Purg , Peter: Körper im elektronischen Raum. Modelle für Menschen und interaktive Systeme

1.3 SCHNITTSTELLENKÖRPER - INTERAKTIONSRÄUME

Hauptsächlich wegen ihrer rasanten Entwicklung und Bedeutung, sowohl für die menschliche als auch für die maschinelle Kommunikation, werden Computer als neue Medien par excellence mit technisch kaum plausiblen Qualitäten und Quantitäten mystifiziert. Dies besonders noch in ihrer vernetzten Konstellation, wo die Interaktion zwischen Mensch und Maschine durch weitere technische bzw. humane Kommunikationsinstanzen komplexer, quasi sozialer wird. Andererseits erfährt die Computerbranche eine fortwährende Entwicklung in technologischem, ergonomischem, globalökonomischem, infrastrukturellem und somit „technokulturellem“ Sinne. Auch die software- und hardwarebasierten Extensionen des Computers, seine vielfältigen Schnittstellen für die Kommunikation mit Menschen


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(sowie mit anderen Maschinen), stehen seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der mono- sowie interdisziplinären Betrachtung. Trotz (oder eben wegen) exponentiellem Zuwachs an Prozessoren- und Speicherleistung bestehen weiterhin Kompatibilisierungsschwierigkeiten zwischen verschiedenartigen Maschinen, der größte Problembereich der Schnittstellenforschung bleibt jedoch die Kopplung zwischen Computer und Mensch, sowohl im informatischen als auch im konkret-physischen Sinne. Auch der „homo faber“ wandelt sich entlang des Austauschs mit seiner Maschine - dementsprechend ändert sich auch die Art des Austauschs von Mensch zu Mensch. Und manche Zukunftsmusik wird in diesem hochdotierten Bereich schnell zum Benutzerstandard. Ebenso wie Kommunikation unter Menschen auf verschiedenen Niveaus stattfinden kann, kann sich sowohl unter den Menschen (als Mediator) wie auch auf dem anderen Ende des Kommunikationsmodells (als Kommunikator) ein Computer als komplexe Informationsverarbeitungsmaschine (samt aller Schnittstellen) befinden. Sowohl konkret physische, perzeptive als auch kognitive (Sprachen bzw. Kodes als symbolische Ordnungen) und sogar emotionale Interaktionsweisen unterliegen zunehmend der Bedingung der Technisierung.

Wie können diese schwer festzuhaltenden Informationsflüsse in ihrer medialen Spezifik beschrieben werden? Die (überwiegend informationskonstanthaltenden) Leiter/Kanäle der (bio)elektronischen Vernetzung erscheinen kommunikationstheoretisch vielleicht von geringerem Interesse, wogegen ihre (überwiegend informationsverändernden) Schaltpunkte, Knoten und Berührungsflächen eine höhere Komplexität und größere Bedeutung für das Verstehen neumedialer Erscheinungen aufweisen.<398> Egal, ob sie auf der Relation Mensch - Maschine - Mensch oder „lediglich“ zwischen Mensch und Maschine erfolgt, kann diese Kommunikation mindestens in einem Punkt als konkreten Ort festgehalten und beobachtet werden: Ist sie einmal auf einer (2- oder 3D) Bildprojektion, im Lautsprecher, in einer Computermaus, einem Datenhandschuh oder sogar in einem Nanoimplantat lokalisiert worden, kann die „Schnittstelle“ als konkreter Ort<399> von Informations- bzw. Impulsübergabe hypothetisiert werden. Der Mischcharakter des Konzepts bezieht sich somit nicht nur auf die Tatsache, dass es sich sowohl auf der maschinellen als auch auf der menschlichen Seite um einen (konkreten) Apparat bzw. ein System handelt (und somit ihr Zwischenraum als ein elektronischer untersucht werden soll), sondern auch auf die Vermutung, dass beim Austausch an der Schnittstelle zweierlei Informationsarten aufeinandertreffen: etwa Zeichen und Impulse - Software-Programme und Hardware-Architekturen.<400>

Ein kulturkritisch ausgereiftes wie auch geschichtlich zusammenfassendes Werk zum Begriff der „Schnittstelle“ und ihrer kulturellen Dimension liefert Steven Johnson in seinem Buch „Interface Cultures“.<401> Der Autor beobachtet die Schnittstelle als den immanenten Bereich einer neuen Selbsterfahrung, sowohl auf individuellem (die Intimität des Nutzers und der Maschine) wie auch auf kulturellem Niveau (als einen


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wesentlichen Qualifikator westlicher „Schnittstellenkulturen“). Rekurrierend auf McLuhan definiert er die Schnittstelle als “[...] that strange new zone between medium and message.“<402> Der Mensch gestaltete und beherrschte laut Johnson die Schnittstelle nicht in dem Umfang, wie er sich es gerne vorstelle. Eher umgekehrt: die schulende Wirkung der Maschinenschnittstelle auf den Menschen sei umso unauffälliger. Die Wahrnehmung der NutzerInnen wurde entlang der Schnittstellenschulung durch ein „Geschenk“ der eingeschränkten Freiheit kontrolliert: die Maus befreite den Menschen auf dem Bildschirm, reduzierte ihn jedoch wiederum gleichzeitig zur 2D-Präsenz, wofür das Operationssystem „Windows“ mit dem schwachen 3D-Anspruch (etwa mehrerer Fensterflächen übereinander) letztendlich kompensiert hätte. Dies sollte wiederum im menschlichen - früher einmal linearen - Texterlebnis einen balancierenden Abklatsch gefunden haben, obwohl Hypertext eine eindeutig geringere Abhängigkeit von Schnittstellen aufweisen mag als andere technisch bzw. körperlich bedingte kommunikative Verschiebungen innerhalb elektronischer Datenverarbeitung, -speicherung und -vernetzung.<403> Im Rahmen der Konzeption von Hiroshi Ishii, einen der international bekanntesten Schnittstellenforscher, handelt es sich dabei um einander elementar fremde Welten von Atomen und Bits, die der Mensch zur Versöhnung und Kooperation bringen soll:

„An der Küste zwischen dem Land der Atome und dem Meer der Bits stehen wir heute vor der Herausforderung, unsere duale Zugehörigkeit zur physischen und digitalen Welt miteinander zu versöhnen. Unsere Fenster in die digitale Welt sind auf flache, rechteckige Bildschirme und auf Bildpunkte, ‚gemalte Bits‘, beschränkt. Während unser Sehsinn ins Meer der digitalen Information eintaucht, bleibt der Körper in der physischen Welt.“<404>

Die Schnittstellen des Computers wurden (als materielle Geräte) zu Metaphern (als virtuelle Diskurselemente) standardisiert, sie entstanden entlang der Computerbenutzung und der dazugehörigen Diskursentwicklung. Unter dem Vorwand von Pragmatik, der sog. „NutzerInnenfreundlichkeit“ blieben sie im Textuellen, letztlich auch im Graphischen und Auditiven als reduzierte Projektionen „natur-körperlicher“ Begebenheiten hängen. Und obwohl man es seit einiger Zeit metaphysisch „Cyberspace“<405> nennen will, befinden wir uns noch nicht auf der technologischen Stufe effektiver naturalistischer Simulation zusammenhängender Körper- und Raumerlebnisse. Ob das jeweilige (immersive oder auch „instrumentale“) Erlebnis


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jedoch „überzeugt“ oder nicht und wie viel (oder welcher Art) an der menschlichen natürlichen Physis orientierter Illusions- und Immersion(stechnik) dazu nötig ist, kann freilich als spezifisch individuelle Angelegenheit abgetan werden. Die kulturelle, sogar politische Relevanz dieser Technologiebranche ist jedoch kaum zu überschauen. Die Scheide zwischen komfortabler Maschinenbedienung und versteckter maschinenbasierter Manipulation als wissenschaftlich-industrielle und sogar künstlerisch-ästhetische Zielsetzung der Schnittstellenentwicklung scheint immer diffuser zu werden. Es mag kaum verwundern, dass sich die transnationale politische bzw. soziale Planung und Programmierung, zumindest in den USA und im westeuropäischen Raum, mit den Fragen und Visionen der „natürlichen“ und „intuitiven“ computergestützten Kommunikation intensiv auseinandersetzt.<406> In der vorliegenden Arbeit soll das Problem einer reflektiert natürlichen Schnittstellengestaltung intersubjektiv überprüfbare Präzisierungen erfahren sowie einige kreative Lösungsvorschläge angeboten bekommen.

Die Schnittstelle emergiert offenbar (immer) wieder als multifunktionaler Ausdruck, als Hype und als neue Religion, vor allem in ihrer „künstlerischen“ Ausprägung im Rahmen der neuen Designer-Logik: "The interface came into the world under the cloak of efficiency, and it is now emerging - chrysalis-style - as a genuine art form."<407> Von der Zeitschrift Newsweek als „eine der einflussreichsten Stimmen des Cyberspace“ bezeichnet, hegt Johnson seine Vision jenseits der markt- und industriefreundlichen Standardisierung:

“The most profound change ushered in by the digital revolution will not involve bells and whistles or new programming tricks... the most profound change will lie with our generic expectations about the interface itself. We will come to think of interface design as a kind of art form - perhaps the art form of the next century.“<408>

Sein Aufruf zur Entpragmatisierung der Designerlogik ist wegweisend nicht nur für die


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kulturdiagnostischen, sondern vor allem für die künstlerisch-produktiven Aspekte der Schnittstellengestaltung, wo der entscheidende Freiraum für das Experimentelle eröffnet werden kann. Und gerade dies bleibt innerhalb der vorliegenden Arbeit anhand exemplarischer künstlerischer, mehrheitlich interdisziplinär ausgerichteter Projekte zu beweisen. Alleine durch perfekt kalkuliertes Design und eine marktlogische Nutzen-Kosten-Rechnung kann mit wahrhaft benutzerInnenfreundlichen Schnittstellen kaum gerechnet werden. Solche transdisziplinären Bemühungen sträuben sich gegen die Praxis des industriellen Establishments und dem dazugehörenden (öfters als „BenutzerInnenfreundlichkeit“ getarnten) gleichschaltenden Verbrauchermodell - obwohl sie ihnen oft system(at)isch verpflichtet bleiben müssen.<409> Aus der Kulturdiagnostik Derrick de Kerckhoves (1.1.4.) und Steven Johnsons resultiert nichts weniger als ein Imperativ zum (reflektierten sowie möglichst zweckorientierten) Experimentieren an der Schnittstelle. Auf den konkreten Kontaktpunkten und -flächen zwischen Menschen- und Maschinenkörpern müsste also, womöglich unbelastet, gespielt und „herumprobiert“ werden, damit zukunftsweisende Lösungen entdeckt werden können. Eine mindestens kontextbezogene und kulturell (politisch, ethisch) motivierte Zielorientierung und Spielregelnbestimmung wäre dabei immerhin zu empfehlen. Nur so kann das menschliche Zusammenleben mit den Maschinen auch noch auf der Hardware-Ebene nicht nur erträglich gemacht, sondern physisch und psychisch optimiert und positiv stimuliert werden. Und selbst im Anschluss an die angeblich verfremdenden Maschinenschnittstellen können die menschlichen Physis und Psyche zur aktiven Kooperation finden: „wir sind durch Simulationen stimuliert und simulieren zugleich diese Stimulierungen.“<410> Was stimuliert nun die Maschine zur Kommunikation und wie lässt sich der menschliche Körper optimal simulieren?

1.3.1 Neue Schnittstellenkonzepte

Beobachtet man die allgemeinen Benutzungsmodalitäten des Begriffs „Schnittstelle“ (engl. „Interface“), ergeben sich zunächst zwei anscheinend auseinanderklaffende Verwendungsweisen: Schnittstellen werden üblicherweise als konkrete, dinghafte Berührungspunkte bzw. -oberflächen zwischen dem menschlichen Körper und der (Computer)Maschine<411> verstanden, als modulierende bzw. demodulierende


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Hardware. Da der olfaktorische und der gustatorische Kanal - wie auch allgemein alle anderen sog. sekundären Sinne - bei dieser Kommunikation weiterhin noch relativ unangesprochen bleiben, erfolgt die menschliche Wahrnehmung des Computers entweder visuell (Bildschirm, Projektion) durch graphische user interfaces (GUI), auditiv (Lautsprecher, Kopfhörer), ausnahmsweise auch taktil (Datenhandschuh, -anzug, -stuhl oder etwa „immersive“ Hard-cum-Software Kombinationen).<412>

Die Eingabe des menschlichen Impulses erfolgt auf denselben drei Ebenen, hier jedoch primär über taktile (hautgebundene) Kontaktoberflächen wie Tastatur, Maus, Touchpad oder Joystick.<413> Immer öfter werden aber Stimmerkennung und „eye tracking“ wie auch „motion tracking“ zur (intuitiveren) Computerführung eingesetzt.<414> Die experimentelle Verwendung komplexerer haptischer Schnittstellen und Auslotung ihrer kreativen sowie kommunikativen Möglichkeiten bewegt sich aus dem wissenschaftlich-industriellen Bereich auf die breite BenutzerInnenebene. Auch die in der vorliegenden Arbeit einzunehmende Perspektive verschiebt sich stellenweise in gleichem Sinne und bemüht sich somit um einen breiten, kulturwissenschaftlichen Skopus. Die Bedeutung der Schnittstellenentwicklung zeigt sich somit parallel, einerseits auf der Problemlösungsebene sowohl der lokalen/regionalen/globalen Politik als auch des industriellen Designs, der hi-tech Kunst und Wissenschaft, andererseits zunehmend auf dem Niveau der breiten Benutzung, die „allen“<415>


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zugängliche Standards im Sinne nachhaltiger Entwicklungsstrategien der computergestützten Kommunikation und Produktion ermöglichen sollte.

In letzter Zeit wird allgemein (und nicht nur im künstlerisch-wissenschaftlichen Milieu) ein Zuwachs an Forschung und Investitionen im taktilen und auditiven Bereich zugunsten einer Ausbalancierung der beiden mit dem bisher eindeutig prämierten visuellen Kanal betrachtet. Jedoch kann von einem Paradigmenwechsel noch kaum gesprochen werden: die visuellen Schnittstellen erfahren weiterhin eine überproportionale Prämierung.<416> Da der Forschungsstand im Bereich von Neurochips bzw. allen technischen Neuroimplantaten im Moment noch keine effektive bzw. standardisierbare direkte Verbindung zwischen dem menschlichen Nervensystem und den elektronischen Kreisläufen des Computers erlaubt,<417> beschränkt sich der Output des Menschen immer noch auf seine Muskeltätigkeit, seien dies die Muskeln der Finger oder eben des Augapfels bzw. der Stimmbänder.<418> Die Fernkommunikation zwischen der Bildoberfläche bzw. der akustischen Quelle der Maschine und dem menschlichen Körper erfolgt generell anhand von (optischer und akustischer) Schwingung. Im Konzept des „ubiquitous computing“ werden sowohl konkrete, handhabbare (wortwörtlich „be-greifbare“, engl. „graspable“) Gegenstände als auch gesamte, sensorentechnisch erweiterte Räume als überkomplexe Schnittstelle auf dem Steuerungsweg der menschlichen Intention/Aktion eingesetzt, die auf einer möglichst konkreten, dinghaften Umsetzung der Interaktionsmetapher basieren (das „Begreifen“ als kognitive sowie körperliche Tätigkeit). Der Computeroutput bzw. die Maschinenreaktion nähert sich somit dem menschlichen Körper in seiner multisensorischen (Output)Komplexität an, ohne dass die rationale, kognitive Instanz unbedingt dazwischengeschaltet wird - womit aber laut den Leitlinien des „ubiquitous computing“ wiederum die „Computerfunktionalität [ergänzt]“ werden soll. Die davon abgeleiteten Konzepte reichen an eine maximale Durchdringung des konkreten Raumes durch Computer(inputmöglichkeiten) im Konzept des „pervasive computing“ sowie an einen Versuch der Unsichtbarmachung des Computers („invisible computing“), wo die Maschine möglichst nahtlos unter der Wahrnehmungsschwelle des Menschen verschwinden soll.<419>

In bestimmten Anwendungsbereichen werden Schnittstellen in einem rein virtuellen Sinne als funktional und ikonisch/metaphorisch repräsentative Anwendungsoberflächen verstanden, als en- bzw. dekodierende Software.<420> Vor


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allem die SoftwareentwicklerInnen und WebdesignerInnen, die zum größten Teil auf dem visuellen Kanal arbeiten, benutzen das Interface-Konzept als den Übersetzungsbereich bzw. -oberfläche zwischen dem „eigentlichen“ Computerprogrammkode und seiner Funktion/Manifestation.<421> Sie arbeiten überwiegend mit dem materiellen, körperlich-räumlichen Metaphernprinzip (graphische 2D-Benutzeroberfläche - digital, als konkrete 3D-Benutzeroberfläche - haptisch). Mit Ausnahme von sog. „touchscreens“ (wo die Bildschirmoberfläche konkret von der Haut berührt wird) und PDAs (sekundär bzw. extensiv über „E-Stift“ für Dateneingabe) kommt es zu keinem direkten Kontakt zwischen dem menschlichen Körper und den visuell repräsentierten Elementen, da die menschliche körperliche Handlung am/im Computer mit Mausklick/Tastendruck usw. extensiviert bzw. repräsentiert wird. Hierzu gehören sowohl ganze Programme im Gewand von „Skins“ (Haut-Metapher als Identitätsoberfläche für Software) und komplexeren Arbeitsplattformen (Raum-Metapher, auch mit 3D-Simulation) wie auch deren Teile (Fenster, Knöpfe, Menüs, Leisten usw.). Es scheint also sinnvoll, das Schnittstellenkonzept mindestens auf drei Ebenen (visuell, auditiv, haptisch) zu verfolgen und sowohl das materielle/konkrete als auch das digitale/virtuelle Paradigma mit einzubeziehen.<422> Für die SchnittstellengestalterInnen erscheint es wichtig, dem menschlichen Körper in seiner materiellen Qualität Ohr und Auge zu schenken, um die Geräte und ihre Anwendungsweisen nicht der Maschinenstruktur, sondern dem menschlichen Organismus möglichst anzupassen - und dabei der strukturellen Spezifik des Computerprogramms (als System des Kodes) immer noch gerecht zu werden.

Die „Umschulung“ an der Schnittstelle erfolgt somit als Oszillation zwischen der beiden Anpassungsnotwendigkeiten: die der Maschine und die des Menschen. Doch die Maschine wird nach wie vor vom Menschen (vor)gestaltet: Norbert Wiener hat als erster explizit darauf hingewiesen, dass eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Mensch und Computer nur nach den Modellen der zwischenmenschlichen Kommunikation gestaltet werden kann.<423> Angesichts der neumedialen Entwicklungstendenzen und -strategien könnte darauf wie folgt elaboriert werden: Nur wenn die Modelle des Informations- und Impulsaustauschs zwischen Mensch und Computer auf die natürliche, zwischenmenschliche Kommunikation rekurrieren können, gleichzeitig aber die Spezifik beider Paradigmen (Mensch und Maschine statt


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Mensch vs. Maschine)<424> reflektieren, kann die elektronisch vermittelte zwischenmenschliche Kommunikation einen qualitativen wie auch quantitativen Fortschritt erfahren.

1.3.1.1 Computer in Bewegung

Als ein besonderer Schnittstellenmodus könnte auch das immer relevantere und umsetzungsfähigere Konzept des (am/im Körper) tragbaren Computers („wearable computing“) ausgeklammert werden, das sich laut Steve Mann, einem der führenden Forscher im Gebiet, grundsätzlich in der Konzeption der humanistischen Intelligenz („humanistic intelligence“, HI) verdichten soll.<425> In seinen visionären Zielsetzungen bemüht sich Mann um konkrete - am menschlichen Körper möglichst komfortabel tragbare, zunehmend auch implantierbare, also dem organischen Körperinneren freundliche - technische Lösungen zum Problem der physischen Mensch-Maschine-Kompatibilität. Er stellt Fragen nach womöglich natürlichen und ergonomischen technischen Extensionen des menschlichen Körpers, wofür aber, anders als etwa bei o. e. Norbert Wiener oder Steve Johnson, der Mensch und der Computer auf die selbe ontologische Ebene postuliert werden: beide müssten von einander lernen, beide müssten sich an einander anpassen (können).<426> Welche der beiden Seiten dabei als anpassungsfähigere zu verstehen ist, hängt von der Perspektive und des jeweiligen Falls ab,<427> obwohl die BenutzerInnenfreundlichkeit<428> des Computers für Mann stets eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Im Sinne eines gesteigerten situativen Bewusstseins sollten diese Geräte den Menschen in seiner Ökologie (als relativ homogene kommunikative Entität innerhalb eines absolut heterogenen


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kommunikativen Systems) multisensorisch und multimodal unterstützen können. Ihre wesentliche Unterstützungsfunktion bezieht sich jedoch auf die Kommunikation mit anderen Leuten (Verwaltung und zeitliche/örtliche Organisierung von E-Mail, Voice-Mail, Telefongesprächen und Konferenzschaltungen auf diversen elektronischen Plattformen) und Hilfe bei deren Expressivität im multikulturellen Kontext (Simultanübersetzung, kulturgeographische Orientierung). Dies alles natürlich bei maximaler Beachtung seitens der benutzerInnendefinierten Privatsphären und sonstigen Präferenzen wie z. B. die allgemeine Immersionsstufe (sensorisches Verhältnis zwischen konkretem und der datenbasiertem „Weltanteil“). Im industriellen Kontext dagegen beziehe sich laut der ExpertInnengruppe Rügge / Boronowsky / Herzog vom „Technologie-Zentrum Informatik“ (TZI) der Universität Bremen die Zweckorientierung eines solch „computergestützten Arbeitsprozesses“ überwiegend auf eine „Minimierung von Medienbrüchen, der Überbrückung vorhandener informationstechnischer Lücken und der Effektivierung“ von mobilen Arbeitsaufgaben wie z. B. „für die Inspektion von Straßen, die Distribution bzw. Kommissionierung von Waren, die Instandhaltung großtechnischer Anlagen, die Inbetriebnahme von Maschinen oder auch für handwerkliche Tätigkeiten.“<429>

Die Richtlinien der Schnittstellengestaltung bei tragbaren Computern beziehen sich auf die Entlastung der menschlichen Kognition und Informationsverarbeitung zugunsten einer besseren Orientierung im konkreten Raum und seiner (funktionalen, sowie perzeptiven und sogar ästhetischen) Kopplung mit dem virtuellen Datenraum. Dies soll durch die aktuell prämierten Technologien - sowie durch ihr allmähliches Absteigen vom hi-tech Piedestal - endlich plausibel geworden sein: die immer kleiner werdenden Speichermedien und Prozessoren, stets leichtere und leistungsfähigere Batterien sowie die florierenden drahtlosen Netzwerktechnologien (Endgeräte sowie Infrastruktur und ihre Standards, von WLAN bis zu UMTS) lassen etliche Wunschversprechungen zumindest Ansatzweise wahr werden. Die menschliche Informationsverarbeitung wird durch die maschinelle Informationsverarbeitung unterstützt, dies wiederum nur unter Bedingung einer engen funktionalen sowie formalen beidseitigen Anpassung (vgl. Kapitel 3.2.5.2.). Die Information muss rechtzeitig, exakt, kontext- und benutzerfreundlich zur Verfügung stehen, der kontext-intelligente und sensorisch größtenteils selbstständige Computer erfüllt die metaphorische Rolle des „Handlangers“, des „Tutors“ oder des „persönlichen Assistents.“ Bei der Entwicklung und Herstellung sowie bei der Handhabung der hochkomplexen Systeme kommt es natürlich wiederum auf die Leistungen des Menschen an. Trotz zahlreicher brauchbarer Ansätze und Teillösungen im Software- und Hardwarebereich mangele es nicht nur im freizeitlichen, sondern auch im industriellen Bereich jedoch weiterhin an systematischen „Komplettlösungen“. Insgesamt brauche das Paradigma “noch einige wenige Entwicklungsschritte, bis es auf breiter Front in kommerzielle Produkte und Dienstleistungen übergehen kann.“<430>

Das primäre Ziel der experimentellen und primär (techno)kulturorientierten Projekte von Steve Mann sei nicht die „Computerarbeit“ als solche (diese bleibt weiterhin Nebeneffekt), sondern die Erweiterung bzw. Assistenz von intellektuellen und


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sensoriellen Möglichkeiten des Menschen. Der Schnittstellenvisionär, der einen selbstgemachten und stets verbesserten „wearable“ bereits seit zwei Jahrzehnten beinahe konsequent trägt, und sein Team am US-amerikanischen MIT bemühen sich kontinuierlich um eine möglichst schnelle Verschiebung des Anwendungsbereiches dieser Technologien aus dem militärischen und dem hi-tech industriellen Bereich in die Mainstream-Kultur: alle bisher vereinzelten Kommunikationsgeräte (Handy, PDA, Notebook, Navigationssysteme usw.) sollten innerhalb dieser - nun technologisch argumentierteren - Wunschprojektion auf einer einzigen, den breiten Benutzermengen angepassten, also hochflexiblen Plattform mit wahrhaft totalem Kommunikationsanspruch zusammengeführt werden:

„We are at a pivotal era in which the convergence of measurement, communications, and computation, in the intersecting domains of wireless communications, mobile computing, and personal imaging, will give rise to a simple device we wear that replaces all the separate informatic items we normally carry.“<431>

Ein weiteres erfolgreiches Beispiel aus dem Mischbereich zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft im Bereich körpernaher Schnittstellen ist zweifelsohne die englische Initiative „Future Physical“.<432> Trotz einer explizit (und theoretisch fundiert) futuristisch sowie (weitsichtig) explorativ ausgerichteten Motivation wirkt das Projekt nicht nur praktisch hochrelevant (Workshops, Vorführungen und Darstellungen in verschiedenen sozialen Gruppen, von Grundschulenkursen bis zum Industrieexperiment), sondern auch diskursprägend (intensive Symposientätigkeit, Öffentlichkeitsarbeit, umfangreicher internetbasierter Austausch).<433> Nebst einer Menge halbfunktionierender Prototype gehören computerisierte Kleidungsstücke und digitale Accessoires (Handtaschen, Halsketten, Brillen, Handschuhe) keinesfalls mehr zur Zukunftsmusik - teilweise werden sie bereits serienmäßig, für einen breiteren BenutzerInnenmarkt hergestellt.<434> Ihre industriellen Pendants sind dagegen die eher zweckorientierten Eingabemedien wie z. B. „Einhandtastaturen oder Arm-Mounted Touchscreens mit entsprechenden virtuellen Tastaturen, drahtlose miniaturisierte Lautsprecher/Mikrofon-Systeme mit umgebungsgeräuschunabhängiger Spracherfassung, robuste Spracherkennung, insbesondere für Schlüsselwörter, Beschleunigungsmäuse, intelligentes Papier, Barcode- und Transponderleser, kleinste GPS-Module“<435> sowie Ausgabegeräte wie Head-Mounted Displays (HMD), Unterarmdisplays, taktile Displayhybride, Sprachgeneratoren usw. Trotz ihrer Serienproduktionsreife verbleiben diese meistens dennoch hochspezifisch einsetzbaren Technologien größtenteils im finanziell intensivsten hi-tech Bereich, markt- sowie designspezifisch beschränkt sich ihr Gebrauch auf die hi-tech Industrie, das Militärwesen und bestenfalls noch auf die Medizin.


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Zwischen ästhetischer, humanistischer und industrieller Schnittstellengestaltung bezeichnet sich „Future Physical“ darüber hinaus als „kulturelles Programm,“ das die wandelnden Grenzen zwischen Virtuellem und Physischem erforscht. Das Ziel der reifenden Initiative sei die Untersuchung der Möglichkeiten kreativer Anwendung digitaler Technologien und Intensivierung sowie Erweiterung der menschlichen Interaktion, im breitesten Sinne „to activate, inform and engage a broad and diverse community, focusing on innovative physical/digital research.“<436> Nebst Förderungsprogrammen für Praktizierende in diesem dezidiert inderdisziplinären Bereich und Zusammenarbeit mit der Industrie<437> sowie den Veranstaltungsinstitutionen auf globaler und insbesondere auf regionaler Ebene positioniert sich „Future Physical“ insbesondere als eine zuverlässige Plattform, die quer durch die professionellen (produzierenden, explorierenden) sowie endbenutzenden Gruppen und Kulturen kommunikationsfördernd zu funktionieren scheint (gruppengemischte Foren und Live-Übertragungen im Internet, gruppenspezifische Workshops und Treffen).<438>

1.3.1.2 Natürliche Schnittstellen und weitere Alternativen

Immerhin erscheinen die aktuelle Computertechnik und der Menschenkörper, zumindest auf den ersten Blick, noch nicht soweit kompatibel, als dass sie reibungslos und in beliebigen Kombinationen aneinander gefügt werden könnten. Trotz etlicher Annäherungen aus beiden Seiten, scheint das menschliche Auge immer noch die konkret-räumliche Tiefe einer Bildschirmsimulation vorzuziehen, Computerbatterien bleiben weiterhin entweder zu schwer oder zu schwach für stromgierige Prozessoren und LCDs. Doch nicht nur die Lernfähigkeit des menschlichen Körpers, sondern auch der Erfindungsreichtum der zunehmend interdisziplinär sowie durchschnittsnutzungsmotivierten SchnittstellendesignerInnen scheint an der Jahrtausendwende exponentiell anzusteigen. Wo sich die Natur an die Technik nicht weiter annähern kann, dort muss technischerseits zu mimetischen Prinzipien gegriffen werden.


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In ihrer überschaubaren Systematisierung von Schnittstellentechnologien am neuesten technischen Stand erweitert Elisabeth André aus einer dezidiert computertechnischen Perspektive den Paradigmenwechsel in der Auffassung Lewis/Riemans, die die Grundkonzeption der Schnittstelle als die Gesamtheit der Informationskanäle für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine verstehen,<439> zur operativen Definition von „Interface als Vermittler zwischen Benutzer und Anwendung.“<440> Dies bedeutet nicht nur, dass der Computer vom (passiven) Werkzeug zum (potentiell aktiven) „Partner“ wird, sondern erweitert das Schnittstellen-Konzept zu einem gemeinsamen Handlungskontext zwischen einer Person und einer Anwendung, der operativ und funktional (und nicht mehr primär ontologisch) bestimmt ist. Mit den neuesten, an den bestehenden Wahrnehmungsprogrammen und Kommunikationsweisen des Menschen orientierten Experimenten als alternativen Lösungen für die offenbar in die Krise bzw. unter (Markt)Druck geratene Schnittstellenentwicklung eröffnet sich ein breiter Versuchsraum für andersartige Ansätze und radikale Neuentwicklungen im Bereich der natürlichen Schnittstellen.

Durch Kombinierung von KI-Systemen und Multimedia (sog. Intellimedia) und unter Wiederaufwertung von „niederen Sinnen“ des Menschen entstehen die sog. sympathetic interfaces, embodied interfaces, personalised interfaces, tangible interfaces usw.<441> Die Verschiebungen in der Praxis zeugen letztlich von einem aktuell äußerst facettenreichen Schnittstellen-Konzept, das die Hardware (physikalisches Paradigma) als auch die Software (digitales Paradigma) in den


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Mensch-Maschine-Spielraum<442> mit einbezieht und Betonungen auf die üblicherweise als „natürlichen“, i. d. S. biotisch bezeichneten Qualitäten körperlicher Intuition und Emotion<443> setzt. Eine breite kulturelle Distribution dieses zur Zeit immer noch unzureichend vorhandenen technologischen Guts steht offenbar noch aus. Die Experimentallabors größerer, industriell motivierter Einrichtungen vermögen meistens weder die Risikobereitschaft noch die Investitionsfreiheit, die zur radikal innovativen Schnittstellenentwicklung nötig wäre. Parallel mit den mäßigen, markttaktischen industriellen Entwicklungen kommt es zur radikalen experimentellen Auswertung primär im künstlerischen Milieu (das ebenfalls öfters industriell motiviert oder zumindest dotiert wird) sowie im Rahmen universitärer Institutionen.<444> Dadurch kann ein frühes und manchmal entscheidendes Feedback für die Schnittstellengestaltung und -produktion erfolgen, das schließlich das Endprodukt für den breiten Gebrauch entscheidet:

“As technology allows us to more easily participate in simultaneous and mixed realities, aesthetic issues take on a central role. There is an opportunity to create new artistic experiences that blend both virtual and physical worlds and to create unique interfaces that more fully involve the senses.“<445>


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Auch der kanadische Schnittstellendesigner und -forscher Bill Buxton warnt vor einer unreflektierten Standardisierung von Schnittstellen und plädiert für einen spezialisierten, obwohl interdisziplinär reflektierten Zugang zur Schnittstellengestalltung: “Tuning the I/O [input/output, P.P.] for specific activities is contrary to most current design.“ Die heutigen Tendenzen der Hardwaregestaltung (die auch die Softwareentwicklung stark beeinflusst - und umgekehrt!) stützen sich auf starke Manipulationsstrategien, die den BenutzerInnen ihre „Wahl“ subversiv aufzwingen. Die kulturell weitaus schlimmere Auswirkung dieser Logik zeige sich laut Buxton eben in den verschiedenen hochspezialisierten Disziplinen, die alle wegen Alternativenmangel in eine breitstandardisierte Computerkonfiguration gezwungen werden. Die (angeblich aus Kostengründen) konventionalisierte Hardwarearchitektur bewirkt eine zwanghafte Anpassung des menschlichen Körpers an die Maschine und führt somit zu einer oft unorganischen Standardisierung seiner Umgehensweisen (als einer Art Enttaylorisierung), die nur in seltensten Fällen innovationsfördernd wirken kann.<446>

Nicht zuletzt bezieht sich das Schnittstellen-Konzept in seiner breitesten Auffassung auf die Berührungspunkte und Schnittbereiche verschiedener Disziplinen: als Voraussetzung für eine ausgewogene Weiterentwicklung der menschlichen Kultur sollen Kunst, Wissenschaft und Technologie nach dem „benutzerInnenfreundlichen“ Schnittstellenprinzip miteinander verbunden und aufeinander eingespielt werden, was offenbar auch als ein politisches Ziel en vogue verfolgt zu werden scheint - zumindest innerhalb einer neuen, kulturell bewussten und ökologisch ausgerichteten Medienpolitik (z. B. der EU). Doch bevor eine konkrete Stimulations- und Unterstützungsstrategie festgemacht werden kann, müssten sowohl disziplinäre Intentionen und Erwartungen als auch entwicklungspolitische Tendenzen diskursiv geklärt werden.<447> Erst danach kann eine vielfach balancierte (Medien)Praxis


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einsetzen.

1.3.1.3 Multimodalität als Strategie der Effizienzsteigerung

Wenn über effektive Kommunikation zwischen Mensch und Maschine in der industriellen Schnittstellengestaltung gesprochen wird, die angesichts der steigenden Komplexität der Geräte und Anwendungen die „multimedialen“ (i .d. S. analogen, vgl. Kapitel 3.3.1.) Potentiale des menschlichen Körpers optimal ausnutzen möchte, tritt seit einiger Zeit öfters das Konzept der „Multimodalität“ als Schlagwort hervor. In Abgrenzung zu den „natürlichen Schnittstellen“ liegt bei multimodaler Schnittstellengestaltung die Betonung auf einer wirkungsvollen und ökonomischen Interaktion zwischen den „Kommunikationspartnern“ etwa im Sinne von Reaktionszeit-Verkürzung, Multitasking und erhöhter Systemsicherheit. Prinzipiell handelt es sich auch hier um eine egalitaristische, i. o. S. ökologische Herangehensweise an die Beziehung Mensch-Maschine, nur dass hier die Effizienz des gesamten Systems in einer (aufgabenzentrierten) Arbeitsumgebung in den Vordergrund tritt.

Obwohl in der Praxis (sowie im öffentlichen Diskurs) der Schnittstellengestaltung überwiegend die Interessen der Industrie, des Militärs, der Transport-Branchen und der globalen Telekommunikation vertreten werden, sollte mit einer proportionalen bzw. ausgewogenen Besetzung aller naturgegebenen Kommunikationskanäle des Menschen gerechnet werden. Optimale Wirtschaftlichkeit und bestechendes Design der richtungsweisenden Schnittstellenkonzeptionen stimmen zunehmend mit einer gleichmäßigen Besetzung aller Sinne sowie der „Outputkanäle“ des Menschen überein. Und nicht nur die DurchschnittsnutzerInnen können von einer multisensoriellen, sogar synästhetischen Umschulung von menschlichen sowie maschinellen Informationsverarbeitungsmodellen profitieren. Etliche Arbeitsplätze und Spezialaufgaben, die bisher nur von einer hochspezialisierten Apparatur und ebensolcher Arbeitsmethode bedienbar waren, können zugunsten einer erhöhten Effizienz und sogar Kreativität entlastet werden (Wartung von komplexen Maschinensystemen, routinierte Aufgaben in der Medizin und Logistik usw.). Laut Volkmar Hedicke kann auf heutigem Stand der Technologie sogar den körperlich benachteiligten Personengruppen mit angeblich „eingeschränkten“ (also von der normalen Konstellation des Wahrnehmungsapparats bzw. der Motorik abweichenden) Wahrnehmungsfähigkeiten die Benutzung eines Systems leichter ermöglicht werden.<448> Darüber hinaus wäre sogar eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von einer besonderen (abnormalen) Wirksamkeit der Bedienung eines Systems bei einer behinderten Person zu vermuten.

„In natürlichen Umgebungen sind Veränderungen meist mit mehreren Sinnesorganen gleichzeitig wahrnehmbar. Diese Multimodalität sollte auch bei der Schnittstellengestaltung zum Tragen kommen, um eine natürliche Gestalt der Wahrnehmungseindrücke zu erhalten. Durch die Redundanz der Stimulanz kann die Wahrnehmungssicherheit erhöht werden.“<449>

Eine solche „redundante[] Darbietung der Informationen“ laufe jedoch Gefahr, beim


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menschlichen System zu einer Reizüberflutung und somit zu einem organischen Systemabbruch zu führen. Durch eine Schritt-für-Schritt Strategie und unter Berücksichtigung der Kognitionspsychologie „mit dem Ziel, durch die Ausnutzung einer größeren Bandbreite der menschlichen Interaktionsmöglichkeiten die Beanspruchung des Benutzers zu reduzieren,“<450> könnte ein solcher Technoschock am menschlichen Körper ausbalanciert werden. Laut Hedicke erfolgt diese Umschulung des Menschen eigentlich mit dem Ziel, das Gefühl der Präsenz und Immersion in virtuellen Environments<451> zu verstärken und das menschliche multimediale Potential aus der ursprünglichen Umgebung, „innerhalb der sich die psychologischen Fähigkeiten der Menschen entwickelt haben,“ in ein künstlich erschaffenes, aufgabenangepasstes „Environment“ zu transponieren.

Als eine der dezidiert erfolgreichen Bemühungen zur multimodalen Balancierung solch verschiedener Umgebungen ließe sich auch das „Ecological Interface Design“ (EID) betrachten, den Hedicke mit Bezug auf Rasmussen als „einen Rahmen für die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen, die die im Laufe der Evolution und der Autogenese erlangten Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen berücksichtigen“ deutet. Das Konzept gleicht die zur Verfügung stehenden Mittel für die jeweilige Schnittstellengestaltung an ihre Zielsetzung optimal an und setzt auf „direkte Wahrnehmung,“ durch welche „die zielrelevanten Beschränkungen in der inneren Struktur der Arbeitsdomäne durch direkte Spezifikation“ expliziert werden sollen „und somit die erforderliche Interpretation der Darstellung gering ausfällt.“<452> Damit soll jedoch langfristig eine feste Grundlage für die wichtigsten Untersuchungen an den Einsatzbedingungen und technischen Modalitäten geschaffen werden, die diese Technologien auch auf eine standardisierte Ebene zuerst im Sinne lokaler bzw. begrenzt interregionaler und -kontinentaler Kommunikation führen und anschließend zu einer globalen „NutzerInnenfreundlichkeit“ gegen den Strich der sich vertiefenden „digital divide“ verhelfen könnte.

Für bestimmte traditionell prämierte Bereiche wie Medizin und Militär, zunehmend auch für die Freizeitindustrie kommt die multimodale Schnittstellenvision bereits seit geraumer Zeit zur Umsetzung und bringt bereits die ersten Früchte auf der Technokulturebene.<453> Eine sozial sowie industriepolitisch verpflichtende und klarer zu artikulierende Vision nachhaltiger (Schnittstellen)Entwicklung bleibt weiterhin nur eine Zielsetzung für die technologisch-cum-kulturell emanzipierte Praxis, bzw. ihre Diskurs- oder sogar Theoriebildung. Im Rahmen vorliegender Zukunftsversprechungen, die weiterhin im Bereich der Effizienzsicherung zu verorten wären, sollte die Interaktion zwischen Mensch und Maschine


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„eine multimodale, die unterschiedlichen Interaktionswege sinnvoll ausschöpfende technische Komponente aufweisen, durch deren Gestaltung der Benutzer in die Lage versetzt wird, sich weitgehend auf seine Bearbeitungsaufgabe und die dazu zu lösenden Probleme zu konzentrieren.“<454>

Die Entwürfe des „gemeinsamen Arbeitsraumes“ („shared workspace“) und der multimedialen delokalisierten Brainstorming-Environments, die durch die Sozial- bzw. Kulturwissenschaften geprägt und interdisziplinär beigesteuert werden, können bis in die Achtziger Jahre zurück verfolgt werden. Die durch interdisziplinär beisteuernden Sozial- bzw. Kulturwissenschaften geprägten Entwürfe des „gemeinsamen Arbeitsraumes“ („shared workspace“) und multimedialen delokalisierten Brainstorming-Environments können bis in die Achtziger Jahre verfolgt werden.<455> Die Neunziger standen im Zeichen reger Bemühungen um eine technisch optimierte Multimodalität und Annäherungen an die „natürlichen“ kommunikativen Muster, wie auf ihren Verschiebungen im Sinne wechselseitiger Beeinflussung zwischen Mensch und (weiterhin „seiner“) Maschine. Im dritten Jahrtausend stehen wir anscheinend vor konkreten Aufgaben weniger der technischen Realisierung bzw. Produktion, sondern der gleichmäßigen globalen und sozialen Distribution dieser Technologien in einer kulturbewussten, -differenzierten Weise (etwa anhand konkreter Programme und Strategien, vgl. Kapitel 3.2.5. und 3.3.3.). Solch eine körperbezogene und bewusst reflektierte technisierte Kommunikation schöpft eben aus dem interpersonal unproblematischen Arsenal gewöhnlicher, normierter Umgangsweisen des Informationsaustauschs - von kulturbedingter Perzeption zur so oft als unbewusst standardisierten „Körpersprache“.

Die Computer, besonders noch in ihrer (global) vernetzten Form, dienen den Menschen also nicht nur zur endlosen Beschleunigung (Virilio) bzw. zum möglichst echtzeitlichen und „naturalistischen“ Kommunizieren, sondern können es entscheidend erweitern, differenzieren und (der sich veränderten Umwelt entsprechend) positiv modifizieren. Vor allem in einer sog. „problem solving“ Situation entscheide laut Ole Bernsen der computergesteuerte, rasche und zielgenaue Zugriff auf eine breite Palette von online Datenbanken und die Möglichkeit der echtzeitlichen Experten-Konsultation wie auch der umfangreichen Datenbearbeitung und -speicherung, dies bereits auf dem heutigen technologischen Stand.<456> Andererseits müssten, so Bernsen, die euphorischen Wunschvorstellungen einer gänzlich natürlichen Maschinenkommunikation und der übertriebene Zukunftsoptimismus mit gezielter Forschung und vorsichtigen Investitionen ausgewogen werden.<457> Dies gilt


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besonders für die komplexesten Bereiche der zwischenmenschlichen Kommunikation (Simulation des face-to-face Austauschs wie z.B. Videokonferenzen oder auditive bzw. textuelle Chats), die allzu früh als „ausreichend technisiert“ technokratisch mystifiziert wurden. Die Verschiebungen zum vielseitigen und unvoreingenommenen Experiment an der Schnittstelle breiten sich in letzter Zeit aus dem industriellen, militärischen und medizinischen Sektor auf die Bereiche der Kunst, Pädagogik und anderer (primärer) Geisteswissenschaften aus. Damit erfolgt eine wesentliche Reflexion der technisch gestützten Kommunikation auf breiter, kultureller Ebene, die nicht ohne Folgen bleiben kann. In diese Reihe versucht nicht zuletzt auch die vorliegende Arbeit sich, sowohl diskursiv (in den folgenden Kapiteln) als auch praxisbezogen (2.3., 2.5. und 3.3.3.), einzuschreiben.

1.3.2 Immaterielle Schnittstellen für Wunschkörper und Illusionsräume

Neben der traditionell öfters weggedachten olfaktorischen und gustatorischen Sinneskomplexe (des Weiteren auch Wärme-, Gleichgewichtsrezeptoren usw.) kann der Tastsinn zweifelsohne als der wohl am kritischsten überschaute - und ebenso wissenschaftlich untererforschte - kommunikative Kanal des Menschen festgehalten werden. Auf der menschlichen Seite der technischen Schnittstelle befindet sich in materieller Perspektive vorerst die Haut, die in der aktuellen Naturwissenschaft vorwiegend auf der Ebene der Tast-Neuronen partikulaisiert wird. Auch etliche weitere Rezeptoren und Effektoren wären zumindest auf der Mikro- bzw. Nanoebene auszumachen, treten jedoch seltener im humanistischen Diskurs auf.<458> Für das Ende des Jahrtausends diagnostiziert Claudia Benthien<459> die Haut kulturhistorisch als die einzigst verlässliche und genügend rigide Grenze des Menschen (als komplexe kommunikative Einheit von Rezeptor - Prozessor - Effektor).<460> Dies trotz ihrer medizinischen Durchdringung und der Offenlegung des Inneren: „Denn Haut - jener Ort, ‚wo das ’ích‘ sich entscheidet‘<461> - wird spätestens im 20. Jahrhundert zur zentralen Metapher des Getrenntseins. Nur an dieser Grenze können Subjekte sich begegnen.“<462> Die Gewissheit, mit der die Haut die „Subjekte“ von einander trennt und sie gleichzeitig miteinander intim verbindet, ist bei anderen, etwa telematischen Sinnen (auch „Telezeptoren“) wesentlich geringer.<463> Benthien versteht den Körper in


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diesem Zusammenhang „nicht nur als kulturelles Zeichen, sondern auch [als] empfindendes und wahrnehmendes Subjekt“<464> - die Haut somit als intensiv(st)e kommunikative Schnittfläche. In der techno-künstlerischen Praxis wird jedoch aus der erlebten Desintegration des Subjekts angesichts der (Neu)Medialisierung des Körpers und seiner Reduzierung zu Bildern und Zeichen wie auch der Partikularisierung seiner Sensorik oft der Mehrwert gezogen: in einigen technisch hochkomplexen, hauptsächlich nur mit anspruchsvollster Technologie ausführbaren interaktiven Kunstprojekten, bei denen der Körper zwischen artverschiedenen elektronischen Plattformen in vielerlei Kodes (Programmkode, Ikone, Symbol) vermittelt wird, kommt es gerade zu den produktivsten Bruchstellen:

„Auch die immer wieder dargestellten Angstphantasien der Subjektauflösung und des Verlusts der Körpergrenzen können im Raum der Inszenierung dadurch erfahrbar gemacht werden [...] daß die Performance-Künstler vom Körper ausgehend einen Prozeß vor- und rücklaufen lassen, der die Spuren der sukzessiven Substitution des materiellen Körpers durch Zeichen und Abbilder liest, verfolgt, kommentiert und mit Irritationen auflädt (z. B. durch Asynchronismen, Unschärfen, Screensplitting, Zipping und andere Verfremdungen des elektronischen Bildschnitts.“<465>

Dabei bieten offenbar genau die technischen Unzulänglichkeiten und die darin inspirierten Kunstgriffe (Verfremdung, Reduktion)<466> den entscheidenden kreativen bzw. ästhetischen Überschuss. Es könnte angenommen werden, dass die Schnittstelle, als technisch-organisches Geflecht und systematisiertes (kodifiziertes, modifizierbares) Gerüst angesichts der dadurch erzeugten Wahrnehmungsmodifikation auf der Subjekt- oder auch Individuum-Ebene zu einer immersiven Illusion entscheidend beiträgt. Diese verspricht den Menschen in der Gesamtheit seiner kommunikativen In- und Outputs sowie in seiner inneren, selbstreflexiven Kommunikation nicht nur näher an die Maschine(nkommunikation), sondern auch an seinen biotischen Anderen, den Mitmenschen (samt seines anderen, ebenfalls selbstreflexiven Selbst) zu bringen. Letzteres schenkt sich angesichts seiner kognitiven, virtuellen Anwesenheit auch das Versprechen konkreter räumlicher und körperlicher Erfahrung, wobei der ungemeinen Komplexität der wissenschaftlich immer noch schwer erfassbaren und analisierbaren physischen Raumpräsenz des menschlichen Körpers quer durch die (selbst beliebig kombinierten) technischen Medienkonstellationen noch lange kein befriedigendes (Simulations)Pendant dargeboten werden kann.<467> Beim Ausschluss anderer Kommunikationskanäle - wie auch immer sie technisiert sein mögen - bringt andererseits die Konzentrierung auf die natürliche Schnittstelle Haut den Menschen ebenso aus dem sensorischen Gleichgewicht und immer wieder zu einer solipsistischen „[...] Entdeckung der Tragik von Abgeschlossenheit und Verbindungslosigkeit der Welt.“<468>


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Bekanntlich verwischt sich bei den immersiven - laut Jos de Mul immerhin „realen“ und betont affektiven - Erfahrungen am Computer<469> die Unterscheidung zwischen Innen und Außen. Bei der virtuellen Realitätserfahrung weicht das Differenzierungsvermögen der Körper- und Subjektgrenzen dem Gefühl des Eintauchens (entlang der gesamten metaphorischen bzw. etymologischen Spannweite des Konzepts).<470> Die TeilnehmerInnen der einfachsten textbasierten MUDs berichten bereits vom Mehrwert der Erlebniswelten jenseits aller physikalisch begründeten Vorstellungen.<471> Auch diese imaginären Welten werden anhand eines psychologisch leicht erklärbaren eskapistischen Mechanismus vor der konkreten realen Welt bevorzugt, woran sowohl die Freizeitindustrie als im Grunde auch ein Großteil der Kunstproduktion ihren Profit schlagen können. Zwischen konstruierter Wunschwelt und experimentellem Freiraum kann in der Praxis, weniger noch in ihren Diskursen ohne Weiteres nicht unterschieden werden. Dagegen münden die Versuche einer totalen Nachahmung der bestehenden „Welt-wie-wir-sie-kennen“ oft in Fiaskos bzw. Kompromissen, da die Technik der Komplexität der menschlichen Sensorik in vielerlei Hinsichten nicht gewachsen ist. Oder der menschliche Körper wird angesichts einer unzulänglichen Simulation zum sensorischen bzw. prozessualen „Abbruch“ getrieben.<472> Die mit standardisierten Schnittstellen zur Multimedialität aufgerüsteten Computerspiele in 3D-Technik<473> bieten im Multi-User Bereich zur Zeit zwar

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bestechende visuelle und auditive Erlebnisse, scheitern aber im Vergleich mit den imaginativ anspruchsvolleren (weil überwiegend mit einem am heutigen Technologiestand erzwungenem technischen Minimalismus gestalteten) textuell-graphischen MUDs an der prinzipiell immer noch zu langsamen Netzverbindung.<474> Multisensorische Illusionstechnik ist im Hinblick auf allgemeine, globale Kommunikationsstandards noch nicht genügend anpassungsfähig und wird sich gegen die imaginativen Kommunikationsstrategien noch einige Zeit nicht durchsetzen können. Allerdings sehen auch die KünstlerInnen ein, dass sie gegen gut finanzierte Entwicklerteams der Computerspielindustrie nur durch ihren individuellen bzw. kleingruppenbasierten Enthusiasmus die künstlerische Dissidentenposition und (stets neuzudefinierenden) kulturkritische Schärfe erhalten können.<475>

Die auf einem (literarischen bzw. mathematischen) Input-Output-Minimalismus konzipierte Kommunikation bleibt weiterhin zeichen- bzw. kodebasiert und wird sich selbst mit den minimalen Übertragungsraten der elektronischen Vernetzung noch lange zufrieden geben können. Auch die netzspezifischen Rollenspiel-Erlebnisse und ein globaler Anonymität-Hype sprachen anfangs noch für eine medial reduzierte, textbasierte Kommunikation, wogegen in jüngster Zeit die zunehmende Breitbandverkabelung wieder das verlockende (Echtzeit)Bild, Animation und Video auf den global vernetzten Computerplattformen gedeihen lässt. Die Anonymität des Netzes findet ihr Gegengewicht in einem technisch getarnten Exhibitionismus. Eine gleiche Dynamik ließe sich auch etwa für die zukunftsversprechenden Branchen der multimedialen mobilen Telefonie und des digitalen und/oder tragbaren Fernsehens extrapolieren. Für die - seitens der industriemotivierten Märkte stets angetriebenen - Ansprüche an den graphisch-auditiven Output reicht (mit Ausnahme des US-amerikanischen „Internet 2“) das gegenwärtige Internet kaum noch aus, um die immer zugängliche „Präsenztechnik“ (Großbildschirme, 3D-Tontechnik) auch auf Distanz steuern bzw. „informieren“ zu können. Die Entwicklungs- sowie Herstellungskosten für die sog. „high-end“ Geräte müssen erst durch den Verkauf, die Versorgung und Rezyklierung von breit verbreiterter Technik in dem Durchschnittsbenutungsbereich gedeckt werden - nach der neoliberalen Marktlogik muss die „Wunschlatte“ immer knapp über dem Erschwinglichkeitsniveau (für die „breite Masse“ eines jeweiligen


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Markts) liegen. Die elektronische Vermittlung einer überzeugenden, totalen Ganzkörpererfahrung um den Erdball erscheint zumindest in technischem Sinne noch unrealistisch. Es gibt jedoch zahlreiche Untersuchungen und Pilotprojekte, die in dieser Richtung mit großem Optimismus unternommen werden - und bereits auf eine beinahe 30-jährige Tradition im künstlerischen Bereich zurückblicken können.<476> Die vielleicht relevantesten Durchbrüche finden wiederum im Bereich der Kunst (als ästhetischer Aufladung und kreativer Umsetzung der pragmatisch ausgerichteten Kommunikationstechnik) statt - und nicht etwa im Bereich der Vergnügungsindustrie, obwohl die beiden schon immer von einander zu lernen wussten. Dabei handelt es sich im kreativen Prozess immer noch um eine teilweise imaginative und zumindest partikularisierte Körpererfahrung, die im (künstlerischen) Prinzip als solche zweifelsohne schon immer optimal ausgewertet werden konnte (als Beispielsfeld par excellence dazu diene der Bereich von „Tanz und Technologie“ im Kapitel 3.).<477>

Und warum sollte die Körpererfahrung eigentlich nicht imaginativ bzw. konstruiert werden, zumindest nicht ohne einer kontextbezogenen Reflexion? Hans Moravec weist darauf hin, dass auch beim höchsten Fiktionalitätsanspruch einer bewusst konstruierten Welt noch immer eine gewisse Relationalität zum Körper bestehen bleibt: „Ein transplantierter menschlicher Geist wird oft ohne Körper existieren, aber kaum jemals ohne die Illusion, einen zu besitzen.“<478> Die Notwendigkeit effektiver Schnittstellen betont er auch in ihrer immateriellen, virtuellen Gestalt sogar als Immanenz des Cyberspace (dessen „Funktion und Fiktion“ laut Dieter Daniels „in einer ständigen Rückkopplung“ entstehen).<479> Unter den DesignerInnen und TechnikerInnen gibt es offenbar nur einen schwachen Konsens über die Zukunft des Phänomens (sowie Konzepts) „Schnittstelle“, besonders noch in ihrer philosophischen und (alltags)kulturellen Ausprägung. Immerhin lassen sich allgemein Anregungen und Wünsche zur natürlich-analogen, ganzheitlich körperlichen Erfahrung zusammenfassen, die bereits seit einigen Jahren einen vernehmbaren Trend bilden. Dieser beruht jedoch allzu oft auf einer Definitionsstrategie ex negativo im Bezug auf


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die totale Illusionierung, die mit einem (diskursiven) Fuß immer wieder in der realen/natürlichen/gegebenen Welt (zumindest als Bezugsgröße) haften bleibt. Somit wird die virtuelle Dimension (als Vorstellung) stets in eine Oszillation mit der konkreten Dimension (als Erfahrung) gezogen. Laut den in diesem Zusammenhang wahrhaftig etwas unzeitgemäßen Betrachtungen Paul Virilios wird die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, also der wahrnehmende menschliche Körper „vielleicht zugunsten anderer Welten Stück für Stück verschwinden“<480> müssen - zumindest aus dem menschlichen Bewusstsein, damit letztendlich auch die vorprogrammierte Immersionserfahrung tiefer greifen und die allgemeine Hyperbeschleunigung einsetzen kann. Einem solch totalillusionistischen Programm spricht die aktuelle wissenschaftliche und künstlerische Praxis jedoch deutlich entgegen und verlangsamt somit die Euphorie der „Fluchtgeschwindigkeit“<481> auf naturgegebene oder zumindest physikalisch plausible Parameter.

Einen relevanten Teil der Diskursoberfläche markieren jedenfalls noch beträchtlich körperfeindlichere Stimmen: Eine (auch für den aktuellen populärwissenschaftlichen Forschungsstand stellvertretende) repräsentative Ansammlung stereotyper Argumente für die schnittstellenbedingte Reduzierung des materiellen Körpers und seiner biotischen Sensorik angesichts der neudefinierten medialen Verhältnisse wäre dem Beitrag Florian Rötzers mit dem Titel „Die Zukunft des Körpers. Ist der biologische Körper ein Auslaufmodell?“<482> exemplarisch zu entnehmen. Die eingehende Verschiebung bzw. Substitution des Paradigmas von „Bio“ zu „Techno“<483> bedinge eine Desubstantivierung und Enträumlichung des Körpers, der seinen spatialen Charakter im Schnittstellenkontakt verlieren soll.<484> Biologische Körper betrachtet Rötzer im medialen Kontext bloß als zu Schnittstellen verkümmernde Medien für Vermittlung der neuronalen Reize an das mentale bzw. zerebrale System. Letzteres wird nach dem altbekannten informatischen Reduktionsparadigma (siehe Kapitel 1.1.3.) zur einzigen Bezugsgröße, der sich der (konzeptuelle) Körper unterordnet. Dadurch entsteht ein neues, programmatisch erweitertes Körper-System vom verschwindenden Körper, seinem Abbild (als Artefakt) und seiner mentalen Kodierung:


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„Ist einmal ein Mensch-Werkzeug-System als zerebrales Programm vorhanden, hat sich eigentlich bereits ein neuer Körper gebildet, eine Einheit aus dem biologischen Körper und seiner Extension, dem Werkzeug oder der Maschine. Der Körper endet jetzt am Werkzeug und der auf das Werkzeug projizierte Körper bildet sich im Gehirn ab, brennt sich in ihm ein.“<485>

Und immerhin sei seit geraumer Zeit bekannt, dass eigentlich „alle menschliche Artefakte [...] Ausdehnungen des Menschen“<486> sind. Körper ist aber laut Rötzer mehr Projektion und abstraktes Konzept, bald nur noch projektiv verflossen und ohne jegliche materielle Unterlage, eine kognitive Konstruktion als pure Metapher. Ein Körperkonzept, das auf Extensivierung im Sinne McLuhans begrenzt bleibt, soll hier als funktionaler sowie diskursiver Gegenspieler vom physisch verstandenen „res extensa“ im Sinne Virilios und Graffs (siehe Kapitel 1.1.2.) exemplarisch eingeführt werden. Einen betont konstruktivistischen Standpunkt zur menschlichen Kommunikation an der Schnittstelle nimmt auch der diesbezüglich im Kontext digitaler Literatur stringent argumentierende Friedrich W. Block ein: In literarischer Kommunikation handele es sich bei den „BenutzerInnen“ um betont fiktive, be-schreibende und den konkreten Körper primär ausschließende Erlebnisse.<487>

Für diese Art von kode-gebundener elektronischer Kunst räumt Block die Möglichkeit einer reflexiven Wiederkehr der Identitätsgrößen ein, insbesondere wenn er behauptet, „daß Erlebnisse der Distanznahme möglich werden, die auch die Verbindung von Mensch und Maschine erfassen und die Schnittstellen sichtbar werden lassen.“<488> Die Kunstwerk-BenutzerInnen hätten hier als Individuen Gelegenheit, sich von ihrer Umwelt und damit auch von den Apparaten (mit denen sie sich andererseits immer enger verknüpften) zu unterscheiden. Dies könnte jedoch nur für die (Minderheit der) diesbezüglich engagierten und gegen den design-diktierten Strich wirkenden Projekte bestätigt werden. Sogar der rein reflexive (i. d. S. virtuelle) Freiraum des Literarischen könnte um die erfahrungsreiche und intensive Dimension des Körperlichen an einer solch befreiten Schnittstelle nochmals bereichert werden.<489> Die hervorgehobene Schnittstelle stimuliert sowohl die intim-persönliche als auch die öffentlich-künstlerische Reflexion und je sinnesreicher dies erfahren wird, desto effektiver die neumediale Emanzipation.

Eine akute Körperskepsis erklingt wiederum aus Florian Rötzers schlichtem Resümee zum Körperkult der Neunziger Jahre als einer wiederkehrenden Mystifizierung des Körpers wegen seines angeblichen medial bedingten „Schwindens“. Die


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Beschwörungen einer Wiederkehr<490> verliefen bis heute parallel mit seiner Verabschiedung, die Positionen unterscheiden sich lediglich im Objekt: die körperliche Praxis und das Experiment wie auch die dazugehörende wissenschaftliche Empirie (auch als Selbstbetrachtung und -beschreibung) verleiten offenbar zu körperoptimistischen Visionen, wogegen ein radikal technoeuphorischer und kognitiv-konstruktivistischer Standpunkt körpereskapistische Beschreibungen hervorbringt. Obwohl ein - nicht nur diskursiver - Rettungsring für die neumediale Flut, wird der Körper in der Kulturgeschichte offenbar nur noch als eine ehemalige Bezugsgröße (wohl als veraltete Metapher bzw. Idiom) substituiert werden müssen. Ob dies für eine Aufrechterhaltung des Subjekts als „reinen Geists“ im digital-elektronischen Paradigma bereits genügt, bleibt wiederum abzuwarten (vgl. Kapitel 1.1.1.). Solch theoretische Transformationen des Körpers sind spätestens seit McLuhan im Grunde nichts neues - mehr noch, sie sind dem Körper beinahe natürlich, immanent: „Die Etymologie aller menschlicher Technologien ist im Körper selbst zu finden: Es sind sozusagen prothetische Vorrichtungen, Mutationen, Metaphern des Körpers und seiner Teile.“<491> Was aber noch lange nicht zu bedeuten hat, der Körper sei obsolet! Immerhin: „Die totale Verkörperung in der Post-Postmoderne ist Signifikant eines in seiner Leere geläuterten Bewusstseins.“<492> Als Mythos und erlösender (praktizierter) Zauberspruch ersetzt der Körper immer (wieder) seinen Gegenpol - nicht als eine zweitbeste Sekundärinstanz, sondern als die andere, gleichwertige Möglichkeit, als Variante. Nur selten hat sich diese Polarität im geschichtlichen oder eben im diskursiven Gleichgewicht gefunden, jedoch erhofft sich die vorliegende Arbeit, eben solche Ansätze in der aktuellen Kunstpraxis wieder feststellen sowie einigermaßen (voraus)modellieren und im geringsten Teil auch realisieren zu können. An dieser Stelle sei Derrick de Kerckhoves Beobachtung herangezogen, dass auch in der technoeuphorischsten Variante moderner Kultur der Körper zwar gut ausgestattet, doch keinesfalls völlig durch Technologie ersetzt sein kann. Ein solcher „umgekehrter Romantizismus“ liege laut De Kerckhove weit von den Wunschvorstellungen einer „Technosymbiose“ im Sinne Virilios, die zu einem neuen, psychophysiologischen Ausgleich führen könnte: „Most electronic technologies are not leading to the abandonment of the body, but to the remapping of our sensory life to accomodate a combination of private and collective mind.“<493> Die körperliche Emanzipation dürfte also auch in einem konkret besiedelten Cyberspace als der einzigen Plattform für die Visionen einer „kollektiven Intelligenz“ im Sinne Roy Ascotts<494> verstanden werden. Angesichts seines Abbaus zur digitalen Information erklingt also der Schwanengesang des medientechnisch agonisierten Körpers eher relativ weil perspektivenbedingt - und sogar die im „Virtuellen“ begriffenen körperskeptischen Denkweisen nehmen ihn zum

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Hauptthema.<495>

Auch Arthur Kroker, einer der führenden amerikanischen CybertheoretikerInnen, würde, trotz seiner Absage an den bio-physikalisch eingeschränkten Körper, dem Gewicht des Körperdiskurses wie auch der Körperpraxis wohl zustimmen müssen. Nach seiner Interpretation etlicher künstlerischer wie auch alltäglicher Praxen aus dem biotechnologischen Schnittbereich - samt ihren Visionen radikaler Art (von Technomusik über Gentechnologie und Körperdesign bis zum computerunterstützten Sadomasochismus) - ist eine neue Qualität an der Grenze zwischen Körper und Maschine die logische Folge eines längeren Annäherungsprozesses aus beiden Seiten. Im konkreten elektronischen Zwischenraum „[...] wo der Körper täglich in die treibende Welt des Netzes heruntergeladen wird, wo die Daten das Reale sind und wo die Hochtechnologie endlich ihrer Bestimmung zu außerkörperlichen Erfahrung nachkommen kann,“<496> resultiert das Aufeinanderprallen zwischen Mensch und Maschine in mehr oder weniger expliziten Mischformen (die digitalen Avatare wie auch die konkreten Cyborge<497> und ihre besondere Ästhetik). Hier ereignet sich die Virtualisierung des Wunschkörpers nicht mehr als bloße Projektion und/oder Kodierung. Der konsequente Wechsel vom bio- zum technologischen Paradigma (bzw. ihr Ineinanderspielen) sollte sich laut Kroker als erstes und am deutlichsten in elektronischer Musik ereignet haben, wo die Körper der MusikmacherInnen wie auch der Musikkonsumenten verschwunden<498> sind - und weil das Ohr politisch am


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gefährlichsten sei.<499> In solchem einerseits digital beschränkten und andererseits biologisch unvorhersehbaren Muster zerfällt der Körper in seine Wahrnehmungseinheiten, wird sensorisch zersplittert und nur als okkasionelle Einheit wieder zusammengestellt:

„Lycrasex, extatisches Bewußstsein, Musik, die auf flotten Rhythmen modischer Drogen zugeschnitten ist, vibrierende Körper als äußere Simulakren der Drummaschines und schwarzes Licht für Augen, die sich mit Verschlussgeschwindigkeit bewegen. Es gibt in den Danceclubs keine Körper, nur kalte Verführung und digitalen Sex. Manche sind ein einziges Semiorgan, andere ein vom Körper losgelöstes Ohr oder ganz Extasenkopf.“<500>

Laut Kroker hat der westliche Mensch bereits die Technik soweit einverleibt, dass er außerhalb des elektronisch-technischen Paradigmas überhaupt schwer zu denken ist. Vor allem fällt es ihm schwer, die Technologie „in ihrer doppelten Bedeutung als Freiheit und Degeneration zu sehen,“<501> was als eine neue dynamische Qualität, aber kaum als ein ruhiges und ausgewogenes Dasein für die menschliche Zukunft anvisiert werden könnte. Austausch und Parallellauf von Materie und Programm(Kode), den beiden ontischen Radikalinstanzen, ist sowohl bei Menschen als auch bei Maschinen offenbar ein conditio sine qua non. Dementsprechend wäre auch die Kommunikation zwischen den beiden (isoliert betrachteten) Instanzen zu verstehen.<502> Der traditionell gedachte, „ursprünglich biotische“ Körper wird für Kroker evolutionär zum „genetischen Müll“<503> wie früher einmal auch Kristalle, Pflanzen und Tiere. Das einzige evolutive Muster verfällt der Technologie bzw. der Technologik. Die Wunschversprechung findet der cybertheoretische Guru im „technisch verbesserten und technologisch intelligenten Körper[]“,<504> der durch Implantate, Prothesen, Technokieme und „Scanneraugen für eine Kultur der Körperteile“<505> zum „Crashkörper“ aufgerüstet und somit vor einem post-postmodernen Selbstmordversuch (logische Autodestruktion des absolut perfekten Körpers) gerettet sein wird. Im Rahmen extremer öffentlich ausgerichteter künstlerischer wie auch intim-individueller Praxen erklingt selbst eine solche kulturell beschränkte Zukunftsvision sogar äußerst plausibel. Ob jedoch eine eindeutige Evolution vom biotischen zum


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„Technokörper“ (erzwungen oder spontan) auch im gesamten Schnittbereich zwischen Mensch und Maschine zu erfolgen hat, wäre angesichts etlicher körperoptimistischerer Ansätze, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, ernsthaft zu bezweifeln.

Eine allgemein kreativere und weniger invasive Vision der Begattung zwischen den beiden scheinbar konfliktreichen Paradigmen biete sich wiederum in Konzepten und Praxen der Mixed Reality an, die radikale Prämierungen und Polarisierungen zugunsten eines positiven Technorealismus auflösen, indem sie „den Menschen weitgehend in seiner gewohnten, stofflich gegenständlichen (realen) Umgebung belassen, diese aber um ‚Computerfunktionalität‘ ergänzen.“<506> Zunehmend werden die menschlichen Sinne (Kommunikatorinstanzen) zwar technologisch simuliert, dadurch aber auch kulturell reflektiert - und auf der Computerebene kann das biotechnologische Muster noch einmal kreativ umgekehrt werden. Die Computersysteme und ihre „konkreten Repräsentationen“ beginnen mit dem Menschen auf die menschliche bzw. „natürliche“ (siehe Kapitel 1.3.1.2.) Art und Weise zu kommunizieren, sogar simuliert zu „fühlen“. Die rasante technologische Entwicklung scheint einen erneuten Paradigmenwechsel gebracht zu haben, wo die konkrete, elektronisch erweiterte pro-aktive (somit „unsichtbare“) Umgebung des Körpers (wieder einmal) zu seiner zuverlässigsten Bezugsgröße wird:

“The human body with its communication channels and membranes (skin, eyes, ears, voice, and balance) are reflected and replied to by a variety of sensors embedded in real space and objects. The sensors literally hear and feel the presence and condition of the human body. The body in space is measured and detected by silicon senses e.g. a computer vision system. Thereby the interface becomes immaterial.“<507>

Das Verschwinden bzw. Zurücktreten der zuvor sperrigen Schnittstelle deckt sich im aktuellen Diskurs mit der Konstatierung vom Verschwinden des Computers.<508> Der Computer hat in letzter Zeit als Gerät tatsächlich an Gewicht und Volumen beträchtlich verloren, doch (eben) als (körpergebundene, tragbare, natürliche usw.) Hardware gewinnt er an kultureller Bedeutung. Unter Anwendung eines nutzungsüberzeugenden sowie ökologischen<509> Designs zieht die sperrige Desktopmaschine in die Taschen


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und löst sich unter der Kleidung sowie unter der Haut, am (kultur)prägendsten noch in den globalen Netzwerken auf. Was passiert nun mit der Schnittstelle als dem empirischen Ort der Medienkompetenz?<510> Aus welcher Perspektive können Computer und die von ihnen generierten, kombinierten sowie amalgamierten Welten kulturrelevant beobachtet und zukunftsträchtig verstanden werden?

1.3.3 „Raum, ein Datenraum“ und die gemischten Realitäten

Anlässlich der „cast01“ Konferenz zum Thema „Living in Mixed Realities“ in Sankt Augustin (2001) waren sich die TeilnehmerInnen beinahe einig, dass die elektronisch freigesprochene Information zurück in den konkreten Raum muss - wenn auch die technologischen und (massen)kulturellen Bedingungen dafür noch nicht optimal geworden sind. Öfter als konkret wird „Raum“ im übertragenen, metaphorischen Sinne (als räumliche Eigenschaft) diskursiv gebraucht, so ist er eben auch funktional ein - übertragener, mediierter. Einer Krise der bisherigen, aus der alltäglich bekannten konkreten Welt schöpfenden Metaphern ist daher nicht auszuweichen: „Das Digitale ist eine eigene Sphäre. Wenn man das Internet veranschaulichen will, gibt es eine Krise der räumlichen und der körperlichen Metapher.“<511> Das (organisch sowie technisch) Konkrete müsste offenbar so bald wie möglich die metaphorische Distanz überwinden und tatsächlich „objektiv“ werden,<512> um souverän mit dem Digitalen (weitere) harmonische Mischverhältnisse eingehen zu können. Auch würde sich die Folgenabschätzung einer solchen Verschiebung auf individueller wie auch kollektiver Ebene viel deutlicher machen lassen, wenn die BenutzerInnen ein technisches/mediales Werk (auch als Situation, Prozess usw.) gleichzeitig, oder eben alternierend, von innen (körperlich reflexiv) erfahren und von außen (kognitiv reflexiv) untersuchen könnten: besonders etwa charakterisiert dies die aktuelle Medienkunst im Spannungsverhältnis zwischen installierter (primär partizipativer) und performativer (primär bühnengebundener) Ausprägung (dazu ausführlicher im Kapitel 3.1.), immerhin als interaktive Medienkunst.<513> Eine solche, keinesfalls als Drohung zu


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verstehende „[ä]sthetische Distanz des Betrachters beinhaltet immer auch die Möglichkeit, Übersicht zu gewinnen, Aufbau, Struktur und Funktion zu begreifen und eine kritische Reflexion zu erlangen.“<514> Dagegen wirkt im Fall von Mixed-Reality-Konzepten jedoch die gemischte (gleichzeitige und/oder alternierende) Immersion mit ihrem emotionalen bzw. intuitiven Anspruch, wodurch im Idealfall ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Immersion (Konsumption) und Reflexion (Evaluation) - nicht nur des (Kunst)Werks, sondern des eigenen medial bzw. technologisch dimensionierten (Da)Seins - entstehen kann.<515>

Mit der Situation an der Jahrtausendwende erfolgt eine gründliche Intensivierung, vielleicht sogar ein qualitativer Sprung in der Dynamik der beidseitigen Anpassung zwischen Technik und Menschenkörper. Am besten kann dies an den diskursiv sowie praktisch manifesten Programmen beobachtet werden (Kapitel 3.2.), wogegen die konkreten Veränderungen (z. B. die im Kapitel 1.1. behandelte technisch beeinflusste „Modernisierung“ des Körpers) viel schwieriger festzuhalten sind. Es kommt zu einem nicht unbedingt rauschlosen Dialog, einem Austausch von Merkmalen und Inhalten zwischen Mensch und Maschine. Eine solch rege Interaktion sucht nach einem eigenen, ausgewogenen, flexiblen und allem Anschein nach sowohl konkreten als auch virtuellen Schnittfeld, einem Interaktionsraum als Schnittstelle.<516> Dieser ist ein mit elektronischer Schwingung durchsetzter physischer Raum des wissenschaftlichen und künstlerischen Experiments - aber auch des NutzerInnenalltags und (Life)Style-Designs:


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„Dass neue Arten von Beziehungen zwischen Usern, ihren Körpern, ihren Repräsentationen als Avatar, anderen, über Netz verbundenen Usern, Software-Agenten, virtuellen Objekten, Informationsumgebungen und realen Orten möglich werden, lässt ahnen, welche Komplexitäten technisch und gestalterisch bewältigt werden müssen.“ (Oliver Grau)<517>

Und eben einige von diesen Neurelationen nimmt die vorliegende Arbeit unter die Lupe - vor allem die mannigfaltige Kommunikation, sowohl zwischen AutorIn, Werk und NutzerIn (insoweit sie trennbar sind)<518> wie auch zwischen Technologie, Biologie und Psychologie. Die zahlreichen Untersuchungen der Konferenz „Living in Mixed Realities“ subsumierend, schrieb die „Berliner Morgenpost“: „Der Körper als Interface und ein mit Sensoren gefüllter Raum, ein Datenraum, das ist der Zukunftstrend.“<519> Und obwohl die ExpertInnenkonferenz den Körper in seiner kommunikativen Gesamtheit - oder eben in seinem diesbezüglichen Facettenreichtum - als Schnittstelle auffasste, warnte Martina Leeker begründet vor übereilter Schlussziehung in der Manier der naiven Frühkybernetik: „the body is not a tool you can fully control.“<520> Ihrer (stark poststrukturalistisch geprägten) Meinung nach kann der Körper innerhalb entsprechenden interdisziplinären Kunstpraxen (hier „Theater und Medien“) als ein „fluides Medium“ trainiert werden, seine Identität kann experimental verschoben und die spezifisch neumediale Performativität sowohl individuell als auch kollektiv/kulturell reflektiert werden.<521> Sowohl die menschliche (Netz)Haut, sein Gleichgewichts- und Orientierungssinn als auch die elektronischen


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Sensoren, Infrarotstrahlen, Touchscreens und ihre (menschlich oder maschinell wahrgenommenen) Projektionen, ferner die kompliziertesten KI-Anwendungen samt ihren Avatar-Repräsentationen und schließlich die hi-tech Plüschspielzeuge interagieren mit- und nebeneinander anscheinend intensiver als je zuvor. Und nicht nur der konkrete Körper, auch der umgebende Raum wird - durch hochpräzise Sensoren und leistungsstarke Computervernetzung<522> - zur „Schnittstelle“, die als solche wiederum eine erhebliche Begriffserweiterung erfahren muss. Um dem begrifflichen Hype Stand zu halten und einer Definitionsinflation zu widerstehen, bedürfte der Schnittstellenbegriff zudem noch einer genaueren konzeptuellen (Kapitel 1.3.1. und 1.3.2.), funktionalen (ab 1.3.4.), sowie historischen (durchgängig in 1.3.) und nicht zuletzt praktischen (3.1.) Differenzierung.

Anhand ihres spezifischen Bezugs zum menschlichen Körper könnte entlang der Entwicklungsgeschichte der interaktiven Kunst des 20. Jahrhunderts<523> eine ständige Befruchtung durch neue Technologien festgestellt werden, sowohl in den (kunsthistorisch als solche festzuhaltenden) Avantgarden der Zwanziger als auch in denen der Sechziger.<524> Nach einer Renaissance der Interaktivität in den aufbrechenden Kunstformen der Sechziger und Siebziger Jahre (Performance, Fluxus-Aktion, Happening, kinetisches Objekt, Straßentheater-Experiment usw.) beobachtet Robert Wechsler (Palindrome IMPG) kurz vor der Jahrtausendwende einen allgemeinen „Interaktivitätsrückgang“, der überraschenderweise auf die Computerbenutzung zurückzuführen sei.<525> Durch eine Euphorie der allgemeinen Computerisierung hätte sich der Mensch an der Schwelle des dritten Jahrtausends in einer Kommunikationsschlinge verfangen, wo er entweder nur noch mit sich selber kommuniziert oder die vorgefertigten Produkte der Medienindustrie und sogar -kunst unter dem Vorwand von Interaktivität und Echtzeitkommunikation konsumiert. In letzter Zeit wurde für die Medienkunst sogar mehrfach eine paradoxe Atrophie der Miteinbeziehung vom Publikum wegen vermeintlicher hochtechnologischer Ignoranz des „gemeinen“ Mediennutzers festgestellt.<526> Der Interaktivitätsmythos,<527> nach dem


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grenzenlos global und multimedial (interpersonal) kommuniziert werden sollte, wird von einer automatisierten Alltagsrealität aufgelöst, in der ein (intrapersonaler) Austausch des Menschen mit der vorprogrammierten Maschine und somit grundsätzlich mit sich selber zum Tragen kommt. Gegen billige Ergötzungsstrategien oder kurzatmige Aha-Effekte bei Konfrontation mit neuer Technologie und ihrer verführerischen Macht plädiert Wechsler für eine humane Techno-Kunst, die schließlich die Menschen untereinander näher zusammen bringen soll. Echte Interaktivität meint seines Erachtens immer noch einen Energiefluss und Impulsaustausch unter den Menschen - die Technologie sei lediglich ein Mittel dazu, keinesfalls Selbstzweck.<528> Die zwischenmenschliche Handlung geschieht jedoch zunehmend in einem medial gemischten Raum,<529> wo die Spezialeffekte ausprobiert, die Technik entmystifiziert und auf ihr kreatives/kommunikatives Potential überprüft werden kann. Vor allem in aktueller, zunehmend technoemanzipierter Kultur wird er zum sozialen und öffentlichen Raum,<530> wo der kommunikative Austausch - von digitaler (zeichenhafter, kognitiver) sowie analoger (physischer, affektiver) Information - unter den Menschen sowohl ihre natürlichen als auch ihre techn(olog)isch erweiterten Potentiale zu einer neuen Qualität zusammenführt: "In this day and age, ‚interaction‘ may sound high-tech, but in reality it belongs to the most primitive and innately human aspects of performing arts.“<531>


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Die aktuell wohl plausibelste Einschätzung einer “gemischt realen“ Welt basiert auf der Vorwegnahme, dass es eine einzige, festgesetzte und intersubjektiv überprüfbare Realität nicht geben kann und dass auch die konkrete, physische Realität lediglich eine relativ oberflächliche Übereinkunft über unsere individuellen Sinneswahrnehmungen und ihre Interpretationen ist. Dafür sprechen zumindest viele (und diverse) heutzutage anerkannte relativistische und konstruktivistische Theorien, die aber andererseits in ihrer „theorietrockenen“ radikalen Ausprägung aus den (im Kapitel 1.1.1.) bereits erwähnten Gründen um zu einiges kurz greifen müssen. Als Beispiel einer ausgewogenen und praxisinspirierten Vision behauptet Roy Ascott, eine der vordergründigsten Stimmen des aktuellen Medienkunstdiskurses, dass die Technologie, die zur Generierung, Unterstützung und Modifizierung unserer Realitäten bzw. ihrer Vielfalt nicht zu einem erneuten rigiden Realitätsdualismus führen sollte - vorerst zumindest aus einem bekennend konstruktivistischen Standpunkt:

“The evident aesthetic, as well as pragmatic, value of this technology should not [...] disguise the fact that what is commonly regarded as ’unmediated‘ and ’directly apprehended‘ reality is as much a construction as the virtual reality with which it becomes technologically fused.“<532>

Sowohl innerhalb eines (konstanten) Mixed-Reality-Alltags i. o. S. wie auch des darüber reflektierenden (einmaligen) Experiments entdeckt Ascott eine weitere komplexe perzeptive Qualität des Menschen und nennt sie „cyberception“. Als ein neuer kreativer Existenzmodus sei diese eine unbedingte Folge der Extensivierung unserer perzeptiven und kognitiven Systeme im Sinne Virilios (vgl. Kapitel 1.1.2.). Aus dem Wunsch nach der Kombinierung von „techne“ (Maschine) und „noetikos“ (Denken) zu neuen kognitiven Konfigurationen erwachse allmählich ein Bewusstsein der „technoetic“, eines qualitativ neuen Denkens, Fühlens und Handelns innerhalb der „Mixed Realities“ - in ihrer Funktion als „tools“ wie auch als „environments“. Dieses Zusammenfließen von immateriellen Systemen und materiellen Strukturen, von „trockenen“ digitalen und „nassen“ molekularen Welten, von Künstlichem und Organischem resultiert in einer (künstlerisch sowie breit kulturell potenten) Mischform von „moist media“ (feuchte Medien).<533> Die Kunst als Praxis, Experiment, ja als Spiel


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übernimmt in diesem Bereich eine zentrale Rolle, da gerade der unbelastet kreative Moment der Kunstproduktion die menschliche Kultur vor einer autodestruktiven Implosion angesichts einer unerträglichen Leichtigkeit der Kommunikation schützen könnte. Das Beispiel Roy Ascotts und seines „Planetary Collegium“ Netzwerks zeigt, wie eine transdisziplinäre Praxis innerhalb dieser artverschiedenen Forschungs- und Produktionsfeldern funktionieren könnte:

“Investment in research of a high order is necessary if we are not to collapse in the stupor of current global capitalism. Art has a part to play in this, where issues of aesthetics, perception, creativity and human values are fundamental. While Art research may be practiced locally (in a well resourced locale) it must develop globally (in a well connected network).“<534>

Als eine technologisch hochemanzipierte, aus der Perspektive des (selbst so „interkulturell“ geschulten) modernen Westens immer noch eigenartige Kultur empfinden etwa die JapanerInnen Mixed Reality - laut einigen AutorInnen sowie in persönlicher Erfahrung des Autors dieser Arbeit - wesentlich „normaler“ als die okzidental geprägten MediennutzerInnen. Die japanische Kultur versteht die parallelen Realitäten als einen Teil des (sowohl privaten als auch öffentlichen) Alltagslebens im Sinne einer „borderless mixture of real and virtual as well as the personal and public“.<535> Das conditio sine qua non der insbesondere intimen sowie der kollektiven Kommunikation sind parallele bzw. simultane Kanäle und wesentlich unhierarchische Informationsverarbeitungsmuster, durch die nicht nur „gezappt“ werden kann, sondern die ineinander fließen (sollen). Und da es sich bei einem (nun einmal konkret empfundenen!) technisch kompatiblen „Spiritualismus“ um dezidiert traditionelle, sogar religiös zu begründende Ansichten handelt, scheint er selbst in der hi-tech Perspektive mit dem Kontemporären kompatibel zu sein. Nach einem Exposé der im ähnlichen Sinne „typisch japanischen“<536> körperverfremdenden Sichtweise (die durch weitere Argumentation die spirituellen und die konkreten Aspekte des Lebens auf eine gemeinsame Stufe zu bringen versucht) beschließt Machiko Kusahara ebenfalls, dass das Gefühl unseres eigentlichen, organisch-biologischen Körpers erhalten werden muss, um die komplexe Gesamtheit der parallelen Realitätsphänomene auf eine gesunde Weise verstehen und mit ihnen leben zu können. Dies sowohl in der künstlerischen Praxis als auch innerhalb wissenschaftlicher und industrieller Aspekte neuer Technologien - und ihrer Auswirkungen auf diverse Nutzerkulturen. Als global bekanntestes Beispiel von Mixed Reality im Alltagsleben könnten einfach die mobilen Telekommunikationstechnologien beobachtet werden, die eine zentrale Rolle in der Verschiebung des traditionellen Raum-Konzepts spielen sollen: „Mobile communication is the main generator for dissolution of space. Mobility and domestics


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interlace in a new day-to-day space.“<537> Auch Annette Hünnekens betont den systematischen Charakter künstlerisch eingesetzter gemischter Realitäten, die den Menschen als einen aktiven Teil(nehmer) des komplexen (medienalltäglichen) Systems reflektieren und ihn inklusiv innerhalb einer gegebenen, konstruierten Wirklichkeit sowie exklusiv mit anderen Wirklichkeiten (Perspektiven, Kommunikationsinstanzen, Räumlichkeiten, Objekten usw.) interagieren lassen:

“Während der Betrachter in den gemischten Realitäten, wie sie in den virtuellen und artifiziellen Welten vorkommen, nach wie vor das Gefühl hat, mit diesen zu interagieren, so wird er sich erst aufgrund einer anderen (sic!) Wirklichkeitsauffassung bewußt, daß er nicht mehr ‚mit‘ einem Gegenstand interagiert, sondern sich ‚innerhalb‘ eines ‚Systems‘ befindet, dessen Eigenschaften gemischter Realität sich ihm sukzessive durch sein Handeln mitteilen, wie dies längst auch außerhalb der Kunstwelt, in der uns umgebenden Medienrealität der Fall ist.“<538>

Die BenutzerInnen der (überwiegend künstlerisch produzierten) MR-Environments berichten laut Kusahara von einer gesteigerten Gemütlichkeit und Freundlichkeit der MR-Environments, was höchstwahrscheinlich mit der vorangeschrittenen Konzipierung, dem Design und der Ausführung von Schnittstellen zusammenhängen dürfte. Der Körper muss beim allmählichen Eintauchen in ein MR-Environment eben nicht durch totale Immersion seine gesamte ursprüngliche Sensorik einbüßen, es gibt keinen „Sprung“ in die „andere“ Welt (mehr). Dadurch wird die MR- im Vergleich mit der VR-Technik als benutzerInnenfreundlicher empfunden. Es kommt zu entscheidend wenigeren Panik- und Orientierungslosigkeitsgefühlen, da der eigene Körper „mit reingenommen“ wird. In den MR-Environments kann der eigene Körper in der Regel immer direkt gesehen/gehört werden, weshalb die Symptome der Simulatorkrankheit (vgl. Kapitel 1.3.4.4., insb. Anm. 669) desto weniger intensiv sind. Auch ist eine Person meistens nicht von anderen Personen sensorisch isoliert und kann mit ihnen (optional) viel unvermittelter kommunizieren, außerdem bekommt die körperliche Bewegung eine eigene digitale (also „in-formative“) Qualität. Die Systeme „CAVE“ und „eMUSE“ können beispielsweise in diesem Sinne nicht nur als überzeugende Alternativen zu den HMD-basierten VR-Systemen, sondern als radikal neue Entwicklungsstufen dieser Technologien im Bereich der erweiterten („augmented“) bzw. gemischten Realität verstanden werden.<539> Der physische Körper funktioniert


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dabei als Vermittler und Konstante zwischen dem physischen und dem digitalen Raum und wird (wieder) zum zentralen explorativen und performativen Instrument: „[...] the physical and digital space must be scaled and calibrated to each other. [...] Thereby the body is the instrument to perform in and with the MR space.“<540> Der (technisiert) interaktive physische Raum wird - eben wegen seiner konkreten, sensorischen Kommunikation mit dem Körper - als Ganzes zur Schnittstellenumgebung („interface environment“).

“[...] the MR Stage cannot be navigated without the existence of an appropriate physical space. The physical space becomes an essential part of the interface. As a participant becomes immersed in the play of movement and sound, his awareness of being in space, and of the interaction with others, becomes increasingly a bodily one.“<541>

Anhand ihrer theoretischen Auseinandersetzungen wie auch ihrer kuratorischen Praxis bietet Kusahara eine interessante Taxonomie „verschiedener Körper“ im neumedialen Kontext an. Den „Körper“ versteht sie facettenreich und unterscheidet zwischen dem Körper als Bild, als virtuelles Objekt, als Datenpaket, als verstärkten, als erweiterten, als verlorenen oder als immergierten Körper. Als statisches Bild (durch Technologien für Lichtprozessierung und -speicherung) verliere der Körper vorerst seine physische Entität (sowie Identität), gewinnt sie jedoch einigermaßen durch sein „Aufleben“ im bewegten bzw. animierten Bild zurück. Durch die Technologien für Reproduktion können ideal(isiert)e Körper ausgestellt werden, werden somit virtuell, medienobjekthaft und verlieren am Eigentumswert. Mit digitalen Reproduktionstechnologien jedoch dematerialisiert der Körper darüber hinaus zu einem Paket von Daten, die sich (z. B. online) zwischen dem repräsentierten (Avatar im Cyberspace) und dem konkreten Körper (BenutzerIn am Rechner) nicht unterscheiden.

Durch inkorporierte Werkzeuge und Geräte wird der Körper verstärkt (“enhanced“), wobei Kusahara keinerlei Unterscheidung zwischen dem medizinisch und dem


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hochtechnologisch verstärkten Körper kennt. Das Gefühl des virtuell oder eben konkret erweiterten („extended“) Körpers konnte zwar bereits in den frühen Stufen der Telekommunikationsentwicklung beobachtet werden, doch die digitale Technologie veränderte den Körper in einer „radikalen“ Art und Weise. Am anderen Ende des telematisch erweiterten Kommunikationsmodells steht immer ein verlorener Körper, weil wir die (Ziel)Räume und die Proportionen seiner Extensivierung nicht mehr kennen: „while the real space is measurable, there is no sense of scale in cyberspace.“ Die immersiven Körpererlebnisse, wo die Gedanken („mind“) vom einem Körper entkoppelt werden, der im physischen Raum hintergelassen wird, ereignen sich nach der Meinung Kusaharas am spontansten im freizeitlichen Kontext des „Entertainments“.<542> Diese facettenreichen Körperaspekte bzw. (i. o. S. der Mixed Reality kulturspezifisch) parallel existierbaren und erlebbaren Dimensionen überschneiden sich und sind teilweise voneinander abhängig. Obwohl lediglich als Abgrenzung, nehmen sie alle Bezug auf den natürlichen, konkreten Körper, werden aber nur als dessen „virtuelle Erfahrungen“ bzw. derer Projektionen (Repräsentationen) im kognitiven Bereich verstanden. Darum bedarf es wahrscheinlich einer Umdimensionierung der geläufigen Typologien mit konkreten, am physischen Körper und im (daraufhin) messbaren, verorteten Raum definierten Parametern. Diese sollen jenseits von partikularisierenden Ontologien in den folgenden Kapiteln erschlossen werden.

Es handelt sich beim Konzept der Mixed Reality laut Kusahara sowohl um technische Elemente auf einem objektiven, materiellen Niveau als auch um gesellschaftliche, kulturelle Elemente, die auf der subjektiven Ebene wirken und das komplexe Miteinander ermöglichen. Die subjektiven Elemente sind den bereits bekannten „analogen“ Medien wie Photographie, Film, Fernsehen usw. verwandt. Diese wurden aber von den digitalen Technologien nicht nur erheblich erweitert, sondern verändern - und „inter-aktivieren“<543> - auch die Art und Weise, wie wir unsere Körper und unseren Raum (öfters kollektiv) wahrnehmen. Objektive Elemente wie Telekommunikation und VR- sowie MR-Technik haben den Körper und seine Umgebung neu und mannigfaltig definiert, mit dem Aufstieg von Gentechnik und Biotechnologie beginne ein weiteres Kapitel dieser Entwicklung.<544>

1.3.4 Technisierte Interaktion zwischen Alltag, Akademie, Industrie und Kunst

Als zentrales Merkmal sowohl der aktuell geläufigen Medienkunst, der informatischen Industrieentwicklungen als auch des (zunehmend) digital medialisierten Alltags hat „Interaktion“ durch die letzten Jahrzehnte erfolgreich die Zentralposition im breiten neumedialen Diskursfeld gehalten. In der marktorientierten Medienindustrie und -forschung haben sich diverse Interaktivitätskonzepte und Visionen (vorerst als


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Wunschversprechungen) rasch durchgesetzt und ein Zentralmythos wurde postuliert: nach der allgemeinen Hinwendung zum Rezipienten<545> wurde bald ein ausgewogeneres, (zumindest ansatzweise) zweiseitiges und reziprokes Kommunikationsmodell quer durch die Wissenschaften anerkannt - natürlich mit etlichen Ausnahmen einzelner traditionskonstanteren Richtungen und Schulen. Der Begriff „Interaktivität“ wurde vorerst im naturwissenschaftlichen, zunehmend interdisziplinären Diskurs verfestigt (Maschinenkybernetik, Bioökologie) und beeinflusste beinahe alle angrenzenden Diskurse (insbesondere im humanistischen Bereich wie etwa Kultur-, Sozial- oder Kunstwissenschaften). Die Praxis ging der Theorie teilweise voran, teilweise antwortete sie erst auf gewisse spekulative Verschiebungen im öffentlichen, populärwissenschaftlichen Diskurs. Als die erste erfolgreiche Technisierung einer natürlichen Interaktivität (z. B. Gespräch von Angesicht zu Angesicht) in der Geschichte könnte ansatzweise das Telegraph, gänzlich (obwohl weiterhin monosensorisch) erst das Telefon gesehen werden, besonders noch auf seiner interaktionsintensiven „full-duplex“ Entwicklungsstufe.<546> Aus der medientechnischen Sicht tritt im späten 19. und durch das gesamte 20. Jahrhundert an der Seite der „face-to-face“ Kommunikation ein immer wichtigeres Paradigma auf: „interface-to-interface“. Gerade in den aktuellen multimedialen und hochtechnisierten Kommunikationsmustern am Umbruch des Jahrtausends könnten die interessantesten Dynamiken dieser Verschiebung beobachtet werden. Ob es sich dabei um eine unerbittliche Konkurrenz oder doch primär um ein kooperatives Feld handelt, soll u. a. in der vorliegenden Arbeit untersucht werden (Ausführungen im Kapitel 3.2.1., Modellierungen in 3.3.3.).

Sobald sie technisch ermöglicht und kulturell (zuerst propagiert und antizipiert, danach) akzeptiert wurden, begannen die Massenmedien auch in Feedbacktechnologien zu investieren,<547> obwohl sie es über eine simulierte und partielle Interaktivität eigentlich (noch) nicht hinaus gebracht haben. Insofern ein Massenmedium, gilt erst das Internet - samt dem multimedial fähigen Personalscomputer als Endschnittstelle - für die erste interaktive technische Kommunikationsplattform<548> im wahrsten Sinne, die schon anfangs als


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polidirektionaler und (kulturrelativ) egalitärer Kommunikationsträger konzipiert wurde (als Übertragungs-, Speicherungs- und sogar Verarbeitungsmedium). Das natürliche Interaktivitätspotential des menschlichen Körpers wurde im multisensorischen (multimedialen) Sinne bisher noch keinesfalls vollständig technisiert - und die meisten Versuche erfolgen in der Regel immer noch aus der partikularisierten Perspektive einzelner Sinne bzw. Sinneskomplexe. Anregungen wie auch konkrete Vorlagen und Modelle entstammen wiederum einerseits den (militärisch und/oder freizeitindustriell motivierten) hi-tech Branchen und andererseits der Medienkunst, die das diesbezügliche Manko immer wieder kreativ einzusetzen weiß. Selbstverständlich steht auch die letztere laut Dieter Daniels öfters (berechtigt) unter dem „Verdacht, nur Abfallverwertung oder gar Pseudo-Legitimation von Militärtechnologie zu sein.“<549> Manche dieser künstlerischen Bemühungen bewegen sich bisher jedoch in der ambitiösen Richtung einer totalen Simulation der echten (inter- und intra)personalen Interaktion, erforschen aber parallel oft auch die Möglichkeiten einer den natürlichen Kommunikationsmustern des Menschen entsprechenden zweiseitigen Kommunikation mit der abstrakten digitalen (virtuellen, computergenerierten) Welt. Die rasante Entwicklung der elektronischen Medien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem aber der (zumindest global weiterhin andauernde) Computerboom der späten Achtziger und Neunziger, prägte andererseits natürlich auch die Kommunikation der DurchschnittsnutzerInnen und ihre interaktiven Strategien, die sich dann wiederum in der Technikentwicklung wiederspiegelten. Das vordergründigste interaktive Medium sowohl im künstlerisch-kreativen als auch im alltäglich-konsumtiven Sinne ist zweifelsohne der vernetzte multimediale Computer und dessen globale Ausdehnung - das Internet, welches sich den Interaktivitätsmythos von allem Anfang an auf die Fahne schreiben ließ. Und dies nicht ohne guten Grund: Die breite Attraktivität dieser kommunikativen Plattform entspringt laut Lucy Petrovich gerade dem beidseitigen „Informationsaustausch“, mag er unter „echten“<550> Menschen oder eben zwischen Mensch und Maschine erfolgen. Merkwürdigerweise behauptet Petrovich darüber hinaus auch, dass die stets anwachsende „Interaktivitätsstufe“ des Internets weiterhin der interaktiven computerbasierten Installation (samt ihrer alltäglichen Computerspiel-Pendants) verpflichtet bleibt.<551> Dabei ist bekannt, dass zumindest im globalen Maßstab nur sehr wenige InternetnutzerInnen jemals eine interaktive Installation live erfahren können; die Medienkunstfestivals bleiben beinahe ohne Ausnahmen weiterhin auf die urbanen, hochtechnologisch ausgerüsteten Zentren diesseits der „digital divide“ geographisch sowie sozial beschränkt.

Die Zwischenschaltung der Maschine als „Inter-face“ bezeichnet eine reale Bedingung der zwischenmenschlichen Kommunikation entlang des gesamten 20. Jahrhunderts, sowohl im echt- bzw. gleichzeitlichen als auch im asynchronen Paradigma. Die Technik erlaubt es bisher nur begrenzt, auf große Distanz und in der Echtzeit intensiv (multimedial) miteinander zu kommunizieren, obwohl ein umfangreicher Daten- bzw. Informationsaustausch (vgl. Kapitel 3.3.1.) bereits auf mehreren modalen Ebenen


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(siehe 1.3.1.3.) möglich ist. Die KünstlerInnen profitieren höchstens von der Reduzierung kommunikativer Möglichkeiten im Sinne einer kontrollierten und pointierten Monosensualisierung, die auch in den minimalistischen Prinzipien etwa des hi-tech Designs zu beobachten wäre. Die komplexen multimedialen (auch taktilen, olfaktorischen, thermosensorischen usw.) Ansprüche bleiben bei Weitem noch auf den Installationsraum begrenzt, der aber andererseits immer dichter lokal (auch kommunal, vgl. Kapitel 1.3.5.) vernetzt wird und lediglich auf globale Standards warten lässt (vgl. dagegen die Raumvernetzung der mobilen Telefonie oder des GPS). Vorarbeit dazu wurde sowohl auf staatlicher (etwa „Internet 2“ in den USA) als auch individuell-explorativer Ebene (etwa Heiligs „Sensorama“) bereits früh geleistet.<552> Die mono- bzw. höchstens bisensorische (nahezu) echtzeitliche Telekommunikation ist spätestens seit Einführung des Telefons der Normalfall, auch ihre visuelle Dimensionierung (festnetzgebundenes und portables Videotelefon, Webkamera usw.) wird allmählich zur Alltagsrealität.<553> Diskontinuierliche telematische Informationsübertragung unter den Menschen reicht noch viel weiter zurück und braucht in diesem Rahmen kaum weiter kommentiert zu werden, insoweit ihre (ikonographische, typographische usw.) Reduzierung im Auge behalten bleibt. Die natürlichen Interaktivitätspotentiale wurden wegen technischer Unzulänglichkeit entlang der ganzen menschlichen Geschichte (der „Telekommunikation“ sowie der „Maschinensteuerung“) ausgehebelt, was sich immer wieder auch in den Standards der unvermittelten zwischenmenschlichen Kommunikationssituation wiederspiegelte,<554> dies zumindest in der abendländischen, medientechnisch avancierten Kultur. Interessante Bruchstellen zeigen sich bei einigen künstlerischen Arbeiten nämlich eben in der Positionierung zum multisensorischen Hochstandard des „face-to-face“ oder auch der limitierten typographischen Kommunikation. Durch enorme Steigerung der Computerkapazitäten und dem Fortschritt im KI-Bereich stellt sich immer öfter die bekannte Turing-Test-Frage: inwieweit haben wir es auf der anderen Seite noch mit einem Menschen zu tun?


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Der implizierte Mensch als Autor der Maschine bzw. des Programms (Input) ist eben ein anderer als der maschinensimulierte Mensch (Output). Des Weiteren stellt sich auch die Frage der Gleichberechtigung zwischen dem mythischen „Schöpfer“ und seinem „Produkt“: ob der Mensch überhaupt will, dass die (seine) Maschine mit ihm (gleichberechtigt) kommuniziert - insbesondere noch, wenn das Produkt ein „Eigenleben“ zu entwickeln scheint! Die dialogische Situation wird - selbst unter neuen technischen Bedingungen - weiterhin als das Grundmuster der Kommunikation betrachtet, „in denen es keine zentrale Autorität gibt, die den Ablauf festlegt. Dies ist die entscheidendste Bedingung für die kreative Verwendung interaktiver Medien.“<555> Bei der interaktiven Installation repräsentiert die Maschine bzw. das System ihren Schöpfer (als Autor) oft a posteriori (traditionelles Modell des abgeschlossenen Kunstwerks), wodurch seine kommunikative Rolle einigermaßen entschärft wird. Andererseits können die AutorInnen durch die Programmierung als Festlegung der Abläufe und die Modellierung bzw. Abgrenzung des kommunikativen Raums entscheidend auf die Kommunikation mit/unter den BenutzerInnen (und den Maschinen) einwirken. Entweder interagieren die BenutzerInnen mit der Maschine oder eben untereinander im Kontext der Maschine (hier als kommunikative Plattform, als Katalysator, Platzhalter oder sogar als Vortäuschung eines Menschen), wobei die Autorenrolle hinter der interaktiven Qualität seiner Arbeit (als Werk) deutlich zurücktritt.

An den historisch (komparativ) motivierten Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Interaktion im Bereich der Medienkunst mangelt es kaum.<556> Das mediale Leitmotiv hat die künstlerische Praxis in ein wahrhaft interdisziplinäres Milieu verschoben und setzte erneut Hoffnungen auf Emanzipation des bisher immer wieder „verschwindenden“<557> Körpers, auf sein neuentdecktes multimediales Kommunikationspotential und auf Ökologie<558> innerhalb einer hochtechnisierten Umwelt. Das künstlerische Schaffen im Bereich der interaktiven computergestützten Installation bekam sowohl das Vorrecht eines Versöhners zwischen der bisher entfremdeten Wissenschaft, der Kunst und Technik wie auch das Ressentiment einer schwer vermarktbaren und im Prinzip benutzerInnenfeindlichen oder zumindest „sperrigen“ Kunstform. Mit der Zeit haben sich etliche Hoffnungen weitgehend erfüllt und die Vorurteile an eine „entkörpernde“ Medienkunst dienen heute nur noch als ex-


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negativo Positionen<559> innerhalb techno- sowie kulturoptimistischer Extrapolierungen der aktuellen Kunstdebatte (und ihrer interdisziplinären Visionen). Es ist nämlich längst klar, dass der Körper nicht nur als (Ab)Bild bzw. Vorstellung und als Erinnerung,<560> sondern in seiner konkreten Materialität in die computergenerierten Welten (immer als Mischformen von Hardware und Software) mit hinein genommen werden kann - und muss. Nur dadurch erfolgt eine wahrhaft totale und befriedigende Erfahrung, wo der eigene Körper als Bezugsgröße - sowohl zu sich selber als auch zur konkreten oder eben nur simulierten Außenwelt - wieder eine zentrale Rolle spielen kann, und als (Multi)Medium empfunden oder sogar wiederentworfen wird.

Pop-Art Ikone und Medien(kunst)experimentator par excellence Robert Rauschenberg behauptet, dass Technologie und Kunst durch ihre Kooperation und Interaktion zukunftsweisend, ja revolutionär die menschliche Handlung auf der individuellen Ebene zu einer kreativen Freiheitsstufe (um)steuern können. Eine Vision des neuen Kunsttechnikers - oder doch eher Technokünstlers - erscheint heute plausibler als je zuvor.<561> Es verbreite sich aber, laut dem Kunsthistoriker Kai Uwe Hemken, seit den Sechziger Jahren in der Medienkunst-Szene ein teleologischer Mythos der endgültigen Begattung von Kunst und Technik, der an der Jahrtausendwende seinen Gipfel zu erreichen scheint: „Die Neue-Medien-Kunst ist angetreten, die beiden noch entzweiten Hoffnungsträger der westlichen Kultur zu vereinen.“<562> In den Ausstellungen und Publikationen, bei Tagungen und künstlerischen Aktionen beobachtet Hemken eine Kulminierung dieser Erlösungsversprechung, die gewiss an ein gefährliches selbstgefälliges Monologisieren<563> oder zumindest an exklusive Gruppendiskursbildung erinnern dürfte. In ihren Zuständen der Hybridität, Zeitlosigkeit und Allgegenwärtigkeit weisen die neuen Medien offenbar noch eine Tendenz auf, sich von der Diskursivierung (als Manifestation kultureller Machtstrukturen nach Foucault) isolieren zu wollen:

„Die neuen Medien sind qua Technik universal einsetzbar, von einer omnipotenten Wirkung, vereinigen verschiedene Gattungen und Themen, sind keinesfalls der Tradition verpflichtet und keinen Kriterien zuzuordnen. Sie sind

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formvollendet, indem sie allgemeingültig sind und sich zugleich jeglicher Kategorisierung entziehen.“<564>

Dies sei das allgemeine Anzeichen einer altbekannten<565> und neulich wiedererweckten avantgardistischen Tendenz, Kunst und Leben zusammen zu bringen. Die neumediale künstlerische Praxis benutze dasselbe Instrumentarium wie die breite Bevölkerung, die eine kohärente (Techno)Kultur darstellen sollte, und könne damit die Kulturentwicklung tatsächlich entscheidend beeinflussen. Als ein besonderer Fall in diesem kunst-geschichtlichen Rhythmus wird die künstlerische Praxis gegenüber dem bekannten avantgardistischen Antagonismusprinzip diesmal „in die gesellschaftliche Praxis eingegliedert, so dass eine Selbstrechtfertigung überflüssig wird.“<566> Dabei greifen die Interessen der Politik, Wirtschaft und Kunst laut Hemken erstaunlicherweise ineinander - die technoeuphorischen Zukunftsversprechungen einer politischen Agenda werden von der Kunst automatisch verfochten. Darüber hinaus bediene sich die Industrie im Fall der dezidiert neuen Medien noch insbesondere der Ergebnisse des künstlerischen Experiments, was die Kunstpraxis im Kreiseffekt unvermeidlich beeinflusst und sich außerdem öfters im theoretischen Diskurs (als meistens nur schwach reflektierte Binsenwahrheit) bestätigt findet.<567>

Obwohl laut einigen autonomieästhetischen Deutungsweisen die interaktive Kunst keine definitiven Aussagen an sich vermitteln sollte,<568> könnten entlang der i. o. S. verstandenen Kunstgeschichte immer wieder explizit engagiertere Phasen festgestellt werden. Außerdem sehen sich etliche relevante Künstler stets nicht nur in einer „werkinternen,“ sondern auch in einer „kunstgeschichtlichen Kontinuität,“<569> die jenseits unkonstruktiver Bruch-Strategien zu einer zwar paradoxen, immerhin (techno)kulturell sinnvollen Tradition der medialen sowie kommunikativen (Selbst)Reflexion des Menschen beitragen könnte. Da ein gewisses Engagement im Falle einer solch „dialogischen“ (vgl. Kapitel 3.3.3.1.) Kunst nur durch Miteinbeziehung sowohl des Produzenten als auch des Rezipienten erfolgen kann (und die beiden Positionen nicht immer festlegbar sind), erscheint eine solche Differenzierung wegen generell diffuser (weil zunehmend gleitender) Positionen des Autors, des Kunstwerks


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und seines/ihres Betrachters<570> äußerst problematisch und bedürfte im Interesse einer plausiblen empirischen Strategie weiterer Dimensionierungen sowie etlicher Konzeptpräzisierungen - und ihrer Gegenpositionen.

1.3.4.1 Inter-aktivitäten

Ästhetische Interaktion verdichtet sich für Hemken als zentrale Kategorie der Avantgarde(n) des 20. Jahrhunderts im Konzept der „tertiären Interaktivität“ als das wichtigste kommunikative Paradigma der neumedialen Kunst. Es schließt sowohl die „primäre Interaktivität“ (als bloßes Reiz-Reaktions-Muster) und die „sekundäre Interaktivität“ - als „Formen der [psycho-physiologischen, P. P.] ästhetischen Animation im Zuge gesamtkultureller Befindlichkeiten“<571> - ein und kulminiert in einer komplexen „Optimierung der Partizipation am Kunstwerk,“ die sowohl den Einzelnen in seiner Macht(losigkeit) als auch die Machtmechanismen einer diskursivierten Kultur heraushebt.<572> Diese Art von Interaktivität hätte seit den Sechziger Jahren stets an Bedeutung gewonnen (am stärksten in Concept-Art, Pop-Art, Performance-Art, gefolgt von Fluxus und Happening) und exemplifiziere die avantgardistische Tendenz, „auf die Prozesse der gesellschaftlichen Praxis zu reagieren und ihre Strukturen auf komplexe Art und Weise zu repräsentieren.“<573> Die Bestrebungen Rauschenbergs und Warhols sollten auch in diesem Kunstbereich den „emanzipierten Betrachter“ hervorgebracht und somit die „hohe“ und die Alltagskultur aneinander angenähert haben.<574> In den Achtziger Jahren hätte angesichts einer breiten (und selten kritisch reflektierten) Affirmation der damals „neuen“ Medien angeblich eine Verschiebung der „tertiären Interaktivität“ von der Medien- und Institutionskritik zur diskurskritischen Perspektive stattgefunden (obwohl die Medienkunst seit ihren Anfängen zumindest in der Praxis stets eine gewisse Stufe von Kulturkritik aufrechtzuerhalten scheint). Lartpourlartistische Tendenzen gab es aber auch in der Medienkunst zahlreiche. Wegen ihrer spezifischen Gebundenheit an technische Mittel oszilliert sie paradoxerweise zwischen einer selbstentblößenden Technoaffirmation und einer engagierten, emanzipatorischen technokulturellen Subversion, wobei einzelne Projekte beide Züge parallel aufweisen können.


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Für die Neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts könnte nicht nur eine allgemeine Wiederkehr des Körpers<575> in der (allerdings postmodern relativierten bzw. inkonsistenten) Popkultur wie auch im wissenschaftlichen Diskurs konstatiert werden. Seine (kultur)kritische Problematisierung in beinahe allen Kunstformen kann kaum überschaut werden, wobei die installative (partizipative) Medienkunst eine besondere Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der körperlichen Identität, Intimität und Interaktivität aufweist. Durch die (selbst)analytische Optik der Avantgarden im vergangenen Jahrhundert schließt Dieter Daniels auf eine Art disziplinäre Interaktion bei der künstlerischen Beschäftigung mit „wissenschaftlichen, technischen und medialen Innovationen.“ Diese drei Parameter verbinden die jeweilige mediale Neuerung notwendigerweise mit der jeweiligen Medienkunst (en vogue) in ihrem reflexiven, kommentierenden, potentiell kritischen Moment:

„Das benutzte Medium bestimmt den kulturellen Kontext, in dem das Werk wahrgenommen wird. [...] Jedes neue Medium trägt in sich den Anspruch auf eine neue Definition der sozialen Rolle und ästhetischen Funktion von Kunst. [...] Im Kontext der Kunst werden Modelle von medialen Ausdrucks- und Wahrnehmungsformen in experimenteller Reinheit entwickelt, die später in die Massenmedien durchsickern.“<576>

Kai Uwe Hemken zeigt auch auf eine symptomatische Fixierung in der Debatte um die Medienkunst der Neunziger Jahre, nämlich um die Tatsache, „dass die aktuellen Modelle der Interaktion, wie sie die neuen Medien aufwerfen, in der Hauptsache von technischen und weniger von kulturellen Fragestellungen ausgehen,“ was schließlich zu einer gefährlichen Verengung des Interaktivitätsbegriffs führen sollte.<577> Mit einer konservativ angestimmten Argumentation versucht Hemken die methodische (also medientechnische) Transparenz solcher Kunst als bloße Vereinfachung in Frage zu stellen. Mit offensichtlicher Beschränkung auf die orts- (bzw. galerie-)gebundene computerbasierte Installation und ohne die telematische Dimension dieser Praxis (Computernetzwerke, mobile Anwendungen) zu beachten, diagnostiziert er schließlich auch einen Komplexitätsverlust „durch die Abhängigkeit von Instrumentarien, denn Multimediawerke sind in der Regel (noch) ortsgebunden (Rechner, Museen etc.), während andere Medien grundsätzlich in der gesellschaftlichen Praxis (Plätze usw.) agieren können.“<578> Die computervernetzte Dimension könnte für die frühen Neunziger Jahre vielleicht noch als technisch problematisch angenommen werden, doch angesichts der rasanten Entwicklung des Internets und der dazugehörenden Technologien kann nach dem Jahr 2000 nur noch fallbeschränkt von „Ortsgebundenheit“ gesprochen werden. In letzter Zeit weichen die „closed circuit“ Systeme eindeutig den immer zahlreicheren delokalisierten (auf einer gewissen online Existenz aufbauenden) und damit multilokalen (örtlich distribuierten) Projekten, die durch die elektronische Vernetzung eine entscheidende Zunahme an sensorisch


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immer noch reduzierter, doch immerhin simultaner Interaktivität (wie auch ihrer Beliebtheit und in beschränktem Umfang sogar Zugänglichkeit) aufweisen. „Ortsungebundenheit“<579> könnte also als die entscheidende Qualität der aktuellsten Medienkunstprojekte festgehalten werden, die mit ihrer räumlichen Verstreutheit auf das wichtige strategische bzw. taktische<580> Potential verweisen: die vernetzte, multilokale „distributed performance“<581> und die delokalisierende Raumsimulation des Internets, insbesondere noch ihre Mischformen gehören zu den zentralen Kategorien der aktuellen Medienkunst, die jedoch im oberen, taktischen bzw. (körper- oder raum)politischen Sinne noch nicht genügend ausgewertet wurden. In diesem Hybridmodus kann der Körper zwischen seiner sozialen und seiner intimen Dimension (territorial, kreativ, repräsentativ usw.) auf einer kulturell relevanten Folie am effektivsten problematisiert, umgewertet und (wieder)emanzipiert werden. Die Möglichkeit, mit diesen medialen Kontexten kritisch umzugehen wird dadurch eigentlich erweitert, obwohl die Behauptung Hemkens weiterhin zutreffen mag, Interaktion und Simulation seien trotz ihrer computergestützten Optimierung nicht unbedingt die einzigen zukunftsweisenden Aspekte aktueller („moderner“!) Kunst.<582>

Daraus schließend sei nicht zuletzt dem (kunsthistorisch zweifelsohne brisanten) Beitrag Hemkens noch ein weiterer wichtiger kritischer Aspekt abgenommen: die perfektionierende technische Verschiebung von der künstlerischen Illusion zur Simulation sollte die menschliche Vorstellungskraft im Sinne einer „zweiten Moderne“<583> aushebeln. Der somit (wieder)individualisierte Betrachter wird - mit Hemkens Rekurrenz auf Dirk Baecker, Fred Forest und Gumbrecht/Pfeiffer - eben kein ideeller Vollender eines offenen Kunstwerks, „sondern Produzent einer individuellen Bedeutung, die sich in Wechselwirkung zu kollektiven Sinngebungen und diskursiven Strukturen gesellschaftlicher Praxis weiß.“<584> Einigen der KünstlerInnen sowie theoretischen ProtagonistInnen der Medienkunst, denen Hemken lediglich „Sehnsüchte der Teilhabe und Mythen der Interesselosigkeit“ (anhand einer angeblich vorgetäuschten, simulierten Einheit von Leben und Kunst) vorwirft, sei in den folgenden Kapiteln das Wort und in der zweiten Hälfte der vorliegenden Arbeit auch empirische Untermauerung ihrer Wirklichkeit(en) erlaubt.


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1.3.4.2 Wunschplattform Computer

„Erst in der Computerkunst konnte die Interaktivität ihre charakteristische Form entwickeln. Sie ist hier zum internen Prinzip der künstlerischen Kommunikation geworden. Der Betrachter muß sich, will er das Kunstwerk ‚erschaffen‘, zuerst auf ein Spiel bzw. eine Kommunikationsstrategie einlassen, in deren Verlauf das Objekt der Wahrnehmung erst seine eigentliche Form erhält.“<585>

Der Computer als Medium der Interaktion zwischen ProduzentIn, Werk und BenutzerIn,<586> als Spiel- und Kommunikationspartner sowie zwischenmenschliche Vermittlungsinstanz zugleich, bietet bereits seit den ersten kulturrelevanten Entwicklungsschritten in den Sechziger Jahren eine (mehr oder weniger explizit digitale) Simulation oder sogar Alternative für den „Mitmenschen“. Immer überzeugender und aggressiver erweitert er sogar die kommunikativen Erwartungshorizonte und positioniert sich zunehmend als die rahmenbestimmende Instanz am neumedialen Aufmerksamkeitsmarkt: Multitasking wurde längst zum Maximenprogramm des „modernen“ Menschen, Schnittstellenschulung und kybernetische Navigation (Surfing) scheinen seinen alltäglichen Umgang mit der Umwelt radikal umgestimmt zu haben.

Aus einer wesentlich technoaffirmativen Position filtert Ästhetikphilosoph und Medienkunsthistoriker Frank Popper, nach einem (visuell selektiven) Streifzug durch die „High Technology Art“<587> der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die fünf wichtigsten ästhetischen Einsatzbereiche für den Computer: Environmental Art (interaktive Licht-und-Ton-Schauspiele und Laserkunst seit 1968), Videodisks (Otto Piene seit 1970), kybernetische Skulpturen (im Trias Kunstwerk-Raum-Benutzer), plastische Film- und Videobilder (3D-Technik und VR), telekommunikative Ereignisse.<588> Dieser praktischen - und wieder einmal symptomatisch in der bildenden Kunst und ihren visuellen Strategien gründenden - Einteilung wären mindestens noch die in den letzten Jahren immer häufigeren computerbasierten (und oft auch körperzentrierten) Klang- und Musikexperimente, computerunterstützte sowie -übertragene Tanz- und Theaterprojekte wie auch die multimedialen Mischformen aller erwähnten Bereiche hinzuzufügen. Neben seiner Rolle als „Schmelztiegel für viele hochentwickelte Techniken“ sei der Computer auch ein „wirklich interaktives Instrument [...], das ebenso die kreative Entfaltung von plastischen Elementen wie eine neuartige Wahrnehmung von Zeit und Raum erlaubt.“<589> Das intermediale und extrem kreative Potential des Computers bestätigt auch Kurator und Kunsthistoriker Michael Rush: „Digital technology, for which the computer is the basic tool, embraces all areas of contemporary technologically involved art, from films, to photography,


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sythesized music, CD-ROMs and much more.“<590> In ihrem Facettenreichtum sei “Interaktivität“ laut Rush auch das typischste Merkmal der digitalen Kunst, das kaum ein Artefakt nicht einschließen würde. In seiner ebenfalls stark visuell befangenen Darstellung scheint Rush Interaktion in ihrer anthropozentrischen Dimension als zwischenmenschliche Kommunikationsübertragung durch Maschine/Programm (als autorisiertes Kunstwerk) zu verstehen:

„‘Interactive‘ has emerged as the most inclusive term to describe the type of art of the digital age. Artists interact with machines (a complex interaction with an automated but intelligent object) to create further interactions with viewers who either summon up the art on their own machines or manipulate it through participating in pre-programmed routines, that can themselves vary (thus far only in limited ways) according to the commands, or simply movements of the viewer.“<591>

Vorbei an der ehemaligen Zukunftsmusik der optischen Neurocomputer und angesichts einer bereits unüberschaubaren Komplexität der technologisch unterstützten Künste kündigte Popper für den Anfang der Neunziger Jahre eine neue Stufe der künstlerischen Entwicklung an: „die Gestaltung des neuen Verhältnisses zwischen den Menschen und dem kreativen Prozess, zwischen den Menschen und seinen Artefakten,“ das sich in einer veränderten ästhetischen Praxis mit Möglichkeiten der Partizipation und Interaktion auszeichnen sollte.<592> Poppers Polarisierung des ästhetischen Kommunikationspotentials hat sich durch die Neunziger Jahre praktisch kaum bewähren können. Die Konzepte und Praxen der Interaktivität haben einige wichtige Modifizierungen und Weiterentwicklungen erfahren, die in der vorliegenden Arbeit (Kapitel 3.) genauer untersucht werden. Bei partizipativen Kunstwerken werden die BenutzerInnen (damals noch als „BetrachterInnen“ allzu oft monosensorisch behandelt) in das Werk - oder eben die Handlung im Sinne von Aktion oder Prozess - als Teil des Kunstwerks intellektuell (siehe Anm. 1003) und körperlich einbezogen bzw. von den KünstlerInnen einkalkuliert (kodiert/programmiert), was sich als wesentliches und emergentes Merkmal der Kunst der Sechziger Jahre (kinetische Kunst, Happening, Fluxus, Theaterexperiment usw.) bis ins Heute verfolgen lässt. Als eine „weit intensivere Einbeziehung“<593> bezeichne dagegen „Interaktivität“ die Unabhängigkeit der


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BenutzerInnen, die eine entscheidende Rolle bei Gestaltung und Ausführung des Kunstwerks spielen, was eben durch neue Technologien unterstützt oder eigentlich erst ermöglicht wird. Diese neue, obwohl immer noch relative Autonomie des Rezipienten bedeutet eben keine Reduktion auf einen maschinellen Solipsismus (wie etwa bei den einfacheren, früheren „closed circuit“ Systemen), sondern eine multisensorische, totale Erfahrung des Anderen - als vom Menschen produziertes Werk vs. MitspielerInnen im Werk - oder eben eine ästhetisch vollwertige Selbsterfahrung.

Vor allem im global vernetzten Kontext ermöglicht diese Zwei-Wege-Kommunikation unter mehreren PartnerInnen eine intensive Beteiligung am Kunstwerk auch über große physische Entfernungen, wobei Popper für das elektronische Fin de Siècle die politische und gesellschaftskritische Schärfe der partizipativen Kunst der Sechziger Jahre mit Berechtigung vermissen lässt. Stattdessen handelte es sich in den Achtzigern angeblich um die „allgemein menschlichen und alltäglichen Probleme oder Aspekte der Umwelt mit einer manchmal veränderten ‚wissenschaftlichen‘ Inszenierung“.<594> Parallel zu der Entwicklung des Internet in der zweiten Hälfte der Neunziger haben sich die politisch engagierten Positionen im computervernetzten Kontext noch einmal verschärft, einerseits wegen der anwachsenden Zugänglichkeit der Technik und ihrer Technologie (der sozialen „digital divide“ zum Trotz), andererseits wegen der allgemeinen Repolitisierung der Kunstszene und ihrer Diskurse anhand einer vielschichtigen Globalisierung. Da sich bei den frühen partizipativen Kunstwerken oft die Freiheit der BenutzerInnen als Einschränkung für die AutorInnen herausstellte, hätten laut Popper die medialen Kunstwerke der Achtziger zwar einen engeren Handlungsraum, immerhin eine „reichere künstlerische Konzeption [...], die sich auf ausgedehnte physische Räume erweiterte und mehrere sinnliche Vermögen der Zuschauer ansprach“, und dadurch eben ein wesentliches Mehr an Interaktivität (auch als „tertiäre Interaktivität“ nach Hemken, siehe Kapitel 1.3.4.1.) hervorzeigte. Dies gründete auf einer „gelungenen Anpassung von ästhetischen und technischen Forschungen [...], die besonders durch besser beherrschbare und differenzierte Techniken ermöglicht wurden.“<595> Durch die expandierende Computerindustrie steigerten sich auch die kreativen Möglichkeiten für die EndbenutzerInnen, da sie (mit anwachsendem körperlichem Einsatz durch immer ergonomischere „natürliche“ Schnittstellen, vgl. Kapitel 1.3.1.2.) manchmal die Rolle des Künstlers einnehmen konnten, was mit der allmählichen Entwicklung der telekommunikativen Computeranwendungen noch um einiges intensiviert wurde. Entweder blieben somit (bis heute) die BenutzerInnen auf die, allen zugängliche, allgemein bekannte und deshalb besser kommunizierbare Computersoftware eingeschränkt (man betrachte nur die allmähliche Standardisierung von PC und MAC Konfigurationen) oder sie setzen sich mit den diesbezüglichen „Kunstwerken“ auseinander, die in der Regel (außer bei Netzkunst)<596> immer noch einen gewissen


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Grad an technischer Ausstattung und umfangreicheren Software-Kenntnissen verlangen. Letzteres hilft u. a. auch die Rolle des Künstlers als Orchestrators bzw. „Koordinators“ (Popper) sowohl auf der technischen als auch auf der ästhetischen Ebene weiterhin aufrecht zu erhalten. „Vielleicht ist die angemessene Freiheit jeder schöpferischen Freiheit eng an eine ausgewogene Balance zwischen der ästhetischen Imagination und der technischen Realität gebunden.“<597>

Neben Interaktivität postuliert Popper Ende der Achtziger die Momente der Simulation und der künstlichen Intelligenz (vgl. Kapitel 1.3.4.3.) ins Zentrum der künstlerischen Entwicklungstendenzen der Neunziger Jahre, was sich aus dem aktuellen Rückblick auf die Praxis größtenteils tatsächlich bestätigt findet. Neben der (vom visuellen zum taktilen und auditiven Paradigma voranschreitenden) VR-Kunst bezeichnet Michael Rush nach einem Jahrzehnt die webbasierte Netzkunst und die interaktive computerbasierte Installation als die relevantesten in der Debatte um die zeitgenössische interaktive Kunst - die Performancekunst (3.1.) bleibt auch an dieser Stelle ausgeklammert. In den interaktiven Möglichkeiten der digitalen Technologie bemerkt Rush außerdem einen entscheidenden Aufschub für die Musik und Videokunst („interactive cinema“, interaktive Videoinstallation usw.), nach dem Theater bedient sich nun auch Tanz zunehmend der neuesten digitalen Technologien wie „motion sensing“, „motion capture“ und Computernetzwerke, wo der Computer als eine wahre multimediale Plattform in seiner vielleicht größten funktionalen Vielfalt zum Einsatz käme.<598>

Die aktuelle Medienkunstszene ist damit aber in ihrer Formenvielfalt bei Weitem nicht beschrieben worden. Die ohnehin hybriden Ansätze kombinieren sich zu immer neuen interdisziplinären Mischformen. Nach der Jahrtausendwende scheint die künstliche Intelligenz erneut im Trend, vor allem in Grenzbereichen zu VR- und MR-Installationen wie auch im Kontext des „öffentlichen Raumes.“<599> Rushs Einschätzung, dass bis 1999 nur sehr wenigen (wohl daran spezifisch interessierten und institutionell entsprechend situierten) KünstlerInnen mit VR-Technik zu arbeiten überhaupt möglich war,<600> trifft nach gut fünf Jahren nur noch in geringerem Maße zu. Die Anzahl und Qualität der staatlichen Institute und Universitätsprojekte, etwas weniger auch der Initiativen aus dem privaten bzw. industriellen Sektor, die sich mit solchen künstlerischen bzw. wissenschaftlichen Experimenten befassen, steigt im globalen Maßstab an, wobei die urbanen Zentren des westeuropäischen, nordamerikanischen, australischen und japanischen Raums immer noch zumindest statistisch hervorstechen. Doch vielerorts gibt es auch Anzeichen dafür, dass der (zumindest visuell zentrierte) Hype im technomodernen Nordwesten vorbei ist, bzw. dass er dem


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migrierenden hi-tech Trend in globaler Perspektive ost- und südwärts folgt (Ost- sowie Südosteuropa, Russland, Indien, einige Länder des Nahostraums, China, Südostasien, einige Länder Lateinamerikas). Dem angelsächsischen Kulturraum zeigte sich in den Neunziger Jahren allerdings vorerst Deutschland,<601> an der Jahrtausendwende aber zunehmend auch der gesamte europäische Raum immer ebenbürtiger, besonders auch die skandinavischen Länder. Ein leiteinamerikanischer Sonderfall bleibt weiterhin Brasilien mit seinem regen und global verzweigten Universitäts- und Institutsnetzwerk sowie einer erstaunlichen privaten BenutzerInneninitiative.<602> Besonders im Mixed-Reality-Bereich ist Japan wegen seiner technischen und kulturellen Spezifik allen noch ein Stück voraus (vgl. insb. Kapitel 1.3.4.), der Rückstand von technologisch hochentwickelten Ländern und technologischen Zentren des gesamten Asiens (samt Indien und des ehemaligen sowjetischen Raums) wird immer kleiner.

Auch die Festivals und Konferenzen häufen sich von Jahr zu Jahr, manchmal reagieren sie erst auf den (serien)industriellen Fortschritt im künstlerisch-wissenschaftlichen Experiment, noch öfters beeinflussen sie die Praxis (sowohl Kunstproduktion wie auch Industriedesign) durch ihre theoriebildendende Diskurse sowie durch praktisches Experiment.<603> Bei der computerbasierten Installation und Performance (insbesondere der ortsgebundenen Art, zunehmend aber auch bei den multilokalen Varianten) ist ein naher Kontakt und reger Austausch zwischen Theorie und Praxis zu beobachten, zumal sich die Entstehungskontexte oft sowohl zeitlich als auch örtlich überschneiden: die Konferenzen werden immer öfter mit Workshops, interdisziplinären Foren und strukturflexibleren Brainstormings (etwa als bereichsspezifischen „think tanks“) wie auch (öffentlich zugänglichen!) Performances und Interventionen in den urbanen bzw. lokalen Raum komplementiert. Statt einerseits der noch allzu oft betriebenen trockenen wissenschaftlichen Recherche und andererseits des mythologisch festgeankerten isolierten Kunstschaffens (etwa als negativ gelesene Autonomieästhetik) zeigt sich eine solch kreative und reflexive Verdichtung artverschiedener Denk- und Handlungsweisen an Ort und Stelle wie auch ihre Eröffnung zum „Alltag und Jedermann“ im Sinne sozialer, interessengruppenübergreifender Events als eine zukunftsweisende (weil disziplin- und interessengruppenübergreifende) Option.

1.3.4.3 Gegen den elektronischen Strom der Interpassivität

Betont affirmative Ansätze finden in jedem (aktiven) Diskurs ihre jeweiligen Gegenkonzepte, nicht zuletzt wohl um einem beschwingten Optimismus das relativierende Gegengewicht anzubieten und somit eine nachhaltige Selbstreflexion


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der jeweiligen Kultur bzw. des diskursiven Kontexts abzusichern. Die offensichtliche Passivität des medialen Konsums im Fall der lediglich in einer Richtung (sog. „simplex“) ausstrahlenden Massenmedien und ihre leeren (meistens als misslungene Bemühungen getarnte) Versprechen einer Rückmeldungsschleife leiten die Hoffnung auf andere, nun einmal „echte“ Interaktivität versprechende Medien um, die das Versprechen endlich einlösen sollen. Dies verdichte sich laut Dieter Daniels in der Ursprungsthese „von der emanzipatorischen Kraft der Medien,“ die in verschiedenen Ausprägungen durch die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verfolgen wäre. In einer ästhetisch sowie sozial motivierten kulturkritischen Manier besage sie,

„dass sich mittels der Medien die gesamtkulturelle Tendenz zur passiven Rezeption aufbrechen ließe - vorausgesetzt, diese Medien werden nicht im Interesse der Distribution von Kapital und Industrie eingesetzt, sondern können das ihnen innewohnende Potenzial zur Interaktion und Kommunikation entfalten.“<604>

Im hier untersuchten Falle der allgemeinen Interaktivitätseuphorie verdichtet sich das Konzept der „Interpassivität“ als Negativum erst spät nach der Etablierung von „Interaktivität“ im künstlerischen wie auch wissenschaftlichen Diskurs und der Durchdringung des Konzepts in den außendisziplinären Alltag. Dies soll jedoch keinesfalls bedeuten, „Interpassivität“ sei ein exklusives Phänomen des späten zwanzigsten Jahrhunderts! Wahrhaft wird sie jedoch in der multimedialen, multilokalen und hyperbeschleunigten Welt der elektronischen Vernetzung ihre Zuspitzung gefunden haben. Es ist nämlich bereits früh erkannt worden, dass sich das Interaktivitätskonzept als Ideal auf der deklaratorischen Ebene durchgesetzt hatte und zu einer projektionsbereiten Allzweckbezeichnung für viele im Grunde „interpassive“ Projekte und Situationen wurde. Beim allgemeinen Interaktivitätshype handelt es sich aus dieser Perspektive um eine unechte Interpretation von Interaktivität, die sich als solche im mystifizierenden Wortgebrauch der medientechnisch geprägten Kulturen zwar ausgibt und mit der monologisch gestimmten massenmedialen „Transmission“ (Kluszczynski)<605> im engsten Zusammenhang liegt.

Der Begriff der Interpassivität soll in seiner künstlerisch-philosophischen wie auch der massenmedialen Ausprägung laut Robert Pfaller, dem Herausgeber des Sammelbandes „Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen“, diejenigen Erfahrungen zusammenfassen, „die unter der starken Vorherrschaft von Programmatiken der Interaktivität ins Unsichtbare abgedrängt zu werden drohen.“ Über diese tiefenpsychologische Dimension hinaus decke der Begriff auch „den gesamten Bereich der Produktion und Rezeption von Kunst und Kultur, und selbst deren interaktiven Sektor,“ für den er grundsätzlich auch eine wichtige reflexive Dimension darbieten könnte.<606> Besonders die neuen elektronischen Medien bieten sich nämlich (unter dem Vorwand der Interaktivität) an, anstatt des Menschen ihre eigene Benutzung zu erledigen. Bekanntlich surfen die Computer (in Form von verschiedenen Bots und Update-Assistentenprogrammen) zunehmend statt ihrer


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menschlichen Inhaber im Netz, sammeln und filtern Informationen und erledigen andere zeit- bzw. konzentrationsaufwendige Aufgaben. Diese „Unterstellung“ des solipsistischen Computers spitzt sich bei einer radikalen Version der Vertretung in Form von Avataren bei (angeblich) interpersoneller Kommunikation ein weiteres Mal zu: die vorprogrammierten Avatare könn(t)en, ohne Rückkopplung auf ihren „Inhaber“, unter sich kommunizieren. Es bedürfte kaum der Zukunftsprojektionen der künstlichen Intelligenz, um die vernetzten Computer untereinander „Plaudern“<607> zu hören: die zwischenmaschinelle Kommunikation bleibt der Mensch-Maschine-Kommunikation zumindest nach dem Leistungsmaßstab der (zeichenverarbeitender) Operationalität weit überlegen.<608> Pfaller stellt die wichtige Frage, „weshalb Betrachter es als lustvoll empfinden, etwa die Lust einer Erheiterung oder einer Rezeption als ganzer nicht selbst zu empfinden, sondern sie stellvertretend von einem Gerät oder von jemand anderem empfinden zu lassen.“ Diese „Schattenseite der interaktiven Medien“ entpuppt sich beispielsweise bereits unter Berücksichtigung des aus den sog. Sitcoms bekannten Dosengelächters („canned laughter“) oder etwa beim kompulsiven Aufnehmen und Aufbewahren von Audio und Video Material, das danach nie konsumiert wird. Letztendlich gibt es auch bei der sog. Bibliomanie, die eine genugtuende Griffbereitschaft der Bücher bezeichnet, welche aber nach dem Erwerb nie gelesen werden:

„Es gibt ein (künstlerisches oder alltagskulturelles) Produkt, an dessen Herstellung und Gestaltung die Konsumenten nicht beteiligt sind. Und es gibt einen Trick, den sie anstellen, um an der Konsumtion dieses Produkts ebenfalls möglichst wenig beteiligt zu sein. Von der ‚Aktivität‘ von vorneherein nicht betroffen, tun sie einiges, um auch den Part der ‚Passivität‘ nicht zu übernehmen, d.h. um sich gleichsam auch aus dieser Verantwortung noch davonzustehlen: passiver als passiv, das ist die Formel der Interpassivität.“<609>

Das bereits in der griechischen Tragödie oder beispielsweise in der Klageweiber-Tradition wurzelnde Phänomen konzentriert sich laut Pfaller in der zeitgenössischen Kunst- und Mediensphäre als ein facettenreiches „Delegieren von Genuß“. Bei den Werken der interaktiven Kunst sollte laut Pfaller sogar das passive Betrachten selbst auf das Kunstwerk zurückdelegiert werden, was einen besonders überzeugenden Schein der Interaktivität hervorbringe. Die Konsumtion wird somit im Lacanschen Sinne auf die „Genuss-Maschine“ übertragen,<610> wogegen zu vermuten wäre, dass das aktiv interpretierende, jedoch teilnahmslose Betrachten (Relativitätstheorie) sein ursprüngliches Recht auf Interaktivität wiedererwirbt. Die Kunst sei generell einerseits von einem Zwang zur „Dienstleistung“, andererseits von einem elitären Klientelismus


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betroffen, der eine allgemeine „Betrachter-Knappheit“ hervorruft und die Kunstproduktion in einen hermetischen Solipsismus verfängt: auch die KuratorInnen erfüllen zunehmend die Rolle der RezipientInnen. Unter Vermutung, dass „jede Erfindung eines neuen interaktiven Mediums es notwendig machen könnte, auch ein neues interpassives Medium hinzuzuerfinden,“<611> bezweifelt Pfaller das üblicherweise vorausgesetzte Axiom, die Menschen zeigten von Natur aus und allgemein eine Bereitschaft zur „Interaktivität“. Diese Eigenschaft sei dem Menschen von den eifrigen Interaktivitätstheoretikern größtenteils aufgezwungen worden. Im Gegenteil behauptet er z. B., das Computerspiel überbiete die interaktive computerbasierte Installation generell am Unterhaltungswert, da es den meisten dieser Kunstwerke nicht gelinge “ästhetische Lösungen zu erzeugen, die über die kurze, infantile Neugier auf das Wirken des eigenen Eingriffs hinaus von Interesse wären.“<612> Durch exemplarische Beschreibung der Extremfälle in der Polarität zwischen zwingender „interpassiver Neurose“ und lustgebundener „interpassiver Perversion“ der MedienbenutzerInnen gelingt Pfaller trotz einiger unnötiger Überspitzungen ein wichtiger Perspektivenwechsel auf die Medienkultur, die angesichts komplexer (kollektiv wie auch individuell erzeugter) Mystifizierungsmechanismen unter möglichst vielen Gesichtspunkten beschrieben werden sollte.

Entlang ihrer langen Geschichte verweist Errki Huhtamo auf etliche „Missverständnisse über interaktive Kunst,“ <613> die (zumindest seit den Sechziger Jahren) auch gut belegt sind. Des Weiteren beobachtet der Kurator die allgemeine kulturelle Reife einer Praxis, die sich jedoch lediglich auf der Ebene von Museen, Ausstellungen und Symposien manifestieren sollte. Er bemüht sich auch über eine Begrenzung der interaktiven Kunst gegenüber bloßer „technischen Spielerei“, indem er im künstlerischen Schaffen eine eindeutige Abwesendheit der „zielgerichteten Aktivität“ (wie etwa bei Computerspielen und anderer Unterhaltungselektronik) erkennt, obwohl zahlreiche Projekte eben mit diesen Konventionen den Benutzer zu fesseln versuchen: durch die kreativen Mehrdeutigkeitsstrategien soll keine Lösung bzw. kein Ende, sondern eine intelligente ästhetische Erfahrung angestrebt werden:

„Ein Kunstwerk erfordert noch ein gewisses surplus an Inspiration und Bedeutung, das die nach rationalen Prinzipien zusammengesetzten ‚Maschinenteile‘ transzendiert, um ihnen eine raison d‘etre auf einem höheren Abstraktionsgrad zu verleihen.“<614>

Auch sei der Tod des Autors im Fall der interaktiven Medienkunst laut Huhtamo zu früh ausgerufen worden. Die interaktiven Kunstwerke zeigen nämlich insgesamt „weitaus weniger Offenheit als erhofft. Auch wenn die Präsenz des Autors oft nicht klar auszumachen ist, so kann sie doch zurückverfolgt werden.“<615> Folglich scheint die interaktive Kunst auch wesentlich interaktionsarmer zu sein, zumal die AutorInnen offenbar nur selten bereit sind, weit hinter ihre Werke zu treten. Jedenfalls behauptet Huhtamo, der Grad an Interaktivität müsse nicht unbedingt das Hauptkriterium bei der


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Beurteilung von interaktiver Kunst sein: „Es gibt Werke, in denen die bewusste Begrenzung der interaktiven Möglichkeiten ein Teil der ästhetischen Strategie ist.“<616> Dies rechnet jedoch nicht mit dem laut Pfaller grundsätzlich passiven, sogar „faulen“ Kunstkonsumenten. Bei diesem grundlegenden Meinungsunterschied (zwischen einem Kunstphilosophen und einem Kurator) handelt es sich um zwei wesentlich verschiedene Perspektiven: Pfaller bezieht sich auf ein breites, massenmedial konsumierendes Publikum, das tatsächlich weniger mit der (bisher weitgehend auf den „Ausstellungsraum“ begrenzten) installativen Medienkunst zu tun haben könnte. Die beiden Prinzipien überschneiden sich teilweise höchstens in den hi-tech Vergnügungsparks, wo aber der künstlerische Moment bei der profitorientierten Adrenalinmaschinerie wiederum selten anzutreffen ist.<617> Ähnlich wie im typischen Fall Hollywoods beim Film, setzt die aus der künstlerischen Kreativität und Experimentfreude oft reichhaltig schöpfende Freizeitindustrie das technische Potential der technisch erweiterten Körpererfahrung nur stellenweise um. Die seltene Qualität der Selbstreflexion subsumiert Huhtamo unter „meta-interaktive Kunst“, die aber eine intensive körperliche Interaktivität zwischen Werk und Benutzer gerade wegen ihrer intellektuell verfremdenden Strategien nur selten anbieten kann.

Ähnlich wie bei den auseinanderklaffenden Schnittstellenkonzepten (siehe Kapitel 1.3.1.) basieren manche Medienkunstwerke auf der „Interaktion“ zwischen Mensch und Maschine und schließen eine zwischenmenschliche Kommunikation sogar (mehr oder weniger explizit) aus. Dadurch sind sie dem Vorwurf eines solipsistischen Monologisierens ausgesetzt, das sich im Begriff der „Intra-aktivität“ im kunstkritischen Diskurs der Neunziger Jahre verdichtet fand.<618> Huhtamo erscheint dies eine oft unterlaufene Simplifizierung, da die selbstreflexive Situation dabei lediglich als eine unter vielen kommunikativen Optionen gesehen werden sollte. In einem interaktiven System bestehe nämlich immer die Möglichkeit eines facettenreichen Polylogs, sowohl im on- als auch im offline Modus:

„Selbst die Benutzer eines lokalen (oder off-line geschalteten) interaktiven Kunstwerks kommunizieren nicht nur mit sich selbst, sondern mit vielen unterschiedlichen ‚Partnern‘. Gleichzeitig kommunizieren sie mit dem realen Kontext des Kunstwerks, mit der fiktiven Welt, die es enthält, mit der Software,

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mit ihren ‚Agenten‘ sowie mit dem impliziten Autoren des Werks. In einem Kunstwerk das außerdem noch on-line geschaltet ist, wird die Situation noch komplexer: Zusätzlich gibt es nun die Möglichkeit, sowohl mit realen Menschen an fernen Orten zu kommunizieren als auch mit verschiedenen Software-Agenten und knowbots, die das Netz bewohnen.“<619>

Die beiden Phänomene der Interpassivität und der Intraaktivität wurzeln offenbar in einer tiefensitzenden menschlichen Angst vor kommunikativer Vereinsamung und scheinen auf den elektronischen Kommunikationsplattformen mit besonderer Ausprägung hervorzutreten. Als medienwissenschaftliches Paradox par excellence ist der Solipsismus des Internets, wo sich die navigierende Person mit anderen medientechnisch zusammenschließt, um allmählich konkret-sozial zu atrophieren, ein noch lange nicht zu überwältigendes Symptom der telematischen Existenzbedingung. Es wäre zu vermuten, dass je mehr der (konkret)körperliche Aspekt (sowie die Erfahrung!) aus dieser Kommunikation ausgeblendet wird - und dies gilt allzu oft fälschlich als ihre Voraussetzung - desto tiefer scheinen sich die Zweifel an einer körpergerechten und multimedial intensiven interpersonalen Kommunikation durchzusetzen. Die physisch-empirische Unüberprüfbarkeit dieses intimen Bereichs erschwert einigermaßen die Erforschung solcher Kontexte und stellt eine aktuelle Herausforderung für die Methodik dar (siehe die Vorschläge des Kapitels 2.).

Wunschversprechungen der Computervernetzung wie etwa Befreiung aus der Anonymität, Beeinflussung mehr oder weniger wichtiger Ereignisse in der realen Welt oder Mitbestimmung der kommunikativen Regel komplementiert Slavoj Zizek mit der tiefenpsychologischen Erklärung, dass dem Interagierenden sein Objekt (Medium) der Interaktion unbedingt auch seine Befriedigungsreaktion, sein Genuss „vorenthält, so daß es das Objekt selbst ist, das an meiner Stelle ‚die Show genießt‘ und mich meiner Über-Ich Pflichten zu genießen enthebt.“<620> Am Beispiel des Internets zeigt auch Mathias Fuchs, dass die „mit Wahlmöglichkeiten überschütteten INTERNET-User nach Lenkung und Hilfe“ suchten, worauf sich die Softwaregestaltung bei Browsern von unerträglicher Freiheit zu „eingeschränkter Wahlqual“ verschoben hatte. Die nach nationalen und sozialen Präferenzen „normierten“ und „kanalisierten“ BenutzerInnen verfallen somit wiederum der „lokalstatischen Schmalbandigkeit“, derer sie mit wunschversprochener „Internationalität, Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit“ paradoxerweise (einst) zu entkommen suchten.<621> Das „Möbiusband“ der Softwareproduktion wickelt sich vom Deklarieren/Artikulieren eines Bedürfnisses anhand von zugänglicher Technologie seitens der Industrie, worauf die Technologie verbreitet und installiert wird, um einen immer größeren (massenkulturell induzierten) Bedarf abzudecken. Damit veraltet die anschließende „Triebinversion“ die selbe Technologie zur Last der Vergangenheit. Die Schleife ist abgeschlossen, wenn eine neue Technologie dargeboten wird, die die frühere Phase ablösen soll. „Das Objekt des künstlichen Aktivitätsschubes ist damit aus der unfreiwillig aktivierten Position in die passive zurückgeworfen und kann somit der nächsten großen Herausforderung entgegensehen.“<622> Als die bewusst blinde, ja neurotische und am weitesten


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verbreitete Strategie des Informationszeitalters versteht Fuchs eben diese paradoxe „Netz-passivität [als] eine vom Körper abgehobene Methode des Im-Netz-Seins bei gleichzeitiger physikalischer Abwesenheit.“<623>

Um sich angesichts der hermetischen Selbstbezogenheit von Computer- und Mediennetzen vor dem neumedialen Solipsismus zu retten, soll der Mensch besonders im Kontext elektronisch vermittelter Kommunikation immer wieder Bezug auf die Anwesenheit seiner eigenen Physis nehmen (können). Diese kann durch die materielle - jedoch deshalb kaum weniger kommunikative - Gegenständlichkeit der Schnittstelle wie auch durch die (multimediierte, multimedialisierte sowie präsente) Physis des Mitmenschen bzw. des „Mitkörpers,“ ggf. durch seine entsprechenden Thematisierungen komplementiert werden. Unter Einbeziehung elektronisch emanzipierter Tiefenpsychologie und kulturkritischer Entmystifizierung von Stereotypen bietet sich aktuell eine techno-logisch begründete Möglichkeit für ein konstruktives und positives (Ge)Wissen über parallele (kommunikative) Welten und Medien, die eine erträgliche, neurosenfreie Koexistenz von Mensch und Maschine plausibel machen können.

1.3.4.4 Aus immersiven Welten in hybride Räume - eine Rückkehr?

„Interaktion ist eben nicht zu reduzieren auf die vordergründige Useraktivität des Mausklickens, den technologischen Akt des Auslösens unterschiedlichster Programmparameter innerhalb eines kybernetischen Regelkreislaufes, sondern muß als eine hybride kulturelle Praxis - innerhalb komplexer gesellschaftlicher und technologischer Netzwerke - neu bestimmt werden.“<624>

Zwischen den naturgegebenen und den technisch generierten Mustern der Interaktivität im breitesten Sinne ist anhand des weiten Assortiments an kunst- und kommunikationstheoretischer wie auch mediengeschichtlicher Theoriebildung nur schwer zu unterscheiden. Für eine digital bzw. elektronisch durchsetzte Kultur und ihre Beschreibung erscheint deshalb ein Ineinanderspielen beider scheinbar konfliktreichen Ansätze besonders sinnvoll. Dies bezieht sich sowohl auf die spezifische künstlerische wie auch auf die breit (standardisierte) kommunikative Praxis, die von der ersteren immer schon zu lernen wusste. Vor allem die von den geschulten „main-stream“ Kunstgriffen befreiten Experimente sind oft in der Lage, die kommunikativen Holzwege kreativ durchspielen zu können, die sich das „normale“ Leben außerhalb des künstlerischen Kontexts ebenso wenig wie die etablierte Kunstpraxis nie leisten kann. Diese präventive, öfters sogar profilaktische Funktion der experimentellen, meistens disziplinär übergreifenden Kunstformen bleibt bis zum heutigen Tage größtenteils unterschätzt.

Der Transfer zwischen den Designer- bzw. Teststufen und dem standardisierten Kommunikationsalltag erfolgt bei neuesten Freizeit- und/oder Kommunikationstechnologien immer schneller und folgt somit den Mehrwertgeboten des blühenden Markts. Als ein Entschleuniger dieser meistens wenig reflektierter und ethisch problematischer Transponierung positioniert sich in der Regel nur eine vielfach


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befreite Kunst. Innerhalb (sowohl öffentlich als auch privat angeregter) experimenteller Freiräume muss deswegen schnell und flexibel auf die Entwicklungen des Alltags reagiert werden, um sie sowohl äshetisch als auch politisch treffend formulieren zu können. Dies bezieht sich sowohl auf avantgardistisch anmutende Programme (etwa einer „radikalen pragmatischen Lebenserneuerung“) als auch auf autonomistisch gestimmte Kunstprojekte (von gewissem ästhetischen sowie reflexiven Anspruch), die auf einander ausgewogen werden können. Mit differenzierter Perspektivenwahl kann dies sowohl im geschichtlichen als auch im aktuellen Bestand der künstlerischen Praxis belegt werden. Dort fließen nämlich die theoretisch noch so verschiedenen Konzepte von Raum und Körper im Kontext der elektronisch vermitteltem Interaktion immer öfter in zukunftsoptimistischer Technoaffirmation zusammen.

Technik und Technologie sind als solche trotz aller Mythologisierungen weder gut noch böse an sich, alles kommt lediglich auf ihre (also möglichst kreative und emanzipierte/-ende) Umsetzung im „echten,“ alltäglichen Leben an. Eine Tatsache, die wiederum nicht nur eine ausgewogene und „trockene“ Theoriebildung voraussetzt, sondern auf konkrete Programme in Bereich der künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Förderung abzielen sollte.<625> Tatsache ist, dass die selbe Technik, mit der in den hier untersuchten Fällen Kunst (als Kulturwert) gemacht wird, auch zur Manipulation, Überwachung und Sanktionierung eingesetzt werden kann - und wird.<626> Kreative Anwendung von Technologien entdeckt nicht nur ihre amüsanten und friedlichen Anwendungsmöglichkeiten und verschafft somit einen (impliziten oder eben expliziten) techno-voyeuristischen Einblick in ihre Struktur, sondern klärt auch ihre Funktionsweisen und Formen deren Beeinflussung. Damit kann den EndbenutzerInnen ein emanzipiertes Umgehen mit deren potentiell „gefährlicheren Seiten“ (Datenschutz, Privatsphäre, Meinungsfreiheit usw.) ermöglicht werden. Um in allen gesellschaftlichen Segmenten tatsächlich positiv wirken zu können, müssten solch interdisziplinäre Bemühungen unbedingt in den Dialog mit der „trendsettenden“ Freizeit- und Kulturindustrie- wie auch der Bildungs- und Medienpolitikbranche gebracht und in ein sowohl lokales als auch globales evolutionäres Schema eingebunden werden. (Siehe darauf Anschließend die kondensierten, empirisch abgeleiteten Visionen der vorliegenden Arbeit im Kapitel 3.2.5.)

Einen Mangel an praktisch interessierter Theorie stellt auch der Kunsthistoriker Oliver Grau in seiner gründlichen Auseinandersetzung mit bildlichen Illusionsmechanismen in der Kunstgeschichte fest und erweitert seinen Beitrag um eine Folgenabschätzung der elektronischen Technik im künstlerischen Einsatz. In seinem Streifzug von Höhlenmalerei über Panorama bis Virtual Reality typisiert er sowohl den „Stereopticon“ von Charles A. Chase aus dem Jahr 1896 wie auch den deutschen Pavillon für die EXPO 2000 als multimediale Installationen, die lediglich auf verschiedenen geschichtlich-technologischen Ständen den menschlichen Drang nach Illusionierung bzw. (auch bei Grau überwiegend visuell beschaffenen) Immersion realisiert hätten. Bedeutendere Zwischenphasen der multisensorisch ansetzenden Illusionstechnik bildeten im 20. Jahrhundert noch etwa die „Sensorama“ (1962) von Morton J. Heilig, der 1960 die erste Stereobrille als sog. „stereoskopisches


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Fernsehgerät für den individuellen Gebrauch“<627> patentierte und die tendenziell immersiven Rundkinos wie „Omnimax“ oder das heute immer noch attraktive „IMAX“. Die Immersionskonzepte entdeckt Grau bereits in der antiken und mittelalterlichen Bildkunst, ihre neuzeitliche Weiterführung glaubt er in Wagners Gesamtkunstwerk über Monets impressionistische Panoramen, Eisensteins Theorien zum „multisensuellen Raum-Film“ und diversen „kalifornischen“ hi-tech Utopien des 20. Jahrhunderts verfolgen zu können. Die letztere verdichte bzw. radikalisiere sich in der heutigen VR-Technik: „ [...] ein Movens medialer Entwicklung, dessen Inspiration oftmals in der Kunst zu finden war und gegenwärtig an die Oberfläche tritt.“<628> Die „Pfade medialer Neuerung“ glaubt Grau - stets im Spannungsfeld zwischen Kunst und Technik - sogar an der Geschichte der (techno- wie auch kulturhegemonisch motivierten) Weltausstellungen verfolgen zu können.<629> Dort lohnt(e) sich offenbar die Aufstellung aufwendiger Apparate zur Illusion und Immersion auch immer wieder als internationale Machtdemonstration, außerdem wurde die Hochtechnologie somit publik und für eine Großzahl der BesucherInnen erfahrbar, was einerseits zu einer Entmystifizierung und andererseits zu erneuter Generierung von Wunschversprechungen - und nicht zuletzt zur vielfachen Konsumption und gestiegenem Marktwert beitragen sollte.

Die VR- und MR-Technologie - in Graus Perspektive von der klassischen Datenbrille/Datenhandschuh-Kombination bis zu den modernsten gemischten Environments anhand von Systemen wie CAVE oder eMUSE<630> - stellt offenbar laut einem Großteil der Meinungen den zeitweiligen Höhepunkt an künstlerisch einsetzbaren Illusionsmechanismen dar. In die Mischformen fließen je nach technischer Möglichkeit und Interesse der AutorInnen (oder auch der jeweiligen Öffentlichkeit bzw. Zielgruppe) noch verschiedene taktile Schnittstellen, Gleichgewichtssimulatoren wie auch thermische, akustische und sogar olfaktorische Dimensionierungen des Raumes. Der Stand der Technik erlaubt es mittlerweile, mit einer breiten Palette von technisierten Kommunikationskanälen des Körpers zu experimentieren und die jeweils eigene Entscheidung zwischen einem reduktiven, monosensorischen Prinzip und einer multisensorisch-synästhetischen Option zu treffen.

Die taktile Interaktion mit der Maschine sei laut Grau grundsätzlich nur in einer Richtung erfolgreich technisiert worden: „Feedbackeffekte bzw. taktil überwindbare Wiederstände sind bislang jedoch kaum simulierbar.“<631> Benutzerfreundliche oder sogar standardisierbare Varianten von „Cybersuits“ und Datenhandschuhen sind für die DurchschnittsnutzerInnen noch nicht erstellt worden, obwohl es an erfolgreichen experimentellen Ansätzen und Visionen nicht mangelt.<632> An eine Standardisierung


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der polysensuell-kompatiblen Schnittstelle als einer „zentrale[n] künstlerische[n] Gestaltungsgröße“<633> sowie an ein Massenverwendungsniveau scheint Grau trotz einer sublimen Affinität zum Hypermedia-Mythos jedenfalls nicht zu glauben, da ein solcher Gedanke „von vornherein der evolutionären Phänomenologie der Medien und ihrem Telos“<634> wiedersprechen würde. In Bezug auf Schnittstellendesign, Interaktion und evolutionäre Bildprozesse fragt sich Grau zurecht, „ob in interaktiv erfahrenen Illusionsräumen, eine distanzierte, kritische Rezeption - ein klassisches Signum der Moderne - noch ihren Platz findet.“<635> Virtual Reality deutet er zudem als Oxymoron und Paradoxon, das in seiner lebensnahen Variante bzw. Konsequenz der Mixed Reality „zum künstlerischen Konzept herangereift“<636> sei. Das Konzept der gemischten Realität reicht auch hier über eine bloße conditio sine qua non des elektronisierten Alltags hinaus und bezeichnet ein kreatives Feld, das sowohl die kognitiv erlebte Illusion als auch die sinnlich erfahrene Immersion einklammert. Die vom Computer ermöglichte Polysensualität fasst Grau in den Parametern der Illusion (hauptsächlich als Generieren von Bild und Ton), Bewegung (als BenutzerInnenfreiheit) und Interaktion (als dynamische Kommunikation) zusammen.<637>

Die auch heute noch so genannte Virtual-Reality-Forschung konzentriere sich laut Grau auf einen womöglich glaubwürdigen Illusionseffekt, und zwar durch Intensivierung der Ähnlichkeit zwischen Interakteur und Repräsentationsfigur, durch die Verbesserung der Bildauflösung (wie auch 3D-Tonqualität usw.), durch Steigerung der freien Bestimmbarkeit von Interventions- und Interaktionsmöglichkeiten der NutzerInnen sowie durch Verquickung von virtuell-technischer und konkret-natürlicher Realität im Sinne einer ausgewogen gemischten Realität. Körperaktion und -wahrnehmung zeigen sich stets als konstitutive Elemente dieser Kunst, das die technisch vermittelte Interaktion als eine „natürlich intuitive Handlung“ darstellt, „die unmittelbar in die Maschinensprache transformiert wird.“<638> Daraus entstammt das


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Konzept der natürlichen oder auch intuitiven Schnittstelle,<639> die diversen naturgegebenen taktilen, als auch olfaktorischen, thermorezeptiven usw. Dimensionen des Körpers Rechnung trägt. Es handelt sich dabei also um eine anthropozentrische Konzeption der (in ihrer Form frei definierbaren) Verbindung von Mensch und Maschine, die von Wolfgang Strauss (als interdisziplinär breitbewandertem Praktiker) folgenderweise begründet wird:

„In der Interaktion mit den Maschinen wurden lange Zeit unüberlegt unsinnliche, krankmachende Gerätschaften (devices) benutzt. Menschen benötigen sensorische Sinnesempfänger als Kontaktoberflächen zu Computersystemen, wenn sie nicht zu interaktiven Tastendrückern reduziert werden sollen, sondern gewohnte Ausdrucksweisen einsetzen und weiterentwickeln möchten. Der Körper ist der Ort der (Raum)-Erfahrung.“<640>

Die Kommunikation über die am Mixed-Reality-Konzept beruhenden Schnittstellen bedürfte in der Regel keiner speziellen Schulung oder des vorherigen Trainings zur operativen Aneignung ihrer Funktionsweisen. Im Interesse einer totalen Immersions-cum-Präsenzerfahrung als Überblendung verschiedener Welten wird die Anpassungsstufe des menschlichen Körpers an die Schnittstelle womöglich verkürzt und vereinfacht,<641> wobei in der Praxis weiterhin jegliche berechtigte Totalitätsansprüche (totale Immersion etwa als Halluzination) ausbleiben müssen. Trotz einiger ernstzunehmender Forschungsanstrengungen in dieser Richtung erscheinen nämlich „die Herstellung von Geschmackssimulatoren, die Manipulation des Innenohr-Gleichgewichtsorgans und die Reaktion des Bildes auf das fokussierende Auge“<642> (als perfekte Illusionsmaschine) laut Grau gegenwärtig noch weitgehend utopisch. Es erhebt sich darüber hinaus immer wieder die Frage nach dem Sinn solcher Zielsetzungen:

Eine vollkommene Sinnestäuschung ist aus der Perspektive der EndbenutzerInnen nicht nur unmöglich, sondern öfters einfach unerwünscht. Bei der konzeptionellen Entwicklung dieser Schnittstellen sowohl für den VR-Bereich als auch für die Telepräsenzmodelle verschiedenster Art (Telerobotik, Internet) wurden die Künstler notwendigerweise nur selten ausgeklammert. Auch hat sich die Rolle des „einsamen“ und sich selber finanzierenden Künstlers, die in den Achtzigern vielleicht noch plausibel erschien, im Fall der hi-tech Kunst neulich aufgelöst. Die mit der kostbaren Hardware arbeitenden KünstlerInnen konzentrieren sich heute weltweit auf institutionell vernetzten (somit finanzierten, aber auch kontrollierten) Plattformen und in privilegierten Forschungsinstituten. Diese schaffen es nur selten zu einer entwicklungspolitischen Unabhängigkeit, weshalb die kreativen Prozesse andererseits oft unter dem Einfluss globaler Industrie- und Marktlogik leiden müssen - was die früher hochgeschätzte kultur- und medienkritische Dimension solcher Arbeiten


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wiederum um einiges abstumpfen kann. Die radikale Kritik hat sich inzwischen auf die „allgemein zugänglichen“ delokalisierten, vielfach kontrollfreien und anonymen Kommunikationsplattformen des Internets verlagert, wo die (auch etwas voreilig bejubelte) Substanzlosigkeit und relative lokal-personale Unbestimmbarkeit des Mediums eine wesentlich schärfere Position und einen tatkräftigen Aktivismus gegen waltende Machtmechanismen auch auf hohem wissenschaftlichen und/oder künstlerischen Niveau gewissermaßen erlauben.<643> Auch versuchen sich nicht alle KünstlerInnen immer in den „cutting-edge“ Technologien, sondern warten lieber darauf, dass diese veralten und ihr Gebrauchswert für die Industrie und somit der Markt- bzw. Anschaffungswert sinkt. Auf diese Weise entsteht ein wichtiges kreatives Recycling-Moment, das auch für solche Technik „aus zweiter Hand“ neue Verwendungsmöglichkeiten entdeckt und dadurch zur nachhaltigen Entwicklung im globalen Sinne (z. B. Selbstreflexion der Wegwerfgesellschaft, historische und gruppenidentitätsgebundene Bezugnahmen) beitragen kann.

Insbesondere bei den breit benutzten, allgemein „bekannten“ und somit angemessen billigen Technologien erscheinen zahlreiche neue Strategien ihrer kulturbewussten und differenzierten künstlerischen und/oder wissenschaftlichen Anwendung äußerst plausibel. Ein positiver Nebeneffekt und künstlerisches Werkzeug beim Einsatz von „bekannter“ Technik ist die Wiedererkennungsqualität und der dazugehörende Erwartungshorizont der DurchschnittsnutzerInnen, anhand deren nicht nur die (konzeptbedingt) reflexionsreichsten Kunstwerke, sondern schon immer auch die frischesten Schnittstellenlösungen entworfen wurden. Obwohl zunehmend direkt für den Konsum im privaten Freizeitbereich entwickelt, fließt die komplexeste Technologie in der Regel immer noch aus dem industriell und staatlich (militärisch, kommunikationsstrategisch bzw. -politisch) hochdotierten R&D-Sektor in den Bereich des Massenkonsums (ab).<644> Und zum Glück verteilt sich die kreative Technokunst sowie ihre wissenschaftlichen/experimentellen Mischformen fast gleichmäßig entlang dieser Abstufung: von Trash-, Punk- und Guerilla-Kunst (neulich z. B. Handy- oder Internetkunst) bis zu den institutionell bestätigten und direkt kapitalabhängigen Bereichen der vernetzten Medienkunst (etwa die interuniversitären Projekte der „ADaPT“<645> oder das globale Netzwerk „Planetary Collegium“ um Roy Ascott als Beispiele einer wohl überlegten und strategischen Anwendung von institutionellen Mitteln und Nutzung bzw. Subversion von Machstrukturen).<646>

"Die Techno-Kunst ist der Vorschein dieser dynamischen Kunst, welche die Parameter der klassischen Kunst grundlegend umstürzen und umformen wird, in Synergie mit technischen, territorialen, politischen und sozialen Umwälzungen. [...] In Wirklichkeit beginnt erst alles."<647>


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Der Übergang von medienunmündiger und hedonistisch unkritischer Immersion zu einer aktiven Mitgestaltung des hybriden Raums erfolgt unter Voraussetzung einer (diskurs)reflektierten Entmystifizierung und einer praktischen Aneignung der Mittel und Medien dieser (noch) ungewöhnlichen Erfahrungs- und Kommunikationsdimensionen.

Wenn das Prinzip der Immersion laut Grau je nach Medienkompetenz „die Erscheinung des Illusionsmediums unter der Wahrnehmungsschwelle der Betrachter herabzusinken“ sucht, „um die Intensität der transportierten Botschaft zu maximieren,“<648> dann verliert die Immersion als (radikal naturalistisches, i. d. S. körperlich aggressives) Projekt angesichts der neuesten realitätshybriden Alltagspraxis wesentlich an Brisanz. Mehr noch, sie wird als eine unerreichte Wunschvorstellung der VR-Euphorie kritisiert, stellenweise auch völlig abgelehnt - meistens jedoch mit der (total) realen, körperlich und räumlich konkreten Welterfahrung versöhnend kombiniert. Dabei fließen verschiedene Wahrnehmungs- und Interpretationsebenen in einer gemeinsamen Erfahrung zusammen, die auf die alltägliche multiple Medien- bzw. Realitätserfahrung stets Bezug nimmt (vgl. weiterführend die etwa Visionen des Kapitels 3.2.5.5.). Eine Vielfalt der koexistenten und ineinanderfließenden Perspektiven sowie Daseinsweisen bietet sich als viabel sowohl auf der Ebene des Körpers (als multimediale Repräsentation und als multisensorische Eigenerfahrung) wie auch des Raumes (sowohl imaginativer Cyberspace als auch konkreter Raum).<649>

Etwa in einem Vorgriff auf die zusammenfassend modellierenden Kapitel 3.3. finden sich Raum und Körper somit durch das Prinzip der Metapher (Zeichen bzw. Kode) im Virtuellen als Vergleichsgrößen repräsentiert. „Virtuelle“ Schnittstellen (als visuelle Übersetzungsflächen) ersetzen eine (konkrete) Realität mit der anderen (virtuellen) Realität durch Kodierung/Dekodierung. Die Pluralität der Realitätsebenen wird im Kontext der Mensch-Maschine(-Mensch)-Kommunikation jedoch nur durch das Zusammenführen kognitiver und affektiver Erfahrung möglich, dies am besten mit derartigen Schnittstellen, die den Körper in seiner physischen, räumlichen Qualität und Quantität erfassen und effektiv mit der Maschine (als digitales Programm) kommunizieren können. „Konkrete“ Schnittstellen modulieren/demodulieren Körper- und Rauminformation aus der biologisch-analogen auf die technisch-digitale Ebene und zurück, womit letztlich eine interaktive Kommunikation zwischen Mensch und Maschine auch optimiert werden kann. Nur so können der weiterhin herrschende Standard des „sperrigen Desktop-Computers“ (als kreativer/kommunikativer Ort) und seiner unergonomischen Schnittstellen wie auch die Holzwege einer „totalen


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Virtualisierung des Lebens“ (am Nicht-Ort)<650> endlich überwunden werden. Als deskriptiv-präskriptive Weiterführung dieser Argumentation in Form einer hypergraphischen Modellierung betrachte Kapitel 3.3.1., ihre diskursive Ausführung befindet sich im Kapitel 3.2.3.

1.3.5 Telematik und -präsenz der Körper im elektronischen Raum

Als Voraussetzung der computerbasierten (digitalen) Kommunikation fügt die elektronische Vernetzung dem Thema Interaktion an der Schnittstelle zweifelsohne eine weitere und äußerst aktuelle Dimension hinzu, die vorerst in Form von diskursiver Montage und Diskussion ihren Platz innerhalb der vorliegenden Untersuchung finden soll. Als relevantes Paradigma der Kommunikationskultur - sowohl im geistes- als auch im naturwissenschaftlichen Sinne<651> - vervielfältigt und/oder eliminiert die Vernetzung in ihrer elektronischen Ausprägung einerseits den konkreten einmaligen Raum (zum „Cyberspace,“ vgl. Kapitel 1.2.3.) und den konkreten einmaligen Körper (zum „Avatar,“ vgl. Kapitel 1.2.2.2f). Die davon abgeleitete Bedingung der „Telematik“ bietet der „naturgegebenen“ Körper- und Raumgröße konkrete Extensions- sowie Reduktionsreichweiten, darüber hinaus auch neue Modifikations- und Multiplikationsmöglichkeiten, was auch als „Tele-Epistemologie“ (Oliver Grau) paraphrasiert werden könnte.<652> Die extensivierende Wirkung neuer Technologie kann jedoch andererseits auch radikal als eine bereits problemlos „ein-verleibte“ sowie „ein-verstandene“ Übertechnisierung des Körpers verstanden werden, die durch die Alltagspraxis die Grenze des menschlichen Körpers (als Ich-Identität), etwa laut Klaus Theweleit, überschreitet und ausweitet.<653>


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Ein wichtiger Aspekt des Themas wäre außerdem die radikale Verminderung-bis-Vernichtung der (erlebten, reflektierten) Distanz zwischen den kommunizierenden Menschen, was unvermeidlich auch die globale machtpolitische Tektonik beeinflussen müsste. Geowissenschaftler Jürgen Hasse sieht Kinetik und Datentransfer, die beiden aktuellen technologischen Formen der Beschleunigung, als die wichtigsten für das Raum- und Körpererleben, womit noch einmal die stets mitschwingende temporale und (dadurch) ökonomisch-politische Komponente<654> der Problematik einbezogen sei:

„Die Implosion des distanziellen Raumes wird dort am weitesten voranschreiten, wo sich ein schwarzes Loch der Macht bildet - eine maximale Gravitation machtausdehnender Information. Datennetze können zwar im Prinzip von jedermann mit Informationen gespeist werden. Doch allein ihre Beherrschung entscheidet über die gewinnbringende Nutzung.“<655>

Anhand ihrer griechischen Wurzel(morpheme) deutet Vilem Flusser Telematik als „Technik zum selbstbewegten Näherrücken von Entferntem“ und postuliert sie als Voraussetzung einer ideellen Informationsgesellschaft, indem sie unserer Individualität bzw. Identität eine „Strategie zur Verwirklichung der Virtualität ‚Ich‘ in der Virtualität ‚Du‘“ anbietet.<656> „Ich bin im Netz, also bin Ich“<657> wird als Hauptmotto der aktuellen User-Maschine mit Flusser um die wesentliche Dimension der interpersonalen Spiegelung erweitert: „Ich bin im Netz, also bin ich Du.“ Dieses hohe soziale Reflexionspotential hätten aber andere telematische Technologien wie etwa Postverkehr bereits lange vor dem vernetzten Computer aufgewiesen. Jedenfalls lässt sich erst bei der wesentlich interaktiveren, also wechselseitigen und mehrmedialen Vernetzungsform des Internet (obwohl weiterhin nur als wirkungsbeschränktes Konkurrenzmedium zu den Massenmedien) eine wahre Kommunikationsrevolution im Flusserschen Sinne wirklich zustande bringen.

Als eine der zentralen Prinzipien der modernen (Tele)Kommunikationsgesellschaft scheint sich Telematik auch als Bedingung für die Konzeption (und ebenfalls Mythologisierung) von „Telepräsenz“ als einer besonders handgreiflichen Wunschversprechung<658> des neumedialen Paradigmas anzubieten. Auch die relativ „große Presseaufmerksamkeit für solche Experimente scheint auf einen akuten Punkt


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im kollektiven Unbewussten hinzuweisen.“<659> Telematik reduziert bzw. virtualisiert die beiden materiellen Naturgrößen Körper und Raum nicht unbedingt und endgültig zu ihren eigenen Metaphern, sondern erweitert sie sowohl um ihre Funktion (als Extension) wie auch um ihre multiplizierende Reflexion (Verwirklichung des Selbst durch Erfahrung des Anderen). Die Interaktion erfolgt an der (intentional) elektronisierten Schnittstelle, dem hochtechnisierten, bio- und technologisch breit besetzten Ort der neumedialen Kommunikation. Wenn das Medium zwischen mindestens zwei (aufeinander kalibrierten) Schnittstellen genügend durchlässig ist, relativ große physische Entfernungen bzw. Grenzen bewältigt und dabei auch noch in den Hintergrund treten kann,<660> dann erweitert sich die Situation um die Dimension des „Tele“.<661> Als positives Paradoxon einer „Schnittstelleninteraktion“<662> schmücken sich aber auch die telematisch einzusetzenden Schnittstellen oft mit einer paradoxen Versprechung von Entkörperlichung, Enträumlichung und Simultanisierung. Diese Unorte werden von einer mythologisch funktionierenden Illusionierung als in einer Metapher begründeten Sinnestäuschung immer wieder hartnäckig generiert.<663>

In seiner künstlerischen (Un)Situationalität wirkt das kreative Handeln im/am Körper und im/am Raum über das Lokale hinaus: durch den kreativen Ausdruck/Eindruck und ihre Rezeption (bzw. Kooperation) dehnen sich Körper und Raum anhand ihrer wiederentdeckten „Konnektivität“<664> translokal, also regional, kontinental und mindestens noch global aus, werden je nach Bedarf multilokal (doch immerhin kommunikativ)<665> oder übertragen sich ebenfalls in den Mikro- und Nanobereich. Somit verschiebt sich das Paradigma der multimedialen Kommunikation auf eine Harmonie artverschiedener Frequenzen, die in der Zukunft von einer (künstlerisch-wissenschaftlichen experimentellen) Ausnahme zur alltäglichen bzw. normalen Erfahrung werden kann. In der interaktiven Medienkunst macht sich das Konzept der Telematik zunehmend bemerkbar und verschiebt bzw. befreit die Rezeptionssituation vom bisher entscheidenden Parameter der Lokalität und (ihrer) physischen Präsenz. Und genau in diesem Feld arbeiten zahlreiche hier zu behandelnde Projekte wie etwa die Formen Internet-Theater oder der „distributed performances“. Ob sich die körperliche und konkret lokalisierbare „Anwesendheit“ so schnell mit der lokal problematischen „Telepräsenz“ in ihrer gesamten Komplexität ersetzen lässt, bleibt wohl noch lange unwahrscheinlich - ein „sowohl-als-auch“ Ansatz erscheint umso plausibler. Jedenfalls bieten sich, noch bevor eine totale sensorische Immersion (als


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ideelles metaphorisches Konzept) prämiert werden müsste, erst einmal diverse technologisch und kulturell erträgliche Zwischenstufen von Illusionsstrategien an, die aber wiederum allzu oft in der Prämierung des Visuellen haften bleiben:

„Präsenz ist beides: eine subjektive und eine objektive Kategorie, die das Gefühl der Anwesenheit in einem polysensuell angereicherten Bildraum [sic!] charakterisiert. Im Virtuellen verknüpfen sich Körper und Bild unmittelbarer als zuvor. Jeden Moment kann der Betrachter den Standpunkt wechseln und vollkommen neue Aus-, An- und Einsichten gewinnen.“<666>

Zumindest macht sich das bei den körperbetonten und raumverbundenen künstlerisch-wissenschaftlichen Projekten (entweder als Thema oder als Problem) eindeutig bemerkbar, natürlich immer wieder mit hellen Ausnahmen, die allmählich zu Trendsettern avancieren können.<667> Doch auch die Seite der künstlerischen Produktion erfährt angesichts der Vernetzung wesentliche Verschiebungen: Nicht nur bieten sich auf einmal weite Möglichkeiten der Kooperation und Simultanität sowohl in der Planungs- als auch in den Realisierungsphasen solcher Projekte. Der Zugriff auf physisch entfernte Räume und Körper wie auch auf die konkret dislozierten Datensätze (digitale Datenbanken, virtuelle bzw. computergenerierte Environments und „Lebensformen“) bietet entlang der steigernden Bandbreiten (trotz global ungleichmäßig verteilter Standards) einen immer weiteren kreativen Freiraum. Die alltägliche kommunikative Kreativität wie auch das operationalisierte „problem solving“ und nicht zuletzt die ästhetische Kommunikation erfahren, wie diese Untersuchung im Allgemeinen zu beweisen sucht, durch eine emanzipierte und reflektierte (also körper-, raum- und zeitbewusste) Vernetzung einen wesentlichen Entwicklungsschub.

Natürlich können nicht gleich alle Projekte und Phänomene der Medienkunst aus dieser Perspektive beschrieben werden. Einige scheinen sich in ihrer lokalen Einmaligkeit immer noch am besten zu bewähren - und somit beschreiben zu lassen, da die Telematik keineswegs eine conditio sine qua non der Medienkunst ist. Ein Großteil jedoch kommt ohne eine translokal vernetzte Beschreibungs- bzw. Konzeptdimension überhaupt nicht aus - zunehmend stellt Telematik eine zentrale Komponente der künstlerischen Ästhetik (als etwa „Netzästhetik“) dar.<668> Das Thema des zeit-räumlich gebundenen Körpers und seiner mythologischen Befreiung durch das hi-tech Know-how, damit seiner Entledigung von der kommunikativen Aporie auf elektronischen Frequenzen bleibt jedoch selbst angesichts der rasanten Computervernetzung weiterhin zentral. Wenn der physisch (im Raum) anwesende


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Körper eine wesentliche Rolle zu spielen scheint, kann seine Repräsentation ebenfalls nicht vom konkreten Ort des materiellen Objekts „wegvirtualisiert“ bzw. „weggedacht“ oder sogar in einen anderen ontologischen Modus transformiert werden. Höchstens kann der Körper sinnlich getäuscht, illusionär geändert, also zwangsverschoben werden - was aber Spuren hinterlassen muss und unbedingt zum Konflikt mit der jeweiligen Selbstwahrnehmung und gebrochener Koordination mit der Umwelt führt. Die BenutzerInnen einer Vielzahl von computerbasierten Installationen, die vorerst auf totale Immersion (durch audiovisuelles Datenhelm, Datenhandschuh usw. für totale Übernahme der Sensoreninputs) setzen, sehnen sich wegen der unangenehmen Symptome der sog. „Simulatorkrankheit“<669> innerhalb kürzester Zeit nach der natürlichen, konkreten raum-körperlichen (Re)Orientierung. Obwohl diese absolut virtuellen Welten anfangs in der Regel mit Begeisterung erforscht werden, muss die pionierbegeisterte Exploration durch körperliches Unbehagen relativiert werden - der Körper wird „zurückgeholt,“ das fremde Terrain zwar entmystifiziert, entblößt doch längst nicht erobert. Die Immersionsmetapher assoziiert an dieser Stelle auch das wiederholt dringende „Auftauchen“ eines ungenügend ausgerüsteten Menschen aus dem Wasser, das weiterhin als sein unnatürliches Environment erlebt und als ein mythologisches Zukunftshabitat projiziert wird. Der Drang nach totaler Immersion im Kontext elektronsicher Medien scheint paradoxerweise ein gewisses Bedürfnis nach Distanz und Kontrolle (als einer Art internen Gegenpol) aufzuweisen: nicht nur wegen technischer Beschränkungen wird weiterhin lieber (auf dem Medium) „gesurft“ als (im Medium) „getaucht“, zumindest im „Volksmund“ der DurchschnittsnutzerInnen.

Ein gewisser (noch lange am konkreten 3D-Raum primär geschulter) Orientierungssinn sucht auch im digitalen Datenreich offenbar immer wieder nach dem Bezug zur konkreten Welt - sei dies in einer Differenz als Repräsentation, in der virtuellen Metapher oder eben in der sensorischen Spannweite gemischter Realitäten. Die beherrschbare (weil reflexionsstiftende sowie reflektierbare) Distanz der Repräsentation bietet sich zunächst als das Attraktive an den vernetzten Lokalitäten, wogegen die ortsgebundenen total immersiven Environments die Sinne bereits erfolgreich überzeugen können: Oft spielen sie zwischen dem anwesenden Körper und seiner abwesenden Projektion/Repräsentation und „stören“ somit die


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Kommunikation mit dem Anderen (das Rauschen vom Hi-tech). Die computerbasierte Installation wird aber nicht überall als überholte Jahrmarkttechnologie abgetan, sondern öfters in eine neue kreative Dynamik eingebunden - vor allem im Bereich der Tanz- und Theaterpraxis finden manche bereits durchgespielten und teilweise verworfenen Ansätze neue, öfters (alltagskulturell) subversive Verwendung (siehe etliche Beispiele im Kapitel 3.1.). Zweifelsohne kann angesichts reger und vielseitiger Innovationsbemühungen sowohl des künstlerisch-kreativen Milieus als auch der primär marktlogisch angetriebenen Industrie in diesem hybriden Bereich eine allmähliche Verschiebung des medialen Usus in die i. o. S. kulturell relevanten Bereiche des Körper- und Raumexperiments mittelfristig anvisiert werden. Die zwischen „hier“ und „anderswo“ gemischten Lokalitäten bilden eine neue (räumlich, sogar territorial relevante) Konzeption von Mixed Reality, die jedoch nicht mehr vom Hi-tech, sondern eben von durchschnittsgenutzten Standardanwendungen angetrieben und inspiriert wird.

Die Spezifik der telematischen Bedingung macht sich als ästhetisches Prinzip nur in bestimmten Fällen bemerkbar, und zwar am intensivsten dort, wo die örtliche Differenz eine Differenz macht. Eben die technische Beschränktheit der absoluten (informatischen sowie materiellen) Übertragung von Präsenz bietet die vielleicht reichste Kreativitätsquelle (Umfunktionierung, Subversion, Reflexion), wodurch auch die Materialität des Körpers eine wesentliche Neudefinierung erfährt. Als materielle Entität ist er immer noch mit seinem konkreten „Hier“ identifizierbar, seine Funktionen erstrecken sich qua immer perfekter simulierenden technischen Extensionen in die „Ferne“. Die körperliche Kommunikation, abstrahiert als Daten- sowie Impulsaustausch (vgl. Kapitel 3.3.1. und 3.3.2.), ist zumindest in diesem Kontext also technisch vermittelbar. In künstlerisch-praktischer Hinsicht zeigt sich deshalb in letzter Zeit vorerst die Anziehungskraft der Vernetzung dem Rest des hi-tech Arsenals so weit überlegen. Durch Technik beschränkt, setzte sich die interaktive Kunst im vernetzten Kontext (von Mail-Art und den ersten Versuchen der „satellite art“ bis zur multimedialen und hybriden Netzkunst des Internet und seiner konkreten Ausweitungen) jedenfalls bis heute stufenweise durch und in der aktuellen Situation kann angesichts der weiterhin ansteigenden Bandbreiten(standards) lediglich eine bereits breit aufgefächerte Zwischenstufe festgestellt werden. Die Entwicklung der informationsaustauschenden Schnittstellen der vernetzten Computer bleibt jedenfalls weit hinter der Fortschrittsdynamik der informationsleitenden Technik zurück. Obwohl die unzulänglichen Standardschnittstellen insgesamt noch nicht ausreichen, um sich anders als experimentell (also im künstlerischen und wissenschaftlichen Kontext) den multimedialen Herausforderungen der ganzkörperlichen Erfahrung im vernetzten Kontext zu stellen, gibt es trotzdem zahlreiche Pilotprojekte, die einen ernsthaften und praktisch breiter einsetzbaren sowie technisch bzw. ökonomisch plausiblen Einsatz der Mixed-Reality-Konzepte und Technologien vorsehen: das Projekt „i2TV“ von MARS bemühte sich um experimentelle Aufstellung einer sitespezifischen Kommunikationsplattform, auf welcher die TeilnehmerInnen eines Symposiums mit den online Präsenzen ihres Internetauditoriums, das lediglich mit textuellen Beiträgen (und aus Gründen der Bandbreite leider stummen Videobild) „dabei“ sein konnte. Das „Internet view“ wurde zugleich in den Raum des Symposiums projiziert, womit die TeilnehmerInnen in einem gemeinsamen diskursiven sowie visuellen, i. d. S. mehrfach gemischten Raum kommunizieren konnten.<670>


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Beispielsweise schätzt Oliver Grau, dass „netzexterne Stand-alone-Systeme [...] ins Netz einziehen, sobald die Übertragungsraten, Bandbreiten und Kompressionsverfahren entsprechende Leistungen erreichen.“<671> Die BenutzerInnen werden im Falle der ortsgebundenen (installativen) interaktiven Computerkunst offenbar weiterhin auf die konkrete Vernetzung der (körperlichen) Transportmedien zurückgreifen müssen. Die üblichen elektronischen (Informations)Medien vermögen diese Erfahrungswelten in ihrer lokalen Qualität der raum-zeitlichen Einheit noch nicht zu vermitteln, sie

„bleiben daher in ihrer Erfahrbarkeit weitgehend auf ihren Ausstellungsraum beschränkt. So findet sich der Kunstbetrachter wieder in einem anachronistischen Modus, der ihn, wie in früheren Jahrhunderten, zum Reisenden macht und ihn die Kunst auf Festivals und Medienkunstausstellungen suchen lässt - anders ist die interaktive Qualität nicht erfahrbar.“<672>

Grau beruft sich außerdem auf einige relevante Studien (Slater, Held/Durlach) über das Verhalten im virtuellen Raum, wenn er behauptet, die Identifikation des Betrachters mit der Repräsentationsfigur (Avatar) funktioniere „insbesondere durch das Maß der Kongruenz wahrgenommener sensorischer Veränderungen mit den eigenen Aktionen,“ wobei die simulierte Physiognomie (wie etwa einerseits bei der hochkomplizierter Hand- und andererseits oft übertriebener Nasensimulation) nicht unbedingt der realen folgen müsste. Die „Genauigkeit und Güte sensorischer Information“<673> liegen als Postulate des Präsenzgefühls in Übereinkunft mit den oft naturalistisch übertreibenden Strategien der Immersion: es scheint, als ob die Sinne nur in genügendem Umfang getäuscht werden müssen, damit wir der simulierten Welt „Glauben schenken“ können. Wiederum eine Frage des taktischen bzw. technischen Know-hows? Im translokal vernetzten Kontext versteckt sich die Antwort weiterhin primär in der Bandbreite - der Datenübertragungstechnik und ihrer Kontrolle. In der Perspektive einer naturalistischen, ganzkörperlich-räumlichen Übertragung befinden sich die Standardanwendungen immer noch auf den frühen Entwicklungsstufen. Bis die interaktive Kunst samt einem ganzkörperlichen Anspruch in die Wohnzimmer einzieht, wird es offenbar noch eine Weile dauern. Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, ob das überhaupt notwendig bzw. wünschenswert sei (vgl. Ausführungen zum Phänomen der „Interpassivität“ im Kapitel 1.3.4.3.).

Aus etlichen umfangreichen Studien im Bereich der VR-Kunst erfolgt laut Grau aber auch, dass die Menschen in solchen informationshermetischen interaktiven Installationen außer des bestechenden Hyperrealismus offenbar noch mindestens einen fesselnden Plot und sichere emotionale Führung brauchen. Das Konzept und seine Nachricht scheinen also ebenso wichtig zu sein wie die formale bzw. technische, zunehmend sogar designerische Realisierung des Kunstwerks. Ein fachliches Können darf dabei kaum hinterfragt, auch die finanziellen


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Grundbedingungen müssten weit im voraus gesichert werden. Laut Grau empfiehlt sich eine Mischung aus konzeptioneller Führung und freien Entscheidungsmöglichkeiten, die maximal den ganzen Körper und seinen ganzen sensorischen Apparat involvieren sollen. Einen letzten Garanten für das absolute ästhetische Erlebnis sieht er letztendlich im - Affekt (vgl. die analytischen Ausführungen im Kapitel 1.1.4. sowie die konkreten Vorschläge der vorliegenden Arbeit in 3.2.5.1., nicht zuletzt auch die Modellierung in 3.3.2.):

„Ist eine Balance aus Interaktionsfreiheit und dramatischer Handlung vorhanden, deren Fluß sich der Interakteur fügen muß, so kann diese Struktur eine emotionale Involvierung des tradierterweise distanzierten Betrachters bewirken.“<674>

Als örtlich versetzte physische Wirkung des menschlichen Körpers verknüpfe laut Grau das Telepräsenz-Konzept auch „drei Langzeitprojekte der Ideengeschichte mitsamt ihren mythischen, magischen und utopischen Konnotationen:“ Eine ursprüngliche Wunschversprechung des „künstlichen Lebens“, spezifischer der maschinellen „Automation“ der organischen Funktion bilde eine fruchtbare Folie für extrakorporale Phantasien, die sich in der künstlerischen Tradition der Virtual Reality als der bisher optimalsten Einlösung einer „okkulten Vorgeschichte der Telekommunikation“ verdichten.<675> Dieses mythologische Dreibein markiert auch über den gegebenen Kontext hinaus die wichtigsten Aspekte der elektronisch geprägten zwischenmenschlichen Kommunikation und verdichtet sich offenbar immer wieder um das Problem des Körpers-im-Raum. Die „konsolidierende[] utopische[] Projektion“ findet auf dem aktuellen Stand der Technik(geschichte) eine erneute Zuspitzung, wobei sich alte Mythologisierungen auflösen und an ihrer Stelle neue einfließen, die aber nicht unbedingt von ihren Vorgängern wesentlich abweichen müssen. Die Mixed-Reality-Environments versprechen, ähnlich wie vor Jahrzehnten die „Virtual Reality“, heute eine heile Zukunft als (nunmehr menschlich maßgeschneiderte und zunächst balancierte) Koexistenz zwischen Mensch und Maschine, weisen aber neben zahlreichen Wunschversprechungen auch einen beträchtlichen Zuwachs an technologischer und ökologischer Reflexion auf. Dies nicht zuletzt wegen ihres bewussten, oft aber auch intuitiven Umgangs mit verschiedenen technologisch bedingten Seins- und Kommunikationsweisen des Menschen, die in einer konsensuellen Realität durch Körpergebrauch und Selbstreflexion des eigenen doppelten bzw. mehrfachen Wesens (pluralistische Ontologie) zusammenfinden können.

Ähnlich wie bei Verkaufsprodukten und Medienangeboten, kann eine ideelle Virtuelle Realität als „persönliche Erfahrung“ durch starken emotionalen Anspruch bzw. Aufregung intensiver angeeignet werden,<676> wogegen ihre Konstruiertheit nur als irrelevant angesehen oder erst überhaupt nicht bemerkt wird. Und eben auf dem


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letzteren baut das Prinzip der als solchen wahr-genommenen gemischten Realität, die aber deswegen den BenutzerInnen nicht unbedingt hochwertige Aufregungszustände im eigenen Körper verweigern muss. Im Gegenteil kommt es bei (sensorisch, physisch, affektiv, inhaltlich, narrativ usw.) gut balancierten Mixed-Reality-Environments - hier betont im künstlerischen, kaum weniger jedoch auch im industriellen Einsatz<677> - sowohl zu einer Oszillation zwischen den „hautnah“ immersiven und den „distanziert“ reflexiven Erlebnissen mit hohem (interpersonalen!) kommunikativen bzw. interaktiven Wert. Darüber hinaus kann die Gefahr der absoluten Manipulation auf globaler Ebene bei ständigem (sensorischen) Kontakt mit der physischen Realität und ihren virtuellen Pendants durch wiederholtes Abgleichen (als „Realitycheck“)<678> vermindert werden. Unter Voraussetzung einer breiten Zugänglichkeit sowohl ausgebauter Datennetze und ihrer Standards wie auch global zugänglicher Event-Netzwerke (konkrete ortsgebundene Projekte, Workshops und interaktiven Ausstellungen im öffentlichen, freizeitlichen wie auch pädagogischen und akademischen Raum) könnten die Angstphantasien des kulturkritischen Sci-Fi (etwa von William Gibsons Kultbuch „Neuromancer“ zu aktuellen Filmklassikern wie „The Matrix“) erstmals von ihrer Realisierung abgehalten werden.

Durch die aktuellen Annäherungen zwischen Bio- und Technologie („moist media“ bzw. „nasse Medien“, siehe Anm. 533) und einer optimistischen und zugleich emanzipierten Reflexion der global vernetzten Zeit- und Ortlosigkeit verfolgten solche kollektiven Experimentalräume ein bereits länger bekanntes Konzept des „technoetischen Konnektionismus“<679> (Roy Ascott), dessen aktualitätsbemühte Praxis die Vorwürfe einer kollektiven Halluzination überzeugend zurückweist und statt der pessimistisch postmodernen Ausweglosigkeit (Kapitel 1.1.1.) eine funktionierende und äußerst kreative kollaborative Plattform anbietet:

„Durch die Vernetzung mit dem Computer können wir kreativ mit dem Relativismus und mit dem Pluralismus umgehen, wenn wir eine radikale-produktive Ablehnung jenes Pessimismus mitbringen, der so vielem postmodernistischen Gedankengut innewohnt.“<680>

Bewusste und reflektierte „Tele-Erfahrung“ beginnt laut Oliver Grau erst durch die Objektivierung und Distanzierung von eben der selben Erfahrung,<681> was natürlich am


185

effektivsten mit vorsichtigem und effektiven Einsatz künstlerischer und/oder metakommunikativer (Verfremdungs)Mittel erfolgen kann. In den Mixed-Reality-Environments erfolgt die Trennung verschiedener „Realitätsschichten“ bisweilen noch relativ problemlos und die Übergänge zwischen einzelnen Realitäts- bzw. Mediumebenen werden hauptsächlich mit genügend reflexiver Distanz erlebt. Es wird jedoch einerseits durch den technischen Fortschritt der diesbezüglichen Simulations- und Kombinationstechnik (zu einer neuen Stufe des „Illusionismus,“ in dem selbst die gemischten Realitäten vorgetäuscht werden) und andererseits durch die Gewöhnung<682> der BenutzerInnen an eine angenommen alltägliche Proportionalität gemischter Realitäten diese Distanznahme zunehmend erschwert. Nicht zu überschauen wäre letztlich auch der von vielen AutorInnen erwähnte technologische Eskapismus bzw. Drang nach totaler Immersion (i. o. S.), die MR als Feststellung der aktuellen conditio sine qua non wieder zurück an die Grenzen der VR bzw. in die Oszillation zwischen Illusionstechniken und ihren Gegenprojekten (Realismus, Naturalismus) versetzen könnte.

In den erweiterten Konzepten und praktischen Thematisierungen von Körper und Raum wie auch in einem neu(medial)en Schnittstellen(er)leben wiederspiegelt sich eine zeitgemäße und sinnvolle Pluralität der Realitätsebenen. Zumindest in den zukunftssensiblen, experimentellen und ästhetischen Praxen bedeutet das fließende und dynamische Ineinander von Datenräumen und konkreten Räumen, von Körperrepräsentationen und physischen Körpern, von materiellen wie auch virtuellen Schnittstellen einen wichtigen Zusammenfluss von bisher oft getrennt diskursivierten (und deshalb auch getrennt angewandten bzw. erfahrenen) Paradigmen. All dies beginnt allmählich auch auf der Durchschnittsnutzungsebene als medialer Kulturebene erste tektonische Verschiebungen im kommunikativen Usus mit und durch das elektronische Multimedium Computer zu bezeichnen.

>>weiter>>



Anmerkungen:

<398>

Vgl. die Grundsätze der Modellierung im Kapitel 3.3.2.

<399>

Vgl. die Ausführungen zum Begriff des „Ortes“ vs. dem des „Raumes“ im Kapitel 1.2. (Einführung, insb. die Ausführungen zu Albert Einstein).

<400>

Vgl. die Grundlagen der Modellierung im Kapitel 3.3.1., insb. die Taxonomie.

<401>

Johnson, Steven: Interface Cultures. How New Technology Transforms the Way we Create and Communicate. San Francisco 1997.

<402>

Ebd. S. 41.

<403>

Ausgenommen einiger semiotisch motivierten „transsensorischen“ Experimente (metaphorischer bzw. symbolischer Raum und Körper als Hypertext) manifestiert sich die elektronisch vermittelte Verweisstruktur primär auf der visuellen Ebene, sowohl im linearen (lesbaren) Text als auch im (mit Hyperlinks versehenen, anklickbaren) Bild bzw. in der 3D-Simulation.

<404>

Ishii, Hiroshi: Get in Touch. Tangible Bits. Bridging Digital and Physical. Ars Electronica Festival 2001. Archiv: <www.aec.at/de/archives> Das Projekt „Tangible Bits“ bemühe sich um eine „nahtlose Verschmelzung“ dieser artverschiedenen Welten, um damit u. A. „die Grenze zwischen Wissenschaft/Technik und Kunst/ Design“ zu verwischen. Ebd. Vgl. Kapitel 3.2.5.3. sowie das Konzept des „ubiquitous computing“ wie kontextualisert in Kapitel 3.1.1.

<405>

Vgl. Kapitel 1.2.3. In diesem Kontext ist Cyberspace nach wie vor konstruktivistisch als „kollektive Halluzination“ zu verstehen, die jedoch eine stets anwachsende Zahl der (mehr oder weniger feiwillig) Halluzinierenden anzieht und in gewissen Bereichen bereits mit einer demokratisch-perspektivistischen Machtübernahme droht, obwohl nach Meiningen etlicher KommentatorInnen die euphorischen Diskurse in den Neunziger Jahren bereits abgeebbt haben sollten. Ebd.

<406>

Die Richtlinien für die Einführung der „natürlichen Mensch-Mensch Systeminteraktion“ („natural HHSI“ als „natural human-human system interaction“) im 5. Rahmenprogramm (FP5) der EU seit dem Jahr 2000 sind umso verschärft bereits in den Ansätzen für FP6 zu beobachten, wo die aufs Jahr 2010 gerichtete „Szenarios für ambiente Intelligenz“ bereits im Sinne womöglich „natürlicher Schnittstellen“ überlegt werden. “Fifth framework programme of the European Community for research, technological development and demonstration activities (1998-2002)“ <http://europa.eu.int/comm/research/fp5.html>) “Given the liberalisation of telecommunications, growing internet use, and the globalisation of information communication technologies (ICT), technological development should continue its upward trend over the next few years. In this context, research and technological development (RTD) in IST is essential to maintain Europe's competitiveness and social cohesiveness.“ <www.cordis.lu/ist/ka3/home.html> Die Vereinigten Staaten unterstützen ebenfalls Projekte wie “DARPA Communicator“ <http://fofoca.mitre.org> und “Oxygen“ <http://oxygen.lcs.mit.edu/> auf nationaler und internationaler Ebene mit hohen Prämien. Weitere wichtige europäische Initiativen im Bereich der natürlichen HHSI sind das an virtuellen Agenten und individuellen Adaptivität interessierte deutsche Projekt „SmartKom“ <www.dfki.de/smartkom> und das überinstitutionell und kooperativ ausgerichtete Projekt „CLASS“ der in einem seiner Schwerpunkte auch das europäische Pendant zum amerikanischen „DARPA Communicator“ entwickeln sollte. Entnommen überwiegend dem Überblick von Bernsen, Ole: Natural Interactivity. In: I3net,European network for intelligent information interfaces (Hg.): I3 magazine. After the PC. Edition 09, 11/2000. S. 2 - 5. (online unter <www.i3net.org/serpub/services/magazine/november2000/>) Vgl. zu den Ansätzen der “natürlichen“ Interaktivität insb. Kapitel 1.3.1.2.

<407>

Johnson: Interface Cultures. S. 242.

<408>

Ebd. S. 213.

<409>

“The first generation of interface designers to break dramatically with the first principle of navigability will no doubt be pilloried by the digital establishment, but they will also open up a whole new possibility space for the designers that come after them... ’User-hostile‘ may sound like an odd goal for interface design, but the truth is the field could use a little tough love.“ Ebd. S. 227.

<410>

Leeker, Martina: Der Körper des Schauspielers/Performers als ein Medium.

<411>

Hier wird von einer angenommen durchschnittlichen Ausrüstung im Heimbenutzungsbereich ausgegangen (Desktop- bzw. Office-Rechner). Die VR- und Immersionstechnik der experimentellen bzw. wissenschaftlichen hi-tech Stufe wird hier lediglich als Vergleich miteinbezogen. Im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgt eine Zunahme an Beobachtungen komplexerer Technik, die zunächst eine Verschiebung vom Durchschnittsnutzungsbereich zum experimentellen künstlerisch-wissenschaftlichen Bereich bezeichnen soll, jedoch keineswegs auf diese Bereiche beschränkt bleiben muss (zunehmender Transfer zwischen professionellen und sozialen Gruppen). Auch hat diese Technologie und ihre Verwendung - sowohl durch (feedbackreiche) künstlerische als auch durch populär-industrielle Anwendung - eine direkte Auswirkung auf die breite BenutzerInnenebene. Die selbe hohe Technologie fließt (reflektiert, bewertet und entsprechend modifiziert) nach dem Modell der nachhaltigen Entwicklung und technologischen Distribution anschließend zurück auf das Niveau der niedrigen, also breiten Benutzung, wo es wieder zur neuen Kreativität rezykliert werden kann. Dieses Phänomen kann neulich am besten im Bereich der auf hochstandardisierten Internettechnologien basierten Netzkunst beobachtet werden. Vgl. Kapitel 1.3.4. (überblickend) und 1.2.2.2. (spezifisch zum Internet-Theater).

<412>

„People have normally the tendency to say that the hand is not an interface. But if you draw a distinction between your consciousness and your body, you realise that your hand is also an interface.“ Weibel, Peter: The Art of Interface Technology. In: Diebner, Hans H. (Hg.): Sciences of the Interface. Tübingen 2001. S. 272 - 282. Zitat S. 275. Bei konventionellen haptischen Schnittstellen handelt es sich primär um die Tatstatur/Maus-Kombination. Die zukunftweisende Forschung im Sinne ganzkörperlicher Taktilität (oberflächenbezogener Tastsinn) und Kinästhetik (äußerlich wahrgenommene Bewegung, Position, Muskelspannung eines anderen Körpers) sowie Propriozeptivität (wahrgenommene Bewegung bzw. Lage des eigenen Körpers) hat bisher die Stufe von Datenhandschuhen und den sog. „SmartChairs“ (Datenstühlen, siehe etwa <http://vismod.media.mit.edu/vismod/demos/smartchair/>) als „personalised user interfaces“ (PUI) erreicht, wogegen an überzeugenden Datenanzügen mit breiteren Verwendungsmöglichkeiten bisher immer noch ungenügend geforscht wird. Bei der sog. „immersiven“ (<www.immersion.com>) Software und Hardware („TouchSense Technology“) handelt es sich prinzipiell um PC- und MAC-kompatible Computermaus-Technik, wo verschiedene primär visuell repräsentierte Felder/Objekte/Texturen (z. B. Buttons/Menüs/Hintergründe als virtuelle Metaphern), sekundär auch durch vorprogrammierte Vibrationsimpulse der Computermaus, Tastatur, Joystick, Gamepad, Trackball usw. taktil von den jeweiligen NutzerInnen erfahren werden können. Diese Technik findet (wesentlich komplexere) Anwendung auch in hi-tech Bereichen wie Medizin, Fahrzeugkonstruktion, Architektur usw., richtet sich jedoch zunehmend an den vergnügungsindustriellen Bereich. Zukunftsweisend wird sie mit den Ansätzen der „Mixed Reality“ (Kapitel 1.3.4.4.) kombiniert.

<413>

Laut Georg Christoph Tholen seien es in der Schnittstellengestaltung bereits seit Jahren „[...] nicht mehr nur die alphanumerische Tastatur, und nicht mehr nur die den zeigenden Finger substituierende Maus als Benutzeroberfläche der 2. Generation, sondern ein die gesamte Oberfläche des Körpers einbeziehende Oberfläche von Haut und Maschine, die - vielleicht etwas vorschnell - als Unentscheidbarkeit von Innen und Außen, als angstbezogene wie euphorisierende Metapher für grenzenlose Oberflächen der immateriellen Welt genommen wird.“ Tholen: Der Ort des Raums.

<414>

Zu Konzepten der „intuitiven“ Schnittstellen siehe Kapitel 1.3.4.4., insb. die Diskussion um die Positionen Elisabeth Andrés und Volkmar Hedickes. Zum Konzept der Bewegungserfassung („motion tracking,“ „motion capturing“) vgl. Kapitel 3.1.4.2., insb. Anm. 866.

<415>

Vgl. zum Begriff „digital divide“ die Kontextualisierungen im Kapitel 1.2.2.4. und 1.3.1.3.

<416>

Siehe Ausführungen zu Konzepten von VR und MR in den Anm. 53. resp. 54.

<417>

Vgl. auch Kapitel 1.1.3., insb. Anm. 143f. Zu Visionen der Bioelektronik und der „feuchten Medien“ siehe Anm. 533.

<418>

Ausnahmen hierzu wären wiederum die Experimente mit EEG, Atem-, Herzschlag- oder Hautfeuchtigkeitserkennung, Gleichgewichts- und Bewegungsplattformen oder das sog. „motion capturing,“ die aber - ausgenommen im künstlerischen und ansatzweise im medizinischen Bereich - bisher nur wenige marktrelevante Resultate für den breiten Gebrauch hervorgebracht haben. Vgl. Anm. 473 (kultursymptomatisch) und insb. 1039 (technologisch) zum „EyeToy“. (Musik)Instrumente werden hier vergleichsweise als Extensionen des menschlichen Körpers bzw. Schnittstellen zweiten Ranges verstanden.

<419>

Vgl. die Ausführungen und weitere Quellen bei Rügge, Ingrid: Freihändig oder handgesteuert? Aktuelle Trends in der Gestaltung der Mensch-Computer Interaktion. <www.tzi.de/~ruegge/PDF-Dateien/THEALIT01OhneBilder.pdf> (erschienen auch in: Ulrike Bergermann / Andrea Sick / Andrea Klier (Hg.): HAND. Medium-Körper-Technik. Bremen 2001. S. 245 - 256)

<420>

Vgl. Taxonomie im Kapitel 3.3.1.

<421>

Beispielsweise handelt es sich hier um verschiedene bekannte Editor-Programme und Werkzeuge (HTML-Editors), Ton-Bearbeitungsprobramme (DJ-Sofware, Midi-Bearbeitungsprogramme mit hochentwickelnden visuellen Oberflächen für die genaue Tiefbearbeitung von Ton), Programmen zur Organisation von Datenbanken, die alle größtenteils noch am Prinzip der Desktop-Metapher zweidimensional (Dreidimensionalität höchstens als Metapher in übereinandergelegten Fenstern) operieren - anhand desselben Prinzips funktionieren im Grunde immer noch beinahe alle bekannten Computer in der breiten Benutzung.

<422>

Laut dem Internet-Wörterbuch „Networds“ (also im Verständnis der DurchschnittsnutzerInnen) bedeutet Schnittstelle “[d]as Übergangs- bzw. Verbindungsstück, durch das Datenaustausch zwischen zwei verschiedenen Bereichen stattfindet. Dabei ist es unerheblich, ob Hardware, Software oder noch andere Bereiche gemeint sind oder ob zwischen Bereichen gleicher oder unterschiedlicher Kategorie Daten ausgetauscht werden. Es kann ein Stecker, eine Leitung gemeint sein, die Rechner und Modem verbindet, ein Software-Modul, das Textverarbeitung mit Tabellenkalkulation verbindet, oder auch die Tastatur, die eine Schnittstelle zwischen Mensch und Computer darstellt.“ Langenscheidt Internet-Wörterbuch online <www.networds.de> (Hervorhebung von P.P.)

<423>

Grundlegender Gedanke durchgängig bei Wiener: Mensch und Menschmaschine.

<424>

Vgl. hierzu allgemein Kapitel 1., insb. die argumentative Makrostruktur.

<425>

Mann, Steve: Wearable Computing. Towards Humanistic Intelligence. In: IEEE IS Special Issue on Wearable Computing and Humanistic Intelligence. Bd. 16, Nr. 3. 2001. S. 10 - 15. Vgl. auch <www.eecg.toronto.edu/~mann/>.

<426>

“[...] in HI theory, we prefer not to think of the wearer and the computer with its associated I/O apparatus as separate entities. Instead, we regard the computer as a second brain and its sensory modalities as additional senses, which synthetic synesthesia merges with the wearer‘s senses. When a wearable computer functions in a successful embodiment of HI, the computer uses the human‘s mind and body as one of its peripherals, just as the human uses the computer as a peripheral. This reciprocal relationship is at the heart of HI.“ Ebd. S.10.

<427>

Ebd. S. 13f. Bei einer halbdurchlässigen Datenbrille wird einerseits das „eye-tracking“ System auf das Auge und seine „Bewegungsgewohnheiten“ kalibriert (vgl. das „EyeTap“-System, ebd. S. 14), andererseits muss sich das Auge auf die kombinierten Dateninputs (reale Umgebung samt simulierten Bildern und anderem Datenmaterial im Sichtfeld) erst einmal umschulen: „Over a long period of time, the user will become one with the machine, constantly adapting to the machine intelligence, even if he or she only occasionally deliberately uses the machine.“ Ebd. S.13.

<428>

Diese Systeme dürften laut Steve Mann die BenutzerInnen auf keinen fall sensorisch monopolisieren, sie sollten von ihrer realen Umgebung nie völlig abgeschnitten werden (wie es in VR der Fall ist) und müssten möglichst zur synchronen Multifunktionalität des menschlichen Körpers anregen („[...] for example, you can input text while jogging or running down stairs.“ Ebd.). Diese Geräte sollten sowohl uneindringlich als auch aufmerksam sein, damit die BenutzerInnen jederzeit sofort auf sie zugreifen können. Darüber hinaus betreffen die von Steve Mann gesetzten Richtlinien auch die Kontrollierbarkeit dieser Systeme, die in jedem Moment ausgeschaltet bzw. „manuell“ übernommen werden können - der Mensch bleibt weiterhin am Steuer seiner Perzeption. Immerhin ergibt sich die Frage, anhand welcher Informationen er unter solchen Verhältnissen (eventuelle massive Datenimputs seitens der Maschine) seine Perzeption überhaupt steuern kann! Ebd. S 11. - 15. Vgl. auch Anm. 877.

<429>

Rügge, Ingrid / Boronowsky, Michael / Herzog, Ottheim: Wearable Computing für die Industrie. <www.tzi.de/~ruegge/PDF-Dateien/IMIR.etal1.10.03komplett.pdf> (erschienen auch in: Industrie Management. 6/2003)

<430>

Alle Zitate ebd.

<431>

Mann: Wearable Computing. S.15.

<432>

<www.futurephysical.org>

<433>

Vgl. z. B. die intensiv vernetzten Austauschgruppen (neben „wearable computing“ und „responsive environments“) „ECO-TECH Network Exchange“ und „BIO-TECH Network Exchange“. Ebd.

<434>

Vgl. etwa die im Bereich spezialisierte „Xybernaut Corporation“ <www.xybernaut.com> und beobachte dabei auch den zunehmenden diesbezüglichen Einsatz im Bereich von Forschung und Entwicklung bei den Großfirmen wie IBM, Panasonic und Philips.

<435>

Rügge / Boronowsky / Herzog: Wearable Computing für die Industrie.

<436>

<www.xybernaut.com> (Selbsterklärungstext von der ersten Seite der Homepage)

<437>

Insbesondere im industriellen Bereich gewinnt die Zusammenarbeit nicht nur mit KünstlerInnen, sondern vor allem mit den EndbenutzerInnen insgesamt an Relevanz. Laut den LeiterInnen des Bremener TZI „kann eine partizipative Zusammenarbeit zwischen Technologie-Entwicklern und Anwendern bereits in der frühen Phase der Entstehung einer neuer Technologie ein Garant für eine hohe Anwendungsrelevanz der entstehenden Lösungen sein.“ Rügge / Boronowsky / Herzog: Wearable Computing für die Industrie.

<438>

„Trace Encounters“, das wohl meistbeachtete Projekt des Ars Electronica Festivals 2004, versuchte durch ein elektronisches Schmuckstück, das in Form von schmucknadelähnlichen Chips von den „KernteilnehmerInnen“ („core participants“) getragen wurde, die physischen Begegnungen und somit die räumliche bzw. soziale Vernetzung des Festivals zu visualisieren. <www.traceencounters.org/> “The pin downloads all the encounters it has collected (a simple list of other pin IDs, times, and durations) when people come to a specific spot among the artworks: the site of TraceEncounters‘ network display. [...] The information gathered from the pins is combined as an innovative node/link diagram designed for two synergistic purposes: to show the complexity of the relationships among Ars attendees, while simultaneously exposing the inherent beauty in this trace of the social tapestry people weave as we meet and introduce, chat and rest.“ Paley, W. Bradford / Han, Jefferson Y.: TraceEncounters. A Social Networks Visualization at Ars Electronica 2004. <www.traceencounters.org/docs/MetNet3.pdf>.

<439>

“The basic user interface is usually understood to include [...] all the information channels that allow the user and the computer to communicate.“ Lewis, C. H. / Rieman, J.: Task-centered user interface design: A practical introduction. 1993. Shareware. (Volltext unter <www.acm.org/~perlman/uidesign.html> bzw. <ftp://ftp.cs.colorado.edu/pub/cs/distribs/clewis/HCI-Design-Book/>). Zitiert nach André, Elisabeth: Multimedia Grundlagen. Folien im pdf-Format für die Veranstaltung im Sommersemester 2002, Universität Augsburg, Lehrstuhl für Multimedia-Konzepte und Anwendungen. (veröffentlicht unter <http://multimedia.informatik.uni-augsburg.de/lehre/ss02/MMVL/Folien/Einfuehrung-I-bw.pdf>, Lesedatum: 28. 9. 2002.)

<440>

Ebd.

<441>

Für den aktuellen Forschungsstand am repräsentativsten und mit besten Aussichten für die Zukunft erweisen sich auch diverse Intellimedia-Projekte, wo zunehmend die Agenten (Avatare) aus dem KI-Bereich eingesetzt werden, die in einem multimedial „gemanagten“ und „körpererhaltenden“ Mixed Reality Environment eine erhebliche Entlastung und Effizienzerhöhung für die NutzerInnen in einer komplexen, hochtechnisierten Umgebung vorstellen könnten. Von einem zentralen Arbeitsplatz kann die Orchestrierung von Vergnügungs- und Kommunikationselektronik, hi-tech Haus- und Bürogeräten, Computeranwendungen usw. intuitiv und entlastend bewältigt werden. (als konkretes Beispiel siehe „SmartKom-Home/Office“ <www.smartkom.org/office_de.html>, vgl. dazu die Produkte und Visionen der Herstellerfirma „Intellimeida Corporation“ <www.intellimedia.com.ph/> und die Forschungsgruppe „Intellimedia Initiative“ <www.csc.ncsu.edu/eos/users/l/lester/www/imedia/>. Sympathetic interfaces sind sog. ikonische Schnittstellen für synthetische bzw. virtuelle Charaktere/Figuren, die durch drahtlose Plüschspielzeuge mit angeblich hohem emotionalen Anspruch repräsentiert werden; embodied interfaces können entweder als implantierte oder auch als (bequem) tragbare Schnittstellen bezeichnet werden (siehe zum Letzteren die wissenschaftliche und künstlerische Arbeit an „tragbaren/unsichtbaren Computern“ von Steve Mann unter <www.eecg.toronto.edu/~mann/> und insb. die Ausführungen zu seinem HI-Konzept in der Anm. 426 und Kapitel 1.3.1.1. Personalised interfaces sollten die persönlichen Modalitäten und (kommunikative) Präferenzen des jeweiligen Users/Userin optimieren (siehe auch Anm. 406), tangible interfaces (TUI) sind konkrete Instrumente (z. B. bewegliche Platten und Bausteine, Rotationselemente, Linsen usw., hauptsächlich in der Architektur), die statt der gewöhnlichen Eingabe per Maus/Tastatur für einen zweckmäßigen, nahtlosen und intuitiven Direktinput bzw. -output sorgen sollen - dies natürlich bei erheblich höheren Kosten und beschränkter Kompatibilität mit anderen Systemen.

<442>

In Anknüpfung an die Ideologiekritik Jean Baudrillards beobachtet Dieter Daniels, dass das Paradigma der technischen Interaktivität (sowohl Hardware als auch Software) aktuell eine Diskurs- und Handlungsführende Instanz darstellt: „Ob wir mit Maschinen anstatt mit Menschen oder mit Menschen mittels Maschinen kommunizieren, oder ob wir mit Menschen über Maschinen oder mit Maschinen über Menschen sprechen, wird durch die Verflechtung von menschlicher Gesellschaft und technologischer Parallelwelt immer schwerer zu unterscheiden. Das heißt auch, dass sich die Grenze zwischen Ideologie und Technologie verwischt, ja dass Technologie seit den 90er Jahren ein zentrales Element der Ideologie bildet.“ Daniels, Dieter: Strategien der Interaktivität <www.hgb-leipzig.de/daniels/vom-readymade-zum-cyberspace/strategienderinteraktivitaet.html> (erschienen auch in: Frieling, Rudolf / Daniels, Dieter: Medien-Kunst-Interaktion. Die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Wien 2000). Vgl. zum Begriff der „Interaktivität“ Anm. 821.

<443>

Vgl. Derrick de Kerckhoves Hervorhebung des (körperimmanenten) „instinktiven“ Moments der Exploration und Kommunikation als Entlastung der rational-kognitiven Leistung(sdräng)en des Menschen. Da Computer und Roboter als „Veräußerungen“ und „Projektionen“ unserer selbst zu verstehen sind, bieten laut de Kerckhove interaktive Kunstformen einen effektiven Schulungskontext und Alternativenpool für die (psychologischen) Konfrontationsstrategien des Menschen mit seiner (zunehmend technisierten) Umwelt - und mit sich selber. De Kerckhove, Derrick: Touch Versus Vision. Ästhetik Neuer Technologien. In: Welsch, Wolfgang (Hg.): Die Aktualität des Ästhetischen. München 1993. S. 137 - 169. Vgl. auch Kapitel 3.2.1.5.

<444>

Siehe etwa die Arbeit der japanischen internationalen Akademie „IAMAS“ („Institute of Andvanced Media Arts and Sciences“) <www.iamas.ac.jp/> oder die in Anm. 860 erwähnten Hochschulen im deutschsprachigen Raum und vgl. als Kontrast dazu die staatlich direktgeförderten Institute wie das MIT, „Massachusetts Institute of Technology“ <http://mit.edu/> oder das Fraunhofer „MARS“ (Anm. 53).

<445>

Die Begründung ihrer eigenen Arbeit am Projekt „Coexistence“ von Rebecca Allen und Eitan Mendelowitz bezieht sich auf eine öfters vorzufindende Zukunftsprojektion an die vernetzten bzw. delokalisierten Schnittstellen, die ein (simuliertes bzw. mindesten kognitiv-beschränktes) Leben in der „Hinterwelt“ (vgl. Kapitel 1.2.3.) zu versprechen schient: „As interfaces improve, it will seem natural to move in and out of cyberspace as we go about our daily lives. Portable digital devices allow us to interact in the physical world while coexisting in other places and virtual environments. [...] As mobile technology becomes more pervasive, interface and interaction design must be re-examined. We are moving from keyboard and mouse to sensing technologies that more fully engage the body. In addition, people are becoming familiar with the notion of a distributed presence - a distributed self that exists in many worlds and plays many roles at the same time. Emerging digital technology allows us to distribute our presence and interact with others over multiple channels. It also presents us with increasingly sophisticated representations of artificial life in which objects, both virtual and physical, can behave in ways that suggest ’aliveness‘.“ Allen, Rebecca / Mendelowitz, Eitan: Coexistence. In: Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. S. 299 - 302. Zitat 299f.

<446>

“Just as Ford is reputed to have said about his automobiles, ’You can have it in any colour you want as long as it is black,‘ so today‘s computer designers say, ’You can have it in any form you want as long as it has a keyboard, a display and a mouse, regardless what you are doing.‘ Hence, temporarily assuming the role of an anthropologist examining the tools of a society, we notice that there is little significant difference in the tools used by the physician, accountant, photographer, secretary, stockbroker architect, or ticket agent. Instead of specialisation, a one size fits all approach to design prevails.“ Buxton, Bill: From Virtual to Mixed Reality. In: Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. S.15. Siehe zu zahlreichen diesbezüglich relevanten Projekten und Texten des Autors auch seine Homepage unter <www.billbuxton.com>.

<447>

Der EU-Komissar Leon van Noorden (Sektor DG INFSO E3 „Schnittstellen“) betont aus der makro(politischen) Perspektive die zwei wichtigsten konzeptuellen Arten von Schnittstellen für eine kreative Informationsgesellschaft: die zwischen den EndbenutzerInnen und der Dienstzustellungsplattform sowie die zwischen dieser Plattform und dem Dienstanbieter. Eine entwicklungspolitische Prämierung erfahren eben interdisziplinäre kommunikative Schnittstellen als Anschlüsse von Technik und Wissenschaft an den künstlerischen Bereich: “Much more clarification need the interfaces between art and science and between art and engineering. The information that has to flow through these interfaces in both directions depends on how art wants to be defined, what it wants to be, to express or to achieve and what it needs as input from science and engineering and on what science and engineering want or could learn from questions asked by artists. If these questions have been clarified, one can tackle the next question: what are the best conditions and institutions to promote the exchanges through these interfaces.“ Van Noorden, Leon. Welcome Address. Ebd. S. 10. Vgl. die Vorschläge der diskursiven Positionsklärung bei interdisziplinärer Kooperation im Kapitel 3.2.1. sowie die Ausführungen im Kapitel 3.2.5.3. Die Untersuchungen kulminieren schließend in der Modellierung des Kapitels 3.3.3.

<448>

Hedicke, Volkmar: Multimodalität in Mensch-Maschine-Schnittstellen. <www.symposion.de/mensch-maschine/mms_07.htm> (erschienen auch in: Timpe, K.-P. / Jürgensohn, T. / Kolrep, H. (Hg.): Mensch-Maschine Systemtechnik. Düsseldorf 2002)

<449>

Ebd.

<450>

Alle Zitate ebd.

<451>

„Virtuelle Environments“ werden hier analog zu „Virtueller Realität“ benutzt, wobei die räumliche Metaphorik des „Environments“ in ihrer Intensität bzw. Benutzungsbreite der des „Cyberspace“ (siehe Kapitel 1.2.3) nahe kommt.

<452>

Hedicke: Multimodalität in Mensch-Maschine-Schnittstellen.

<453>

Laut Hedicke wird sich der konkrete Einsatz solch tatsächlich benutzerInnenfreundlicher multimodaler Schnittstellen „zunächst in Bereichen verstärken, die ein hohes Innovationspotential und kurzzyklische Produktwechsel aufweisen. Die Entwicklung von sprachlicher Interaktion und von Eingabegeräten mit haptischer Rückmeldung wird derzeit vor allem vom Privatanwender- und Computerspielmarkt beflügelt, da sich die Entwicklungskosten über hohe Verkaufszahlen amortisieren und in kurzen Abständen neue Produkte angeboten werden müssen.“ Ebd.

<454>

Ebd.

<455>

Vgl. diverse Arbeiten von Hiroshi Ishii.. Siehe im vorliegenden Kontext die Ausstellung „Get in Touch“ unter Leitung von Ishii (Tangible Media Group, MIT), insb. sein Projekt „Tangible Bits“ (Anm. 404) und das kollaborative „Future Office Project“ im Linzer „Ars Electronica Futurelab“ <www.aec.at/de/futurelab> Dazu noch diverse Projekte der „Tangible Media Group“ am MIT <http://tangible.media.mit.edu/> aus dem Bereich „benutzerfreundlicher Schnittstellen,“ die viele kreative Lösungen gerade im (zwar institutionell geschirmten, doch uneingenommen) spielerischen bis (elitär) ästhetischen Kontext entwickeln konnten.

<456>

Bernsen: Natural Interactivity. S. 2.

<457>

„Technologies in the areas of conversational spoken language dialogue systems, vision-based situation interpretation, on-line understanding and expression of prosody, facial expression and gestures, agents, application-sharing, multimodal input fusion and output-fission, summarisation, or even the handling of speech over the Internet are not sufficiently advanced yet. In fact, to get as far as described above will require very substantial long-term research, some in areas where we are only just scratching the surface.“ Ebd. S.3.

<458>

Siehe zu künstlerischen Ausprägungen der „wet biology“ (aus ebenfalls kultursymptomatischer Perspektive) etwa Anm. 533.

<459>

Claudia Benthien: Haut: Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek 1999.

<460>

Vgl. die Modellierungen in den Kapiteln 3.3.1. und 3.3.2. Der Rezeptionsapparat des Menschen, der in einer feiner gerasterten Perspektive auch etwa Tele-, Proprio-, Extro- oder Introzeptoren funktional sowie strukturell aufweist, wird hier lediglich auf die relevanten (somit jedoch einigermaßen abstrahierten) informationsübertragenden Instanzen reduziert.

<461>

Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt/Main 1994. S. 15. (zitiert nach Benthien, S. 7.)

<462>

Benthien: Haut. S. 7.

<463>

Siehe Anm. 460.

<464>

Benthien: Haut. S. 18.

<465>

Birringer, Johannes: Erschöpfter Raum - Verschwindende Körper. S. 515.

<466>

Vgl. Kapitel 3.2.3.2.

<467>

Vgl. Purg: Die neue Leiblichkeit des Chandosbriefs. Ab Kapitel 4.

<468>

„Was Elias mit dem Begriff des homo clausus [Dieser Begriff wurde eingeführt von Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt/Main 1991., P.P.] als einer allgemeinen Struktur des neuzeitlichen Individuums diagnostiziert hat - die rigider werdende Scheidung zwischen ‚Inneren‘ und ‚Außen‘ und die damit eingehende zunehmende Unerkennbarkeit des anderen (sic!) - , wurde präzisiert, indem als ein Hauptmotiv die trennende Funktion der Haut erkannt wurde.“ Benthien: Haut. S. 18. Zu der „solipsistischen“ Bedingung innerhalb der Medienphilosophie.

<469>

Vgl. Jos de Muls Auffassung des Computers als ein “ontologisches Werkzeug“. VR-Erfahrungen versteht er als „reale“ und nicht illusionäre Erfahrungen, da sie zwar nicht die Ontologie des Raums, immerhin jedoch seine Funktionalität sensorisch überzeugend s(t)imulieren. Der Körper reagiere auf die Dateninputs des „ontologischen Werkzeugs“ (Computers) beinahe als ob er im realen Raum wäre. (S 174f). Selbst das affektive Potential der VR-Environments sei lebensnah: „Loving or hating someone in VR is no less real than loving or hating someone in real life.“ (S. 175). Als der ultimative Klimax des modernistischen Willens zur Kontrolle ermögliche uns VR eine Erhebung aus der Subjektivität in die Projektivität („projectivity“, S. 177f). In seinem ästhetikphilosophischen Beitrag zeigt de Mul, dass die Praxis und die Philosophie der Virtuellen Realität, Kunst und Technik, die seit der altgriechischen Zeit getrennt waren, wieder versöhnt und für die Zukunft mit gleicher Wahrscheinlichkeit sowohl den Genuss einer großartigen Kunst als auch die Frustration eines blamierenden Kitschs verspricht. De Mul, Jos.: Virtual Reality. The Interplay between Technology, Ontology and Art. In: Filozofski vestnik. S. 165 - 184.

<470>

„Im|mer|si|on, die; -, -en [spätlat. immersio = Eintauchung]: 1. (Physik) Einbetten eines Objekts in eine Flüssigkeit mit besonderen lichtbrechenden Eigenschaften (zur Untersuchung von Kristallformen u. in der Mikroskopie). 2. (Astron.) Eintritt eines Himmelskörpers in den Schatten eines anderen. 3. (Geol.) Inundation. 4. (Med.) bei bestimmten Hautkrankheiten u. Verbrennungen angewandtes stunden- bis tagelanges Vollbad.“ Duden Deutsches Universalwörterbuch.

<471>

Siehe Turkle, Sherry: Leben im Netz. (Anm. 302). Die Teilnehmer der MUDs (Multi User Dungeons bzw. Dimensions) berichten von den Vorteilen ihrer spielerischen Existenz im Cyberspace entgegen der äußeren, realen Existenz. Die Vorteile der MUDs bestünden laut Turkle in ihrer „Kontinuierlichkeit“ und „Anonymität“ wie auch in der (rein physisch erlebten) „Unsichtbarkeit“ und enormer „Ausfüllung“, die die Teilnehmer dabei erleben.

<472>

Vgl. das Phänomen der „Simulatorkrankheit“ in Anm. 669.

<473>

Hier handelt es sich um kein hochintensives sensorisches dreidimensionales Raum-Erlebnis (im Sinne etwa eines IMAX-Kinos, CAVE-Systems [vgl. Anm. 539] oder einer Stereobrille), sondern um die Andeutung und Vorstellung eines 3D-Raumes, der jedoch nur visuell (2D + Spezialeffekte, 3D-Beschleuniger usw.) und auditiv (3D durch „surround“ Technik) erfasst und kognitiv vorausgesetzt (i. o. S. halluziniert, imaginiert, vgl. Kapitel 1.2.3.) wird. Vgl. zu hier erwähnten Technologien ausführlicher Anm. 539. Immerhin bemüht sich insbesondere die Computerindustrie, die Entwicklungen in dem hier untersuchten experimentellen Bereich so schnell wie möglich auf der breiten BenutzerInnenebene zu vermarkten. So auch mit der neuesten „motion tracking“ Technologie bei der Spielkonsole „Sony Playstation 2“ “Nachdem beim Computerbild keine wesentlichen Fortschritte mehr zu erzielen sind, beginnen die Computer, so scheint es, nun die wirkliche Welt nach ihrem Bild zu formen. Die neuen Eingabegeräte sind ein Vorstoß des Rechners aus dem virtuellen in den physischen Raum.“ Baumgärtel, Tilman: Im Bilde. Die Videospiel-Kamera Eyetoy macht den Spieler zum Eingabegerät. ‚Die Zeit‘ online. 17. 12. 2003. <www.zeit.de> (Artikel: <www.zeit.de/2003/52/EyeToy>)

<474>

Ausgenommen lokale Intranets, die aber den Vorteil von (bild- und/oder tonloser) Anonymität wie auch der Kontinuierlichkeit auf längere Zeit einbüßen. (Gruppenbildung, Identitätsspiel usw.). Siehe dazu flächendeckend Turkle: Leben im Netz.

<475>

„The worlds created in the Sims, Grand Theft Auto, Toy Story, Quake and are complex and exciting in ways which their artworld counterparts can't match up. They are larger, easier to navigate, more exciting to interact with, have more sophisticated visuals, are more entertaining, and are surprising in their level of freedom to interact (the audience has more options). And why shouldn't they be more interesting? They've got large teams of developers working on them, they can test the interaction in focus groups and have almost unlimited pools of capital to draw from. What individual artist could compete with that?“ twhid@mteww.com: When Google has Achieved the Net Art Masterpiece, what are the Artists to Do? In: Emailverteiler ‚Rhizome Digest‘. 29. 11. 2002.

<476>

Vgl. Fußnote zu „satellite art“ der späten Siebziger Jahren von Sherrie Rabinowitz und Kit Galloway Anm. 376.

<477>

In den USA wurde mit „Internet 2“ (direkte Glasfaserverbindung, siehe Anm. 364) eine neue Ära der Datenübertragung eingeführt, insbesondere für den akademischen, pädagogischen und natürlich industriellen Sektor. Beispielhaft dazu dienen (ausführlicher darüber im Kapitel 3.1.) Projekte des Instituts „OSU Dance“ und der „AlienNation Company“ als Mittelstufe, wo die dynamische Ganzkörperinteraktion auf großer Entfernung im Rahmen der technischen Möglichkeiten, immerhin auf dem am höchsten realisierbaren Niveau bereits durchgeführt wurde. Dadurch wurden, als eins der zentralen Themensetzungen der sonst primär ästhetisch ausgerichteten Projekten, auch die Grenzen und Flexibilitäten dieser Technologien untersucht.

<478>

Moravec, Hans: Die Evolution des postbiologischen Lebens. Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 26. 01 2002. „Jede Interaktion mit der Welt würde zuerst in eine erkennbare quasi-körperliche Form analogisiert werden müssen: andere Programme könnten als Tiere, Pflanzen oder Dämonen, Datenmengen als Bücher oder Schatztruhen, Eingänge in der Buchführung als Münzen oder Gold dargestellt werden.“ Ebd.

<479>

„Die empathischen, ja teils ekstatischen Bücher von Wissenschaftlern wie Donna Harraway oder populären Autoren wie Howard Rheingold haben mehr zur Cybereuphorie im öffentlichen Bewusstsein der 90er Jahre beigetragen als die praktischen Erfahrungen mit der Technologie. Dieser ‚Hype‘ stimuliert jedoch wiederum die technologische Entwicklung und vor allem das Bedürfnis danach. Die Fiktion von literarischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zukunftsentwürfen und die Entstehung der darin beschriebenen technologischen Funktionen bedingen sich gegenseitig.“ Daniels: Strategien der Interaktivität.

<480>

Virilio: Die Kunst des Motors. S. 155.

<481>

Ders.: Fluchtgeschwindigkeit. Siehe Kapitel 1.1.2.2.

<482>

Rötzer, Florian: Die Zukunft des Körpers. Ist der biologische Körper ein Auslaufmodell? Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 1996 (Artikel im Archiv nicht genau datiert. Direktverknüpfung: <www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2014/1.html>). Als eine weitere typische populärwissenschaftliche Stellungnahme mit Bezug auf die im Kapitel 1.2.3. behandelte Cyberspace-Metapher erklingt auch Rötzers technologisch begründeter Dualismus der „Welten“: „Computergestützte Techniken verändern überdies das Verhältnis zu unserem Körper und zu unserer Umwelt tiefgreifend und nachhaltig nicht nur durch die eher spektakulären Fortschritte der Gen- und Neurotechnologie, sondern auch durch neue Medien wie Virtuelle Realität und Computernetzwerke, die auf immer neuen Schnittstellen mit unserem Körper basieren, ihn immer direkter an technologische Systeme anschließen. Die technischen Systeme legen sich um den Körper, hüllen ihn wie beim Datenanzug und dem Eye-Phone ein, um ihn zum Bestandteil eines Mensch-Maschine-Systems zu machen und seinen Körper in die virtuelle Welt des Cyberspace hereinzuholen (sic!).“ Ebd.

<483>

Vgl. insg. Strehovec: Tehnokultura - kultura tehna.

<484>

„Jetzt schon wird der Körper immer weniger als Substanz und immer mehr als Schnittstelle mit der Welt und mit Maschinen verstanden, die sich verändern, die sich neu designen läßt.“ Rötzer: Die Zukunft des Körpers.

<485>

Rötzer: Die Zukunft des Körpers .

<486>

McLuhan / Powers: The Global Village. S. 54.

<487>

„Bei aller ’immateriellen‘ Bewegung bleiben die Benutzer an die Schnittstellen gefesselt - auch an den Rahmen der Videoleinwand bzw. andernorts an den Bildschirm, die Buchseite, den Bilderrahmen. Sie bleiben generell in ihrer kognitiven und kommunikativen Aktivität gebunden an die medial und kulturell bedingten Konstrukte, mit denen sie sich und ihre Umwelt er-fahren.“ Block, Friedrich W.: Literatur in der Informationsgesellschaft. <www.netzliteratur.net/block/litinfo.html> (Vortrag an der Universität Bremen am 20. 10. 1998.)

<488>

Ebd.

<489>

Vgl. dazu das international prämierte Projekt von Camille Utterback und Romy Achituv „Text Rain“ <www.camilleutterback.com/textrain.html>, wo mit dem interaktiv und materiell (tatsächlich bzw. medientechnisch) dekonstruiertem (literarischen) Text ganzkörperlich gespielt werden kann.

<490>

Vgl. insg. den kulturhistorischen Duktus in Kamper / Wulf: Die Wiederkehr des Körpers.

<491>

McLuhan / Powers: The Global Village. S. 61.

<492>

Graff: Der Körper ist ein Double für das Double des Körpers. S. 67.

<493>

De Kerckhove: The Skin of Culture. S. 187. Siehe auch Anm. 879 zum Konzept der Mappierung.

<494>

Ascotts Ansatz vereint die künstliche, computer(netz)basierte Intelligenz mit der menschlichen (sozialen, interpersonalen) Intelligenz zu einem inklusiven Sammelkonzept als der entscheidenden Instanz bei der Hervorbringung eines mehr-als-nur-digital konzipierten „Gesamtdatenwerks.“ Vgl. hierzu die wertvolle Zusammenfassung zur begrifflichen Systematik Ascotts von Hünnekens, Annette: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst. Köln 1997. S. 69 - 72.

<495>

„Die Erklärung für den Körperkult auf der einen und die Thematisierung des Körpers als wesentliches Element im wissenschaftlichen und technischen Diskurs auf der anderen ist einfach. Immer dann, wenn etwas gefährdet ist, wenn etwas bislang Selbstverständliches sich auflöst, kommt es zu einer heftigen Überbewertung und will man sich seiner versichern. Plötzlich ist nicht mehr der Geist, der heute mehr und mehr als ein Effekt des Gehirns, also selbst als ein Körperteil gilt, dasjenige, das eigentlich Menschliche, sondern der Körper wird zum Mysterium, zur einzigen Verankerung in der Wirklichkeit.“ Rötzer: Die Zukunft des Körpers.

<496>

Kroker et al: Krampf. S. 51.

<497>

Als eine Kurzbezeichnung für „Cyber Organism“ wurde der Begriff in den 60er Jahren geprägt, obwohl das visionäre, sciencefiction-inspirierte Prinzip der Mensch-cum-Maschine die menschliche Kultur seit den Anfängen ihrer Technisierung überhaupt verfolgt. Als ein Leitmotiv und Typus der postmodernen Kultur umfasste der Cyborg-Begriff auch jenseits seiner Sciencefiction-Konnotationen (als technisch optimierter und gesteigerter Übermensch) kaum alle alltäglichen technischen Erweiterungen im Sinne McLuhans bzw. Virilios (wie etwa das Auto oder das Fahrstuhl) und Prothesen (sowohl im medizinisch-funktionalen Modus als Brille, Herzschrittmacher oder künstliche Hand wie auch im ästhetisch-kosmetischen Modus eines Silikonimplantats). Die Technologien, die der Entstehung vom „Cyborg“ zur Seite standen, reichen von den militärisch-strategischen zu medizinischen Absichten (Kybernetik als Flugabwehr-Forschung im und nach dem zweiten Weltkrieg, die Idee von Roboter-Soldaten oder das Weltraum-Rennen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Darüber hinaus könnte noch ein wichtiger Zweig von Cyborg-Technologien in der allgemeinen Automatisierung und Kybernetisierung der Industrie beobachtet werden. Eine solche „künstliche Evolution“ kann anhand von Marktmechanismen und militärischer Geostrategie wegen äußerst fließender Übergänge leicht vom humanen „Defizitausgleich“ zu einem faschistisch konnotierten radikalen „Body Enhancement“ führen. Die Wunschversprechungen der neueren Cyborg-Forschung erfolgen hauptsächlich auf neurowissenschaftlichen Niveau, wo Jahrzehnte alte Visionen von „Bioports“ und „Neurochips“ trotz weniger Durchbrüche weiterhin Zukunftsmusik bleiben, zumindest gilt dies für eine breite und sichere Anwendung dieser ansatzweise vorhandenen invasiven Technologien. Nach Schlich, Thomas: Eine kurze Geschichte der Körperverbesserung. In: Randow, Gero von (Hg.): Wie viel Körper brauchte der Mensch? S. 131 - 144.

<498>

Ebd. S. 72. Die Musik (als Schwingung) zählt hier wohl zu den intimsten, aber auch intensivsten Kommunikationskanälen des Menschen. Die enge Verquickung körperlicher und musikalischer Rhythmen wie auch anderer Schwingungsphänomene (Melodie, Harmonie) manifestieren sich eben am besten im Tanz. Darüber hinaus spielt genau die elektronische Musik eine unverminderte Rolle im Kontext der globalen kulturellen Entwicklung, die wieder einmal auf egalitaristischen Mythen und ästhetisch begründeter Strategienentwicklung anhand der digitalen Plattform des Computers zu bilden scheint: “The field of electronic sound (which pretty much means most sounds today) with its multitude voices and a real bottom-up, ’emergent‘ logic, is a powerful alternative to the ’top-down‘ cultural composites sold by global media conglomerates around the world. Let us hope that other artists and designers in other fields will follow music lead in using a computer to enable similarly rich remix cultures.“ Manovich, Lev: Generation Flash. <www.manovich.net/DOCS/generation_flash.doc> (Zitat S. 18 des Word-Dokuments)

<499>

Kroker et al: Krampf. S 65ff.

<500>

Ebd. S. 48.

<501>

Ebd. S. 52.

<502>

Vgl. Modellierung im Kapitel 3.3.1.

<503>

Kroker et al: Krampf. S. 56.

<504>

Ebd. S. 61.

<505>

Ebd. S. 60.

<506>

Rügge: Freihändig oder handgesteuert?

<507>

Strauss / Fleischmann: Imagine Space Fused with Data. S. 42. Z. B. können Bilder durch Laserprojektion direkt an die Netzhaut projiziert und somit mit dem realen Umgebungsbild sozusagen am Nerv gemischt werden. Das Gehirn bekommt einen einheitlichen (gleichzeitigen) Impuls und perzipiert das gemischte Bild als ein Ganzes. Die ursprünglich verschiedenen „Realitäten“ mischen sich bereits im sensorischen Apparat, was das Illusionseffekt bzw. die „gemischte“ Immersion sowie ihr operatives und kreatives Potential wesentlich intensiviert.

<508>

Das Verschwinden der Schnittstelle kann hier alternativ als Suppression oder sogar Aversion, nicht jedoch einfach als Dematerialisierung paraphrasiert werden. Siehe insgesamt die Edition 07 des „I3 magazine“ unter dem Motto „The Disappearing Computer“:I3net, European network for intelligent information interfaces (Hg.): I3 magazine. The Disappearing Computer. Edition 07, 3/2000. (online unter <www.i3net.org/serpub/services/magazine/march2000/>), vgl. auch die Edition 09 mit dem Titel „After the PC“ (Anm. 406)

<509>

Vgl. hierzu die Kunstprojekte und akademische Tätigkeit des Paars Christa Sommerer / Laurent Mignoneau am japanischen „IAMAS,“ die sowohl in der Hinsicht des bestechenden Designs als auch der Benutzungs- sowie Umweltfreundlichkeit ein erstaunliches Qualitätsniveau erreichen. <www.iamas.ac.jp/~christa/>

<510>

„Resultiert Medienkompetenz aus der Kraft oder der erlernten Fähigkeit, ein Medium zu versachlichen, es zu objektivieren, so wird in virtuellen Installationen die Objektivierungsmechanik des Betrachters reduziert.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 183.

<511>

Neuhaus, Wolfgang: Der Körper als Schnittstelle. Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 29. 09. 2001.

<512>

Vgl. Anm. 294 zum Beitrag Derrick de Kerckhoves und die Diskussion zwischen verschiedenen Positionen im Kapitel 1.2.2.1.

<513>

Hier handelt es sich in erster Linie um eine perspektivische Unterscheidung: „The difference between staged and participatory interactions is one of perspective: in the first case, the audience is looking at the interaction from outside the system, and in the second, from within the system.“ Saltz: The Art of Interaction. S. 4. Des Weiteren betont Saltz eine wichtige Möglichkeit der Relationierung zwischen Performativität und „Computerinteraktivität,“ die als neue Qualität der hybriden Kunst(werke) beobachtet werden könnte. Allerdings handelt es sich bei dem Gedankengang des Autors um eine rein ästhetische “Objektivierung“ der Interaktion als Phänomen, die somit jenseits konvergenter Ansätze (vgl. Kapitel. 3.2.5.1.) verbleibt: „ [...] a participatory interaction is performative when the interaction itself becomes an aesthetic object; in other words, participatory interactions are performative to the extent that they are about their own interactions.“ Ebd. S. 9. Die öffentliche und internationale Etablierung der Kunstform „interaktive Medienkunst“ datiert ins Jahr 1990, als anlässlich des „Ars Electronica Festivals“ zum ersten Mal ein Preis in dieser Kategorie verliehen wurde. Es handele sich nämlich um eine praktisch etablierte, genuine Kunstgattung, bei der technologisch bedingte Interaktion eine wesentliche Rolle (als Unterscheidungsmerkmal zu anderen Gattungen) spielt. Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 177f. Siehe auch die aufschlussreiche Zusammenfassung der Dynamik von Kriterien etlicher relevanter AutorInnen, die die „interaktive Medienkunst“ ausmachen sollten. Ebd. S.178ff.

<514>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 183. An dieser Stelle betont Grau insbesondere die „subjektkonstituierende epistemologische Qualität der Distanz“ und belegt sie vielfach mit Aussagen von Adorno, Gehlen, Jonas und Böhme. Die „Auflösung des Interface“ versteht Grau somit auch als eine politische Frage: „Je ‚natürlicher‘ die Interfaces, desto ausgeprägter nicht nur die Gefahr, daß der unsichtbare Teil des ‚technologischen Eisbergs‘ seinem Anwender verschlossen und unbewußt bleibt, sondern desto intensiver vor allem die illusionäre Entgrenzung mit dem Datenraum.“ Ebd. S. 184.

<515>

David Rokebys scharfsinnige und kontextreiche Beobachtungen von Erfahrungen in den interaktiven Installationen basieren auf einer langjährigen Empirie in der Rolle des Produzenten sowie des Konsumenten seiner eigenen Werke und schöpfen darüber hinaus aus seiner reichen pädagogischen Tätigkeit. So auch die folgende (ökologisch zwar aufgeklärte) darwinistische Überlegung zur kulturellen Rolle der Technologie: „Pushing ourselves out of equilibrium is a way of opening us to change, but it can also lead to self-destruction or external manipulation. The mechanism that governs the evolution of life involves enormous test periods during which impossible or unsustainable life-forms are weeded out. Humans have evolved over a very long time to be well adapted to the stresses of everyday physical reality, and our species has evolved ways of balancing new pressures. But we now invent new pressures and stresses at an extraordinary rate. While technologies can be developed to counterbalance some of these stresses, the stability of this balance is not guaranteed. I‘m not advocating a return to Darwinian rule, just pointing out the seriousness of the task of ’engineering‘ this balance.“ Rokeby, David: The Construction of Experience: Interface as Content. <http://homepage.mac.com/davidrokeby/experience.html>. Vgl. andere kontextrelevante Arbeiten (Anm. 835 und 1035) und Positionen (527, 1031) von Rokeby.

<516>

Vgl. Kapitel 1.2.2. Die ganzkörperliche Erfahrung in den Mixed-Reality- Environments entspringt dem Verstehen der Schnittstelle als „Situation“, die sowohl die Geräte in ihrer räumlichen Positionierung und Bezug zum Körper als auch das allgemeine Design (Ergonomie, Ökologie) einbezieht. Ferner gehören dazu die Interaktion der Objekte miteinander und mit dem Raum wie auch der räumlich positionierte und vernetzte Menschenkörper samt der dazugehörenden Software-Interaktion.

<517>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 184.

<518>

Als das zentrale Ergebnis der Untersuchung Oliver Graus an der interaktiven computerbasierten Medienkunst „zeigte sich, daß unter den Bedingungen interaktiver Echtzeitrechner die Größen von Künstler, Werk und Betrachter tendenziell miteinander konvergieren.“ Ebd. S. 214.

<519>

Schulzki-Haddouti, C.: Ganzkörpermaus. Künstler und Forscher wollen Umgang mit Computern menschlicher gestalten. ‚Berliner Morgenpost‘ online. 26. 10. 2001. <http://morgenpost.berlin1.de> (Artikel: <http://morgenpost.berlin1.de/archiv2001/011026/fernsehen/story471852.html> Hervorhebung P. P., Lesedatum: 30. 02. 2002)

<520>

Leeker, Martina: Interdisciplinary Workshops between Media and Theatre. In: Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. S. 167 - 171. Zitat als Zusammenfassung von Engeli, Anja / Sengers, Phoebe, ebd. S. 2. Vgl. die Ausführungen zum körperlichen Diskurs in der Informatik im Kapitel 1.1.3.

<521>

Vgl. auch Ausführungen zum Baudrillard und Virilio in den Kapiteln 1.1.2. und 1.1.4., evtl. mit besonderem Hinblick auf die Kurzgriffe des poststrukturalistischen Diskurses und der (theoretischen) Dekonstruktion in diesem Bereich. Wenn sich der Körper mit dem umgebenden Raum (in einem kreativen Prozess) zu einem einzigen System vereinigt, kann dieses laut Leeker medial besser ausgewertet und als „immaterieller Datenfluß“ dem Medium angepasst werden - was jedoch nur auf der (kognitiven) Ebene der Vorstellung erfolgt. Der Körper wird zu einem „Doppelkörper,“ der aus seiner konkret physischen und der ihr kontradiktierenden (!) digitalen Seite bzw. Perspektive zusammengestellt ist. Dies führe zu einer Dekonstruktion des Körpers als fluides Medium, die seine kulturelle Konstruktion umso deutlicher macht: „This use of technology is a work on concepts for a transitory body and identity. Because by relating the body to a body of data the physicality of the ’real‘ body is questioned as a solid reference. Disorientated by the technologically constructed body of data the real body is decoded as an effect of cultural and technical based performances. [...] If the body is deconstructed as a fluid and transitory medium, the fix self in this body becomes a cultural construct also.“ Leeker, Martina: Interdisciplinary Workshops between Media and Theatre. S. 169. Anhand ihrer eigenen praktischen Erfahrung wie auch einiger Fallstudien bekannter neumedialer KünstlerInnen filtert Leeker aus einer kreativen Kombinierung von (körperlicher) Performanz und (technologischer) Performativität eine gewisse „Form kultureller Erziehung“ als Zielsetzung diesartiger ästhetischer Praxen. Ebd. Vgl. die modellierten Vorschläge des Kapitels 3.3.3.

<522>

„Die entscheidende Veränderung der Denkmodelle zeigt sich an dem Bedeutungswandel der zentralen Begriffe. ‚Cyberspace‘ wird nicht mehr vorrangig als Projektion des realen Raums und des menschlichen Körpers in den Datenraum verstanden, sondern als Vernetzung aller Kommunikationsstrukturen. ‚Interaktivität‘ wird von der Mensch-Maschine-Interaktion wieder zur zwischenmenschlichen Interaktion, deren Strukturen durch die Übermaschine des Internets mit seinen Millionen von angeschlossen Computern beziehungsweise Nutzern geprägt wird.“ Daniels: Strategien der Interaktivität.

<523>

Materialreich belegt von Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart (historisch komparativ) und Hünnekens: Der bewegte Betrachter. (theoretisch und synchron komparativ) sowie Kunst: Nemogoce telo. (ästhetik- und medienphilosophisch, historisch).

<524>

„Die neuen Technologien waren für die Künstler [...] integraler Bestandteil des Alltagslebens, das sich durch die weitere Verbreitung elektronischer Medien zu verändern begann. Die Verwendung von neuen Medien war in den sechziger Jahren künstlerische Herausforderung und gesellschaftliche Aufgabe zugleich.“ Dinkla, Söke: Vom Zuschauer zum Spieler. In: dies. (Hg.): InterAct! Schlüsselwerke Interaktiver Kunst. Katalog zur Ausstellung im Wilhelm Lehmbruck Museum. Ostfildern 1997. S. 8 - 21. Zitat S. 12f.

<525>

Wechsler, Robert: Why do we Bother? <www.palindrome.de/why.htm> als Begründung von Palindromes Bemühungen um eine breitere technische Informierung bzw. Emanzipierung des Publikums durch dessen aktive Teilnahme. Vgl. insb. Kapitel 3.2.5.4.

<526>

Vgl. insg. Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities., insb. die Beiträge von Bill Buxton und Fleischmann / Strauss.

<527>

Laut David Rokeby hätte sich auch in den letzten Jahren der allmählichen Entmystifizierung an der wilden utopischen Interaktivitätsrhetorik sowie am Mangel an emanzipationsfähiger Reflexion im öffentlichen und interdisziplinären Diskurs nicht viel geändert: “ [...] we need to remind ourselves of the ways [interfaces] subtly shape our experience, particularly in the face of the wild utopian rhetoric that currently surrounds interactivity. Yes, interactive media can empower and enfranchise. But they simultaneously create new kinds of constraints on abstract and psychological levels, constraints that are more difficult to understand and critique than the familiar biases of the press and broadcast media. Information itself does not create meaning; meaning is created by context and flow, selection and grouping. By guiding us through jungles of content, interfaces are partially responsible for the meanings we discover through them.“ Rokeby: The Construction of Experience. Siehe auch Anm. 515.

<528>

An dieser Stelle muss betont werden, dass die Argumentation aus Gründen der Textkohärenz bzw. -ökonomie sowie wegen potentiellen Schwierigkeiten mit empirischer Erfassung des Objekts nicht die im (modernen, insb. interkulturell emanzipierten) Tanz allgemein bekannten subtileren und intersubjektiv (diskursiv) problematischeren Kommunikationsmodalitäten miteinbeziehen kann. Die Auffassung räumt eine Kommunikation der TänzerInnen mit den konkreten (oder auch virtuellen) Objekten im Raum, mit dem Raum als physischer Instanz oder sogar unter den (unorganischen) Objekten in/mit dem Raum als plausibel ein. Nicht nur die künstlerische Praxis Robert Wechslers und der Gruppe Palindrome (Kapitel 3.1. und 3.2.), sondern auch die kommunikationstheoretische Positionierung der vorliegenden Untersuchung (Kapitel 2.) bleibt sich dieser wichtigen Lücke in den westlich-modernen Kommunikationskonzeptionen stets bewusst und versucht dies einigermaßen zu kompensieren (siehe Kapitel 2.3.1.).

<529>

Vgl. dazu das Konzept “Mixed Reality“ als einer sinnlich sowie kognitiv zu realisierenden „Mischung“ der Realität(sbildung)en, diskursiv materialreich und thematisch divergent dokumentiert in Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. Beachte darin insb. die einschlägigen Beiträge von Roy Ascott (wortführend), Martina Leeker (praktisch) oder Allen/Mendelowitz (visionär). Vgl. in der vorliegenden Arbeit die thematischen Zusammenführungen des Konzepts im Kapitel 3.2.5.1.

<530>

„Wenn in einem kollektiv zu strukturierenden Prozess mehrere Benutzer miteinander verbunden werden, kann der elektronische Raum zum sozialen, ja teilweise fast öffentlichen Raum werden.“ Daniels: Strategien der Interaktivität.

<531>

Wechsler, Robert: Why do we Bother? Vgl. im Kapitel 3.2.5.5. auch die Konzeption des „Neonaturalismus“ als eins der (verbal) kondensiertesten Derivate der vorliegenden Untersuchung, die eine direkte Auswirkung auf die interdisziplinäre Praxis ihres Autors reflektiert - und einen radikalen Vorschlag für die Praxis wagt.

<532>

Ascott, Roy. The Composite State of Being. In: Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. S. 13 - 14. Zitat S. 13.

<533>

Ebd. “Feuchte Medien“ korrespondieren in der postbiologischen (System)Theorie Ascotts epistemologisch auch mit einer “feuchten Realität,“ die sich im Syntagma des “künstlichen Lebens“ (“artificial life“) ebenfalls diskursiv niederschlägt. Siehe als Paradebeispiel das mittlerweile weltbekannteste interdisziplinäre Laboratorium „SymbioticA. The Art and Science Collaborative Research Laboratory“ und seine bereits etablierte Praxis der im biotechnischen Laboratorium residierenden KünstlerInnen und einer regen PR-Strategie samt Festivaltätigkeit. <www.symbiotica.uwa.edu.au> Es handelt sich um ein Projekt der University of Western Australia, dass die Möglichkeiten von Biotechnologie den KünstlerInnen zur experimentellen Verfügung stellen und somit eine fruchtbare Rückwirkung auf die industriellen (sowie „promoterischen“) Potentiale sichern möchte. Ein geschichteschreibendes Resultat solcher Mitarbeit von KünstlerInnen und BiologInnen ist etwa „Fish & Chips“ <www.fishandchips.uwa.edu.au/> oder das kontroverse Projekt „Pig Wings“ <http://www.symbiotica.uwa.edu.au/research/pig.html>. Organisches hängt (zumindest als funktionale Eigenschaft) offenbar nicht mehr unbedingt im Zusammenhang mit einem natürlichen, also „nassen“ Körper zusammen. Kopplungen zwischen biotischer und technischer „Hardware“ sind nicht mehr nur möglich, sondern zunehmend (industriell, leistungslogisch) erwünscht. Digital simulierbare und/oder programmierbare kommunikative bzw. mediale Entitäten weisen darüber hinaus ein hohes Niveau der organischen Simulation auf. Das Als-Ob-Lebe(wese)n ist ein kulturelles sowie künstlerisches Faktum geworden - samt allen dazugehörenden Zukunftsversprechungen. Siehe auch Anm. 143f zur kybernetischen Implikationen des Themas.

<534>

Ebd. S. 14. Als Beispiel eines solchen intensiv kommunikativen Knotens („Nodes“) könnte eben die kooperative Gruppe um Ascott beobachtet werden. Zur erwähnten Initiative siehe Anm. 1047.

<535>

Kusahara: Mini Screens and Big Screens. S. 32.

<536>

“Body can be regarded as an image, a virtual object, or even as a data set, instead of a physical, real object that is alive in the real time/space. Body is no longer ’as it is‘, as a biological and physiological entity that belongs to the domain of animals. A body can be enhanced and extended, not only with tools and technologies but also with supplements such as artificial organs embedded inside the body. Also, technologies such as telecommunications, digital entertainment and virtual realities have brought us a new feeling that a virtual world exists within the computer or in the Net, where minds can go in, leaving the bodies behind.“ Ebd.

<537>

Fleischmann, Monika / Strauss, Wolfgang: Chairs Preface. In. dies. (Hg.): Living in Mixed Realities. S. 8 - 9. Zitat S. 8.

<538>

Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 52.

<539>

Strauss / Fleischmann: Imagine Space Fused with Data. S. 42. Als typische MR-Environment Systeme, die ohne Datenhelm (halbdurchlässige Stereobrille im Fall von MR) und/oder Datenhandschuh auskommen, wurden die sog. „immersive projection technologies“ (IPT) entwickelt, die berühmtesten davon sind vielleicht „CAVE“ („Cave Automatic Virtual Environment“) und „CYBERSTAGE“ als (bild)hermetische Varianten und „eMUSE“ (Electronic Multi User Stage Environment, vgl. ebd. S. 41 - 45.) als ein „echtes“ MR-Environment. Als Räume für mehrere BenutzerInnen ermöglichen CAVE und eMUSE einen interpersonal unterstützten Zusammenfluss vom digital kodierten und physischen Raum, ohne den Körper mit zusätzlichem Gewicht und Bewegungsbeschränkung (etwa durch Kabel) beeinträchtigen bzw. entfremden zu müssen. Siehe für „eMuse“ die Webseite des „MARS“ <www.imk.fraunhofer.de/mars> (unter „Mixed Reality Lab“), für „CAVE“ die Webseite der „Brown University“ <www.cascv.brown.edu/Cavesystemdescription.html> und vgl. kunsthistorisch Rush: New Media in late 20th Century Art. S. 212f. Die absolute Rundprojektion des „CYBERSPHERE“ sorgt etwa für eine optimale Bild- und Bewegungsimmersion im Sinne natürlicher Navigation, benachteiligt jedoch akustische wie auch taktile Simulationsmechanismen. (<www.vr-systems.ndtilda.co.uk/sphere1.htm>). Bei diesen Systemen handelt es sich vorerst um eine nicht auf der HMD-Technik basierte Immersionsstrategie, bei der sich die BenutzerInnen ihrer Körper bzw. seiner Materialität (aber auch der bildlichen Präsenz) bewusst bleiben. Zu IPT gehören sonst noch die stereographischen Projektionen, die mit Hilfe einer Stereobrille mit Tiefeneffekt wahrgenommen werden und die sog. „desktop projection systems“ (z. B. „Workbench“), die als halb-virtuelle Arbeitsflächen auf der Desktop-Metapher basieren und für exakte Fingerspitzenarbeit in Mikro- und Nanobereichen in der Industrie, Medizin und Forschung benutzt werden. Die primären Anwendungskontexte dieser Technologien sind die Trainings- und Entwurfsphasen in Architektur und Ingenieurwissenschaften wie auch Medizin, Transport und, von allem Anfang an, Militärwesen. Vgl. Müller, Stefan / Encarnacao, Jose L.: Virtually (or more than) real? Virtual Reality and Augmented Reality. In: I3net,European network for intelligent information interfaces (Hg.): I3 magazine. The Disappearing Computer. S. 18f. Bevor sich das Konzept von Mixed Reality fest einbürgern konnte, wurde im erwähnten Bereich überwiegend der Begriff „augmented reality“ (AR) als erweiterte Realität benutzt. Die begriffliche Differenz der beiden versteht die vorliegende Arbeit im Punkt der Realitätsordnung: indem das objekt- bzw. zustandszentrierte AR-Konzept das Vorhandensein einer einzigen „wahren“, allen anderen übergeordneten Realität voraussetzt, und die technisch erzeugte Informations- und Kommunikationsebenen lediglich als optional und operativ behandelt, bezeichnet die prozessorientierte MR dagegen die Realität als Gemisch verschiedener Realitätsebenen, von denen keine einen besonderen ontologischen Status erhält, sondern alle zusammen ein multimediales Nebeneinander bilden.

 

<540>

Strauss / Fleischmann: Imagine Space Fused with Data. S. 42.

<541>

Ebd. S. 43.

<542>

Alle Zitate aus Kusahara: Mini Screens and Big Screens. S 32f.

<543>

Vgl. die Behauptung von Lischka und Weibel, digitale Medienkunst sei an sich interaktiv, da sie die partizipativen Strategien der „Avantgarde“ beinahe konsequent durch technologische Intensivierung der „Interaktion zwischen Kunstsystem und Benutzer“ entwickelt. Lischka, Gerhard Johann / Weibel, Peter: Polylog. Für eine interaktive Kunst. In: Kunstforum International. Bd. 103. 1989. S. 77. Zitiert nach Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 54.

<544>

Kusahara: Mini Screens and Big Screens. S. 33. Siehe zum Thema „nasse Medien“ auch Anm. 533.

<545>

Vgl. allgemein (primär verbal begründet) bei Barthes, Roland: The Death of the Author. In: Burke, Seán (Hg.): Authorship. Edinburgh 1995. sowie (primär visuell begründet) bei Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin 1992.

<546>

Vgl. insg. die Artikelsammlung von Giesecke: Fallstudien: Die Technisierung der Informationsverarbeitung und die Elektrifizierung der Vernetzung.

<547>

Als Prototyp dieser Feedbackschleifen gilt in der Buchkultur bzw. im Zeitungswesen eindeutig der Leserbrief. Im diachronen Rahmen der elektrischen Technisierung denke man an Brechts Feedback-Konzepte im Funk (zuerst durch Briefkontakt, dann in Echtzeit durch Telephon, schließlich mit körperlicher Anwesenheit im Studio), eine ähnliche Dynamik kann etwas später beim Fernsehen beobachtet werden. Vgl. (historisch) Quellen bei Giesecke (ebd.) sowie (kulturkritisch) die Ausführungen zum Begriff der „Interpassivität“ im Kapitel 1.3.4.3.

<548>

In der Behauptung von Dieter Daniels richteten sich die künstlerischen Ansätze für eine kreative und interaktive „Um-Nutzung“ der Massenmedientechnik „bewusst gegen den massenmedialen Konsum dieser Medien, der mehr oder weniger subversiv modifiziert wird. Dahinter steht von Brecht bis Paik die Forderung nach einer Veränderung der Einwegstruktur dieser Massenmedien. In der computerbasierten Multimediatechnik ist hingegen die Interaktion von Benutzer und Apparat im Medium selbst angelegt. Durch die Vernetzung wird der Computer zum zwischenmenschlichen Kommunikationsmedium, das tendenziell alle bisher getrennten Medien in sich vereinigt.“ Daniels: Strategien der Interaktivität.

<549>

Ebd.

<550>

Vgl. Anm. 301 zu den Begriffen „Avatar“ und „Bot“.

<551>

“The more innovative New Media sites on the Internet are ones where one can give input or where there is an exchange. [...] What lead to the creation of this high level of interactivity on the web were the large-scale interactive installation of the present and the past.“ Petrovich, Lucy: From Computer Art to Digital Art to New Media. 2000. <www.isea2000.com/actes_doc/25_petrovitch.rtf >.

<552>

Mit „Internet2“ der Vereinigten Staaten ist ein solches Projekt zumindest in Ansätzen und auf nationaler Ebene schon längst im Gang (siehe Anm. 364). Vgl. auch Morton Heiligs Projekt „Sensorama“ (1960), etwa im Kontext der Datenbank „artmuseum.com“ als interaktiver „Begleitung“ der Publikation von Packer, Randall / Jordan, Ken: Multimedia. New York 2002. (Direktzugriff auf die Unterseite des Projekts unter <www.artmuseum.net/w2vr/timeline/Heilig.html>)

<553>

Die Kriterien der „Echtzeitlichkeit“ unterschieden sich in Hinsicht auf die Anwendung bzw. das mediale System. Bei interaktiver Installation oder Performance muss der Medienoutput mit der „gewöhnten“ Reaktionszeit der konkret-materiellen Umgebung übereinstimmen (außer etwa beim Echo im Bereich von einigen Zehntelsekunden). Im translokal vernetzten Kontext reicht dagegen die Toleranz, innerhalb der eine kausale Reaktion (Antwort, Mimik, manuelle Eingabe) noch als „echtzeitlich“ eingeschätzt wird, bis auf einige Sekunden. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die „angewöhnte“ Schleifenlänge eines Telefongesprächs (zunehmend etwa auch Text-, Ton- und Videochats).

<554>

Die Praxis der mündlichen Informationsübertragung (Mnemonik als Kunst) wurde bereits seit der Antike, spätestens jedoch seit dem Mittealter und parallel mit der Entwicklung der Druckkunst (als kostengünstige, obwohl relativ unzuverlässige Informationsaufbewahrungs- und transporttechnik) zunehmend abgewertet. Siehe Yates, Frances A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. Weinheim 1990 (1966). Vgl. durchgängig Giesecke: Fallstudien: Die Technisierung der Informationsverarbeitung und die Elektrifizierung der Vernetzung. Der Vorwurf, dass die „Maschinensprache“ und die (als ob de facto) verfremdende elektronische Kommunikation den zwischenmenschlichen Austausch negativ beeinflussen, erscheint im Kontext einer primär biotisch verstandenen Multisensorik ebenfalls plausibel.

<555>

Dinkla: Vom Zuschauer zum Spieler. S. 13.

<556>

Innerhalb des letzen Jahrzehnts ist die Literatur zum Thema beinahe unüberschaubar geworden. „Interaktion“ wurde fast unter jedem denkbaren Aspekt, jeder philosophischen Präferenz bzw. jeder Denkschule theoretisch bearbeitet und (vor allem wiederum historisch) komparativ erforscht. Die vorliegende Arbeit greift sich einige dieser Werke als Instrumentarium für eine bereichsspezifische Zusammenfassung sowie weitere Forschungsvorschläge am Phänomen heraus. Nur wenige dieser Werke (z. B. von Grau, Hünnekens und Dinkla - alle ebenfalls zum Teil) befassen sich mit den aktuellen, konkreten Projekten der Medienkunst. Und selbst die genannten AutorInnen benutzen diese künstlerische Praxis lediglich zur Untermauerung ihrer historischen und/oder theoretisch basierten Prämissen. Eine genauere empirische Auseinandersetzung - wie auch jegliches kritisches Engagement - bleibt in der Regel aus. Hemken (Hg.): Bilder in Bewegung. (etliche Beiträge, insb. jedoch von dems.: Die kategorische Interaktion. Von Sehnsüchten der Teilhabe und Mythen der Interesselosigkeit. S. 53 - 76.); Popper, Frank: High Technology Art. In: Rötzer Florian (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt/Main 1991. S. 249 - 266.; Dinkla: InterAct!; Hünnekens: Der bewegte Betrachter; Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart.

<557>

Vgl. Kapitel 1.1.1.

<558>

Vgl. Kapitel 1.3.1.3.

<559>

Siehe Ausführungen zur „Interpassivität“ im Kapitel 1.3.4.3.

<560>

Vgl. Rötzer: Die Zukunft des Körpers.

<561>

„Der Künstler ist der Mensch, der auf jedem gebiet der Natur- und Geisteswissenschaften die Tragweite seines Schaffens und der neuen Erkenntnisse seiner Zeit erfasst. Er ist der Mensch mit vollem und ganzem Bewußtsein. Der Künstler kann das Verhältnis der Sinne berichtigen, noch ehe ein neuer Anschlag der Technik bewusste Vorgänge betäubt. Er kann es berichtigen, noch bevor die Betäubung und ein unterschwelliges Herumtappen und die Reaktion einsetzt.“ McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media (1946). Fritzek, Gerti / Glasmeier, Michael (Hg.). Dresden 1994. S. 109. Zitiert nach Hemken, Kai Uwe: Die kategorische Interaktion. S. 53. Die ProgrammiererInnen und Ingenieure sollen im Modell Marshall McLuhans also zu KünstlerInnen werden und damit das „neoavantgarde“ Künstlerideal realisieren (vgl. die Konzeption des „Neonaturalismus“ im Kapitel 3.2.5.5.). Offenbar gilt es schlicht als Vorwegnahme, dass sich die KünstlerInnen immer schon genügend Sorgen über die technischen Aspekte ihrer Arbeit gemacht haben. Die Unterschiede könnten lediglich durch die technische Komplexität der künstlerischen Arbeit abgestuft werden, die in der Medienkunst gewiss massiv zu bewältigen verbleibt. Es sollte an dieser Stelle jedoch nicht vergessen werden, dass die Suche nach technischen Lösungen immer wieder und vor allem in der Medienkunst zu kreativen Verdichtungen führt. Siehe weiterführend Kapitel 3.2.2.

<562>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S. 54.

<563>

Vgl. die Ausführungen zu Nietzsche und Hofmannsthal in den Anm. 34ff.

<564>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S. 54.

<565>

Hemken bezieht sich hier auf die beinahe regelmäßige Wiederkehr der künstlerischen Annäherungsversuche seit etwa 1800 sowohl an Politik, Religion und Handel als auch an Philosophie und insbesondere noch an die Naturwissenschaften. Ebd. S. 55f.

<566>

Ebd. S. 56.

<567>

„Die Allianz zwischen Wirtschaft, Technologie und Politik ist auf dem Felde der neuen Medien, das heißt der rechengestützten Technologie in der Kommunikation, Information und Apparatsteuerung, von einer erstaunlichen Reibungslosigkeit, die sich in weihevollem Glanz in theoretischen Schriften spiegelt. Man hat Anteil an der Gestaltung der Zukunft in der Gegenwart.“ Ebd. S. 56. Vgl. dazu Kapitel 3.2.1.

<568>

„Die interaktive Kunst hat nicht den Charakter eines festen Statements, vielmehr stellt sie variable Handlungsspielräume zur Verfügung. Sie ist eine ‚Möglichkeitsform‘, die sich in der Interaktion und in der Imagination der Rezipienten erst konkretisiert. Durch Berührung, Geräusche und Körperbewegungen treten die Besucher in Dialog mit Bildern und Klängen, die sie in ihrem Verlauf beeinflussen oder zu neuen Erzählungen umordnen können.“ Dinkla: Vom Zuschauer zum Spieler. S. 11.

<569>

So die Zusammenfassung Annette Hünnekens‘ zu den (diskursiven) Positionen und (praktischen) Arbeiten von den „Klassikern“ der Medienkunstszene wie Jeffrey Shaw, Roy Ascott, Fred Forest und Peter Weibel. Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 74.

<570>

Auf dieser stark durch tradierte kommunikationstheoretische und konstruktivistische Ansätze geprägten Differenzierung basieren jedoch beinahe alle aktuell zur Verfügung stehenden Studien über künstlerische Interaktivität im Bereich der neuen Medien, so auch die hier zentral herangezogenen o. e. Arbeiten von Dinkla (1997), Rush (2000), Grau (2001) sowie größtenteils Hünnekens (1997).

<571>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S. 58.

<572>

Ebd. S. 59 und 70.

<573>

Ebd. S. 73. Die wechselseitige Beeinflussung bzw. Spannung zwischen (medialer) Kunst und (medialisiertem) Leben scheint im avantgardistischen Paradigma noch besonders zugespitzte Artikulation gefunden und das künstlerische Schaffen immer wieder motiviert zu haben: „Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist es ein Leitmotiv der Avantgarde, daß Künstler auf die medialen Bedingungen von Kunst reagieren und sie gezielt verändern und erweitern.“ Laut Dieter Daniels seien die McLuhanschen Forderungen der Kunst also durch die elektronischen Medien jedenfalls nicht vollständig eingelöst worden. Es hätte auch sein können, dass sich die Künstler dagegen wehren würden, „weil zugleich mit der medientechnischen Verwirklichung ihrer ästhetischen Visionen die diesen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Utopien rückstandslos entsorgt wurden.“ Daniels: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net). S. 136. und 145.

<574>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S. 59f.

<575>

Vgl. Kamper / Wulf: Die Wiederkehr des Körpers., insb. wie ausgeführt im Kapitel 1.1.4.

<576>

Daniels: Inter (-disziplinarität, -media, -aktivität, -net). S. 136. Was Daniels hier als „massenmediale Verbreitung“ bezeichnet, versteht die vorliegende Arbeit als eine Redimensionierung der jeweiligen medialen Form und ihres spezifischen Kommunikationsmodus (z. B. Kanal-, Kodepräferenzen) zu mehreren sozialen Niveaus bzw. Ausweitung an den medialen Usus/Alltag (in der vorliegender Arbeit durchgängig als „Durchschnittsnutzungsebene“ bezeichnet).

<577>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S. 70ff.

<578>

Ebd. S. 72.

<579>

Ebd. S. 72. Vgl. die Ausführungen zu „closed circuit“ Systemen, insb. unter künstlerischer bzw. interdisziplinärer Anwendung in der Anm. 1008.

<580>

Vgl. die Anwendungen und Konzeption des „Tactical Media Networks“ <www.waag.org/tmn/> sowie das flächendeckende Werk von Lovink, Geert: Dark Fiber. Tracking Critical Internet Culture. Cambridge 2003.

<581>

Siehe zum Begriff der „distributed performance“ auch Kapitel 3.1.3.

<582>

Hemken: Die kategorische Interaktion. S.72.

<583>

Mit Bezug auf Heinrich Klotz und sein Konzept der „zweiten Moderne“ weist Hemken hier auf eine (erneute) eskapistische Autonomisierung bzw. Utopisierung der Zukunftsvorstellungen, die den (durch neue Medientechnik eigentlich bereits realisierten oder zumindest realisierbaren) avantgardistischen Bemühungen, Kunst und Leben (qua Technik) zu vereinen wiederstreben sollte. Sie wurde in der vorliegenden Arbeit bereits im Kapitel 1.2.3. anhand der Cyberspace-Metapher aus einer thematisch relevanten Perspektive beleuchtet. Ebd. S. 74.

<584>

Ebd. und S. 76.

<585>

Kluszczynski, Ryszard W.: The Context is the Message. In: Dinkla (Hg.): InterAct!. S. 29. - 35. Zitat S. 29.

<586>

„Durch den zwischen Künstler und Werk geschalteten Computer bekam die kreative Interaktion, der Schöpfungsprozeß selbst eine neue Qualität, die sich sukzessive auch auf den Betrachter übertragen ließ.“ Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 147.

<587>

Popper: High Technology Art.

<588>

Der Telematik-Begriff von Simon Nora steht seit 1978 für die „aus der Verbindung von Computern und telekommunikativen Systemen entstandene neue elektronische Technologie“. Ebd. S. 253f.

<589>

Ebd. S. 255.

<590>

Rush: New Media in late 20th Century Art. S. 170.

<591>

Ebd. S. 171.

<592>

Popper: High Technology Art. S. 256. Vgl. dazu die folgende Behauptung: “Kommunikation wird daher in gewisser Weise zu einem Prozeß, der Bedeutung kreiert, und dies ist eine grundsätzlich kreative Tätigkeit.“ Kluszczynski: The Context is the Message. S. 31.

<593>

Ebd. S. 258. Zu vergleichen wäre an dieser Stelle die typisch trockene Entgegenstellung der beiden Konzepte im Geiste der Achtziger Jahre, als die hi-tech Kunstszene von ortsgebundenen „closed circuit“ Systemen (siehe Anm. 1008) und Wunschvorstellungen der KI- und VR-Technologie dominiert wurde. Die Interaktion unter den Menschen (wie technisch vermittelt sie auch sein mochte) wurde dabei beinahe insgesamt ausgehebelt und erfolgte höchstens über das Kunstwerk: „Gegenwärtig wird der Begriff der Partizipation auf ein Verhältnis zwischen einem Beobachter und einem bereits bestehenden unabgeschlossenen Kunstwerk angewendet, während der Begriff der Interaktion die mögliche Zwei-Weg-Wechselwirkung zwischen einem Menschen und einem System der künstlichen Intelligenz impliziert.“ Ebd. Eine gewisse Hoffnung wurde trotzdem an die Computernetzwerke gesetzt, doch damals noch eher im Sinne eines technoutopistischen Konnektionismus („connexionism“) als einer Vernetzung von Computern im Interesse addierter Prozessorleistung und kreativer Komplexitätserhöhung nach dem Muster des menschlichen Gehirns. Vgl. die aktuellen sozial und ökologisch differenzierten Konzepte des „Konnektionismus“ im Sinne der (teilweise eben auch durch Maschinen) verbundener Menschen bei Ascott (Anm. 1047).

<594>

Ebd.

<595>

Popper: High Technology Art. S. 262f.

<596>

“One area where the artists and the industry can compete head-to-head is in *web art*(3), this is an area where artists are ahead of industry, IMO. Web *presentation* technologies (CSS, XHTML, DHTML Flash, Director, etc) are more readily available so this makes sense. It's an area where artists are able to achieve technological parity. It's also the area that is the most similar to traditional art practice; it lends itself to the individual creator working with limited means.“ twhid@mteww.com: When Google has Achieved the Net Art Masterpiece, what are the Artists to Do?

<597>

Popper: High Technology Art. S. 265. Vgl. dazu den ökologischen Gleichgewichtsgedanken, beinahe durchgängig im Kapitel 3.2., insb. etwa in 3.2.5.1. Grundsetzend zum ökologischen Paradigma siehe Anm. 178.

<598>

Rush: New Media in late 20th Century Art. S. 201 - 208.

<599>

Vgl. hier die Projekte von <www.tinkering.net>, die VR-Technik, Robotik und KI miteinander kombinieren und sowohl in online Form als auch in „onsite“ Performances erfahrbar machen. Vgl. auch Kapitel 1.3.4.4. sowie nicht zuletzt das „neonaturalistische“ Programm als präskriptives Fazit der vorliegenden Arbeit im Kapitel 3.2.5.5.

<600>

Rush: New Media in late 20th Century Art. S. 212.

<601>

Oliver Grau verweist auf die besondere Rolle Deutschlands bei Entwicklung von Medienkunst im Allgemeinen, besonders noch im Bereich der interaktiven computerbasierten Installationen. Neben Japan bezeichnet er Deutschland als „Kernland der Medienkunst,“ jedoch überwiegend mit Bezug auf die Achtziger und die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 13f. Vgl. auch Anm. 860.

<602>

Vgl. Die kollaborativen Ansätze im Bereich „Tanz und Technologie“ etwa im Kapitel 3.1.4. oder die Kondensierungen der vorliegenden Arbeit im Kapitel 3.2.5.3.

<603>

Ein übersichtlich bearbeitetes Beispiel dafür wäre Oliver Graus detaillierte Analyse des Projekts „The Home of the Brain“ von Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss als „Spiegel der Medientheorie um 1990“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S 155 - 171.

<604>

Daniels: Strategien der Interaktivität.

<605>

Kluszczynski: The Context is the Message. S. 32.

<606>

Alle Zitate von Pfaller, Robert: Philosophie und spontane Philosophie der Kunstschaffenden. 1997. <www.ati.ufg.ac.at/katalog/contents.htm> (Seiten des „Art&Tek Instituts /A/T/I/“, Lesedatum: 23. 01. 2004). Den Begriff „Interpassivität“ ergründete und belegte Pfaller schließlich in seinem Sammelband: ders. (Hg.): Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen. Wien 2000.

<607>

Alle Zitatwörter von dems.: Einleitung des Herausgebers. In: ders.: Interpassivität. S. 1 - 11.

<608>

„Immer noch technisch rational ist die Möglichkeit eines Netzes, in dem nur mehr Information versandt wird, die kein menschlicher Rezipient jemals liest. Das Netz würde selbstverständlich weiterhin funktionieren, da alle Evaluationsmechanismen für Effizienz unabhängig von Aktivitäts- und Passivitätskriterien sind und darüber hinaus indifferent zwischen tatsächlichem Lesen durch einen menschlichen Benutzer und dem Laden durch einen Softwareroboter.“ Fuchs, Mathias: Disembodied Online. In: Pfaller (Hg.): Interpassivität. S. 33 - 38. Zitat S. 37. Eine überzeugende ästhetische Veranschaulichung der hermetischen Kommunikation(smöglichkeiten) unter Computern samt (un)möglichen Eingriffen des Menschen veranschaulicht die mehrmals prämierte interaktive Installation „n-Cha(n)t“ (2001) von David Rokeby: dazu auführlicher in der Anm. 835.

<609>

Fuchs: Disembodied Online. S. 37. (sowie alle Kurzzitate davor)

<610>

Pfaller: Interpassivität. S. 2.

<611>

Ders.: Philosophie und spontane Philosophie der Kunstschaffenden.

<612>

Ebd.

<613>

Huhtamo, Errki: Sieben Missverständnisse über interaktive Kunst. In: Dinkla: InterAct!. S. 22 - 28.

<614>

Ebd. S. 24.

<615>

Ebd.

<616>

Ebd.

<617>

Vgl. die ästhetisch-philosophischen Anmerkungen von Janez Strehovec im Kapitel 1.2.2.4.

<618>

„Mit Hilfe der Technik entsteht eine monologische Schleife zwischen dem Benutzer und Seiner Selbstrepräsentation. Das Kunstwerk dient hier vor allem als Spiegel. ‚Interaktive Kunst‘ ist daher der allerletzte Triumph einer ‚Ästhetik des Narzissmus‘.“ Huhtamo: Sieben Missverständnisse über interaktive Kunst. S. 27. Vgl. dazu auch die ausführliche praktische Bobachtung von David Rokeby, der die Konstatierung einer problematischen Datenreduktion (vgl. Kapitel 3.2.3.3.) des medialen Kreisschlusses mit einer für die vorliegende Arbeit hochrelevanten politischen Implikation erweitert: „Interactive systems invariably involve feedback loops. The limited representation of the user is inevitably reflected back to the user, modifying their own sense of self within the simulation. The interface becomes a distorting mirror, like those fun-house mirrors which make you look fat, skinny or a bizarre combination of the two. A standard GUI interface is a mirror that reflects back a severely misshapen human being with large hands, huge forefinger, one immense eye and moderate sized ears. The rest of the body is simply the location of backaches, neck strain, and repetitive stress injuries. It‘s generally agreed that the representation of women or visible minorities in magazine and television advertisements affects their self-image. If we accept this, then we must also accept that interface-brokered representations can exert a similar, though more intimate, effect on the reflected computer user.“ Rokeby: The Construction of Experience.

<619>

Huhtamo: Sieben Missverständnisse über interaktive Kunst. S. 27.

<620>

Zizek, Slavoj: Die Substitution zwischen Interaktivität und Interpassivität. In: Pfaller (Hg.): Interpassivität. S. 13 - 32. Zitat S. 21.

<621>

Alle Zitate von Fuchs: Disembodied Online. S. 35

<622>

Ebd. S. 36.

<623>

Ebd. S. 38.

<624>

So einer der ersten Netzwerk-Künstler und Aktivisten Heiko Idensen zum Stichwort „Interaktivität“ auf seiner Homepage. <www.hyperdis.de/txt/interaktion.html> Vgl. Auch Anm. 821.

<625>

Vgl. zu den verschiedenst formulierten Vorschlägen insg. das Kapitel 3.2.5. (diskursiv) sowie 3.3.3. (multimedial systematisierend).

<626>

Darüber ähnlich auch Dinkla: InterAct! S. 9.

<627>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 133ff. Der Autor verweist auch auf die Tatsache, dass diese Technologien in den Sechziger Jahren nur teilweise in den amerikanischen und westeuropäischen Vergnügungsparks anzutreffen waren und jenseits von Kalifornien bis in die Achtziger Jahre eigentlich kaum Verwendung fanden.

<628>

Ebd. S. 136.

<629>

Ebd. S. 105ff.

<630>

Siehe zu diesen Technologien die Ausführungen im Kapitel 1.3.1. und Anm. 539.

<631>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 123.

<632>

Vgl. etwa das kontroverse und in diesem Zusammenhang selbsterklärende (künstlerische) Projekt „Cyber-SM“ von Stahl Stenslie and Kirk Woolford <www.stenslie.net/stahl/projects/cybersm/index.html> oder das (industriell ausgerichtete) Projekt „Force Feeback Glove“ von Bouzit, Mourand / Popescu, Georges / Burdea Grigore / Boian Rares: The Rutgers Master II-ND Force Feedbcak Glove. <www.caip.rutgers.edu/vrlab/publications/papers/2002_hap_sym_bouzit.pdf> (Vordruck des Beitrags zum „IEEE VR 2002 Haptics Symposium“), wo die taktile Wahrnehmung und taktiles Feedback zugleich in einem Gerät technisiert werden.

<633>

„Im Virtuellen Kunstwerk repräsentiert das Interface, das natürliche Interface zumal, neben der Interaktion die zentrale künstlerische Gestaltungsgröße, die gleichwohl emanzipativ wie manipulativ eingesetzt werden kann; beide sind nahezu untrennbar miteinander verschränkt.“ Eine solche „frei bestimmbare“ und „variable“ Kontaktfläche „determiniert Charakter und Dimension der Interaktion und bestimmt den Grad psychischer Entgrenzung mit dem Datenwerk, die Immersion. Überdies werden große Teile der Bildressourcen unserer natürlichen Umwelt mit den artifiziellen Bildern in Mixed Realities verschmolzen, oftmals ohne zwischen Simulacrum und Original unterschieden zu können.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 215.

<634>

Ebd. S. 136.

<635>

Ebd. S. 22.

<636>

Ebd.

<637>

Ebd. S. 136.

<638>

Ebd. S. 172.

<639>

Siehe Kapitel 1.3.1.2.

<640>

Strauss, Wolfgang: Tanz im Haus der Illusion. <www.phil.uni-sb.de/projekte/HBKS/TightRope/issue.3/text/haus.html> (erschienen auch in: Tight Rope. 3/1995)

<641>

Hier bezieht sich Grau auf Hans-Jörg Bullingers Definition von Immersion als „möglichst natürlicher Umgang eines Menschen mit einer virtuellen Realität bzw. Welt.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 126. Vgl. die zahlreichen Dissonanzen mit den Ausführungen zu „natürlichen“ bzw. „ökologischen“ Parametern der Schnittstellenkonzeption in den Kapiteln 1.3.1.2. resp. 1.3.1.3.

<642>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 126.

<643>

Vgl. insg. Lovink: Dark Fiber. Als Quellen der konkreten Projekte, Initiativen und des relevanten Diskurses siehe auch netzbasierte Plattformen wie „Rhizome“ <www.rhizome.org>, „Chaos Computer Club“ <www.ccc.de> oder die Mailingliste „Nettime“ <www.nettime.org>

<644>

Vgl. Kapitel 3.2.4.3., insb. Anm. 1039.

<645>

<www.dance.ohio-state.edu/Dance_and_Technology/ips3.html> Ausführlicher darüber im Kapitel 3.1.2.

<646>

Zum Projekt Roy Ascotts siehe Anm. 1047.

<647>

Weibel, Peter: Transformationen der Techno-Ästhetik. In: Rötzer (Hg.): Digitaler Schein: Ästhetik der elektronischen Medien. S. 205 - 246. Zitat S. 245f.

<648>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 212.

<649>

„Die Integration einer Repräsentation des eigenen Körpers in die Bildsphäre, eines Avatars schließlich, kann die Immersion weiter steigern. So können Sinne und Kommunikationsapparate unseres fleischlichen Körpers über Hard- und Software-Interfaces mit allen erdenklichen simulierten Wesen in Austausch treten. Bildlich inkorporiert in vielgestaltige artifizielle Körper, die gleichfalls nichts anderes als Bilder sind, erleben wir bald hierdurch evozierte Bewusstseinsphänomene.“ Ebd. S. 215. Die distanzierte Betrachtung der Medienkunst(werke) kann und soll mit der eintauchenden Partizipation oszillieren, beide Phasen sind für eine medienemanzipative-cum-ästhetische Praxis notwendig. Dies geschieht etwa laut Derrick de Kerckhove im Moment eines Paradigmenwechsels der menschlichen Selbstdefinition, wo der Gesichtspunkt zum „Daseinspunkt“ wird (siehe Derrick de Kerckhoves Vision des Übergangs von „point of view“ zu „point of being“ in Interpretation von Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 183. Vgl. des Weiteren die medienpraktische etwas zugänglichere Auseinandersetzung mit der gleichen begrifflichen Zwiespalt von Wilhelmsson, Ulf: The Point of Being. 1999. <www.jmg.gu.se/fsmk/papers/Wilhelmsson.htm>), allerdings ohne Rekurrenz auf De Kerckhove.

<650>

Vgl. insg. Kapitel 1.2.3.

<651>

„Ob Hochseefischer oder Trapezkünstler, Imker oder Fußballspieler, Spinne oder Pilz: allen gemeinsam ist, dass sie ein Netz nutzen, um zu fangen oder zu halten, zu schützen oder zu verbinden. Eine Netzstruktur ist ungemein vielfältig einsetzbar und daher aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Heute verbindet man mit einem Netz weniger den täglichen Einkauf als vielmehr das ‚Netz der Netze‘, das Internet. Gerade moderne Datenlogistik und richtungsweisende Kommunikation haben aber auch den Blick geschärft für die komplexen Strukturen organischer Informationsvermittlung.“ Aus der Einführung zur Ausstellung „Das Netz. Sinn und Sinnlichkeit vernetzter Systeme“ im Museum für Kommunikation Berlin (18. 10. 2002 bis 16. 02. 2003). <www.museumsstiftung.de/berlin> (Lesedatum: 10. 01. 2003) Diese Einführung vertritt an dieser Stelle ein allgemeines, breites Verständnis des Vernetzungskonzepts, weist jedoch auch auf die öfters nicht berücksichtigten funktionalen bzw. strukturellen Analogien im Alltag. Vgl. zum Thema „kommunikative Vernetzung“ etwa auch Gisecke: Fallstudien: Die Technisierung der Informationsverarbeitung und die Elektrifizierung der Vernetzung.

<652>

„An die Stelle eines realen Leibes und realen Erlebens tritt eine austauschbare maschinenvermittelte Erfahrung, deren Elemente speicherbar sind. Durch die Vernetzung mit beliebig vielen Robotern/Avataren ermöglicht Telepräsenz eine Vervielfachung der vermittelten Erfahrungsräume und Scheinkörper, die möglicherweise wiedersprüchlich angelegt sind und existenziell vollkommen konträre Erkenntnisse evozieren können. [...] So transformiert Telepräsenz klassische Raumerfahrung, die weitgehend an primär körperliches Erleben geknüpft ist. Die örtliche Unmittelbarkeit, verantwortlich zuerst für epistemische Erfahrung, weicht einer subjektlosen Tele-Epistemologie.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 179.

<653>

„Manche Medientheoretiker greifen ja den Punkt an, den Marshall McLuhan immer betont hat, dass die Technologien Erweiterungen des Körpers seien, und sagen eher, dass die Technologie den Menschen so überlegen ist, dass diese nur noch ein Anhängsel sind. Das stimmt vielleicht. Andererseits greift es immer mehr in den Alltag, dass Technologien als selbstverständliche Körper- und Gehirn-Extensionen verwendet werden. Und der Gedanke, dass das etwas mir Fremdes, etwas Gegenüberstehendes, etwas prinzipiell Anderes, eine andere Form von Leben sei, befindet sich auf dem Rückzug, einfach aufgrund der neuen Art von Praxis, mit diesen Sachen umzugehen.“ Theweleit, Klaus im Interview von Neuhaus, Wolfgang: Technokultur oder Barbarei. Ein Interview mit dem Schriftsteller Klaus Theweleit. Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 09. 03. 2002.

<654>

Siehe Kapitel 1.2.1., insb. die Ausführungen zu den „territorialen“ Aspekten des Raumes.

<655>

Hasse, Jürgen: Verschwindet der Raum? Über veränderte Bedingungen der Wahrnehmung von Mit- und Umwelt. 1995/96. <www.wiwi.uni-frankfurt.de/professoren/ritter/veranstalt/ws9596/hasse.htm>

<656>

Flusser, Vilem: Medienkultur. Frankfurt/Main 1993. S. 145f.

<657>

Strauss: Tanz im Haus der Illusion.

<658>

Der folgende Vorwurf einer telematischen Untauglichkeit der installativen Medienkunsttechnologien soll in den Kapiteln 3.1.1.1. sowie 3.2.5.2. einigermaßen konterkariert werden: „Gerade die technologisch aufwändigsten Inventionen überschreiten also die Kapazität der gängigen Vermittlungsmedien und fallen so aus der Struktur der medialen Verbreitung heraus. Deshalb kommt es zu dem ironischen Anachronismus, dass der Kunstbetrachter - wie in früheren Jahrhunderten - zum Reisenden werden muss, um die Orte der Kunst bei Festivals und Medienausstellungen aufzusuchen, wenn er ihre eigentliche interaktive Qualität erfahren will.“ Daniels: Strategien der Interaktivität.

<659>

Ebd.

<660>

Siehe Näheres zum Konzept der „Immersion“ im Kapitel 1.3.4.4.

<661>

„te|le-, Te|le- [...]: 1. bedeutet in Bildungen mit Substantiven und Verben fern, weit, in der/die Ferne [...]“ Duden Deutsches Universalwörterbuch.

<662>

Siehe die Problematisierungen des Kapitels 1.3.4.1.

<663>

„Telepräsenz erweitert die Verbindung von Körper und Maschine um eine weitere Variante. Sie markiert mitnichten, und dies kann gar nicht genug betont werden, die ‚Abschaffung des Körpers‘, vielmehr ist die präzise Ansprache der Sinne, im Dienst einer umfassenden illusionären Täuschung des Nutzers, Ziel der Präsenzforschung.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 124.

<664>

Siehe zur begrifflichen Ausführung und Kontextualisierung des Konzepts insgesamt Ascott, Roy: Art. Technology. Consciousness. Bristol 2000. Vgl. auch Anm. 593.

<665>

Vgl. die kunstpraktisch fundierte Konzipierung der Kommunikationsstruktur als zum ersten Mal zugleich „interaktiv“ und „multilokal“ etwa bei Weibel: The Art of Interface Technology. S. 278.

<666>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 175. Ähnlich wie bei Grau (sowie Rush, Popper und stellenweise Dinkla) kursiert das durchgängige Primat des visuell zentrierten bzw. bildbezogenen kunsthistorischen Diskurses auch in der sonst höchst akkuraten und umfassenden Sammlung von Positionen zu interaktiven Kunstformen von Hünnekens: Der bewegte Betrachter. Siehe insb. die Anfangskapitel bis etwa S. 89, insb. noch S. 36ff.

<667>

Vgl. etwa (untereinander) die prämierten Projekte des Dresdner Medienkunstfestivals für computergestützte Kunst „CYNETart“ <www.body-bytes.de> im Zeitraum 2000 - 2003, die den Körper bei besonderer Betonung seines auditiven (i. d. S. primär körperlich-räumlichen) sowie taktilen Interaktivitätspotentials behandeln. Auf diesen Grundlagen schöpft das Dresdner Medienkunstfestival zweifelsohne auch seine (internationale) Identität im Rahmen der sonst dicht besetzten Festivalangeboten Europas.

<668>

Vgl. Heibach: Literatur im elektronischen Raum. S. 259 - 263. Sowie die Webseite <www.netzaesthetik.de> als kontinuierliches virtuelles (Diskurs) und konkretes (Symposien, Workshops) Plattformprojekt.

<669>

Der Sinnesapparat des menschlichen Körpers ist es gewöhnt, alle äußeren Eindrücke und Wahrnehmungen (Raumposition, Licht-, Lärm-, Wärme und Gleichgewichtsverhältnisse usw.) miteinander zu vergleichen und daraus eine durchschnittliche „Realität“ zu erarbeiten, nach der sich die motorischen und physiologischen Funktionen (spontan, vegetativ) richten können. Die Simulationsmaschinen der VR-Technik sind jedoch nicht imstande, überzeugende und allumfassende Eindrücke in Echtzeit zu produzieren, weshalb einzelne Inputs (meistens visuell vs. taktil, auch visuell vs. auditiv) gegeneinander spielen und das Koordinationszentrum des Menschen durcheinander bringen. „Als Ergebnis werden die Versuchspersonen Folgeerscheinungen wie z.B. Schwindel, Erbrechen, Kopfweh und Desorientierung bekommen. Nicht nur die Nichtübereinstimmung von verschiedenen wahrgenommenen Sinneseindrücken können zu dieser Krankheit führen, sondern auch die schlechten Ausrichtungen des Computers wie z. B. schlechte Bildqualität durch niedrige Bildwiederholfrequenz, hohe Verzögerungszeit zwischen Sensoreingabe und Bildausgabe, können diese negativen Effekte verursachen.“ Schmidt, Reinhard: Virtuelle Realität. <www.it.fht-esslingen.de/~schmidt/vorlesungen/vr/seminar/ws9899/virtuellerealitaet.html> (Online Seminarunteralgen im WS 98/99, Fachhochschule Esslingen) An dieser Stelle muss betont werden, dass auch die erwähnte technische „Unzulänglichkeit“ wohl zu künstlerischen Strategien der Entfremdung bzw. Pointierung genutzt werden kann - jedoch nur selten wurde: die Interessen der technologischen Lobbys zielen allzu oft auf eine Affirmation ihrer Produkte vor und wagen in der Regel nicht ihre Hinterfragung bzw. Entmystifizierung (als leuchtendes Gegenbeispiel vgl. etwa die Ausführungen zum Workshop anlässlich des „Monaco Dance Forums“ im Kapitel 3.1.1.3.).

<670>

“The challenge is to create a set-up in which on-line and on-site participants are more equal partners in the debate, while retaining the specificity of both situations (online, on-site); and to involve the on-site audience more actively in debate.“

Fleischmann, Monika / Novak, Jasminko / Strauss, Wolfgang / Kaliva, Elisabeth / Peranovic, Predrag: On-line and on-site on equal terms. I3 magazine. The Disappearing Computer. S. 26.

<671>

Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 138.

<672>

Ebd. S. 173.

<673>

Ebd. S. 175.

<674>

Ebd. S. 176.

<675>

Grau, Oliver: Telepräsenz. Zu Genealogie und Epistemologie. <www2.hu-berlin.de/grau/telepraesenzneu.htm> (erschienen auch in: Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt/Main 2001. S. 39 - 63)

<676>

„Je intensiver ein Teilnehmer in einer Virtuellen Realität interaktiv und emotionell involviert ist, desto weniger wird die berechnete Welt als Konstrukt, denn als persönliche Erfahrung aufgefaßt. Das technische High würde durch die Ausschüttung von Endorphinen verursacht [...]“ Ders.: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 178.

<677>

Siehe insg. Kapitel 1.3.1., insb. etwa den Beitrag von Rügge: Freihändig oder handgesteuert?

<678>

„Der so genannte Realitycheck ist eine Technik, die beim Erlernen des Klarträumens eine wichtige Rolle spielt. Dabei soll das Bewusstsein eine kritische Haltung der Realität gegenüber einnehmen und die Frage stellen ‚Träume ich gerade?‘. Auch wenn das normalerweise eher albern wirkt, kann sich bei häufiger Wiederholung dieser Frage über Wochen hinweg eine Gewohnheit herausbilden, auch in den Träumen diese Frage zu stellen und so zum Klartraum zu kommen. Hilfreich ist er außerdem bei bestimmten Fallen, die das Unterbewusstsein im Traum stellt, wie der Unterscheidung von echtem und falschem Erwachen.“ Artikel aus „Wikipedia,“ der freien online Enzyklopädie unter <www.wikipedia.org> (Artikel: <http://de.wikipedia.org/wiki/Realitycheck>). Siehe zur Relevanz der Referenz auf „Wikipedia“ Anm. 88.

<679>

Ascott, Roy: Edge Life. Technoetic Structures and Moist Media. In: ders.: Art. Technology. Consciousness. Bristol 2000. S. 2 - 6. Und ders.: Reframing Consciousness: The Technoetic Paradigm. Exeter 1999.

<680>

Ders.: Gesamtdatenwerk. Konnektivität. Transformation und Transzendenz. In: Kunstforum International. Bd. 103. 1989. S 100 - 109. Zitiert nach Hünnekens: Der bewegte Betrachter. S. 70.

<681>

„Erkenntnisgewinn kann möglicherweise in dem Maße stattfinden, wie man sich diese Situation bewusst vor Augen führt, nach dem Moment der Erfahrung, die Selbstentäußerung mit dem Technischen wieder zurückführt und sich seine Relation zu den körperlichen Umständen bewußtmacht.“ Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. S. 182.

<682>

Grau spricht an mehreren Stellen von einem "Verlust des Illusionspotentials durch Gewöhnung,“ der hier auf die Bedingung der Mixed Reality ausgeweitet werden soll. Ebd.

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