17 systemische Interviews

▼ 578 (fortgesetzt)

Wie in Kap. 4.10.4 erläutert, ist das Ziel der systemischen Interviews die Überprüfung von vorab erstellten Thesen sowie die mögliche Ergänzung neuer Hypothesen.538 Um diese Ziele erreichen zu können, müssen die Interviews einen hohen Öffnungsgrad haben, unterliegen aber der Notwendigkeit, dass der Hauptforscher über Fragen ggf. führen können muss. Im Folgenden wird zunächst das Vorgehen im Zusammenhang mit den Interviews geschildert 17.1) und dann werden die generierten Auswertungskategorien vorgestellt (Kap. 17.2).

17.1 Vorgehen

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Den Teilnehmern wurde am Ende Veranstaltung kurz das wissenschaftliche und methodische Vorgehen der Dissertation539 vorgestellt mit kurzen Ausführungen zu einem systemisch-konstruktivistischen Wissenschaftsverständnis. Die Mitforscher wurden gefragt, ob sie zu einem abschließenden evaluierenden Interview bereit sein würden. Wie oben beschrieben, erklärten sich die meisten dazu bereit. Wie die im Anhang dokumentierten Statements der Mitforscher am Ende der Seminarreihe nachweisen, war es keinesfalls so, dass nur zufriedene Teilnehmer zum Interview bereit gewesen und die anderen mit ihrem Datenmaterial weggefallen wären. Im Gegenteil, gerade die vergleichsweise stärkste Kritikerin (d) war für ein Interview bereit, so dass das Datenmaterial als brauchbar gelten kann. Der Relevanz des Datenmaterials diente auch die Freiwilligkeit der Teilnehmer.

Die Interviews fanden (ab dem Folgetag nach Ende der Seminarreihe) innerhalb von weniger als drei Wochen, d.h. zeitnah statt. Es werden also keine Aussagen über die Wirksamkeit der Fortbildung nach einem längeren Zeitraum nach Beendigung der Reihe gemacht sondern über den Stand unmittelbar nach Ende der Durchführung der Seminarreihe und ein Jahr nach ihrem Beginn. Die Interviews fanden (bis auf bei einer Teilnehmerin540) in den Räumlichkeiten des Religionspädagogischen Amts (als häufiger Seminarort und Auftraggeber der Fortbildung) statt. Am letzten Seminartag wurden den Teilnehmern alle behandelten Punkte noch einmal, im Raum visualisiert, ausgehangen und Zeit gegeben, in Eigenreflexion darüber nachzusinnen, was sie aus dem Fortbildungsjahr mitnähmen.541 Einige Mitforscher hatten sich außerdem auf das Abschlussinterview so vorbereitet, dass sie ihre Eingangsreflexion und/ oder ihre Unterlagen noch einmal durchgegangen waren und/ oder sich Notizen gemacht hatten. Die Mitforscher wussten vorab, dass das Interview ihnen die Möglichkeit geben würde, sowohl frei zu sprechen bzw. zu berichten als auch sich auf die Eingangsreflexion zu beziehen – und zwar jeweils insb. mit Betrachtungen zu möglicherweise wahrgenommenen persönlichen Unterschiedsbildungen. Auch war bekannt, dass der Hauptforscher sie fragend begleiten würde. Der jeweilige konkrete Interviewablauf lag wesentlich in der Entscheidung der Teilnehmer, die sich möglichst wohl fühlen sollten.

Der Beginn des Interviews bestand in der Aufforderung an die Mitforscher, auf die Neutralität des Hauptforschers zu achten und ggf. sofort zurück zu melden, falls sie das Gefühl bekämen, der Hauptforscher wolle sie – bewusst oder unbewusst – manipulieren. Besonders wichtig war dies insb. bei der Teilnehmerin, die sich während der Seminartage wiederholt kritisch gegenüber einer manipulativen Gesprächsgestaltungsfähigkeit des Systemischen geäußert hatte (vgl. dazu den Beginn des Interviews mit Frau D im Anhang). Im weiteren Verlauf wurden, in der vom jeweiligen Interviewpartner gewünschten Reihenfolge, abgewechselt zwischen freiem Erzählen, Rekurs auf Aspekte der Eingangsreflexion und auf Statements am Ende der Seminarreihe im Plenum542 sowie Nachfragen des Hauptforschers.543 Die insgesamt 10 Interviews dauerten in etwa zwischen 50 und 90 Minuten. Von den insgesamt 13 Teilnehmern, die bis zum Ende der Seminarreihe regelmäßig anwesend waren (zu den anderen vgl. Kap.4.11), erklärten sich 11 zum Interview bereit. Ein Interview konnte wegen Ausfall des Hauptmikrophons auch nach Nachbehandlungen im professionellen Tonstudio leider nicht verwendet werden, da die Tonqualität zu schlecht war und blieb. Da der Ausstieg der anderen Personen entweder so früh geschah oder aus persönlichen Gründen erfolgte und da das weggefallene Interview von einer Teilnehmerin stammte, die viel aus der Fortbildung mitnahm (wie die Statements am Ende der Reihe verdeutlichen), gefährden diese Punkte nicht die Aussagekraft der Untersuchung, die ohnehin ‚nur’ auf Plausibilität abzielt. Die Bereitschaft zur Selbsterläuterung der Mitforscher wird in jedem Interview sichtbar.

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Die Transkription erfolgte nach dem den Interview-Aufnahmen entnehmbaren Wortlaut. Mehrere hintereinander stehende Fragezeichen (‚?????’) symbolisieren, dass eine Stelle beim Abhören bzw. der Transkription unklar blieb. Die ‚klassische’ Auslassungsklammer (‚[...]’) zeigt Kürzungen bei den Belegen an, die i.d.R. Streichungen aus Datenschutzgründen darstellen.544 Namen sind ebenfalls abgeändert (z.B. K 102)545. Die eckige Klammer (‚[ ]’) kennzeichnet kleine, sinngemäße Ergänzungen zur leichteren Lesbarkeit. Die Wiedergabe der Interviews im Anhang kennzeichnet 10-Minuten-Abstände, um ggf. entsprechende Abschnitte leichter in der Original-Tonaufnahme wiederfinden zu können. Bei den Belegstellen (ab Kp.18) können die gleichen Zitate aufgrund der unterschiedlichen Kategorien und entsprechender Überschneidungen u.U. mehrfach genannt werden. Im Interview kam es immer wieder dazu, dass der Hauptforscher Zusammenfassungen oder Wortvorschläge gab, die vom Interviewpartner bestätigt wurden. Diese habe ich dennoch i.d.R. nicht oder nur zögerlich in die Belege aufgenommen (z.B. HFB 103).

Die Abkürzungen bei den Belegstellen sind folgendermaßen zu lesen:

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Wichtig war mir auch, konstatierte Veränderungen, Bestätigungen oder Wegfall von Konstrukten mit Wirkungen der Fortbildung verknüpfen oder eben auch gerade nicht verbinden zu lassen. Nur wenn über die Beschreibungsebene hinaus die Mitforscher auf der Ebene von Erklärungen eine (teil)kausale Verbindung von Nicht/Veränderung mit der Fortbildungsreihe konstruieren, können über die Plausibilität der Wirksamkeit der Fortbildung Aussagen getroffen werden (bspw. E 24). Bewertungen ist ein eigenes kurzes Kapitel (24.3) gewidmet.

17.2 Auswertungskategorien der Interviews

Ziel der Dissertation ist es, anhand von Auswertungskategorien die vorhandenen Thesen überprüfen und ggf. neue generieren zu können. In den folgenden Kapiteln werden zu zentralen, ordnenden Leitbegriffen unter Berücksichtigung inhaltlicher, kontextueller und konzeptioneller Aspekte (Oser/Spychiger 2005, 192) wichtige Belegstellen aus den systemischen Interviews nach Beendigung der Seminarreihe aufgeführt. Aus der Beschreibung von (der Fortbildung zugeordneten) Nicht/Veränderungen durch die Mitforscher ist dann auf die Plausibilität von Aufrechterhaltbarkeit, Veränderungsbedürftigkeit oder Nichthaltbarkeit der vorab erstellten Arbeitshypothesen zu schließen. Außerdem ist anhand des Datenmaterials zu eruieren, ob weitere Thesen erstellt werden können.

Die Oberkategorien des „Auswertungsdesigns“ (König 2003,.94) ergeben sich durch die bisherigen Ausführungen im Rahmen dieser Dissertation. Nachdem zunächst aktuelle gesellschaftliche Veränderungen und institutionellen Rahmenbedingungen dargestellt wurden, wurden ab Kap.6 wichtige Aspekte und Implikationen systemisch-konstruktivistischer Bildung in und für Pädagogik in der staatlichen Schule in Deutschland heute ausgeführt, so dass in Kap. 12.2 zu stärkende Ressourcen- und Kompetenzfelder gekennzeichnet und in Kap. 13.1 konkrete inhaltliche Curriculumanforderungen ausgeführt werden konnten. Aus der Kombination dieser Punkte konnten insgesamt sechs zentrale Thesen (Kap. 14) erstellt werden, die in den folgenden Kapiteln überprüft werden sollen. Zentrale Begrifflichkeiten, die sich in den Thesen selbst finden oder für ihre Generierung herangezogen wurden, dienen nun auch der ordnenden Auswertung der Interviews. Die Unterkategorien der Auswertung ergeben sich sowohl (ebenfalls) durch die bisherigen Ausführungen im Rahmen dieser Dissertation als auch durch Nennungen der Teilnehmer bzw. durch die (Wiederaufnahme der) Selbstklärung der Mitforscher zu Beginn des Seminars.

▼ 582 

In Parallelität zu den Thesen werden in den Folgekapiteln wichtige Interview-Aussagen der Mitforscher zu folgenden Begriffen aufgeführt:

Kap i tel

Arbeitshypothese

Zentrale Begrif f lichkeit

Unterbegriffe

18

1

mehr und/oder bewusstere pädagogische Beziehungsgestaltungskompetenz

Beziehungsgestaltung

- Verantwortung

- Positionierung

- Meta-Ebene

- Wertschätzung

- Führung

- Konfliktbearbeitung

19

2

Einsatz systemisch-konstruktivistischer Methoden der Gesprächsführung und Kommunikation

Kommunikations-fähigkeit und methoden

- Selbstklärung

- Beratung

- Selbsterläuterung

- Sprache

- systemisch-konstruktivistische Methodenvielfalt

20

3

mehr bzw. bewusstere Distanzierungs- und Abgrenzungsmöglichkeiten

Distanzierungs-fähigkeit

- innere Distanzierungsfähigkeit

- aktive Grenzsetzung

21

4

schnelleren oder bewussteren Zugriff auf ihre eigenen Ressourcen

Ressourcenzugang

- Achtsamkeit für eigenes Wohlergehen

- Selbstvalidierung

22

5

vermehrt und/oder bewusster in Systemen und Umwelten denken

Systemblick

- systemischer Blick auf Schule

-Schulentwicklungsprozesse am eigenen Schulhaus

- systemisch-konstruktivistische Denkstruktur und Gesamtblick

23

6

mehr Gelassenheit

Gelassenheitsgefühl

- Gelassenheitsgefühl

- Sicherheitsgefühl und Selbstbewusstsein

In einem weiteren Kapitel wird der Vermutung546 nachgegangen, dass systemisch-konstruktivistisches Denken sich auch in privaten Kontexten auswirken kann. Außerdem werden weitere Punkte, die sich im Verlauf der Interviews ergaben, aufgeführt.

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Kap i tel

Arbeitshypothese

Zentrale Begrif f lichkeit

Unterbegriffe

24

weitere Auswertungs-kategorien

- Auswirkungen auf Aspekte des Privatlebens

- Kritik am systemisch-konstruktivistischen Ansatz

- weitere Erklärungen und Bewertungen der Mitforscher

In den nächsten Kapiteln werden also sechs zentralen Begrifflichkeiten Unterkategorien zugeordnet, deren Bedeutung sich im Wesentlichen aus den bisherigen Ausführungen der Doktorarbeit ergibt. Ggf. werden kurze Anmerkungen zu ihrer Bedeutung angeführt. Von den Mitforschern eingebrachte Kriterien finden sich sowohl in den Kapiteln zu den Arbeitshypothesen (18-23) wie auch im Kapitel 24 zu weiteren Auswertungskategorien. Einige Thesen werden von mehreren verschiedenen Äußerungen gestützt. In diesem Zusammenhang ist es methodisch wichtig, darauf zu achten, dass mehrere Äußerungen einer Person sich zunächst lediglich auf sie selber beziehen. Für die Überprüfung der Thesen ist mithin nicht nur darauf zu achten, wie viele Belege aufzeigbar sind, sondern auch, von welcher Intensität der Veränderung die Mitforscher berichten, wie sie diese mit der Fortbildungsreihe verknüpfen, wie sie diese bewerten und wie viele Nennungen unterschiedlicher Mitforscher ausgewiesen werden können.

Im Folgenden werden zentrale Stellungnahmen zur jeweiligen Auswertungskategorie bzw. Thema durch die Mitforscher aufgeführt. Auch wird bewertet, ob (bzw. inwieweit oder in welchen Teilbereichen) unter Plausibilitätsaspekten davon ausgegangen werden kann, dass die durchgeführte Fortbildungsreihe die entsprechende These eher unterstützt oder nicht. Kap.25 einer überblicksartigen Gesamtwürdigung der Thesen.


Fußnoten und Endnoten

538  Im genannten Kapitel sind die zentralen Grundlagen systemischen Interviewens dargestellt und begründet.

539  Dass ich über die Fortbildung ggf. eine Dissertation schreiben würde, wurde den potenziellen Teilnehmern bereits vorab bei der Info-Veranstaltung mitgeteilt.

540  Da diese Teilnehmerin Alleinerziehende mit einem behinderten Kind ist, fand das Interview mit ihr bei ihr zuhause statt. Gültigkeitseinschränkende Auswirkungen des Ortes auf das Interviewgeschehen waren nicht festzustellen.

541  Einen anschließender Austausch in Kleingruppen wollte die Gruppe nicht (vgl. Kap.16.5).

542  die ich als Hauptforscher knapp mitgeschrieben hatte

543  Insofern als Aspekte der Eingangsreflexion und des Statements am Ende der Seminarreihe im Plenum in den Abschlussinterviews wieder auftauchen, können sie in den Belegstellen ab Kap. 18 mit auftauchen.

544  Letztes gilt insb. für Konflikte, die mit Schulleitungen geschildert wurden. Der wissenschaftliche Preis für den Datenschutz besteht darin, dass Veränderungen im Konfliktverhalten gegenüber Schulleitungsmitgliedern keine eigene Auswertungskategorie ist, obwohl es hier wichtige Ergebnisse in Richtung höhere Selbstvalidierung, bessere Abgrenzungsfähigkeit und klareres Kommunikationsverhalten gab. Entsprechende Belegstellen könnten bei der Veröffentlichung ggf. auf konkrete Personen zurückzuführen sein. Da die Teilnehmer in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber ihren Schulleitungen stehen und in den Interviews teilweise sehr offen deutliche und klare Kritik äußern, muss hier der Schutz der Personen vor dem wissenschaftlichen Anspruch nach möglichst weitgehender Vollständigkeit der Auswertungskategorien gehen.

545  Zum Lesen der verwendeten Belegstellen (wie z.B. ‚K 102’) vgl. den nächsten Absatz.

546  Diese Vermutung wird in dieser Dissertation nicht explizit als vorab erstellte Arbeitshypothese verfolgt, da Veränderungen im Privatbereich nicht offizieller Teil des Seminars war und die Möglichkeit der Mitforscher, ihren Privatbereich abschirmen zu können, von mir als Hauptforscher als ein hohes Gut eingestuft wird. Das bedeutet nicht, dass ich nicht davon ausgehe, dass eine systemisch-konstruktivistische Weiterbildung für Lehrer nicht auch deren Privatleben beeinflussen kann, aber ich verzichte auf eine vertiefte Überprüfung dieses Punktes; er wird eher am Rande behandelt. Wie in Kap.24.1 zu sehen sein wird, gibt es durchaus deutliche Anhaltspunkte für die Plausibilität der Vermutung eines Bezuges zwischen Fortbildung und Privatleben.



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09.06.2008