23 Auswertungskategorie: Gelassenheitsgefühl

▼ 709 (fortgesetzt)

Wie in Kap. 14 bereits ausgeführt, lässt sich auf systemisch-konstruktivistischem Hintergrund vermuten, dass Veränderungen bei den Seminarteilnehmern und Mitforschern zu einer veränderten Wahrnehmung auch im Bereich des Selbstkonzepts führen. In den letzten Kapiteln ergaben sich bereits erste Ansatzpunkte, dass dem so sein könnte (vgl. v.a. Übernehmen gezielter Verantwortung in ihrem schulischen Arbeitsfeld/ weniger Verantwortungsbeanspruchung (S.523); Eigen- und Fremd-Attribuierung bei Problemen S.525; Erleben von mehr Klarheit auf verschiedenen Gebieten: Positionierung (S.527), Präsenz (S. 533); Distanzierungsfähigkeit (S.546>); Selbstwahrnehmungsfähigkeit (S.547); Außenperspektive (S.547); Grenzen (S.548), Ressourcenorientierung auf sich als Pädagoge (S.550); Selbstachtsamkeit (S.551); Akzeptanz eigener Grenzen (S.553); Selbstvalidierung (S.554); Freude (S.556); Systemstrukturen (S. 560), Passung Mitarbeiter-Organisation (S.564) ).

In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob bzw. inwieweit sich bei den Mitforschern im Verlauf des Jahres der Fortbildung Gefühle gestiegener Gelassenheit und Sicherheit eingestellt haben. Gelassenheits- und Sicherheitsgefühle sind Kategorien, die sich nicht nur aus systemischer Sicht – insb. für engagierte Lehrer - als Ziel der Fortbildung anbieten, sondern die auch in der Eingangsreflexion explizit genannt wurden. Allerdings könnte sich bei den Teilnehmern statt eines gewachsenen Gelassenheits- und Sicherheitsgefühl auch erhöhter Frust einstellen, da ggf. unangemessene schulische Abläufe durch die systemische Sicht (die eine Tendenz zur Herstellung von Außenperspektive hat (Schumacher 2002) ), schneller in ihrer Ineffizienz sichtbar werden.

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Die Fragestellung in diesem sechsten Evaluationskapitel ist also: (Inwieweit) empfinden die Teilnehmer in ihrem schulischen Alltag mehr Gelassenheit und rechnen dies (angesichts der Komplexität menschlichen Lebens nicht nur aber) auch der Fortbildungsreihe zu? (Inwieweit) ist es zu einer Steigerung subjektiv erlebter, relativer Abgeklärtheit, Sicherheit und Selbstbewusstsein gekommen? Die entsprechenden Belege werden in zwei Unterkapiteln dargestellt: Aussagen zum Thema Gelassenheitsgefühl finden sich in Kap.23.1 und Äußerungen zu den Untersuchungskategorien Sicherheitsgefühl und Selbstbewusstsein werden in Kap.23.2wiedergegeben.

23.1 Gelassenheitsgefühl

Für die Annahme, dass bei den Mitforschern in ihrem schulischen Alltagsgeschäft mehr Gelassenheit entstanden sein könnte, liefern die bisherigen Ausführungen (wie gerade ausgeführt) bereits einige Hinweise. Insb. die Nennungen zum Thema Umgang mit Verantwortung und Akzeptanz eigener Grenzen lassen dies wahrscheinlich klingen. Tatsächlich lassen sich vielfältige, von verschiedensten Mitforschern stammende Äußerungen finden, die von mehr Gelassenheit teilweise sehr direkt unter Verwendung eben dieses Wortes berichten.

- Aber ganz sicher ist, dass das Seminar viel, viel dazu beigetragen hat. Das ist es einfach eine größere Gelassenheit bei mir entstanden ist. (G 12)

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- Ich bin ruhiger geworden. [...] Es hatte was mit hier der Ausbildung zu tun. (E 75)

- Und ich hab dabei auch kein schlechtes Gewissen. Ich bin in mir selber gefestigter geworden. Empfinde Problemen gegenüber eine größere Gelassenheit.. (F 6)

- Entlastung und auch Gelassenheit. [...] Ich find diesen Satz [zum Umgang mit Verantwortung] ja eigentlich so einfach. Aber [...] vor dem Kurs [...], es war mir nicht so im Blick und ich hätte es nicht so äußern können. Und ich hab ihn schon oft geäußert, auch jetzt im Gespräch mit anderen, und spüre, dass die eine ähnliche Erfahrung machen, dass sie sagen: Das ist genial. [...] Ich denke, das hat offensichtlich eine enorme Wirkung. Entlastend und, und auch wegbereitend. (B 21)

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- Es war für mich sehr entlastend noch mal zu hören, was ich eigentlich auch so in der Psychologie gelernt habe: Der Schüler entscheidet, ob er lernt. Nicht ich entscheide, dass er das lernt. (J 16)

- Früher hab ich viel mehr Energie einsetzen müssen. Ich denke, das hängt schon damit zusammen, dass ich heute sehr viel klarer sagen kann: Das und das erwarte ich, das ist für mich dran, das ist wichtig. (K 35)

- Ich denke, wenn Dinge nicht funktionieren, muss ich auch mich hinterfragen. [...] Und diese Seite ist [...] manchmal zu stark bei mir, an der muss ich arbeiten. [...] Ich denke, manchmal muss man Fünf gerade sein lassen, und um sich selbst zu schützen auch. [...] Das ist durch diese Fallen, über die wir gesprochen haben, also dass das so eine Hilfe [war], das zu erkennen auch, und, durch die Sache Zwangsveranstaltung, Verantwortung, durch viele Dinge, die Sie so aus dem Systemischen heraus erklärt haben, das ist eine Hilfe, das auch wirklich zu denken, das ist ein Punkt, da musst du auch an dir arbeiten, da darfst du auch an dir arbeiten. (B 41-44)

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- Es zieht mich nicht mehr so runter, wenn es nicht klappt, sage ich mal so. Und ich ziehe mir nicht immer den Schuh an, wenn es nicht klappt. (J 41)

- HF: ‘Woran würden Sie in einem Jahr erkennen, dass diese Fortbildungsreihe für Sie erfolgreich war?’ ‚Es wäre gut, wenn ich mit schwierigen Situationen so umgehen könnte, dass ich sie annehmen und auch wieder ablegen könnte’ - also da sind wir beim Thema Gelassenheit – ‘ohne dass sie mich lange Zeit belasten’. [...] B: Das ist wirklich gelungen. Also das ist nicht in ersten Sitzungen, da hab ich, war ich oft durcheinander, dann bin ich oft nach Hause, mich gefragt, was hab ich denn gelernt, und es ist auf einmal, also im Schulalltag hab ich gemerkt: Stopp. Das hättest du, du hättest so nicht reagiert, mit dem, hättest du nicht dieses Wissen gewonnen. Und, und diese vielen Gespräche und dieses Ausprobieren gehabt. (HF-B 104, B 105)

- Ich hatte mich zu dieser Fortbildung angemeldet, weil ich in zweierlei Hinsicht Druck hatte: Einmal natürlich durch diese Punkte und dann habe ich mir gedacht: Okay, wenn ich das schon machen muss, dann will ich mir auch etwas suchen, was mir ein Stück weiterhilft in meinem schulischen Alltag. Und zwar nicht direkt fachbezogen [...], sondern was mir allgemein ein Stück hilft, womit ich jetzt, ich sage mal, etwa zehn Jahre habe ich noch, die zehn Jahre ein bisschen gelassener gestalten kann. [...] Also, das hat dazu geführt, [...] dass ich ein Stück gelassener geworden bin, dass manche Dinge nicht mehr so heiß und so schwierig für mich sind, ja, dass ich, glaube ich, ein Stückchen selbstbewusster geworden bin und ein Stück mehr weiß, was ich möchte. Ja, und damit habe ich eigentlich ein wichtiges Ziel dieser Fortbildung erreicht. (J 2)

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- Und ich bin auch ruhiger geworden, ich bin nicht mehr so hippelig. Also es hat schon einiges gebracht. - HF: Auch innerhalb dieses Jahres jetzt? - E: Jaja. (E 20-21)

- Und das habe ich mit Hilfe dieser theoretischen Sachen, die wir hier gemacht haben, schon erkannt und das finde ich gut. Es hat mir, es hat mich viel beruhigt. (E 29)

- Ich habe auch mal die Gelassenheit, nicht vorbereitet in die Schule zu gehen. Oder: Nicht vorbereitet ist falsch, aber mit etwas nicht Aufgeschriebenem in die Schule zu gehen. Ja. (F 65)

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- Sicherlich bin ich manchmal auch unkollegial, weil ich in meiner Emotionalität vielleicht ungerecht bin. Und so kann es sein, dass ich bei anderen auch Blockaden hervorrufe. [...] Ich kann es jetzt einfach mit Gelassenheit zugeben. Das ist so. Und ich stehe dazu. (F76, 78)

- Und auch die andere Geschichte mit der Aufsicht zum Beispiel, habe ich dieses Jahr mich weniger aufgeregt. Ich habe allerdings sofort gesagt: Moment, ich bin soviel Stunden da, das kann ich so nicht machen. Also es sind immer die gleichen Sachen. Also ich finde für mich habe ich es besser hingekriegt, habe mich weniger geärgert. (K 100)

- Das kommt jedes Jahr vor, es ist immer irgendjemand in der Klasse. Und ich gehe damit, ja, auch gelassener um und ich glaub auch professioneller, weil ich will, ich habe vorhin schon gesagt, in Konfliktfällen habe ich jetzt einfach halt viel mehr Spielraum bekommen. (J 112)

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Eine Entlastung bzw. Stärkung kann auch anders beschrieben werden, wie das nächste Kapitel zeigt.

23.2 Sicherheitsgefühl und Selbstbewusstsein

Andere Mitforscher heben eher auf die Steigerung subjektiv erlebter, relativer Handlungssicherheit ab als auf den Aspekt der Gelassenheit. Der damit umschriebene Prozess ist sicherlich ein ähnlicher, der Fokus allerdings ist verschoben, da bei Sicherheitsfragen auch Ideen von ‚Kontrolle über Situationen’ und von Struktur und Klarheit mitschwingen. Auch hier haben bisherige Evaluationskapitel schon konkrete Hinweise gegeben (insb. zum Erleben von mehr Klarheit auf den Gebieten Positionierung (S.527), Grenzen (S.548), Systemstrukturen (S.560) und Passung Mitarbeiter-Organisation (S.564).

Im Folgenden werde weitere Belege angeführt:

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- Ich [...] habe, ein bisschen überrascht, festgestellt, weil das eigentlich auch gar nicht so mein Gefühl war, dass das, was ich als Ziel geäußert habe, was ich mir erwarte von dem Seminar, eigentlich am Ende auch genau das war, was ich zum Abschluss gesagt habe. [...] Ich habe damals gesagt: Ich erwarte mir Sicherheit im Umgang mit dem, ja, was uns tagtäglich umgibt in der Schule, Umgang mit Schülern, Umgang mit Eltern, mit Kollegen, mit Schulleitung. Und im Endeffekt ist das genau der Punkt gewesen, den ich auch so nachher jetzt bei der Abschlussbesprechung in den Mittelpunkt gestellt habe, gesagt habe. (G 2-3)

- [...] und jetzt inzwischen: Ich arbeite klar strukturiert, ich geh gut vorwärts, ja, bleibe am Ball und arbeite am roten Faden, also selbstdisziplinmäßig auch, und da merke ich: Es geht besser. Weil ich da ja auch Erfolge sehe. (C 171)

- Mein Rucksack hat, ja, mehr Ordnung bekommen, mein Rucksack ist mir bewusster geworden [...]. Und es sind natürlich auch Fähigkeiten dazu gekommen, die mir zum einen helfen, ja, Dinge anders zu strukturieren. (G 3) und natürlich spielt [...] das Seminar eine große Rolle [...,] dass man Strukturen erkennt. (G 13)

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- Früher bin ich hingegangen und habe gedacht: Hier, ich will, dass das Kind Nachhilfe kriegt. Oder, wie auch immer. So, solche Sachen, die fallen jetzt weg, weil ich einfach denke, es ist ein Prozess und wo eben ein Miteinander stattfindet. Das finde ich halt sehr, sehr schön und sehr erleichternd auch und ich merke auch, ich habe da so ein ganz anderes Gefühl für mich, also ich fühle mich viel sicherer, selbstsicherer oder wie auch immer. Und das ist eindeutig ein Effekt, das sich aus unserem Seminar ergeben hat. (C 4)

- Diese Sache mit den Einladungen, die Sache mit den Fallen, und auch so wie man z. B. Ärger mitteilt [...] und diese Auftragsklärungen [...]. So sich drüber klar zu werden im Vorfeld: Was ist denn eigentlich jetzt mein Auftrag hier und wo ist meine Rolle, meine Position, was soll ich tun? Das ist mir schon sehr hilfreich und das hat zu einer größeren Sicherheit geführt. (A 78)

- Ein anderes Ziel war für mich, direkt in Konfliktgesprächen sicherer aufzutreten. Da habe ich eine ganze Menge an Methoden kennen gelernt, ausprobiert, schriftlich mitbekommen. Wir haben das immer mal wiederholt, so dass ich da auch ein Stück sicherer bin. Und ich muss sagen, das ist die zweite Sache, die mir sehr hilft. (J 2)

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- [...] eine Sichtweise, die man schon hatte, bestätigt gefunden zu sehen. Also keine Riesenveränderung oder eine Drehung um 180 Grad aufgrund der Seminarinhalte, sondern irgendwo eine Bestätigung und Stärkung in der Haltung, was einen bestätigt, seinen Weg weiter zu gehen und vielleicht verstärkt weiter zu gehen. (L 29)

- Ja, persönliche Sicherheiten dahin gehend [...] : Früher habe ich mich, glaube ich, nicht so, nicht wirklich getraut, Eltern klar zu sagen [...] : Da und da hängt es. Ja? Und das ist für mich heute überhaupt kein Thema mehr, da bin ich absolut fit. (K 57)

- und bin aber auch auf viele Punkte gestoßen, wo ich sage: Okay, dass ist natürlich noch mal ein ganz wichtiger Punkt, den kann man ganz gezielt einsetzen. Da ist also einiges, was, denk ich, in Ordnung war, verstärkt worden. (G 5)

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- HF: Wenn man das, diesen Begriff der größeren Sicherheit nimmt, das ist so was subjektiv Gefühltes, was würden Sie denn sagen so auf einer Skala von Null bis Zehn, die Frage kennen Sie ja jetzt, Null gar nicht, Zehn absolute Sicherheit. Wo standen Sie vor einem Jahr, wo stehen Sie jetzt? [...] – A: Ich würde vielleicht sagen, ich habe vorher bei Vier gestanden und steh jetzt bei Sechs. (HF-A 73, A 74)

- Also dieses Abwägen, mit mehr Wissen über die Vernetzung, das ist natürlich auch eine, eigentlich auch eine schöne Sache. Wenn man auch da wieder ein Stück Sicherheit gewinnt. (G 42)

- Diese verschiedenen Methoden, also, die habe ich mir alle schön noch mal kopiert, rausgeholt aus diesem dicken Werk, was Sie uns gegeben haben und die habe ich so in meiner Unterrichtsmappe drin, dass ich immer mal so gucken kann: Was könnte man denn für das eine oder andere daraus nehmen? Ja, das war so eine andere Sache, weshalb ich auch diese Fortbildung gewählt habe, weil ich einfach darin sicherer werden wollte. (J 2)

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Wieder andere Mitforscher beschreiben einen Veränderungsprozess hin zu mehr Selbs t bewusstsein bzw. Selbstwertgefühl oder zu gewachsenem Wohlsein bzw. Gesundheit:

- In verschiedenen Richtungen, da merke ich vieles. Es hat insgesamt die Wahrnehmung schon geschärft, was mich und mein Umfeld betrifft, und Positionierungen, Umgang mit anderen... [...] Beziehungsgestaltung. [...] Mich hat es auch gestärkt. Also, ich habe so das Gefühl gehabt, durch die Rollenspiele auch, du kannst das ganz gut, du machst das ganz gut - das haben Sie ab und zu mal zurückgemeldet - und, dass ich denke: Joo, vielleicht könntest du das, Menschen beraten, ahm, das ist so für meinen eigenen Selbstwert und so, ne?, `s gut. Also es ist echt viel passiert. (C 164-165)

- [...] dass ich, glaube ich, ein Stückchen selbstbewusster geworden bin und ein Stück mehr weiß, was ich möchte. (J 2)

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- Ich glaube, dass ich ein Stückchen selbstbewusster auftrete in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen. Ja, das habe ich gemerkt, wir haben jetzt zusammen drei Tage so eine Kennenlern-Fahrt gemacht und das war eine gute Zusammenarbeit, also war es vorher auch, aber ich glaube, ich habe mich stärker eingebracht und auch stärker durchgesetzt, wie ich das sonst die Jahre nicht gemacht habe. (J 67)

- Ich glaube, das Wohlergehen hat sich ein Stück gesteigert, nicht so sehr in äußeren Bedingungen. Aber dahingehend, dass ich es besser ertrage. Ja, oder aber, mich von manchen Dingen besser abgrenze. (J 111)

Insgesamt betrachtet, berichten neun der zehn Mitforscher, deren Interviews ausgewertet werden konnten, von – überwiegend sehr deutlich – merkbaren Veränderungen hin zu mehr Gelassenheit, Sicherheit und Selbstbewusstsein.

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Bevor in Kapitel 25 die vorab aufgestellten Thesen noch einmal in einer Gesamtschau ausgewertet werden, sollen in einem letzten Evaluationskapitel noch einige weitere Belege der Mitforscher und Seminarteilnehmer zu eher formalen Aspekten der Fortbildung ergänzt werden.


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09.06.2008