziege‘;4 a. got. snaga (vgl. mit anderer Bedeutung aisl. snagi ‚Kleiderhaken‘) < urgerm. *snagan- ‚Oberkleid, Mantel‘;5 b. ahd. lodo, as. lotho, ae. loda, afries. lotha, aisl. loði < urgerm. *luþan- ‚Mantel (aus grober Wolle)‘; c. aisl. feldr < urgerm. *felda-. Dass die Germanen sich mit dem sagum bekleideten, wird lediglich noch indirekt bei Tacitus selbst (hist. 5,23,1: et simul captae luntres sagulis versicoloribus haud indecore pro velis iuvabantur ‚außerdem wurden erbeutete Kähne [= von den Batavern] mit buntfarbigen Mänteln – ein schöner Anblick – als Segelersatz versehen‘) und direkt bei Mela 3,3,26 ausgesagt: viri sagis velantur aut libris arborum, quamvis saeva hieme ‚die Männer kleiden sich trotz des strengen Winters in kurze Mäntel oder Bast von Bäumen‘ (AG 1, 100-101). Aus späterer Zeit lässt sich ebenfalls eine Aussage bei Isid. orig. 19,23,6 beifügen: sagati sunt Alamanni ‚mit dem Sagum versehen sind die Alamannen‘. Das sagum kam auch vielfach bei den Moorfunden ans Tageslicht.6 Am auffälligsten ist ein so genannter Prachtmantel aus dem Thorsberger Moor. Er ist 2,36 m lang und 1,68 m breit, indigo gefärbt und aus feinen Wollfäden hergestellt.7 fibula aut, si desit, spina consertum] Der Ausdruck spina consertum (zur Ausdrucksweise vgl. auch Tac. hist. 1,79,3: tegimen, ferreis lamminis aut praeduro corio consertum ‚die … Rüstung: sie ist aus Eisenblechen und besonders harten Lederstreifen zusammengefügt‘) ist dichterisch, vgl. Verg. Aen. 3,594: consertum tegumen spinis ‚Lumpen mit Dornenverschluß‘; Ov. met. 14,166: iam suus et spinis conserto tegmine nullis ‚schon sich selbst wieder gleich, die Kleider nicht mehr gesteckt mit Dornen‘. 6 Vgl. Todd 2000: 124-125. 7 Vgl. Much 1967: 261-262. 8 Lund 1988: 159. 9 Lund 1991a: 1876. 10 Lund 1988: 159. 11 Perl 1990: 181. 12 Müllenhoff 1900: 293: ”arme, die sich eine nadel nicht anschaffen konnten, begnügten sich mit dornen und spitzen hölzern.; Lund 1988: 159: ”Der Unterschied zwischen fibula und spina in der Tracht der Germanen liest sich wie der Ausdruck eines sozialen Unterschiedes zwischen Reichen und Armen.; Rives 1999: 197: ”Yet it is likely that many people could not have afforded a bronze clasp for their cloak and so had to resort to cheaper Von Lund wird si desit mit ”quotiens deest. paraphrasiert,8 was von ihm erläutert wird als: ”wenn zufällig keine Fibel zu finden ist, nimmt man aus der Schnelligkeit einen Dorn..9 Dabei wird die Angabe des Dorns als Ausdruck der Einfachheit (simplicitas)10 oder als ”übertreibende dichterische Reminiszens.11 aufgefasst. Es ist aber durchaus nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dieser Angabe um einen sozialen Unterschied handelt zwischen Oberschicht mit fibulae und Normalbevölkerung mit spinae,12 also um verschiedene expedients.. 13 Diese Interpretation wird auch durch das nachfolgende locupletissimi unterstützt. 14 Vgl. Baumstark 1875: 596: ”Was gewiss das Häufigere war, beim gemeinen Manne, das macht er zur Ausnahme, und den jedenfalls verhältnissmässig seltenen Fall einer … Spange macht er zum Gewöhnlichen.. 15 Vgl. M. Gebühr 1976: 54; L.B. Jørgensen 1977: 13. 16 Vgl. Much 1967: 262. 17 Erstaunlich ist das Fehlen eines gemeingerm. Wort zur Bezeichnung der Fibel (vgl. RGA 8: 411-412). 18 Vgl. allgemein zum Fibel RGA 8: 411-607. Zu Fibeln in den römischen Bilddarstellungen vgl. Krierer 2004: 153. 19 Much 1967: 263 ging sogar soweit, das einhellig bezeugte cetera (nur die Hss. hs lesen ceteri, was wohl durch Angleichung an das nachfolgende intecti zu erklären ist) in ceterum zu emendieren, da das überlieferte cetera ”leicht aus ceteru verlesen sein kann.. Dagegen spricht allerdings, dass einerseits eine Verlesung von u zu a kaum in Frage kommt (vgl. Robinson 1991: 54, wo nur ein Wechsel zwischen a und u angeführt wird, nicht zwischen a und u; man müsste somit von einer Entwicklung u > u > a ausgehen, insgesamt eine wenig plausible Annahme), andererseits mit cetera ausgekommen werden kann, so dass eine Emendation überflüssig ist. 20 So Lund 1988: 159. Vgl. zur adverbialen Verwendung von pluralischen Neutra einiger Adjektive (insbesondere von cetera) Kühner – Stegmann II,1: 286-287. 21 So etwa Baumstark 1875: 597; Müllenhoff 1900: 293; Gudeman 1916: 117; Schweizer-Sidler 1923: 43; Reeb 1933: 37; Anderson 1997: 106; wohl auch Rives 1999: 84: ”otherwise.. 22 Perl 1990: 181. 23 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 78. In der von Perl 1990: 181 angeführten Parallelstelle Tac. ann. 1,14,2: Besitzverhältnisse.13 Dabei macht Tacitus wohl den ungewöhnlicheren Fall der Fibel zum gewöhnlichen.14 Diese Auffassung wird auch durch die Grabfunde gestützt. Denn die Fibel war offenbar kein allgemeiner Bestandteil der germanischen Tracht, sofern es sich bei den Grabfunden nicht um eine durch einen unbekannten Grabritus vorliegende besondere Selektion der Fibeln handelt (etwa das Nicht-mit-in-das-Grab-Legen wegen der Kostbarkeit einer Fibel), da nur etwa zehn bis fünfundzwanzig Prozent der Gräber aus der Zeit des Tacitus Fibeln enthielten. Dass es hölzerne Fibeln, die wegen den ungünstigen Bedingungen natürlich kaum erhalten geblieben sein können,15 tatsächlich gab, zeigt der wikingerzeitliche Fund einer Holznadel in Haithabu. Das sagum wird an der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengeheftet, wie erstens aus antiken Abbildungen hervorgeht (vgl. etwa ein Relief des zweiten Jahrhunderts, das Marcus Aurelius und germanische Fürsten zeigt) und zweitens aus dem Fund eines Mantels aus Hunteburg, der Stopfstellen zeigt, die den Sitz der Fibel zeigen.16 Fibeln und Bügelnadeln waren in der Bronzezeit aufgekommen.17 Ihre Entwicklung im Laufe der Zeit zeichnet sich durch eine reichhaltige Formenvariation aus. Die im ersten Jahrhundert vorherrschende Form war aus dem jüngeren La-Tène-Typus entstanden.18 cetera intecti] Es ist umstritten, wie cetera aufzufassen sei.19 Zum einen wird es als Adverb (bzw. adverbialer Akkusativ) verstanden,20 zum anderen als ein Akkusativ der Beziehung.21 Demgegenüber will Perl cetera als ceterum im Sinne von sed auffassen.22 Jedoch scheint cetera im Sinne von sed nicht vorzukommen.23 Für die Auffassung als Adverb spricht ceterum anxius invidia ‚in Wahrheit aber war er [= Tiberius] krank vor Eifersucht‘ steht jedoch ceterum und nicht cetera. Aus ebendiesem Grunde ist auch seiner weiteren Interpretation der Stelle (S. 181: ”Es handelt sich um eine eingeschobene Anmerkung … mit einer Ausnahme von der allgemeingültigen Behauptung.) nicht beizupflichten. 24 Gudeman 1916: 117; vgl. auch Baumstark 1875: 596: ”das sagum bedeckte aber nur die Schultern und den Rücken ganz, die Brust einigermaassen.. 25 Vgl. Much 1967: 263. 26 Vgl. Baumstark 1875: 598; Sörbom 1935: 30. 27 Vgl. Lund 1988: 159. 28 Lund 1988: 159. Sein Hinweis auf c. 37,2: sescentesimum et quadragesimum annum urbs nostra agebat ‚unsere Stadt stand im sechshundertvierzigsten Jahr‘ ist jedoch nicht statthaft, da hier die Wendung anstelle von natus + Akk. steht (vgl. Kühner – Stegmann II,1: 284). 29 So auch die meisten Kommentatoren, vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 293: ”… ist accusativ der zeit, nicht object.; Gudeman 1916: 118; Schweizer-Sidler 1923: 43; Anderson 1997: 106. Zum Akk. der Zeit vgl. Kühner – Stegmann II,1: 284. die Tatsache, dass cetera in der Germania auch sonst adverbial vorkommt (vgl. c. 29,2: cetera similes Battavis ‚ansonsten gleichen sie den Batavern‘; 45,6: cetera similes uno differunt ‚ihnen sonst ähnlich‘), nicht aber als Akk. der Beziehung. Auch ist die Interpretation, dass ”das sagum den Oberkörper bedeckte.24 aus dem Text nicht herauszuholen. Wie groß das sagum ist, wird nämlich nicht gesagt. Auch wäre die Angabe, dass der Rest des Körpers unbekleidet wäre, überflüssig, da aus dem Nachfolgenden hervorgeht, dass nur ganz wenige überhaupt über weitere Kleidungsstücke verfügen.25 Das Adj. intectus steht der Variation halber statt nudus.26 Dazu kommt noch, dass intectus (= sine tegumine) etymologisch zu tegumen gehört.27 Die spärliche Bekleidung der Germanen wird auch von anderen antiken Schriftstellern erwähnt, vgl. etwa Caes. Gall. 4,1,10: atque in eam se consuetudinem adduxerunt, ut locis frigidissimis neque vestitus praeter pelles habeant quicquam, quarum propter exiguitatem magna est corporis pars aperta ‚obwohl die Gegend dort überaus kalt ist, haben sie [= die Sueben] sich angewöhnt nichts außer Fellen als Kleidung zu tragen. Da diese sehr kurz sind, bleibt der größte Teil des Körpers nackt‘; ebd. 6,21,5: magna corporis parte nuda ‚wobei der größte Teil des Körpers nackt bleibt‘; Sall. hist. frg. 3,104: Germani intectum rhenonibus corpus tegunt ‚die Germanen bedecken den ungeschützten Körper mit Pelzüberwürfen‘; Sen. dial. 1,4,15: intecta corpora ‚unbedeckt die Körper‘; ebd. 3,11,3: ut quibus magna ex parte non tegimenta corporum prouisa sint, non suffugia aduersus perpetuum caeli rigorem ‚da zum großen Teil nicht für Bekleidung des Körpers gesorgt ist, nicht für Schutz gegen die ständige Rauheit des Klimas‘. totos dies iuxta focum atque ignem agunt] Der Akkusativ totos dies wird von Lund als Akkusativ-Objekt aufgefasst.28 Es ist jedoch vielmehr ein Akkusativ der Zeit.29 Die Präposition iuxta, die erst seit Plinius der Ältere und Tacitus häufiger vorkommt, drückt die unmittelbare Nähe aus.30 30 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 526: ”neben, bei, an der Seite (d.h. ganz dicht neben).. 31 Anders Baumstark 1875: 598: ”ausser dem focus gab es natürlich auch im Hause der Germanen … noch andere Stellen, an denen das Feuer brannte. (vielleicht auch so Schweizer-Sidler 1923: 43: ”an Herd und Feuer.; Rives 1999: 84: ”next to the hearth and the fire.). Dagegen Much 1967: 264: ”Das altgermanische Haus hatte nur eine Feuerstelle. Nur an ein Feuer im Freien könnte man noch denken.. 32 Da es sich um eine gängige Verbindung handelt, ist die Bemerkung von Gudeman 1916: 118 nicht nachvollziehbar: ”doch scheint ignem auch wohl deshalb zu focum, das allein genügt hätte, hinzugefügt zu sein, um cetera intecti näher zu erläutern.. 33 Dass es hier nicht auf Qualitätsunterschiede ankommt, zeigt deutlich das nachfolgende non fluitante (vgl. Baumstark 1875: 592; Perl 1990: 181; Anderson 1997: 106). 34 Vgl. Baumstark 1875: 592; Much 1967: 264. Aus diesem Grund ist auch die Bemerkung von Schweizer-Sidler 1923: 44: ”die l. … heben sich ab durch ihre vestis (die, wenn auch in geringerer Qualität, auch Ärmere tragen können). nicht zutreffend. 35 Vgl. Gudeman 1916: 118; Schweizer-Sidler 1923: 44; Anderson 1997: 106. 36 Vgl. Anderson 1997: 106: ”Vestis means body-garments as opposed to sagum.. focum atque ignem ist als Hendiadyoin aufzufassen.31 Beide Wörter sind ebenfalls verbunden bei Cic. leg. 2,20: ignem foci ‚das … Feuer des … Herdes‘; Verg. georg. 3,378: focis … ignique ‚zum Herde … das Feuer‘; Ov. fast. 2,564: stentque sine igne foci ‚Feuer brenn’ nicht auf dem Herd‘.32 locupletissimi veste distinguntur] Die locupletissimi unterscheiden sich von den anderen durch das Tragen einer vestis,33 was heißt, dass nur wenige Germanen über ein solches Kleidungsstück verfügen.34 Stilistisch liegt eine Reihung vor: omnibus – sagum : locupletissimi – veste. Der Superlativ locupletissimi ist verwendet, da die Reichen schon in dem Wort omnes miteingeschlossen sind.35 Da das Wort vestis dem sagum entgegengestellt ist, ist vestis wohl als Unterbekleidung,36 also als vestis interior aufzufassen. Tacitus sagt nicht direkt, was unter der vestis zu verstehen ist, sondern gibt eine nachfolgende Umschreibung. non fluitante sicut Sarmatae ac Parthi, sed stricta et singulos artus exprimente] Was unter der vestis verstanden wird, wird durch einen Vergleich ausgesagt. Es handelt sich um ein Kleidungsstück, das sich auch bei den Sarmaten und Parthern findet, jedoch abweichend eng anliegt. Die Kleidung der Germanen, Sarmaten und Parther weicht also generell von der der Römer ab, während die der Germanen im Detail von der der Sarmaten und Parther verschieden ist. Über die den Sarmaten und Parthern eigene Kleidung finden sich bei den antiken Schriftstellern folgende Aussagen: Lucan. 1,430-431: et qui te laxis imitantur, Sarmata, bracis, / Vangiones … ‚die Vangionen, die mit ihren weiten Hosen die Sarmaten nachahmen‘; Ovid. trist. 5,7,49: pellibus et laxis arcent mala frigora bracis ‚Felle und bauschige Hosen gewähren Schutz vor den Frösten‘; Iust. 41,2,4: vestis olim sui moris, posteaquam accessere opes, ut Medis perlucida et fluida ‚einst hatten sie Kleidung nach ihrer Gewohnheit, aber nachdem sie Reichtum erhalten hatten, durchsichtig und wallend, wie bei den Medern‘; Isid. orig. 19,23,1: sunt fluxa ac sinuosa vestimenta ‚es sind wallende und faltenreiche Kleidungsstücke‘. Es handelt sich also um die gesamte Unterbekleidung, die auch die Hosen mit einschließt.37 Da die ganze Unterbekleidung hier eingeschlossen ist, ist auch das Wort für ‚Hose‘, braca, nicht genannt.38 Für das obere Kleidungsstück kennt das Germanische folgende Wörter: 37 Zu eng gefasst ist die Interpretation bei Lund 1988: 160: ”Mit einer ad hoc-Periphrase nennt Tacitus das für die Barbaren eigene Kleidungsstück, bracae.. Vgl. Baumstark 1875: 592: ”dass also diese vestis die Hosen einschloss.; Müllenhoff 1900: 294: ”Tacitus muss … die ganze körperbekleidung der Germanen im sinne gehabt haben … er muss also eine art kurzer hose … mit in die vestis einbegreifen.; Schweizer-Sidler 1923: 44; Reeb 1933: 38; Much 1967: 264, 265; Perl 1990: 181; Anderson 1997: 106; Rives 1999: 197: ”he no doubt had in mind her both trousers and long-sleeved tunics.. 38 So auch Perl 1990: 181: ”Jedenfalls hebt Tacitus einen allgemeinen Unterschied zur römischen Kleidung hervor, ohne nähere Angaben über die einzelnen Kleidungsstücke zu machen, und zieht dem bekannten Fremdwort bracae eine umständliche Umschreibung vor.; also nicht, wie Lund 1988: 160 meint, ”weil es [= braca] wie sein Derivat, bracatus, bei den Römern, die selbst in die toga gekleidet waren, eine negative Konnotation enthielt.; ähnlich auch Gudeman 1916: 118: ”T. scheute sich wohl hier, das seltene, barbarische Fremdwort, braca … anzuwenden und umschrieb daher den Begriff., was abwegig ist, da Tacitus zum einen die Fremdwörter framea und glesum verwendet, zum anderen braca in hist. 2,20,1 benutzt: bracas, barbarum tegumen ‚Hosen, diesem barbarischen Gewand‘. 39 Vgl. Casaretto 2004: 111. 40 Vgl. Casaretto 2004: 478. a. got. paida, ahd. pfait, pfeit, as. peda, ae. pad < urgerm. *pa.do- ‚Rock, Hemd‘; urgerm. *pa.do- ist ebenso wie gr. ßa.t. einer unbekannten Sprache entnommen;39 b. got. wasti, ae. wæst- (in wæstling ‚Laken‘) < urgerm. *.asti.o- ‚Kleid‘, eine Ableitung zu urgerm. *.az.e/a- ‚kleiden‘ (> got. wasjan, ahd. werren, ae. werian, aisl. veria).40 Das lat. Wort bracae (vgl. Caper Flavius: bracas, non braces ‚es heißt bracas, nicht braces‘) ‚Hose‘ stellt ein Lehnwort aus dem Gallischen dar. Deshalb wird die Sache selbst auch vielfach den Kelten zugesprochen, vgl. Lucil. fragm. 410-411: cónventús pulchér: bracaé, saga fúlgere, tórques / †datis† magní ‚eine prächtige Versammlung: ein flimmerndes Leuchten von Pluderhosen, Kriegsmänteln und großen … Halsketten‘; Diod. 5,30,1: ..a..p...., .. ..e.... ßp..a. pp..a..pe...... ‚Hosen, die sie in ihrer Sprache «brakai» heißen‘; Pol. 2,28,7: .. µ.. ... .....µßpe. .a. ..... t.. ..a..p.da. ....te. ‚die Insubrer und Boior trugen Hosen‘; ds. 2,30,1: t... µ.. .p... t.. .e.t.. p..... e..p..t.a. .. .a... µet. t.. ..a..p.d.. pape.... ‚leisteten zwar den weiter hinten stehenden Kelten die Mäntel und Hosen gute Dienste‘; Strab. Geogr. 4,4,3 p. 196C: ..a..p... .p..ta. pep.peptaµ..a.. ‚sie … ziehen sich beinumhüllende Hosen an‘; Plin. nat. 3,31: Braccata antea dicta ‚ wurde früher ”Hosenland. genannt‘; Mela 2,74: fuit aliquando Bracata nunc Narbonensis ‚es hieß einst Bracata, jetzt Narbonensis‘.41 Die kelt. Entlehnungsgrundlage stammt jedoch seinerseits schon aus urgerm. *brok- ‚Hose‘ (> ahd. bruoh, as. brok, ae. broc, afries. brok, aisl. brók).42 Das Adj. fluitans findet sich, auf ein Kleidungsstück bezogen, ebenfalls bei Catull. 64,68-69: neque tum fluitantis amictus / … curans ‚sie kümmerte sich jetzt nicht um ihren fließenden Mantel‘; ahnlich auch Iust. 41,2,4: vestis … perlucida ac fluida ‚ein Kleidungsstück … durchsichtig und wallend‘. Der Gegensatz zu fluitans ist strictus. Zu dieser Angabe stimmen Aussagen aus späterer Zeit, vgl. Sidon. epist. 4,20,2: vestis … stricta ‚ein enganliegendes Kleid‘; Hier. epist. 64: lineas, quas camisas vocant, sic aptas membris adstrictas corporibus ‚Leinenkleidung, die sie camisae nennen, so passend angelegt an die Körpergliedmaßen‘. 41 Auffällig ist, dass Caesar dieses gallische Kleidungsstück nicht nennt. 42 Vgl. EWA II: 390-394. Dort auch zur weiteren Etymologie. 43 Vgl. Gudeman 1916: 118. 44 Baumstark 1875: 600. 45 Vgl. allgemein Much 1967: 266-267; RGA 15: 135-137; Todd 2000: 125. 46 Vgl. Perl 1990: 182. 47 Vgl. Müllenhoff 1900: 295. 48 Anders Baumstark 1875: 593: ”Ich glaube ebenfalls, dass mit den Worten gerunt et ferarum pelles etc. die Beschreibung einer vestis gegeben ist, dass also das omnibus sagum auch denen ein sagum zuschreibt, welche eine vestis pellina hatten.. Die manchmal anzutreffende Auffassung, dass Tierfelle im Winter getragen werden (so Gudeman 1916: 118; wohl auch anklingend bei Perl 1990: 182), mag vielleicht richtig sein, steht aber nicht im Text (vgl. Baumstark 1875: 593: ”Wo steht bei gerunt etc. etwas vom Winter, wo bei den Zu strictus ist das nachfolgende singulos artus exprimente eine nähere Erläuterung,43 so dass das ”eine Wort fluitante … also als Gegensatz zwei Ausdrücke. hat.44 Auch in den archäologischen Funden finden sich Hosen wieder, obwohl sich bei den Moorleichen die Funde auf Nordwestdeutschland beschränken. Die Funde bestätigen die Aussage des Tacitus, dass die Hosen eng anliegend waren.45 gerunt et ferarum pelles] Zu gerunt (gerere im Sinne von ‚Kleidung tragen‘ scheint dichterisch zu sein, vgl. Ov. met. 11,575-576: vestes, iam quas … / ipsa gerat ‚das Kleid, das sie selbst soll schmücken‘) ist als Subjekt nicht locupletissimi, sondern Germani (bzw. omnes) zu ergänzen. Dies wird zum einen durch et nahegelegt, das auf sagum zurückweist,46 zum anderen durch das nachfolgende proximi und ulteriores.47 Statt des sagum tragen die Germanen somit auch Tierfelle.48 Nach Lund handelt es sich bei dieser Aussage um ein Vorurteil: ”Es war nämlich ein unter den Römern verbreitetes Anfangsworten etwas vom Sommer?.); vgl. auch Mela 1,41 (über einen afrikanischen Stamm): promores sagis velantur, vulgus bestiarum pecudumque pellibus ‚die Vornehmeren hüllen sich in kurze Umhänge, das gemeine Volk in die Fell von wilden Tieren oder von Vieh‘. 49 Lund 1988: 160. 50 Vgl. Schweizer-Sidler 1923: 44; Perl 1990: 182: ”Pelze waren also weniger verbreitet.. 51 Zur Etymologie vgl. Walde – Hofmann, s.v. 52 Vgl. die Angaben bei Müllenhoff 1900: 295. 53 Lund 1988: 160. Vorurteil, daß besonders die Barbaren des hohen Nordens Pelzwerk statt wollener Kleidung trugen..49 In der Tat stammen die archäologischen Funde von Tierfellen in der Regel aus dem Norden Germaniens. Dass Tierfelle nicht allgemein verbreitet sind, wird jedoch durch das et angezeigt, so dass kaum ein Topos vorliegt.50 Hiermit korrigiert Tacitus die Aussagen von Caes. Gall. 4,1,10: neque vestitus praeter pelles habeant quicquam ‚und nichts außer Fellen als Kleidung zu tragen‘; ebd. 6,21,5: et pellibus aut parvis renonum tegimentis utuntur ‚und tragen nur Felle oder dürftige Pelzüberwürfe‘; Sall. hist. frg. 3,104: Germani intectum renonibus corpus tegunt ‚die Germanen bedecken den ungeschützten Körper mit Pelzüberwürfen‘. Tacitus vermeidet hier den kelt.-lat. Fachausdruck reno (vgl. Varro, l.l. 5,167: sagum, reno Gallica ‚sagum und reno aus dem Keltischen‘),51 der etwa verwendet wird von Sall. hist. frg. 3,105 (= Serv. georg. 3,383): nam … vestes de pellibus renones vocantur ‚den Kleidungstücke aus Fell werden renones genannt‘; Isid. orig. 19,23,4: renones sunt velamina humerorum et pectoris usque ad umbilicum atque intortis villis adeo hispida, ut imbrem respuant ‚renones sind Gewänder für die Schultern und die Brust bis zur Nabel und durch die gedrehten Haare sosehr struppig, dass sie den Regen abweisen‘. Auch aus späterer Zeit wird das Tragen von Tierfellen berichtet; vgl. u.a. Sidon. epist. 1,2,4: pellitorum turba … ne absit ‚die Menge der Fellträger ist anwesend‘. proximi ripae neglegenter, ulteriores exquisitius, ut quibus nullus per commercia cultus, eligunt feras] Üblicherweise wird die ganze Stelle folgendermaßen interpungiert: gerunt et ferarum pelles, proximi ripae neglegenter, ulteriores exquisitius, ut quibus nullus per commercia cultus. eligunt feras … Gegen diese Textfassung gab es gelegentlich Kritik.52 In neuerer Zeit hat sich Lund hiergegen gewandt: ”Trotzdem hat man bei genauerem Hinsehen den Eindruck, daß die Stelle nicht heil sein kann, denn die Adv. neglegenter )( exquisitius lassen sich … semantisch betrachtet nicht mit dem Verbum gerere verknüpfen, obwohl die früheren Herausgeber dies vorauszusetzen scheinen..53 Daher schlägt er vor, ”die Stelle folgendermaßen zu restituieren: gerunt et ferarum pelles. proximi ripae neglegenter, ulteriores exquisitius … oder aber ein ähnliches Verbum in Gedanken zu ergänzen..54 In der Tat lassen sich zum einen die Adj. neglegenter und exquisitius kaum an gerunt anknüpfen. Dies tun denn auch die meisten Übersetzungen ebenfalls nicht, sondern sie fügen eligunt des nächsten Satzes in den vorhergehenden Satz ein.55 Außerdem steht eligunt feras etwas sinnlos am Satzanfang, da es syntaktisch nur auf exquisitius bezogen werden kann. Die Lösung dieses Problems wird durch die Interpunktion etwa der Hs. E gegeben: Gerunt & fera|rum pelles : proximi ripe neglige|ter: ulteriores exquistius ut .bs | nullus per comertia cultus eliguNT | feras.56 Mit proximi ripae fängt somit ein neuer Satzteil an, so dass neglegenter und exquisitius sich nicht auf gerunt beziehen; sie können vielmehr von eligunt abhängen. Eine solche Interpunktion hat auch Lund vorgeschlagen.57 Seinen weiteren Ausführungen kann jedoch kaum beigepflichtet werden. Für eine Ergänzung mit habent gibt es nämlich zum einen von der hss. Überlieferung aus keinen Anlass, zum anderen ist ein Bezug von sowohl neglegenter wie exquisitius auf eligunt problemlos,58 da neglegenter das Gegenteil zu exquisitius ist.59 54 Lund 1988: 160. 55 Vgl. etwa Mauersberger 1978: 59: ”ohne auf die Auswahl besonderen Wert zu legen, … mit sorgsamerer Wahl … Diese Stämme suchen die Tiere sorgfältig aus.. Man vgl. auch Baumstark 1875: 604: ”Das exquisitius bekommt seine Erklärung durch den Satz eligunt etc..; Anderson 1997: 107: ”The explanation of the latter adverb by eligunt ….. Die Stelle könnte beibehalten werden, wenn man zusätzlich von der Hauptbedeutung von gerere ‚ausführen, betreiben, vollführen‘, und zwar genauer ‚machen, dass eine Handlung vor sich geht‘ ausgeht, wozu die beiden Adverbien passen würden (so Anderson 1997: 107: ”The explanation of the latter adverb [= exquisitius] by eligunt, etc. shows that both refer not to the manner of wearing the skins but to the preparation of them for wear – an idea involved in gerunt.). Da Tacitus aber sonst in der Germania niemals mit zwei Bedeutungen eines Verbums spielt, muss diese Möglichkeit hier abgelehnt werden. 56 Vgl. Till 1943: 69v. 57 Lund 1988: 160. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Restitution, sondern um den hss. Befund. 58 Warum zwei Adverbien nicht vom gleichen Verb abhängig sein können (so Lund 1988: 160: ”Durch diese Interpunktion wird das Problem jedoch nicht gelöst, denn beiden Adverbien beziehen sich noch immer auf dasselbe Verb.), ist mir unklar. 59 Baumstark 1875: 604: ”Exquisite ist hier so treffend wie unser ‚ausgesucht‘, und daraus geht hervor, dass neglegenter, das Gegentheil, unser ‚nachlässig‘ und ‚gleichgültig‘ bedeutet … Das exquisitius bekommt seine Erklärung durch den Satz eligunt etc. wo das nachdrückliche eligere …, Gegentheil des neglegere (neglegenter), das Bestreben nach Hübschem und Putzhaftem bezeichnet.. 60 Baumstark 1875: 604; Müllenhoff 1900: 295; Much 1967: 268; Perl 1990: 97; Anderson 1997: 107. 61 Anders, nämlich nur auf das Rheinufer bezogen, jedoch ohne hinreichende Gründe etwa Lund 1988: 160: ”qui proximi Rheno flumini vivunt.; ebenso Gudeman 1916: 118-119; Reeb 1933: 38; unklar Schweizer-Sidler 1923: 44: ”hier besonders Rheingrenze.. Mit den proximi ripae sind sowohl die Anwohner am Rhein als auch die an der Donau gemeint,60 wie ebenfalls in c. 23 (proximi ripae ‚die dem Ufer Nächsten‘).61 ripa steht hier stellvertretend für die Grenze des Römischen Reiches, wie sie in c. 1,1 geschildert ist (vgl. hierzu auch etwa Tac. Agr. 28,3: et in nostram usque ripam ‚auch bis zu unserem Rheinufer‘; ebd. 41,2: de limite imperii et ripa ‚Grenzwall und Grenzfluß‘; ds. hist. 2,57,1: cura ripae ‚das Kommando über das Rhein-Ufer‘; ebd. 4,64,3: utramque ripam ‚beide Ufer‘; Plin. paneg. 82,4: Romana … ripa ‚das im Besitz der Römer befindliche römische Ufer‘ [Quellen 3, 168-169]). Eine Unterscheidung in den Gewohnheiten zwischen den Uferanwohnern und den im Binnenland wohnenden Germanen kommt hier wie auch in c. 5,3 zum Ausdruck: quamquam proximi ob usum commerciorum aurum et argentum in pretio habent formasque quasdam nostrae pecuniae agnoscunt atque eligunt. interiores simplicius et antiquius permutatione mercium utuntur ‚obschon die uns am nächsten Wohnenden Gold und Silber infolge des Handelsverkehrs wertschätzen und bestimmte unserer Münzprägungen hauptsächlich gelten lassen. Die weiter im Landesinnern Wohnenden bedienen sich des einfacheren und altertümlicheren Warentausches‘ und c. 23,1: proximi ripae et vinum mercantur ‚die dem Ufer Nächsten kaufen sich auch Wein‘. Anstelle von interiores in c. 5,3 wird hier das Wort ulteriores gebraucht. Zum begründenden Nebensatz, der sich auf die ulteriores bezieht und mit ut qui eingeleitet wird, ist est, nicht sit, zu ergänzen, wie aus c. 22,1: ut apud quos plurimum hiems occupat ‚da es bei ihnen meist kalt ist‘ hervorgeht (zu ut qui mit Indikativ vgl. c. 22,1: ut apud quos plurimum hiems occupat ‚da es bei ihnen meist kalt ist‘).62 Zur Behauptung, dass nur die an der Grenze lebenden Germanen Handel treiben, vgl. c. 5,3 und c. 23,1 (s.o.). 62 Unentschieden, ob sit oder est zu ergänzen sei Gudeman 1916: 119. 63 Much 1968: 268. 64 So u.a. Gudeman 1916: 119; Anderson 1997: 107. 65 Lund 1988: 160; so auch bereits Gudeman 1916: 119, jedoch nach ihm ”statt velamenta oder pelles.. Die Behauptung von Much, dass es ”wohl die Meinung des Tac. gewesen sein , daß die von der Reichsgrenze Entfernteren überhaupt mehr Pelze trugen.,63 wird durch den Text nicht gedeckt, da es nur einen Unterschied bei der Auswahl der Felle gibt. Das Subjekt von eligunt ist sowohl proxomi ripae (proximi ripae neglegenter eligunt) und ulteriores (ulteriores exquisitius eligunt), nicht nur ulteriores, wie allgemein angenommen wird.64 detracta velamina] Zu detracta velamina ist feris zu ergänzen. Nach Lund hat velamen ”eine poetische Färbung. und steht ”statt des üblichen Wortes vellus..65 Da velamen aber auch z.B. bei Seneca und vellus bei Dichtern (etwa bei Vergil, Horaz und Ovid) vorkommt, ist eine solche Unterscheidung nicht wahrscheinlich zu machen. Das Wort velamen ist aber durchaus mit Bedacht gewählt, da es neben ‚Fell‘ auch die daraus gemachte Kleidung bezeichnet.66 spargunt maculis pellibusque beluarum] Das Subjekt zu spargunt sind die ulteriores, denn ab detracta velamina wird eine Erklärung des exquisitius geboten. Zum Verb spargere im Sinne von distinguere vgl. etwa Verg. ecl. 2,41: sparsis etiam nunc pellibus albo ‚weiß ist bis jetzt noch ihr Fell übersprenkelt‘, ds. Aen. 7,191: sparsitque coloribus alas ‚besprengte [= Kirke] mit Farben bunt sein Gefieder‘. 66 Vgl. Müllenhoff 1900: 297; Anderson 1997: 107: ”the word velamina is used with a proleptic reference to the clothing made from them.. 67 Anders Baumstark 1875: 606: ”Wenn ich ein .. d.. d.... statuirte (was ich jedoch nicht thue), so wäre es … ‚gefleckte Pelze‘.. 68 So u.a. Müllenhoff 1900: 298; Schweizer-Sidler 1923: 45; Gudeman 1916: 119; Much 1967: 268; Anderson 1997: 107. 69 Nach Perl 1990: 182 erhöht die ”Bekleidung mit Pelzen unbekannter Tiere … den schrecklichen Anblick.. Diese Behauptung ist aber nicht aus dem Text heraus verifizierbar (anders Tac. hist. 2,88,3: tergis ferarum et ingentibus telis horrentes ‚in struppigen Tierfellen und mit ungeheuren, emporstarrenden Waffen‘), da die Verzierung nach den Worten des Tacitus nicht der Abschreckung, sondern der Verschönerung dient. Wenig weiterführend auch Lund 1988: 160: ”Wie die wilden Germanen hochgewachsen sind, so sind auch die wilden Tiere groß.. 70 Vgl. ThLL II: 1860,36-37: ”generatim de quovis animante bruto, tum speciatim de bestiis immanibus vastisque.. 71 Vgl. auch ThLL II: 1861,75: ”saepe de aquatilibus (orca, ballaena, delphino, al.).. 72 Nach Gudeman 1916: 119: ”Seehunde, Biber, Zobel, Fischotter.. Ob auch Pelztiere aus Skandinavien hier mitgemeint sind (so Müllenhoff 1900: 298; Much 1967: 272; Perl 1990: 182), da nach c. 44,2: Suionum hinc civitates, ipsae in Oceanum ‚die darauf folgenden, schon in den Ozean hinein vorgeschobenen Stammesgemeinschaften der Suionen‘, bleibt offen. 73 Vgl. Much 1967: 271. 74 Nach Müllenhoff 1900: maculis pellibusque ist ein Hendiadyoin.67 Es steht anstelle von macula pellium zur Vermeidung der Genitivfolge pellium beluarum.68 Da unter beluae69 in der Hauptsache große, schwerfällige Tiere verstanden werden,70 sind damit keine Fische gemeint (zumal sie keine pelles haben),71 sondern eher Tiere wie Seehunde.72 Jedoch sind im archäologischen Material keine Verzierungen mit Fellstücken von Seehunden bezeugt. Demgegenüber sind Besätze aus Biberpelz gefunden.73 quas exterior Oceanus atque ignotum mare gignit] Wie aus dem Singular gignit hervorgeht, sind exterior Oceanus und ignotum mare identisch.74 Es handelt sich um dasselbe Meer wie in c. 2,1: inmensus ultra, utque sic dixerim, adversus Oceanus raris ab orbe nostro navibus aditur ‚der sich ins Unermessliche verlierende jenseitige und, wenn ich so sagen darf, widersetzliche Ozean selten von Schiffen aus unserer Weltgegend befahren wird‘. Zum Ozean als exterior mare vgl. auch Lucan. 10,36-37: Oceano classes inferre parabat / exteriore mari ‚er [= Pompeius] traf Vorbereitungen, eine Flotte über den Ozean, das äußere Meer zu senden‘, dazu, dass der Ozean unerforscht ist, vgl. c. 34,2: sed obstitit Oceanus in se simul atque in Herculem inquiri ‚aber der Ozean verlegte den Nachforschungen sowohl nach ihm selbst wie nach Herkules den Weg‘. Nach Müllenhoff ”meint Tacitus die fernen länder und inseln im ocean und im unbekannten nordmeer, nicht die meere selbst., so dass hier ”die erste spur des nordischen pelzhandels. vorläge.75 Diese Auffassung lässt sich jedoch aus dem Text nicht rechtfertigen.76 75 Müllenhoff 1900: 298; Schweizer-Sidler 1923: 45; Much 1967: 272; Anderson 1997: 107. 76 Vgl. Baumstark 1875: 604; Gudeman 1916: 119. 77 So auch Baumstark 1875: 589. 78 So u.a. Müllenhoff 1900: 298; Schweizer-Sidler 1923: 45. 79 Aus dem Text lässt sich die Behauptung von Müllenhoff 1900: 298 nicht verifizieren: ”Tacitus muss daher einen gewissen unterschied als selbstverständlich angesehen haben.. 80 Vgl. Lund 1988: 161; Perl 1990: 182; Rives 1999: 199. 2 nec alius feminis quam viris habitus] Dieser Satzteil bezieht sich auf die drei vorher genannten Kleidungsarten der Männer (sagum, vestis, pelles),77 nicht etwa auf den Stoff der Kleidung.78 Die (nicht zutreffende) Behauptung, dass die germanischen Männer und Frauen ungefähr die gleiche Kleidung tragen,79 hat wohl ihre Ursache zum einen darin, dass Tacitus im Allgemeinen die germanischen Männer und Frauen als in etwa gleich beschreibt (vgl. c. 4: unde habitus quoque corporum … idem omnibus ‚daher sei auch bei allen die äußere Erscheinung ihrer Körper … die nämliche‘; c. 19,1: litterarum secreta viri pariter ac feminae ignorant ‚heimliche Briefe sind Männern wie Frauen gleichermaßen unbekannt‘; c. 20,2: eadem iuventa, similis proceritas ‚ihnen eignet die nämliche Jugendfülle, der nämlich hohe Wuchs‘). Zum anderen vergleicht er hier möglicherweise die germanischen mit den altrömischen Verhältnissen, wo Männer und Frauen gleichermaßen die Toga trugen (vgl. Non. p. 867,33: togam non solum viri, sed etiam feminae utebantur ‚nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen trugen die Toga‘; Varr. vit. pop. Rom. 1 [= Non. p. 867,33]: ante enim olim fuit commune vestimentum et diurnum et nocturnum et muliebre et virile ‚früher nämlich war die Toga ein Kleidungsstück für sowohl Tag und Nacht wie auch für Frauen und Männer‘).80 Die antiken Bilder stellen die Germaninnen in Kleidern dar. Auch wurden in den archäologischen Quellen keine Hosen bei Frauenleichen gefunden. Dagegen bekleideten sich sowohl Männer wie Frauen mit Pelzstücken. Frauen trugen nach dem archäologischen Befund auch Faltenröcke in verschiedener Länge aus Wollstoff.81 81 Vgl. Todd 2000: 124-125; RGA 16: 608. 82 Baumstark 1875: 607-608. Als ‚häufiger als die Männer‘ wird saepius u.a. aufgefasst von Lund 1990: 161. In absoluter Bedeutung dagegen u.a. von Müllenhoff 1900: 299; Gudeman 1916: 119; Schweizer-Sidler 1923: 45 (jedoch kaum zutreffend: ”das Wort gehört nur zu quod – variant.; Reeb 1933: 38; Much 1967: 276; Anderson 1997: 107. 83 Vgl. Anderson 1997: 107-108: ”amictibus, distinguished from vestitus, as the sagum from the vestis in the case of men.. 84 So etwa Müllenhoff 1900: 298. Noch weitreichender Gudeman 1916: 119: ”denn die Männer trugen ja überhaupt keine Leinenkleider.. Nicht zutreffend Lund 1988: 161: ”weil es oben schon heißt, daß alle Germanen ein (leinenes) sagum … tragen.. 85 Nach Lund 1988: 161 werden ”in diesem Kap. der Variation halber folgende Synonyme verwendet: tegumen, vestis, habitus, cultus, amictus, vestitus.. 86 Baumstark 1875: 606. 87 Zu sicher Lund 1988: 161: ”und die Wohlhabenden außerdem noch eine (leinene) Kleidung tragen.. 88 Die aisl. Kenning líneik ‚Eiche des Linnen‘ für die Frau ist natürlich nicht unmittelbar hierher zu stellen. nisi quod feminae saepius lineis amictibus velantur] Die Erklärung des Komparativs saepius ist umstritten: ”dass saepius zweierlei wenigstens heissen kann, ist ebenfalls klar, nämlich 1) häufiger, als die Männer und 2) häufiger in Bezug auf sie selbst..82 Keine der Möglichkeiten kann ausgeschlossen werden. Falls es zutreffend ist, dass amictus nur zu sagum parallel steht,83 wäre die erste Deutungsmöglichkeit ausgeschlossen, da das sagum nicht aus Leinen war.84 Falls jedoch unter amictus mehr zu verstehen ist,85 nämlich ”mindestens ebenso gut das Leibkleid der Frauen.,86 ist die erste Möglichkeit nicht sicher auszuschließen, da aus dem Text nicht hervorgeht, ob das vestis wenigstens teilweise aus Leinen war.87 Über Kleidung aus Leinen berichtet ebenfalls Plin. nat. 19,8: immo vero Galliae universae vela texunt, iam quidem et transrhenani hostes nec pulchriorem aliam vestem eorum feminae novere ‚nein vielmehr alle Gallier weben Segel, sogar schon unsere jenseits des Rheins siedelnden Feinde, und ihre Frauen dort kennen keine schöneren Kleider ‘. Einen Mantel tragen auch die kimbrischen wahrsagenden Frauen; vgl. Strab. Geogr. 7,2,3 p. 294C: .appa...a. .fapt.da. .p.pep.pµ.µ..a. ‚die … einen mit Spangen gehefteten Mantel … trugen‘.88 Kleidung aus Leinen ist in den archäologischen Quellen nur spärlich vertreten, wahrscheinlich deshalb, weil sie in Mooren nicht konserviert wurde. Auch die pflanzenkundlichen Untersuchungen zeigen, dass der Anbau von Lein mehrheitlich zur Gewinnung von Ölfrüchten diente; ebenso wie die in Feddersen Wierde untersuchten Flachsfasern zu kurz und zu brüchig zum Spinnen waren. In Norddeutschland und Dänemark spielte Leinen in der Kleidung somit offenbar kaum eine Rolle. Ob im ostgermanischen Raum oder bei den Grenzstämmen im Westen die Situation ähnlich war, ist nicht klar.89 eosque pupura variant] Lat. purpura bezeichnet normalerweise die Farbe, die von der Purpurschnecke gewonnen wird. Da solche Schnecken jedoch in Germanien nicht vorkamen, kann purpura nicht diese Farbe meinen. Es handelt sich vielmehr (in einer interpretatio romana) bloß um eine (purpur)rote Farbe. 89 Vgl. Much 1967: 277-278; Todd 2000: 124; RGA 12: 41-42. 90 So auch die meisten Kommentatoren, etwa Müllenhoff 1900: 299; Gudeman 1916: 119; Schweizer-Sidler 1923: 45: ”hier vom Aufnähen gefärbter… Streifen … (kaum von bunten Einschlagfäden).; Reeb 1933: 38; Much 1967: 278; Anderson 1997: 108. 91 Ob es sich bei den sagula versicoloria der Männer demgegenüber um ”schon beim Weben hergestellte bunte Muster. (Much 1967: 278) handelt, ist kaum zu sichern. 92 Vgl. Hald 1980: 127-138; Walton 1988: 153-154. 93 Vgl. Jankuhn 1976: 103. 94 Vgl. Kluge – Seebold 2002: 969. Was das Verb variare im Sinne von ‚bunt machen, färben‘ hier genau ausdrücken soll, bleibt unklar. Es kann entweder im Sinne von ‚mit etwas schmücken/besetzen‘ (vgl. etwa Prop. 1,15,7: nec minus Eois pectus variare lapillis ‚den Busen dir noch mit den Steinen des Ostens zu zieren‘) oder von ‚mit einer anderen Farbe sticken‘ (vgl. etwa Catull. 64,50: haec vestis priscis hominum variata figuris ‚diese Decke, durchwebt mit vergangener Zeiten Gestalten‘) verwendet werden. Wahrscheinlich ist das Aufnähen eines bunten Stoffteils gemeint,90 so wie auch aus späterer Zeit belegt ist, vgl. Prisk. exc. de. leg. 140: ....a. .p.µa.. d.ep........ .p.ß......µ..a. pp.. ...µ.. ....µ.t.. ßapßap.... ‚sie machten die Kleider mit farbigen draufgesetzten Flicken bunt zum Schmuck der barbarischen Kleidung‘; Paul. 4,22: vestimenta eis erant laxa et maxime linea, qualia Anglisaxones habere solent, hornata institis latioribus, vario colore contextis ‚ihre Kleidung war weit und meist aus Leinen, wie sie die Angelsachsen tragen, zum Schmuck mit breiten Streifen von anderer Farbe verbrämt‘.91 Bei dem roten Farbstoff handelt es sich wohl um die Pflanze galium boreale, dessen Bezeichnung bereits urgerm. ist: *madaro- (> mhd. matere, metere, ae. mædere, mæddre, aisl. maðra). Das Färben mit einer roten Farbe ist in der älteren römischen Kaiserzeit jedoch archäologisch nicht nachgewiesen, wohl aber das Färben mit blauer Farbe.92 Ebenso fand sich in Ginderup (Jütland) ein Gefäß mit Früchten des Färberwaids (isatis tinctoria), welche für das Blaufärben verwendet wurden;93 das Alter dieser Pflanze wird auch durch die Benennung bestätigt: urgerm. *.a.zda- > ahd. weit, mnddt. wet, mndl. weet, weede, ae. wad.94 Pflanzliche Farbstoffe bezeugt Plin. nat. 16,77 für die Gallier: item vaccinia Italiae in aucupiis sata, Galliae vero etiam purpurae tinguendae causa ad servitiorum vestes ‚ebenso die Heidelbeere, die man in Italien zum Vogelfang pflanzt, in Gallien aber, um Kleider der Sklaven purpurrot zu färben‘; ebd. 21,170: Hyacinthus in Gallia maxime provenit. hoc ibi fuco hysginum tingunt ‚die Hyazinthe gedeiht ganz besonders in Gallien. Mit ihrem Farbstoff färbt man dort karmesinrot‘. partemque vestitus superioris] Obwohl die Lesart partemque vestitus superioris in allen Hss. einheitlich überliefert ist,95 wird gelegentlich Zweifel an ihr geäußert. Lieber würde man anstelle von superioris superiorem lesen (wie es bereits Voss konjiziert hatte96); vgl. etwa Lund: ”Diese Konjektur wird indessen von allen Herausgebern … abgelehnt. Vielleicht jedoch zu Unrecht, denn die Nominaljunktur pars superior macht … eine feste Verbindung, eine feste Periphrase aus, um den Oberteil irgendeines Dinges zu bezeichnen..97 Zu dieser Auffassung kam man auch deshalb, weil angenommen wurde, dass ”vestitus … hier deutlich das unterkleid , dem amictus so entgegengesetzt wie vorher die vestis dem tegumen oder sagum..98 Jedoch ist dies wohl nicht zutreffend. Vielmehr stehen amictus und vestitus der Variation halber,99 da ansonsten auch der amictus ärmellos gewesen wäre.100 95 Lediglich die Hs. r bietet anstelle von vestitus die Lesart vestis (vgl. Annibaldi 1910: 54). 96 Voss 1866-1867: 112. 97 Lund 1988: 161; vgl. auch Much 1967: 279: ”Das ist eigentlich sinnlos … Voss … liest deshalb superiorem an Stelle von superioris und trifft damit zweifellos den Sinn dessen, was Tac. uns sagen wollte.. Hierauf bezieht sich wohl auch die Bemerkung bei Schweizer-Sidler 1923: 45: ”partemque – extendunt ist nicht geschickt gesagt.. 98 Müllenhoff 1900: 300; so auch etwa Anderson 1997: 107-108. Wohl ebenso Much 1967: 279: ”Das ist eigentlich sinnlos. Denn man kann wohl von einer vestis superior, nicht aber von einem vestitus superior sprechen.. Vgl. bereits Baumstark 1875: 589: ”Dann dürfte auch gefragt werden, ob den vestitus superior ohne weiteres die Kleidung des Oberkörpers ist, und nicht auch die Oberkleidung bedeuten könnte; endlich ob denn vestitus durchaus etwas von dem amictus Verschiedenes sein muss?.. 99 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 119-120: ”vestitus nur der Abwechselung halber gewählt und nicht von amictus im Sinne von Ober- und Unterkleid unterschieden.. 100 Vgl. Gudeman 1916: 120. 101 Vgl. u.a. Reeb 1933: 38: ”da die Ärmel am oberen Teil des Gewandes ihren Platz haben, liegt hier Hypallage … vor.; Much 1967: 279: ”da hier auch die Redefigur der Vertauschung (Hypallage) vorliegen könnte.; Anderson 1997: 108: ”by a transference not uncommon in poetry and even in prose.; ähnlich offenbar auch Baumstark 1875: 607: ”Pars vestitus superioris kann, rein sprachlich genommen, zunächst sein: ein oder der Theil des oberen Leibkleides; es kann aber auch, in seltenerem Gebrauche des Genitivus, sein: der Theil der vestis, welcher den vestitus superior umfasst und diesen ganz allein. Nur unter Annahme dieses Sinnes lässt sich nach meiner Ansicht die Stelle richtig und klar fassen: sie lassen ihre vestis am unteren Theil in Gliederbedeckung ausgehen, am oberen Theil aber nicht, sondern da sind sie nackt.. Auch die Lesart superioris ist beizubehalten, wenn man an dieser Stelle eine Hypallage annimmt.101 Diese kommt bei Tacitus auch an anderer Stelle vor, etwa in hist. 2,5,2: vicinis proviniciarum administrationibus ‚da sie benachbarte Provinzen verwalteten‘; ebd. 3,20,2: ignotae situm urbis ‚die Lage einer unbekannten Stadt‘; dial. 2,1: in eo tragoediae argumento ‚in der Darstellung dieser Tragödie‘. in manicas non extendunt] Die Angabe stellt zunächst einen Gegensatz zur Bekleidung der Männer dar, deren Bekleidung offenbar langärmelig war. Diese für die Männer normale langärmelige Bekleidung macht auch die Bezeichnung aus dem 3./4. Jh. n.Chr. für einen Teil der Alemannen als Armilausi(ni) ‚Ärmellosen‘ verständlich. Diese trugen ein Kleidungsstück, welches als armelausa bezeichnet wurde (vgl. Isid. orig. 19,22,28: armelausa vulgo vocata, quod ante et retro divisa atque aperta ‚gewöhnlich ”armelausa. genannt, weil es vorne und hinten geteilt und offen ist‘).102 102 Vgl. RGA 20: 551. 103 Vgl. Kühner – Stegmann II,1: 286. 104 Lund 1988: 162: ”die Synonyme brachia und lacerti ….. 105 Benario 1999: 84. 106 So u.a. Müllenhoff 1900: 300; Gudeman 1916: 120; Lund 1988: 161; Perl 1990: 182; Anderson 1997: 108; Rives 1999: 200; Benario 1999: 84. Etwas abweichend Baumstark 1875: 607: ”und wenn Schweizer meint, es sei hier mehr an die Kleidung der römischen Frauen im Gegensatz zu denken, als an die Kleidung der germanischen Männer, so lassen wir ihn seines Weges ziehen.. 107 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 76-77: ”daß es … nur dazu dient, die Erzählung einfach fortzusetzen oder einen neuen Gedanken anzuknüpfen.. 108 Vgl. auch Städele 1991: 342-343. nudae bracchia ac lacertos] Das Adj. nudus, welches sich auf das vorhergehende feminae bezieht, in Verbindung mit einem Akk. der Beziehung, ist dichterisch,103 vgl. etwa Verg. Aen. 1,320: nuda genu ‚kniefrei‘; ebd. 8,425: nudus membra ‚mit nacktem Leibe‘; ebd. 11,489: tempora nudus adhuc ‚schutzlos noch an den Schläfen‘; Ov. met. 7,183: nuda pedem, nudos umeris infusa capillos ‚auf bloßen Füßen, umwallt von den bloßen Haaren die Schultern‘. Nach Lund sind die Wörter bracchium und lacertus Synonyme.104 Da mit bracchium jedoch der Unterarm von der Hand bis zum Ellbogen, mit lacertus der Oberarm vom Ellbogen bis zur Schulter bezeichnet wird, liegt (zusammen mit dem nachfolgenden proxima pars pectoris) eine ”physical progression. vor.105 Indirekt kommt hier – wie auch mit der nächsten Angabe – ein Gegensatz zu den Kleidungsgewohnheiten in Rom zum Ausdruck, wo die Kleidung der Männer kurzärmlich war, die Frauen dagegen lange Ärmel trugen.106 sed et proxima pars pectoris patet] Das Wort sed steht hier in abgeschwächter Bedeutung.107 Der Satz zeigt eine auffällige, vierfache Alliteration mit p-.108 Das Freiliegen eines Teils der Brust ist durch den Ärmelausschnitt bedingt. Auch hier liegt ein Gegensatz zu römischen Verhältnissen vor, wo eine Frau, die eine solche Kleidung trug, als moralisch verkommen galt. Um eben diesem Gedanken vorzubeugen, schließt Tacitus den nachfolgenden quamquam-Satz an. KAPITEL 18 1 quamquam severa illic matrimonia] In den älteren und den meisten neueren Ausgaben fängt mit quamquam das c. 18 an.1 Wenn man diese Abtrennung beibehalten will,2 ist man gezwungen, qaumquam – da es in diesem Fall einen Hauptsatz einleitet –, als ‚freilich, wiewohl, indessen‘ aufzufassen.3 Ein solcher mit quamquam eingeleitete Satz wird jedoch an das Vorhergehende angefügt, ”um dasselbe zu beschränken oder zu berichtigen..4 Da aber bei der Aussage weder eine Beschränkung noch eine Berichtigung des Vorhergehenden vorliegt, kann ein solches quamquam an dieser Stelle kaum gemeint sein. Nun werden beide Sätze bei einigen Interpretationen dennoch in einen Satz zusammengezogen, wie etwa bei Lund: ”Der Sinn der Stelle ist vielleicht: Obwohl die Germaninnen mit fast nackter Brust umhergehen, sind sie jedoch … keusch..5 Auch die hss. Überlieferung bietet an dieser Stelle keinen Hinweis auf einen Einschnitt,6 so dass nichts dagegen spricht, den quamquam-Satz dem vorhergehenden Satz anzuschließen.7 Das Kapitel müsste somit mit dem c. 17 zugefügtem sed et proxima pars pectoris patet beginnen.8 1 Ausnahmen hierzu sind lediglich Halm und Andresen (vgl. Robinson 1991: 294), die c. 18 erst mit Dotem anfangen lassen. Offenbar möchte auch Gudeman 1916: 244 erst mit Dotem das neue Kapitel beginnen lassen (”quamquam etc.] 18,1 Dotem etc..) und zusätzlich noch c. 18 und 19 in ein Kapitel zusammenziehen. Aus Zitiergründen bleibt er aber bei der alten Einteilung. 2 Ein Grund für die Abtrennung an dieser Stelle wird die vorhergehende Alliteration mit vierfachem p- gewesen sein. 3 So denn auch Baumstark 1875: 611-612; Müllenhoff 1900: 301; Gudeman 1916: 120; Schweizer-Sidler 1923: 46; Reeb 1933: 38; Much 1967: 282; Anderson 1997: 109; Rives 1999: 84; Benario 1999: 84. 4 Kühner – Stegmann II,2: 444. 5 Lund 1988: 162; vgl. auch etwa Reeb 1933: ”trotz der Entblößung der Brust, die bei römischen Matronen für unziemlich galt.; Much 1967: 282: ”Der Übergang ist dadurch gegeben, daß vorher von einer Kleidung die Rede war, die die weiblichen Reize nur unvollkommen verhüllte.; Anderson 1997: 109: ”in spite of the bare arms and breasts … their chastity is remarkable.. Vgl. bereits die erste Übersetzung der Germania von 1526 durch Johann Eberlin von Günzburg (1986: 57): Die brust ist vnbeklaidet, Vnd halten doch die ee gestreng. 6 Vgl. etwa die Schreibung in E: Sed & proxima pars pec|toris patet : q.;q.; seuera illic matri|monia (vgl. Till 1943: f. 69v). Auffällig ist jedenfalls, dass Robinson 1991: 263 diese Stelle nicht unter den ”more noteworthy variations in the punctuation of the manuscripts from that which I have for obvious reasons adoptet in my text. aufführt. 7 Für eine solche Textfassung spricht auch, dass sich das im Hauptsatz mögliche tamen (vgl. Kühner – Stegmann II,2: 439) einfügen ließe: quamquam severa illic matrimonia, tamen proxima pars pectoris patet. 8 So bereits Oberlin (vgl. die Angabe bei Passow 1817: 27). Dagegen – jedoch ohne irgendeine Begründung und daher nicht nachvollziehbar – Passow 1817: 27: ”nam qualis haec est sententia: quanquam severa sunt Germanorum matrimonia, proxima tamen pectoris pars patet!.. Mit diesem Nachsatz leitet Tacitus von der Kleidung zu den Ehegebräuchen über.9 Nach Urban wäre das Thema Ehe ”eher nach der Behandlung des Hauses zu erwarten. gewesen.10 Die Verbindung zwischen Kleidung und Keuschheit findet sich aber auch bei Caes. Gall. 6,21,5: intra annum vero vicesimum feminae notitiam habuisse in turpissimis habent rebus. cuius rei nulla est occultatio, quod et promiscue in fluminibus perluuntur et pellibus aut parvis renonum tegimentis utuntur, magna corporis parte nuda ‚es zählt bei ihnen zu der höchsten Schande, schon vor dem 20. Lebensjahr mit einer Frau verkehrt zu haben. Hierbei gibt es keine Heimlichkeit, denn beide Geschlechter baden zusammen in den Flüssen und tragen nur Felle oder dürftige Pelzüberwürfe, wobei der größte Teil des Körpers nackt bleibt‘. Tacitus entzieht somit im Nachsatz die Grundlage des Gedankens, der bei einer solchen Kleidung hätte aufkommen können, nämlich dass die germanischen Frauen unkeusch wären.11 9 Dieser Übergang geschieht nicht ”Allmählich und unvermerkt. (Müllenhoff 1900: 301), sondern ist durch matrimonia klar ausgedrückt; vgl. auch Urban 1989: 88: ”über die Initialwörter severa illic matrimonia.. 10 Urban 1989: 88 (er spricht gar von einem ”gewaltsame Anschluß.). 11 Vgl. auch Gudeman 1916: 120. 12 Vgl. auch Perl 1990: 183. 13 Vgl. Perl 1990: 182-183; ebenso Gudeman 1916: 120: ”Dem panegyrischen Inhalt entspricht auch die mit allen Mitteln der Rhetorik geschmückte Darstellung.. 14 Vgl. Gudeman 1916: 129; Reeb 1933: 38. Zur nicht durchführbaren Bedeutungsunterscheidung zwischen dem Konjunktiv des Präsens und des Perfekts vgl. Kühner – Stegmann II,1: 176. Es liegt hierbei eine Parallele zwischen germanischen und altrömischen Verhältnissen vor, die in Gegensatz zu denen in Tacitus’ eigener Zeit standen:12 Obwohl die Kleidung bei den Germanen freizügig ist, sind dies ihre Ehen nicht, in Gegensatz zur Situation in Rom, wo zwar die Kleidung nicht freizügig ist, die Sitten dies dagegen sind. Im alten Rom dagegen waren die Sitten streng, vgl. etwa die Darstellung Tac. ann. 16,5,1: sed qui remotis e municipiis severamque adhuc et antiqui moris retinentes Italiam ‚aber da waren Leute aus abgelegenen Landstädten, wo man eben das immer noch strenge, an der alten Sitte hängende Italien hochhielt‘. Das Thema ist – wie aus der stilistischen Gestaltung des Kapitels (mehrfacher Anapher und poetischer Färbung) hervorgeht13 – für Tacitus offenbar von großem Interesse. nec ullam morum partem magis laudaveris] laudaveris ist Konjunktiv potentialis der Gegenwart.14 Mit dem Verb ist der hymnische Charakter der Beschreibung der Ehesitten angekündigt. Das Wort pars wird hier zum dritten Male in kurzer Abfolge verwendet. Der Inhalt dieser Aussage war bereits von Caes. Gall. 6,21,4 – jedoch beschränkt auf die Männer – ausgesagt: qui diutissime impuberes permanserunt, maximam inter suos ferunt laudem ‚diejenigen unter ihnen, die am spätesten mannbar werden, genießen bei ihnen das höchste Lob‘. In späterer Zeit finden sich ähnliche Aussagen: Quint. decl. 3,16: nil tale novere Germani et sanctius vivitur ad Oceanum ‚so etwas kennen die Germanen nicht und man lebt am Ozean tugendhafter‘; Salv. gub. 7,91: remota quippe est ab illis omnis carnis impuritas ‚sie [= die Vandalen] haben von ihnen [= den römischen Städten] die ganze fleischliche Unreinheit entfernt‘. Tacitus folgt somit nicht der üblichen Klischeevorstellung von den ‚barbarischen‘ Völkern,15 denen in der Regel sexuelle Zügellosigkeit nachgesagt wurde.16 15 Vgl. auch Perl 1990: 183. 16 Vgl. hierzu Johnson 1960: 474-479; Dauge 1981: 461. 17 Müllenhoff 1900: 301. Ähnlich auch Lund 1988: 162: ”die Germanen unterscheiden sich betreffs ihrer Monogamie von den übrigen Barbaren.; vgl. ebenfalls Baumstark 1875: 630: ”Wenn barbari hier die Nichtgriechen und Nichtrömer bezeichnet, was ohne Zweifel der Fall ist, so hat sich Tacitus mit seiner Behauptung mindestens eine starke Kühnheit erlaubt.; Reeb 1933: 39: ”doch liegt in dem soli eine starke Übertreibung, da ja die meisten Barbaren die Einehe haben.. 18 Vgl. auch Benario 1999: 84: ”The Gauls and the Iberians were probably in Tacitus’ mind.. nam prope soli barbarorum singulis uxoribus contenti sunt] Nach Müllenhoff ist diese Aussage übertrieben, ”denn barbari sind alle Nicht-Römer und Nicht-Griechen..17 Hierbei übersieht er jedoch, dass Tacitus das Wort prope zugefügt hat, womit er seine Aussage durchaus relativiert.18 Die Monogamie war ebenfalls bei den Galliern und Iberern üblich (zur Verteilung der sexuellen Aktivität nach der klimatischen Theorie vgl. Hipp. aer. 21,1: ..te ..p t. ..dp. . .p...µ.. t.. µ..... ....eta. p.... d.. t.. ..p.t.ta t.. f..... .a. t.. ....... t.. µa.a..t.t. te .a. [t..] ...p.t.ta ‚denn die Männer [= Skythen] bekommen nicht viel Lust zum Geschlechtsverkehr wegen der Feuchtigkeit ihrer Natur und wegen der Schlaffheit und Kälte ihres Leibes‘; anders nach der astrologischen Theorie bei Ptol. tetr. 2,3,61-62). Die Polygamie war indes weit verbreitet bei den ‚barbarischen‘ Völkern, so etwa bei den Persern (Hdt. 1,136,1: .aµ..... d. ..a.t.. a.t.. p..... µ.. ...p.d.a. ...a..a., p.... d’ .t. p.e..a. pa..a... .t..ta. ‚jeder von ihnen heiratet viele rechtmäßige Frauen und besitzt außerdem eine größere Zahl von Nebenfrauen‘), den Thrakern und Geten (Hdt. 5,5,1: .. d. .at.pep.e .p..t..a... p..e... t...de. ..e. ...a..a. ..a.t.. p..... ‚bei den Stämmen nördlich der Krestonaier herrscht folgende Eigenart: Jeder Mann besitzt viele Frauen; Eur. Andr. 215-218: e. d’ .µf. Tp.... ..... t.. .at.pp.t.. / t.pa.... ...e. ..dp’, ..’ .. µ.pe. ..... / d.d... p...a.. e.. ...p ......µe... / ..te..a. .. t..d’; ‚wenn dich im schneebedeckten Thrakien ein Fürst erwählte, der nach Landesbrauch mit vielen Frauen wechselte das Bett, schlügst du sie tot?‘; man vgl. demgegenüber jedoch Hor. carm. 3,24,17-24: illic matre carentibus / privignis mulier temperat innocens / nec dotata regit virum / coniunx nec nitido fidit adultero. / dos est magna parentium / virtus et metuens alterius uiri / certo foedere castitas, / et peccare nefas aut pretium est mori ‚Kinder, denen die Mutter starb, hegt das zweite Gemahl lauteren Sinnes dort [= bei den Geten], dort beherrscht, ihrer Mitgift stolz, nicht das Weib ihren Mann, gleißender Buhlschaft froh. Elterntugend ist Mitgift dort, und die Keuschheit, die flieht, ihrem Gelöbnis treu, vor dem Reize des fremden Manns; untreu gilt als Vergehn, welches der Tod nur sühnt‘), den Britanniern (Caes. Gall. 5,14,4: uxores habent deni duodenique inter se communes et maxime fratres cum fratribus parentesque cum liberis ‚sie haben je zehn oder auch zwölf Frauen gemeinsam, vor allem unter Brüdern, aber auch unter Vätern und Söhnen‘) und den Parthern (Iust. 41,3,1: uxores dulcedine variae libidinis singuli plures habent ‚ein jeder hat mehrere Frauen wegen des Reizes der unterschiedlichen Begierde‘). Demgegenüber ist Vielweiberei bei den Sueonen nach Ad. Brem. 4,21 üblich: in sola mulierum copula modum nesciunt; quisque secundum facultatem suarum virium duas aut tres et amplius simul habet; divites et principes absque numero ‚nur wenn es sich um Frauen handelt, sind sie maßlos. Jeder besitzt, seiner Vermögenslage entsprechend, gleichzeitig zwei, drei oder noch mehr, Reiche und Fürsten zahllose Frauen‘ (vgl. auch die Belege weiter unten). exceptis admodum paucis, qui non libidine, sed ob nobilitatem plurimis nuptiis ambiuntur] Diese Aussage steht wohl in Verbindung mit den in c. 22,2 erwähnten iungendis affinitatibus ‚die Anknüpfung von Verwandtschaftsbeziehungen‘. Das hss. einhellig überlieferte plurimis wollte Halm in pluribus ändern,19 wofür es jedoch weder graphisch noch inhaltlich einen Anlass gibt. Es wird nämlich nicht ausgesagt, dass die Edlen sehr viele Frauen haben, sondern dass sie sehr viele Eheanfragen bekommen.20 Die Wendung ist dichterisch, vgl. Verg. Aen. 7,333-334: neu conubiis ambire Latinum / Aeneadae possint ‚daß nicht des Aeneas Geschlecht dem Latinus brautwerbend nahe‘ (in derselben Bedeutung bereits Plaut. Mil. 69: orant, ambiunt ‚sie bitten, betteln allerwärts‘). 19 Vgl. die Angabe bei Robinson 1991: 294; pluribus wird noch von Schweizer-Sidler 1923: 46 als Möglichkeit erwogen (”wenn nicht zu lesen pluribus ‚mehr als einem‘.). 20 Vgl. bereits Baumstark 1875: 613*; Müllenhoff 1900: 301-302; Robinson 1991: 294; Anderson 1997: 110. Der Ablativ libidine, der im Folgenden durch die Präpositionalfügung ob nobilitatem variiert wird21 (zu einem solchen Gegensatz zwischen Zügellosigkeit und Vernunft vgl. Suet. Aug. 69,1: adulteria quidem exercuisse ne amici quidem negant, excusantes sane non libidine, sed ratione commissa, quo facilius consilia adversariorum per cuiusque mulieres exquireret ‚daß er Ehebruch getrieben hat, bestreiten nicht einmal seine Freunde, bringen jedoch als Entschuldigung vor, er habe ihn nicht aus Triebhaftigkeit begangen, sondern mit dem Hintergedanken, die Pläne seiner Gegner durch ihre jeweiligen Frauen leichter zu erfahren‘), wird in der Regel als ein Ablativ des Ziels in der Bedeutung ‚zur Befriedigung der Wollust‘ aufgefasst.22 Jedoch scheint eine solche Deutung wenig wahrscheinlich, wie auch die Ausführung zur Deutung ‚zur Befriedigung der Wollust‘ bei Baumstark zeigt: ”nicht um ihrer Wollust zu fröhnen, nicht um die Töchter ihrer Wollust zum Opfer zu bringen..23 Näher liegt die Auffassung als ein kausaler Ablativ unter der Annahme eines Zeugmas;24 zu ambiuntur wäre in etwa plures uxores ducunt zu ergänzen.25 Zu einem solchen Zeugma vgl. etwa Tac. ann. 2,20,1: quod arduum sibi, cetera legatis permisit ‚diese schwierige Aufgabe behielt er [= Germanicus] sich selbst vor, das übrige überließ er den Legaten‘.26 21 Zu diesem Wechsel vgl. Sörbom 1935: 85. 22 So z.B. Baumstark 1875: 612-613; Müllenhoff 1900: 302; Gudeman 1916: 121; Perl 1990: 97. 23 Baumstark 1875: 612*. Als abwegig auch von Much 1967: 283 angesehen. 24 Die Schwierigkeit dieser Stelle erweist sich ebenfalls durch das Verhalten der Hs. h, welche die Lesart ambiunt anstelle von ambiuntur bietet (vgl. Robinson 1991: 167, 294). 25 Vgl. Anderson 1997: 109; Much 1967: 283; wohl auch Reeb 1933: 39. Auch Baumstark 1875: 612 kommt den abl. causae nahe, wenn er libidine mit ”propter libidinem. umschreibt. Noch anders Robinson 1991: 294: ”Is it just possible that non libidine means ‚not because of laxitiy of morals (among the Germans)?‘.. 26 Vgl. zum Zeugma Kühner – Stegmann II,2: 565-566. 27 Vgl. Vries 1977: 586. Diese Deutung wird auch durch die folgende Präpositionalfügung ob nobilitatem bestätigt, die ebenfalls kausal ist. Mit ob nobilitatem wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass durch eine Heiratsverbindung ein Teil dieser nobilitas auch auf die Familie der Frau übergeht. Zu dieser Vorstellung vgl. Tac. Agr. 6,1: Domitiam Decidianam, splendidis natalibus ortam, sibi iunxit; idque matrimonium ad maiora nitenti decus ac robur fuit ‚er [= Agricola] … vermählte sich mit Domitia Decidiana, einer Tochter aus erlauchtem Geschlecht; diese Verbindung verlieh ihm beim Streben nach höheren Zielen Ansehen und Stütze‘. Die Frau ging somit offenbar nicht völlig in der neuen Familie auf, vielmehr verbindet sie beide Familien; vgl. hierzu auch aisl. tengðir ‚Schwägerschaft‘ hervorgeht, eine Ableitung von aisl. tengja ‚verbinden‘, somit ursprünglich ‚feste Verbindung‘.27 Wie das Wort nupitae zeigt, ist an dieser Stelle bloß von Heiratsanträgen weiblicherseits die Rede. Ein Fall eines solchen – erfolgreichen – ambiri ist bei Caes. Gall. 1,53,4 belegt: duae fuerunt Ariovisti uxores, una Sueba natione, quam domo secum duxerat, altera Norica regis Voccionis soror, quam in Gallia duxerat a fratre missam ‚Ariovist hatte zwei Frauen, eine Suebin, die er von zu Hause mitgebracht hatte, und eine Norikerin, Schwester des norischen Königs Voccio. Ihr Bruder hatte sie Ariovist geschickt, der sie in Gallien geheiratet hatte‘. Auch in späterer Zeit sind mehrere Ehefrauen für Könige belegt, etwa bei Greg. Tur. Franc. 4,3: denique ipse rex de diversis mulieribus septim filius habuit ‚der König [= Chlothachar] hatte von verschiedenen Frauen sieben Söhne‘; ebd. 4,26: reliquid Ingobergam et Merofledem accepit. habuit et aliam puellam opilionis, id est pastoris ovium, filiam, nomen Theudogildem ‚er [= Charibert] … verließ Ingoberga und vermählte sich mit Meroflede. Er nahm auch ein anderes Mädchen zur Ehe, eine Schäferstochter, mit Namen Theudichilde‘; ebd. 4,28: quod videns Chilpericus rex, cum iam plures haberet uxores, sororem eius Galsuintham expetiit ‚als König Chilperich dies sah, freite er, obschon er bereits mehrere Weiber hatte, um Galsvintha, Brunichildens Schwester‘. Nach Ad. Brem. 4,21 hatte in Schweden ein jeder zwei oder drei Ehefrauen, die Vornehmen unzählige: in sola mulierum copula modum nesciunt; quisque secundum facultatem suarum virium duas aut tres et amplius simul habet; divites et principes absque numero ‚nur wenn es sich um Frauen handelt, sind sie maßlos. Jeder besitzt, seiner Vermögenslage entsprechend, gleichzeitig zwei, drei oder noch mehr, Reiche und Fürsten zahllose Frauen‘. 2 dotem non uxor marito, sed uxori maritus offert]28 Ab hier beginnt eine bis zum c. 19 reichende Beschreibung der Ehegebräuche, die in Gegensatz zu den römischen Gewohnheiten stehen. 28 Zur Junktur dotem offerre vgl. ThLL V,1: 2050,54-59; ThLL IX,2: 503,9-30. Anders als in Rom, wo die Frau eine von ihrem Vater gestellte Mitgift dem Mann in die Ehe mitbringen musste (ohne eine solche Mitgift zu heiraten galt als schändlich; vgl. etwa Iust. 3,3,8: virgines sine dote nubere iussit ‚er [= Lycurgus] befahl die Jungfrauen ohne Mitgift zu vermählen‘), benötigt eine germanische Frau eine solche nicht. Ganz im Gegenteil, bringt doch der Mann die Mitgift mit. Auch bei den Skythen bringen die Frauen keine Mitgift in die Ehe mit; vgl. Hor. carm. 3,24,19-20: nec dotata regit virum / coniunx … ‚dort [= bei den Geten] beherrscht, ihrer Mitgift stolz, nicht das Weib ihren Mann‘; noch anders bei den Galliern, vgl. Caes. Gall. 6,19,1: viri, quantas pecunias ab uxoribus dotis nomine acceperunt, tantas ex suis bonis aestimatione facta cum dotibus communicant ‚die Männer lassen, wenn sie von ihren Frauen Vermögen als Mitgift erhalten haben, ihr eigenes Vermögen schätzen und legen einen gleich großen Wert mit der Mitgift zusammen‘. In der Regel wird angenommen, dass hier ein ”Irrtum des Tac. beziehungsweise seines Gewährsmannes. vorliegt und es sich hier um ”den Brautkauf, nicht um eine Mitgift. handelt,29 wobei teils vermutet wurde, dass der Vormund der Frau den Brautkaufpreis der Frau aushändigte.30 Dies ist jedoch eine Mutmaßung, die nur geäußert wurde, um die Angaben des Tacitus mit dem Brautkauf in Einklang bringen zu können; sie lässt sich aus dem Text auch nicht beweisen. Schon wegen uxori – die Mitgift wird direkt der Frau gegeben – sind diese Annahmen aber unwahrscheinlich.31 Auch das Wort munus spricht gegen die Auffassung als Kaufpreis.32 Es handelt sich bei der Beschreibung des Tacitus lediglich um einen Gegensatz zur römischen Heiratspraxis, die somit in ein schlechtes Licht gerückt wird.33 Ob er dabei ”nicht in einem sachlichen Irrthum schwebte, ist eine andere Frage..34 Mit dieser Beschreibung ist die Angabe bei Strab. Geogr. 3,4,18 p. 165C über die hispanischen Kantabrier zu vergleichen: t... ..dpa. d.d..a. ta.. ...a... pp...a ‚die Männer den Frauen einen Brautschatz geben‘. 29 Much 1967: 284; so auch u.a. Holtzmann – Holder 1873: 206; Müllenhoff 1900: 302-303; Schweizer-Sidler 1923: 46; Reeb 1933: 100 Anm. 3; Perl 1990: 183; Anderson 1997: 110; Rives 1999: 201. 30 Vgl. etwa Amira – Eckhardt 1967: 74; als Möglichkeit Müllenhoff 1900: 303-304; Much 1967: 285; ebenso dient seine Vermutung (ebd.), ”daß ein Römer in einem vornehmen germanischen Hause wirklich einen Vorgang gesehen hat, bei dem aus dem Brautkauf schon ein Geschenk zu Händen der Braut geworden war, beziehungsweise ein Entgelt für eine andersartige Mitgift, die sie von ihrem Vater oder Vormund erhielt., nur dazu, Tacitus’ Aussage mit den späteren Quellen in Einklang zu bringen. 31 Ebenso Baumstark 1875: 619-620; Gudeman 1916: 121-122; Lund 1988: 162. 32 Vgl. Baumstark 1875: 622. 33 Vgl. Baumstark 1875: 620. 34 Baumstark 1875: 620. 35 Vgl. allgemein RGA 6: 486-487; Amira – Eckhardt 1967: 73-76. In den späteren germanischen Quellen stellt sich die Sache natürlich anders dar.35 Die älteren germanischen Rechtstexte kennen den faktischen Brautkauf (der Brautkauf ist weit verbreitet, etwa bei den Thrakern [vgl. Hdt. 5,6,1: t.. d. ...a..a. ....p.. f......... .a. .....ta. t.. ...a..a. pap. t.. ...... .p.µ.t.. µe..... ‚ihre Frauen aber bewachen sie streng und kaufen sie den Eltern für hohe Preise ab‘; Xen. an. 7,2,38: .a. e. t.. ... ..t. ....t.p, .....µa. Tp.... ..µ. ‚und, wenn du selber eine Tochter hast, will ich sie nach thrakischem Brauch kaufen‘; Hor. carm. 3,24,19-20: nec dotata regit virum / coniunx nec nitido fidit adultero ‚dort [= bei den Geten] beherrscht, ihrer Mitgift stolz, nicht das Weib ihren Mann, gleißender Buhlschaft froh‘], bei den Indern [vgl. Strab. Geogr. 15,1,54 p. 709C: p..... d. .aµ..... ...t.. pap. t.. ...... – .aµß...... te ..t.d.d..te. .e.... ß... ‚sie heiraten viele Frauen, die sie von den Eltern kaufen – sie bekommen sie für ein Rindergespann als Gegengabe‘], bei den Römern als symbolische Form [vgl. Gai. inst. 1,118- 119]), die latinisiert uxorem emere genannt wird (vgl. L. S. 65: lito regis liceat uxorem emere, ubicumque voluerit ‚einem Liten des Königs steht es frei eine Frau zu kaufen, wo auch immer er möchte‘; vgl. die Ausdrücke as. buggean te brudi ‚zur Frau kaufen‘, aisl. brúdkaup ‚Brautkauf‘); die Braut heißt puella empta, die Verlobung selbst mercatio. Die Funktion des zu bezahlenden Brautgeldes ist, dass dadurch das mundium über die Braut vom Vormund auf den Bräutigam übergeht (vgl. aisl. mundi kaupa ‚die Munt kaufen‘). In den germanischen Sprachen sind zur Bezeichnung des Brautpreises mehrere Ausdrücke belegt: a. burgund. witimo, wittemo, ahd. widemo, widamo, mndd. mndl. wedem(e), ae. weotuma, wituma, afr. wetma, witma (vgl. as. widumlik ‚zur Mitgift gehörig‘) < urgerm. *.edman- ‚Mitgift, Brautpreis‘, womit gr. ..-aed... ‚ohne Brautpreis‘ (< *.-h2.ed-mno-) und aruss. veno ‚Mitgift‘ (< *h2.ed-mno-) zu vergleichen sind;36 36 Unklar ist, ob diese Gruppe zu der um ai. vadhú- ‚Braut‘ zu stellen ist (dafür Mayrhofer II: 498; dagegen LIV 2001: 659). 37 Vgl. Casaretto 2004: 229-230. b. got. mizdo, lgb. meta, ahd. miata, mieta, as. meda, ae. med, meord, afries. mede < urgerm. *mizdo(n)- ‚Brautgabe, Bezahlung‘ < uridg. *mis-dhh1-ó/éh2- ‚Lohn, Preis‘ (> ai. mi.há-, av. mižda-, gr. µ.s..., aksl. m.zda);37 c. ahd. munt, ae. afries. mund, aisl. mundr < urgerm. *munda- ‚Brautgeschenk, Mitgift‘, das zu urgerm. *mundo- ‚Hand‘ (> ahd. munt, ae. mund, afries. mund, mond, aisl. mund [< *m.teh2-]) zu verbinden ist. Auch mit der so genannten Morgengabe (ahd. morgingeba), die beinhaltet, dass der Mann der Frau nach der Brautnacht in Gegenwart der Eltern eine Gabe schenkt, hat diese Stelle nichts zu tun, da es im Folgenden in haec munera uxor accipitur heißt. Manchmal wird der Brautpreis dann zu einer wirklichen Mitgift, so bei den ripuarischen Franken, den Alemannen, den Baiern sowie den Westgoten. intersunt parentes et propinqui] Eltern und Verwandte sind bei dem Eheantrag bzw. der Eheschließung anwesend (Tacitus scheidet hier nicht zwischen der Verlobung und der Eheschließung, die zeitlich vielleicht in etwa zusammenfallen konnten; anders dagegen Tac. ann. 1,55,3: quod Arminius filiam eius alii pactam rapuerat ‚weil Arminius seine [= Segestes] mit einem anderen verlobten Tochter entführt hatte‘). Auch werden sie über den Heiratsantrag entschieden haben. Nicht ganz sicher ist, ob nur die Eltern und Verwandten der Frau anwesend sind oder auch die des Ehemannes. Gudemann emendiert das fast einhellig überlieferte et (daneben nur in ac in der Hs. b)38 in aut.39 Er begründet dies damit, dass die Verwandten ”nur in Vertretung , falls jene gestorben oder sonst wie verhindert waren., anwesend waren.40 Jedoch spricht nichts gegen die Anwesenheit sowohl von Eltern als auch Verwandten bei einem solchen Ereignis. Ähnlich sagt auch in späterer Zeit die L. S. 70: si quis filiam alienam ad coniugium quaesierit, presentibus suis et puellae parentibus ‚wenn jemand eines anderen Tochter zur Ehe begehrt in Gegenwart von seinen und des Mädchens Verwandten‘. 38 Vgl. Annibaldi 1910: 54 (nicht aufgeführt bei Robinson 1991: 200). 39 Gudeman 1916: 121, 244. 40 Gudeman 1916: 122. 41 Vgl. Till 1943: f. 69v. 42 Nicht ganz klar Lund 1988: 162: ”der Umstand, daß dasselbe Wort bei Prop. … wiederholt wird, besagt, daß unsere Stelle eine poetische Färbung hat., da nur das Stilmittel poetisch ist, nicht das Wort munera. 43 So etwa Müllenhoff 1900: 304 (dort auch ältere Literatur); vgl. auch Baumstark 1875: 631-633. 44 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 295-296 ac munera probant. munera] Alle neueren Ausgaben setzen zwischen probant und munera lediglich ein Komma. Da jedoch munera in der Hs. E mit einem Großbuchstaben beginnt41 und nichts gegen einen Punkt nach probant spricht, ist diese Fassung hier beibehalten. Die Wiederholung des Wortes munera unterstreicht den Gegensatz zu den römischen Verhältnissen. Das Stilmittel der Epanalepsis bzw. Anadiplosis ist poetisch; vgl. ebenfalls mit munera Prop. 1,3,25-26: omniaque ingrato largibar munera sommo, / munera ‚was ich auch tat, ich gewährt’ es dem Schlaf, der mir es nicht dankte, … was ich gab‘.42 Es liegt somit kein Grund vor, eines der beiden munera zu streichen.43 Zum Prüfen der dos vgl. aus späterer Zeit L. S. 44: tres erunt qui pensare et probare debent ‚es sollen drei sein, die beurteilen und genehmigen müssen‘. non ad delicias muliebres quaesita nec quibus nova nupta comatur] Da mit munera ein neuer Satz beginnt, ist nach quaesita ein sunt hinzuzudenken. quibus steht im Sinne von ut iis (es handelt sich um einen finalen Adj.-Satz).44 Die Mitgift erfüllt bei den Germanen somit einen praktischen Zweck. Auch dies steht in direktem Gegensatz zu der in Rom gängigen Praxis, wo die Frauen Schmuck und Perlen verlangten; vgl. Iuv. 3,160-161: quis gener hic placuit censu minor atque puellae / sarcinulis impar ‚wer wird hier je als Schwiegersohn akzeptiert, der beim Vermögen unterlegen ist und mit den Habseligkeiten der Braut nicht mithalten kann?‘. nova nupta ist eine stehende Verbindung, die zuerst bei Ter. Ad. 751 belegt ist: et nova nupta eadem haec discet? ‚und die junge Frau lernts auch gleich‘. boves et frenatum equum et scutum cum framea gladioque] Die germanischen munera stehen von der Sache her parallel zu den römischen dona nuptialia, unterscheiden sich jedoch inhaltlich erheblich. Es handelt sich nämlich, wie aus dem Nachfolgenden hervorgeht, nicht um Wertgegenstände,45 sondern um Symbole der Ehe. Aus diesem Grund stehen die boves denn auch nicht für ihren materiellen Wert (geschweige denn für den Kaufpreis),46 sondern vielmehr symbolisch. boves steht somit – wie weiter unten explizit gesetzt – für iuncti boves47 und symbolisieren das ”iugum matrimonii und dessen friedliche Natur..48 Die übrigen Gaben verweisen dagegen auf das kriegerische Leben der Germanen. frenatus equus (unten variiert durch paratus equus) ist eine stehende Verbindung; vgl. u.a. Verg. Aen. 5,554: frenatis … in equis ‚auf gezügeltem Roß‘; Liv. 28,14,7: ut … armatus eques frenatos instratosque teneret equos ‚sollten die Reiter in Waffen sein und die Pferde aufgezäumt und gesattelt haben; ds. 44,33,10: armati omnes, et frenatis equis equites, diem totum perstabant ‚sie standen alle den ganzen Tag hindurch unter Waffen, die Reiter sogar mit aufgezäumten Pferden‘; Caes. Gall. 8,15,3: equites frenatis equis in stationibus disponit ‚ verteilte die Reiter mit aufgezäumtem Pferd auf die verschiedenen Standorte‘. Nach Tacitus ist diese Verbindung allerdings nicht mehr belegt. 45 So schon zu Recht Baumstark 1875: 623: ”da die Rinder und Pferde jedenfalls in kurzer Zeit schon zu Grunde gehen, die Waffen aber auch verwüstlich sind.. 46 So etwa Müllenhoff 1900: 304-305; Schweizer-Sidler 1923: 47; Reeb 1933: 100; Much 1967: 285; Perl 1990: 184; Anderson 1997: 110. 47 So auch Baumstark 1875: 634; Lund 1988: 162. 48 Baumstark 1875: 634. 49 So auch Rives 1999: 202. Dass jeder Ehemann ein Schwert schenkt, steht in Widerspruch zu c. 6,1: rari gladiis utuntur ‚nur wenige benutzen Schwerter‘. Diese Abweichung wird durch den rhetorischen Charakter dieses Textabschnittes bedingt sein, so dass scutum cum framea gladioque wohl allgemein für Waffen steht.49 Zu scutum und framea, welche die germanischen Hauptwaffen sind, vgl. c. 6,1: scuto frameaque ‚mit Schild und Frame‘. In späterer Zeit sind diese Geschenke entweder als Kaufpreis oder als Morgengabe bezeugt; vgl. u.a. Cass. var. 4,1 (über den Kaufpreis des Hermanfridus von Thüringen für eine Nichte des Theoderichs des Großen): equos argenteo colore vestitos, quales decuit esse nuptiales ‚mit silberner Farbe bekleidete Pferde, welchen es ziemte, Hochzeitspferde zu sein‘.50 50 Vgl. hierzu Grimm 1992: I, 610-612. 51 Kühner – Stegmann II,1: 567. 52 Weitere Beispiele bei Kühner – Stegmann II,1: 567. 53 So etwa Müllenhoff 1900: 305; Schweizer-Sidler 1923: 47; Reeb 1933: 101; Much 1967: 285-286; Anderson 1997: 110; unentschieden Perl 1990: 184. 54 Vgl. dagegen bereits Gudeman 1916: 122: ”Da diese Zeremonie [= die Übergabe eines Schwertes seitens des Schwiegervaters] nichts Entsprechendes in den römischen Hochzeitsgebräuchen hatte, so würde T. wohl darauf aufmerksam gemacht haben, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte.; vgl. auch Rives 1999: 202. in haec munera] Die Präposition in steht hier in ”finalem Sinne … = in Erwartung, Hoffnung auf etwas.;51 vgl. zu dieser Bedeutung etwa Tac. ann. 11,13,2: in mortem parentum ‚im Vorgriff auf den Tod der Eltern‘; Liv. 23,34,1: in has leges ‚unter diesen Bedingungen‘; ds. 34,35,1: condiciones in quas … pax fieret ‚er stellte Bedingungen für den Frieden zusammen‘.52 uxor accipitur] Der Zeitpunkt der Entgegennahme der Frau zeigt deutlich, dass es sich bei den Geschenken nicht um die Morgengabe handelt. atque in vicem ipsa armorum aliquid viro affert] Auch dies wird in der Regel als ein Missverständnis seitens Tacitus aufgefasst. Es wird dabei angenommen, dass hier die aus späterer Zeit bezeugte Übergabe eines Schwertes vom Vater der Braut an den Bräutigam vorliege, welche die Übergabe der Mundschaft an den Bräutigam darstellt.53 Diese Auffassung ist jedoch kaum wahrscheinlich, da es Tacitus auf die Gleichwertigkeit von Bräutigam und Braut ankommt.54 Welche Waffe die Frau dem Ehemann überreicht, scheint unwichtig zu sein. Die Überreichung einer Waffe wird auch als Brauch bei den Sarazenen geschildert; vgl. Amm. 14,4,4: dotis nomine futura coniunx hastam et tabernaculum offert marito ‚die zukünftige Gattin überreicht als Mitgift ihrem Mann eine Lanze und ein Zelt‘. hoc maximum vinculum] Mit diesem Schlusssatz beginnt die römische Ausdeutung der Ehegebräuche, die bis ans Ende des 18. Kapitels reicht. Vielleicht zeigt maximum an, dass es neben der Waffe noch andere Geschenke gegeben hatte, die aber von untergeordneter Bedeutung waren.55 55 So Gudeman 1916: 122. 56 Vgl. ThLL II: 435,65-436,40. 57 Vgl. auch Radke 1989. 58 Vgl. KP 1: 1273-1274. haec aracana sacra] Die Junktur arcana sacra ist eine poetische Junktur;56 vgl. u.a. Hor. epod. 5,51: arcana cum fiunt sacra ‚wenn das geheime Werk beginnt‘; Ov. epist. 12,79: arcanaque sacra Dianae ‚den heimlichen Weihen Dianas‘; ds. met. 10,436: arcanaque sacra frequentat ‚und übt [= Cenchreis] die geheimen, heiligen Bräuche‘; Sen. Med. 912-913: artus iuvat secuisse et arcano patrem / spoliasse sacro ‚mich freut, seine Glieder zerstückelt und den Vater des heiligen Schatzes beraubt‘; Val. Flac. 3,419: cum vigil arcani speculatus tempora sacri ‚als, der wach auf die Zeit des geheimen Opfers gewartet‘; Stat. silv. 3,3,65-66: sacrisque deorum / arcanis haerere datum ‚und an den heiligen Geheimnissen der Götter (Kaiser) teilzunehmen‘. Tacitus, der – wie die gemachten Geschenke zeigen – offensichtlich die Heirat besser gestellter Germanen vor Augen hat, denkt bei dem Vergleich wahrscheinlich an die nur den Patriziern vorbehaltene confarreatio,57 die feierlichste Form der römischen Eheschließung; vgl. Plin. nat. 18,10: quin et in sacris nihil religiosius confarreationis vinculo erat ‚ja sogar unter den heiligen Gebräuchen war nichts feierlicher als das Band der Ehe (confarreatio)‘. Die confarreatio fand im Hause der Braut statt. Sie wurde mit einem sakralen Ritus vom pontifex maximus und flamen dialis in Anwesenheit von mindestens zehn Zeugen vorgenommen. Die Feierlichkeit bestand u.a. aus einem Opfer eines Speltbrotes an Iuppiter und feierliche Worte der Eheleute.58 Die Eheschließung der Germanen ist somit ebenso feierlich wie die der confarreatio, wobei der Austausch der Geschenke die Stelle des feierlichen Ritus einnimmt. Dass alle Germanen eine so feierliche Hochzeit begehen, steht in Gegensatz zu der in Rückgang begriffenen confarreatio; vgl. Tac. ann. 4,16,2: nam patricios confarreatis parentibus genitos tres simul nominari, ex quis unus legeretur, vetusto more; neque adesse, ut olim, eam copiam, omissa confarreandi adsuetudine aut inter paucos retenta ‚nach alter Sitte wurden nämlich drei aus priesterlich eingesegneter Ehe stammende Patrizier gleichzeitig vorgeschlagen, von denen einer gewählt werde; nun stehe aber nicht mehr, wie früher, diese Anzahl zur Verfügung, da der Brauch der zeremoniellen Eheschließung abgekommen sei oder nur noch von einem kleinen Kreis beibehalten werde‘. hos coniugales deos] Diese sind nach römischem Glauben u.a. Iuppiter, Iuno Pronuba, Hymenaeus und Deus Iugatinus; vgl. auch Aug. civ. 6,9: adest enim dea Virginensis et deus pater Subigus, et dea mater Prema et dea Pertunda, et Venus et Priapus ‚denn da ist die Göttin Virginiensis, der Gott Vater Subigus, die Göttin Mutter Prema und die Göttin Pertunda, endlich noch Venus und Priapus‘. Der einfache germanische Austausch von Geschenken hat also dieselbe Wertigkeit wie die altrömische Zeremonie. 3 mulier] Das Wort mulier steht der Variation halber statt uxor, hat aber dieselbe Bedeutung.59 59 Vgl. ThLL VIII: 1574-76-1575,10. 60 Kühner – Stegmann II,1: 548. 61 Für weitere Beispiele vgl. Kühner – Stegmann II,1: 548. 62 Vgl. ThLL II: 1548,29: ”exordium, principium alicuius rei.. extra virtutum cogitationes extraque bellorum casus] Die Präp. extra steht im bildlichen Sinne ”von Dingen, die nicht zu einer Sache gehören.;60 vgl. Tac. hist. 4,5,2: potentiam nobilitatem ceteraque extra animum ‚Macht, Adel, und was sonst außerhalb des Geistes liegt‘.61 Die Frau ist – anders als in Rom – auch in die kriegerische Seite des Lebens involviert (vgl. die Angaben in c. 7,2 und c. 8,1). Diese Gleichstellung nimmt das Wort socia im Nachfolgenden vorweg. ipsis incipientis matrimonii auspiciis admonetur] Der Ausdruck enthält einen Pleonasmus, da der Begriff des Beginnens sowohl durch incipientis als durch auspiciis zum Ausdruck gebracht ist; vgl. zur Junktur Iust. 26,2,2: auspicia belli a parricidio incipientes ‚mit einem verruchten Mord begannen sie [= Gallier] die Wahrzeichen des Krieges‘ (zum Pleonasmus vgl. c. 30,1: ultra hos Cathi initium sedis ab Hercynio saltu incohant ‚jenseits davon [= des Dekumatenlandes] heben mit dem Herkynischen Gebirge die Wohnsitze der Chatten an‘). Da auspicium den Beginn irgendeiner Sache bedeutet,62 drückt auspicia matrimonii hier den feierlichen Eintritt in die Ehe aus. Am Beginn der altrömischen Ehe waren auspices anwesend; vgl. Cic. div. 1,28: quod etiam nunc nuptiarum auspices declarant, qui re omissa nomen tantum tenent ‚das bezeugen noch heute die ”Hochzeits-Auspizien-Steller., die freilich, da es den Brauch nicht mehr gibt, nur gerade den Namen beibehalten haben‘; vgl. auch Tac. ann. 11,27,1: atque illam audisse auspicum verba, subisse flammeum, sacrificasse apud deos; discubitum inter convivas, oscula complexus, noctem denique actam licentia coniugali ‚und daß jene die Worte der Trauzeugen hörte, sich in den Brautschleier hüllte, vor den Göttern opferte; daß man Platz nahm unter den geladenen Gäste, Küsse und Umarmungen tauschte, schließlich die Nacht verbrachte in der Freiheit von Eheleuten‘; ebd. 15,37,4: in modum sollemnium coniugiorum denupsisset. inditum imperatori flammeum, missi auspices; dos et genialis torus et faces nuptiales, cuncta denique spectata quae etiam in femina nox operit ‚nach der Art einer feierlichen Eheschließung heiratete. Man hüllte den Imperator in den Brautschleier, schickte Vogelschauer, Mitgift, Ehebett und Hochzeitsfackeln, überhaupt alles was zur Schau gestellt, was selbst bei einer Frau die Nacht verhüllt‘. venire se] Hinzuzudenken ist in domum mariti. venire bezeichnet das Einziehen der Ehefrau (nova nupta) ins Haus (vgl. c. 15,1: domus et penatium et agrorum cura ‚die Sorge für Haus und Hof und Felder‘) des Ehemannes. laborum periculorumque sociam] Zum Ausdruck vgl. Tac. hist. 3,60,1: ne suas quidem legiones opperiebantur, ut praedae quam periculorum socias ‚nicht einmal auf die eigenen Legionen wollten sie warten, da diese ja nur die Beute, nicht die Gefahren teilen würden‘; ds. ann. 4,2,3: socium laborum ‚als Mitarbeiter bei seiner mühevollen Tätigkeit‘; ebd. 12,5,3: coniugem, prosperis dubiisque sociam ‚eine Gattin …, eine Gefährtin in Glück und Mißgeschick‘. Dies wiederholt das Vorhergesagte, da laborum mit virtutum cogitationes und periculorum mit bellorum casus identisch ist. idem in pace, idem in proelio] Der gewöhnliche Gegensatz zu in pace ist in bello. Der Ersatz von in bello durch in proelio steht hier wohl nicht ”rhetorisch für in bello.,63 sondern aus Gründen der Alliteration auf p-.64 Beide Wörter stehen bei Tacitus mehrmals zusammen; vgl. ann. 6,36,2: saevum in pace et adversis proeliorum exitiosum ‚grausam im Frieden … und durch seine unglücklichen Schlachten Unheil bringe‘; ebd. 13,39,2: neque paci aut proelio paratum ‚noch zu Frieden oder Kampf bereit‘. Ebenfalls wird, was jedoch eine 63 Much 1967: 286. 64 So auch Anderson 1997: 111; Benario 1999: 85; wohl auch Schweizer-Sidler 1923: 48: ”aus stilistischen Gründen.. untergeordnete Rolle spielen wird, die aktive Rolle der Frau in der Kampfsituation hervorgehoben (vgl. c. 8,1).65 passuram ausuramque] Zur Verbindung vgl. u.a. Tac. hist. 1,28,1: ut pessimum facinus auderent pauci, plures vellent, omnes paterentur ‚daß das scheußliche Verbrechen wenige wagten, mehr es wollten, alle es geschehen ließen‘; ebd. 2,46,1: et ipsos extrema passuros ausurosque ‚sie selbst würden das Äußerste ertragen und wagen‘; Liv. 22,60,23: tandem ultima ausi passique ‚schließlich wagten und erduldeten sie das äußerste‘; Sen. Herc. f. 386- 387: quid matres loquar/ passas et ausas scelera ‚was soll ich von den Müttern reden, die Verbrechen erduldet und gewagt haben‘. 65 Dies als einziger Grund u.a. bei Baumstark 1875: 638; Müllenhoff 1900: 306; Gudeman 1916: 123; als Möglichkeit auch Much 1967: 286. 66 So Baumstark 1875: 638. 67 Die Hs. T liest offenbar renuptiat; vgl. Annibaldi 1910: 55. 68 Vgl. Robinson 1991: 187, 204. 69 Vgl. Maßmann 1847: 77; Hirstein 1995: 294, 298. 70 Es kann sich bei der Varianz nicht um eine Verwechslung handeln, da d und r sonst nicht vertauscht sind (vgl. Robinson 1991: 55, 251. 71 Vgl. Passow 1817: 28: ”renuntiant in codice se invenisse testatur Rhenan. … neutrum per se spernendum … Verbum utrumque solemne est de rebus auctoritate publica indicendis.; vgl. auch die Bemerkung von Rhenanus in dessen Castigationes (zitiert nach Hirstein 1995: 225): ”Illic [= im Druck k] manifeste scriptum erat ‚renunciant‘, quod ego certe non mutassem. Nam ‚renunciare‘ etiam ‚declarare‘ est.. Das Verb denuntiare im Sinne von indicare, significare ist im Übrigen ebenfalls selten; vgl. Gudeman 1916: 124; ThLL V,1: 555,72- 556,2. 72 Neben der Reihung hoc … hoc … hoc findet sich auch hoc … hoc … haec in brlezuARce und haec … haec … haec in Cs (vgl. Perret 1950: 55; Robinson 1991: 111, 118; Perret 1997: 82); die abweichenden Formen resultieren wohl aus einer fehlerhaften Auflösung einer Abkürzung. Womöglich weist passuram auf laborum, ausuram dagegen auf periculorum zurück.66 hoc iuncti boves, hoc paratus equus, hoc data arma renuntiant] Während die Mehrheit der Hss. die Lesart denuntiant bietet, findet sich renuntiant in pQE(T)67dvor,68 was auch in den frühen Drucken kJ erscheint.69 Einhellig wählen alle sonstigen Editionen denuntiant. Die hss. Verteilung von renuntiant spricht jedoch für ein gewisses Alter dieser Lesart.70 Da beide Wörter von der Bedeutung her gleichwertig sind,71 kann sie problemlos aufgenommen werden. Die einzelnen, vollständig parallel gebauten Glieder72 nennen erneut die Geschenke aus c. 18,2, wobei durch die zugefügten Adjektive eine einförmige Aufzählung derselben vermieden ist. paratus in der Bedeutung von frenatus findet sich nur an dieser Stelle. sic vivendum, sic pariendum] Die hss. Überlieferung bietet folgendes Nebeneinander: viventes in ETdvor, vivendum am Rand viventes in p, vivendum in den restlichen Hss.; pariendum in Wmhc.CB, pereundum am Rand parientes in p, pereundum in Qtfb, parientes in ETdvor, parentes in a, periende in br, eine Lücke in l, patrem in ezuARce, perieu in s (periendum al’ pariendum s2).73 Auch die alten Drucke bieten ein solches Nebeneinander: vivendum – pereundum in ZwAPnVLerSMF, viventes – parientes in kg, vivendae – pereundum in T, vivendum – pariendum in Jd, vivendum – perundum in h.74 Die modernen Herausgeber schwanken lediglich noch zwischen pariendum und pereundum, wobei die Mehrheit sich für letztere Lesart entscheidet.75 73 Vgl. Robinson 1991: 181, 187, 204, 226, 294; Perret 1997: 82. 74 Vgl. Hirstein 1995: 286. 75 Für pariendum treten u.a. Kraggerud 1969: 81-83; Winterbottom – Ogilvie 1985: 47; Perl 1990: 98; Robinson 1991: 294, Anderson 1997; Perret 1997: 82 ein; dagegen für pereundum u.a. Passow 1817: 28; Günther 1826: 26; Grimm 1835: 10; Maßmann 1847: 77; Holtzmann – Holder 1873: 46; Baumstark 1875: 638; Gudeman 1916: 124; Schweizer-Sidler 1923: 48; Halm 1930: 232; Reeb 1933: 39; Güngerich 1937: 257; Lechantin de Gubernatis 1949: 14; Much 1967: 282; Koestermann 1973: 16; Lund 1979; Önnerfors 1983: 14; Wolff 1986: 268; Lund 1988: 84; Benario 1999: 32. 76 Vgl. Till 1943: f. 69v. 77 Müllenhoff 1900: 306; so auch etwa Baumstark 1875: 638**: ”Pereundum ist gewählter Ausdruck zur Bezeichnung selbst des schlimmsten Todes, des förmlichen und gewaltthätigen Unterganges, der Ermordung.; Reeb 1933: 39: ”etwa auch durch das Schwert eines Feindes.; ähnlich auch Much 1967: 286: ”nimmt den Gedanken des vorausgehenden idem in pace, idem in proelio passuram ausuramque wieder auf.. 78 Lund 1979: 120. Auffällig ist, dass die meisten Editoren mit dem ersten sic einen neuen Satz beginnen und nach pariendum bzw. pereundum einen Doppel- oder Strichpunkt setzen. Eine solche Interpunktion ist jedoch kaum wahrscheinlich, da sic in diesem Falle ‚folgendermaßen‘ bedeuten würde. Jedoch ist das Nachfolgende (accipere se …) keine Explikation des sic- Satzes, vielmehr bezieht sich sic auf das Voranstehende. So ist, wie etwa in der Hs. E, erst nach parientes (bzw. pariendum/pereundum) ein Punkt zu setzen76 und die Folge von sic bis dorthin entweder als ein selbständiger Satz zu verstehen oder noch an den vorhergehenden anzuschließen. Dass so zu interpungieren ist, wird auch durch das nachfolgende accipere se nahe gelegt, welches das vorherige venire se wieder aufnimmt. Die von den meisten Herausgebern aufgenommene Lesart pereundum wird als ”natürlich im fall eines krieges. gedeutet.77 Die germanische Frau soll bei ihrer Hochzeit daran erinnert werden, ”dass sie – im Gegenteil zur Römerin – auch am Kriege teilnehmen soll … Dem Ethnographen Tacitus ging es nämlich … darum, die Merkwürdigkeiten … der Germanen … zu beschreiben. Und eine solche merkwürdige Verschiedenheit ist eben die Teilnahme der Germanin am Kriege..78 Eine solche Interpretation scheint indessen ausgeschlossen, da Tacitus kaum der Überzeugung gewesen sein wird, dass die germanische Frau ebenso Kombattantin war wie der Mann, d.h. ebenso totgeschlagen werden konnte wie er. Auch der Hinweis auf c. 7,3 und c. 8,179 führt nicht weiter, da hier nicht von kriegerischen Aktivitäten, etwa vom Mitkämpfen die Rede ist. Ebenfalls scheint die Lesart pereundum in diesem stilistisch ausgearbeiteten Kapitel durchaus fehl am Platz; es wäre vielmehr moriendum zu erwarten gewesen,80 zumal die Lesart pereundum eine ”Trivialisierung … (bezogen auf in proelio …). ist.81 Die Annahme, bei pereundum handle es sich um die lectio facilior,82 wird auch dadurch wahrscheinlich, dass pereundum die Lesart ist, ”which is lacking in respectable manuscript authority..83 pereundum ist somit zu verwerfen. Die Lesart pariundum ist dagegen sowohl die lectio difficilior als auch im Kontext passend, da damit der im Vorhergehenden geäußerte Gedanke mit dem Nachfolgenden verknüpft wird.84 Die Schwierigkeit des unpersönlichen Gebrauchs des Gerundivums ohne Objekt, da das Verb parire bei Tacitus sonst nicht in konkretem Sinn vorkommt,85 lässt sich dabei wohl aus der Stilistik der Stelle erklären.86 accipere se quae liberis inviolata ac digna reddat] accipere se ist abhängig von admonetur. Da sich das Relativpronomen quae nicht konkret auf die Geschenke bezieht, sondern vielmehr auf die hinter den Geschenken liegende Idee, das Weitergeben höchstens von den Waffen gesagt sein könnte, nicht aber von den Rindern und Pferden, hat es die Funktion eines Definitpronomens. 79 So etwa Lund 1979: 123, Anm. 7. 80 moriendum ist denn auch von Novák emendiert worden (vgl. Robinson 1991: 294). 81 Perl 1990: 184. 82 Dies wird auch etwa durch Lund 1979 : 119 zugegeben: ”die Lesart pariendum, die (müssen wir gestehen) ohne Zweifel die lectio difficilior ausmacht.. 83 Robinson 1991: 294. 84 Vgl. ausführlich Kraggerud 1969: 82-83. 85 Vgl. hierzu ausführlich Lund 1979: 121; ebenso Perl 1990: 184. 86 Es ist jedoch nicht ganz auszuschließen, dass bereits das Gerundivum pariendum (und ebenso auch vivendum) eine humanistische Korrektur ist. Denn die sonst nicht in die Diskussion eingebrachte Lesart parientes und viventes scheint den Zustand des Codex Hersfeldensis zu repräsentieren, da sie kaum als Neuerung erklärbar ist (wenig wahrscheinlich ist die letztendlich von Rhenanus stammende Begründung bei Hirstein 1995: 227: ”When one considers the general lack of paragraph division in the manuscripts and imprints, it seems possible that the sic viventes, sic parientes of k may have been motivated by the plural of agunt in 19,1., da mit dem direkt in der Umgebung stehenden (venire) se und (accipere) se beide Male der Singular, die Frau, gemeint ist). Interessant ist nun, dass Rhenanus in seinen Castigationes diese Lesart nicht rundweg ablehnt (zitiert nach Hirstein 1995: 226): ”Sic vivendum, sic pereundum.) Diversam lectionem ex annotatiunculis reperio, nempe hanc Sic viventes, sic parientes accipere se. Tum legerim reddant atque sic distinxerim: Hoc iuncti boves, hoc paratus equus, hoc data arma renunciant: sic viventes, sic parientes, accipere se quae liberis inviolata, ac digna reddant, quae nurus accipiant ut referatur ad uxores, nam et boves pariunt.; die Beibehaltung von viventes und parientes würde somit nach Rhenanus eine Konjektur nach sich ziehen. Es kann indessen überlegt werden, ob es sich nicht um einen Fall von taciteischer Inkonnizität handeln kann (zum Part.präs. in futurischer Bedeutung vgl. Kühner – Stegmann II,1: 757); man beachte immerhin, dass Longolius perientes konjiziert hat (vgl. die Angabe bei Passow 1817: 28). liberis sind – wie das Nachfolgende zeigt – lediglich die Söhne (zu einer möglichen Parallele vgl. c. 20,3: heredes tamen successoresque sui cuique liberi et nullum testamentum. si liberi non sunt ‚Erben und Rechtsnachfolger eines jeden sind dennoch nur die eigenen Kinder, und das ohne Testament. Sind keine Kinder vorhanden‘). Die Wörter inviolata und digna sind Synonyme. Da digna absolut zu verstehen ist,87 ist der Satzteil quae – referantur nicht von digna abhängig. 87 Vgl. ThLL V,1: 1143,64-1144,61. 88 Vgl. Robinson 1991: 261, 295; Perret 1997: 82. Auch die alten Drucke spiegeln diese Varianz wieder (vgl. die Angaben bei Maßmann 1847: 78; Hirstein 1995: 308, dessen Angaben allerdings unvollständig sind). 89 rursus quae findet sich u.a. bei Passow 1817: 29; Günther 1826: 26; Grimm 1835: 10; Maßmann 1847: 78; Holtzmann – Holder 1873: 46; rursusque findet sich u.a. bei Tross 1841: 16; Müllenhoff 1900: 307; Gudeman 1916: 124; Schweizer-Sidler 1923: 48; Halm 1930: 232; Reeb 1939: 39; Lechantin de Gubernatis 1949: 14; Much 1967: 282; Koesterman 1973: 16; Önnerfors 1983: 14; Winterbottom – Ogilvie 1985: 47; Lund 1988: 84; Perl 1990: 98; Robinson 1991: 295; Anderson 1997; Perret 1997: 82; Benario 1999: 32. 90 Vgl. auch Sörbom 1935: 139. 91 Nicht weiter ausschlaggebend, aber dennoch aufschlussreich, ist die Tatsache, dass diese doppelte Verwendung von quae auch Unbehagen hervorgerufen hat, so dass referantur gelegentlich gegen die hss. Überlieferung in referant konjiziert wurde (vgl. die Angaben bei Hirstein 1995: 308; Müllenhoff 1900: 307; für die Emendation spricht sich auch Perl 1990: 98 aus; vgl. S. 185: ”diese doppelte Konstruktion ist zwar nicht ungewöhnlich …, aber gerade im Archetypus der Germania-Handschriften finden sich häufig derartige Fehler bei der Auflösung der abgekürzten Schreibung der Endung.). 92 Robinson 1991: 261. 93 Vgl. Robinson 1991: 237-238. quae nurus accipiant, rursus quae ad nepotes referantur] In den Hss. findet sich die Folge rursus quae in c.CpQfds, rursus que in mhtBET und rursusque in WbvrabrlezuARce.88 Zwischen rursusque und rursus quae schwanken auch die modernen Ausgaben, wobei sich in neuerer Zeit rursusque durchgesetzt hat.89 Falls man rursusque liest, muss quae, welches das Objekt zu accipiunt ist, als Subjekt zu referantur ergänzt werden. Eine solche .p. ......-Konstruktion ist zwar häufiger belegt (vgl. etwa Tac. dial. 8,3: quod non a principe acceperint nec accipi possit ‚was sie nicht vom Princeps empfingen und was sich auch nicht empfangen läßt‘),90 jedoch vermag sie wegen der hss. Überlieferung kaum zu überzeugen.91 Denn dies wäre der einzige Fall ”of the separation of -que in a considerable number of manuscripts..92 Auch die mengenmäßige Überlegenheit von rursusque vermindert sich, da die Hss.-Gruppe f (abrlezuARce) durchaus minderwertig ist. Die Überlieferung innerhalb der Hss.-Gruppe t (rursus quae in d, rursus que in ET und rursusque in vr) zeigt ebenfalls deutlich, dass es sich um eine sekundäre Varianz handelt. Da nun einerseits die Getrenntschreibung gut bezeugt ist, andererseits die Schreibung -e für -ae häufig ist,93 wird sie für die Zusammenrückung zu rursusque verantwortlich gewesen sein. Als eine genaue Parallele ist übrigens die Zusammenrückung kurz vorher von se quae zu seque in den Hss. mlezuARce anzusehen,94 wobei aber kein Herausgeber seque in seinen Text aufgenommen hat. Für quae spricht schließlich auch die Häufung der Anaphora in diesem Abschnitt, wobei das dreifache quae eine genaue Entsprechung im dreifachen hoc findet. 94 Vgl. Robinson 1991: 160. Zu beachten ist, dass beide Male die gleiche Schreibung von quae als -que in lezuARce vorliegt. KAPITEL 19 1 Ergo] Mit ergo wird das Nachfolgende als notwendige Folge aus dem Vorangegangenen,1 nämlich der geschilderten Auffassung der Ehe angeknüpft.2 1 Zur Funktion von ergo vgl. Kühner – Stegmann II,2: 138-139: ”Ergo … bezeichnet … eine aus dem Vorhergehenden gezogene notwendige Folge.. Zur Stellung im Satz ebd. S. 139. 2 Vgl. auch etwa Müllenhoff 1900: 307: ”sondern schließt das folgende als wirkung … eng an das vorhergehende an.; Reeb 1933: 39-40; Perl 1990: 185; Anderson 1997: 111; Benario 1999: 85. Anders Gudeman 1916: 124: ”ergo = igitur, wieder aufnehmend …, indem T. dasselbe Thema nun von einer anderen Seite beleuchtet. – Als Konklusivpartikel würde ergo das Folgende als das Ergebnis der im c. 18 gegebenen Darstellung bezeichnen, was nur in sehr bedingtem Maße zutrifft.; es fragt sich jedoch, was wieder aufgenommen wird. 3 Vgl. etwa Baumstark 1875: 624-625; Gudeman 1916: 124, 244; Schweizer-Sidler 1923: 48. 4 Vgl. Robinson 1991: 295. 5 Baumstark 1875: 625; so auch Gudeman 1916: 124. 6 Es muss ohnehin angemerkt werden, dass eine Anführung von so genannten Parallelstellen zur Unterstützung einer Konjektur wenig Beweiskraft besitzt, wenn in den Hss. etwas anderes überliefert ist. 7 Zum Wechsel zwischen a und e vgl. Robinson 1991: 236; zu humanistischen Konjekturen in der Hs. a vgl. c. 1,1: galiis für ga(l)lis (vgl. Robinson 1991: 210). saepta pudicitia] Von etlichen älteren Herausgebern wurde das in fast allen Hss. einheitlich überlieferte saepta in saeptae konjiziert;3 letztere Form war von Crollius aus der Schreibung septe in der Hs. a gewonnen.4 Begründet wurde diese Konjektur zum einen mit Hinweis auf einige Parallelstellen: Liv. 3,44,4: postquam omnia pudore saepta animadverterat ‚als er aber bemerkte, daß ihm alle Wege durch ihr Schamgefühl versperrt waren‘; Cic. parad. 4,1: sapientis animus … virtutibus denique omnibus ut moenibus saeptus ‚die Seele eines Weisen … schließlich durch alle Tugenden wie durch Mauern geschützt wird‘; ds. fam. 16,20(23),2: quibus praesidiis philosophiae saeptus sim ‚wie stark ich durch die Philosophie gepanzert bin‘; ds. Brut. 330: domi teneamus eam saeptam liberali custodia … tueamurque ut adultam virginem caste ‚wir wollen sie [= die Redekunst] im Hause behalten, umhegt von freier Hut … Wir … wollen sie als herangereifte Jungfer keusch bewahren‘. Zum anderen hätten die ”saeptae pudicitiâ unserer Stelle … ihren Gegensatz in den corruptae, welches Wort ebenso den Satz schliesst, wie saeptae ihn anfängt, was ebenfalls für die Lesart saeptae spricht..5 Jedoch hat die Form saeptae in den Hss. viel zu wenig Gewähr, um als echt auch nur in Betracht gezogen zu werden.6 Denn die Schreibung septe kann entweder als eine Verschreibung erklärt werden, die somit nicht für saeptae stehen muss, oder es kann sich um eine humanistische Konjektur handeln.7 Desgleichen kann auf eine ähnliche Stelle, nämlich Tac. ann. 4,12,2, verwiesen werden: pudicitia Agrippinae impenetrabili ‚der unbezwinglichen Keuschheit Agrippinas‘.8 Ebenfalls ist der vermeintliche Parallelismus zwischen saeptae und corruptae nicht sehr stringent, weil es sich hierbei nicht um wirkliche Gegenstücke handelt.9 Schließlich ergibt die Fügung saepta pudicitia einen gut verständlichen Sinn,10 da die Ansichten über die Ehe der Grund für die Behütung waren, die pudicitia dagegen deren Folge war.11 agunt] agunt steht für agunt vitam (= vivunt); vgl.auch c. 42,1: iuxta Hermunduros Narisci … agunt ‚neben den Hermunduren wohnen die Narister‘; c. 43,2 ultra quod plurimae gentes agunt ‚auf dessen anderer Seite zahlreiche Völkerschaften wohnen‘. 8 So auch Reeb 1933: 40; Lund 1988: 164; Anderson 1997: 112. 9 Stilistisch argumentiert Müllenhoff 1900: 308: ”abgesehen davon dass die beiden participien saeptae – corruptae dem satz nicht gerade zur zierde gereichen.. 10 Vgl. auch Much 1967: 288: ”An sich ist aber das saepta … keineswegs sinnlos, ja es paßt vortrefflich zum Folgenden.. 11 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 308: ”er meint: während die Römer ihren weibern und töchtern hüter bestellen, schützen sich die germanischen frauen selbst durch die pudicitia, die wieder durch die symbole und ihren sinn gleichsam behütet und sicher gestellt ist.; Wolff 1986: 268, Anm. 14: ”Die Vermutung saeptae p. … wird widerraten dadurch, daß sie die Bindung auf die pudicitia verengt; es ist aber die pudicitia eine Folge des geschilderten Berufes als socia.; Anderson 1997: 112: ”but it was the lofty conception of wedlock that furnished the protection, not the pudicitia which was the result of it.. 12 Müllenhoff 1900: 308; so auch Gudeman 1916: 125; Schweizer-Sidler 1923: 48. 13 Baumstark 1875: 626: ”Es ist deshalb falsch, wenn das Satzglied literarum secreta – ignorant getrennt von dem Vorigen hingestellt wird; es darf nur durch ein Kolon davon getrennt werden.. So übernommen von Müllenhoff 1900: 308; Gudeman 1916: 125, 244. nullis spectaculorum illecebris, nullis conviviorum irritationibus corruptae] Tacitus hebt im Folgenden drei Punkte hervor, durch welche die pudicitia der römischen Frauen (in Gegensatz zu den germanischen) gefährdet ist (der gleiche Gegensatz findet sich auch bei Hor. carm. 3,24,21-24: dos est magna parentium / virtus et metuens alterius uiri / certo foedere castitas, / et peccare nefas aut pretium est mori ‚Elterntugend ist Mitgift dort, und die Keuschheit, die flieht, ihrem Gelöbnis treu, vor dem Reize des fremden Manns; untreu gilt als Vergehn, welches der Tod nur sühnt‘). Nach Baumstark (gefolgt von Müllenhoff12), darf zwischen nullis spectaculorum illecebris, nullis conviviorum irritationibus corruptae. litterarum secreta nicht scharf, nur durch ein Kolon getrennt werden.13 Jedoch ist eine Abtrennung durch einen Punkt durchaus erlaubt, da Letzteres sowohl Frauen als auch Männer betrifft. Zum verderblichen Einfluss von Verlockungen vgl. Cic. rep. 6,1,1: ad omne facinus inpellunt eos quos inlecebris suis incenderunt ‚so treiben sie diejenigen, die sie mit ihren Lockungen in Hitze gebracht haben, zu jeglicher Untat‘. Der angeblich14 verderbliche Einfluss von spectacula auf die Moral der Frauen wird von vielen Dichtern und Prosaikern beschrieben: Tac. ann. 14,20,3-4: spectaculorum quidem antiquitas servaretur, quotiens praetor sederet, nulla cuiquam civium necessitate certandi. ceterum abolitos paulatim patrios mores funditus everti per accitam lasciviam, ut, quod usquam corrumpi et corrumpere queat, in urbe visatur degeneretque studiis externis iuventus, gymnasia et otia et turpes amores exercendo, principe et senatu auctoribus, qui non modo licentiam vitiis permiserint, sed vim adhibeant, ut proceres Romani specie orationum et carminum scaena polluantur ‚bei den Schauspielern solle wenigstens die alte Form gewahrt bleiben, wonach dann, wenn der Prätor den Vorsitz führe, für keinen Bürger irgendein Zwang bestehe, mit aufzutreten. Überhaupt würden die allmählich außer Gebrauch gekommenen Sitten der Väter völlig beseitigt mit Hilfe der hereingeholten Zuchtlosigkeit; deren Zweck und Folge sei es, daß man alles, was irgendwo sich verführen lasse oder verführen könne, auch in Rom zu sehen bekomme und eine Entartung der Jugend durch die Ausländerei vor sich gehe, wenn sie in die Ringschulen laufe und sich dem Müßiggang und schandbaren Liebesverhältnissen hingebe: Princeps und Senat seien die treibenden Kräfte, da sie nicht nur den Lastern freien Lauf gelassen hätten, sondern auch noch Gewalt anwendeten, damit führende Römer scheinbar um der Rede- und Dichtkunst willen durch das Auftreten auf der Bühne entehrt würden‘; Prop. 2,19,9: illic te nulli poterunt corrumpere ludi ‚dort [= auf dem ärmlichen Land] gibt’s keinerlei Spiele, dich irgendwie zu verderben‘; ds. 2,22,4-10: o nimis exitio nata theatra meo! / sive aliquis molli diducit candida gestu / bracchia seu varios incinit ore modos: / interea nostri quaerunt sibi vulnus ocelli, / candida non tecto pectore si qua sedet, / sive vagi crines puris in frontibus errant, / Indica quos medio vertice gemma tenet ‚und das Theater – o weh! Mir zum Verderben entstand’s! Streckt in geschmeidigem Tanz dort einer die schimmernden Arme oder entströmen dem Mund wechselnde Weisen vielleicht, sucht indessen mein Auge zu Herzenswünschen Anlaß, falls ein Mädchen da sitzt, blendend, mit offener Brust, oder auf klarer Stirn verlorene Locken sich krauseln, die auf dem Scheitel die Schnur Indischer Perlen umschließt‘; ds. 4,8,77: colla cave inflectas ad summum obliqua theatrum ‚reck im Theater den Hals nicht empor!‘; Ov. ars 1,97-100: sic ruit ad celebres cultissima femina ludos. / copia iudicium saepe morata meum est. / sepctatum veniunt, veniunt spectentur ut ipsae. / ille locus casti damna pudoris habet ‚ebenso eilen zum 14 Anders noch Much 1967: 288: ”Die vielfach unsittlichen römischen Schauspiele und die Gastmähler, an denen im Gegensatz zu den germanischen Verhältnissen die römischen Frauen teilnahmen, waren ihrer Tugend sehr gefährlich.. volkreichen Spiel die gepflegtesten Frauen. Oft hat die riesige Schar mir die Entscheidung erschwert. Sie, die zum Sehen kommen, sie kommen, gesehen zu werden‘; ebd. 1,133-142: scilicet ex illo sollemni more theatra / nunc quoque formosis insidiosa manent. / nec te nobilium fugiat certamen equorum. / multa capax populi commoda Circus habet. / nil opus est digitis, per quos arcana loquaris, / nec tibi per nutus accipienda nota est: / proximus a domina, nullo prohibente, sedeto, / iunge tuum lateri qua potes usque latus. / et bene, quod cogit, si nolis, linea iungi, / quod tibi tangenda est lege puella loci ‚seit dieser Brauch geheiligt ist, birgt das Theater natürlich für die Schönen bis heut viele Gefahren in sich. Lasse dir auch nicht entgehen das Wettrennen rassiger Pferde: Vielerlei Vorteile bringt’s, füllt sich der Zirkus mit Volk. Dort brauchst du weder die Finger, um Heimliches so zu vermitteln, noch mußt du durch einen Wink Botschaften empfangen von ihr. Ganz nahe bei der Geliebten sollst ungehindert du sitzen, ständig, so fest du nur kannst, drück deine Seite an sie. Gut, daß – auch wenn du nicht wolltest – die Schranke euch eng aneinander zwingt, und daß du sie berühren mußt nach des Ortes Gesetz‘; ds. rem. 751-755: at tanti tibi sit non indulgere theatris, / dum bene de vacuo pectore cedat amor. / enervant animos citharae lotosque lyraeque / et vox et numeris bracchia mota suis. / illic adsidue ficti saltantur amantes ‚aber den Wert soll es für dich haben, daß du nicht der Leidenschaft für die Theater frönst, wenn nur zu deinem Besten die Liebe dein Herz räumt und es dadurch frei wird. Zitherspiel, Flöte und Leier schwächen deine Willenskraft und Gesang und zum Tanz rythmisch bewegte Arme. Dort werden ständig die Liebenden der Mythen pantomimisch dargestellt‘; Iuv. 6,60-81: porticibusne tibi monstratur femina voto / digna tuo? cuneis an habent spectacula totis / quod securus ames quodque inde excerpere possis? / chironomon Ledam molli saltante Bathyllo / Tuccia vesicae non imperat, Apula gannit, / [sicut in amplexu subito et miserabile longum] / attendit Thymele, Thymele tunc rustica discit. / ast aliae, quotiens aulaea recondita cessant, / et vacuo clusoque sonant fora sola theatro, / atque a plebeis longe Megalesia, tristes / personam thyrsumque tenent et subligar Acci. / urbicus exodio risum movet Atellanae / gestibus Autonoes, hunc diligit Aelia pauper. / solvitur his magno comoedi fibula, sunt quae / Chrysogonum cantare vetent, Hispulla tragoedo / gaudet: an expectas ut Quintilianus ametur? / accipis uxorem de qua citharoedus Echion / aut Glaphyrus fiat pater Ambrosiusque choraules. / longa per angustos figamus pulpita vicos, / ornentur postes et grandi ianua lauro, / ut testudineo tibi, Lentule, conopeo / nobilis Euryalum murmillonem exprimat infans ‚zeigt man dir etwa in den Arkaden eine Frau, die deines Wunsches wert wäre? Weisen etwa die Sitzplätze in allen ihren Blöcken jemanden auf, den du ohne Bedenken lieben und von dort erwählen könntest? Wenn der zarte Bathyllus pantomimisch die ”Leda. tanzt, bezähmt Tuccia ihren Schoß nicht mehr, Apula stöhnt auf, [plötzlich wie in der Umarmung, lang und jammernd] Thymele schaut aufmerksam, die naive Thymele lernt jetzt noch dazu. Andere dagegen halten, wenn die Vorhänge verwahrt sind und pausieren, das Theater leer und geschlossen ist und allein die Marktplätze lärmen, und es noch lange dauert von den Plebejischen Spielen bis zu den Megalesischen, voller Trauer Maske, Thyrsusstab und Lendenschurz des Accius in Händen. Ubricus erregt in dem Schlussstück, der Atellane, Gelächter mit der Gestik der Autonoe, ihn liebt die unbegürtete Aelia. Anderen öffnet sich für viel Geld die Fibel des Komödienspielers, manche hindern Chrysogonus am Singen, Hispulla erfreut sich an einem Tragöden: erwartest du etwa, daß man einen Quintilian liebt? Eine Frau bekommst du, die den Kitharöden Echion zum Vater macht oder die Oboisten Glaphyrus oder Ambrosius. Lange Tribünen wollen wir in den engen Gassen errichten, Pfosten und Tür sollen mit mächtigem Lorbeer geschmückt werden, damit dir dann, Lentulus, das adlige Kind im schildplattverzierten Himmelbet die Züge des Gladiators Euryalus wiedergebe‘; Sen. epist. 7,2: nihil uero tam damnosum bonis moribus quam in aliquo spectaculo desidere: tunc enim per uoluptatem facilius uitia subrepunt ‚nichts aber ist so schändlich für einen guten Charakter, wie sich bei irgendeiner Schaustellung niederzulassen: dann nämlich schleichen sich durch Vermittlung des Vergnügens Fehlhaltungen besonders leicht ein‘.15 Solche Gefahren für Frauen lauerten jedoch nicht nur dort, sondern sogar in Tempeln (vgl. Ov. trist. 2,289-292: cum steterit Iovis aede, Iovis succurret in aede / quam multas matres fecerit ille deus. / proxima adoranti Iunonia templa, subibit / paelicibus multis hanc doluisse deam ‚steht sie in Juppiters Haus, läßt Juppiters Haus sie bedenken, wie viele Frauen der Gott jemals zu Müttern gemacht; fleht sie in Junos Tempel daneben, so kommt ihr der Einfall, daß diese Göttin so oft unter den Kebsfrauen litt‘), sowie im Zirkus (vgl. Iuv. 11,201-202: spectent iuvenes, quos clamor et audax / sponsio, quos cultae decet adsedisse puellae ‚Zuschauen mögen die jungen Männer, denen das Geschrei und die kühne Wette anstehen, das Sitzen neben dem herausgeputzten Mädchen‘). 15 Zu vergleichen ist auch aus späterer Zeit das Buch De spectaculis von Tertullian. Dasselbe trifft nach ihrer Auffassung auch auf die convivia zu: Ov. ars 1,229-244: dant etiam positis aditum convivia mensis: / est aliquid praeter vina, quod inde petas. / saepe illic positi teneris adducta lacertis / purpureus Bacchi cornua pressit Amor: / vinaque cum bibulas sparsere Cupidinis alas, / permanet et capto stat gravis ille loco. / ille quidem pennas velociter excutit udas: / sed tamen et spargi pectus Amore nocet. / vina parant animos faciuntque caloribus aptos: / cura fugit multo diluiturque mero. / tunc veniunt risus, tum pauper cornua sumit, / tum dolor et curae rugaque frontis abit. / tunc aperit mentes aevo rarissima nostro / simplicitas, artes excutiente deo. / illic saepe animos iuvenum rapuere puellae, / et Venus in vinis ignis in igne fuit ‚Zugang eröffnet dir auch das Gastmahl, wo Tische gedeckt sind; außer den Weinen gibt’s dort mehr noch zu holen für dich. Oft zog und drückte die Hörner des Bacchus, der da stand, mit zarten Armen fest an sich heran Amor, der purpurne Gott, und wenn der Wein die durstigen Flügel Cupidos besprengt hat, bleibt an der Stelle, die er einnahm, er schwerfällig stehn. Freilich schüttelt er eilends dann aus das feuchte Gefieder, aber es schadet bereits, netzt Amor nur deine Brust. Wein macht den Geist bereit und stimmt ihn geneigt zum entbrennen, Kümmernis flieht, und sie löst, trinkt man viel puren, sich auf. Dann kommt das Lachen, dann fühlt wie ein mutiger Stier sich der Arme, dann schwinden Sorgen und Schmerz, frei wird von Runzeln die Stirn; dann schließt die Einfalt, die sich so selten in unseren Zeiten findet, die Herzen auf, denn Künstlichkeit treibt der Gott aus. Dort raubten oft schon die Herzen der jungen Männer die Mädchen; Venus steckte im Wein und war wie Glut in der Glut‘; ds. epist. 17,75-88: illa quoque, adposita quae nunc facis, improbe, mensa, / quamvis experiar dissimulare, noto – / cum modo me spectas oculis, lascive, protervis, / quos vix instantes lumina nostra ferunt, / et modo suspiras, modo pocula proxima nobis / sumis, quaque bibi, tu quoque parte bibis. / a, quotiens digitis, quotiens ego tecta notavi / signa supercilio paene loquente dari! / et saepe extimui ne vir meus illa videret, / non satis occultis erubuique notis. / saepe vel exiguo vel nullo murmure dixi: / ‚nil pudet hunc!‘ nec vox haec mea falsa fuit. / orbe quoque in mensae legi sub nomine nostro, / quod deducta mero littera fecit, ‚amo‘ ‚auch bemerk ich [= Helena], was du [= Paris] jetzt tust, rückt man den Tisch her, wenn ich es, schamloser Kerl auch zu verheimlichen such, wenn du mich bald mit frechen Augen, du Lüstling betrachtest, die mein Blick kaum erträgt, wenn sie so zudringlich sind, wenn due bald seufzest, bald zum Pokal greifst, der neben mir steht, und an der Stelle trinkst, wo ich gerade auch trank. Oh, wie oft bemerkte ich, wie du verborgene Zeichen gabst mit den Fingern, und bald sprachen die Brauen beinah. Oft befürchtete ich, mein Mann könnte alles entdecken, und ich errötete oft, waren die Winke zu klar. Oft auch sprach ich zu mir, leis murmelnd oder gar tonlos: ”Schamlos ist der.. Mein Wort war ja auch gar nicht so falsch. Auch auf des Tisches Rund stand mit Wein mein Name geschrieben, während ich unterhalb ”AMO – Ich liebe dich. las‘; Quint. inst. 1,2,8: nostras amicas, nostros concubinos vident, omne convivium obscaenis canticis strepit, pudenda dictu spectantur. fit ex his consuetudo, inde natura ‚unsere Freundinnen und unsere Schlafzimmerfreunde sehen sie [= die Kinder], jede Abendgesellschaft dröhnt von unanständigen Liedern, was man auch nur zu nennen sich scheut, ist da zu sehen. So wird dieses Leben zur Gewohnheit und damit zur zweiten Natur‘; Iuv. 11,162-170: forsitan expectes ut Gaditana canoro / incipiant prurire choro plausuque probatae / ad terram tremulo descendant clune puellae: / [spectant hoc nuptae iuxta recubante marito / quod pudeat narrare aliquem praesentibus ipsis, / inritamentum veneris languentis et acres / divitis urticae. (maior tamen ista uoluptas / alterius sexus.) magis ille extenditur, et mox / auribus atque oculis concepta urina mouetur] ‚vielleicht erwartest du, daß in harmonischem Chor Mädchen Gaditanische Lieder aufreizend anstimmen und, durch Beifallklatschen belobigt, mit vibrierendem Hintern zur Erde sinken: [Dies betrachten verheiratete Frauen, während ihr Mann neben ihnen ruht, was jemand in ihrer Gegenwart nur zu erzählen sich schämen würde, ein Reizmittel für das erschlaffte Liebesbegehren und scharfe Nesseln für den Reichen. (Größer ist jedoch die Wollust beim anderen Geschlecht.) Er erregt sich stärker und bald ergießt sich, durch Ohren und Augen ausgelöst, der Samen.]‘. Vgl. zum Ganzen auch die Angaben des Tacitus über die Germanen (hist. 4,64,3: instituta cultumque patrium resumite, abruptis voluptatibus, quibus Romani plus adversus subiectos quam armis valent ‚nehmt wieder Bräuche und Lebensgewohntheit der Väter an, reißt euch los vom Genußleben, durch das die Römer mehr Macht über die Unterworfenen ausüben als durch ihre Waffen‘) und die Britannier (Agr. 21,2: paulatimque descensum ad delenimenta vitiorum, porticus et balinea et conviviorum elegantiam. idque apud imperitos humanitas vocabatur, cum pars servitutis esset ‚allmählich verfiel man auch auf die Reize der Laster: auf Säulenhallen und Bäder und üppige Gelage. Und dergleichen galt den Unerfahrenen für feine Bildung, während es doch ein Stück Knechtschaft war‘). An anderen Stellen in der Germania spricht Tacitus sehr wohl von Schauspielen (c. 24,1) und Gelagen (c. 14,2; 21,2; 22,1-3).16 Unklar ist dabei, ob Tacitus davon ausgeht, dass Frauen hieran nicht teilnehmen durften oder davon, dass solche ‚harmlos‘ waren.17 16 Aus diesem Grund ist auch die Bemerkung von Lange in Much 1967: 288 überflüssig: ”Der Ausdruck illecebris schließt indessen nicht aus, daß es kultische Darstellungen, Umzüge, Waffentänze u. dgl. gegeben hat.. 17 Unklar ist natürlich, ob Tacitus sich eine solche Frage überhaupt gestellt hat, da er hier offensichtlich römische Verhaltensweisen kritisiert. litterarum secreta viri pariter ac feminae ignorant] Aus der Fügung litterarum secreta wird von einigen eine doppelte Interpretation herausgelesen: ”der Ausdruck ist zweideutig, denn es kann sowohl als ‚die Geheimnisse des Schreibens‘ wie als ‚geheimer Briefwechsel‘ aufgefasst werden. Wenn man bedenkt, dass die Germanen gemäß Tacitus die Schreibkunst nicht kannten (vgl. c. 10,1), liest sich die Bemerkung als eine bewußt ironische Zweideutigkeit oder eine witzige Bemerkung..18 Jedoch scheint eine solche doppelte Lesart hier kaum angebracht zu sein.19 Denn es ist hier eindeutig nur von römischen Verhältnissen die Rede, nicht von germanischen. Desgleichen war auch im germanischen Raum weder ein Amphitheater noch ein Zirkus vorhanden.20 Es handelt sich hier somit gar nicht um die Kenntnis der Schrift bei den Germanen.21 Eine solche Aussage würde denn auch gar nicht zum Vorausgehenden und zum Nachfolgenden passen.22 (Im Übrigen streitet Tacitus weder in c. 10,1 noch anderswo den Germanen die Kenntnis der Schrift ab, genauso wenig wie er ihnen diese Kenntnis zuspricht; er macht dazu in der gesamten Germania keinerlei Aussage.) Schließlich lässt auch die Dreierreihung, in der die ersten beiden Aussagen nicht zweideutig sind, eine solche Zweideutigkeit im letzten Glied nicht zu.23 Der Ausdruck litterarum secreta ist demnach als secretae litterae zu verstehen, also als heimliche (Liebes)briefe. Aus diesem Grund ist auch der häufig anzutreffende Hinweis auf Briefe germanischer Anführer, die wohl auf Lateinisch geschrieben waren (vgl. etwa Tac. ann. 2,63,1: transgressus Danuvium … scripsit Tiberio ‚nach Überschreiten der Donau … schrieb er [= Marbod] an Tiberius‘; ebd. 2,88,1: Adgandestrii principis Chattorum lectas in senatu litteras ‚ein Brief des Chattenfürsten Adgandestrius sei im Senat verlesen worden‘), nicht weiterführend. 18 Lund 1988: 164; vgl. auch Rives 1999: 203. 19 Es muss übrigens gesagt werden, dass der Ausdruck litterarum secreta an sich drei Bedeutungen haben kann: 1. Geheimnis der Schrift, 2. geheime Buchstaben und 3. geheime Briefe. 20 So auch Gudeman 1916: 125. 21 Daher ist auch der Kommentar von Benario 1999: 86 (”Whether literacy and the abiltiy to write was common, or even existent, among the Germans is dubious.) nicht weiterführend. Ähnlich zu beurteilen ist auch Megasthenes, FGrHist 715 F 32, wo berichtet wird, dass die Inder keine geschriebenen Gesetze kennen, andererseits aber bemerkt wird, dass die Inder die Schrift überhaupt nicht kennen. 22 Vgl. Müllenhoff 1900: 308: ”allein über die kenntnis der schrift äussert sich Tacitus hier gar nicht. er hat nur den gegensatz der römischen sitte im auge, wie schon daraus hervorgeht, dass sich sonst das folgende gar nicht anschliessen würde.; vgl. auch Baumstark 1875: 626-627; Gudeman 1916: 125: ”Die … Frage, ob die Schreibkunst bei den Germanen damals überhaupt schon allgemeiner verbreitet war … ist für die Beweisführung des T. belanglos.; Much 1967: 288. 23 Vgl. auch Baumstark 1875: 626: ”Und bei dieser Behandlung ist auch sonnenklar, dass Tacitus, der so oft durch allgemeine Ausdrücke dunkel wird, an gar nichts Anderes dachte, als an unzüchtige Liebescorrespondenz.. 24 Zur Verbindung pariter ac vgl. Kühner – Stegmann II,2: 18. Die Fügung viri pariter ac feminae24 steht für omni Germani. Zu solchen geheimen Briefen können zum Vergleich herangezogen werden: Ov. am. 1,11,7-8: accipe et ad dominam peraratas mane tabellas / perfer et obstantes sedula pelle moras ‚nimm du die Tafel, die früh ich heut schrieb, und bring sie der Herrin! Schau aber, daß unterwegs nichts dich verzögert und hemmt!‘; ds. ars 1,437-446: cera vadum temptet, rasis infusa tabellis: / cera tuae primum conscia mentis eat. / blanditias ferat illa tuas imitataque amantum / verba. nec exiguas, quisquis es, adde preces. / … / promittas facito. quid enim promittere laedit? / pollicitis dives quilibet esse potest. / spes tenet in tempus, semel est si credita, longum. / illa quidem fallax, sed tamen apta dea est ‚Wachs auf geglätteten Täfelchen prüfe, wie sicher die Furt ist; Wachs, welches weiß, was du denkst, geh’ auf dem Weg dir voran. Laß Schmeicheleien es ihr und verliebt sich stellende Worte bringen; füg – wer du auch seist – reichliche Bitten hinzu … Daß du nur ja viel versprichst – denn was schadet es schon zu versprechen? Reich an Versprechungen kann jeder beliebige sein. Hoffnung hält lange Zeit vor, hat sie einmal Glauben gefunden; ist diese Göttin auch falsch, dient sie doch gut deinem Zweck.‘; ebd. 3,621-622: conscia cum possit scriptas portare tabellas, / quas tegat in tepido fascia lata sinu ‚und die Vertraute kann die beschriebenen Tafeln befördern, die an der wärmenden Brust unter dem Band sie versteckt‘; Iuv. 6,233-235: illa docet missis a corruptore tabellis / nil rude nec simplex rescribere, decipit illa / custodes ‚sie lehrt, auf die vom Verführer geschickten Liebesbriefe nichts Ungeschicktes und Einfältiges zu antworten, sie täuscht die Aufpasser‘; ds. 6,277: quae scripta et quot lecture tabellas ‚welche Mitteilungen und wie viele Liebesbriefe würdest du lesen‘; ds. 14,29-30: ceras nunc hac dictante pusillas / implet et ad moechum dat eisdem ferre cinaedis ‚nach deren Diktat füllt sie jetzt die kleinen Wachstäfelchen und läßt sie von denselben Schwulen zu ihrem Galan bringen‘. Zur Kenntnis der Schrift bei den Germanen vgl. c. 10,1. Während die Germanen also aus freien Stücken ihre Sittsamkeit bewahren, sind bei den Parthern strenge Verbote dafür erforderlich, vgl. Iust. 41,3,2: quamobrem feminis non convivia tantum virorum, verum etiam conspectum interdicunt ‚deswegen verbietet man den Frauen nicht nur die Gastmähler der Männer, sondern sogar ihren Anblick‘. paucissima in tam numerosa gente adulteria] Diese Angabe ist eigentlich überflüssig, da die Germanen nach Ausweis von c. 18,1 (quamquam severa illic matrimonia ‚obwohl man es dort mit der Ehe sehr genau nimmt‘) es mit der Ehe sehr genau nehmen. Sie ist natürlich ebenfalls aus dem römischen Hintergrund dieser ganzen Stelle zu verstehen; auch der Ehebruch wurde von römischen Schriftstellern thematisiert. Zu in tam numerosa gente vgl. c. 4: in tanto hominum numero ‚der großen Zahl von Menschen zum Trotz‘. Dort ebenfalls zum Gebrauch der Präposition in. quorum poena praesens] In der Hs. a und offenbar in dem verlorenen Codex Bambergensis25 ist anstelle von praesens die Lesart parentibus belegt, die wohl auf einer missverstandenen Abkürzung beruht.26 Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 1,38,1: praesenti duorum militum supplicio paulum repressi sunt ‚wurden aber durch sofortige Hinrichtung zweier Soldaten vorübergehend niedergehalten‘; Cic. div. 2,122: praesens enim poena sit ‚denn die Strafe folgte auf dem Fuß‘. maritis permissa] Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 13,32,2: mariti iudicio permissa ‚dem Urteilsspruch ihres Gatten überantwortet‘. 25 Vgl. die Angabe bei Maßmann 1847: 78; Müllenhoff 1900: 309 (die Lesart ist nicht bei Robinson 1991 und Perret 1997 aufgeführt). 26 Vgl. Müllenhoff 1900: 309. Vielleicht ist die Lesart aber auch durch einen Einfluss altrömischer Zustände in den Text gekommen, da ”die Bestrafung der Ehebrecherinnen … in Anwesenheit des Familiengerichts. (Perl 1990: 185) vorgenommen wurde 27 In Rom war es aber auch noch einem nahen Verwandten gestattet, den Ehebrecher oder die Ehebrecherin zu töten. Dass das Recht der Bestrafung dem Ehemann überlassen ist, entspricht in etwa dem alten römischen Recht (wobei das Familiengericht anwesend war; zu diesem vgl. Liv. 39,18,6: mulieres damnatas cognatis, aut in quorum manu essent, tradebant, ut ipsi in priuato animaduerterent in eas: si nemo erat idoneus supplicii exactor, in publico animaduertebatur ‚die verurteilten Frauen übergaben sie den Verwandten oder denen, in deren Hand sie waren, damit diese selbst zu Hause die Strafe an ihnen vollzogen; wenn kein geeigneter Vollstrecker der Todesstrafe da war, wurde die Strafe vom Staat vollzogen‘; Suet. Tib. 35,1: matronas prostratae pudicitiae, quibus accusator publicus deesset, ut propinqui more maiorum de communi sententia coercerent auctor fuit ‚daß verheiratete Frauen, die einen unsittlichen Lebenswandel führten und für die sich kein öffentlicher Ankläger fand, nach der Sitte der Väter von den Verwandten nach gemeinsamen Beschluß in die Schranken gewiesen wurden, ging auf seine Anregung zurück‘):27 vgl. Gell. 10,23,5: in adulterio uxorem tuam si prehendisses, sine iudicio impune necares, uxor te si adulterares … digito non auderet contingere neque ius est ‚wenn Du Dein Weib (auf frischer That) im Ehebruch ertappst, darfst Du sie ohne Umstände ungestraft tödten … ihr aber steht keineswegs das Recht zu, Dich auch nur mit dem Finger zu berühren‘; Tac. ann. 13,32,2: et Pomponia Graecina insignis femina, Plautio, quem ovasse de Britannis rettuli, nupta ac superstitionis externae rea, mariti iudicio permissa; isque prisco instituto propinquis coram de capite famaque coniugis cognovit et insontem nuntiavit ‚ferner wurde Popmponia Craecina, eine vornehme Frau, mit Plautius, von dessen Triumph über die Britannier ich berichtet habe, verheiratet und wegen ausländischen Aberglaubens angeklagt, dem Urteilsspruch ihres Gatten überantwortet; dieser hielt nach altem Brauch in Gegenwart der Verwandten über Leben und Ehre seiner Gattin Gericht und erklärte sie für unschuldig‘. Dieser privatrechtliche Vorgang wurde im Jahre 17 v. Chr. von Augustus in der lex Iulia de adulteriis coercendis reformiert, vgl. Tac. ann. 2,50,1: de adulterio satis caveri lege Iulio visum ‚hinsichtlich des Ehebruchs schien in der lex Iulia eine ausreichende Regelung vorzuliegen‘.28 Durch dieses Gesetz wurde ”der Ehebruch zu einem strafrechtlich verfolgbaren Delikt gemacht..29 Die Strafe bestand in Rom wohl hauptsächlich in der relegatio, d.h. in einer milden Form der Verbannung, wobei der Verbannte zwar die römischen Bürgerrechte beibehielt, aber ein Teil des Vermögens verlor.30 28 Die Bestrafung war aber nicht dem Ehemann, sondern dem pater familias vorbehalten (vgl. Städele 1991: 344). 29 Stroh 1979: 324. 30 Vgl. KP 4: 1374-1375. 31 Vgl. Amira – Eckhardt 1967: 73. 32 Maßmann 1847: 78 (offensichtlich gefolgt von Baumstark 1875: 628; Müllenhoff 1900: 309) gibt als Lesart der Hs. m abscissis. Nach Robinson 1991: 139 ist sie jedoch abscisis, während Perret 1997: 82 die Lesart nicht angibt: ”de lectione m non liquet. (vgl. auch Perret 1950: 55-56). 33 Verfehlt somit Bruun 1976: 138 (der für die Hss. auf den völlig unzureichenden kritischen Apparat von Koestermann 1970 zurückgreift): ”Ex apparatu critico … intelligimus solum E abscisis servare.. 34 Vgl. Perret 1950: 55-56; Robinson 1991: 139, 209, 255, 295; Perret 1997: 82. 35 Der Bedeutungsunterschied zwischen accidere und abscidere wird teils als ”slight. (Rives 1999: 203), teils werden beide Verben als ”[d]oublet synonymique. (Perret 1950: 56) eingestuft. 36 So bieten adcisis/accisis z.B. Passow 1817: 30; Much 1967: 287; Winterbottom – Ogilvie 1985: 47; Önnerfors 1983: 14; Lund 1988: 84; Perl 1990: 98; Robinson 1991: 295; Benario 1999: 32; demgegenüber abscisis z.B. Grimm 1835: 10; Maßmann 1847: 78; Holtzmann - Holder 1873: 46; Baumstark 1875: 628; Müllenhoff 1900: 309; Gudeman 1916: 125; Schweizer-Sidler 1923: 48; Reeb 1933: 40; Halm 1930: 232; Lenchantin de Gubernatis 1949: 15; Koestermann 1970: 16; Anderson 1997; Perret 1997: 82. Während Tacitus bei den Germanen die Tötung der Frau als Strafe offenbar nicht kennt, war es nach Ausweis späterer germanischer Quellen erlaubt, den Ehebrecher oder die Ehebrecherin zu töten.31 abscisis crinibus] An dieser Stelle liegt ein textkritisches Problem vor, da die Hss. ein uneinheitliches Bild geben: abscisis Wm32tEvleRs,33 accisis hc.CpQfb, adcisis Bdrbr, adscissis zu, adsissis Ace, Incisis a, adcisam mon.34 Auch in den neueren Textausgaben hat sich keine der Varianten35 entscheidend durchsetzen können.36 Da das Alter dieses Nebeneinanders unklar ist,37 müssen andere Argumente zur Entscheidung herangezogen werden.38 Die zumeist übernommene Verteidigung der Lesart adcisis/accisis stammt von Wissowa, der darauf hinweist, dass hiermit auf das gr. Verb pep..e.pe.. abgezielt wird, ”der Kunstausdruck für die Strafe, die der eifersüchtige Liebhaber an der treulosen oder der Treulosigkeit verdächtigen Hetaere vollzog … die ehebrechende Germanin wird von derselben Strafe betroffen wie die griechische Hetaere, die ihren Liebhaber mit einem Nebenbuhler hintergeht.., wobei er darauf verweist, dass es hier weniger darauf ankomme ”was bei den Germanen wirklich Brauch und Rechtens war, als darauf, wie Tacitus sich die Sache vorstellte..39 Dieses Argument ist jedoch kaum ausschlaggebend,40 da Tacitus sich die Sache so oder so vorgestellt haben kann. Aber auch die Begründung von Much ist kaum entscheidend: ”Demgegenüber stellt das abscisis von E sichtlich einen Besserungsversuch dar. Daß umgekehrt so Leichtverständliches und Naheliegendes wie abscisis in accisis geändert worden sei, ist nicht recht glaublich..41 Denn es wird sich bei dem Fehler kaum um eine inhaltliche Variante, sondern vielmehr um eine graphische Sache handeln.42 Und dabei ist die Annahme eines Wechsels von b zu d einfacher als der umgekehrte Vorgang.43 Trotzdem hat Robinson wegen der unassimilierten Form des Präfixes ad- dafür plädiert, in adcisis die alte Lesart zu erblicken, während abscisis eine humanistische Interpolation sei.44 Dagegen spricht allerdings die Beleglage bei dem Präfix ad- im Codex Hersfeldensis. Denn in der Folge ad + c ist das Präfix nur in einem einzigen Fall unassimiliert erhalten geblieben (Agr. 37 Vgl. Perret 1950: 56: ”Doublet synonymique d’ âge indéterminé.; Robinson 1991: 295: ”as both may well have been in Hf... 38 Die weiblichen Moorleichen, die teilweise abgeschnittene Haare aufweisen, können (trotz etwa Jankuhn in Much 1967: 289-290) dabei nicht als Entscheidungshilfe dienen (vgl. Lund 1989: 276-277; Lund 1991a: 1907- 1908; zurückhaltend auch Rives 1999: 204). Die inhaltliche Schwierigkeit ist bereits bei Jankuhn angedeutet, der zunächst davon spricht, dass es sich um ”eine der Natur der Sache nach entehrende Behandlungsweise der Frau. handelt, ein paar Zeilen weiter jedoch fortfährt, dass man ”mit großer Wahrscheinlichkeit eine entehrende Strafe annehmen. müsse. 39 Wissowa 1916b: 318-319; so übernommen etwa von Lund 1988: 164-165 (als ”mit … prinzipiellen Bemerkungen. eingestuft); Lund 1991: 1906-1907 (jedoch falsch: ”erinnert an die Behandlung der treulosen Hetäre bei den Römern.; Städele 1991: 344-345; Rives 1999: 204. 40 Auch Rives 1999: 204, der sich für accisis ausspricht, hält sich zurück: ”Since it is likely that Tacitus had this tradition in mind, he probably applied its language ….. 41 Much 1967: 288. 42 So auch Perret 1950: 56: ”ou peut-être faute d’orthographe ancienne (abscisis > adscisis), qui a reçu deux soluitions.; Robinson 1991: 295: ”on the confusion between B and D.. Daher ist auch Bruun 1976: 138 hinfällig: ”Si quis est in diversa opinione, planum facere nobis debet quo pacto abscidere, verbum cotidianum et valde tritum, in accidere, lectionem difficiliorem plerisque librariis ignotam, commutari potuerit.. 43 Vgl. die zwei Beispiele bei Robinson 1991: 54, wo beide Male altes b in d geändert wurde (adsumpta statt absumpta; adsumitur als Variante von absumitur). 44 Robinson 1991: 295. 35,3: adclive), während in allen anderen Fällen acc- erscheint.45 Wenn adcisis die originäre Lesart wäre, hätte man auch hier Assimilation zu accisis zu erwarten, so dass die Schreibung adcisis eben keinen Anspruch auf hohes Alter erheben kann. Dazu kommt, dass adcisis nach Perret wohl aus fehlerhaftem adscisis hervorgegangen ist (wobei accisis dann die normalisierte Schreibung wäre).46 Gegen die Lesart accisis spricht des Weiteren auch, dass die Verbindung des Verbs accidere mit crinis nur im Spätlateinischen belegt ist.47 Demgegenüber wendet Robinson zwar ein, dass ”I do not regard this as evidence that the verb could not have been used so in Tacitus’ time.,48 doch ist ein solches Argument eben weder veri- noch falsifizierbar.49 Alles in allem spricht für die Lesart accisis eher wenig. Es liegt nahe, mit Perret folgende Entwicklung anzunehmen:50 Aus dem originären abscisis wurde durch einen graphischen Fehler adscisis, welches in adcisis (> accisis) verbessert wurde. 45 Vgl. Robinson 1991: 255. 46 Vgl. Perret 1950: 56. 47 Vgl. ThLL I: 299,10-11; Robinson 1991: 295 (dort auch die Beispiele); Anderson 1991; 112. 48 Robinson 1991: 295. 49 Daher auch nicht weiterführend Bruun 1976: 138: ”Firmissimum hoc apud Ciceronem, apud Caesarem hic eo infirmatur, quod nunc res de Tacitus agitur, qui subtilissimus artifex sermonis Latini multis in rebus aversus a classico, ut aiunt, genere scribendi non paucis vocibus aut verbis latinitatis tam priscae quam recentioris non erubuit uti.. Auch der Hinweis auf Corp. Glos. IV, p. 6,1 (accisis = circumcisis [Cod. Vat. 3321]; so Robinson 1991: 295; Wissowa 1916b: 318 zusätzlich auf Corp. Glos. V, p. 162,9: accisam = circumcisam) verfängt nicht. 50 Perret 1950: 56. 51 Diese Schwierigkeit wird lediglich von Perret 1950: 56 bemerkt: ”Le choix entre abscisis et abscissis semble plus difficile.; anders Müllenhoff 1900: 309: ”abscisis, was dann in einigen hss. zu dem unsinnigen abscissis entstellt wird.. 52 Vgl. auch Baumstark 1875: 628: ”Wer die Misshandlung der Ehebrecherin recht crudel machen will, mag also seine zwei ss heimsen.. 53 Vgl. u.a. Much 1967: 288-289; Rives 1999: 203. 54 Daher übersetzt Schweizer-Sidler 1923: 48 auch mit ”mit kurzgeschnittenen Haaren.. Schwieriger zu beantworten51 ist die Frage nach der Lesart ads(c)issis, eine Lesart, die von denjenigen, die adcisis/accisis als originäre Lesart annehmen, aus verständlichen Gründen nicht weiter berücksichtigt wird. Stünde in der Hs. m nämlich tatsächlich die Form abscissis (s.o. und Fn. 32), wäre man fast genötigt, sie als originale Lesart anzusehen, da sich hieraus alle anderen Varianten erklären lassen (abscissis > abscisis; abscissis > adscissis; abscissis > adscissis > adcisis, accisis). Semantisch stünde abscissis jedenfalls wenig im Wege.52 Jedoch mag ads(c)issis, wegen der Verbreitung dieser Lesart, auch humanistische Moralvorstellungen verkörpern. Dem Verb abscidere wird die Bedeutung ‚ganz abschneiden‘ beigelegt.53 Jedoch bringt das Verb die Menge des Abgeschnittenen nicht genau zum Ausdruck.54 Das Abschneiden des Haares ist in späteren Zeiten ebenfalls bezeugt, jedoch nicht als Bestrafung bei Ehebruch und nicht auf Frauen beschränkt (vgl. L. Liutpr. 80: et sie postea iterum ipse in furto tentus fuerit, decaluit eum ‚wird einer danach erneut bei einem Diebstahl gefaßt, dann soll man ihn kahlscheren‘; ebd. 141: publicus … faciat eas decalvare et frustrare per vicos vicinantes ipsius loci ‚die Obrigkeit … soll die Weiber festnehmen und sie kahl scheren und in den Dörfern rings um diesen Ort auspeitschen lassen‘; Sendrecht v. Seligenstadt: und sal man ir har hinden an dem hauben abe sniden ‚und man soll ihr Haar hinten am Haupt abschneiden‘; vgl. für das Scheeren von Haaren bei Mädchen Pactus legis Salicae, 24,4b: si quis ingenuam puellam extra consilium parentum tundere praesumpserit, cui fuerit adprobatum, mallobergo theoyschada hoc est, dinarios MDCCC qui faciunt solidos XLV culpabilis iudicetur ‚wenn jemand sich unterfängt, ein freies Mädchen gegen den Willen der Verwandten zu scheren, vor Gericht ”Mädchenscheren. genannt, werde der, dem es nachgewiesen wird, zu 1800 Pfennigen gleich 45 Schillingen verurteilt‘). nudatam] Zu nudatam ist adulteram hinzuzudenken, welches aus dem vorhergehenden adulteria zu entnehmen ist. nudatam hat hier die gleiche Bedeutungsnuance wie nudi in c. 6,1.55 Das Wegnehmen von Kleidungsstücken ist ebenfalls aus späteren Zeiten belegt, vgl. u.a. Waldermars Sendrecht v. Seligenstadt (wenn eine Frau ein uneheliches Kind geboren hat): sal man … ir rock hinden abesniden ‚man soll ihren Rock hinten abschneiden‘. 55 Anders etwa Gudeman 1916: 126. Nicht durch die Aussagen im Text gestützt ist die Auffassung von Schweizer-Sidler 1923: 49: ”nudatam sagt hier weniger als nudam (die adultera konnte nach der bedeutungsvollen nudatio ihre Kleider wieder zusammenraffen, so gut es ging.. 56 Kühner – Stegmann II,1: 511. 57 Lund 1988: 165; ebenso aufgefasst von Müllenhoff 1900: 310: ”sowohl die verwandten des mannes als die der frau konnten … zugegen sein. 58 Inwieweit hier überhaupt germanischer Brauch beschrieben ist, bleibt fraglich, da Gudeman 1916: 126 zu Recht anmerkt: ”Es kann sich, fall[s] praesens nicht cum grano salis zu verstehen ist, nur um zufällig anwesende coram propinquis] Die Präposition coram, die ”vor, in Gegenwart von Personen. bedeutet,56 ist zuerst bei Cic. Pis. 12 belegt: mihi vero ipsi coram genero meo, propinquo tuo, quae dicere ausus es? ‚was hast du nun gar mir persönlich in Gegenwart meines Schwiegersohnes, eines Verwandte von dir, zu sagen gewagt!‘. Nach Lund sind die Verwandten die ”viri oder vielleicht besser et viri et uxoris..57 Jedoch handelt es sich hier lediglich um die Verwandten des Mannes, da die Verwandten der Frau vom Standpunkt des Ehemannes als affines hätten bezeichnet werden müssen (vgl. zu affines c. 20,3).58 Verwandte im Hause des Mannes handeln, denn, wenn diese gleichsam als die Strafe billigende Zeugen erst hätten herangeholt werden müssen, wäre eine der Tat sofort folgende Züchtigung ausgeschlossen gewesen.. 59 Ob Tacitus mit diesen Worten ”auf den Begriff repudium uxoris. anspielt (Lund 1988: 165), bleibt offen. Das repudium war die einseitige Willenserklärung, durch die eine Ehe oder ein Verlöbnis aufgelöst werden konnte. 60 Much 1967: 290. 61 Weniger wahrscheinlich ist die Auffassung als ‚mit Ruten‘ (so u.a. Müllenhoff 1900: 310; Schweizer-Sidler 1923: 49; Reeb 1933: 40; vgl. dagegen Much 1967: 290). 62 Auffällig ist, dass auch hier (wie bei den Übernahmen aus Tacitus bei Rudolf von Fulda [s. c. 4]) dieser dem Tacitus teilweise durchaus nahe stehende Inhalt den Sachsen zugeschrieben wird. Es liegt hier eine Parallele zu den altrömischen Verhältnissen vor, wo bei der Bestrafung ebenfalls Verwandte anwesend waren (zu diesem Familiengericht s.o.). expellit domo]59 Mit domus ist hier, wie auch in c. 16,1 das Haupthaus gemeint. Man vgl. die Beispiele unter nudatam. per omnem vicum – agit] Nach allgemeiner Ansicht soll das Wort vicus hier (ebenso wie in c. 16,1) ebenfalls in der Bedeutung ‚Dorf‘ stehen. Jedoch ergibt sich dabei das Problem, was geschähe, wenn das Haus nicht in einer Dorfsiedlung liegen würde, ein Fall, der nach Much ”gar nicht in Erwägung gezogen. wird.60 Eine glattere Deutung dieser Stelle ergibt sich, wenn man auch hier vicus als ,(Einzel)gehöft‘ versteht: Der Ehemann jagt seine Frau aus dem Haupthaus (domus), d.h. ihrem bisherigen Wohnhaus, ins Freie, wobei sie sich aber noch immer auf seinem Grundstück befindet. Als Nächstes treibt er sie mit der Peitsche vom Haupthaus über den Rand seines Gehöfts hinaus. An der Grenze seines Besitztums endet auch seine Rechtsbefugnis. Somit hat der Mann nur so lange eine Rechtsbefugnis über seine Ehefrau, wie sie sich auf seinem Besitz aufhält; hält sie sich außerhalb auf, erlischt sein Recht. Für eine solche Auffassung sprechen übrigens auch die späteren Quellen (s.o.). verbere] Das Wort verber kommt bei Tacitus nicht im kollektiven Singular in der Bedeutung ‚Schläge‘ vor, ist deshalb als ‚Peitsche‘ aufzufassen (vgl. Tac. ann. 5,9,1: neque facturam ultra, et posse se puerili verbere moneri ‚sie [= Tochter des Seianus] werde es auch nicht wieder tun, und man könne sie auch wie Kinder mit der Rute zurechtweisen‘; ebd. 6,24,3: sub verbere centurionis ‚unter den Schlägen eines Zenturio‘).61 In späterer Zeit schreibt Bonifatius dem anglischen König Aethelbald (epist. 73): nam in antiqua Saxonia,62 si virgo paternam domum cum adulterio maculaverit vel si mulier maritata perdito foedere matrimonii adulterium perpetraverit, aliquando cogunt eam propria manu per laqueum suspensam vitam finire et super bustum illius incense et concrematae corruptorem eius suspendunt. aliquando congregato exercitu femineo flagellatam eam mulieres per pagos circumquaque ducunt virgis cedentes et vestimenta eius abscidentes iuxta cingulum et cultellis suis totum corpus eius secantes et pungentes minutis vulneribus cruentatam et laceratam de villa ad villam mittunt; et occurrunt semper novae flagellatrices zelo pudicitiae adductae, usque dum eam aut mortuam aut vix vivam derelinquunt, ut cetere timorem adulterandi et luxoriandi habeant ‚denn wenn in Altsachsen ein Mädchen das Haus ihres Vaters durch Buhlerei befleckt oder eine verheiratete Frau unter Verletzung des Ehebundes Ehebruch begeht, so zwingt man sie zuweilen, eigenhändig ihrem Leben durch Erhängen ein Ende zu machen, und an dem Platz, wo man die Leiche angezündet und verbrannt hat, hängt man ihren Verführer auf. Zuweilen rotten sich die Weiber zusammen, um sie auszupeitschen, dann führen die Frauen sie unter Rutenstreichen überall herum in den Dörfern, wobei sie ihr die Kleider am Gürtel abschneiden, und mit ihren Messerchen ihr den ganzen Körper zerschneiden und zerstechen, und treiben sie aus kleinen Wunden blutend und zerfetzt von Gehöft zu Gehöft. Und vom Eifer für die Sittsamkeit getrieben treten immer neue Frauen auf, um sie zu schlagen, bis sie sie entweder tot oder kaum noch lebendig liegen lassen, damit die anderen Angst vor Ehebruch und Unzucht bekommen‘. Eine ähnliche Vorgehensweise ist auch etwa bei den Pisidern (Nicol. Dam. FGrHist. 90 F 103 l: ... d. µ..... ...., pep...eta. t.. p.... .p. .... µet. t.. ...a.... .p. .µ.pa. ta.t.. ‚wenn ein Ehebrecher gefasst wird, wird er die vorgeschriebene Tage auf einem Esel zusammen mit der Frau durch die Stadt getrieben‘) belegt. Vgl. auch bei den Parthern (wobei die Art der Bestrafung weggelassen ist: Iust. 41,3,1: nec ulla delicta adulteriis gravius vindicant ‚und kein anderes Verbrechen rächen sie schwerer als Ehebrüche‘. publicatae enim pudicitiae nulla venia: non forma, non aetate, non opibus maritum invenerit] Die Hss. cCpQtf bieten die Lesart invenit, während die übrigen Hss. invenerit (außer invenitur in s) aufweisen.63 Das vorzuziehende invenerit ist ein Potentialis der Gegenwart64 (vgl. etwa Tac. hist. 1,79,2: ubi per turmas advenere, vix ulla acies obstiterit ‚sobald sie aber in Reiterscharen heranrücken, dürfte ihnen kaum irgendeine Schlachtreihe standhalten‘). 63 Vgl. Robinson 1991: 178; Perret 1997: 82. 64 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 176-178. 65 Die Emendation von Fettes 1977: 469-470 von pudicitae in impudicitiae ist überflüssig (vgl. Lund 1988: 165). Die Bedeutung der Wendung publicatae enim pudicitiae ist umstritten.65 Wenig wahrscheinlich ist die Annahme, dass pudicitia hier eine andere Bedeutung hat als kurz vorher, wie Büchner vorgeschlagen hat.66 Nicht deutlich ist dagegen, was das Subjekt von invenerit ist, ob sich publicatae somit lediglich auf den Ehebruch bezieht oder ob allgemein von Unkeuschheit die Rede ist (bzw. von den Nicht-Ehefrauen, die danach keinen maritum mehr finden konnten; dann läge ein Einschub vor).67 Ebenfalls ist nicht sicher, was genau mit dem Ausdruck publicatae gemeint ist. 66 Büchner 1985: 316: ”sondern meint das eben geschilderte öffentliche Bloßstellen der Keuschheit (pudicitia hier sehr konkret gefaßt).; dagegen zu Recht der Bearbeiter: ”Bearb. bezweifelt, ob pudicitia «sehr konkret», nach Analogie von pudor, im Sinne der muliebria (ann. 14,60,3) also, verstanden werden kann, zumal wenige Zeilen zuvor pudicitia in der üblichen Bedeutung ‚keusche Gesinnung‘ gebraucht wurde.. 67 Lediglich auf den Ehebruch u.a. Gerber – Greef 1962: II, 1234; Baumstark 1875: 640-641; Müllenhoff 1900: 311; Gudeman 1916: 126; Reeb 1933: 40; Lund 1988: 165; Perl 1990: 186; Anderson 1997: 113; Perret 1997: 82; Rives 1999: 85; Benario 1999: 86; auf Unkeuschheit im Allgemeinen vor allem ältere Kommentatoren (vgl. die Angaben bei Baumstark 1875: 641-6432; Müllenhoff 1900: 311) und u.a. Schweizer-Sidler 1923: 49; Kraggerud 1969: 86-87; nicht festgelegt Robinson 1991: 295: ”I suspect that in Tacitus’ eyes the cases of the adultera and of the meretrix were nearly enough identical to warrant the use of publicatae pudicitiae with reference to the former, though quite probably with these words his point of view has shifted to the extent that he has in mind not merely the adultera but any woman of easy virtue.. 68 Vgl. Kraggerud 1969: 84; sogar Anderson 1997: 113 meint, dass ”maritum is somewhat loosely used for alterum maritum.. 69 Vgl. Perl 1990: 186. 70 So auch Baumstark 1875: 642; Müllenhoff 1900: 311-312; Much 1967: 291; Anderson 1997: 113. 71 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 121-122. Wie Holtzmann – Holder 1873: 210 zur Annahme gelangt, dass ”enim … auf den folgenden Satz. zu beziehen sei, bleibt unklar. 72 Zuerst Nipperdey 1863: 343; Ritter nahm eine Lücke an (vgl. Baumstark 1875: 642). 73 Vgl. Robinson 1991: 215; jedoch handelt es sich hierbei wohl um einen einfachen Fehler, nicht um eine inhaltliche Korrektur. 74 So änderte Madvig enim in enim vero, Lipsius in etiam ab (vgl. Baumstark 1875: 642*; Robinson 1991: 295). Gegen die Änderung in enimvero spricht übrigens, dass Tacitus dieses Wort an den Satzanfang setzt (vgl. Anderson 1997: 113). Die Annahme, dass das Subjekt von invenerit und somit auch publicatae nicht die Ehefrau ist, wird zum einen mit dem Wort maritum begründet, da die übliche Interpretation als alterum maritum zu hart wäre,68 zum anderen mit der Fügung publicatae pudicitiae selbst, da publicare pudicitiam von einer Prostituierten, nicht von einer Ehebrecherin gesagt sein müsste. Jedoch steht einer solchen Erklärung einmal das Wort adulterium entgegen, da dieser römische Rechtsbegriff Unverheiratete nicht mit einschließt,69 dann auch ist das Wort enim im Wege.70 Der Satz mit enim dient nämlich zur Erklärung oder Erläuterung des Voranstehenden.71 Aus diesem Grund haben denn auch frühere Kommentatoren, die den Satz auf alle Frauen bzw. alle Nicht-Ehefrauen beziehen wollten, entweder enim gestrichen72 (ebenso fehlt enim auch in den Hss. abrlezuARce73) oder es abgeändert.74 Da eine Emendation der Stelle zur Erreichung einer angenehmen Interpretation jedoch kaum statthaft ist, zumal die Hss. dafür keinen Anlass bieten, muss sie abgelehnt werden. Dieser Satz handelt also ebenfalls von der Ehefrau,75 und somit muss maritum als alterum maritum aufgefasst werden.76 Auch das Wort publicare, das zwar häufig von einer Prostituierten verwendet wird (vgl. u.a. Plaut. Bacch. 863: quae corpus publicat uolgo suom ‚die so der ganzen Welt sich preisgibt‘; Quint. inst. 7,9,4: an tibicina, si ceciderit, debeat publicari ‚ob eine Aulos- Bläserin, wenn sie gefallen ist, öffentlich ausgeboten werden soll‘), ist nicht ausreichend, um hier einen Übergang von der Ehefrau zur Prostituierten anzunehmen. Denn schließlich ist die pudicitia schon wegen der Anwesenheit der Verwandten zu einer Öffenlichkeitsangelegenheit geworden. An dieser Stelle wird somit nur sprachlich ”die Ehebrecherin …, die nur einmal Ehebruch begangen hat, mit der Dirne, die ihren Körper verkauft. verglichen,77 ein inhaltlicher Übergang liegt nicht vor. Mit dem Ausdruck nulla venia wird auf den Gegensatz zu den römischen Verhältnissen verwiesen. 75 Diese Annahme wird auch durch das Wortmaterial in den germ. Sprachen bestätigt, dessen ererbtes Wort für ‚die Hure‘ (ahd. huor[r]a, mnddt. hor[r]e, mndl. hoere, ae. hore, aisl. hóra < urgerm. *.or[i.]on- f. [abgeleitet von urgerm. *.ora- ‚Hurer, Ehebrecher‘ [> got. hors, aisl. hórr]), da zu lat. carus ‚lieb‘ gehörend, offenbar einen sekundären Bedeutungswandel ‚Liebhaberin‘ . ‚Hure‘ erfahren hat (vgl. Casaretto 2004: 418; vgl. ebenso das Nebeneinander von ahd. chebis[a] ‚Kebse‘ und aisl. kefsir ‚Sklave‘). Die restlichen Wörter stellen Entlehnungen dar (got. kalkjo ‚Hure‘ ist eine Ableitung von einem nicht bezeugten, aus lat. calx ‚Kalk‘ entlehntem Wort [Casaretto 2004: 259]; keine gesichtere Etymologie hat das nur einmal belegte ahd. Wort lenna ‚Dirne‘; einen Zusammenhang mit lat. lena ‚Kupplerin‘ scheint nicht ausgeschlossen). 76 Zu einem weiteren Argument vgl. unten. Nicht nachvollziehbar übrigens Robinson 1991: 295: ”I see no reason why the retention of enim involves the mention of a second marriage.. 77 Lund 1988: 165; vgl. auch Baumstark 1875: 639-640: ”Der Ausdruck … ist sehr stark, aber nach den rigoristischen Anschauungen der germanischen Welt selbst dann nicht ungeeignet.; Müllenhoff 1900: 311. Durch die dreigliedrige Auflistung (forma, aetate und opibus sind Abl. causae) idealisiert Tacitus die Tatsache, dass die Ehebrecherin nicht wieder heiraten kann, wieder in Gegensatz zu römischen Verhältnissen, wo die häufige Wiederverheiratung ein satirisches Thema war (vgl. u.a. Iuv. 6,224-230: sed mox haec regna relinquit / permutatque domos et flammea conterit; inde / avolat et spreti repetit vestigia lecti, / ornatas paulo ante fores, pendentia linquit / vela domus et adhuc virides in limine ramos. / sic crescit numerus, sic fiunt octo mariti / quinque per autumnos, titulo res digna sepulcri ‚aber bald verläßt sie [= die Ehefrau] dieses Königreich, wechselt die Häuser und verschleißt die Brautschleier; von dort flattert sie wieder davon und kehrt zurück in das verschmähte Bett, das noch ihre Spuren trägt, die kurz zuvor geschmückte Tür, die am Haus hängenden Tücher läßt sie zurück und die noch grünen Zweige auf der Schwelle. So wächst die Zahl, so ergeben sich acht Ehemänner in fünf Herbsten, eine Tatsache, die eine Inschrift auf dem Grabmal verdient‘; Mart. 6,7: Iulia lex populis ex quo, Faustine, renata est / atque intrare domos iussa Pudicitia est, / aut minus aut certe non plus tricesima lux est, / et nubit decimo iam Telesilla uiro. / quae nubit totiens, non nubit: adultera lege est. / offendor moecha simpliciore minus ‚seit das Julische Gesetz für die Menschen wieder gilt, Faustinus, und die Keuschheit aufgefordert ist, die Häuser zu betreten, sind es dreißig Tage: eher weniger, und bestimmt nicht mehr, und Telesilla heiratet bereits den zehnten Mann. Eine Frau, die so oft heiratet, heiratet nicht, sie betrügt nur legal. Weniger stößt mich eine ab, die aufrichtiger die Ehe bricht‘; Sen. benef. 3,16,2: numquid iam ulla repudio erubescit, postquam inlustres quaedam ac nobiles feminae non consulum numero sed maritorum annos suos conputant et exeunt matrimonii causa, nubunt repudii? ‚errötet vielleicht noch irgendeine Frau über eine Scheidung, seit manche berühmten und vornehmen Frauen nicht nach der Zahl der Konsuln, sondern ihrer Ehemänner ihre Lebensjahre berechnen und ihr Haus verlassen, um zu heiraten, heiraten, um sich scheiden zu lassen?‘). Umstritten ist, ob das Wort opibus von germanischem (wobei es sich nur um bewegliche Güter handeln könnte)78 oder römischem Standpunkt79 aus geschrieben ist, ob somit die germanischen Frauen nach einem Ehebruch weiterhin eigenes Vermögen besaßen. Da Tacitus sich über die Besitzverhältnisse der Frauen nicht äußert, bleibt der reale Hintergrund unsicher. Jedoch ist die ganze Stelle moralisierend und romkritisch (vgl. auch das nachfolgende illic), so dass es sich hier wohl nur um römische bzw. taciteische Vorstellungen handelt. Nach Ausweis der späteren germanischen Gesetze fiel das gesamte Vermögen der bestraften Frau an den Ehemann. Eine Parallele zu dieser ganzen Stelle findet sich bei Hor. carm. 3,24,19-24: nec dotata regit virum / coniunx nec nitido fidit adultero. / dos est magna parentium / virtus et metuens alterius viri / certo foedere castitas / et peccare nefas aut pretium est mori ‚dort [= bei den Geten] beherrscht, ihrer Mitgift stolz, nicht das Weib ihren Mann, gleißender Buhlschaft froh. Elterntugend ist Mitgift dort, und die Keuschheit, die flieht, ihrem Gelöbnis treu, vor dem Reize des fremden Manns; untreu gilt als Vergehn, welches der Tod nur sühnt‘. 78 So u.a. Baumstark 1875: 646-647; Gudeman 1916: 126. 79 So u.a. Müllenhoff 1900: 312; Schweizer-Sidler 1923: 49; Reeb 1933: 40; Perl 1990: 186; Anderson 1997: 113. Im Jahre 1598 schreibt Necorus für Dithmarschen, eine Ehebrecherin dorffte nicht gedenken, dat se genade vinden worde und jemant dorch ehre schöne, dorch ehre jöget, dorch ehr geschlechte edder dorch ehr gelt unde gudt bewegen und thor ehe bringen worde ‚sie dürfe nicht denken, dass sie Gnaden finden wird und irgendjemand durch ihre Schönheit, durch ihre Jugend, durch ihre Abkunft oder durch ihr Geld und Gut bewegen und zur Ehe führen werde‘. corrumpere et corrumpi] Zum Ausdruck vgl. Tac. ann. 14,20,4: quod usquam corrumpi et corrumpere queat ‚was irgendwo sich verführen lasse oder verführen könne‘ (vgl. auch ebd. 3,54,1: corruptus simul et corruptor ‚zugleich verdorben ist und Verderben bringt‘). Da im 12. Jh. bei Guibert v. Nogent, vita 1,12 dieselbe Wendung wieder begegnet (modernum hoc saeculum corrumpitur et corrumpit ‚dieses neue Zeitalter wird verdorben und verdirbt‘), wird häufig angenommen, dass er diese Stelle nach der Germania modelliert hat, diese Schrift somit gekannt habe.80 Jedoch steht bei Guibert v. Nogent zum einen der gesamte Kontext zu weit ab, zum anderen hat saeculum bei ihm nicht dieselbe Bedeutung wie bei Tacitus,81 so dass die Annahme einer zufälligen Übereinstimmung, zumal derartige Junkturen nicht selten sind, näher liegend ist.82 80 Vgl. u.a. Haverfield 1916: 201 Anm. 3; Perl 1990: 55 Anm. 169, 186. 81 Anders Haverfield 1916: 201 Anm. 3: ”but the use of saeculum leaves no room for doubt that he used the Germania here.; Perl 1990: 55 Anm. 169: ”aber die zusätzliche spezielle Bedeutung von saeculum wäre ein sehr merkwürdiger Zufall.. 82 So auch u.a. Gudeman 1916: 126; Stackelberg 1960: 41-42: ”es liegt näher, dem Zufall schuld an dieser Ähnlichkeit zu geben, zumal es sich ja nur um eine Ähnlichkeit, nicht um eine Identität der Wendungen handelt.. 83 Vgl. Löfstedt 1956: II,472. Nicht überzeugend ist die Annahme von Baumstark 1875: 641: ”es ist die ‚Welt‘ mit ihrem ganzen T[u]n und Treiben. (übernommen durch Müllenhoff 1900: 312: ”also etwa ‚weltlauf‘.; Schweizer-Sidler1923: 49). saeculum] Mit der Bedeutung ‚Zeitgeist‘ kommt das Wort saeculum ohne ein Attribut nur hier vor.83 Eine ähnliche Klage über die Sittenlosigkeit seiner Zeit findet sich bei Sen. epist. 39,6: voluptatibus itaque se mergunt, quibus in consuetudinem adductis carere non possunt, et ob hoc miserrimi sunt, quod eo peruenerunt, ut illis quae superuacua fuerant, facta sint necessaria. seruiunt itaque uoluptatibus, non fruuntur, et mala sua, quod malorum ultimum est, amant. tunc autem est consummata infelicitas, ubi turpia non solum delectant, sed etiam placent, et desinit esse remedio locus, ubi quae fuerant uitia, mores sunt ‚in Genüssen daher lassen sie sich versinken, auf die sie, einmal an sie gewohnt, nicht verzichten können, und deswegen sind sie die Elendesten, weil sie bis zu dem Punkt gekommen sind, daß ihnen, was überflüssig gewesen war, notwendig geworden ist. Sie sind daher Sklaven ihrer Genüsse, nicht genießen sie sie, und ihr eigenes Unheil – was das äußerste an Unheil ist – lieben sie. Dann aber ist der Gipfel erreicht des Unglücks, und es bleibt für Rettung kein Raum, wo Wesen geworden ist, was Fehlhaltung gewesen war‘. 2 melius quidem adhuc eae civitates] Hinzuzudenken ist agunt oder faciunt.84 Zu dieser Wendung vgl. Tac. ann. 1,43,1: melius et amantius ille qui gladium offerebat ‚besser und liebevoller meinte es der Mann, der mir sein eigenes Schwert anbot‘. 84 Die Ellipse eines Verbs agendi findet sich bei Tacitus häufig. 85 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 462-463; ThLL I: 662,62-77. 86 Von den Kommentatoren, die auf quidem eingehen, wird es als hervorhebend oder versichernd aufgefasst (vgl. u.a. Baumstark 1875: 647; Müllenhoff 1900: 312; Reeb 1933: 40). 87 Vgl. hierzu Kühner – Stegmann II,1: 802-803; einschränkend übersetzt Müllenhoff 1900: 312 quidem denn auch schließlich: ”allerdings … noch besser ….. 88 So auch Baumstark 1875: 545; Müllenhoff 1900: 311, 312. 89 Vgl. Perl 1990: 186; Lund 1991: 1908; Rives 1999: 205. Zum Begriff univira vgl. Funke 1965-1966: 183-188; Treggiari 1991: 233-236. adhuc wird nachklassisch zur Verstärkung des Komparativs verwendet (zuerst bei Sen. epist. 85,40: si adhuc uiliorem materiam obtulisses ‚wenn du ihm noch billigeres Material angeboten hättest‘).85 Da bereits adhuc zur Verstärkung von melius dient, wird dies bei quidem nicht noch einmal der Fall sein.86 Näher liegt die Annahme eines beschränkenden Sinnes.87 Um welche – natürlich germanischen – Völkerschaften es sich hierbei handelt, ist nicht klar. Der komparativische Satz melius – nubunt zeigt übrigens deutlich, dass im Vorhergehenden auch von der zweiten Ehe die Rede gewesen sein muss, da hier ebenfalls von der zweiten Ehe die Rede ist (die in diesem Fall überhaupt nicht stattfinden kann).88 in quibus tantum virgines nubunt] Wenn nur Jungfrauen heiraten dürfen, heißt das, dass es Witwen nicht erlaubt war, wieder zu heiraten. Da es sich hierbei um eine Art Rechtsvorschrift handelt, steht der Satz in Gegensatz zum obigen non forma, non aetate, non opibus maritum invenerit, weil es sich hierbei um moralische Gesichtspunkte handelte. Auch diese Angabe widerspricht der üblichen Gewohnheit in Rom, geht aber mit der idealen Vorstellung konform. Auf einigen Grabinschriften werden römische Frauen gepriesen, weil sie univira ‚nur einen Mann gehabt habend‘ waren (s.u.).89 Vgl. auch Val. Max. 2,1,3: quae uno contentae matrimonio fuerant corona pudicitiae honorabantur: existimabant enim eum praecipue matronae sincera fide incorruptum esse animum, qui depositae virginitatis cubile egredi nesciret, multorum matrimoniorum experientiam quasi legitimae cuiusdam intemperantiae signum esse credentes ‚Frauen, die sich nur mit einer Ehe zufriedengaben, wurden mit dem Kranz der Keuschheit geehrt: man war nämlich der Ansicht, daß vornehmlich die Frauen sich auszeichneten, die es nicht über sich brachten, das Lager, auf dem sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatten, zu verlassen; zudem sah man in dem Eingehen vieler Ehen das Indiz für eine gewissermaßen gesetzlich erlaubte Zügellosigkeit‘. Für die Nichtverheiratung von Witwen gibt es ansonsten keinerlei Hinweise;90 die Angabe bei Prok. BG 2,14,6-7 über die Heruler ist nicht vergleichbar: .p..... d. ..dp.. te.e.t..a.t.. .p..a..e. t. ...a... .pet.. te µetap....µ... .a. ..... a.t. ..e..... .e.pe..a. ßp.... ..a.aµ... pap. t.. t.. ..dp.. t.f.. ... e.. µa.p.. .....e... .. p...... te ta.ta pep.e..t..e. t. ...p.. .d... te e..a. .a. t... t.. ..dp.. ....e.... pp...e.p.....a. ‚war ein Heruler gestorben, so mußte seine Ehefrau, sofern sie auf guten Ruf und ehrendes Gedenken Wert legte, neben dem Grabe ihres Mannes alsbald ihrem Leben durch Erhängen ein Ende machen. Sonst galt sie für den Rest ihres Lebens als ehrlos und die Sippe ihres Mannes fühlte sich dadurch gekränkt‘. Dieses Mit-in-den-Tod-Gehen der Frauen ist auch in späterer Zeit belegt, vgl. Bonif. epist. 73 (bei den Wenden): et laudabilis mulier inter illos esse iudicatur, quia propria manu sibi mortem intulerit et in una strue pariter ardeat cum viro suo ‚und rühmenswert erscheint ihnen die Frau, wenn sie sich eigenhändig den Tod gibt und zusammen mit ihrem Mann auf einem Scheiterhaufen brennt‘; Thietm. Mers. chron. 8,3 (bei den Slaven): in tempore patris sui, cum is iam gentilis esset, unaquaeque mulier post viri exequias sui igne cremati decollata subsequitur ‚zur Zeit, als sein Vater nich Heide war, mußte jede Witwe ihrem Gatten nach dessen Brandbestattung folgen und sich enthaupten lassen‘. Solches ist ebenfalls in der Mythologie belegt, wo etwa Nanna dem Balder und Brynhild dem Sigurd in den Tod folgen. 90 Daher lässt sich auch nicht feststellen, inwieweit hier germanische Vorstellungen eine Rolle spielen (vgl. etwa Rives 1999: 205: ”Tacitus’ observation, then, probably has little or nothing to do with actual Germanic customs, but instead springs from his general views on sexual morality. gegenüber Benario 1999: 86: ”In a warrior society, where men fought so frequently, there must have been a large number of widows. It may be that the practices just describes were intendes to remove them as rivals of younger women fort he men who were available for marriage.). Für die in einigen älteren Kommentaren angeführten Beispiele aus neuerer Zeit (vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 313; Much 1967: 291; Anderson 1997: 114) gibt es offenbar keine Begründung (vgl. Lange in Much 1967: 291). Auch in den späteren Gesetzestexten gibt es kein Verbot für die Wiederverheiratung von Witwen, obwohl diese teilweise erschwert ist, vgl. u.a.: L. S. 79,1: si quis homo moriens et viduam demiserit, qui eam voluerit accipere, antequam eam accipiat, tunzinus aut centenarius mallum indicant et in mallo ipso scutum habere debent et tres hominis tres causas demandare debent; et tunc illi, qui viduam accipere debet, tres solidus equi pensantis et dinario, et tres erunt, qui solidus pensare vel probare debeant; et hoc factum, si eis convenerit, accipiat ‚wenn ein Mann stirbt und eine Witwe, die einer nehmen will, hinterläßt, sollen, bevor er sie nimmt, Thingrichter oder Zentenar ein Thing ansagen, und in diesem Thing müssen sie einen Schild haben und müssen drei Männer drei Fragen beantworten lassen; und dann muß er, der die Witwe nehmen (will), drei Schillinge gleichen Gewichts und einen Pfennig (haben), und drei sollen sein, die die Schillinge wiegen oder prüfen müssen; und nachdem dies geschehen nehme er (sie), wenn er mit ihnen übereinkommt‘; lex Gundobada, 24,1: si qua mulier duntaxat Burgundia post mariti mortem ad secundas aut tertias nuptias, ut adsolet fieri, fortasse transierit ‚schreitet eine Burgunderin, wie es wohl geschieht, nach ihres Mannes Tod zur zweiten oder dritten Ehe‘; ebd. 42,3: nam si a tempore obitus prioris mariti intra annum nubere voluerit, habeat liberam postestatem et tertiam substantiae partem, quam permissa fuerat possidere, dimittat ‚will sie aber binnen Jahresfrist vom Tode ihres früheren Mannes ab [wieder] heiraten, so hat sie dazu freie Hand. Nur muß sie das Drittel seiner Habe, daß Wir ihr zum Besitz gönnten, zurücklassen‘; E. Roth. 182: potestatem habeat illa uidua, si uoluerit, ad alio marito ambolandi, libero tamen ‚da darf die Witwe, wenn sie will, sich [nach ihrer Wahl] einen anderen Mann nehmen – versteht sich: einen Freien‘. Desgleichen kannten auch die Griechen in ältester Zeit die Wiederverheiratung von Witwen nicht; vgl. Paus. 2,21,7: pp.tep.. d. .a.e.t..e. ta.. ...a.... .p. ..dp. .p..a...t. ..pe.e.. ‚vorher war es Brauch gewesen, daß die Frauen nach dem Tode ihres Mannes Witwen blieben‘. cum spe votoque uxoris semel transigitur] Zur Verbindung der Wörter spes und votum vgl. Tac. Agr. 3,1: spem modo ac votum ‚nur Hoffnung und Wunsch‘; ds. ann. 4,39,2: spes votaque sua ‚seine Hoffnungen und Wünsche‘; Ov. met. 9,534: quam spes votorum certa fuisset ‚bevor meines Hoffens Erfüllung gewiß ist‘; Itin. Alex. 30: spe voti ‚in Hoffnung auf die Erfüllung‘. spe votoque wird in aller Regel als Hendiadyoin aufgefasst,91 wobei uxoris natürlich im Sinne von futurae uxoris aufzufassen wäre.92 Demgegenüber wollte Müllenhoff votum als ‚Gelübde‘ verstehen.93 Eine solche Bedeutung scheint jedoch zu formell zu sein, da von einem Gelübde bei der Darstellung der Eheschließung keine Rede war. Möglich wäre demgegenüber 91 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 647: ”Spes votumque ist Hoffnung und Wunsch.; Gudeman 1916: 127; Much 1967: 291. 92 Zu diesem Gebrauch vgl. c. 20,1. Diese notwendige Interpretation findet sich jedoch in keinem der Kommentare. 93 Müllenhoff 1900: 312; so bereits Holtzmann – Holder 1873: 47. eine etwas abgeschwächtere Bedeutung ‚Gelöbnis‘ oder ‚(Ehe)versprechen‘,94 welche sich für das Wort im späteren Lat. findet. Dabei ist jedoch anzunehmen, dass uxoris bei spe uxoris ein Gen. objectivus sei (die Hoffnung darauf, Gattin zu sein), bei votum uxoris demgegenüber ein Gen. subjectivus (das von der Gattin abgelegte Ehegelöbnis). semel in der Bedeutung ‚ein für allemal‘ (in semel ist der Begriff non iterum eingeschlossen) ist dichterisch; vgl. u.a. Verg. Aen. 11,418: et humum semul ore momordit ‚und das Erdeich zugleich mit dem Munde zerbissen‘; Ov. epist. 5, 104: deperit illa semel ‚einmal verliert man sie nur‘; ebd. 10,112: aut semel aeterna nocte premenda fui ‚besser, in ewige Nacht hättest du gleich mich versenkt‘. Beispiele in der Prosa finden sich dann erst wieder bei christlichen Autoren. 94 Die Übersetzung durch ‚Eheversprechen‘ findet sich bei Perl 1990: 99. 95 Vgl. Müllenhoff 1900: 312; Gudeman 1916: 127; Schweizer-Sidler 1923: 50; Reeb 1933: 40; Lund 1988: 166; Anderson 1997: 114. 96 Vgl. Gerber – Greef 1962: II, 1496. So auch u.a. Lund 1988: 166; Anderson 1997: 114; Benario 1999: 86. Dagegen nicht als Korrelation aufgefasst von Baumstark 1875: 648: ”Hier aber glaube ich dient sic zur Verbindung mit dem Vorigen: durch dieses Gesetz; quomodo dagegen hat seine Correlation in einem zu supplirenden eo (modo).; Gudeman 1916: 127: ”hier also nicht, wie sonst häufig bei T. in Korrelation mit quomodo.; Reeb 1933: 40: ”sic … weist auf das Vorausgehende zurück.. Die hier vorliegende Bedeutung des Verbs transigere stammt aus der Geschäfts- und Gerichtssprache;95 vgl. u.a. Cic. Cluent. 39: rem cum Oppianico transigit, pecuniam ab eo accipit ‚so hat er sich denn damals mit Oppianicus geeinigt; er nimmt Geld von ihm‘. Das Verb wird bei Tacitus auf diese Weise häufiger verwendet; vgl. etwa Agr. 34,3: transigite cum expeditionibus ‚macht also ein Ende mit den Feldzügen‘; hist. 3,46,3: et quod Cremonae interim transegimus ‚und außerdem hatten wir bei Cremona die Entscheidung herbeigeführt‘; ann. 2,65,2: posse de controversiis conloquio transigi ‚da könne den Meinungsverschiedenheiten in einer Aussprache ein Ende gemacht werden‘. sic unum accipiunt maritum quo modo unum corpus unamque vitam] Die Korrelation sic … quo modo, anstelle des gebräuchlicheren sic … ut/ita, findet sich bei Tacitus ebenfalls Agr. 34,2: quo modo silvas saltusque penetrantibus fortissimum quodque animal contra ruebat … sic acerrimi Britannorum iam pridem ceciderunt ‚so wie uns bei unserem Vordringen durch Wälder und Klüfte jeweils das tapferste Wild entgegenstürzte … so sind die Kühnsten der Britannier längst gefallen‘ und dial. 36,8: et quo modo disertum haberi pulchrum et gloriosum, sic contra mutum et elinguem videri deforme habebatur ‚und wie schön und rühmlichwar, als beredt zu gelten, so war es andererseits schimpflich, als stumm und unberedt zu scheinen‘.96 Durch das Trikolon unum … unum … unamque wird der Ehemann auf die gleiche Stufe mit dem Körper und dem Leben der Frau gestellt. Die adj. Anapher ist außer bei Tacitus (vgl. etwa dial. 40,3: quarum civitatum severissima disciplina et severissimae leges traduntur ‚von diesen Staaten werden uns strengste Zucht und strengste Gesetze überliefert‘) verhältnismäßig selten,97 vgl. u.a. Plaut. Trin. 386: tute ad eum ádeas, tute concilies, tute poscas ‚begib du dich zu ihm, gewinn ihn, wirb für mich‘; Cic. Arch. 14: sed pleni omnes sunt libri, plenae spientium voces, plena exemplorum vetustas ‚doch hierüber findet sich die Fülle in allen Schriften, in den Aussprüchen der Weisen, in den beispielhaften Taten der Vorzeit‘; ds. Lael. 78: omnino omnium horum vitiorum atque incommodorum una cautio est atque una provisio ‚überhaupt gibt es nur eine Möglichkeit, diesen ganzen Mängeln und Unannehmlichkeiten vorausschauend vorzubeugen‘. Das Satzglied unum accipiunt maritum, mit der die Aussage melius … nubunt und der Ausdruck semel wiederholt wird, ist in Gegensatz zu den römischen Verhältnissen zu sehen. Jedoch handelte es sich bei der univira (s.o.) bzw. uniiuga ‚nur einmal verheiratet‘ (vgl. auch etwa Prop. 4,11,36: in lapide hoc uni nupta fuisse legar ‚daß ich nur einem vermählt, liest man ja hier auf dem Stein‘; CIL, II 78: uno contenta marito ‚zufrieden mit einem Ehemann‘) um freiwillige Entscheidungen. Zum Gedanken vgl. Vulg. Marc. 10,8: erunt duo in carne una, itaque iam non sunt duo sed una caro ‚zwei werden in einem Fleisch sein, und daher sind sie jetzt nicht zwei, sondern ein Fleisch‘. Vgl. auch Sen. contr. 1,6,6: ubi vero quaerat uxorem, videat an nuptias suas amet, an nil pluris faciat marito, an misericors sit, an fortis sit, an possit, si quid viro inciderit, mala una tolerare: si his bonis fuerit instructa, dotata est ‚aber wenn er eine Frau sucht, soll er zusehen, ob sie die Idee der Heirat liebt, ob sie nichts über ihren Mann stellt, ob sie mitfühlsam ist, ob sie stark ist, falls dem Mann etwas zustößt, das Unglück mit ihm zu ertragen. Wenn sie mit diesen Vorzügen ausgestattet ist, hat sie ihre Mitgift‘. ne ulla cogitatio ultra, ne longior cupiditas] Zu ergänzen ist sit (zu beachten ist das Trikolon ne … ne … ne). 97 Im Gegensatz zur pronominalen Anapher; vgl. Gudeman 1916: 127. Obwohl ultra hier wegen des Verbalsubstantivs cogitatio als echtes Adverb begriffen werden könnte, liegt es wegen des Gleichlaufs beider Satzglieder nahe, ultra attributiv aufzufassen, somit als ulterior (wie longior). Das Adverb stünde dann um der Inkonnizität willen (vgl. auch c. 2,2: immensus ultra Oceanus ‚der … ins Unermessliche verlierende jenseitige … Ozean‘). Mit den Worten cogitatio und cupiditas wird das vorausgehende spe votoque uxoris wieder aufgenommen (zu beachten ist die Alliteration mit c-). ne tamquam maritum, sed tamquam matrimonium ament] An diesem Satz hat man – trotz einheitlicher hs. Überlieferung – Anstoß genommen. Zum einen erschien das doppelte tamquam verdächtig, zum anderen hat man die Wörter maritum und matrimonium vertauschen wollen (auch beides zusammen findet sich). Von etlichen Herausgebern wurde eines der beiden tamquam (teils mit Tilgung von sed), obwohl in allen Hss. bezeugt, gestrichen.98 Gegen eine Streichung spricht jedoch einerseits bereits die Frage, welches der beiden tamquam zu streichen wäre, andererseits ein stilistisches Argument, nämlich dass der gesamte Satz mit Wiederholungen ausgeschmückt ist (unum … unum … unamque und ne … ne … ne); die Streichung eines der beiden tamquam würde somit in stilistischer Hinsicht eine Schwächung darstellen. Auch inhaltlich lässt sich kein schlagendes Argument gegen das doppelte tamquam anführen. Vielmehr sind beide notwendig, da das Verb amare, das hier im eigentlichen Sinn gebraucht ist, ”strenggenommen weder zu dem Abstraktum noch zu einem Toten. passt.99 So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass sich keine der vorgeschlagenen Änderungen hat durchsetzen können; beide tamquam sind vielmehr im Text zu belassen.100 98 Vgl. u.a. Schweizer-Sidler 1923: 50; Reeb 1933: 40; Much 1967: 287; als nicht unverdächtig gilt die Doppelung Lund 1988: 166: ”Das erste tamquam ist verdächtig.; Robinson 1991: 296: ”and the double tamquam may not be beyond suspicion.. Noch anders Meiser, der ne tam maritum quam matrimonium lesen wollte (vgl. Robinson 1991: 296). 99 Gudeman 1916: 128. 100 Vgl. auch Gudeman 1899: 33 Anm. 18: ”Die vorgeschlagenen Aenderungen … Streichung des ersten oder zweiten tamquam oder gar beider, sind … an sich unwahrscheinlich und unnöthig.. Die Umstellung der Wörter maritum und matrimonium wurde von Gudeman vorgeschlagen und folgendermaßen begründet: ”Sollte die Witwe nicht so sehr den verstorbenen Gatten als die Einrichtung der Ehe als solche lieben, dann hätte sie unbedingt nicht nur jeden Anlaß, sondern geradezu die gesellschaftliche Verpflichtung gehabt, sich baldmöglichst wieder zu vermählen. Das kann aber T. unmöglich haben sagen wollen, da es seiner ganzen Darstellung widerspricht. Dagegen ergibt sich ein tadelloser Sinn durch die sehr einfache Umstellung beider Wörter. Das Versehen entstand aus den kaum zu unterscheidenden Abkürzungen von matrimonium und maritum, indem die falsche Auflösung des einen Kompendiums notwendigerweise die umgekehrte des zweiten nach sich zog..101 Jedoch berücksichtigt Gudeman hier den Kontext nicht genügend. Es ist für die Frau nämlich unwichtig, welchen Ehemann sie bekommt (es handelt sich somit nicht um Liebesheiraten),102 wichtig ist nur die Institution der Ehe, welche als das Ziel im Leben der Frau hingestellt ist. Dessen Erreichung ist aber nur einmal möglich.103 numerum liberorum finire] Dies kann sowohl durch Verhütungsmaßnahmen, Abtreibung oder auch Aussetzung geschehen (natürlich ebenfalls durch Tötung, was aber erst im Nachfolgenden genannt ist). 101 Gudeman 1916: 245; vgl. auch Gudeman 1899: 34. 102 Anders Much 1967: 292: ”Aus dem Spiel zu bleiben … hat hier der Gedanke, daß die germanische Frauen zumeist vor allem die Ehe lieben und den Mann durch diese lieben lernen.. Eine Begründung für diese Auffassung liefert er indessen nicht. 103 Vgl. Robinson 1991: 296; Perl 1990: 186-187. Diese Angabe steht in Gegensatz zu den Verhältnissen in Rom, wo die Einschränkung der Kinderzahl häufig vorkam; vgl. u.a. Ov. am. 2,14,11-18: quique iterum iaceret, generis primordia nostri, / in vacuo lapides orbe, parandus erat. / quis Priami fregisset opes, si numen aquarum / iusta recusasset pondera ferre Thetis? / Ilia si tumido geminos in ventre necasset, / casurus dominae conditor Urbis erat; / si Venus Aenean gravida temerasset in alvo, / Caesaribus tellus orba futura fuit ‚und es bedurfte erneut eines Manns die entvölkerte Erde, Felsen zu streun, unsers Stamms Ursprung und steinerne Saat. Wer hätte Priamus’ Burg zerstört, wenn Thetis verweigert hätte zu tragen die Last für die gebotene Frist? Mordete Ilias Hand im gesegneten Leib die Gebrüder, hätte die Hauptstadt der Welt nie einen Gründer gehabt. Und hätte Venus sich einst mit Aeneas schwanger versündigt, nimmer erschien auf der Welt Cäsar und Cäsars Geschlecht‘; Iuv. 2,29-33: qualis erat nuper tragico pollutus adulter / concubitu, qui tunc leges revocabat amaras / omnibus atque ipsis Veneri Martique timendas, / cum tot abortivis fecundam Iulia vuluam / solveret et patruo similes effunderet offas ‚solcher Art war der Ehebrecher, der kürzlich sich durch einen Beischlaf befleckte, wie ihn die Tragödie kennt, der damals die Gesetze erneuerte, die bitter waren für alle und die sogar Venus und Mars zu fürchten hatten, während durch so viele Abtreibunsmittel Julia den fruchtbaren Schoß öffnete und dem Oheim ähnelnde Brocken hervorbrachte‘; ds. 6,366-368: sunt quas eunuchi inbelles ac mollia semper / oscula delectent et desperatio barbae / et quod abortivo non est opus ‚manche erfreuen sich an unkriegerischen Eunuchen und an stets zarten Küssen und der fehlenden Aussicht auf einen Bart, sowie daran, daß kein Abrtreibungsmittel notwendig ist‘; ds. 6,595-597: tantum artes huius, tantum medicamina possunt, / quae steriles facit atque homines in ventre necandos / conducit ‚soviel vermögen die Künste, soviel die Mittel jener, die unfruchtbar macht und sich für die Tötung von Menschen im Mutterleib verdingt‘; Plin. nat. 10,172: in hominum genere maribus deverticula veneris, excogitata omnia scelere naturae, feminis vero abortus ‚beim Menschengeschlecht haben die Männer Abwege im Geschlechtsverkehr, alle zur Versündigung an der Natur, erdacht, die Frauen aber die Abtreibung‘. Nach den späteren germanischen Gesetzestexten wird das Stößen oder Treten einer Schwangeren mit nachfolgender Fehlgeburt bestraft (vgl. u.a. L. Bai. 8,19: si quis mulieri ictu quolibet avorsum fecerit, si mulier mortua fuerit, tamquam homicida teneatur. si autem tantum partus extinguitur, si adhuc partus vivus non fuit, XL solidos conponat, si autem iam vivus fuit, wirgelt persolvat ‚wenn jemand bei einem Weibe durch irgendeinen Stoß eine Fehlgeburt verursacht, werde er für einen Totschläger erachtet, wenn das Weib stirbt. Wenn aber nur die Frucht getötet wird, büße er 40 Schillinge, wenn die Frucht noch nicht lebensfähig war; wenn sie aber schon lebensfähig war, zahle er das Manngeld‘), auch Abtreibung stand unter Strafe (L. Bai. 8,20: si avorsum fecerit, inprimis cum XII solidis cogatur exsolvere ‚wenn er eine Fehlgeburt verursacht, werde er gewzungen, zuerst mit 12 Schillingen zu zahlen‘), das Aussetzen von Kindern war demgegenüber zumindest bei den Burgundern erlaubt (vgl. Lex Gundobada Const. extravag. C: cum venerabilis viri Gimelli episcopi digna et laudabili suggestione conperimus, expositos, quos miseratio colligi faciebat, et ideo praetermitti, dum collegentes alumnos sibi eripi calumniantum intencionem formidant, et cessante misericordia eorum animae male poterant interire ‚sintemal Wir der würdigen und löblichen Eingabe des hochwürdigen Herrn Bischofs Gimellius entnehmen, wie einerseits die ausgesetzten [Kinder], welche die Barmherzigkeit aufnehmen ließ, deshalb [oft] liegen gelassen werden, weil diejenigen, die Säuglinge aufnehmen, sie durch klägerischen Antrag zu verlieren fürchten‘). aut quemquam ex agnatis necare flagitium habetur] aut steht hier zur Berichtigung des vorangehenden Gedankens in der Bedeutung ‚oder genauer‘.104 104 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 101. 105 Vgl. RE VA,1: 1009. Das Wort agnatus bezeichnet an dieser Stelle einen nach der Verfassung eines Testaments geborenen Sohn und steht somit im Sinne von agnatio postumi.105 Da sonst das schon bestehende Testament hätte umgeändert werden müssen (vgl. Cic. orat. 1,241: quia constat agnascendo rumpi testamentum ‚denn bekanntlich wird ein Testament durch eine Nachgeburt hinfällig‘; ds. Caecin. 72: statue cui filius agnatus sit, eius testamentum non esse ruptum ‚stelle fest, daß dessen Testament nicht seine Gültigkeit verliere, der noch einen Sohn bekommt‘; Ulpian. dig. 28,3,3: postumi per virilem sexum descendentes ad similitudinem filiorum nominatim exheredandi sunt, ne testamentum adgnascendo rumpant ‚Nachgeborene als Abkömmlinge durch den Mannsstamm müssen nach Analogie der [lebenden] Söhne [darum] namentlich [mit Nennung ihres Namens] enterbt werden, damit sie durch ihr Geborenwerden das Testament nicht umstoßen‘), wurden solche agnati in Rom häufig beseitigt. Da die Germanen nach Ausweis von c. 20,3 kein Testament gebrauchen, wird das Wort hier vermutlich im Sinne eines später geborenen Sohnes verwendet sein.106 Das Gleiche wird auch von anderen Völkern berichtet, etwa von den Juden (Tac. hist. 5,5,3: nam et necare quemquam ex agnatis nefas ‚denn eines der nachgeborenen Kinder zu töten gilt als Frevel‘), den Thebanern (Ael. var. hist. 2,7: .t. ... ..e.t.. ..dp. T.ßa.. ...e..a. pa.d... ..d. e.. .p.µ.a. a.t. ...a. ...at.. a.t.. .ata..f...µe... ‚keinem Thebaner ist es erlaubt, ein Kind auszusetzen oder es in einsamen Gegenden seinem Schicksal zu überlassen, damit es sterbe‘), den Etruskern (Athen. 12,14 p. 517e: tp.fe.. d. t... S.pp..... p..ta t. .....µe.a pa.d.a ‚die Etrusker ziehen alle Kinder, die geboren werden, auf‘), den Ägyptern (Strab. Geogr. 17,2,5 p. 824C: .a. t..t. d. t.. µ....ta .....µ.... pap’ a.t..., t. p..ta tp.fe.. t. .e...µe.a pa.d.a ‚zu den Dingen die ihnen am meisten am Herzen liegen gehört auch dass sie alle geborenen Kinder aufziehen‘), den Britanniern (Cass. Dio 77,12,2: .a. t. .e...µe.a p..ta ...... ..tp.f..te. ‚ziehen ebenso gemeinschaftlich alles auf, was geboren wird‘). In späterer Zeit ist bei den Friesen die Tötung von Kindern belegt. Inwieweit es sich hierbei jedoch um eine ältere Tradition handelt, ist fraglich. 106 So auch Rives 1999: 206: ”somewhat losely, to mean children born later in the marriage.. Hiermit nicht zu vergleichen ist der Verkauf von Kindern in Notzeiten, wie etwa bei den Friesen nach Tac. ann. 4,72,2: ac primo boves ipsos, mox agros, postremo corpora coniugum aut liberorum servitio tradebant ‚zunächst nun mußten sie die Rinder selbst, dann die Äcker hergeben, schließlich ihre Frauen und Kinder in der Sklaverei ausliefern‘ (vgl. aus späterer Zeit noch Iord. Get. 26: adeo, ut quemlibet mancipium in uno pane aut decem libris carne mercarent sed iam mancipiis et supellectile deficientibus filios eorum avarus mercator victus necessitate exposcit. haut enim secus parentes faciunt salute suorum pignorum providentes ‚so daß sie [= die Goten] einen Sklaven gegen einen einzigen Laib Brot, oder 10 Pfund gegen ein Stück Fleisch eintauschten. Als aber den Goten die Sklaven und Gerätschaften ausgingen, forderte der Habgierige Kaufmann bei der drückenden Not die Söhne als Zahlung. Indem die Eltern diese hergaben, sorgten sie nur für das Wohl ihrer Kleinen‘; ebenso bei Johann Geiler von Kaysersberg: der vatter in hungersnot mag er den sun verkaufen und sunst nit; die muoter mag den sun nit verkaufen, sie leid hunger oder nicht ‚der Vater kann den Sohn bei Hungsersnot verkaufen, sonst aber nicht; die Mutter kann den Sohn nicht verkaufen, ob sie Hunger leidet oder nicht‘). plusque ibi boni mores valent quam alibi bonae leges] Bei der Schlusspointe handelt es sich um einen topischen Gedanken (vgl. u.a. Tac. dial. 12,3: ceterum felix illud et, ut more nostro loquar, aureum saeculum, et oratorum et criminum inops, poetis et vatibus abundabat, qui bene facta canerent, non qui male admissa defenderent ‚andererseits war jenes glückliche und, um nach unserer Gewohnheit zu sprechen, jenes goldene Zeitalter arm an Rednern und an Verbrechen, besaß aber Dichter und Sänger im Überfluß, um edle Taten zu besingen, aber nicht, um Schandtaten zu verteidigten‘; ds. ann. 3,26,1: vetustissimi mortalium, nulla adhuc mala libidine, sine probro scelere eoque sine poena et coercitionibus agebant ‚die ältesten Menschen lebten, da sie noch keinen Trieb zum Bösen hatten, ohne Schuld und Verbrechen und damit ohne Strafe oder Zwangsmittel‘; Lucr. 5,1145-1149: nam genus humanum, defessum vi colere aevom, / ex inimicitiis languebat; quo magis ipsum / sponte sua cecidit sub leges artaque iura. / acrius ex ira quod enim se quisque parabat / ulcisci quam nunc concessumst legibus aequis ‚denn der Menschen Geschlecht, nach Faustrecht müde zu leben, war an Feindschaften krank; um so mehr ist es selber gefallen freiwillig unter Gesetze von sich aus und schränkende Rechte. Weil nämlich jeder aus Zorn sich schärfer gerüstet, zu nehmen Rache, als frei es jetzt ist gestellt nach gleichen Gesetzen‘; Cic. leg. 2,23: qui tum ut lex valebat ‚und sie [= die Sitte der Vorfahren] hatten seinerzeit dieselbe Bedeutung wie ein Gesetz‘; Sall. Iug. 18,2: ii neque moribus neque lege aut imperio quoiusquam regebantur ‚sie [= Völker Afrikas] richteten sich nicht nach Sitten oder einem Gesetz oder gar nach jemands Befehl‘; ds. Cat. 9,1: ius bonumque apud eos non legibus magis quam natura valebat ‚Recht und Moral hatten bei ihnen Geltung weniger durch Gesetze als durch ihr natürliches Gefühl‘; Hor. carm. 3,24,35-36: quid leges sine moribus / vanae proficiunt ‚und was helfen Gesetze, hohl ohn’ der Sitte Gebot‘; ds. sat. 1,3,97-98: sensus moresque repugnant / atque ipsa utilitas, iusti prope mater et aequi ‚Gefühl, Gesittung spricht dagegen und der Nutzen selbst, der wohl der Urquell ist von Recht und Sitte‘; Ov. met. 1,89-90: aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo / sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat ‚erstes Alter war das Goldene. Ohne Gesetz und Sühner wahrte aus eigenem Trieb es die Treu und das Rechte‘; Sen. epist. 90,4-6: sed primi mortalium quique ex his geniti naturam incorrupti sequebantur, eundem habebant et ducem et legem, commissi melioris arbitrio. naturae est enim potioribus deteriora summittere … animo itaque rector eligebatur, ideoque summa felicitas erat gentium in quibus non poterat potentior esse nisi melior: tuto enim quantum uult potest, qui se nisi quod debet non putat posse. illo ergo saeculo quod aureum perhibent, penes sapientes fuisse regnum Posidonius iudicat … sed postquam subrepentibus uitiis in tyrannidem regna conuersa sunt, opus esse legibus coepit, quas et ipsas inter initia tulere sapientes. Solon qui Athenas aequo iure fundauit, inter septem fuit aeui sapientia notos … hi non in foro nec in consultorum atrio, sed in Pythagorae tacito illo sanctoque secessu didicerunt iura quae florenti tunc Siciliae et per Italiam Graeciae ponerent ‚doch die ersten Menschen und ihre Nachkommen folgten unverdorben der Natur, betrachteten ein und denselben Menschen als Führer und Gesetz, weil sie sich anvertrauten dem Urteil des Besseren. Das Wesen der Natur ist es, dem Überlegeneren das Geringere unterzuordnen … Nach der Geisteskraft wurde daher der Lenker ausgesucht, und deswegen gab es das größte Glück unter den Völkern, bei denen mächtiger nur sein konnte der Bessere: mit Sicherheit kann nämlich seinen Willen nur durchsetzen, wer das, wozu er verpflichtet ist, glaubt durchsetzen zu können. In jenem Zeitalter also, das man das goldene nennt, ist in der Hand der Weisen gewesen die Herrschaft, urteilt Poseidonios … doch weil sich Fehlhaltungen einschlichen und in Gewaltherrschaft das Königstum umgeschlagen war, begann man Gesetze zu brauchen, und auch sie gaben zunächst die Weisen. Solon, der Athen auf die Grundlage der Rechtsgleichheit stellte, unter die Sieben gehört er, die in diesem Zeitalter wegen ihrer Weisheit berühmt waren … sie haben nicht auf dem Forum und nicht in der Halle von Rechtsgelehrten, sondern in des Pythagoras stiller und ehrwürdiger Abgeschiedenheit sich die Rechtskenntnisse angeeignet, die sie dann Sizilien in seiner Blüte und den Griechenstädten in Italien Gesetze geben ließ‘; Verg. Aen. 7,202-204: ne fugite hospitium neve ignorate Latinos, / Saturni gentem, haud vinclo nec legibus aequam, / sponte sua veterisque dei se more tenentem ‚meidet Gastfreundschaft nicht, verkennt auch nicht die Latiner, sie, des Saturnus Geschlecht, gerecht, nicht durch Zwang und Gesetze, sondern aus sich und getreu dem Brauch des uralten Gottes‘; Strab. Geogr. 15,1,53 p. 709C: p.e..t. d’ ..e.e.p.a pep. t.. ...p.. … ...a ..p.f... .a. ta.ta ..µ... .p.µ.... … e.ppa.e.. d’ .µ.. d.. t.. .p..t.ta .a. t.. e.t..e.a. ‚besonders groß ist ihre [= der Inder] Zurückhaltung beim Stehlen … und das, während sie nur ungeschriebene Gesetze haben … Trotzdem gedeihe ihnen alles gut dank ihrer Ehrlichkeit und Einfachkeit‘; Iust. 2,2,5: iustitia gentis ingeniis culta, non legibus ‚die Gerechtigket wird durch den Charakter des Volkes [= Skythen], nicht durch Gesetze gepflegt‘; ds. 2,2,15: tanto plus in illis proficit vitiorum ignoratio quam in his cognitio virtutis ‚um so viel mehr richtet bei ihnen [= den Skythen] die Unkenntnis von Vergehen aus wie bei ihnen [= den Griechen] die Kenntnis der Tugend‘; vgl. auch Tac. ann. 3,55,5: nec omnia apud priores meliora, sed nostra quoque aetas multa laudis et artium imitanda posteris tulit. verum haec nobis in maiores certamina ex honesto maneant ‚nicht alles war in den früheren Zeiten besser, aber auch unsere Zeit hat vieles an rühmlichem Tun und Leistungen der schönen Künste hervorgebracht, das Nachahmung durch die Nachwelt verdient. Jedenfalls sollte uns dieser Wettstreit mit den Vorfahren, ausgehend vom Ehrenhaften, erhalten bleiben‘). Der Gegensatz ibi – alibi zeigt deutlich die antithetische Darstellung des gesamten Kapitels. Die Aussage zielt auf die in den Jahren 18 v.Chr. und 11 n.Chr. von Augustus erlassene lex Iuliae und lex Papia Poppaea ab, die ergebnislos blieb (die Ergebnislosigkeit solcher Gesetze ohne die richtige ethische Grundlage diskutiert Tacitus ausführlich ann. 3,25- 28). KAPITEL 20 1 In omni domo – excrescunt] Die Verbindung mit c. 19 ist so eng, dass aus dem vorhergehenden Satz (numerum liberorum finire ‚die Zahl der Kinder einzuschränken‘) das Wort liberi als neues Subjekt extrapoliert werden muss.1 Jedoch spricht die Sentenz am Ende von c. 19 für eine Kapitelgrenze.2 Wie die Zufügung omni zeigt, handelt es sich ausnahmslos um alle Kinder, also auch die der Vornehmen und Vornehmsten. 1 Vgl. Perl 1990: 187; Benario 1999: 86. 2 Vgl. auch Perl 1990: 29 Anm. 55, 187. 3 So offenbar Schweizer-Sidler 1923: 50: ”in jedem Haus.; Much 1967: 294: ”In jedem, also auch dem vornehmsten Hause.. 4 So auch Perl 1990: 187. 5 Vgl. Baumstark 1875: 652; Reeb 1933: 41; Lund 1988: 167; Perl 1990: 187. 6 Vgl. Robinson 1991: 207. 7 Kühner – Stegmann II,2: 15; vgl. auch Neue – Wagener 1985: 2,955-958. 8 Vgl. Hofman – Szantyr 1972: 477: ”Die kürzere Form ist aus atque in antekonsonantischer Stellung synkopiert …; die tatsächliche Verwendung ist jedoch an diese satzphonetische Regelung nicht streng gebunden.. Das Wort domus kann an dieser Stelle kaum ‚Haus‘ bedeuten,3 da die Sklaven nach c. 25,1 (suam quisque sedem, suos penates regit ‚ein jeder steht seinem eigenen Wohnsitz, seinem eigenen Hof vor‘) eine separate Wohnstätte hatten.4 Es steht somit in seiner gesellschaftlich organisatorische Bedeutung ‚Familie(nverband)‘,5 obwohl diesmal kein Gegensatz zu einer öffentlichen Organisationsform ausgedrückt ist (vgl. auch c. 20,3). Das Verb excrescere kommt bei Tacitus nur an dieser Stelle vor. nudi ac sordidi] Während die meisten Hss. als Konnektor zwischen den beiden Adjektiven ac haben, geben die Hss. ETR als Lesart atque.6 Die Verteilung von ac und atque ist die, dass ac ”nur vor Konsonanten, nicht vor einem Vokale oder h., atque dagegen ”in der Regel … nur vor Vokalen und h, selten vor Konsonanten. steht.7 Wie auch die anderen Beispiele in der Germania zeigen, ist diese Regel eingehalten. Da es jedoch zum einen Fälle gibt, in denen atque vor einem Konsonanten steht (vgl. u.a. Plaut. Pseud. 1134: atque tu ‚als du‘; Cic. Sest. 92: ius atque vis ‚Recht und Gewalt‘; Nep. them. 6,5: servi atque liberi ‚Sklaven und Freie‘),8 es zum anderen auffällig ist, dass diese Lesart sich in zwei verschiedenen Hss.-Gruppen findet, scheint es nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein, dass es sich hierbei um eine ältere Lesart handelt, die von den anderen Hss. normalisiert wurde. Weil dies jedoch weiter nicht abgestützt werden kann, ist auch hier das gängige ac aufgenommen. Das Adjektiv nudus wird auch an dieser Stelle wiederum von den meisten als ‚nackt‘ verstanden.9 Jedoch wird diese Bedeutung von einigen der Kommentatoren selbst wieder zurückgenommen, wie etwa von Much: ”Für den strengen Winter aber kann das nicht gegolten haben und war auch sonst gewiß nicht ausnahmslos..10 Es scheint somit geratener, auch an dieser Stelle die Bedeutung ‚wenig bekleidet‘ anzunehmen.11 Dagegen spricht auch nicht die für ‚nackt‘ angeführte Parallelstelle aus Mela 3,3,26: nudi agunt antequam puberes sint ‚bis zur Pubertät bewegen sie [= die Germanen] sich nackt‘ (AG 1, 100-101). Denn zum einen steht hier dasselbe Wort nudus, das hier wohl auch als ‚halbbekleidet‘ aufzufassen sein wird, zum anderen kann, falls hier eine wirkliche Nacktheit ausgesprochen wäre, eine stillschweigende Berichtigung des Tacitus vorliegen. Manchmal wird mit Hinweis auf c. 22,1 ein Gegensatz zwischen den Gewohnheiten der Kinder und der Erwachsenen angenommen.12 Jedoch ist auch in c. 22,1 (statim e somno, quem plerumque in diem extrahunt, lavantur, saepius calida, ut apud quos plurimum hiems occupat ‚gleich nach dem Schlaf, den sie meist bis in den Tag hinein ausdehnen, waschen sie sich, recht oft mit warmem Wasser, da es bei ihnen meist kalt ist‘) ein solcher Gegensatz nicht auszumachen. 9 Vgl. etwa Baumstark 1875: 651; Gudeman 1916: 129: ”steht nicht in Widerspruch mit 17,1ff. denn es handelt sich hier um Kinder.; Much 1967: 294; Lund 1988: 167; Perl 1990: 99; Anderson 1997: 115; Rives 1999: 206; Benario 1999: 86. 10 Much 1967: 294; vgl. auch Anderson 1997: 115: ”Observations of this kind were made by Romans in summer time.. 11 Vgl. auch die Bilddarstellung von Kindern auf der Marcussäule. 12 So etwa Benario 1999: 86: ”This was customary for he young … Adults also bathes, with hot water when available (c. 22,1).. 13 Vgl. etwa Gudeman 1916: 129: ”Die Erwachsenen dagegen wuschen sich … täglich.; Lund 1988: 167: ”sordidi steht hier im konkreten Sinne.; Perl 1990: 99, 187: ”im Gegensatz zur Reinlichkeit der Erwachsenen.; Anderson 1997: 115: ”‚dirty‘, not inconsistent with … lavantur, which refers to adults.; Rives 1999: 85: ”filthy.; Benario 1999: 86: ”dirty.. 14 Much 1967: 294-295. Auch über die genaue Bedeutung des Adjektivs sordidus an dieser Stelle gehen die Meinungen auseinander, da es sowohl ‚schmutzig, dreckig‘ als auch ‚ärmlich‘ bedeuten kann. Die meisten Kommentatoren haben es in der ersten Bedeutung genommen.13 Much gibt hierfür folgende Begründung: ”Aber auf Kleider kann sich das [= die Bedeutung ‚ärmlich‘] schon wegen nudi nicht beziehen. Und Kinder, die sich ungebunden beim Vieh herumtrieben und herumlagen, denen keine Hand verwehrte, nach Herzenslust in jede Pfütze zu treten, werden wirklich nicht sauber ausgesehen haben..14 Problematisch bei dieser Interpretation bleibt jedoch, dass sich die Germanen nach dem Aufstehen badeten (c. 22,1: statim e somno … lavantur ‚gleich nach dem Schlaf … waschen sie sich‘). Für die Einschränkung des Badens auf die Erwachsenen,15 gibt es keinerlei Hinweise, außer die Rettung der Deutung von sordidus als ‚schmutzig‘. Auch stünde diese Interpretation in Gegensatz zu Caes. Gall. 6,21,5: quod et promiscue in fluminibus perluuntur ‚denn beide Geschlechter baden zusammen in den Flüssen‘. Keinerlei Probleme macht dagegen die Erklärung von sordidus als ‚armselig‘, welche bereits von Müllenhoff vorgeschlagen wurde: ”es liegt in sordidi nur der gegensatz zur römischen mundities: die eleganz fehlt, sie gehen in groben schlechten kleidern … die erscheinung ist die folge der c. 28 hervorgehobenen inopia..16 15 Vgl. Fn. 13; Benario (vgl. Fn. 12) schränkt nur das Baden mit warmem Wasser auf die Erwachsenen ein. 16 Müllenhoff 1900: 315; ähnlich bereits Baumstark 1875: 651** (mit Hinweis auf c. 46): ”und die sordes bezeichnen … nicht sowohl den Schmutz, als die Aermlichkeit.; etwa abweichend Schweizer-Sidler 1923: 50: ”schmutzig, ohne Pflege.; Reeb 1933: 41: ”‚ohne Pflege‘, nicht schmutzig.. 17 Vgl. ThLL V,2: 1284,42-47, 66-68. 18 Vgl. Perret 1950: 56; Robinson 1991: 297; Perret 1997: 82. in haec corpora, quae miramur] Das Verb excrescere kommt selten in Verbindung mit der Präposition in vor (üblicher ist die Fügung erigere in); vgl. Plin. nat. 16,125: in altitudinem excrescunt abies ‚in die Länge wachsen die Tannen‘; Sen. clem. 3,24,4: in monstrum excreuit ‚zu einem Ungeheuer herangewachsen ist‘; Suet. Vesp. 10: litium series ubique maiorem in modum excreverant ‚die lange Reihe von Gerichtsprozessen war allerorts übermäßig angewachsen‘; Lucan. 4,11: excrevit in altum ‚steigt … an‘.17 Die Demonstrativpronomina hos und haec verweisen darauf, dass diese Erscheinung bei den Römern gut bekannt war, konnte man doch Germanen in Rom (ob als Sklaven oder Soldaten) täglich sehen. Dieser Umstand wird ebenfalls durch quae miramur verdeutlicht (aus diesem Grunde ist die recht verbreitete Lesart mirantur in den Hss. CpvabrlezuARce, mirantur am Rand ramur Q, minantur korr. in mirantur s18 abzulehnen). Zum Inhaltlichen vgl. Manil. 4,692: et stupefacta suos inter Germania partus ‚und das inmitten der Schar seiner Kinder erstaunte Germanien‘; ebd. 4,715: flava per ingentes surgit Germania partus ‚rotblond erhebt sich Germanien mit ungeheueren Söhnen‘; Colum. 3,8,2: Germaniam decoravit altissimorum hominum exercitibus ‚Germanien hat [das Gesetz der Fruchtbarkeit] durch Heere riesiger Menschen geziert‘ (AG 1, 130). Die Wörter artus und corpus finden sich im Lat. häufiger miteinander verbunden (vgl. etwa Sen. contr. 2,5,4: flagellis caeduntur artus, verberibus corpus abrumpitur ‚durch Knuten werden die Gliedmaßen niedergehauen, durch Peitschenhiebe wird der Körper zerrissen‘; ds. thy. 1059: artus, corpora ‚Gliedmaßen, Körper‘; Lucr. 2,271: per totum corpus et artus ‚durch den ganzen Leib und die Glieder‘; Curt. 3,5,3: vixque ingressi subito horrore artus rigere coeperunt; pallor deinde suffusus est, et totum propemodum corpus vitalis calor liquit ‚alsbald aber ließ eine plötzliche Lähmung seine Glieder erstarren; dann überzog ihn Blässe, und die Lebenswärme entwich nahezu dem gesamten Körper‘; auch in der Verbindung artus corporis: Hor. carm. saec. 63-64: qui salutari levat arte fessos / corporis artus ‚dessen Kunst heilbringend des Leibes kranke Glieder erleichtert‘; Ov. met. 7,317: minuunt ea corporis artus ‚sie verkleinern die Glieder‘; Vitr. 8,6,11: vapor ex eo insidens corporis artus ‚der von ihm ausströmende Dampf, der sich an den Gliedern des Körpers festsetzt‘; vgl. auch Manil. 5,668-669: scinduntur in artus / corpore et ex uno varius discribitur usus ‚man teilt sie [= die Beute] in Stücke, und man bestimmt einen einzigen Leib zu verschiedener Verwendung‘). Zum großen Wuchs der Germanen im Vergleich zu den Römern vgl. c. 4: magna corpora ‚große … Körper‘ (dort auch weitere Parallelstellen). sua quemque mater uberibus alit] Es handelt sich um eine poetische Wendung; vgl. etwa Verg. ecl. 3,30: binos alit ubere fetus ‚ihr Euter nährt zwei Kälbchen‘; ds. Aen. 5,285: geminique sub ubere nati ‚mit Zwillingssöhnen am Busen‘; ebd. 6,428: et ab ubere raptos ‚und fort von der nährenden Brust‘; Ov. met. 4,324: et quae dedit ubera, nutrix ‚und, die ihre Brüste dir bot, deine Amme‘; ebd. 9,357-358: materna … / … ubera ‚der Mutter Brust‘ (vgl. noch Ulp. dig. 50,13,1,14: infantes uberibus aluntur ‚die Kinder werden an der Brust genährt‘) statt des üblichen mammas dare (das Wort ubera wird sonst gewöhnlich nur von Tieren gesagt). nec ancillis ac nutricibus delegantur] In den Hss. findet sich ein Nebeneinander von aut (in m.bB), ac (in WhcCpQtfETdorabrs) sowie eindeutig fehlerhaftem nec (in v) und non (in lezuARce).19 Während die frühen Drucke offenbar sämtlich ac bieten,20 schwanken die modernen Ausgaben zwischen aut und ac.21 Die Verteilung der Lesarten spricht eindeutig zugunsten von ac. Dazu kommt, dass etwa Lund aut interpretiert als ”gleich ac..22 Es liegt somit kein Grund vor, aut in den Text aufzunehmen.23 19 Vgl. Robinson 1991: 152, 297; Perret 1997: 82. 20 Vgl. Maßmann 1847: 80: ”cet. ac.; auch bei Hirstein 1995: 285-311 ist diese Stelle nicht angeführt. 21 So nehmen aut z.B. auf Holtzmann – Holder 1873: 48; Gudeman 1916: 130; Schweizer-Sidler 1923: 51; Reeb 1933: 41; Halm 1930: 233; Much 1967: 294; Koestermann 1970: 17; Önnerfors 1983: 14; Lund 1988: 86; dagegen ac z.B. Passow 1817: 31; Grimm 1835: 11; Lenchantin de Gubernatis 1949: 15; Winterbottom – Ogilvie 1985: 47; Perl 1990: 98; Robinson 1991: 297; Anderson 1997; Perret 1997: 82; Benario 1999: 32. ac war offenbar auch die Grundlage für Rives 1999: 85: ”slave girls and nurses.. 22 Lund 1988: 167. 23 Zu den Funktionen von ac vgl. Kühner – Stegmann II,2: 15-24. Das Subjekt des Verbs delegari ist liberi oder infantes, welches aus dem vorhergehenden quemque zu extrahieren ist, das pluralischen Sinn hat.24 Zur Bedeutung des Verbs25 vgl. Tac. dial. 29,1: at nunc natus infans delegatur Graeculae alicui ancilae ‚jetzt dagegen wird das neugeborene Kind irgendeiner griechischen Magd überlassen‘; vgl. ebenfalls ds. hist. 4,85,2: Canninefates Batavosque minoribus ducibus delegandos ‚die Canninefaten und Bataver möge man rangniedrigeren Heerführern überlassen‘; Liv. 29,22,10: patefacto dein scelere delegatum in Tullianum ex senatus consulto ‚das Verbrechen sei jedoch entdeckt worden und er [= Pleminius] sei auf Senatsbeschluß in das Tullianum hinabgeschickt worden‘. 24 Vgl. Gudeman 1916: 130; Anderson 1997: 115. 25 Vgl. zur Konnotation des Verbs Gudeman 1916: 130: ”Das Verbum ist hier … in verächtlicher Bedeutung … gebraucht, als ob es sich um eine unangenehme Bürde, die man gern von sich abwälzen möchte, handelte.. Die ganze Aussage steht in Gegensatz zur üblichen römischen Praxis der Zeit des Tacitus, wo die reichen Frauen ihre Kinder nicht mehr selbst erziehen, worin Tacitus einen wesentlichen Grund für den sittlichen Verfall sieht. Die Ursache für diese Ansicht liegt offenbar in der Annahme, dass die unvorteilhaften Charaktereigenschaften der Ammen über die Milch in den Säugling fließen würden (vgl. Gell. 12,1,17: quae, malum,iigitur ratio est nobilitatem istam nati modo hominis corpusque et animum bene ingeniatis primordis inchoatum insitivo degenrique alimento lactis alieni corrumpere? praesertim si ista, quam ad praebendum lactem adhibetis, aut serva aut servilis est ‚wie zum Henker will man nun erst rechtfertigen, so etwas Edles in einem menschlichen Geschöpfe, eine leiblich und geistig ursprünglich gutgeartete Grundlage durch untergeschobene und abartige Nahrung fremder Milch zu verderben? zumal wenn die Person, welche man zu Stillen verwendet, entweder von niedriger Herkunft oder von niedriger Denkungsart ist‘; Colum. 7,12,12: postea catenis per diem continendi et noctibus solvendi. nec umquam eos, quorum generosam volumus indolem conservare, patiemur alienae nutricis uberibus educari, quoniam semper et lac et spiritus maternus longe magis ingenia atque incrementa corporis auget ‚danach legt man sie [= Hundewelpen] tagsüber an die Kette und läßt sie während der Nacht frei laufen. Und nie soll man diejenigen, deren Rasse man rein erhalten will, an den Zitzen einer fremden Nährmutter trinken lassen, weil Milch und Anlage der echten Mutter stets weit mehr den Charakter und das körperliche Wachstum fördern‘). Dieser Punkt wird von Tacitus noch an zwei weiteren Stellen ausgeführt: Agr. 4,2: in huius sinu indulgentiaque educatus ‚in ihrer liebenden Hut erzogen‘; dial. 28,4 – 29,1: nam pridem suus cuique filius, ex casta parente natus, non in cellula emptae nutricis, sed gremio ac sinu matris educebatur, cuius praecipua laus erat tueri domum et inservire liberis … nunc natus infans delegatur Graeculae alicui ancilae ‚denn einst wurde eines jeden Sohn, von einer sittenreinen Mutter geboren, nicht in der Kammer einer gekauften Amme, sondern auf dem Schoß und am Busen der Mutter aufgezogen, deren besonderes Verdienst es war, das Haus zu hüten und sich ganz den Kindern zu widmen … jetzt dagegen wird das neugeborene Kind irgendeiner griechischen Magd überlassen‘. Ob das früher angeführte älteste Zeugnis für Ammen bei den Germanen26 (Beda, hist. eccl. 1,27: praua autem in coniugatorum moribus consuetudo surrexit, ut mulieres filios, quos gignunt, nutrire contemnant, eosque aliis mulieribus ad nutriendum tradant, quod uidelicet ex sola causa incontinentiae videtur inuentum, quia dum se continere nolunt, despiciunt lactare, quos gignunt ‚in den Sitten der Eheleute hat sich jedoch der schlechte Brauch entwickelt, daß es Frauen ablehnen, die Kinder, die sie gebären, zu stillen, und sie anderen Frauen zum Stillen zu übergeben; dies scheint nämlich aus dem alleinigen Grund der mangelnden Enthaltsamkeit entstanden zu sein, denn wenn sie nicht enthaltsam sein wollen, lehnen sie es ab, die Kinder zu stillen, die sie gebären‘) tatsächlich nur auf die Germanen abzielt, ist fraglich, da sich die Aussage in einer allgemeinen Antwort des Gregorius auf die Frage des Augustinus bezüglich des sexuellen Kontaktes von Frauen, die Kinder geboren haben, findet. 26 So etwa Müllenhoff 1900: 315; Much 1967: 295. 27 Vgl. ThLL V,1: 1911,47-68. dominum ac servum nullis educationis deliciis dinoscas] Das Wort dominus, das Tac. nur hier und in c. 25,1 (frumenti modum dominus aut pecoris aut vestis ut colono iniungit ‚der Herr erlegt ihm, gleich einem Pächter, eine bestimmte Menge Getreide, Vieh oder Tuch auf‘) benutzt, stellt eine Ableitung mit dem Suffix uridg. *-ino- von lat. domus ,Haus; Wohnung, Aufenthalt; Heimat, Vaterland, Vaterstadt‘ dar. Es bezeichnet erstens seit dem Ende des 3. Jh.s v.Chr. den Träger der Hausgewalt und steht somit synonym zu pater familias, zweitens bezeichnet es den Herrn über die Besitztümer und drittens den Träger staatlicher Gewalt.27 An dieser Stelle steht dominus streng genommen entweder für den zukünftigen Herrn, den dominus futurus (zu einer solchen Konnotation vgl. etwa Tac. Germ. 19,1: non … maritum invenerit ‚nicht … lassen sie einen andern Ehemann finden‘; ds. Agr. 4,3: ultra quam concessum Romano ac senatori ‚eifriger als einem Römer und Senator verstattet‘ [von Agricola als Jugendlicher gesagt]) oder für das Kind des Herren, das infans dominum (zu einer solchen Konnotation vgl. etwa Tac. dial. 29,1: coram infante domino ‚in Gegenwart des noch jungen Herrn‘; Plaut. Capt. 18: profugiens dominum apstulerat ‚der gab ihn … seinem Sohn‘). Mit dem Wort deliciae ist der Gegensatz zur Ernsthaftigkeit gemeint, worauf ebenfalls nach anderen Zeugnissen die Erziehung der germanischen Kinder gerichtet war; vgl. Tac. hist. 4,61,1: et ferebatur parvulo filio quosdam captivorum sagittis iaculisque puerilibus figendos obtulisse ‚man berichtete auch, er [= Civilis] habe seinem kleinen Sohn einige der Gefangenen als Zielscheibe für seine Kinderpfeile und Kinderspeere überlassen‘; Caes. Gall. 6,21,3: vita omnis in venationibus atque in studiis rei militaris consistit; a parvulis labori ac duritiae student ‚ihr ganzes Leben besteht aus Jagen und militärischen Übungen. Von klein auf streben sie danach, Härte und Anstrengung zu ertragen‘; Sen. epist. 36,7: si in Germania, protinus puer tenerum hastile uibraret ‚wenn in Germanien , würde er sogleich als Knabe die schlanke Lanze schwingen‘; Paul. 4,37: e quibus unus Grimoaldum puerulum fratrem suum, dum existimaret utpote parvulum super equum currentem se tenere non posse, melius ducens eundem gladio perimere quam captivitatis iugum sustinere, eum occidere voluit. cum igitur ut eum percuteret lanceam elevasset, puer lacrimans exclamavit, dicens: „noli me pungere, quia possum me super equum tenere. ‚einer von ihnen [= von den Söhnen Gisulfs] glaubte, ihr jüngster Brüder Grimuald sei noch zu jung, um sich auf einem Roß im vollen Lauf halten zu können, und hielt es dafür für besser, ihn mit dem Schwert umzubringen, als im Joch der Knechtschaft zurückzulassen, und wollte ihn töten. Als er aber seiner Speer erhob, um ihn zu durchbohren, weinte der Knabe und rief: ”Durchstoße mich nicht, denn ich kann mich auf einem Roß halten.‘. Auch in dieser fehlenden Verhätschelung liegt ein Gegensatz zu Rom, wie aus Quint. inst. 1,2,6-7 hervorgeht: infantiam statim deliciis solvimus. mollis illa educatio, quam indulgentiam vocamus, nervos omnes mentis et corporis frangit … nondum prima verba exprimit, iam coccum intellegit, iam conchylium poscit … in lecticis crescunt: si terram attigerunt, e manibus utrimque sustinetium pendent ‚schon in erster Kindheit verwöhnen wir sie durch Leckereien. Die weichliche Art der Erziehung, die wir Nachsicht nennen, löst alles Straffe an Geist und Köper auf … Noch kann das Kind die ersten Worte nicht richtig herausbringen, da kennt es schon Safran, will es schon Purpurkleider haben … In der Sänfte wachsen sie auf. Kommen sie einmal mit den Füßen auf den Boden, so stehen schon auf beiden Seiten Leute bereit, an deren Hände sie sich halten‘. Diese Nachricht wird auch durch die sprachlichen Daten gestützt, da viele Wörter im Germanischen sowohl ‚Kind‘ als auch ‚Sklave‘ bedeuten,28 wie got. magus, ahd. mhd. knecht, knabe, ahd. mhd. maget. 28 Dasselbe gilt im Übrigen auch für gr. pa.. und lat. puer. 29 Müllenhoff 1900: 316; ähnlich auch Schweizer-Sidler 1923: 51: ”die Haustiere waren nicht in besonderen Räumen untergebracht, und den Boden der Hütte bildete der bloße Erdboden.; Anderson 1997: 116: ”The cattle were under the same roof in the homestead, which had only a mud floor.; Benario 1999: 87: ”The animals … wander through the house.; teilweise wohl auch Lund 1988: 167: ”in eadem humo) i.e. in eodem pavimento.. 30 Vgl. auch Much 1967: 295. 31 Zu in eadem humo vgl. Kühner – Stegmann II,1: 485. 32 Vgl. u.a. Much 1967: 295; Perl 1990: 188. 33 So auch Perl 1990: 187-188: ”Die Gemeinschaft von Herren- und Sklavenkindern weckt die Erinnerung an das patriarchalische Familienleben, als Catos Frau auch Sklavenkinder stillte.. 34 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 381. Da der Konjunktiv nach donec bei Tacitus um sich greift, ist die Interpretation von Benario 1999: 87 (”The verbs separet and agnoscat are subjunctive; the sense is not only temporal but also expresses the idea of purpose.) nicht zu sichern. inter eadem pecora, in eadem humo degunt] Nach Müllenhoff ist hierbei an das Hausinnere zu denken: ”erinnert man sich unserer alten bauerhäuser mit der großsen tenne, zu beiden seiten die viehstände, dann versteht man diese angabe..29 Gegen diese Auffassung sprechen jedoch zwei Gründe. Erstens haben die Sklaven nach Ausweis von c. 25,1 ihren eigenen Hausstand (s.o.). Zweitens hatte domus am Kapitelanfang nicht die Bedeutung ‚Haus‘, sondern ‚Familie‘.30 Somit liegt die Annahme, dass hier das Vieh und die Erde31 auf dem Hof gemeint sind, näher.32 Auch dies steht in Kontrast zu den römischen Verhältnissen zur Zeit des Tacitus, es ähnelt vielmehr den altrömischen, da damals die Kinder der Herren wie die der Sklaven zusammen aufwuchsen (vgl. Plut. cat. ma. 20,3: a.t. ..p .tpefe. .d.. ...a.t.. p....... d. .a. t. t.. d..... pa.d.p.a t. µa.t. pp...eµ... .ate..e.a.e. e....a. .. t.. ...tp.f.a. pp.. t.. .... ‚sie [= Catos Frau] nährten den Kleinen selbst und legte oft genug auch noch die Säuglinge der Sklaven mit an; sie glaubte die gemeinsame Muttermilch würde ihnen Wohlwollen gegen ihren Sohn einflößen‘).33 donec aetas separet ingenuos] Auch hier, wie in c. 1,2 (donec in Ponticum mare sex meatibus erumpat ‚bis sie sich in sechs Armen ins Schwarze Meer stürzt‘), ist donec mit dem Konjunktiv verbunden.34 aetas steht hier in der Bedeutung ‚(Lebens)jahre‘; zu dieser Bedeutung vgl. Tac. Agr. 4,3: mox mitigavit ratio et aetas ‚später sänftigten ihn Vernunft und Alter‘. Der späteste Zeitpunkt der Scheidung beider Gruppen ist die Wehrhaftmachung. Das Wort ingenuus ist ein Rechtsbegriff mit der Bedeutung ,frei geboren; von freien, wenn auch evtl. selbst freigelassenen Eltern abstammend (im Gegensatz zu libertus)‘. Nach Liv. 10,8,10 ist ingenuus eine ursprünglich plebejische Bezeichnung zur Abgrenzung der Schicht der Freien von der untersten Bürgerklasse (en unquam fando audistis patricios primo esse factos non de caelo demissos sed qui patrem ciere possent, id est, nihil ultra quam ingenuos? ‚habt ihr denn nie sagen gehört, zu Patriziern seien anfangs nicht Leute gemacht worden, die der Himmel herabgeschickt habe, sondern solche, die einen Vater angeben konnten, d.h. nichts anderes als Freigeborene?‘). ingenui bezeichnet hier jeden freien Germanen im Gegensatz zu den servi. Germanische Bezeichnungen für den ,Freigeborenen‘ existieren kaum.35 Bezeugt ist einzig urgerm. *fri.a-mann- > ahd. friman, mndd. vriman, ae. freoman ,freier Mann‘, ein Kompositum aus urgerm. *fri.a- ‚frei‘ (> got. freis, ahd. as, afr. fri, ae. freo, fri) und *mann- ‚Mann, Mensch‘ (> got. manna, ahd. as. afr. ae. mann, aisl. maðr). Ob das Kompositum überhaupt westgerm. ist oder ob einzelsprachliche Bildungen vorliegen (im as. ist etwa nur friling ,freier Mann‘ bezeugt), bleibt jedoch unklar.36 35 Das zumeist als Beleg für den ‚freien Mann‘ angeführte *fri.a-.alsa- (> got. freihals ,Freiheit‘, ahd. frihals ,Freiheit, Befreiung‘, ae. friols, freols ,Freiheit, Friede‘, afries. frihals ,Freiheit‘) bedeutet wohl nur ,Freiheit‘ und stellt die Substantivierung eines abstrakten Adjektivs dar (urgerm. *fri.a-.alsa- [> ae. freols ,frei‘, aisl. frjals ,frei‘]; vgl. Kluge 1926: 57). Die zumeist für ahd. frihals angegebene Bedeutung ,freier Mann‘ (Krahe – Meid 1969: III, 33; Amira – Eckhardt 1967: 19) scheint unrichtig zu sein (man vgl. Heidermanns 1993: 215; Schützeichel 1995: 118). 36 Man vgl. auch Voetz 1977: 112-115. 37 Lund 1988: 167; vgl. auch Rives 1999: 207: ”It was a commonplace in ancient thought that slaves were morally inferior to the free-born.. 38 Unverständlich ist, dass die jeden sachlichen Fundaments entbehrende Bemerkung von Much 1967: 295-296 über die Anerkennung der ingenui durch ihre virtus in der Neuauflage nicht gestrichen wurde: ”Was die virtus Ob sich hierin explizit die aristotelische Auffassung wieder findet (vgl. Aristot. pol. 1,5 1254a: t. ..p .p.e.. .a. .p.e..a. .. µ.... t.. ..a..a... .... .a. t.. ..µfep..t.. ..t., .a. e.... .. .e.et.. ...a d...t..e t. µ.. .p. t. .p.e..a. t. d’ .p. t. .p.e.. ‚Herrschen und Gehorchen gehört nämlich nicht nur zu den widernatürlichen und notwendigen, sondern auch zu den nützlichen Dingen, und gleich bei der Geburt finden sich Unterschiede, die entweder zum Gehorchen oder zum Herrschen geeignet machen‘), wie etwa Lund meint, nämlich ”daß einige zur Sklaverei, andere dagegen zur Freiheit geboren sind., muss offen bleiben.37 virtus agnoscat]38 Bei virtus agnoscat handelt es sich um eine Personifikation (vgl. auch die personifizierte terra in c. 2,2: Tuisconem deum Terra editum ‚Tuisto, einen der Erde betrifft, tritt der in Knechtschaft Aufgewachsene mit dem Freien gar nicht mehr in Wettbewerb, und schon sein Ehrgeiz ist nicht auf ihre Betätigung gerichtet, abgesehen davon, daß sich in den Unterschieden ein fremder Rasseneinschlag bemerkbar macht, dessen Vorzug nicht gerade der kühne Wagemut ist. Knechte galten darum als feig. Und wenn doch von einem unfrei Geborenen erzählt wird, daß er durch kriegerische Tüchtigkeit emporsteigt, … ist dies eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.. entsprossenen Gott‘; ebenso fortuna in c. 33,2: quando urgentibus iam imperii fatis nihil iam praestare fortuna maius potest quam hostium discordiam ‚kann uns doch das Glück gerade angesichts der höchst unruhigen Geschicke des Reiches derzeit nichts Größeres gewähren als die Zwietracht der Feinde‘). Die virtus bestätigt somit die Freigeborenen (zu dieser Vorstellung vgl. auch Cassiod. var. 1,38,2: aetatem legitimam virtus facit ‚die Virtus macht das rechtmäßige Alter‘), ebenso wie der römische pater familias den Sohn als seinen eigenen anerkennt. Für den Rechtsakt der Anerkennung ist das Verbum agnoscere der terminus technicus (vgl. Plin. epist. 5,17,6: quae nunc mihi hos adulsescentes … agnoscere videntur ‚die mir jetzt diese jungen Leute … als echte Sprößlinge anzuerkennen scheinen‘). Die freien Germanen sind somit Söhne der Virtus. Während bei den Germanen die virtus offenbar angeboren ist, konnte sie nach römischen Vorstellungen auch erworben werden; vgl. Flor. epit. 1,22,30: sed libertate donati fecerunt de servis se virtute Romanos ‚aber sie, nachdem ihnen die Freiheit gegeben war, wurden durch ihre Tapferkeit von Sklaven zu Römern‘. Zur Frage, ob die virtus angeboren oder anerzogen war, vgl. Hor. carm. 4,4,29-36: fortes creantur fortibus et bonis: / est in iuvencis, est in equis patrum / virtus neque inbellem feroces / progenerent aquilae columbam. / doctrina sed vim promovet insitam / rectique cultus pectora roborant; / utcumque defecere mores, / indecorant bene nata culpae ‚ein Starker stammt von Starken und Guten nur: Es lebt im Stier, es lebt in dem Roß die Kraft der Väter, niemals wird ein wilder Adler die friedliche Taube zeugen. Doch nur Erziehung fördert den edlen Keim, und rechte Zucht nur stählet die junge Brust; wo aber Zucht und Sitten fehlen, schänden Vergehen die besten Gaben‘. Dass es auch bei den Germanen natürlich nicht diese strikte Trennung gab, zeigt Paul. 1,15: his temporibus quaedam meretrix uno partu septem puerulos enixa, beluis omnibus mater crudelior in piscinam proiecit necandos … contigit itaque, ut rex Agelmund, dum iter carperet, ad eandem piscinam deveniret. Qui cum equo retento miserandos infantulos miraretur hastaque, quam manu gerebat, huc illucque eos inverteret, unus ex illis iniecta manu hastam regiam conprehendit. rex misericordia motus factumque altius ammiratus, eum magnum futurum pronuntiat. Moxque eum a piscina levari praecepit, atque nutrici traditum omni cum studio mandat alendum … qui cum adolevisset, tam strenuus iuvenis effectus est, ut et bellicosissimus extiterit et post Agelmundi funus regni gubernacula rexerit ‚in diesen Zeiten gebar eine feile Dirne sieben Kinder auf einmal, und die jedes Tier an Grausamkeit übertreffende Mutter warf diese in eine Fischteich, um sie umkommen zu lassen … Es geschah nun, daß König Agelmund unterwegs an den Fischteich kam: er sah staunend die armen Kinder, hielt sein Pferd an und als er sie mit dem Speer, den er in der Hand trug, hin und herwandte, ergriff eines mit dem Händchen den Speer des Königs. Dieser, von Mitleid bewegt und sich höchlich darüber verwundernd, sprach, das werde ein großer Mann werden, ließ das Knäblein aus dem Fischteich ziehen und einer Amme übergeben und befahl es auf das sorgsamste zu pflegen … Als der Knabe groß geworden war, wurde er ein so tüchtiger Mann, daß er auch der streitbarste war und nach Agelmunds Tod als König herrschte‘. 2 sera iuvenum venus eoque inexhausta pubertas] In allen neuen Ausgaben wird – gegen die hss. Überlieferung – nach pubertas interpungiert, was zur Folge hat, dass c. 20,2 zunächst aus einem Satz über die jungen Männer, dann aus einem über die jungen Frauen besteht. Jedoch impliziert schon pares beide Gruppen, ebenso miscentur und weiter unten parentes. Der Grund für die geläufige Interpunktion ist offensichtlich das Wort validaeque, das als Femininum lediglich auf virgines bezogen wurde. Jedoch schließt sich ein Adjektiv bei mehreren Substantiven ”gewöhnlich nur dem zunächststehenden Substantive. an,39 – welches hier virgines ist –, wobei es völlig gleichgültig ist, in welchem Genus und Numerus das vorhergehende Substantiv steht (hier: iuvenum); vgl. etwa Cic. Manil. 66: ab auro gazaque regia ‚gegenüber dem Golde und der königlichen Schatzkammer‘. Wenn man also in 20,2 überhaupt einen Punkt setzen wollte, dann müsste das nach proceritas sein. 39 Kühner – Stegmann II,1: 54. 40 Vgl. auch Gebühr 1979: 86-87. Ähnliche Aussagen bezüglich der Germanen finden sich auch bei anderen Autoren, vgl. Caes. Gall. 6,21,4: qui diutissime impuberes permanserunt, maximam inter suos ferunt laudem ‚diejenigen unter ihnen, die am spätesten mannbar werden, genießen bei ihnen das höchste Lob‘; Mela 3,3,26: longissima apud eos pueritia est ‚das Knabenalter dauert bei ihnen sehr lange‘ (AG 1, 100-101). Nach Ausweis von Caes. Gall. 6,21,5: intra annum vero vicesimum feminae notitiam habuisse in turpissimis habent rebus ‚es zählt bei ihnen zu der höchsten Schande, schon vor dem 20. Lebensjahr mit einer Frau verkehrt zu habe‘ wird nicht vor dem zwanzigsten Lebensjahr geheiratet.40 sera ist in Vergleich mit den römischen Zuständen relativ zu verstehen. An dieser Stelle wird von fast allen Kommentatoren auf das Alter bei der Hochzeit eingegangen,41 wovon hier allerdings nicht unmittelbar die Rede ist. Jedoch wäre bei den jungen Männern kaum ein Unterschied im Heiratsalter festzustellen, da die Germanen etwa im zwanzigsten Lebensjahr und auch die höheren Römer kaum früher heirateten, vgl. Anderson: ”at Rome the minimum age was 14, but among the middle and lower classes marriages of men under 18 and 19 seem to have been exceptional, in the senatorial class the age was higher (Agricola married about 22 … and Tacitus himself about the same age)..42 Vielmehr wird hier ausgesagt, dass die germanischen jungen Männer erst spät sexuelle Erfahrungen machen, in Gegensatz zu den jungen Männern in Rom.43 41 Vgl. Gudeman 1916: 130; Schweizer-Sidler 1923: 51: ”(hier erlaubter) ‚Liebesgenuß‘.; Much 1967: 296; Lund 1988: 168; Perl 1990: 189; Anderson 1997: 116. 42 Anderson 1997: 116. Nach den epigraphischen Zeugnissen lässt sich das Alter gar noch etwas später ansetzen, vgl. Rives 1999: 207: ”and men in their late twenties or early thirties.. 43 Vgl. u.a. Benario 1999: 87: ”Tacitus again presents a contrast with Rome, where the male’s sexual urge had easy satisfaction.. 44 Nach Much 1967: 296 soll es sich hierbei um eine Tatsächlichkeit handeln: ”Der für die Germanen vorausgesetzte Zusammenhang zwischen Körpergröße und der Zeit des Eintritts der Geschlechtsreife scheint tatsächlich zu bestehen. Doch ist es wohl noch nicht festgestellt, wie weit dabei bewußter Einfluß möglich ist.; vgl. auch Gebühr 1979: 86-87. 45 Vgl. u.a. Lund 1988: 168: ”Die Bemerkung des Tacitus ist sicher auf das Vorurteil der Alten zurückzuführen, daß die Barbaren in der nördlichen Klimazone später als die Römer heranwachsen.. 46 Vgl. auch Rives 1999: 207. Diese Behauptung (ob sie der Wahrheit entspricht oder auch nicht, sei dahingestellt44) ist, da sie kaum von römischer Seite verifizierbar wäre, sicherlich durch topische Annahmen entstanden. Denn nach den Vorstellungen der Antike wuchsen die Menschen in der kälteren Klimazone später heran45 und waren an Sex relativ uninteressiert (vgl. c. 18,1).46 Auch scheint es eine Verbindung in der Auffassung zwischen der späten Sexualität und der Größe der Germanen gegeben zu haben (vgl. allgemein hierzu Aristot. pol. 7,16 1335a: ..t. d’ . t.. .... ...d.a.µ.. fa.... pp.. t.. te...p...a.. .. ..p p... ..... .te.. t. t.. .... .....a, .a. ....t..a µ..... .a. µ..p. t.. µ.pf.., ..t’ ..a..a... ta.t. t..t. ..µßa..e.. .a. .p. t.. ...p.p... te.µ.p... d.. .. ..a.. ..p t.. p..e.. .p...p...e. t. ..... ...e.....a. .a. ..a., .te.e.. .a. µ..p.. t. ..µat. e.... ‚nun ist aber die Verbindung junger Leute ungünstig für die Kinderzeugung. Bei allen Geschöpfen nämlich sind die Nachkommen junger Elter unentwickelt und immer mehr weiblich und von kleinem Wuchs, so daß dies also auch beim Menschen eintreten muß. Das beweist die Erfahrung, daß in Städte, in denen es Brauch ist, junge Männer mit jungen Mädchen zusammenzugeben, die Leute unentwickelt und von kleinem Körperbau sind‘). venus in dieser Bedeutung ist dichterisch; vgl. u.a. Hor. carm. 3,13,5: primis et venerem et proelia destinat ‚schon zu Kämpfen bestimmt, Kämpfen und Liebesglück‘; Ov. met. 4, 258: Venerisque modum sibi fecit in illa ‚und setzt seiner Liebe zu ihr ein Ende‘; ebd. 9,141-142: credit amans venerisque novae perterrita fama / indulsit primo lacrimis ‚und die Liebende glaubt; verstört durch die Kunde von neuer Neigung des Gatten läßt sie zunächst den Lauf ihren Tränen‘. Aus diesem Grund verkehren die Jugendlichen auch ungezwungen miteinander, vgl. Caes. Gall. 6,21,5: quod et promiscue in fluminibus perluuntur ‚denn beide Geschlechter baden zusammen in den Flüssen‘. Das Adjektiv inexhaustus47 ist dichterisch (vgl. Verg. Aen. 10,174: insula inexhaustis Chalybum generosa metallis ‚die Insel …, berühmt durch nimmer erschöpfbare Chalybererze‘; Sil. 14,685: nunc quoque inexhaustas pax nostra relinqueret urbes! ‚jetzt unser Friede beschützt die nicht geplünderten Städte‘; Auson. epist. 25,121-122: nostra senectus / servat inexhaustum … vigorem ‚unser Alter bewahrt die unverbrauchte Kraft‘), jedoch in der späteren Prosa häufig.48 Der Gedanke ist wohl, dass Männer, die bereits in jungen Jahren sexuelle Kontakte haben, ihre Potenz verlieren (vgl. Caes. Gall. 6,21,4: hoc ali staturam, ali vires nervosque confirmari putant ‚die eingen glauben, dadurch werde das Wachstum angeregt, die anderen meinen, Kräfte und Muskeln würden dadurch gestärkt‘). 47 Die Lesart inexaucta in der Hs. E (vgl. Robinson 1991: 207; in exaucta in T; vgl. auch inexauta in dv; vgl. Maßmann 1847: 81) bietet ein Wort, das nicht existent ist. Es wird sich dabei um einen reinen Schreibfehler handeln. 48 Bei Tacitus kommt das Adj. noch hist. 5,7,2 vor, jedoch in anderer Bedeutung: modicum id litus et egerentibus inexhaustum ‚dieser Küstenabschnitt ist nicht sehr lang, aber für die Sandgewinnung unerschöpflich‘. In dieser Bedeutung aufgefasst von Baumstark 1875: 655; Reeb 1933: 41; als Möglichkeit erwogen von Anderson 1997: 116 nec virgines festinantur] Lund erwägt, das in den Hss. einheitlich überlieferte festinantur in festinant zu ändern: ”Die Lesart festinantur kommt mir jedoch logisch und sprachlich betrachtet ein wenig verdächtig vor. Denn der Ausdruck nec virgines festinantur bildet keinen inhaltlichen Gegesatz zu sera iuvenum venus (sc. est), weil ja die jungen Männer nicht, wie es vorausgesetzt wird, verheiratet wurden. Zweitens ist es überraschend, daß ein Verbum agendi (sc. festinantur) einen Gegensatz zu einem Verbum manendi (sc. est) bildet, zumal festinare …, wenn es transitiv verwandt wird, nur überaus selten mit einem animierten Subjekt vorkommt. … würde ich nicht zögern festinant zu schreiben..49 Jedoch sind die Argumente wohl nicht durchschlagend genug, um die Überlieferung abzuändern. Denn der Gegensatz zwischen dem Verbum agendi und dem Verbum manendi kann kaum als überraschend gelten, da es sich bei den Mädchen um ihre Vermählung handelt, die in den Händen ihrer Eltern liegt, während es sich bei den jungen Männern auch um außereheliche sexuelle Kontakte handelt. Mag auch die Konstruktion mit einem animierten Subjekt selten sein, sie kommt doch vor,50 und daher ist auch diese Stelle kaum zu beanstanden (zur transitiven Verwendung von festinare, die zuerst bei Sall. Iug. 64,6: animo cupienti nihil satis festinatur ‚einem gierigen Sinn nichts schnell genug geht‘ belegt ist, vgl. u.a. Tac. hist. 2,82,1: eaque cuncta per idoneos ministros suis quaeque locis festinabantur ‚und das alles wurde durch geeignete Gehilfen, jedes an seinem Ort, rasch durchgeführt‘; ebd. 3,37,2: cum belli civilis praemia festinarentur ‚als man die Belohnungen für den Bürgerkrieg eilig vergeben hatte‘; ann. 1,6,2: Tiberium ac Liviam … suscepti et invisi iuvenis caedem festinavisse ‚daß Tiberius und Livia … den verdächtigen und verhaßten jungen Mann schleunigst beseitigen ließen‘). 49 Lund 1988: 168. 50 Vgl. ThLL VI,1: 618,77-78. 51 Vgl. Treggiari 1991: 398-403. 52 Vgl. Much 1967: 296. Die römischen Mädchen wurden im Vergleich zu den germanischen früher verheiratet. Während letztere mit den Männern gleichaltrig waren (also etwa zwanzig Jahre alt), konnten die römischen Mädchen bereits mit zwölf Jahren verheiratet werden. Nach den epigraphischen Zeugnissen scheinen die Mädchen etwas später, nämlich in den späten Zehnern zu heiraten.51 Nach den Angaben der späteren Quellen zu urteilen waren bei germanischen Stämmen auch Heiraten ab dem fünfzehnten Lebensjahr möglich. eadem iuventa, similis proceritas] Zum Ausdruck eadem – similis vgl. Tac. Agr. 16,5: eadem inertia erga hostes, similis petulantia castrorum ‚gleich blieb die Untätigkeit gegenüber den Feinden, ähnlich der Mutwille im Lager‘ (vgl. auch die ähnliche Verbindung idem – par etwa Tac. ann. 2,25,3: eadem virtute, pari ferocia ‚mit derselben Tapferkeit, dem gleichen Ungestüm‘). Während die iuventa dieselbe ist, lässt similis bei der proceritas einen gewissen, jedoch nur kleinen Spielraum zu.52 iuventa bedeutet nicht nur die Jugendzeit,53 sondern auch die Kraft, die den Menschen während ihrer Jugend inne ist.54 In dieser Bedeutung wird das Wort bei Tacitus mehrmals verwendet, vgl. u.a. hist. 1,53,1: at in superiore Germania Caecina, decorus iuventa, corpore ingens, animi immodicus, scito sermone, erecto incessu, studia militum inlexerat ‚aber in Obergermanien (stand) Caecina: stattlich in seiner Jugendkraft, groß an Wuchs, unbändig in seinen Leidenschaften, aufrechten Ganges – so hatte er dort die Herzen der Soldaten für sich gewonnen‘; ebd. 4,1,1: si quem procerum habitu et iuventa conspexerant ‚sobald sie [= die Sieger] einen hochgewachsenen jungen Mann erblickt hatten, erschlugen sie ihn, ohne Unterschied zu machen zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung‘.55 proceritas (sc. corporum) ist der hohe Wuchs des Körpers (vgl. c. 5,1: improcera). Die Mädchen heiraten demnach nicht sehr jung, sondern ausgewachsen. 53 So Müllenhoff 1900: 317; vgl. auch Rives 1999: 85: ”identical age.; unentschieden Much 1967: 296. 54 Vgl. ThLL VII,2: 741,6-7: ”hic illic notionem vigoris comprehendi.; ebenso u.a. Baumstark 1875: 655: ”Juventa, die ganze Jugendzeit, die Jugendjahre mit ihrer Kraft und Frische.; Lund 1988: 169; Benario 1999: 87: ”youthful vigor.. 55 Dagegen sind die bei Lund 1988: 169 angeführten Beispiele (ann. 6,46,1: Germanici filio robur iuventae ‚des Germanicus Sohn stand in der Blüte der Jugendkraft‘; ebd. 14,52,4: robur iuventae adesse ‚er [= Nero] stehe in der Vollkraft seiner Jugend‘) nicht aussagekräftig, da iuventa hier beide Male in Verbindung mit robur steht. 56 Vgl. Rives 1999: 207. 57 pares bezieht sich sicher nicht – wie früher gelegentlich angenommen – auf den gleichen Stand (vgl. Müllenhoff 1900: 317-318); ein letzter Reflex hiervon offenbar bei Perl 1990: 189: ”Die Gleichwertigkeit der Partner liegt im Interesse der ‚Rassereinheit‘.. 58 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 317; Gudeman 1916: 131; Schweizer-Sidler 1923: 51; Much 1967: 296; Anderson 1997: 116. 59 So u.a. Baumstark 1875: 649-650; Müllenhoff 1900: 317; Reeb 1933: 41. Jedoch vermag die Interpretation etwa bei Baumstark 1875: 650 kaum zu überzeugen: ”Die Jungfrauen werden aber pares genannt insofern sie, nach Maassgabe des Geschlechtsunterschiedes, zu ihrem künftigen Ehemann in rechtem, vollem Verhältnisse stehen., da von einem Verhältnis nicht die Rede ist. 60 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 649-650; Müllenhoff 1900: 318; Much 1967: 297; Lund 1988: 169. 61 Vgl. Gudeman 1916: 131: ”wiederholt in anderer Form die eben gemachte Angabe … Die scheinbare Tautologie wird durch den Wegfall einer Übergangspartikel hervorgerufen. Man ergänze ‚dementsprechend also‘.; Anderson 1997: 116: ”The adjectives plainly repeat the facts expressed by eadem iuventa, similis proceritas.. Die Gleichaltrigkeit von Mann und Frau steht in Gegensatz zu den römischen Verhältnissen, wo zwischen Mann und Frau ein durchschnittlicher Alterunterschied von etwa zehn Jahren bestand.56 pares validaeque miscentur] Gewöhnlich wird pares validaeque als pares aetate57 ac/et pariter validae verstanden.58 Dabei wird die Aussage nur auf die virgines bezogen,59 so dass zu miscentur der Dativ iuvenibus hinzuzudenken wäre.60 Dies hätte zur Folge, dass hier eine bloße Wiederholung vorliegen würde.61 Da jedoch, wie bereits oben gezeigt wurde, pares validaeque auf beide Gruppen, nämlich junge Männer und Mädchen, zu beziehen ist,62 liegt zur Vermeidung einer einfachen Wiederholung die Annahme eines Hendiadyoins nahe. misceri steht hier in der selteneren Bedeutung einer ehelichen Verbindung; vgl. u.a. Sall. Iug. 18,7: ii paulatim per conubia Gaetulos secum miscuere ‚sie [= Perser] vermischten sich nach und nach durch zusammenheiraten mit den Gätulern‘; Liv. 1,9,4: homines cum hominibus sanguinem ac genus miscere ‚als Menschen mit Menschen eine Bluts- und Familienbindung einzugehen‘. Zur gleichen Körperkraft von Männern und Frauen bei den Galliern vgl. Diod. 5,32,2: a. d. ...a..e. t.. Ga.at.. .. µ.... t... µe...e.. papap...... t... ..dp.... e...., .... .a. ta.. ...a.. ...µ..... ‚die Frauen der Gallier gleichen den Männern nicht nur nach ihrer Größe, sondern sind ihnen auch an Körperstärke gewachsen‘. 62 Anders Baumstark 1875: 650: ”würde pares validaeque von beiden Geschlechtern zugleich gelten, so müsste es validique heissen.; so ist wohl auch die Emendation validique in den Ausgaben von Lipsius und Pichena (vgl. Passow 1817: 31) zu erklären. Die Stärke der Frauen bei den nördlichen Barbaren gehört zu den Topoi der Ethnographie; vgl. Strab. Geogr. 3,4,17 p 165C: .e.p...... a.ta. te....a. te d.a....... t... ..dp.... ..e..... ...’ .a.t.. .ata....a.a. ‚diese letzteren [= die Frauen der Skythen] verrichten die Landarbeit, und wenn sie geboren haben, bringen sie statt sich selber die Männer zu Bett und bedienen sie‘; Diod. 4,20,2: .a..... d. t.. p.......p.. t. p..e.. ...e... ......t.., .a. t.. ..pa. p..... .p.a..a. pp..de.µ...., e....a.. t.. ...a..a. t.. .a.pa.e... t.. .. ta.. .p.a..a.. ......... p..e...a. ‚im allgemeinen sind die Menschen (dort [= in Ligurien]) ringsum an dauernde Anstrengung gewöhnt und da das Land viel Arbeit nötig macht, pflegen sie ihre Frauen als Helferinnen bei den Mühen der Bodenbestellung einzusetzen‘; ds. 5,39,2: d.. d. t.. .....e.a. t.. ..µ.a.... .a. t. t.. tp.f.. ....p.. t... ..µa... .p.p...... ...... .a. e.t..... pp.. d. t.. .a..p..e.a. ta.t.. ...ep.... ...... t.. ...a..a., e....µ..a. .p‘ .... t... ..dp.... .p...e..a. ‚wegen des dauernden körperlichen Einsatzes und der mageren Kost haben die Ligurer einen zwar schmächtigen, doch kräftigen Körper. Als Helferinnen in ihren schweren Mühsalen dienen ihre Frauen, die gewohnt sind, in gleicher Weise wie ihre Männer zu arbeiten‘; Curt. 5,6,18: ne feminis quidem pro naturae habitu molliora ingenia sunt: comae prominent hirtae, vestis super genua est, funda vinciunt frontem: hoc et ornamentum capitis et telum est ‚auch ihre Frauen [= der Perser] haben nicht die ihrem Geschlecht entsprechende mildere Sinnesart: ihre Haare hänge struppig herunter, ihr Gewand reicht nur bis zu den Knien. Um die Stirn binden sie sich eine Schleuder: das ist ihr Schmuck und zugleich auch ihre Waffe‘. In einigen späteren germanischen Gesetzen ist die Heirat zwischen Nichtgleichaltrigen untersagt, vgl. L. Vis. 3,1,4: ne viris minoris etatis maiores femine disponsetur ‚daß jüngeren Männern nicht ältere Frauen verlobt werden sollen‘. ac robora parentum liberi referunt] referre in dieser Bedeutung findet sich auch in c. 43,1: e quibus Marsigni et Buri sermone cultuque Suevos referunt ‚von denen die Marsigner und Burer nach Sprache und Lebensweise den Sueven gleichen‘. Diese Bedeutung ist primär dichterisch; vgl. u.a. Lucr. 1,597-598: referre / naturam, mores, victum motusque parentum ‚die Geschlechter Wesen, Sitten, Kost und Bewegung zeigen der Eltern‘; ds. 4,1223-1224: Venus … / maiorumque refert voltus vocesque comasque ‚Venus … und erneuert der Ahnen Mienen und Stimmen und Haare‘; Verg. georg. 3,127-128: ne … / invalidique patrum referant ieiunia nati ‚daß nicht schwächliche Kinder des Vaters Fasten verraten‘; ds. Aen. 4,329: qui te tamen ore referret ‚der [= ein kleiner Aeneas] immerhin mir doch dein Antlitz bewahrte‘; Ov. met. 13,443: temporis illius vultum referebat Achilles ‚ließ er [= Achill] sasselbe Gesicht erschaun, daß er damals gezeigt hat‘; in der Prosa dagegen seltener und zumeist von der Ähnlichkeit zwischen Kindern und Eltern; vgl. u.a. Plin. nat. 22,20: radicem eius alterutrius sexus similitudinem referre ‚ihre Wurzel weise mit dem einen oder anderen Geschlechtsteil eine Ähnlichkeit auf‘; Plin. epist. 5,16,9: quae non minus mores eius quam os vultumque referebat ‚die charakterlich nicht weniger als in Gesichtszügen und Mienenspiel sein Ebenbild war‘; Liv. 10,7,3: retulisse dicitur Decius parentis sui speciem ‚soll Decius das Bild seines Vaters in Erinnerung gerufen haben‘. Aus diesem Grund wachsen auch die Kinder wiederum in hos artus, in haec corpora auf. Der Abschnitt hat einen pointierten Abschluss (der ebenfalls durch die Alliteration mit r [robora … referunt] hervorgehoben ist).63 63 Vgl. Müllenhoff 1900: 318; zur Alliteration auch Gudeman 1916: 131: ”In der sehr auffälligen Häufung des ‚r‘ in robora … referunt wird der Sinn tonmalerisch wiedergegeben, ob aber mit Absicht, sei dahingestellt.. 64 Zum Folgenden vgl. ausführlich Schuhmann (im Druck). 3 sororum filiis idem apud avunculum qui ad patrem honor] In den Hss. findet sich am häufigsten die Lesart ad (in Wmhc.CpQtfBETvormonabr),64 dagegen nur einmal apud (in b), wogegen die Präposition in den Hss. ezuARce – sicherlich fehlerhaft – ausgelassen ist.65 Auch sämtliche alte Drucke bieten ad.66 Demgegenüber findet sich – in Nachfolge von Beatus Rhenanus – in den neueren Ausgaben in der Regel apud, nur noch selten ad.67 Zur Wahl von apud äußert sich explizit lediglich Lund: ”Die Lesart ad patrem … überzeugt nicht..68 Robinson hatte zwar wegen der handschriftlichen Überlieferung ad in den Text aufgenommen, bemerkte jedoch: ”I retain the ad of the MSS. … However, I know of no exact parallel for such a use of ad..69 Jedoch kann ad durchaus auch auf die Frage ‚wo?‘ stehen, und zwar ”bei Verben der Ruhe und des Beharrens in der Bedeutung bei (d.h. dicht bei)..70 Dieser Gebrauch ist schon bei Plautus belegt (vgl. etwa Amph. 504: sed ubi summus imperator non adest ad exercitum ‚allein, wenn bei dem Heer der Oberfeldherr nicht zugegen ist‘), welcher sich so ausweitete, dass ”ad … geradezu im Sinne von apud c. acc. gebraucht. werden konnte,71 vgl. u.a. Cic. Sest. 41: Caesar … erat ad portas cum imperio ‚ Caesar … war vor den Toren der Stadt‘; ds. Cat. 1,19: ad M. Lepidum te habitare velle ‚wolltest du bei M. Lepidus wohnen‘; Caes. Gall. 5,53,1: ante mediam noctem ad portas castrorum clamor oriretur ‚erhob sich noch vor Mitternacht bei den Lagertoren ein Geschrei‘; ebd. 5,53,3: totam hiemem ipse ad exercitum manere decrecvit ‚entschied er sich dafür, selbst den ganzen Winter über beim Heer zu bleiben‘; Liv. 1,3,8: celebre ad posteros nomen flumini dedit ‚er gab dem Fluss den bei der Nachwelt gebräuchlichen Namen‘; ds. 24,48,9: qui ad regem remansit ‚der beim König zurückblieb‘; Gell. 19,7,2: cum ad eum cenassemus ‚als wir bei ihm gespeist hatten‘. Es liegt somit kein Grund vor, das nur marginal bezeugte apud in den Text aufzunehmen. Der Wechsel zwischen apud und ad kann wohl mit Müllenhoff erklärt werden: ”es verdankt seine verwendung hier wohl dem bedürfnis nach variation, wegen des unmittelbar vorher gebrauchten apud avunculum..72 65 Vgl. Annibaldi 1910: 55; Robinson 1991: 229, 297; Perret 1997: 83. 66 Vgl. Hirstein 1995: 286. 67 So bieten apud z.B. Gudeman 1916: 131; Reeb 1933: 41; Halm 1930: 233; Much 1967; 294; Koestermann 1970: 17; Önnerfors 1983: 15; Winterbottom – Ogilvie 1985: 48; Lund 1988: 86; Anderson 1997; Benario 1999: 34; demgegenüber ad z.B. bei Passow 1817: 32; Grimm 1835: 11; Holtzmann – Holder 1873: 48; Baumstark 1875: 655; Müllenhoff 1900: 321; Schweizer-Sidler 1923: 51; Lenchantin de Gubernatis 1949: 16; Perl 1990: 100; Robinson 1991: 297; Perret 1997: 83. 68 Lund 1988: 169. Vgl. Gudeman 1916: 132: ”Zur Wiederholung der Präposition in adversativen Sätzen s. Anm. 7,1. (S. 79: ”Bei adversativen Verbindungen pflegt T. die Präposition zu wiederholen.). 69 Robinson 1991: 297. 70 Kühner – Stegmann II,1: 519. 71 Kühner – Stegmann II,1 1992: 520. 72 Müllenhoff 1900: 321. Vgl. auch Robinson 1991: 297: ”feeling that Tacitus’ fondness for assymetry may have led him to express in this manner.; zur Variation bei der Setzung von Präpositionen bei Tacitus vgl. ausführlich Sörbom 1935: 46-49; eine andere, jedoch weniger wahrscheinliche Erklärung bietet Schweizer-Sidler 1923: 52: ”nicht so sehr Variation als Euphonie.. 73 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 132; Benario 1999: 87 (vorsichtig). 74 So u.a. Baumstark 1875: 656-657; Much 1967: 298; RGA 1: 525-527; Perl 1990: 189. Offen gelassen bei Anderson 1997: 117. 75 Lund 1988: 169 mit Hinweis auf Gai. inst. 1,156: inter avunculum et sororis filium non agnatio est, sed cognatio ‚zwischen dem Mutterbruder und dem Schwestersohn gibt es keine agnatio, sondern cognatio‘. 76 Ebenso Murray 1983: 63: ”The avunculate in the Germania is not evidence for a prior or existing matrilinear system.. 77 Anders RGA 1: 525-526. 78 So auch Rives 1999: 208. Die Angabe über die besondere Stellung der Schwestersöhne wird zum Teil als Überbleibsel eines älteren matriarchalen Systems73 bzw. eines Avunkulats74 betrachtet. Demgegenüber ist Lund der Meinung, dass Tacitus lediglich aussagt, dass die Germanen ”den Begriff agnatio nicht kennen..75 Für ein ursprüngliches matriarchales System gibt es jedoch weder bei den Germanen noch bei sonstigen indogermanischen Völkern einen Hinweis, so dass eine solche Annahme nicht möglich ist.76 Auch für ein ehemaliges Avunkulat scheint es keine Hinweise zu geben,77 so dass Tacitus wohl lediglich zum Ausdruck bringt, dass Verwandtschaft über männliche Mitglieder der Familie ebenso wichtig war wie über weibliche (zur Erläuterung, warum dies der Fall ist s.u.), was in Gegensatz zu den römischen Verhältnissen stand.78 Der Hinweis auf dieses Verhältnis (vgl. über die Gallier Liv. 5,34,3: hic magno natu ipse iam exonerare praegrauante turba regnum cupiens, Bellouesum ac Segouesum sororis filios impigros iuuenes missurum se esse in quas di dedissent auguriis sedes ostendit ‚weil er [= Ambigatus] das Königreich von der drückenden Überbevölkerung zu entlasten wünschte, selbst aber schon hoch an Jahren war, erklärte er, er werde Bellovesus und Segovesus, die Söhne seiner Schwester, energische junge Männer, zu den Wohnsitzen schicken, die die Götter ihnen durch ihre Zeichen geben würden‘) erscheint bei Tacitus mehrmals; vgl. hist. 4,33,1: Civilis … veteranas cohortes … mittit, Iulio Maximo et Claudio Victore, sororis suae filio, ducibus ‚Civilis … die altgedienten Kohorten … schickte … Iulius Maximus und Claudius Victor, der Sohn seiner Schwester, waren die Führer‘; ebd. 4,70,2: accessit ala Singularium excita olim a Vitellio, deinde in partis Vespasiani transgressa. praeerat Iulius Briganticus sorore Civilis genitus, ut ferme acerrima proximorum odia sunt, invisus avunculo infensusque ‚zu ihnen stieß eine Eliteschwadron von Singularen, die einst von Vitellius aufgeboten und dann zur Partei Vespasians übergetreten war. Ihr Kommandant war Iulius Briganticus, ein Schwestersohn des Civilis – und wie in der Regel Haß unter nächsten Verwandten am erbittertsten ist, war er seinem Onkel verhaßt und ihm feindlich gesinnt‘; ebd. 5,20,1: ut ipse et Verax, sorore eius genitus, … suam quisque manum traherent ‚daß er selbst [= Civilis] und Verax, der Sohn seiner Schwester … ihre eigene Scharen führten‘; ann. 12,29,1: auctores fuere Vibilius Hermundurorum rex et Vangio ac Sido sorore Vannii geniti ‚den Anstoß gaben Vibilius, der König der Hermunduren, und Vangio und Sido, des Vannius Schwestersöhne‘. quidam] Unter quidam werden im Allgemeinen germanische Stämme oder deren Führer verstanden.79 Problematisch hierbei ist, dass es doch wohl keine Geiselstellungen zwischen germanischen Stämmen auf der einen und einer domus auf der anderen Seite gegeben hat. Es handelt sich bei quidam somit wohl eher um einzelne domus. hunc nexum sanguinis] Es handelt sich hierbei wohl um einen juristischen terminus technicus; vgl. Cod. Theod. 12,1,122: nexu sanguinis ‚durch die Bande der Abkunft‘; Cod. Iustin. 11,8,13: si quis … ad divinas largitiones nexu sanguinis pertinentium voluerit posthac de suo collegio liberari ‚wenn einer … vermöge des Bandes seiner Abkunft dem Staatsschatz Angehörige künftighin von seiner Genossenschaft loskommen will‘; übertragen Tac. ann. 5,1,2: sed sanguini Augusti per coniunctionem Agrppinae et Germanici adnexa communes pronepotes habuit ‚ wurde aber dem Blut des Augustus durch die Eheschließung Agrippinas mit Germanicus verbunden und hatte mit ihm gemeinsame Urenkel‘; in Verbindung mit artus vgl. Val. Max. 5,6,1: artissimis sanguinis vinculis pietas satis fecit ‚die Liebe hat den Ansprüchen engster Blutsbande Genüge geleistet‘. 79 Vgl. u.a. Müllenhoff 1900: 321-322; Gudeman 1916: 132; Schweizer-Sidler 1923: 52; Reeb 1933: 41; Much 1967: 298; Lund 1988: 169; Perl 1990: 101; Anderson 1997: 117. 80 Ebenfalls denkbar ist die Interpretation von Baumstark 1875: 659: ”Dass übrigens bei den sororum filiis nicht blos, wenn gleich vorzugsweise, an die Söhne zu denken ist, sondern auch an die Töchter ….. in accipiendis obsidibus magis exigunt] Dies steht nicht in Widerspruch zur Angabe in c. 8,1 (ut efficacius obligentur animi civitatum, quibus inter obsides puellae quoque nobiles imperantur ‚daß sich Stammesgemeinschaften wirksamer gebunden fühlen, denen man als Geiseln auch junge Frauen von vornehmer Abkunft zu stellen auferlegt‘), da es sich dort um die Stellung von Geiseln nach Rom hin, hier um Geiseln zwischen den Germanen selbst handelt, die sororum filiis bevorzugen.80 Dies wird hier aus denselben politischen Gründen gesagt wie in c. 8,1. Zu magis ist quam filios hinzuzudenken. exigunt steht hier nicht in derselben Bedeutung wie in c. 14,2, sondern es bedeutet ‚dringen auf etwas‘ (vgl. Caes. civ. 3,12,1: obsidesque ab Apolloniatibus exigere coepit ‚ begann … von den Bewohnern Apollonias Geiseln zu fordern‘).81 81 Vgl. zu dieser Bedeutung ThLL V,2: 1453,7-1458,35, besonders 1456,16-28. Die Umschreibung von Gerber – Greef 1962: I, 422: ”i.q. postulare. und Lund 1988: 169: ”= postulant. ist somit zu schwach. 82 Zum Folgenden vgl. ausführlich Schuhmann (im Druck). 83 Vgl. Perret 1950: 78; Robinson 1991: 157, 297; Perret 1997: 83. Die Hs. h hatte zunächst et in animum, wobei in von h2 gestrichen wurde (vgl. Robinson 1991: 167). 84 Vgl. Hirstein 1995: 286. 85 Vgl. u.a. Gudeman 1916: 132; Anderson 1997: 117. 86 Müllenhoff 1900: 322 (ebendort auch die Besprechung vorausgegangener Emendationen dieser Stelle: ”die hss. lesen meist et in animum, wofür Rhenanus erst et ii animum, später, als das mit recht nicht sinnentsprechend erschien, ii et animum setzte, was dann alle ausgaben bis auf Gerlach übernahmen. in der tat konnte ii, geschrieben, leicht als in genommen werden. doch hat Tagmann p. 32 dagegen geltend gemacht dass man zwar aus einem sinnwidrigen et in et ii herstellen dürfe, aber nicht berechtigt sei, dies in ii et zu verwandeln, da ii et kaum in et in verschrieben sein könnte. er vermutete deshalb exin, doch ist die conjectur überflüssig.); ebenso Perret 1950: 78, wo diese Stelle unter den Beweisstellen für einen Archetyp mit 13 Buchstaben pro Zeile aufgelistet ist: ”Au moment d’écrire animum, l’oeil du copiste qui utilisait ce manuscrit a accroché in trois lignes plus haut.; Much 1967: 298: ”In dem überlieferten et in animum ist in von et in accipiendis eingetreten.; etwas vorsichtiger dagegen Robinson 1991: 297: ”Andresen … is probably correct in regarding in as an intrusion from the preceding et in.. 87 Voss 1866-1867 (non vidi; vgl. aber die Angabe in Walter 1921: 22 und Robinson 1991: 297). 88 Walter 1921: 22. 89 Vgl. auch Müllenhoff 1900: 322: ”Die conjectur et inligent animum ist eine posse.. 90 Kühner – Stegmann II,1: 559. Zum Nebeneinander von in manu tenere und manu tenere vgl. ebd. 380. tamquam et in animum firmius et domum latius teneant] In allen neueren Ausgaben findet sich die Folge et animum, obwohl sie nur in der Hs. m eine Stütze findet.82 Alle übrigen Hss. bieten an dieser Stelle et in animum.83 Auch die überwältigende Mehrheit der alten Drucke bietet et in animum (nämlich ZwkgATPnVLehrMF; dagegen et animum lediglich in JdS).84 Die Streichung der Präposition in erfolgt zumeist ohne Begründung.85 Nach Müllenhoff erklärt sich ”das eindringen des in … aus dem abirren des schreibers in die vorhergehende zeile zu et in accipiendis hinreichend..86 Daneben wurde zweimal versucht, die Buchstabenfolge in zu retten, indem man mit Auslassung von Buchstaben rechnete; so wollte Voß et in animum,87 Walter dagegen et in animum lesen.88 Solche Emendationen, die ohne jegliche hss. Stütze bleiben, vermögen jedoch kaum zu überzeugen;89 beide haben sich denn auch nicht durchzusetzen vermocht. Sowohl der Befund der Hss. ebenso wie der der frühen Drucke spricht eindeutig für die Beibehaltung von in. Das Verb tenere kennt nun zwei unterschiedliche Konstruktionsweisen, die hier relevant sind: Erstens tenere + Akk. welche hier von allen Herausgebern angenommen wird, zweitens tenere + in + Abl. Bei letzterer Fügung steht die Präpositionalfügung in + Abl. in räumlicher Hinsicht ”auf die Frage: wo?..90 Falls eine solche Fügung vorläge, hätte man somit in animo zu erwarten. Das vorliegende in animum bietet demgegenüber in + Akk. das üblicherweise ”auf die Frage wohin?. steht.91 Es gibt jedoch eine ”Menge von Beispielen, welche dieser allgemeinen Regel widersprechen.;92 vgl. u.a. Plaut. Epid. 191: nam ego illum audiui in amorem haerere apud nescioquam fidicinam ‚denn ich hört … er habe sich in eine Lautenspielerin verliebt‘; Cic. Q. Rosc. 17,50: si HS miliens in iudicium haberent ‚wenn er um 100 Millionen Sesterzen prozessierte‘. Will man nun an der handschriftlichen Überlieferung festhalten, kann man auch an dieser Stelle bei einem Ruheverb eine Präpositionalfügung, welche eine Bewegung ausdrückt, erblicken.93 Diese Fügung kann möglicherweise durch die hinzugefügten Adverbien firmius und vor allem latius bedingt sein, die eine Bewegung implizieren können. 91 Kühner – Stegmann II,1: 564. 92 Neue – Wagener II: 933. 93 Es muss zugegeben werden, dass für eine Fügung tenere + in + Akk. keine Parallelen beigebracht werden können. Es gibt jedoch zwei Punkte, die für den Erhalt der handschriftlichen Überlieferung sprechen. Erstens ist eine ähnliche Fügung einerseits mit in animum bezeugt (Liv. 33,10,4: parcere victis in animum habebat ‚er wollte die Besiegten schonen‘), andererseits mit dem komponierten Verb retinere (Paul. dig. 11,4,4: in custodiam retinent ‚sie halten im Gefängnis fest‘). Zweitens, sicherlich gewichtiger, sind bei Tacitus noch weitere von der Norm abweichende Fügungen belegt; vgl. u.a. Germ. 46,4: quod ego ut incompertum in medium relinquam ‚was ich für mein Teil als unverbürgt dahingestellt lassen will‘; hist. 1,87,1: reliquos caesorum … saevitia Galbae in custodiam habitos ‚die Überlebenden …, die Galba in seiner Grausamkeit in Haft gehalten hatte‘. Schließlich ist nicht abschätzbar, wie viele Stellen ‚normalisiert‘ wurden. 94 Zur quasikausalen Verwendung von tamquam vgl. Hofmann – Szantyr 1972: 597 und Kühner – Stegmann II 2 1992: 456. 95 Zur Weglassung der Präposition im zweiten Gliede vgl. Kühner – Stegmann II,1: 578-583. 96 Vgl. u.a. Anderson 1997: 117. 97 Vgl. u.a. Baumstark 1875: 659: ”Dass zu teneant aus dem Zusammenhang obsides sororum filii als Subject zu statuiren ist, versteht sich von selbst.; vgl. auch Müllenhoff 1900: 322; Gudeman 1916: 132; Reeb 1933: 41. Die Bedeutung von tamquam ist quasikausal (ebenso in c. 12,1: tamquam scelera ostendi oporteat ‚daß Freveltaten bei Vollzug der Strafe sozusagen öffentlich zur Schau gestellt … werden sollten‘).94 Dies ist die einzige Stelle im ersten Teil der Germania, in der domus95 (s. c. 13,1) ohne den staatlichen Gegensatz (civitas/res publica) genannt wird. Die Ursache hierfür liegt wohl darin, dass es sich um das Stellen von Geiseln zwischen einzelnen domus handelt, weshalb der Gegensatz nicht genannt zu werden brauchte (der Gegensatz ist aber dennoch implizit vorhanden, nämlich zur Wendung animi civitatum in c. 8,1). Das Subjekt von teneant ist nicht, wie manchmal angenommen, quidam,96 sondern die gestellten Geiseln, so dass aus dem Vorhergehenden obsides (sororum filii) als Subjekt zu extrahieren ist.97 Der Grund für die festere Bindung liegt darin, dass de facto zwei domus gebunden werden, nämlich die Verwandten väterlicher- wie mütterlicherseits. heredes tamen successoresque sui cuique liberi] tamen bringt den Gegensatz zwischen gefühlter Bindung und rechtlicher Sachlage zum Ausdruck. heredes und successores sind nur bedingt Synonyme,98 da ein heres derjenige ist, der das Vermögen erbt, der successor der rechtliche Nachfolger, der des Verstorbenen rechtliche Pflichten übernimmt, etwa wie sie in c. 21,1: suscipere tam inimicitias seu patris seu propinqui quam amicitias necesse est ‚man kann nicht umhin, sowohl die Feindschaften als auch die Freundschaften, seien es die des Vaters oder der Verwandten, fortzusetzen‘ genannt werden. Dieselbe Verbindung findet sich noch etwa bei Ulp. dig. 43,20,1,43: neque ad heredem vel qualemcumque successorem ‚noch auf den Erben, oder sonstigen Rechtsnachfolger‘; Scaev. dig. 44,3,14,1: heredibus enim et his, qui successorum loco habentur ‚denn den Erben und Denen, die an Stelle der Rechtsnachfolger treten‘. 98 So Lund 1988: 169: ”Synonyme, denn Tacitus spielt auf den römischen Gedanken an, daß ‚sui heredes cuique in hereditatem succedunt‘.. 99 So u.a. Murray 1983: 58-59: Lund 1988: 169; Rives 1999: 208; Benario 1999: 87. 100 So u.a. Baumstark 1875: 660; Müllenhoff 1900: 324; Gudeman 1916: 133; Schweizer-Sidler 1923: 52; Reeb 1933: 42; Much 1967: 298; Perl 1990: 189; Anderson 1997: 117. 101 Vgl. Kühner – Stegmann II,2: 25-26. 102 Vgl. ThLL VI,2: 2160,56-57. Unklar ist, ob unter liberi alle Kinder,99 also auch die Töchter, oder nur die Söhne100 (vgl. c. 18,3: quae liberis inviolata ac digna reddat ‚das sie den Kindern ungeschmälert und in vollem Umfang weiterzugeben habe‘) zu verstehen sind (für letztere Bedeutung mag sprechen, dass nach dem Nachfolgenden die Ehefrau nicht erbfähig ist). et nullum testamentum] et steht exepegetisch.101 Diese Aussage steht in Gegensatz zu den römischen Verhältnissen, wo ein Testament die Regel war. Zwar gab es vor den Zwölftafelgesetzen ebenfalls kein Testament, jedoch wurde bereits dort zwischen der testamentaria hereditas und der iusta (legitima) hereditas unterschieden. In Gegensatz hierzu gab es bei den Germanen keine Abweichungsmöglichkeit von der Erbfolge. si liberi non sunt, proximus gradus in possessione fratres, patrui, avunculi] proximus gradus ist ein terminus technicus der Rechtssprache; vgl. Cod. Theod. 3,7,1,2: gradu proximo ad viduarum successiones ‚in der nächsten Stufe zu den Nachfolgen der Verwitweten‘.102 Zu possessio, abgeleitet von possido, vgl. Tac. Agr. 18,3: a cuius possessione revocatum Paulinum ‚von deren Eroberung Paulinus … abgehalten worden war‘. In aller Regel werden an dieser Stelle drei Erbberechtigte, nämlich die Brüder, die Brüder des Vaters und die Brüder der Mutter angenommen, wobei teilweise an Letzterem Anstoß genommen wird.103 Problematischer bei dieser Deutung ist jedoch, dass die Erbschaft bei patrui und avunculi zu Personen einer Stufe vor dem Verstorbenen fallen würde, was bei den damaligen Lebenserwartungen wenig wahrscheinlich ist. Daher verwundert es auch nicht, dass die Eltern, die auf der gleichen Linie mit den patrui und avunculi stehen, an dieser Stelle nicht genannt sind.104 Aus diesem Grund ist es einfacher, in patrui und avunculi zu fratres gehörige Adj. zu sehen: Es erben also die Brüder des Verstorbenen, und zwar die von väterlicher und mütterlicher Seite. Das germanische Erbrecht hat somit Ähnlichkeiten mit dem altrömischen, wo – bei fehlendem Erbe – die gentiles erben; vgl. leg. xii tab. 5,5: si adgnatus nec escit, gentiles familiam habento ‚ist ein solcher Agnat nicht vorhanden, sollen die Gentilen die Erbschaft haben‘. 103 Vgl. u.a. Perl 1990: 189: ”Ob daher avunculi … zu Recht hier steht, ist fraglich, da das der väterlichen Erblinie widerspricht.; Bedenken auch bei Müllenhoff 1900: 324; Schweizer-Sidler 1923: 52; Reeb 1933: 102; Anderson 1997: 118. 104 Anders etwa Perl 1990: 189: ”Merkwürdig ist auch … daß unter den möglichen Erben nicht die Eltern genannt sind.. 105 Zuversichtlicher ist etwa Lund 1988: 170: ”Der Satz … macht klar, daß die Germanen nur zwei Grade von Erbberechtigten kannten, die Römer dagegen sieben.. 106 Vgl. Sörbom 1935: 30. 107 Vgl. Annibaldi 1910: 55; Till 1943: 92, Anm. 5; Robinson 1991: 183, 297; Perret 1997: 83. 108 Anders Till 1943: 92, Anm. 5 mit Hinweis auf S. 79: ”Verschreibungen unter dem Einfluß der folgenden Viele Punkte bleiben bei dieser Beschreibung unklar, da kaum davon auszugehen ist, dass Tacitus hier auf das gesamte Erbrecht eingegangen ist.105 So bleibt z.B. die Frage offen, ob zunächst die Brüder väterlicherseits erbten und erst, falls solche nicht vorhanden waren, die mütterlicherseits. quanto plus propinquorum, tanto maior affinium numerus, tanto gratiosior senectus] Auch an dieser Stelle bieten die Hss. ein anderes Bild als die neueren Textausgaben, die sämtlich quanto maior affinium numerus bieten, so dass ein Gleichlauf mit dem vorangehenden quanto plus propinquorum entsteht.106 In den Hss. findet sich demgegenüber fast ausnahmslos tanto; nur in der Hss. u2 steht am Rande quanto, dagegen quo in ctf und als Korrektur in b, schließlich sicher auf tanto zurückgehendes tam in m.107 Die Eintragung von quanto von zweiter Hand in der Hs. u am Rand verrät, dass es sich hierbei lediglich um eine humanistische Konjektur handelt (ebenso wie galiis anstelle von gallis in c. 1,1), die für die Textherstellung keinen Wert hat.108 Möchte man daher tanto nicht aufnehmen, müsste man Worte.; jedoch steht das zweite tanto sicher zu weit weg. 109 quo fand u.a. Platz in der Ausgabe von Maßmann 1847: 82. seine Zuflucht in die Einsetzung von quo nehmen, das jedoch auch nur marginal bezeugt ist.109 Es ist somit mit tanto auszukommen, falls diese Lesart verteidigt werden kann. Üblicherweise wird der Satz als aus zwei Bedingungen bestehend aufgefasst (quanto plus propinquorum, quanto maior affinium numerus), woraus eine Folgerung abgeleitet ist (tanto gratiosior senectus). Bei der Einsetzung von tanto gibt es eine Bedingung (quanto plus propinquorum) mit zwei Folgerungen (tanto maior affinium numerus, tanto gratiosior senectus). Mit der ersten Folgerung kann natürlich nicht die Trivialität gemeint sein, dass viele propinqui viele affines ergeben, da diese zu heiraten pflegen. Das wäre eine Plattitüde und obendrein funktionslos im Zusammenhang mit dem angenehmen Alter. Unter propinqui sind an dieser Stelle sicher nicht, wie sonst oft, die Onkel oder gar Großeltern von Vaterseite, ja noch nicht einmal die eigenen Brüder und Schwestern zu verstehen, da in dem Augenblick, wo man selber alt ist, erstere schon längst verstorben sind, letztere ihrerseits ebenfalls im versorgungsbedürftigen senectus-Alter stehen. Mit propinqui können also in erster Linie nur die eigenen Kinder gemeint sein, die dann im vollen Wirtschaftsleben stehen und die Älteren mitversorgen können, und außerdem noch die Kinder der eigenen Brüder. Diese Verwendung hat seine Ursache darin, dass von den Kindern als eigenständigen Rechtspersonen die Rede ist, also von eigenen patres familiae. Das Gleiche gilt dann auch für die zahlreichen affines. Hierbei kann es sich ebenfalls nur um die Kinder (möglicherweise auch noch die Enkel) der Schwestern handeln. Je mehr Schwestern man hat, desto mehr affinierte Kinder kann man haben. Offensichtlich ist es demnach möglich, für seinen Unterhalt sowohl auf die eigenen Kinder bzw. die seiner Brüder wie auf die Schwesterkinder zurückzugreifen, was die spiegelbildliche Wiederholung des vorhergehenden sororum filiis idem apud avunculum qui ad patrem honor ist. Dieser honor kann nicht darin bestehen, dass man die Schwesterkinder lieber hat als die eigenen, sondern gewiss in vermögensrelevanten Dingen, indem man ihnen etwas zukommen lässt (ganz wie den eigenen), sie eventuell mit Waffen ausstattet, ihnen Rinder überlässt und dergleichen. Sind sie erwachsen, müssen sie sich dann entsprechend revanchieren und den avunculus versorgen. Will man die Stelle so verstehen, kann tanto problemlos beibehalten werden: Je mehr propinqui man hat, desto größer ist die Gesamtzahl (da affines auch herhalten müssen) derjenigen, die für einen aufzukommen haben, und desto angenehmer ist das Alter. Demgegenüber ist die hss. Überlieferung bei gratiosior uneinheitlich; neben gratiosior (in den Hss. WCbs) findet sich die Lesart gratior (in mh.tfvr); auch stehen beide Lesarten nebeneinander (gratiosior am Rande oder übergeschr. gratior in CBETd, gratior am Rande gratiosior in pQ), und schließlich weisen die Hss. abrlezuARce generosior auf.110 Es handelt sich um ein aus dem Codex Hersfeldensis stammendes Nebeneinander. Sicher ist gratiosior die zu bevorzugende Lesart, da gratior als Auslassungsfehler erklärbar ist.111 110 Vgl. Perret 1950: 56; Robinson 1991: 127; Perret 1997: 83. 111 Vgl. hierzu Robinson 1991: 47-48 (im Codex Hersfeldensis ist in etwa vergleichbar Tac. agr. 14,8, wo im Text prioribus steht, am Rande priore, das über prioris entstanden ist; ebd. 46,6, wo im Text temporalibus steht, am Rande temporibus); ebenso Müllenhoff 1900: 66; nach Perret 1950: 56 ein ”Doublet synonymique d’âge incertain, que l’auteur de ce doublet, d’aileurs, soit parti de gratiosior ou d’un gratior issu d’une faute plus ancienne par saut du même au même.. Anders, aber wenig überzeugend Till 1943: 92: ”Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß gratior einem Einfall des Korrektors seine Entstehung verdankt, der den Sinn von gratiosior senectus nicht verstand.. 112 Vgl. Gudeman 1916: 133; anders ist Plaut. Truc. 64-65: nam nunc lenonum et scortorum plus est fere / quam olim muscarum ‚es gibt fürwahr der Kuppler und der Huren jetzt beinahe mehr, als Fliegen man … sieht‘. 113 Vgl. ThLL I: 1217,57: ”propinquus factus per nuptias.. 114 Vgl. ThLL VI,2: 2242,18-19; zur Bedeutung ”quae placet, amatur. vgl. ebd. 2242,73. 115 Vgl. Gerber – Greef 1962: II, 1178-1179. plus + Gen. der Person kommt anscheinend nur an dieser Stelle vor.112 Das Wort affines bezeichnet im Lateinischen die durch Verschwägerung hinzugekommenen Verwandten113 (zur Unterscheidung zwischen propinqui und affines vgl. Isid. diff. 1,110: adfines nuptiis venient, propinquus sanguine ‚adfines kommen durch Heiraten hinzu, propinquus durch das Blut‘). Zum Nebeneinander beider Wörter vgl. u.a. Tac. hist. 3,25,3: propinquos adfines ‚Verwandte, Verschwägerte; ebd. 3,34,2: a propinquis adfinibusque occulte redemptabantur ‚wurden sie von Angehörigen und Verwandten heimlich zurückgekauft‘; ds. ann. 2,10,1: ne propinquorum et adfinium … desertor et proditor … mallet ‚er [= Germanicus] solle doch nicht lieber Überläufer, ja Verräter an Verwandten und Angehörigen … sein wollen‘; ebd. 6,8,2: illius propinqui et adfines honoribus augebantur ‚seine [= Seianus’] Verwandten und Angehörigen wurden mit Ehrenstellen überhäuft‘. Der Komparativ gratiosior kommt seit Cicero vor.114 nec ulla orbitatis pretia] pretia steht im Sinne von praemia, wie häufiger bei Tacitus.115 Es liegt ein deutlicher Gegensatz zu den Zuständen in Rom vor, wo der reiche Kinderlose von Leuten, die ihn zu beerben wünschten, umworben wurde; vgl. Sen. dial. 6,19,2: in ciuitate nostra plus gratiae orbitas confert quam eripit, adeoque senectutem solitudo … ad potentiam ducit, ut quidam … orbitatem manu faciant ‚in unserem Staat bringt mehr Ansehen ein die Kinderlosigkeit als sie entreißt, und so mehr führt von Einsamkeit … das Alter zur Macht, daß manche … Kinderlosigkeit mit [eigener] Hand schaffen‘; Plaut. Mil. 705-715: quando habeo multos cognatos, quid opu’ sit mihi liberis? / nunc bene uiuo et fortunate atque ut uolo atque animo ut lubet. / mea bona mea morte cognatis didam, inter eos partiam. / í apud me aderunt, me curabunt, uisent quid agam, ecquid uelim. / priu’ quam lucet adsunt, rogitant noctu ut somnum ceperim. / eos pro liberis habebo qui mihi mittunt munera. / sacruficant: dant inde partem mihi maiorem quam sibi, / abducunt ad exta; me ad se ad prandium, ad cenam uocant; / ille misérrumum se retur minimum qui misit mihi. / illi inter se certant donis, egomet mecum mussito: / bona mea inhiant, me certatim nutricant et munerant ‚hab ich Verwandte genug, was hab ich Kinder nötig? Jetzt leb ich gut und glücklich, ganz nach meinem Sinn, wie mir’s beliebt. Mit meinem Tode fällt den Anverwandten mein Vermögen zu, ich gebe jedem sein Teil. Sie essen bei mir, pflegen mich, sehen, was ich mach und was ich will. Noch eh es Tag wird, stehn sie da und fragen nach, wie ich die Nacht geschlafen. Da sind meine Kinder; ja, sie schicken mir sogar Geschenke. Opfern sie, so geben sie mir einen größeren Teil gar als sich selbst. Sie holen mich zum Opferschmause, laden mich zum Mittags- und zum Abendtisch. Unglücklich schätzt sich der am meisten, der mir am wenigsten geschickt. Ein Wettstreit ist das Schneken, und ich murmle dann wohl vor mich hin: sie schnappen nur nach deinem Geld, wenn sie im Wettstreit dich ernähren und beschenken‘; Hor. sat. 2,5,28-31: vivet uter locuples sine gnatis, inprobus, ultro / qui meliorem audax vocet in ius, illius esto / defensor; fama civem causaque priorem / sperne, domi si gnatus erit fecundave coniux ‚so frage, wer von beiden Gegnern reich und ohne Kinder, wer frech genug war, ohne Grund den andern, der ein Ehrenmann, hier anzuklagen: dem mußt du Beistand sein; den braven Bürger mit dem besseren Ruf und bessern Recht verachte, falls er daheim ein Kind hat – der eine Frau, von dem er eins erwartet‘; Plin. nat. 14,5: postquam senator censu legi coeptus, iudex fieri censu, magistratum ducemque nihil magis erornare quam census, postquam coepere orbitas in auctoritate summa et potentia esse, captatio in quaestu fertilissimo ‚nachdem man angefangen hatte, den Senator nach dem Besitz zu wählen, den Richter nach dem Besitz zu bestimmen, und sobald den Beamten und Feldherrn nichts mehr auszeichnete als Besitz, nachdem die Kinderlosigkeit höchstens Ansehen und Macht, Erbschleicherei den ergiebigsten Gewinn ‘; Tac. ann. 13,42,4: Romae testamenta et orbos velut indagine eius capi, Italiam et provincias immenso faenore hauriri ‚in Rom gingen ihm die Testament kinderloser Leute wie bei einer Treibjagd ins Netz, Italien und die Provinzen würden durch seinen [= des Claudius] unermeßlichen Zinswucher ausgesaugt‘; Iuv. 5,132-140: quadringenta tibi si quis deus aut similis dis / et melior fatis donaret homuncio, quantus / ex nihilo, quantus fieres Virronis amicus! / „da Trebio, pone ad Trebium. vis, frater, ab ipsis / ilibus?. o nummi, vobis hunc praestat honorem, / vos estis frater. dominus tamen et domini rex / si vis tunc fieri, nullus tibi parvulus aula / luserit Aeneas nec filia dulcior illo. / [iucundum et carum sterilis facit uxor amicum] ‚wenn dir vierhunderttausend schenkte irgendein Gott oder ein Menschenkind, den Göttern ähnlich und gütiger als das Schicksal, wie bedeutend würdest du aus dem Nichts, welch bedeutender Freund Virros! ”Gib dem Trebius, leg dem Trebius vor! Möchtest du, Bruder, etwas vom Bauchstück selbst?. Dir, Geld, erweist er diese Ehre, du bist der ”Bruder.. Doch willst du dann ”Herr. und ”König des Herrn. werden, dann sollte dir im Königshof kein kleiner Aeneas spielen oder eine Tochter, noch lieber als dieser. [Angenehm und liebenswert mach den Freund eine unfruchtbare Gattin]‘; ds. 12,98-120: sentire calorem / si coepit locuples Gallitta et Pacius orbi, / legitime fixis vestitur tota libellis / porticus, existunt qui promittant hecatomben, / … nulla igitur mora per Novium, mora nulla per Histrum / Pacuvium, quin illud ebur ducatur ad aras / et cadat ante Lares Gallittae, victima sola / tantis digna deis et captatoribus horum. / alter enim, si concedas, mactare vovebit / de grege servorum magna et pulcherrima quaeque / corpora, vel pueris et frontibus ancillarum / inponet vittas et, si qua est nubilis illi / Iphigenia domi, dabit hanc altaribus, etsi / non sperat tragicae furtiva piacula cervae ‚wenn das Fieber Galitta und Pacius, kinderlose Reiche, zu spüren beginnen, wird der ganze Säulengang in gebührender Form mit angehefteten Votivtäfelchen bedeckt, es treten welche auf, die eine Hekatombe geloben … Kein Zögern gäbe es also bei Novius, kein Zögern bei Pacuvius Hister, dieses Elfenbein an die Altäre zu führen und es vor den Laren einer Galitta als Opfer niederstürzen zu lassen, das allein so bedeutender Götter würdig ist und deren Erbschleicher. Der zweite wird nämlich, wenn man es gestattet, aus seiner Sklavenherde großgewachsene Körper und gerade die schönsten zu schlachten geloben, um die Stirn der Sklaven und Sklavinnen Opferbinden winden und, falls er im Hause eine heiratsfähige Iphigenie hat, diese den Altären darbringen, auch wenn er nicht auf das untergeschobene Opfer der Hirschkuh wie in der Tragödie hofft‘; Amm. 14,6,22: nec credi potest, qua obsequiorum diuersitate colantur homines sine liberis Romae ‚es ist unglaublich, mit welchen Aufmerksamkeiten man heute in Rom kinderlosen Menschen hofiert‘; im Falle der Kinderlosigkeit musste das Vermögen nicht auf mehrere verteilt werden; vgl. Tac. hist. 1,73,1: consulari matrimonio subnixa et apud Galbam Othonem Vitellium inlaesa, mox potens pecunia et orbitate, quae bonis malisque temporibus iuxta valent ‚gestützt auf die Ehe mit einem Konsular, und blieb auch bei Galba, Otho und Vitellius unangefochten. Ihr späterer Einfluß beruhte auf ihrem Vermögen und ihrer Kinderlosigkeit, Dingen, die in guten wie in schlechten Zeiten gleich viel wert sind‘; ds. ann. 13,52,2: valuitque pecuniosa orbitate et senecta, quam ultra vitam eorum produxit, quorum ambitu evaserat ‚und er [= Pompeius Silvanus] setzte es durch, da er ein reicher Mann ohne Kinder war und in hohem Alter stand, das er aber noch über die Lebenszeit derer hinaus verlängerte, durch deren Bemühungen er davongekommen war‘; Plin. epist. 4,15,3: sunt ei liberi plures. nam in hoc quoque functus est optimi civis officio, quod fecunditate uxoris large frui voluit eo saeculo, quo plerisque etiam singulos filios orbitatis praemia graves faciunt ‚er [= Asinius Rufus] hat mehrere Kinder. Auch in dieser Beziehung hat er die Pflichten eines guten Staatsbürgers erfüllt, daß er von der Fruchtbarkeit seiner Frau reichen Kindersegen zu gewinnen trachtete in einer Zeit, wo viele andern die Vorteile der Kinderlosigkeit schon ein einziges Kind lästig erscheinen lassen‘. Demgegenüber wäre ein Kinderloser bei den Germanen ohne familiäre Bindungen allein gelassen; Nachteile sieht Tac. ann. 14,40,1 jedoch auch in Rom: Domitius Balbus erat praetorius, simul longa senecta, simul orbitate et pecunia insidiis obnoxius ‚Domitius Balba war ein ehemaliger Prätor und gleichzeitig durch sein hohes Alter, seine Kinderlosigkeit und seinen Reichtum Nachstellungen ausgesetzt‘. LITERATURLISTE Primärliteratur Adam v. Bremen Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reichs, neu übertr. v. W. Trillmich. Darmstadt 1968 Aelianus Bunte Geschichten, aus dem Gr. v. H. Helms. Leipzig 1990 Varia historia, ed. M.R. Dilts. Leipzig 1974 Aeschines Orationes, ed. M.R. 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ALEXANDRI Saxonum gens, sicut tradit antiquitas, ab Anglis Britanniae incolis egressa, per Oceanum navigans Germaniae litoribus studio et necessitate quaerendarum sedium appulsa est, in loco qui vocatur Haduloha, eo tempore quo Thiotricus rex Francorum contra Irminfridum generum suum, ducem Thuringorum, dimicans, terram eorum crudeliter ferro vastavit et igni. Et cum iam duobus proeliis ancipiti pugna incertaque victoria miserabili suorum cede decertassent, Thiotricus spe vincendi frustratus, misit legatos ad Saxones, quorum dux erat Hadugoto. Audivit enim causam adventus eorum, promissisque pro victoria habitandi sedibus, conduxit eos in adiutorium; quibus secum quasi iam pro libertate et patria fortiter dimicantibus, superavit adversarios, vastatisque EKKEHARDI CHRONICON UNIVERSALE … [Widukind] Invenimus autem in scriptis cuiusdam, quod, antiquitate tradente, ab Anglis Britanniae incolis sint egressi, et per oceanum navigantes, Germaniae litoribus studio et necessitate querendarum sedium sint appulsi, in loco qui Hathuloga, eo tempore quo Theodericus rex Francorum contra Irminfridum ducem Thuringorum dimicans, terram eorum crudeliter ferro vastavit et igni. … [Widukind] ADAM BREMENSIS Saxonum gens, inquit, sicut tradit antiquitas, ab Anglis Britanniae incolis egressa per occeanum navigans Germaniae littoribus studio et necessitate quaerendarum sedium appulsa est in loco, qui vocatur Haduloha, eo tempore, quo Theodericus rex Francorum contra Hirminfridum ducem Thuringorum generum suum dimicans terram eorum crudeliter ferro vastavit et igne. Et cum iam duobus preliis ancipiti pugna incertaque victoria miserabili cede suorum decertassent, Theodericus spe vincendi frustratus misit legatos ad Saxones, quorum dux erat Hadugato; ut audivit causam adventus eorum, pollicitisque pro victoria cohabitandi sedibus conduxit eos in adiutorium. Quibus secum quasi iam pro libertate et patria fortiter dimicantibus superavit adversarios vastatisque EIKE VON REPGOW … [Widukindtext] We vindet ôc gescreven, dat se komen sîn van deme engelischen Brittaniâ unde dat se quæmen tô dûdischeme lande over de sê tô êner havene, de hêt Hathulôga, ûppe dat se ên lant vunden, dar se inne besitten mochten. dat was an den tîden, dô der Vranken koning Dîderîc orlogede wider den koning Irminvride van Duringen. … [Widukindtext] indigenis et ad internitionem pene deletis, terram eorum iuxta pollicitationem suam victoribus delegavit. Qui eam sorte dividentes, cum multi ex eis in bello cecidissent, et pro raritate eorum tota ab eis occupari non potuit, partem illius, et eam quam maxime quae respicit orientem, colonis tradebant, singuli pro sorte sua, sub tributo exercendam. Cetera vero loca ipsi possiderunt. A meridie quidem Francos habentes et partem Thuringorum, quos praecedens hostilis turbo non tetigit, et alveo fluminis Unstrotae dirimuntur. A septentrione vero Nordmannos, gentes ferocissimas. Ab ortu autem solis Obodritos, et ab occasu Frisos, a quibus sine intermissione vel foedere vel concertatione necessario finium suorum spacia tuebantur. Erant enim inquieti nimis et finitimorum sedibus infesti, domi vero pacati et civium utilitatibus placida benignitate consulentes. Generis quoque ac nobilitatis Terram vero acceptam sorte dividentes, cum multi ex eis in bello cecidissent et pro raritate sui totam occupare non possent, partem illius, et eam quam maxime quae respicit ad orientem, colonis tradebant sub tributo exercendam, cetera vero loca ipsi possiderunt; a meridie quidem Francos habentes et partem Thuringorum, quos precedens hostilis turbo non tetigit, et alveo fluminis Unstrodae dirimuntur, a spetentrione vero Nortmannos gentes ferocissimas, ab ortu autem solis Obodritos, et ab occasu Friesos, a quibus sine intermissione vel foedere vel concertatione finium suorum spacia necessario tuebantur. Erant enim inquieti nimis et finitimorum sedibus infesti, domi vero pacati et civium utilitatibus placida benignitate consulentes, generis quoque ac nobilitatis indigenis et ad internicionem pene deletis terram eorum iuxta pollicitationem suam victoribus delegavit. Qui eam sorte dividentes, cum multi ex eis in bello cecidissent, et pro raritate eorum tota ab eis occupari non potuit, partem illius, eam maxime, quae respicit orientem, colonis tradebant singulis pro sua sorte sub tributo exercendam; cetera vero loca ipsi possederunt. A meridie quidem Francos habentes et partem Thuringorum, quos precedens hostilis turbo non tetigit, alveoque fluminis Unstrote dirimuntur. A septentrione vero Nordmannos, gentes ferocissimas. Ab ortu solis Obodritos; et ab occasu Frisos. A quibus sine intermissione vel federe vel concertatione necessaria finium suorum spacia tuebantur. Erant enim inquieti nimis et finitimorum sedibus infesti, domi vero pacati et civium utilitatibus placida benignitate consulentes. Generis quoque ac nobilitatis Dô dêlden se dat land under in unde wante ere vile geslagen was, se ne mochten it nicht al besetten unde besatten it uppe dat ôften mit anderen lûden, de in dar van tins gæven. Den anderen dêl besatten se selve. Im was gelegen uppe dat sûden Duringen, dat nicht vororloget ne was, wante an de Unstrôde und de Vranken; uppet norden de Normanne, ên vreislîch volk; uppet ôsten wâren de Wenede; uppet westen de Vresen: de orlogeden se stâdelîke sunder vrede unde strît. Se beschermden den ene landes mit nôt. De Sassen wêren harde unrôwech: se orlogeden alle de lant umbe sic; dar heime wæren se vile sachte. Se wæren ôc bûrsam under in unde trûwe. Se næmen eres slechtes unde erer edelecheit suae providissimam curam habentes, nec facile ullis aliarum gentium vel sibi inferiorum conubiis infecti, propriam et sinceram et tantum sui similem gentem facere conati sunt. Unde habitus quoque ac magnitudo corporum comarumque color, tanquam in tanto hominum numero, idem pene omnibus. Quatuor igitur differentiis gens illa consistit, nobilium scilicet et liberorum, libertorum atque servorum. Et id legibus firmatum, ut nulla pars in copulandis coniugiis propriae sortis terminos transferat, sed nobilis nobilem ducat uxorem, et liber liberam, libertus coniungatur libertae, et servus ancillae. Si vero quispiam horum sibi non congruentem et genere prestantiorem duxerit uxorem, cum vitae suae damno componat. Legibus etiam ad vindictam malefactorum optimis utebantur. Et multa utilia atque secundum legem naturae honesta in morem probitate habere studuerunt, suae providissimam curam habentes, nec facile ullis aliarum gentium vel sibi inferiorum conubiis infecti, propriam et sinceram et tantum sui similem gentem facere conati sunt. Unde habitus quoque ac magnitudo corporum comarumque color, tanquam in tanto numero hominum, idem pene omnibus. Quatuor igitur differentias gens illa in genere habuit, nobilium scilicet et liberorum, libertorum atque servorum. Et id legibus firmatum, ut nulla pars in copulandis coniugiis propriae sortis terminos transferat, sed nobilis nobilem ducat uxorem, et liber liberam, libertus coniungatur libertae, et servus ancillae. Si vero quispiam horum sibi non congruentem et genere prestantiorem duxerit uxorem, cum vitae suae damno componat. Legibus etiam ad vindictam malefactorum optimis utebantur, et multa utilia atque secundum legem naturae honesta in morem probitate studuerunt habere, suae providissimam curam habentes nec facile ullis aliarum gentium vel sibi inferiorum conubiis infecti, propriam et sinceram tantumque sui similem gentem facere conati sunt. Unde habitus quoque ac magnitudo corporum comarumque color, sicut in tanto numero hominum, idem pene omnibus. Quatuor igitur differentiis gens illa consistit, nobilium scilicet et liberorum, libertorum atque servorum. Et id legibus firmatum, ut nulla pars in copulandis coniugiis propriae sortis terminos transferat; sed nobilis nobilem ducat uxorem, et liber liberam, libertus coniugatur libertae et servus ancillae. Si vero quispiam horum sibi non congruentem et genere prestantiorem duxerit uxorem, cum vitae suae dampno componat. Legibus etiam ad vindictam malefactorum optimis abutebantur. Et multa utilia atque secundum legem naturae honesta in morem probitate studuerunt habere; grôte wære. Se ne wolden van anderen lûden, de beneden in wæren, nêne wif nehmen noch de vrowen man, uppe dat se nicht undermenget ne worden. Dar umbe was ere schipnisse unde ere grôte, de varwe van deme hâre unde alsô vile volkes vil nâ al ên. De Sassen hadden an irme volke vier hande underscheid: edele lûde, vrî hêrren, vrîe lûde unde knechte. Ere recht unde ere ê was alsô gestâdeget, dat de edele man næme ên edele wîf, de vrîe hêrre êne vrîe vrowen, de vrîling sîne nôtinne unde de knecht næme de dêrnen: swe sô anders dæde, dat koste sînes selves lîf. Se hadden ôc ander recht over mêndâdære unde bôse lûde. Se hadden sô menege doget unde reinecheit under in, quae eis ad veram beatudinem promerendam proficere potuissent, si ignorantiam creatoris sui non haberent, et a veritate culturae illius non essent alieni. Coluerunt enim eos, qui natura non erant dii: inter quos maxime Mercurium venerabantur, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare consueverant. Deos suos neque templis includere, neque ullae humani oris speciei adsimilare ex magnitudine et dignitate coelestium arbitrati sunt. Lucos ac nemora consecrantes, deorumque nominibus appellantes, secretum illud sola reverentia contemplabantur. Auspicia et sortes quam maxime observabant. Sortium consuetudo simplex erat. Virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputabant, eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargebant; mox, si publica consultatio fuit, sacerdos populi, si privata, ipse paterfamilias precatus deos quae eis ad veram beatudinem promerendam proficere potuissent, si noticiam creatoris haberent. Coluerunt enim eos, qui natura non erant dii maximeque Mercurium venerabantur, cui certis diebus humanis quoque hostiis litabant. Deos suos neque templis includere, neque ulli humanae speciei assimilare pro magnitudine et dignitate divinitatis licitum arbitrati sunt, lucos ac nemora consecrantes deorumque nominibus appellantes, secretum illud sola reverentia contemplabantur. Auspicia et sortes quam maxime observabant, quarum sortium consuetudo simplex erat. Virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputabant, eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargebant. Mox, si publica consultatio fuit, sacerdos populi, si privata, ipse paterfamilias precatus Deos quae eis ad veram beatudinem promerendam proficere potuissent, si ignorantiam creatoris sui non haberent, et a veritate culturae illius non essent alieni. Coluerunt enim eos, qui natura non erant dii: inter quos praecipue Mercurium venerabantur, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare consueverant. Deos suos neque templis includere neque ulla humani oris specie assimilare ex magnitudine et dignitate celestium arbitrati sunt; lucos ac nemora consecrantes deorumque nominibus appellantes secretum illud sola reverentia contemplabantur. Auspicia et sortes quam maxime observabant. Sortium consuetudo simplex erat. Virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputabant, eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargebant. Mox, si publica consultatio fuit, sacerdos populi, si privata, ipse paterfamilias precatus deos hadden se got bekant, se wæren alle tô den gnâden. Se lôfden an afgode, allermeist an Marse: deme brâchten se tô beschêdenen dagen er offer. Se lôfden ôc an busche unde an bôme. Se sprâken, de god de wæren sô hilech unde sô hêr, men ne solde se nimmer nâ minschen belede gelîken, men ne solde se ôc beslûten noch an templen noch an hûsen. Se wîeden an der gode namen busche unde bôme unde nemden se nâ in unde sæge se an mit vrochten. Se hadden menege wîchlinge unde plægen ôc tô lôtende. Der lôtunge woneheit was vil ênvaldich: se sneden êne rôde van ême vruchbâren bôme unde brâken af de twîgeken unde têkeneden se underschêdelîke unde worpen se ûp ein wît kleit unwarlîke unde up âventûre vielen se tô samene. coelumque suspiciens ter singulos tulit, sublatisque secundum inpressam ante notam interpretatus est. Si prohibuerunt, nulla de eadem re ipsa die consultatio, si permissum est, eventuum adhuc fides exigebatur. Avium voces volatusque interrogare, proprium gentis illius erat. Equorum quoque praesagia ac monitus experiri, hinnitusque ac fremitus observare; nec ulli auspicio maior fides non solum apud plebem, sed etiam apud proceres habebatur. Erat et alia observatio auspiciorum, qua gravium bellorum eventus explorare solebant; eius quippe gentis, cum qua bellandum fuit, captivum quoquo modo interceptum, cum electo popularium suorum patriis quemque armis committere, et victoriam huius vel illius pro iudicio habere. Quomodo autem certis diebus, cum inchoatur luna ut impletur, agendis rebus auspicatissimum initium crediderint, et alia innumera vanarum caelumque susspiciens, ter singulos tulit, sublatisque secundum impressam antea notam interpretatus est ; et si prohibuerunt, nulla de eadem re ipsa die consultatio erat; si permissum est, eventuum adhuc fides exigebatur. Avium voces volatusque interrogare, proprium gentis illius erat ; equorum quoque presagia ac motus experiri hinnitusque ac fremitus observare, nec ulli auspicio maior fides adhibebatur, non solum apud plebem, sed etiam apud proceres. Erat et alia observatio auspiciorum, quo solebant eventus gravium explorare bellorum; eius scilicet gentis, cum qua bellandum fuit, captivum quoquo modo interceptum cum electo popularium suorum patriis quemque armis committere, et victoriam huius vel illius in previdentia habere. Quomodo autem certis diebus, cum aut luna inchoatur aut impletur, agendis rebus auspicatissimum inicium crediderint, et alia innumerabilia vanarum celumque suspiciens ter singulos tulit, sublatos secundum inpressam ante notam interpretatus est. Si prohibuerunt, nulla de eadem re ipsa die consultatio ; si permissum est, eventuum adhuc fides exigebatur. Avium voces et volatus interrogare proprium erat illius gentis. Equorum quoque presagia ac motus experiri hinnitusque ac fremitus observare. Nec ulli auspicio maior fides, non solum apud plebem, sed etiam apud proceres habebatur. Erat et alia observatio auspiciorum, qua gravium bellorum eventus explorare solebant. Eius quippe gentis, cum qua bellandum fuit, captivum quoquo modo interceptum, cum electo popularium suorum patriis quemque armis committere et victoriam huius vel illius pro iudicio habere. Quomodo autem certis diebus, cum aut inchoatur luna aut impletur, agendis rebus auspicatissimum initium crediderint aliaque innumerabilia vanarum Se lôveden ôc an der vogele stemme unde an ire vlucht. An der perede nêinge hêlden se sic ôc, nicht alêne de mênen lûde, wane ôc de hôgesten allermeist. Se hadden ôc êne andere wîchelinge, de plâgen se besôken, swenne se grôt strîd strîden solden: wider weleker hande volk se strîden wolden, sô viengen se, swê se machten, ênen man des volkes unde lêten ene vechten mit êneme erer manne mit sô gedânen wâpene, also iewelîc volk hadde, unde sægen, wîlecere den sege behêlde; dar hêlden se sic an. Se hadden ôc den grôtesten lôven tô al irme dinge tu dunde an dem mânen, swenne sô he tu wus oder afbrak. Andere wîchelingen hadden sie noch, die untellic wâren, superstitionum genera, quibus implicati sunt, observaverint, pretereo. Haec vero ideo commemoravi, quo prudens lector agnoscat, a quantis errorum tenebris per Dei gratiam et misericordiam sint liberati, quando eos ad cognitionem sui nominis lumine verae fidei perducere dignatus est; qui erant sicut omnes fere Germaniam incolentes nationes, et natura feroces et cultui demonum dediti, veraeque religioni contrarii, neque divina neque humana iura transgredi inlicitum vel inhonestum putantes. … Frondosis arboribus fontibusque venerationem exhibebant. supersticionum genera, quibus impliciti tenebantur, observaverint, pretereo; haec vero ideo commemoravi, quo prudens lector agnoscat, a quantis errorum tenebris per Dei gratiam et misericordiam sint liberati; qui erant sicut omnes nationes Germaniam incolentes et natura feroces et cultui daemonum dediti veraeque religioni contrarii, neque divina neque humana iura transgredi illicitum vel inhonestum putantes. … Frondosis arboribus fontibusque venerationem exhibebant. supersticionum genera, quibus implicati sunt, observaverint, pretereo. Haec vero ideo commemoravi, quo prudens lector agnoscat, a quantis errorum tenebris per Dei gratiam et misericordiam sint liberati, quando eos ad cognitionem sui nominis lumine verae fidei perducere dignatus est. Erant enim, sicut omnes fere Germaniam incolentes, et natura feroces et cultui demonum dediti veraeque religioni contrarii, neque divina neque humana iura vel polluere vel transgredi inhonestum putantes. Nam et frondosis arboribus fontibusque venerationem exhibebant. dar se mede beworren wâren: die wille wie nû lâten varen. We hebbet desen ungelôven dar umbe gerekenet, swie sô disse rede hôre, da he merke, wie wol got mit ihn gedân hevet, want he sie gelôft hevet van sô mangen ungelôven unde ôc van des dûveles dieneste, dar sie mede beworren wâren lange Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre hiermit, dass mir die Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät der FSU bekannt ist. Ferner erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus anderen Quellen direkt oder indirekt übernommenen Daten und Konzepte sind unter Angabe der Quelle gekennzeichnet. An der inhaltlich-materiellen Erstellung der Arbeit waren keine weiteren Personen beteiligt. Insbesondere habe ich hierfür nicht die entgeltliche Hilfe von Vermittlungs- bzw. Beratungsdiensten in Anspruch genommen. Niemand hat von mir unmittelbar oder mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorliegenden Arbeit stehen. Die Arbeit wurde bisher weder im In- noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt. Jena, den