1 Aufgabe der Hochschulen: Wissen vermitteln und Kompetenzen aufbauen

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Wissen gehört – neben Boden, Kapital und körperlicher Arbeit – inzwischen als Rohstoff zu den Produktionsfaktoren der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft. Jedoch ist Wissen das Ergebnis eines langen Prozesses (Hesse, 2000; Encarnação, Leithold & Reuter, 1999). Unsere Wissens- und Informationsgesellschaft kann ohne diesen fundamentalen Bestandteil nicht existieren und verlangt von jedem einzelnen Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, um in der selben bestehen zu können. Umfangreiches Wissen definiert unsere gesellschaftliche Stellung. Grundlage und Hauptaufgabe der Hochschulen ist die Vermittlung von Wissen und verschiedener Kompetenzen, um den Grundstein für ein lebenslanges Lernen zu legen. Wissen und Kompetenzen sollen daher in diesem Kapitel aus pädagogischer Sicht, aber auch aus Unternehmenssicht genauer betrachtet werden, um darzustellen, was Unternehmen von Hochschulabsolventen erwarten.

1.1 Daten, Information und Wissen

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Deutsche Hochschulen bieten insgesamt 114 pädagogische Studiengänge an, in denen Studierende lernen können, wie Wissen in den verschiedensten Fachgebieten1 vermittelt wird. Somit ist es erstaunlich, dass moderne pädagogische Lexika selten den Begriff Wissen führen (Steindorf, 2000, S. 28). Beispielsweise taucht in der Enzyklopädie der Kognitionswissenschaften (Wilson & Keil, 1999) der Begriff „knowledge“ eigenständig gar nicht auf. Er lässt sich nur in Zusammenhang mit „knowledge acquisition“, „knowledge based systems“, „knowledge compilation“ oder „knowledge representation“ finden (Pook, 2003).

Bis heute gibt es nicht d i e Definition des Wortes Wissen, und das hängt auch damit zusammen, dass es zwischen „dem damit zusammenhängenden Begriff ‚Information‘ keine eindeutige Abgrenzung gibt – die Übergänge sind fließend“ (Heck, 2002, S. 2). Der Begriff Wissen steht in engem Zusammenhang mit den Begriffen Daten und Information. Daten sind objektive, nicht interpretierte Fakten und bestehen aus Zeichen, die nach bestimmten Regeln zusammengesetzt werden. Dies können Zahlen, Buchstaben oder Zeichenketten sein. Eine Information entsteht erst, wenn Daten bedeutungsvoll miteinander verknüpft werden und eine in sich geschlossene Einheit bilden, beispielsweise:

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„Die Fußgängerampel kann rot oder grün anzeigen.“ (Heck, 2002, S. 2)

Wissen als germanisches Stammwort meint in der Urbedeutung „gesehen, erkannt haben“. Der Begriff ist also schon allein vom Stammwort her mehr als eine Ansammlung von Daten und Informationen (Steindorf, 2000). Erst eine individuelle Bewertung und bedeutungsvolle Vernetzung von Daten macht Information zum Wissen:

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„Wissen, Ergebnis eines Erkenntnisprozesses, in dem subjektive und objektive Fakten und Schlussfolgerungen zu Überzeugungen über Ereignisse, Gegenstände und Beziehungen zwischen Gegenständen verarbeitet werden.“ (Faktum Lexikoninstitut, 1995, S. 524)

Durch kognitive Prozesse werden Informationen in kognitive Schemata integriert und zu Wissen verarbeitet (Siebert, 2003). Informationen bilden ein „Netz aus Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die jemand zum Lösen einer Aufgabe einsetzt“ (Herbst, 2000, S. 9). Zurück zum Ampelbeispiel (vgl. Heck, 2002, S. 3):

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„Die Fußgängerampel kann rot oder grün anzeigen.

Bei Rot musst du steh´n, bei Grün darfst du geh´n.

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In diesem Moment ist die Fußgängerampel rot.“

Nur wenn die drei für sich stehenden Informationen vernetzt werden, weiß der Fußgänger „Die Ampel ist rot, also stehen bleiben“ und kann dementsprechend reagieren bzw. handeln.

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Die Begriffsdefinition und -unterscheidung von Information und Wissen gestaltet sich nicht so einfach. North (2002) definiert Wissen als eine Stufe in einer „Wissenstreppe“. In aufsteigender Reihenfolge ordnet er folgende Stufen an: Zeichen, Daten, Informationen, Wissen, Können, Handeln, Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit. Die Stufen bauen aufeinander auf und dabei ist eine niedrigere Stufe die Voraussetzung nicht nur für die nächst höhere, sondern für alle folgenden.

Abbildung 1-1: Wissenstreppe nach North (2002)

Aamondt und Nygård (1995) sehen Wissen nicht als Folgestufe von Information sondern bezeichnen Wissen als interpretierte Symbolstrukturen innerhalb eines Entscheidungspr o zesses und Informationen als interpretierte Symbole und Zeichen (siehe Abbildung 1-2 ).

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Abbildung 1-2: Daten, Informationen und Wissen, Modell von Aamodt & Nygård (1995, S. 198)

Der Prozess der Interpretation bettet die neu aufgenommenen Informationen in bereits vorhandenem Wissen ein, wodurch erst wieder Wissen entsteht (siehe gepunkteter Pfeil). Ohne (Vor-)Wissen ist es nicht möglich, aus Informationen Wissen zu generieren. Den Prozess der Neu-Generation und Integration von Wissen fassen Aamodt und Nygård unter dem Oberbegriff Lernen zusammen. Werden aus Informationen mit Hilfe von Wissen neue Informationen abgeleitet, sprechen sie von Elaboration (siehe gestrichelter Pfeil). Somit sind Informationen auf Wissen basierte Daten. Wissen entsteht in und aus der Interpretation von Informationen im Handlungskontext (Aamodt & Nygård, 1995).

Durch die Entstehung und Anwendung im Kopf ist Wissen direkt an eine Person gebunden (Probst et al., 1998). Personen wissen, Maschinen wissen nicht, sie liefern Daten und Informationen. Thissen beschreibt Wissen folgendermaßen:

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„Wissen ist also kein Objekt, das erworben werden kann, es ist kein Stoff, den man abspeichert, sondern es ist ein permanentes Konstruieren einer kognitiven Landkarte (cognitive map) über die Welt und die Dinge durch ein Individuum. Es gibt also kein Wissen in der Welt, z. B. in Büchern oder im Internet – dort gibt es nur Daten. Wissen ist immer in den Köpfen der Menschen, ist flüchtig, ist vernetzt.“ (Thissen, 2003, S. 266)2

1.2 Wissensformen

In der Literatur über das Lernen und die Lernpsychologie sind viele verschiedene Formen von Wissen zu finden. Man begegnet Begriffen wie allgemeines und fachspezifisches Wissen, anschauliches und abstraktes Wissen, formales und informales Wissen, deklaratives und prozedurales Wissen, konzeptuelles und prozedurales Wissen, erarbeitetes und kompiliertes Wissen, unstrukturiertes und (stark) strukturiertes Wissen, stilles oder träges Wissen, strategisches Wissen, Wissenserwerb, Situationswissen und Metawissen 3.

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„Wissen über Sachverhalte, Wissen, das psychomotorischen und kognitiven Fertigkeiten zu Grunde liegt, Wissen über Strategien zur Bewältigung von Problemsituationen sowie metakognitives Wissen, das die Reflexion über das eigene Wissen und über die eigenen Handlungen steuert.“ (Mandl, Friedrich & Hron, 1994, S. 145)

1.2.1 Wissen über Sachverhalte

In der Kognitionspsychologie wird Wissen über Sachverhalte als deklaratives Wissen bezeichnet (knowing what) und beinhaltet das Wissen einzelner Fakten, Sachverhalte und Dinge, kurz Faktenwissen. Dabei sind Fakten beispielsweise Namen, Gegenstände, Definitionen oder das Einmaleins, das in der Grundschule gelehrt wird.

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„In der Schule wird derartiges Wissen häufig als Faktenwissen bezeichnet. Man müsste hinzufügen: blindes, additives, daher wenig sinnvolles Faktenwissen. Denn Sinn ergibt sich […] aus Sachbeziehungen und aus Einbettungen, die eine Struktur auf ihre Spitze hin aufbauen. Darum ist es langweilig, solches Wissen zu lernen, und man vergisst es auch leicht.“ (Aebli, 1981, S. 240)

Das Faktenwissen stellt eine fundamentale Basis bereit, auf die weiteres Wissen aufgebaut werden kann. Dieses Wissen, das auch als statisches Wissen bezeichnet wird, können wir kommunizieren und sind uns über dessen Existenz bewusst. Somit liegt es im Gedächtnis explizit vor (Anderson, 2001; Baumgartner & Payr, 1994; Holzinger, 2000).

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Obwohl dieses Wissen statisch vorliegt, kann es korrigiert werden. Haben wir zum Beispiel gelernt, ein Mensch habe 28 Wirbel, können wir diesen Fehler durch die korrekte Zahl 29 korrigieren. Die falsche Annahme wird jedoch nicht umgehend gelöscht. Es kann sein, dass wir uns in einem Monat noch daran erinnern können, einmal angenommen zu haben, der Mensch habe nur 28 Wirbel (Holzinger, 2000, S. 63).

Die Wissenseinheiten des deklarativen Wissens sind nicht zeitlich, sondern konzeptuell verbunden und organisiert. Anderson (2001) spricht hier von konzeptuellem Wissen. Erst vernetzte Systeme bilden in der Kognitionspsychologie die Grundlage für jede Gedächtnis-leistung (Holzinger, 2000; Ballstaedt, 1997). So bilden wir Kategorien von Erfahrungen und merken uns deren Merkmale und Kennzeichen. Diese Kategorien, beispielsweise Strauß, Lachs, Kanarienvogel usw., sind hierarchisch geordnet. So zählen Kanarienvogel und Strauß zu den Vögeln und der Lachs zu den Fischen (siehe Abbildung 1-3 ).

Abbildung 1-3: Semantisches Netzwerk (Collins & Quillian, 1986 nach Anderson, 2001, S. 154)

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Anderson (2001) beschreibt für die Repräsentation von konzeptuellem Wissen die Theorie der semantischen Netzwerke und die der Schemata, die beide eng miteinander verwandt sind. In einem semantischen Netzwerk stellen die Knoten die Objekte dar und die Kanten beschreiben die Relationen zwischen den Objekten (Nebendahl, 1990). Nach Reimer (1991) werden zwei Knoten mit unterschiedlicher Beschriftung als verschieden angesehen und es treten keine zwei Knoten mit gleicher Beschriftung auf. Semantische Netzwerke geben einen Überblick über Zusammenhänge und Abhängigkeiten eines Wissensgebiets. Die in den Kanten genannten Relationen „müssen außerhalb des Netzes formuliert werden“ (Nebendahl, 1990, S. 59). Beispielsweise findet man die Relation „ein Strauß ist kleiner als ein Kanarienvogel“ nicht im semantischen Netzwerk (vgl. ebd., S 62).

Schemata repräsentieren in Kategorien gespeichertes Wissen in Form einer Struktur von Leerstellen, die man auch als Slots bezeichnet (Anderson, 2001). Beispielsweise kann für den Begriff „Lehrer“ folgendes Schema aufgestellt werden (nach Kluwe, 1992):

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In diesem Beispiel werden die Begriffe Kategorie, Einkommen, Funktion etc. als Slots bezeichnet, deren Ausprägungen (BERUF, 1.500-3.500 Euro, WISSENSVERMITTLUNG etc.) als Default-Werte. Die Default-Werte können nur bestimmte Werte eines Wertebereichs annehmen. Schemata repräsentieren keine bestimmten Lehrer, sondern die Gruppe „Lehrer“ im Allgemeinen. Spezifische Informationen, wie beispielsweise, dass ein bestimmter Lehrer in Frankfurt an der Schillerschule arbeitet, bilden sogenannten Propositionen ab.

Schemata können im Gegensatz zu semantischen Netzen mehr als nur Eigenschaften von Begriffen speichern. Sie repräsentieren über Begriffsmerkmale hinaus komplexe Wissens- oder Ereignisstrukturen, z. B. ESSEN-GEHEN. Diese Ereignisschemata werden auch Skripte genannt, die den typischen Ablauf von Ereignissen repräsentieren (Sommerfeld, 1994). Das Ereignis ESSEN-GEHEN lässt sich in Teilereignisse untergliedern: Eintreffen – Bestellung – Essen – Zahlen – Gehen (vgl. Anderson, 2001).

Schematheoretische Konzepte haben sich im Bereich der Wissensrepräsentation weit verbreitet. Lenk nimmt sogar an, dass „alles Erkennen von Situationen, alles Wissen, das wir in bestimmten Zusammenhängen und Momenten anwenden“ in Schemata strukturiert ist (Lenk, 2001, S. 28).

1.2.2 Fertigkeiten

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In Abgrenzung zum Wissen über Sachverhalte wird das Ausführen von Fertigkeiten gesehen, welches die Kognitionspsychologen auch als prozedurales Wissen oder know-how bezeichnen (Anderson, 2001; Holzinger, 2001; Mandl, Friedrich & Hron, 1994). Das prozedurale Wissen bezeichnet erlernte kognitive und psychomotorische Fertigkeiten. Kognitive Fertigkeiten beziehen sich auf „rein mentale Prozesse“, beispielsweise das Lösen von Rechenaufgaben; psychomotorische Fertigkeiten hingegen umfassen die Ausbildung von Muskeln „sowie periphere und zentralnervöse Aspekte“, beispielsweise das Fahrradfahren (Mandl, Friedrich & Hron, 1994, S. 173).

Diese Fertigkeiten werden auch als Prozedur bezeichnet. Prozeduren werden als Handlungsanweisungen verstanden, die durch eine bestimmte Abfolge von Aktionen definiert sind.

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„Der Ursprung prozeduralen Wissens liegt in Prozessen des Problemlösens. Beim Problemlösen wird ein Ziel in Teilziele zerlegt, für die der Problemlösende Operatoren besitzt.“
(Anderson, 2001, S. 243)

Anderson charakterisiert die prozedurale Vorgehensweise mit drei Merkmalen:

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Einen Operator bezeichnet man in diesem Kontext als eine „Handlung, die den vorliegenden Problemzustand in einen anderen Problemzustand transformiert“ (Anderson, 2001, S. 242). Ein Beispiel für die Anwendung von prozeduralen Wissen ist die schriftliche Multiplikation von 15 x 25:

Abbildung 1-4: Beispiel einer schriftliche Multiplikation

Dabei ist die

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Voraussetzung für die Problemlösung ist das Faktenwissen (deklaratives Wissen). Das Problem kann nicht gelöst werden, wenn das Faktenwissen, dass 5 x 5 = 25 ist, nicht vorliegt (Baumgartner & Payr, 1994).

Wissen und Können

Prozedurales Wissen steuert eine Handlung in der Regel automatisch und ist oft nicht bewusst. Je stärker eine erlernte kognitive oder psychomotorische Fertigkeit eingeübt ist, desto mehr entzieht sie sich dem bewussten Zugang. Daher unterscheidet die Kognitionspsychologie zusätzlich zwischen Können und Wissen, wobei Können (coping behaviour) als eine „Bewältigung von Anforderungen (auch bei Änderung von Rand- und Anfangsbedingungen) verstanden“ wird (Holzinger, 2000, S. 57). Wir können beispielsweise Radfahren, können jedoch nicht genau sagen, was wir dabei tun. Oder beim Sprechen werden viele Regeln unbewusst oder unbekannterweise angewandt. So bilden Verben auf „-ieren“ das Partizip Perfekt ohne Präfix „ge“: ich habe meinen Schlüssel verloren (nicht ge-verloren) und heute wieder gefunden. Nicht jeder kennt oder weiß um die Existenz dieser Regel. Dies ist auch nicht notwendig, um richtiges Deutsch zu sprechen (Spitzer, 2002). Wir haben solche Anwendungen und Regeln gelernt, wissen sie meist aber nicht. Können ist somit eine praktische Handlungskompetenz von Menschen, die dadurch gekennzeichnet ist, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer Situation angemessen anzuwenden, um dabei bestimmte Intentionen oder Interessen zu verwirklichen. Im Vergleich zu unserem Können ist unser Wissen sehr gering (ebd.). Mehr als 90 Prozent dessen, was unser Gehirn speichert, ist uns nicht bewusst. Es gibt viele vorhandene Kompetenzen, die wir in den unterschiedlichsten Lebensbereichen anwenden, jedoch Schwierigkeiten haben, diese zu kommunizieren. Einen Wissensbestand, den wir nicht bewusst reproduzieren können, bezeichnet die Psychologie als impliziten Gedächtnisinhalt. (Holzinger, 2000; Anderson, 2001).

1.2.3 Strategiewissen

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Das Strategiewissen greift auf Problemlöseprozesse zurück und hilft Lösungswege zu finden. Beim Problemlösen werden mentale Operationen angewandt und verfügbares Sachwissen wird aktiviert, welches für den situationsspezifischen Einsatz neuartig verknüpft wird. Die Fertigkeiten des Problemlösens werden als Strategien oder auch Heuristiken bezeichnet. Heuristiken führen im Gegensatz zu Algorithmen nicht zwingend zu einer Lösung, sondern liefern eine „lediglich“ akzeptable Lösung (vgl. Mandl, Friedrich und Hron, 1994). Folgendes Beispiel soll den Unterschied erläutern (vgl. Dörner, 1976):

Einen Algorithmus für die Flughafenkontrolle zu verwenden, wäre nicht möglich. Daher wird diese Heuristik angewandt, was (wie die Vergangenheit gezeigt hat) zu Problemen führen kann (vgl. Mandl, Friedrich und Hron, 1994; Holzinger, 2000).

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Die Kognitionspsychologie unterscheidet zwischen allgemeinen und inhaltsspezifischen Problemlösestrategien. Allgemeine Problemlösestrategien können auf unterschiedlichste Probleme angewandt werden, beispielsweise die Strategie, Probleme in Unterprobleme zu zerlegen. Inhaltsspezifische Problemlösestrategien beschränken sich auf Probleme eines Wissensbereiches, wie beispielsweise die spezifische Methode zur Fehlereingrenzung bei elektronischen Schaltungen (Mandl, Friedrich und Hron, 1994).

Nach Dörner (1976) liegt ein Problem dann vor, wenn

  1. ein unerwünschter Anfangszustand vorliegt,
  2. ein erwünschter Zielzustand erreicht werden soll und
  3. eine Barriere das Erlangen vom Anfangszustand in den Zielzustand verhindert (vgl. Mandl, Friedrich und Hron, 1994; Holzinger, 2000).

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Der Anfangs- und der Zielzustand ergeben die Größe des Problemraums. Der Problemlösende durchläuft Schritt für Schritt den Zwischenraum von Anfangs- und Zielzustand an Hand von Pfaden, die eine mögliche Abfolge von Operationen repräsentieren. Schritt für Schritt nähert sich der Problemlösende dem Zielzustand, indem er den Problemraum absucht (Anderson, 2001). Im Problemraum existiert eine Menge von Zuständen. Mit Hilfe von Operatoren werden verschiedene Zustände erreicht.

Problemlöseoperatoren erwerben wir nach Anderson (2001) auf mindestens drei Arten:

  1. durch Entdecken
    Indem wir eine Software ausprobieren, entdecken wir, wie sie funktioniert.
  2. durch Instruktion
    Eine andere Person gibt uns Instruktionen (eine spezifisch menschliche Leistung).
  3. durch Analogiebildung
    Wir ahmen Problemlöseoperationen nach („nachäffen“). Übertragen wir die Lösung eines Problems auf ein anderes, dann sprechen wir vom Prozess der Analogiebildung (Anderson, 2001).

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Um „den situationsangemessenen und flexiblen Einsatz der verfügbaren Strategien regulieren“ zu können, müssen wir über Metawissen und Steuerungs- und Kontrollprozesse verfügen (Mandl, Friedrich und Hron, 1994, S. 209).

1.2.4 Metawissen

Metawissen ist das „Wissen über die eigenen kognitiven Prozesse und deren Bedingungen“ (ebd., S. 210); das bedeutet, es beschreibt das Wissen über unser Wissen. Im Lernprozess muss der Lernende oft sich selbst über die Schulter schauen, d. h. er muss seinen Lernprozess steuern. Von einer Metaebene aus plant, verfolgt, kommentiert und bewertet der Lernende seine Lernschritte. Somit kann es auch als Wissen höherer Ordnung und als Wissen über das Wissen bezeichnet werden (Holzinger, 2000, S. 55). Aebli spricht vom psychologischen Wissen:

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„Es ist nichts anderes als das Wissen über psychologische Prozesse, also psychologisches Wissen.“ (Aebli, 1997, S. 186).

Es ist ein Wissen über unseren idealen Lernprozess, mit seinen Qualitäten und Schwächen; ein Wissen über Selbststeuerung, Selbstkontrolle, Selbstmotivation und Handlungsorientierung.

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„Metawissen wird damit als entscheidender Faktor, gar als Joker dafür angesehen, trotz begrenzter kognitiver Kapazitäten erfolgreich adäquates Wissen aufzubauen und zur richtigen Zeit verfügbar zu haben.“ (Hesse, 2000, S. 3)

Favell und Mitarbeiter differenzieren zwischen metakognitivem Wissen (metacognitive knowledge) und metakognitiven Empfindungen (metacognitive experience). Im metakognitiven Wissen unterscheiden sie drei Bereiche: das Wissen über die Person, Aufgaben und über kognitive Strategien (vgl. Mandl, Friedrich & Hron, 1994, S. 211 f.):

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Metakognitive Empfindungen sind physische oder psychische Empfindungen. Sie treten in Verbindung mit kognitiven Aktivitäten auf, bspw. wenn man den Eindruck hat, „etwas sei schwer wahrzunehmen, zu verstehen oder zu erinnern“ (ebd.).

Der Ansatz von Favell wird durch Brown mit metakognitiven Kontrollprozessen ergänzt. Dies sind Prozesse, die kognitive Aktivitäten steuern und ausführen. Sie beziehen sich auf die metakognitive Steuerung wie Planung, Regulierung und Bewertung der Bearbeitungsaktivitäten und auf die Selbstkontrolle (ebd.). Nach Kaiser und Kaiser (1999) ist die Metakognition ein Schlüsselbegriff im Problemlösen.

1.3 Kompetenz

Neben dem im Studium erworbenem Fachwissen verlangen Unternehmen von Absolventen zunehmend andere Fähigkeiten. Dazu gehören nach Grass Lernfähigkeit, Teamfähigkeit, Interdisziplinarität, ganzheitliches Denken, Kreativität, Internationalität und Praxisbezug. Summarisch wird das oft als Schlüsselkompetenz bezeichnet.

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„Die überwiegende Vermittlung von Fachkompetenzen reicht – und dies gilt nicht nur in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studiengängen – in der Hochschulausbildung nicht mehr aus: Andere Kompetenzbereiche müssen vermittelt und eingeübt werden.
(Grass, 1998, S. 3)

1.3.1 Kompetenzbegriff

Kompetenz (lat. competere = zu etwas fähig sein) bezeichnet in der Psychologie die Fähigkeit und im juristischen Sinne die Zuständigkeit, Aufgaben selbstständig durchzuführen (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003). Die Kommunikationswissenschaft definiert mit Chomsky (1962) den Begriff Kompetenz als die Kenntnis der Sprache, über die Sprecher und Hörer intuitiv verfügen (Huber, 2004). Kompetent ist derjenige, der mit Hilfe einer begrenzten Anzahl von Kommunikationsregeln und Grundelementen unendlich viele neue Sätze bilden und verstehen kann „sowie einer potentiell unendlichen Menge von Ausdruckselementen eine ebenso potenziell unendliche Menge von Bedeutungen“ zuordnen kann (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003, S. X). White führt 1959 den Kompetenzbegriff in die Motivationspsychologie ein. Nach White beschreibt der Begriff Kompetenz das Ergebnis von Entwicklungen grundlegender Fähigkeiten, die nicht angeboren, sondern vom Individuum selbstorganisiert hervorgebracht werden (vgl. Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Huber, 2004).

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Das Wort Kompetenz ist ein Sammelbegriff für „Wissen, Fähigkeiten, Motivation, Interesse, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und anderen Merkmalen, die eine Person für eine erfolgreiche Bewältigung ihrer Aufgaben benötigt“ (Sonntag & Schmidt-Rathjens, 2004). Nach Erpenbeck und von Rosenstiel (2003, S. X) sind Kompetenzen „Dispositionen selbstorganisierten Handelns, sind Selbstorganisationsdispositionen“. Die wichtigsten Bausteine der Kompetenzen sind Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Kenntnisse beinhalten erworbenes Wissen. Fähigkeiten werden nach Kirchhöfer (2004, S. 61) „alle angeborenen und erworbenen psychischen Bedingungen […], die zur Erlangung einer Leistung notwendig sind“. Fertigkeiten umfassen motorische Routinetätigkeiten und kognitive Tätigkeiten (bspw. Multiplizieren, Auswendiglernen). Fertigkeiten unterliegen einer geringen Bewusstseinskontrolle und basieren auf „durch Übung automatisierte Komponenten“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003, S. XXVIII).

1.3.2 Kompetenzklassen

Führungskompetenz, Lernkompetenz, interkulturelle Kompetenz, Medienkompetenz, ökonomische Kompetenz, Personalkompetenz, physische Kompetenz – es existiert eine Vielzahl von Kompetenzen, so dass man um eine Strukturierung in Kategorien und Klassen nicht umhin kommt. Drei Klassen lassen sich in der Literatur immer wieder finden: Fachkompetenz, Methodenkompetenz und Sozialkompetenz. Nach Grass (1998) müssen Hochschulabsolventen neben Fachkompetenz auch Methoden- und Sozialkompetenz besitzen, um die aktuellen Aufgabenstellungen in den Unternehmen lösen zu können. Ohne diese drei Kompetenzen können Probleme in Unternehmen nicht gelöst werden und damit stellt die Problemlösekompetenz die Querschnittsfunktion der drei Basiskompetenzen dar (siehe Abbildung 1 5).

Abbildung 1-5: Kompetenzbereiche (nach Faix, 1994, S. 202)

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Auch Erpenbeck und Rosenstiel (2003) gehen von der Problemlösung als Ziel aus.

„Problemlösungsprozesse gehören heute zu den strategisch wichtigsten Prozessen in Unternehmen, Organisationen und darüber hinaus.“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003, S. XIII)

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Sie unterscheiden zunächst zwischen zwei Kompetenztypen auf Grund zweier verschiedener Lösungsstrategien von Problemen: Gradientenstrategien (Selbststeuerungsstrategien) und Evolutionsstrategien (Selbstorganisationsstrategien).

Die Gradientenstrategie geht bei der Suche nach der Problemlösung davon aus, dass es genau ein Optimum gibt und genau einen schnellsten Weg zum Erlangen des Optimums. Dabei ist die Zielfunktion bekannt, jedoch möglicherweise schlecht oder unscharf definiert. Der Lösungssuchende befindet sich auf einem Feld und misst die Höhen der benachbarten Felder. Anschließend bewegt er sich in Richtung des Feldes, dessen Höhe das Maximum aller gemessener Felder ist; die Lösungsnähe nimmt zu, die Unsicherheit ab. Erpenbeck und von Rosenstiel sprechen von einer Selbststeuerungsstrategie, da der Problemsuchende direkt auf das bekannte, jedoch noch schlecht oder unscharf definierte Ziel selbst zusteuert. Die Evaluationsstrategie schließt mehrdeutige Lösungen bzw. Zielfunktionen mit mehreren Optima ein. Der Lösungssuchende befindet sich auf einem Feld und misst die Höhe dieses Feldes. Danach bewegt er sich in eine beliebige selbst gewählte Richtung und misst ebenfalls die Höhe des Feldes. Wenn dieses Feld höher liegt als das vorherige, geht er in eine zufällige Richtung, aber nicht zurück. Liegt dieses Feld nicht höher, geht er zurück ins Ausgangsfeld (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2003; Rechenberg, 1973).

Abbildung 1-6: Evolutionsstrategie (links) und Gradientenstrategie (rechts) im Vergleich4

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Um die unterschiedlichen Suchstrategien zur Problemlösung anwenden zu können, müssen unterschiedliche Menschen über bestimmte Kompetenzen (Dispositionen) verfügen. Dazu gehören nach Erpenbeck und von Rosenstiel die personalen Kompetenzen, die aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen, die fachlich-methodischen Kompetenzen und die sozial-kommunikativen Kompetenzen.

Nach Erpenbeck und von Rosenstiel (2003) stehen die fachlichen und methodischen Kenntnisse im Zentrum des selbstgesteuerten Problemlösens und dominieren damit die soziale Kompetenz. Um einen bestimmten bekannten Zielzustand zu erreichen, stören persönliche Eigenschaften wie Phantasie und Kontaktstärke, während für Selbstorganisationsstrategien personale, aktivitätsbezogene und fachlich-kommunikative Kompetenzen von zentraler Bedeutung sind, um unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten bewerten und Ziele setzen zu können.

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Der Begriff Kompetenz dient heute als Maßstab oder Kriterium, um Menschen miteinander zu vergleichen, zu bewerten oder auszuwählen. Die jeweiligen Personen werden in fähig oder unfähig, kompetent oder inkompetent eingestuft (Huber, 2004). Stellenanzeigen und Berufsbeschreibungen enthalten den Begriff und umfassen die Erwartungen an einen Bewerbenden. Somit stellen die oft auch als Schlüsselkompetenzen bezeichneten personalen Kompetenzen, aktivitäts- und umsetzungsorientierten Kompetenzen, sozial-kommunikativen Kompetenzen zusammen mit den fachlich-methodischen Kompetenzen Orientierungsmarken für ein umfassendes Bildungsprogramm in gestuften und modularisierten Studiengängen dar (Wildt, 2006).


Fußnoten und Endnoten

1  Siehe studieren.de (2006). Listen Fachbereiche > Lehramtstudiengänge. <http://www.studieren.de/fachbereiche.asp?ws=8&method=stud>, letzter Zugriff am 29.07.2006.

2  Thissen verwendet hier für Wissen den Begriff „Stoff“, der in diesem Zusammenhang nicht mit dem Rohstoff aus dem Zitat „Wissen ist ein Rohstoff und das Ergebnis eines langen Prozesses“ (Encarnação, Leithold & Reuter, 1999, S. 264) gleichzusetzen ist.

3  „Among examples encountered are generic (or general) and domain specific knowledge, concrete and abstract knowledge, formal and informal knowledge, declarative and proceduralized knowledge, conceptual and procedural knowledge, elaborated and compiled knowledge, unstructured and (highly) structured knowledge, tacit or inert knowledge, strategic knowledge, knowledge acquisition knowledge, situated knowledge, and metaknowledge.“
(de Jong & Ferguson-Hessler, 1996, S. 105)

4  Die beiden Grafiken wurden von Prof. Ingo Rechenberg, Institut Bionik der Technischen Universität Berlin, für ein Vorlesungsskript erstellt.



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18.03.2008