19 Auswertungskategorie: Kommunikationsfähigkeit und –methoden

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Die zweite wichtige Auswertungskategorie behandelt das Gebiet der Kommunikationsfähigkeit. Überprüft werden soll, ob die Seminarteilnehmer und Mitforscher von einer im Seminarzeitraum erweiterten, bewussteren und/ oder stimmigeren Kommunikations und Gesprächsführungskompetenz berichten.551 In diesem Kapitel geht es v.a. darum festzustellen, ob bzw. inwieweit die Mitforscher auf dem Hintergrund einer veränderten Beziehungsgestaltung beginnen, in ihrem schulischen Kontext systemisch-konstruktivistische Kommunikationsmethoden einzusetzen. Nur auf dem im vorherigen Kapitel bereits nachgewiesenen Hintergrund einer systemisch-konstruktivistisch veränderten Beziehungsgestaltung (inkl. der entsprechenden, dahinter stehenden Haltung) macht es überhaupt Sinn, an dieser Stelle der Dissertation den Einsatz von Methoden zu untersuchen. Denn diese Methoden müssen, um für die hier durchgeführte Untersuchung relevant sein zu können, angebunden sein an systemisch-konstruktivistische Grundhaltungen, ohne deren Rückbezug sie ‚seelenlose’ Technik blieben. In fünf Unterkapiteln werden anhand von Belegstellen zu den Bereichen Selbstklärung, Beratung, Selbsterläuterung und Sprachverwendung die hilfreiche Anwendung einiger solcher Instrumente und Methoden aufgeführt und (da sie in den Interviews entsprechend genannt wurden) zum Teil gesondert hervorgehoben. Abschließend wird untersucht, ob bzw. inwieweit die Mitforscher vielleicht auch schon von einem Erleben berichten, dass ihnen eine neue Methodenvielfalt zur Verfügung steht.

19.1 Selbstklärung

Ein erster Bereich systemischer, schulpädagogischer Methoden lässt sich für Prozesse der Selbstklärung von Pädagogen beschreiben. Die mitforschenden Seminarteilnehmer hoben in den Abschlussinterviews vor allem zwei Methoden in diesem Bereich hervor: die kollegiale Fallberatung und den Umgang mit ‚Einladungen’ bzw. Fallen.

Ein in der Fortbildung wiederholt bzw. mehr oder minder durchgängig angewandtes Instrument zur (gemeinsamen) Selbstklärung ist die kollegiale Fallberatung. Diese wird wiederholt ausdrücklich als Zugewinn genannt.

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- Das, was, glaube ich, für mich am fassbarsten und am konkretesten gewesen ist in diesem Jahr, was ich auch versucht habe in meinen Alltag mit zu übernehmen, das ist die Methode der Fallberatung, denn das haben wir dann auch versucht bei uns im Kollegium zu etablieren. (A 1)

- Ich habe wirklich gelernt diese kollegiale Fallberatung. Also da habe ich einiges mitgenommen. Also diese Schritte, wie geht man vor, wie geh ich auf den Kollegen ein, ohne dass ich immer gleich sage: Ach, ich an deiner Stelle würde ich das so und so sagen. (E 51)

- [...] deswegen war zum Beispiel das Raster für eine kollegiale Beratung, die kann man ja auch in anderen Beratungsgesprächen anwenden, für mich eine Sache, [an] die ich mich halten kann. (L 8)

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- Und durch die kollegiale Fallberatung kam noch ein Neues dazu: Ich habe schätzen gelernt, dass auch andere, also Kollegen, mich beraten, das heißt, bestimmte Fälle, die Schüler haben, und wenn sie einverstanden sind, können wir [sie] in der Klasse besprechen und ich habe eine Methode, dass die anderen den mitberaten. Es läuft [im Zusammenhang mit den Praktika] nicht mehr soviel an Einzelberatung. (J 2) (vgl. außerdem E 15, L 148)

Obwohl im Vergleich mit der kollegialen Fallberatung wesentlich weniger ausführlich im Seminar behandelt, wird die Kenntnis von schultypischen ‚Einladungen’ bzw. Fallen häufiger explizit genannt.

- Ich überlege mir viel bewusster, wo könnten Fallen sein und die versuche ich einfach zu vermeiden. (E 2)

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- Der Punkt ist ja also im Vorfeld zu gucken auf die Fallen, also auf die Einladungen. (K 96)

- Und das war auch jetzt im Elterngespräch konkret, vor kurzem, also ich erkenne Fallen auch viel leichter, oder Einladungen (C 32)

- Es findet ein frühzeitiges Erkennen von Fallen statt. [...] Im Vorherein, dass man weiß, wo könnten Fallen sein, die man gedanklich schon mal, wo man sich drauf vorbereitet. Zum anderen im Gespräch selber, würde ich jetzt mal so formulieren: Man hat eine bessere Antenne bekommen, in Richtung dessen, was da in die falsche Richtung gehen kann. Oder was geht bei dem anderen vor, was hat er mit mir vor, was hat er mit dem Gespräch vor, wo will er hin? (G 8)

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- Um auf diesen Konflikt in der Schule jetzt zurückzukommen, der diese Woche aufgetaucht ist: Also bei der Mutter am Telefon, da war es eher so dieses: Vorsicht, achte auf Fallen! Ne? Deswegen, es ist schon einfach, beim Mithören schon was ganz Wichtiges. (B 26)

- HF: Und da ist ein Zusammenhang mit diesem Jahr und der Fortbildung, die da lief, einiges passiert? - B: Ja. Ich denke, das ist durch diese Fallen, über die wir gesprochen haben, also dass das so eine Hilfe [war] , das zu erkennen. (B 44) (vgl. ggf. des Weiteren K 13, K 40,42,43, A 78)

U.a. werden folgende weitere Instrumente und Methoden ausdrücklich genannt und als hilfreich beschrieben, nämlich die Kenntnis von Gesprächsformen, systemischem Porträt und Machtarten:

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- Ansonsten fand ich alles, was wir zum Thema Beratungsgespräche gemacht haben, oder überhaupt Gespräche mit Eltern, Aufteilung in Beratungsgespräch und Mitteilung und so was, fand ich sehr interessant und sehr hilfreich, einfach auch für mich, um mir selber darüber klar zu werden, wenn ich ein Gespräch führe mit Eltern, was ist es denn eigentlich für eine Art von Gespräch und was ist meine Rolle in diesem Gespräch, und damit verbunden, was kann dann auch das Ziel sein, oder was ist da nicht möglich, außer die Rolle zu verändern. Also einfach ein bisschen mehr Transparenz zu haben. (A 4)

- Es hat mit spüren zu tun, sich einfühlen und dass ich mir bewusster bin in meiner Rolle [...] oder im Umgang mit den Schülern. ( C 70)

- [...] auf jeden Fall bei der Frage Acht552, da habe ich geschrieben: Gesprächsstrukturen und -formen im Umgang bei Konflikten. Es gibt verschiedene Konflikte in der Schule, wo ich mich mittlerweile auch an diese, also wo ich sage, ich gehe strukturierter dran, also gerade in Gesprächen bei Eltern. (E 1) (vgl.a. A 36ff)

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- [...] seitdem denke ich jetzt z. B. immer an dieses Bild [...], das Systemische Porträt. Das man mal wirklich aufzeigt: Wer ist alles beteiligt und wie sind da die Stränge? Und, das empfinde ich als eine Struktur, weil in dem Moment: Das Problem steht da und ich kann es auch irgendwie, ich kann mal versuchen, es anzugehen, kann es auch erst mal versuchen für mich anzugehen. Während es vielleicht vorher ein Knäuel war. Und eher dieser Gedanke war: Das ist ein Problem, das muss man angehen, vielleicht eher so eine erzählende Struktur hat, dass man es immer wieder sagt, aber sich gar nicht im klaren darüber wird, also ich kann mir vorstellen, wenn ich jetzt so ein Systemisches Portrait aufzeichne, dass man dann auch entscheiden kann: Wo kann man überhaupt dran arbeiten und wo kann man noch was verändern? Weil man ja alles nicht wissen kann. Es ist auch so eine Sache, ich kann nicht alle, und kann vor allem nicht alles auf einmal lösen. Sondern ich muss auch meinen Fokus darauf richten: Was ist eigentlich das Wichtigste? Und dazu muss ich mit Struktur an die Sache ran gehen, und das war hilfreich. (B 26-27)

- [...] je nachdem, welches Gespräch es ist, habe ich ja schon eine Machtfunktion oder auch nicht. (G 73)

Bei zwei Schwerpunktnennungen machen die Mitforscher deutlich, dass die Selbstklärungskapazitäten gestiegen sind. Die sich daraus ergebende Vermutung, dass ein Gefühl für mehr Struktur entstehen dürfte, wird in Kap. 22 genauer untersucht.

19.2 Beratung

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In diesem Kapitel sollen Interviewbelege wiedergegeben werden, die sich v.a. auf Methoden im Beratungs- und Unterstützungsbereich beziehen. Abermals sei betont, dass diese nur im Zusammenhang mit Grundhaltungen für die Evaluation der Fortbildungsreihe interessant sind. Auch muss zu einem späteren Zeitpunkt geguckt werden, wie die Veränderungen von den Mitforschern bewertet werden, insb. ob sie mehr Gelassenheit erfahren (vgl. Kap.22.3). Im Folgenden werden kurz die Punkte Ankopplung, systemische Fragen, Auftrags- und Zielklärungen sowie Neutralität behandelt, die sich aus den (Mehrfachnennungen in den) Interviews ergeben.

Als hilfreich wird bspw. beschrieben, sich anzukoppeln und die Sprache des Gegenübers zu sprechen.

- Da kannte ich ja noch nicht den Begriff ‚ankoppeln’, aber das erschien mir schon sehr logisch. Wenn ich möchte, dass jemand im Gespräch so mit mir mitgeht oder das teilt, was ich vielleicht als Idee im Kopf habe, dann ist es wichtig, dass es erst mal eine gemeinsame Ebene gibt, auf die man sich begibt. Und deswegen fange ich eigentlich Gespräche auch immer so an, zumindest wenn ich sie allein führe, dass ich auch den Gegenüber erst mal erzählen lasse, auch wenn ich zum Gespräch eingeladen habe. (A 50)

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- Ich denke, ich bleibe immer auf der Ebene der Schüler, in ihrem Bereich, egal was ich vermittele. Selbst wenn ich Grammatik vermittele und habe eine Jungs-Klasse vor mir, dann versuche ich die Grammatik in ein Fußballspiel einzubeziehen. (E 71)

Zur Methodik systemischer Fragen gibt es einige explizite Nennungen, insb. auch zur Wunderfrage:

- Bei diesen Fragen, das werden wahrscheinlich die anderen auch gesagt haben, diese gewieften Fragen sind schon gut und auch die Wunderfrage: Da merke ich, dass die Fortbildung mir ganz viel Rüstzeug gegeben hat für die Arbeit im Trainingsraum. (F 23)

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- Viele unserer Kollegen, ja, und Schulleitung und so, die stempeln Eltern ab als beratungsresistent. Und das fordert mich grad raus also mit diesen ‘beratungsresistenten’ Leuten Kontakt aufzunehmen, und dann eben solche Fragen, also Provokation: Ah ja gut, da kann man eben nichts machen, dann beenden wir das Gespräch hiermit. Wo die dann eben plötzlich merken: Upps! Das wollen wir ja eigentlich gar nicht, ja, aber dieses Verstören. (C 28)

- Und da hab ich gemerkt, im Umgang mit diesem Schüler, mit dem ich seit der 7. Klasse, und nicht nur ich, andere auch, immer wieder aneinander gerate, dass ich eine Strategie, eine Fragestrategie entwickeln konnte, die ihm gut getan hat. (F 20)

- Ich habe jetzt in diesem Jahr gelernt, dass ich durch gezieltes Fragen stellen oder durch, ja, bestimmte Methoden die Schüler selber anrege, einen Rat für sich zu finden. Ja, und das ist für mich eigentlich für meinen Unterricht eine ziemliche Bereicherung. (J 2)

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- Ich hatte Ihnen auch mal erzählt, ich hab ja in der Psychiatrie553 da Leute kennen gelernt, die auch Probleme haben und da habe ich auch ausprobiert, wie weit komme ich und da bin ich z. B. bei einem Menschen mit der Wunderfrage unglaublich weit gekommen. Der geht jetzt seinen Weg. (C 28)

Auftrags- und Zielklärungen sowie Zielvereinbarungen werden mit der Möglichkeit, Verbindlichkeiten zu schaffen, betont:

- [Auftragsklärung: ] Verantwortung. Das war in dem Jahr für mich [...] das Schlüsselwort, um Beratungssituationen zu klären, also eine ganz klare Auftragsklärung zu machen, und eine ganz klare Verantwortungsdefinition, in Beratungsgesprächen oder bei Hilfeplänen festzulegen. (L 7)

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- Was mir auch sehr geholfen hat, das war[en] diese Auftragsklärungen. Ich hatte ja damals auch mal einen Fall gehabt mit einem Jungen, wo ich nicht so genau wusste, wie ich damit umgehen soll, der mir was mitgeteilt hat über seine Eltern und der so unglücklich war mit der ganzen Situation in der Schule und mit den Eltern. Und da hatten Sie mir im Vorfeld schon mal einen Zettel zu der Auftragsklärung mitgegeben, aber haben wir erst beim nächsten mal gemacht. Und das fand ich sehr hilfreich. (A 78)

- Ich übernehme selbst Verantwortung für mich und ich möchte, dass die Schüler das auch abbekommen. Und wenn die dann ankommen: Der und der hat mir jetzt gerade das und das, dann sage ich: Und wieso kommst du jetzt zu mir? Was willst du von mir? Was sollte ich jetzt, also ist praktisch ein Auftrag, der da erteilt wird. (C 25)

- [Zielklärung: ] Zum Schluss gibt es eine Endphase des Gesprächs, wo was bei rauskommen muss, also Zielformulierungen. (L 148)

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- [...] so was, fand ich sehr interessant und sehr hilfreich, einfach auch für mich, um mir selber darüber klar zu werden, wenn ich ein Gespräch führe mit Eltern, [...] was kann dann auch das Ziel sein, oder was ist da nicht möglich, außer die Rolle zu verändern. Also einfach ein bisschen mehr Transparenz zu haben. (A 4)

- [Zielvereinbarung: ] Das Wichtigste, [...] ist für mich, dass ich gelernt habe, wie das Gespräch auch immer verläuft, [...] ist im Endeffekt diese Zielvereinbarung. Das ist ganz wichtig, dass man Verbindlichkeiten bei allen Beteiligten schafft, [...] dass zumindest eine Absprache darüber besteht, wer welche Aufgabe hat, diese Verbindlichkeit am Ende eines Gesprächs. (L 18)

Einige Ausführungen zur Neutralität machen deutlich, dass es hier immer auch um hilfreiche Klärungen der Positionierung (vgl. Kap.18.2) geht:

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- Dass ich nicht voreingenommen bin gegenüber Klienten, wie sie da auch immer auftreten. Man hört ja dann schon von Klassenlehrern oft: Wenn die zum Beratungsgespräch kommen, dann musst du aufpassen, die sind soundsoundso. Dann sag ich: warte doch erst mal ab, die kommen zu mir in den Raum und dann gucken wir mal. (L 124)

- Jetzt im Förderschulbereich [...] kann ich nicht neutral sein [...] in einem Konfliktfall. Wenn ich ein Fehlverhalten eines Schülers beobachte, und das, meiner Meinung nach, falsch war, dann bin ich ja nicht mehr neutral, aber dabei richte ich nach allgemein geltenden gesellschaftlichen oder innerschulischen Regeln oder Gesetzen. (L 104-105)

- Ich muss sagen, ja, das ist was, was mir sehr schwer fällt, oder wo ich auch wenig Situationen für mich jetzt im Kopf habe, wo ich ganz neutral sein kann. Weil ich eigentlich auch immer ein Anliegen habe. Was ich rüber bringen möchte, und dann bin ich nicht mehr neutral. Sei es in der Beratungssituation mit einer Kollegin, wo ich ihr vielleicht auch nahe bringen möchte, was sie vielleicht umsetzten sollte in der Klasse, im Sinne des besseren Unterrichts für die Kinder. Oder der Vermeidung von irgendwelchen Lernschwierigkeiten. Sei es im Gespräch mit Eltern, wenn ich ihnen nahe bringen möchte, was für ihr Kind vielleicht sinnvoll wäre. - HF: Ist das verstärkt im förderpädagogischen Bereich? [...] - A: Das hat mit meiner Rolle speziell, glaube ich, zu tun, als Sprachheilpädagoge, weil das auch ganz konkret mein Arbeitsauftrag ist, in dem Sinne zu beraten, inhaltlich auch zu beraten. (A 35-36)

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Mit den von den Mitforschern genannten Bereichen liegen vier zentrale Aspekte systemisch-konstruktivistischen Arbeitens vor, die verstärkt in die Aufmerksamkeit geraten sind. Sie müssen im schulischen Rahmen allerdings immer auch die jeweiligen Kontexte und Funktionen mitberücksichtigen (vgl. Kap.22).

19.3 Selbsterläuterung

Mit dem Begriff der Selbsterläuterung ist gemeint, dass Pädagogen sich in diversen Kontexten mit eigener Position erklären und Gespräche so führen können müssen, dass eine durchaus angemessene, von Beziehungsangeboten getragene Konfrontation möglich ist. Hierfür wurde weiter oben das WIEF-Schema vorgestellt (Kap.10.6.2). Tatsächlich findet es einige Erwähnungen bei der Suche der Mitforscher nach schulischer und außerschulischer Alltagsrelevanz im Zusammenhang von Selbsterklärung.

- Ich erinnere mich an ein Beispiel: Das war das Gewieft-Schema. Das war, glaube ich, am Samstag hier in Gießen, und ich hatte an dem darauf folgenden Dienstag ein Gespräch mit Person-X vereinbart. Da ging es um Probleme an der Schule, Probleme zwischen ihm und mir, die schon eine ganze Zeit liefen. Und ich wusste, dieses Gespräch steht mir bevor, und ich habe an diesem ganzen Samstag [...] dieses ganze Gewieft-Schema aufgenommen und in Gedanken eigentlich direkt in dieses Gespräch umgesetzt und angewendet. Ich hab das Ganze an diesem Dienstag dann auch so durchgeführt und ich bin aus diesem Gespräch rausgegangen und hab gedacht: Das war das Beste, was du je gemacht hast oder so das beste Gespräch, das du je geführt hast, weil eigentlich meine Ziele alle, ja, erreicht wurden und trotzdem der Gegenüber das Gefühl hatte, jetzt bin ich mal nicht kritisiert worden, sondern das ist also auf einer Ebene gelaufen, dass man sagt, da ist jeder eigentlich zufrieden aus dem Gespräch herausgegangen. Und das führe ich ganz stark [zurück] auf, ja, das direkt vorher Erlernte, also auf diese Struktur, natürlich auch das Umsetzen der Struktur direkt in die Praxis: Was steht mir bevor? Und das sind solche Dinge, wo ich sage: Da ist mein Repertoire ganz klar erweitert worden, indem mir ein Werkzeug an die Hand gegeben worden ist, um mich selber auf solche Dinge vorzubereiten. (G 7)

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- das kann ich, glaub ich, gut auch auf die private Ebene übertragen, also auch gerade in Beziehungen. Zu gucken, wie kann ich da meinen Ärger mitteilen. (A 80)

- Aber in einem anderen Fall, wo das deutlich wird, ist, in einem Konflikt im Kirchenvorstand, wo es um Finanzen geht, die sie alle aufrührt, und wo ich die Aufgabe eines Sprachrohrs zugewiesen bekam und übernommen hab, und da ist mir aufgegangen, da bin ich jetzt mit diesem Gewieft-vorgehen dran gegangen, und als ich mir darüber klar war, was mich eigentlich da belastet, konnte ich de[r] Anderen, die es diffus auch belastet, die hat gesagt: Da müssen wir doch was machen, das können wir doch so nicht lassen, ne?, konnte ich [mich] auch klarer äußern und konnte es auf einem sachlicheren Weg mitnehmen, nicht auf diesem emotionalen (B 113) (vgl.a. A 78, E 97)

19.4 Sprache

Ziel einer systemisch-konstruktivistischen Weiterbildung für schulische Pädagogen ist auch ein bewussterer Einsatz von Sprache v.a. im Beratungsbereich im engeren Sinne. Es geht für diesen Verwendungsbereich um eine Bewusstheit der Konstruiertheit von Sprache, von Wirklichkeit und von Lernprozessen sowie um die Kenntnis von Entpathologisierungsmöglichkeiten. Im Beratungsbereich im engeren Sinne geht es außerdem um eine behutsamere, weniger etikettierende Sprache sowie um eine stärker hypothetisch-konjunktivistische, lösungs- und ressourcenorientierte und zukunftszugewandtere Sprache. Die Eingangsreflexion war so aufgebaut, dass beim abschließenden Interview im Zusammenhang mit der 7. Frage554 die Mitforscher

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entweder den damals geschilderten Konflikt aus der zeitlichen Distanz würden kritisch reflektieren können: dies machten einige, bezogen sich dabei aber weniger auf damals benutzte eigene sprachliche Formulierungen und eher auf methodische und Haltungsfragen; und/ oder

einen aktuellen Fall schildern könnten: hier hätten (falls vorhanden: deutliche) Unterschiede im Sprachgebrauch durch den Hauptforscher in einer gegenüberstellenden Auswertung von Eingangsreflexion und Fallschilderung im Abschlussinterview festgestellt und beschrieben werden können. Zu diesem Vorgehen kam es in den wenigsten Fällen. Und falls doch (es gibt Fallschilderungen an anderen Stellen des Interviews), ist es so, dass die Fallschilderungen in der Eingangsreflexion von den Mitforschern sehr kurz gehalten wurden, so dass angemessene wissenschaftliche Vergleiche schwierig sind.

Möglich wäre auch eine umfangreiche semantische Analyse des gesamten Textmaterials, die aber den Rahmen der Dissertation gesprengt hätte.

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Daher muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die im Vorfeld erstellten Thesen für den Bereich der Sprachverwendung nicht angemessen nachweisen lassen. Dies muss nicht nur die eben dargestellten quasi technisch-methodischen Gründe haben. Es kann auch sein, dass die Teilnehmer hier zu wenig aus der Fortbildung mitgenommen haben und alte Sprachmuster auch am Ende der Reihe immer noch zu dominant waren. Auch hatte ich in Kap. 16.9 von meiner teilnehmenden Beobachtung berichtet, dass dieser sprachliche Aspekte vielleicht nicht genügend Raum gegenüber dem Einüben von Methoden und Frageformen bekommen haben könnte (wenngleich die beiden Aspekte freilich miteinander verbunden sind).

In den Interviews ist im Allgemeinen weder eine besonders festschreibend und vergangenheitsorientierte noch eine eindeutig verflüssigende, zukunftsgewandte Sprache auffällig. Vielmehr lässt sich eher eine Durchmischung feststellen, wenngleich sich gerade in den Beispielen zum Ressourcenblick auf Schüler (Kap.18.4, S.529) eine vorhandene systemisch-konstruktivistische Haltung (und in Ansätzen: Sprache) aufzeigen lässt. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Mitforscher bei diesem Thema u.U. noch in Mischformen ‚auf dem Weg’ waren. Jedenfalls ermöglicht die Interview-Auswertung der Fortbildung es nicht, in ausreichendem Maße von einer deutlich wahrnehmbaren und daher plausiblen systemisch geprägten Veränderung der Sprachverwendung zu sprechen.555 Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass diese beraterischen Sprachformen verstärkt v.a. in Beratungssituationen im engeren Sinne zum Tragen kommen, die aber in Schule eher die Ausnahme sind.

19.5 systemisch-konstruktivistische Methodenvielfalt

Auch wenn das letzte Unterkapitel keine ausreichend plausible Bestätigung der dortigen Thesen zeitigte, so kann dennoch die Frage aufgeworfen werden, inwieweit sich spätestens zum Seminarende eine beginnende Verfügbarkeit vielfältiger Methoden und Gesprächsinstrumente für die schulischen ‚Beratungs’-Bereiche im weiteren Sinne und für die Einladung anderer zur Kooperation belegen lässt. Im Prinzip geht es um den Beginn eines Methodenrepertoires, das auch mit dem in Beraterkreisen üblichen, wenngleich eher unwissenschaftlichen Begriff des ‚Werkzeugkoffers’ beschrieben werden könnte. Solche Methoden ermöglichen es, stärker Bezug auf die Form statt auf den Inhalt zu nehmen. Tatsächlich lassen sich einige Belege hierfür finden:

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- Ich glaube, dass ich das jetzt damit umschreiben kann, dass ich [...] jetzt über Instrumente verfüge und über Denkweisen verfüge, die mir helfen, anders zu reagieren. (B 105)

- Und das denke ich ist ein hohes Ziel, ein hoher Anspruch, aber ich weiß, dass ich mit dem, was ich hier, ja an Handwerkszeug bekommen habe, dass ich mich damit gut auf den Weg machen kann. (F 28)

- Ich habe selber das Fach Reflexion im Unterricht und mit den Schülern reflektiere ich ihre Praxiserfahrungen, mit den Berufsschülern, Praktikum. Das heißt, sie bringen immer Problemsituationen mit, mit Kindern oder aber mit ihren Ausbildern, und da ist es für mich ganz gut, so verschiedene methodische Möglichkeiten zu haben, diese Sachen zu bearbeiten. Und zwar früher war es stärker so, dass ich der Berater war, das heißt, ich hatte einen Rat für sie. Und ich habe jetzt in diesem Jahr gelernt, dass ich durch gezieltes Fragenstellen oder durch, ja, bestimmte Methoden die Schüler selber anrege, einen Rat für sich zu finden. (J 2)

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- Eine Rückmeldung zum Beispiel war, dass ich noch nie mit Eltern Probleme hatte. [...] Irgendwo kann ich das anscheinend ganz gut [...] . Im Nachhinein, wenn man eben so im Seminar die verschiedenen Faktoren dann sieht, die eben so was ausmachen - Gesprächsführung; wie eröffnet man ein Gespräch – dann hab ich viele Dinge entdeckt, die ich eigentlich automatisch, instinktiv oder vielleicht auch erlernt, im Lauf des Lebens, keine Ahnung, richtig gemacht habe, und bin aber auch auf viele Punkte gestoßen, wo ich sage: Okay, dass ist natürlich noch mal ein ganz wichtiger Punkt, den kann man ganz gezielt einsetzen. Da ist also einiges, was, denk ich, in Ordnung war, verstärkt worden. (G 5)

- HF: [...] Daran würde ich merken, dass eine Fortbildungsreihe erfolgreich war: ‚Beratungsgespräche so zu führen, dass am Ende immer ein Fortschritt erkennbar ist’. Ist das erreicht? - L: Ja. Ist erreicht. - HF: Ja? - L: Wenn ich das Raster der kollegialen Beratung nehme und das anwende in der Praxis, ist das erreicht. Weil, mir ist klargeworden, [...] immer zum Schluss gibt es eine Endphase des Gesprächs, wo was bei rauskommen muss, also Zielformulierungen, oder, wie viel Prozent besser fühlst du dich jetzt oder so. Es geht darum, einfach den Klienten am Ende des Gesprächs noch mal persönlich zu fragen, oder auch irgendwo zu verpflichten, in Anführungsstrichen sage ich mal, ein Ergebnis zu formulieren. (HF-L 147 – L148

- Diese verschiedenen Methoden, also, die habe ich mir alle schön noch mal kopiert, rausgeholt aus diesem dicken Werk, was Sie uns gegeben haben und die habe ich so in meiner Unterrichtsmappe drin, dass ich immer mal so gucken kann: Was könnte man denn für das eine oder andere daraus nehmen? (J 2)

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- Und natürlich spielt [...] das Seminar eine große Rolle [...] darin, dass man natürlich Werkzeuge an die Hand bekommt, Methoden, Möglichkeiten, dass man Strukturen erkennt. (G 13) Und es sind natürlich auch Fähigkeiten dazu gekommen, die mir zum einen helfen, ja, Dinge anders zu strukturieren, besser zu sehen, wie sie wirklich sind, und da natürlich auch entsprechend gezielter zu handeln oder vielleicht auch gar nicht zu handeln. Also eben dieses Repertoire im Handeln ist besser geworden. (G 3)

Insgesamt lässt sich, allerdings mit Einschränkung der nicht ausreichend nachweisbaren sprachlichen Ausdifferenzierung im Sinne des Kap.19.4, festhalten, dass die Mitforscher im Bereich der Kommunikationsfähigkeit und –methoden nach Seminarende davon berichten, dass sie reflektierter auf alte und v.a. auch auf neue Kommunikations- und Beratungsmethoden aktiv zurückgreifen. Einige Teilnehmern berichten sogar von einer Vielfalt an Instrumenten, die nunmehr zur Verfügung stehen. Es wird allerdings auch noch später aufgezeigt werden, dass es auch Teilnehmer gab, die angesichts der Vielzahl an Mitteln und Methoden gegen Ende der Seminarreihe eher (noch) verwirrt schienen, wo also das weitere Ausprobieren in der Praxis weiter wichtig sein würde (vgl. Kap.24.3).


Fußnoten und Endnoten

551  Diese würde bspw. angemessenere bewusste und wertschätzende Beziehungsangebote beinhalten, wie soeben in Kap. 18 beschrieben und schon nachgewiesen. Aspekte der persönlichen Stimmigkeit von Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung werden in Kap.19.5 dargelegt.

552  Woran würden Sie in einem Jahr erkennen, dass diese Fortbildung für Sie erfolgreich war? (Fragebogen der Eingangsreflexion)

553  ehrenamtliche Arbeit in der Psychiatrie

554  ‚Schildern Sie bitte in Ihren Worten einen (möglichst aktuellen) schulischen Konfliktfall’ (vgl. Kap. 15.1).

555  Etwas deutlichere Ergebnisse in der qualitativen Untersuchung bei Jäpelt (2004a, 118f), allerdings dort auch ‚im Werden’.



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09.06.2008