Purg , Peter: Körper im elektronischen Raum. Modelle für Menschen und interaktive Systeme

1.2 RAUM, EIN MEDIUM?

„Und doch ist es im Interesse der Wissenschaft nötig,
daß immer wieder an diesen fundamentalen Begriffen Kritik geübt wird,
damit wir nicht unwissentlich von ihnen beherrscht werden.
Dies wird besonders deutlich in Situationen der Entwicklung,
in denen der konsequente Gebrauch der überlieferten fundamentalen Begriffe
uns zu schwer auflösbaren Paradoxien führt.“


Albert Einstein im Vorwort zu „Das Problem des Raumes“ (1953)<210>

Bereits vor einem halben Jahrhundert, noch bevor die Informatik die realitätsbestimmende Funktion der Physik übernahm,<211> musste das Raumkonzept einige wesentliche Umdefinierungen und Präzisierungen erfahren haben, damit es - vorerst im naturwissenschaftlichen Diskurs - weiterhin salonfähig bleiben konnte. Genau diese Verschiebungen in der wissenschaftlichen Perspektive zeigen sich für die hier betrachteten Phänomene von zentraler Bedeutung: in seiner sowohl historisch zusammenfassenden als auch visionären Einführung in das physikalische Problemfeld des Raumes - bzw. seiner Konzepte und Konzeptionen - betont Albert Einstein, dass


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es sich beim Raum-Begriff um eine weitgehende „Unsicherheit der Deutung“ handelt. Philologisch betrachtet sei dem „Raum“ der Begriff „Ort“ eindeutig vorausgegangen: „Das Ding dessen ‚Ort‘ ausgesagt wird, ist ein ‚körperliches Objekt‘. Der Ort erweist sich bei simpler Analyse ebenfalls als eine Gruppe körperlicher Objekte.“<212> Für die vorliegende Untersuchung bleibt „Ort“ jedenfalls nur im Sinne einer begrifflichen Differenz zum „Raum“ in seiner Lokalisierbarkeit bzw. Bestimmbarkeit relevant und kann etwa als konkreter Raum paraphrasiert werden.<213> Diesbezüglich warnt Einstein jedoch vor einem übereilten Wegdenken des „leeren Raumes“ und erweitert den Begriff auf „ein[en] selbstständige[n] unbeschränkt ausgedehnte[n] Raum, in dem alle körperlichen Objekte enthalten sind“ aus, der nun sowohl die „‘Lagerungs-Qualität‘ der Körperwelt“ wie auch den „Raum als ‚Behälter‘ aller körperlichen Objekte“ einschließt. Letztendlich vermag ein solch definierter Begriff laut Einstein lediglich als Denkhilfe innerhalb eines hierarchischen Realitätspluralismus zu funktionieren: „der Raum erscheint dann als eine gewissermaßen der Körperwelt übergeordnete Realität. Beide Raumbegriffe sind freie Schöpfungen der menschlichen Phantasie, Mittel ersonnen zum leichteren verstehen unserer sinnlichen Erfahrung.“<214>

Den in der westlichen modernen Kultur allgemein gültigen Begriff des Raumes wäre laut Einstein im Gleichgewicht zwischen Galileos und Newtons Raumkonzepten des „absoluten Raumes“<215> und den zu ihrer Zeit noch unwissenschaftlichen und „intuitiv begründeten“ Begriffen von Leibniz oder Huygens zu positionieren. Seit der Renaissance hätte sich hingegen das Konzept des „Feldes“<216> nur allmählich durchgesetzt, entscheidend wirkten laut Einstein erst Faraday und Maxwell. Die Voraussetzungen der Feldtheorie, die Einstein schließlich als die einzigst ergiebige erkennt, wären wegen ihrer Vierdimensionalität (Wirkung physischer Körper aufeinander unter dem Zeit-Parameter) als die bestmögliche Auslegung des „räumlichen Charakters des Raumes“<217> zu verstehen - nicht zuletzt auch für die vorliegende Arbeit. Ein durch elektromagnetische Beziehungen definierter physischer Raum taugt also immer noch am besten zur Beschreibung elektronischer Übertragung, bei der der in-formierte Körper in einer scheinbaren Gleichzeitigkeit - im Austausch zwischen Mensch und Computer psychisch wie auch technisch - moduliert und demoduliert wird.<218> Im Kontext der vorliegenden Arbeit bezeichnet dies den


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„interaktiven elektronischen Raum.“<219>

Die Betrachtung Sebastian Sustecks, der Raum hätte in den letzten Jahren eine eigene und vielseitige Renaissance erfahren, sträubt sich bewusst gegen die bisherigen „raumvergessenen Spekulationen der deutschen Medientheorie“ und betont, dass der Raum als wissenschaftliches Konzept in den letzten Jahren wenigstens teilweise gegen medientheoretische und systemtheoretische Verächter rehabilitiert worden ist.<220> Die Renaissance des Raumes im Diskurs der (zumindest geo- und medienpolitischen sowie kulturkritischen) Medientheorie zeigt, dass der Raum als wissenschaftliches Konzept nicht nur zeitgemäß wiederhergestellt wurde, sondern sogar unvermeidbar für beinahe jede ernsthafte medientheoretische Arbeit geworden ist. Im Folgenden soll er anhand seiner i. o. S. (traditionell) interaktiven sowie (aktuell) elektronischen Eigenschaften - und unter steter Berücksichtigung seiner körperlichen Relevanz - komplexitätsgerecht untersucht werden.

1.2.1 Weitere Dimensionen des Raumes

Ein „Kult des Geschwindigkeitsraums“<221> sei laut Martin Burckhardt bereits seit gut einem Jahrhundert im Aufstieg und die Kategorie der Zeit wäre offenbar auch angesichts der zweifelsohne simultanisierender Globalisierung keineswegs wegzudenken. Bereits (in ihrem Medium auf Zweidimensionalität beschränkten) Maler wie z. B. Turner hätten mit der Dynamisierung der Raumdarstellung angefangen und der angestrebten „Tiefe“ der dritten Dimension noch eine vierte, die zeitliche hinzugefügt. Muybridge und Talbot waren die Pioniere der Photographie,<222> deren erstaunlichstes Novum gerade die „Erfassung der Tiefe der Zeit“ und somit paradoxerweise die „Entzeitlichung“ bzw. „Entauraisierung“ des Raumes gewesen sei.<223> Dies wäre wieder als die Vorstufe eines telegraphierten, also telematisch en-kodierten Raumes zu verstehen, der anhand von elektrischen Impulsen endgültig virtualisiert (bzw. zumindest vernetzt) wurde. Somit bewirkte die Elektrizität anhand ihrer „simulierten Zeitlosigkeit“ die Enträumlichung des vernetzten Raumes und wurde laut Burckhardt zum ersten wahren Massenmedium.<224> In solchem Raum spielten die Entfernungen des euklidischen Raumes keine Rolle mehr und müssen technologisch kompensiert werden. Burckhardt versucht zu beweisen, dass alle heutigen


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elektrischen und elektronischen Netze eigentlich aus dem telegraphischen Netz<225> entstanden sind und gründet dies auf einem dezidiert historischem Modell: eine sog. „Kommunikationskathedrale“ täusche heute den Raum und die Zeit als endlose Kategorien vor. Die gotische Kathedrale hätte zu ihrer Zeit durch ihre einheitsstrebende Architektur den ungemeinen „materiellen Aufwand“ (im Sinne technologischer Bravur) und allem unterliegende “Überbietungslogik“ den Himmel auf Erde versprochen; die heutige Informationskathedrale verspreche uns nun, der ersehnten Welt (als perfektes Informationssystem) im Hier und Jetzt „teilhaftig zu werden.“<226> Sogar den Computer versteht Burckhardt als eine räumliche Metapher im Sinne einer Werkstatt, wo ein Werkzeugenensemble für die Kopfarbeit zur Verfügung gestellt wird:<227>

„Der Computer ist das Modell, in dem sich der Raum entfernt, in dem er nicht mehr als solcher, sondern nunmehr unter dem Rubrum der Raumdichte als Speicherkapazität gedacht wird. Getaktet, der Zeit unterworfen vermag er fast nach belieben komprimiert und dekomprimiert, adressiert und fragmentarisiert werden, hat sich seine Stetigkeit zur Beschreibung einer Stetigkeit verwandelt. Der Raum des Computers ist so leer und wandelbar wie das, was alles und nichts zugleich sein kann: ein Raum auf Zeit.“<228>

Diese pragmatisierte „Kopflandschaft“ mit Funktion einer „Raum-und-Zeit Maschine“ bietet sich als ideeller „Kontrollraum für die Geschwindigkeitsmaschinen“, die im Computerchip abstrahierten Eisenbahnnetze und Straßenkreuzungen generieren. Der Netzwerkraum wird (als mikrokleines integrated circuit) nicht im Zuseschen Sinne als „rechnender Raum“, sondern als „raumloser Möglichkeitsraum“ aufgefasst, der für den Menschen im 21. Jahrhundert nur noch als einer Art Echt-Zeit-Raum (also als Raumillusion) bestehen soll.<229> Die Kommunikationskathedrale sei nun physisch auf die Größe eines Fingernagels zusammengeschrumpft und ist dem menschlichen Körper im diachronen Rückblick nur noch als „das dinggewordene Phantasma jenes uchronotopischen Raums, wie ihn das 19. Jahrhundert mit jeder Eisenbahnstation, mit jedem Telegraphenkabel hat herannahen sehen“ erfassbar.<230>

Ähnlich wie (durchgängig, obwohl implizit) bei Marshall McLuhan wäre eine gut begründete Korrespondenz zwischen Raum und Körper auch bei Paul Virilio zu finden, der diese Beziehung noch um Einiges detaillierter und aus einer umso engagierten kulturkritischen Perspektive untersucht: Den menschlichen Körper betrachtet der, öfters wegen seines populärwissenschaftlichen Duktus unberechtigt bagatellisierte, Medientheoretiker und langjährige führende Stimme der


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Technokulturkritik ebenfalls als ein Territorium, das die Technologie durch ihre impliziten, netzwerkbasierten Besetzungsstrategien allmählich eroberte (Straßen, Untergrundbahnen, Aufzüge usw.). Nichtsdestotrotz - oder eben deswegen - bleibt der Körper als der zentrale Bezug des Menschen zur Welt bestehen: „Ein endgültiges Verschwinden des menschlichen Körpers in jedem Sinne des Wortes wird es nie geben.“ Aus einer scharf politisierten Perspektive abstrahiert Virilio dreierlei Körper(stufen): den „territorialen Körper“ hätten die Technologien zuerst aufgerüstet, danach seien sie in den „gesellschaftlichen Körper“ eingedrungen, um schließlich den „animalen Körper“ (mit add-ons wie Mikrofonen, Kameras und anderen Schnittstellen) zu verschmutzen<231> und die Kontrolle über Körper, Raum und ihre Zeit(en) zu übernehmen. Laut Johannes Birringer, einem der praktisch sowie theoretisch relevantesten Akteure der aktuellen „dance-tech“ Szene, politisiert und problematisiert ein solche Verschachtelung von Körper-und-Raum am Theater innerhalb von Grenzziehungen und Kontrollstrategien sowohl die Beziehungen zwischen „Innen“ und „Außen“, wie auch zwischen „Ordnung“ und „Chaos“:

„Eine Bedrohung der Ordnung ist eine Bedrohung des Raumes. Raum, den der Staat legitimiert als ‚Ordnung der Dinge‘, seinen Raum der Repräsentationen des Objektiven. Raum der inneren Ordnung und des äußeren Feindes. Raum der öffentlichen und immer auch militärisch-polizeilichen Gewalt: sein Diskurs inszeniert Bilder der ‚rechtlichen‘ Zustände.“<232>

Wesentliche Durchbrüche sowohl in körperlicher Darstellung (Körper als Medium bzw. Werkzeug) wie auch im dargestellten Körper (als Thema bzw. Metapher) verzeichnete ohne Zweifel die Performancekunst - besonders noch in ihrer Ausprägung als Medienkunst; dies hauptsächlich wegen ihrer Gebundenheit an die konkrete Situation bzw. die (örtliche) Umwelt sowie wegen ihrer Experimentierfreude mit dem vielfach konnotierten, „be-zeichneten“ Raum. Im Unterschied zum postmodernen Theater wird die räumlich-körperliche Dimension des Menschen in der Performancekunst umso konkreter benutzt: es werden leibeigene, problematisierte Körper (wie etwa bei der Bodyart eines Stelarc)<233> auf realen, öfters politisierten Orten dar- bzw. hingestellt (wie etwa in einer öffentlichen Aktion).<234> Durch Thematisierung des raumgebundenen Körpers - Raum als Territorium und konkrete Identitätsgröße sowie als Konzept und Symbol - versuchte sich die neue Körperkunstform bereits in den frühen siebziger Jahren entgegen dem traditionellen Theater abzugrenzen. (Nähere thematische Ausführungen zur Theorie und Praxis in diesem Bereich erfolgen im Kapitel 3.1.)

In Bezug auf das Sportstadion, die Pferderennbahn und den Flugplatz, bei denen der popkulturell praktizierte „reale Raum des Ortes, an dem der Wettlauf stattfindet,


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plötzlich zum Produkt der Echtzeit einer Strecke wird,“<235> erkennt Virilio die enge Konvergenz von Raum und Zeit, die auch in den digitalen Medien immer gravierender hervortritt. Die Teletechnologien veralten den geographischen Raum in dem Maße, wie sie chronologische Zeit, also die Qualität des Dauerns annulieren und das körperlich Präsente radikal verdichten, den Körper sogar allgegenwärtig (zum totalen Raum) machen:

„Die Anpassung des Körpers und seiner Lebensenergie an das Zeitalter der Teletechnologien der unmittelbaren Übertragung ist gleichbedeutend mit der Aufhebung der klassischen Unterscheidung zwischen intern und extern zum ausschließlichen Vorteil einer letzten Form von Zentralisierung, oder genauer: einer Hyperzentralisierung, die der Zeit nämlich, die einer ‚gegenwärtigen‘, um nicht zu sagen ‚echten‘ Zeit, die Endgültig die Unterscheidung zwischen der Peripherie und dem Zentrum zunichte macht, so wie ein Aufputschmittel den Wechsel zwischen Wachen und wohltuender Ruhe aufhebt.“<236>

Der Begriff der „Gegenwärtigkeit“ hat sich laut Virilio vom Begriff der körperlichen Nähe, also dem Visavis (beschränkt durch die Tragweite der Stimme, durch das Blickfeld, den Geruch usw.), zu einer „mediatischen Nähe“ modifiziert, was aber gleichzeitig einen „Verlust der Distanz“ in interpersonaler Kommunikation mit sich ziehe. Angesichts der immer erfolgreicheren Entwicklungsversuche der Riechsensoren und teletaktiler Technik komme es zu einer „plötzlichen Persönlichkeitsverdopplung des Subjekts“, die eine neue Selbstwahrnehmung des Individuums bedingt, sozusagen sein körperliches Selbstbild neu definiert.<237> Die Frage, ob die technische Besetzung zweier weiterer sinnlicher Kanäle, neben des visuellen und des auditiven also zumindest noch des taktilen und des olfaktorischen, bereits unbedingt zu einem generellen Identitäts- und Orientierungsverlust führt, scheint Virilio merkwürdigerweise nicht näher zu beschäftigen. Die vielleicht am besten aus der Tanzwissenschaft und ihr unterliegender Praxis bekannte Qualität der körperlichen Präsenz, also die materielle, physikalisch (auch biochemisch) bedingte und physisch empfundene Anwesenheit des Körpers (bzw. mehrerer und nicht unbedingt organischer Körper, ihrer Wärme, Gerüche usw.), deutet zweifelsohne auf einen weiteren Bereich menschlicher Wahrnehmung, der im gegebenen Kontext noch genauer zu untersuchen wäre. Dies bezieht sich nicht nur auf die subtile Kommunikation mit dem umgebenden physikalischen Raum des jeweiligen Körpers, sondern auch diejenige mit/in seinem Innenraum. Dazu gehören etwa noch die Gewichtsverhältnisse, z. B. die Schwerkraft oder die besonders typisch von den TänzerInnen (etwa bei der Kontaktimprovisation) empfundene Anziehungs- bzw. Abstoßkraft zweier räumlich positionierter menschlicher oder auch anorganischer, „gegenständlicher“ Körper untereinander. Strenggenommen betrifft Virilios - zugegeben steil abfallender - Pessimismus auch diesen entlegendsten (etwa meist atrophierten) der Sinne indem er sein Szenario auf den totalen Evidenzverlust dieser „je eigene[r] Wahrnehmung der Gewichtsmasse“ erweitert. Somit erfolgt eine Verschiebung von Exozentrierung (als „Vorrang gegenüber dem Zentrum des realen Raumes der eigenen Welt“) zur Egozentrierung in der Echtzeit elektronischer Impulse, wodurch nach Virilios Meinung, „die zentralen Begriffe von Sein und Handeln, Hier


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und Jetzt jeden Sinn verlieren.“<238> Dies trifft immerhin jedoch eher für eine unreflektierte, massenmediale Technikeuphorie als für den überlegenen, emanzipierten Gebrauch dieser Technologien zu, die in der diesbezüglichen künstlerisch-wissenschaftlichen Praxis eine ausgewogenere Umsetzung finden (vgl. Kapitel 3.2.5.4.).

Mit Virilio stellt sich nun die folgende zentrale Frage: „Wie kann man [...] noch hoffen, die Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung zwischen dem hier und jetzt anwesenden, ganzen eigenen Körper und dem der Welt [...] länger Aufrechtzuerhalten?“<239> „Die künstliche Selektion als Ergebnis der Entwicklung im Bereich der technischen Wissenschaften“ bedinge nämlich die Verschiebung vom physischen zum wahrhaft metaphysischen Körper, was entlang der folgerichtigen Argumentation Virilios im (kontra)ökologischen Sinne zur „Entstehung eines neuen Typus von Fundamentalismus“ führen kann. Weiter warnt er vor den Auswirkungen des allzu schnell und undifferenziert einverleibten „Technokults“, der die Wissenschaft bis zu einem „technischen und wissenschaftlichen Integrismus“ zu entarten drohe.<240> Ein solch technisch erweiterter und leistungsverstärkter, „übervitaler“ Körper (einer negativ gelesenen „großen Gesundheit“ Nietzsches) könne durch das „Gesetz der künstlichen Selektion“ leicht zu einem technologisch begründeten Faschismus (als die pessimistischste Extrapolierung und Endeffekt der digital divide) führen.<241> Die Zeitnot, in die der aktuelle Körper im elektronischen Raum angesichts seiner - selbst wenn kreativ und ökologisch angegangenen - Koexistenz mit digitalen und elektronischen Maschinen geraten mag, soll samt möglichen zeitökonomischen Strategien näher im Kapitel 3.2.1.4. behandelt werden.

Nach dem deutschen Studienpreis für das Jahr 2002 zum Thema „Bodycheck - Wie viel Körper braucht der Mensch?“ wurde im Jahr 2003 - angenommen kultursymptomatisch - die Problematik der zeitlichen Beschleunigung behandelt: „Tempo! - Die beschleunigte Welt.“<242> Von der militärischen Radartechnik ausgehend, bezieht sich der Begriff „Time-Sharing“ bei Virilio (ähnlich wie bei Burckhardt) auf eine „Kopplung von Computer und Telefon, die zur Telematik führen sollte“<243> und bedingt somit eine weitere Beschleunigung bzw. Simultanisierung der menschlichen kommunikativen Welt. Seine politisch aufgeladene Auslegung des Cyberspace<244> präzisiert Virilio als eine „kybernetische Raum-Zeit“<245> und sieht ihn gänzlich aus dem


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Geiste des Krieges entstanden, als sich bei günstiger militärisch-technologischer Entwicklung „die ungeheuere Gelegenheit bot, der physischen Dimension des menschlichen Handelns eine zusätzliche, simulierte Dimension hinzuzufügen.“ Den „‘ganzheitlichen‘ Dimensionen unserer gewöhnlichen Umwelt“ wurde angeblich vorerst “eine ‚fraktionierte‘ Dimension“ zur Seite gestellt.<246> Da die Information auf dem bloßen Wert ihrer Geschwindigkeit beruht,<247> und der Raum beinahe keine Differenz (außer vielleicht die stets optimalere Übertragungsenergie) mehr erzeugt, befindet sich der digitalisierte Mensch mit Burckhardts ontologischem Paradoxon auf einem zeitlosen Weg „durch das Nichts, an dessen Ende das Universum steht.“<248> Einer ähnlich aporetischen Epistemologie entzieht sich Virilio anhand wahrnehmungspsychologischer Grundlagen Husserls (Raum als Welt sinnlich wahrnehmbarer Erfahrungen). Er versucht den daraus öfters weggedachten „kosmischen Raum“ mit der universalen Zeit als „Tiefe der Zeit“ bzw. wohl der vierten, kybernetischen Dimension der Raum-Zeit-Materie (als Information) zusammenzuführen. Dabei stößt er jedoch wiederum auf eine Konfusion physikalischer und informatischer Begrifflichkeit, die Information ohne räumliche Parameter gedacht werden lässt.<249> Nach der scheinbaren Schrumpfung des Raums angesichts der Motorisierung von Transportmitteln konstatiert Virilio aktuell eine „Motorisierung der Realität des Raums mit Hilfe der synthetischen Bildproduktion des Computermotors: und anscheinend lässt sich der perspektivische Glaube durch den Virtualitätserzeuger täuschen.“<250> Die „dynamisierte Perspektive des Realraums der Maler des Quattrocento weicht folglich der Perspektive der Echtzeit der Informatiker des Novecento.“<251> Angesichts der schnell voranschreitenden Raumfahrt- und Computertechnik vermutet Virilio, dass „dieses Zusammenprallen der beiden räumlichen Abwesenheiten der Kybernetik und der Astrophysik noch beschleunigt“<252> wird. Dabei sei noch einmal auf die verschiedenen (nicht nur geschwindigkeitsbedingten) Kolonialisierungen des Raumes in seinen Texten erinnert: die nanotechnologische Eindringung in den Endo-Raum<253> (vgl. etwa die o. e. künstlerische Praxis von Stelarc) des menschlichen Körpers, die Generierung und geistliche Besiedlung des virtuellen Computerraumes (vgl. Kapitel 1.2.3. zu Virtualisierungsstrategien des „Raumes“ und 1.3.2. zu denen der „Schnittstelle“) wie

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auch die Telekolonialisierung des „realen“ kosmischen Raumes und nicht zuletzt die politische Territorialisierung des menschlichen Lebensraumes,<254> sowohl im konkret-physischen als auch im psychologischen Sinne. Ein weiterer, sog. „telematischer“ Raum (der unter jeweilig besonderen Aspekten in den Kapiteln 1.3.5., 3.1.1.1. und 3.1.5.2. behandelt wird) scheint dabei eine interessante Versöhnungsalternative anzubieten. Da sich in der Zukunft der reale Handlungsraum des menschlichen Körpers und der elektronisch generierte kybernetische Raum (informativer Rückkopplung)<255> immer untrennbarer vermischen werden, wird es in nächster Zukunft, so Virilio, zu einer Krise der Positionierung kommen, die eine allgemeine Orientierungslosigkeit zur Folge haben wird:

„Nach dem Verlust des Primats des Wo gegenüber dem Wann und dem Wie bleibt ein Zweifel bestehen weniger hinsichtlich der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit der ‚virtuellen Realität‘ als vielmehr hinsichtlich der Beschaffenheit ihrer Lokalisierung und demzufolge hinsichtlich der Möglichkeiten der Kontrolle der virtuellen Umwelt.“<256>

1.2.2 Elektronisch inszenierte Körper

Im Einklang mit der o. e. These Dieter Kampers von der „Wiederkehr des Körpers“<257> in einer anderen-als-der-ursprünglichen Form, die demnach eine radikale Wende im menschlichen Bezug zu seinem (nun vielfach erweiterten und deshalb verfließenden, somit definitionsfremden usw.) Körper bezeichnen sollte, hypothetisiert ein weiterer französischer Kultmedienphilosoph und Poststrukturalist Jean Baudrillard das Verschwinden des Körpers aus seiner ursprünglichen Szene. Sein „reines Ereignis“ überbietet Virilios apokalyptischen, hyperbeschleunigt blockierten „rasenden Stillstand“ (siehe Kapitel 1.2.1.) in einem oszillierenden, dynamisch ausgleichendem Dazwischen, wo sich die einzelne Lösung aus der zyklisch unproduktiven „kybernetischen Illusion“ erhoffen lässt.<258> Dem Körper spricht Baudrillard durch seine monströse Modulierung vorerst jedes mediale bzw. ästhetisch-kommunikative Sinnstiftungspotential ab:

„Die Szene des Körpers - die geheime Regel, die einen Körper begrenzt, ihm seinen Spielraum, seine Ausdehnung, seine gestischen und morphologischen Grenzen gibt - ist verschwunden. [...] Ohne Begrenzung, ohne Transzendenz: als ob der Körper sich nicht mehr von der Außenwelt abgrenzte, sondern

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versuchte, sie zu verschlingen, einzuverleiben und in der eigenen Hülle zu verdauen.“<259>

Der Körper verlässt die Szene (als seinen ehemaligen „intensiven Raum“) und wird zum „Gravitationsfeld der Fernsteuerung“, er entwickelt eine neue biotechnologische Pathologie.<260> Auf solche Weise postmodernisiert er sich beinahe konsequent und unterliegt „vollständig den ‚weichen‘ Technologien der sensoriellen Expansion und der molekularen Steuerung.“<261> Baudrillard versteht darüber hinaus die körperliche Umgebung und sein Inneres sowohl sozial als auch physisch und korrespondiert somit in der epistemologischen Perspektivengrundlage positiv mit der vorliegenden Arbeit. Wenn er behauptet, die Menschen hätten zu allen Zeiten weit größere differenzielle Intensitäten durch künstliche Dispositive und Zeichenspiele als durch den Körper oder die Biologie geschaffen,<262> spricht er dem Körper seine semiotisierende Kraft zwar weitgehend ab, verweist aber trotzdem zugleich auf die immanente körperliche Kreativität (zumindest als Neigung zum Spiel bzw. Experiment, vgl. Kapitel 3.2.5.) jenseits des Zeichenhaften.

Baudrillard stellt sich jedenfalls radikal gegen die kybernetische und bio-informatische Ideologie, diesmal nicht im praktisch-technologischen, sondern vor allem im etwas diffusen (weil tatsächlich schwer kodierbaren), psychologischen Duktus der mentalen Modellierung durch Psychotropen und Drogen,<263> worunter höchstwahrscheinlich auch die indoktrinierende, institutionell generierte Technoeuphorie des 21. Jahrhunderts gezählt werden könnte. Mit der Evolution des gläsernen Menschen und seiner digitalen Vernetzung verlieren wir laut Baudrillard ahnungslos „das kritische Bewusstsein vom Körper samt seinem Objekt“. Die politische, die sexuelle, die (materiell sowie territorial besetzte) gesellschaftliche „Bühne des Körpers“ ist vielleicht schon längst verschwunden und der Körper „ob-szön“ geworden.<264> Insoweit der Raum um den Körper (also Körper-im-Raum sowie Raum-im-Körper) streng soziologisch betrachtet wird, bedeutet er im Kontext der Technisierung eine gewisse Reduktion traditionalistischer Differenzen und taugt gewiss nicht als Orientierungshilfe in einer - oft aphys(ikal)isch begriffenen - neumedialen Landschaft. Wiederum wird von der Seite der darstellenden Künste sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich viel öfter eine affirmative, den neuen elektronisch emanzipierten Körper (unter)suchende Position bezogen:


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1.2.2.1 Medialisierte Bühnen

Als der wohl älteste, spezifisch körpergebundene Ausdrucksraum wäre das Theater im breitesten Sinne (sowohl multimediale Performance, wie auch Straßentheater, Improvisationstheater, Kabarett usw.) als die ergiebigste Folie für die hier thematisierten Diskurse und Praxen zu verstehen. Die Qualität der körperlichen Präsenz (als konkret-körperliche live Anwesenheit von Personen im selben Raum)<265> wird von der aktuell diskursführenden deutschen Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte als die „spezifische Medialität des Körpers“ erkannt und der medialisierten (durch Aufzeichnungs- und Abspieltechnologien übermittelten) Präsenz<266> größtenteils als überlegen verstanden. Die Polarität zwischen den live und den medialisierten Performances (nicht nur im Theater, sondern auch im Sport, in der Politik, im Alltag usw.) - die immer wieder zwischen den (nun wahrhaft gleitenden) Positionen der „Zuschauer“ und der „Darsteller“ definiert wird - wäre laut Fischer-Lichte bereits in Walter Benjamins medientheoretischen Auseinandersetzungen zu lesen.<267> Den Körper betrachtet sie als Medium lediglich unter anderen künstlerischen Medien (z. B. „das Buch, die Leinwand des Malers, technische Instrumente“ usw.) offenbar auch samt seiner eventuellen/aktuellen elektronischen Erweiterung. Die Herausgeberin des Sammelbandes „Wahrnehmung und Medialität“ weist auf den stark ideologisch motivierten Prämierungskampf um die kulturelle Überlegenheit eines der beiden Prinzipien, der in den letzten Jahren gerade in den USA am leidenschaftlichsten erfolgt sei. Einerseits sei das Paradigma der körperlichen Präsenz - wiederum intensiver im modernen Westen - eindeutig durch die Medialiserung verändert, teilweise sogar vollständig ersetzt worden: die anfangs vom Fernsehen übernommenen Wahrnehmungsgewohnheiten der Guckkastenbühne wurden bald durch die expandierende Fernsehindustrie auf das eigene Medium umgeschult und das nun sekundär positionierte Theater begann die „Modelle des Fernsehens und anderer mediatisierter kultureller Formen“ entgegen zu nehmen, wiederzuspiegeln. Andererseits hätten die Live-Performances die Authentizität und die Subversivität der körperlichen Anwesenheit im Sinne einer medialen Emanzipierung vom Markt- und Machtstrukturen (erneut) eingeführt.<268>


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Sowohl für die projizierte, reflexiv konzeptualisierte Wahrnehmung wie auch für den bewusstgemachten und auf das Objekt fokussierten sinnlichen Akt gelte, dass die „Wahrnehmung wesentlich durch das Medium der Inszenierung bzw. durch die spezifische Medialität des Wahrzunehmenden bestimmt ist.“<269> Ein weiteres Konzept, das sich für die vorliegende Arbeit - vor allem im Kontext computerbasierter Rauminstallationen und Performances, aber auch negativ im Sinne „unphysischer“, virtueller „Cyberräumlichkeit“ - als besonders brauchbar herausstellen könnte, ist die „Atmosphäre“ einer performativen, also auch künstlerischen Handlung. Diese bezieht ihre individuelle Aufladung eben von der „Emotionalität“ (ähnlich wie bei Munster, vgl. Kapitel 1.1.4.) oder einer medienemanzipierten Variante der „emotionalen Intelligenz“ (De Kerckhove, ebd.). Mithilfe von Gernot Böhme bestimmt Fischer-Lichte Atmosphären als

„etwas, das sich zwischen Menschen und Dingen oder auch Menschen in einem Raum ‚ergießt‘. Sie gehören weder allein den Objekten bzw. den Menschen zu, die sie ausstrahlen scheinen, noch denen, die den Raum betreten und sie leiblich spüren. [...] Da die Atmosphäre, die den Zuschauer beim betreten des Zuschauerraums umfängt, von der Gestaltung des gesamten Raumes abhängt und der Zuschauer sie lieblich erspürt, wenn er den Raum betritt, lässt sie sich durch eine Videoaufzeichnung weder einfangen noch vermitteln. Diese Art der Atmosphäre ist an ‚liveness‘ gebunden. Andere Arten von Atmosphären sind selbstverständlich medial herstellbar, wie jedem aus Horrorfilmen oder Filmmelodramen nur allzu gut bekannt ist.“<270>

Nur begrenzt handelt es sich im medialisierten elektronischen Raum also um physisch an- bzw. abwesende Schauspieler und/oder Objekte, allzu oft wird auch der Raum einer Handlung lediglich „angenommen,“ also i. o. S. projiziert. In zunehmendem Maße wird jedoch auch hier mit Mischformen zwischen Präsenz und Projektion gearbeitet (vgl. Kapitel 1.3.3.). Obwohl im übertragenen Sinne, lässt sich eine gewisse atmosphärische Qualität beim Erleben solcher „Räume“ für manche immergierten BenutzerInnen auch feststellen, die weit über eine bloß materielle Präsenz hinauswirkt. Trotz der populären Schlussfolgerung, dass sich eine jeweilige spezifisch leibliche Qualität in performativer Kunst grundsätzlich durch kein technisches Medium aufzeichnen lässt, gibt auch Fischer-Lichte schließlich zu, dass eine solche „Präsenz“ wiederum kein Phänomen sei, „das an ‚liveness‘ und die mit ihr gesetzten Wahrnehmungsbedingungen gebunden wäre“. Vielmehr handele sich hier um eine „spezifische Erfahrung von Intensität, d.h. um einen Eindruck bzw. eine Wirkung, die durch die unterschiedlichsten Medien unter je besonderen Bedingungen erzeugt werden kann.“<271> Die Diskrepanz zwischen den beiden Positionen ergibt sich also eben im Feld des menschlichen Körpers und seiner Kommunikation mit dem (konkret oder auch fiktiv besetzten) Raum. Die vorliegende Arbeit nimmt sich vor, trotz


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entgegengenommener Schwierigkeiten mit der intersubjektiven Überprüfbarkeit solcher Auffassungen, diese spezifischen Bedingungen wie auch ihre Wirkung durch einen vorsichtig vorbereiteten Zugang zu erörtern.<272> Teilweise geschieht dies auch mit Rücksicht auf die vier Felder, die Fischer-Lichte als problematisch und gleichsam untersuchungswert für den Zusammenhang von Wahrnehmung und Medialität bestimmt. Die vorliegende Arbeit widmet sich nicht so sehr dem ersten Feld, das das Verhältnis von Medialität, Wahrnehmung und Erkenntnis betrifft, sondern versucht vielmehr die Felder der medialen Veränderung von Wahrnehmung, die Wahrnehmung des Andern und die Vermittlung von Präsenz zu ergründen.<273>

In dem theoriediskursiv hochrelevanten Sammelband Fischer-Lichtes entwickelt Herbert Willems einen spezifischen Begriff der „Medientheatralität“<274> und exemplifiziert ihn in seiner Kritik der „Annihilation des Körpers im Internet.“ Dies jedoch ohne die netzbasierte, lokal distribuierte Variante der Performanz einzubeziehen.<275> Für ihn bleibt der menschliche Körper das Medium der Theaterinszenierung schlechthin. In seinen vielen Darstellungsweisen (und wiederum durch medial begrenzte Wahrnehmung) erfährt der vernetzte, digitalisierte Körper dagegen eine Erweiterung im Sinne traditioneller Theatralität - die angenommene Virtualisierung des Körpers führt laut Willems (in Anlehnung an Mike Sandbothe) zu einer doppelt fiktiven Inszenierung: „Die Internet(-mediale) Entbindung von der primären Korporalität des Lebens [...] führt zu einer spezifischen Expansion und Modulation von Theatralität.“<276> Auch von Caroline Weber wird der Körper als das Kommunikationsmedium auf der (mediatisierten) Bühne aufgefasst und gilt als der Auslöser des Dialogs zwischen Medium/Maschine und dem Menschen (wohl in seinem subjektiven und possessiven körperreflexiven Bewusstsein, als „habeas corpus“ bei Virilio). Die Autorin betont leider auch nur die „spezifische Medialität“ verschiedener Medien, bleibt aber, wie schon Fischer-Lichte, fern von synästhetischen Ansätzen und jenseits der Möglichkeit einer zusammenhängenden Sinnbildung bzw. Synergie in traditioneller Semantik einer künstlerischen Aussage: ein Medium übernimmt (ersetzt) vollends die Funktion des anderen Mediums, ein synergetisches Zusammenwirken ist so gut wie ausgeschlossen. Auf der multimedialisierten Bühne manifestiere sich dies als mehrkanalige, postmodern diffuse Wahrnehmungsüberlastung, im Wortlaut Webers als


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„Aufhebung des Primats des Dialogs zugunsten der Präsentation eines multimedialen Geschehens, das Bilder- und Schriftbilder, Figuren und Text, Geräusche und Stimmen in einem netzartigen Gefüge in Beziehung setzt. Diese Multimedialität zielt nicht auf eine synästhetische Wirkung der verschiedenen Medien in Bezug auf einen zu übertragenden Sinn, vielmehr lässt die Differenz der verschiedenen Medien deren spezifische Medialität aufscheinen und bringt so einen Überschuss an Bedeutung ins Spiel, welche eine einmalige Festlegung auf einen bestimmten Sinn durchkreuzt [...]“<277>

Innerhalb eines solch sinnlosen Gleitens in medialer Simultanität wird der Körper als Hypertext-Plattform verstanden - er tauge (immer noch) am besten als Träger der verdichteten Querverweise im multimedialen und multisemantischen Raum. Beim multimedialen Theater handele sich laut Weber oft um „ein Gefüge von Zeit-Räumen, die sich gegenseitig konstituieren und aufeinander verweisen.“ Der zeitliche Parameter ist bei genaueren Beobachtung der digitalisierten Theatralität jedoch überflüssig, da es sich in den kybernetischen Schleifen des Computer(netze)s eigentlich „um einen Raum ohne Zeit, das heißt um einen Zeitraum der Wiederholungen und Unterbrechungen“ handeln sollte, „der sich auf der Ebene der Wahrnehmung im Verlauf der Aufführung konstituiert und wieder auflöst.“<278> Doch trotz seiner Hyperverlinkung bleibe der Körper sogar im elektronisch emanzipierten Theater weiterhin (beschreibbare, bekleidbare, besprechbare) Figur, wenn auch pointiert in ihrer „medialen Gebrochenheit,“<279> die wohl in der traditionellen Diskrepanz zwischen der szenischen Körperlichkeit der Theaterfigur und dem jeweils subjektiv empfundenen (obwohl szenisch reflektierten!) NutzerInnenkörper zu suchen wäre. Die daraus abgeleitete neumedial bedingte „potentiell unendliche Transpositionierbarkeit der Figuren-Körper [...]“<280> erörtert Weber als das Wesen der medialisierten bzw. multimedialen Theateraufführungen mit dem digitalisierten Körper schlechthin. Die räumliche Einmaligkeit bzw. Präsenzqualität eines solchen Körpers leidet zumal unter den unerlässlichen Copy-Paste und Drag and Drop Verfahren nach dem strikt informatischen Modell. Das durch das gesamte 20. Jahrhundert de(kon)struierte Dogma „des mit seiner Innerlichkeit identischen Individuums - die Einheit des Characters“ wird in den neumedialen Inszenierungen vielschichtig und entgültig aufgelöst. Dies jedoch in einer von den historischen Modellen der Auflösung der Figuren-Identität radikal abweichenden Weise.<281> Solch ein medial konstituierter Körper wird darüber hinaus als „System von Verschiebung, Dispositionierung und Wiederholung“, als „System intensiver Konstellationen“ verstanden. Nicht zuletzt ein „zwischen An- und Abwesenheit oszillierende[r]“<282> Körper mit einer (im digitalisierten Theater) oft politisch bzw. ethisch pointierten „Differenz eines zugleich anwesenden und abwesenden Bühnenraums,“ der letztendlich „jegliches Geschehen als


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Evozierung virtueller Räume erscheinen lässt.“<283>

1.2.2.2 Konkrete und virtuelle Theatermaschinen

In Bemühung um eine multiperspektivische Darstellung des Feldes zwischen den digitalen bzw. elektronischen Medien und dem Theater (als ästhetisches Prinzip, Institution sowie als Kommunikationsort) wäre es vielleicht angemessen, einen von den o. e. radikal abweichenden Aspekt hinzuzufügen, nämlich den einer phänomenologischen Theatralisierung des Internets. Das kommunikationsstandardisierte (HTML, TCP/IP usw.) sowie durch seine technische Vorgaben kommunikationsstandardisierende (Email, Chat usw.) globale Computernetzwerk wird wegen seiner Aktualität und zunehmender Zugänglichkeit als der zentrale Untersuchungsbereich dieses Argumentationsstranges gewählt. Was liege nun unter den digitalen Brettern, die die virtuelle Welt bedeuten? Inwieweit ist die überhaupt als „virtuell“ zu erkennen?

In seiner - trotz angestrebter medienphilosophischer Pragmatik - offenbar zeichentheoretisch fundierten Abhandlung „Theatrale Aspekte des Internet“ versucht Mike Sandbothe zwar „die semiotische Grundverfassung des Internet als Verfassung theatraler Textualität“<284> einigermaßen vergebens zu rekonstruieren, berührt dabei jedoch einige wichtige Gesichtspunkte, die die Position des Körpers im vernetzten Raum (den der Autor im Wesentlichen als „textuell“ zu begreifen scheint) klären könnten. Die zentralen, allgemein gültigen Bestimmungen des Feldes seien die „der Transitorität, der Prozessualität und der Korporalität.“ Die bereits erwähnte relative Reproduzierbarkeit im Internet sträubt sich bereits auf den ersten Blick gegen die raum-zeitliche Transitorität des konventionellen Theaters, die die immer wichtigeren „bild- und tonbasierte[n] Formen der direkten, synchronen und reziproken Interaktion“ als solche nicht betrifft. Sandbothe betrachtet, dass viele telematische Interaktionsformen mit den offenen und reziproken Kommunikationsstrukturen vergleichbar sind, die wir aus den face-to-face Gesprächen kennen, doch wiederum mit dem größten Unterschied eben in ihrer Reproduzierbarkeit, die aber mit der allgemeinen Ausbreitung digitaler Medien eigentlich als eine notwendige Bedingung bzw. Umstand auch für den Großteil der künftigen face-to-face Kommunikation zu erwarten sei. In einer der gängigsten räumlichen Metaphern wird das Internet zum komplexen Speicher- und Übertragungsmedium, das den Menschen mit einer zwingenden Analogie zur tatsächlichen Lebenserfahrung (als Medien-Nutzung) anspricht:

„Mit Blick auf das Internet aber ist herauszustellen, daß die digitale Bühne des Cyberspace, d. h. der Raum, in dem die virtuellen Interaktionen stattfinden, technisch gesehen selbst ein Speichermedium ist. Das ist bei den alltäglichen Lebensräumen, in denen wir uns IRL [im realen Leben, P.P.] bewegen, nicht der Fall und markiert eine der basalen Differenzen, durch welche sich die virtuelle Welt des Internet von der physischen Welt des Alltagslebens unterscheidet.“<285>


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Unter dem Begriff der „Prozessualität“ beobachtet Sandbothe etwas vereinfachend, dass sich „im Internet eine Theatralisierung der traditionell als nicht-theatral aufgefaßten medialen Zeichenstrukturen von Bild und Schrift vollzieht.“<286> Andererseits wurden in den letzten zehn Jahren die Verschiebungen von Schrift (als Kode)<287> zum Körper (als direkte Präsenz) sowohl im traditionellen Theater - vor allem im Kontext neuer Medien - immer öfter betont, so auch etwa von der expertendiskursführenden Stimme Johannes Birringer: „Die Umkehr in die Magie des Physischen und in eine vom ‚soufflierten Wort‘ oder der Schrift befreiten Unmittelbarkeit ist das Ereignis, auf das das Theater immer gewartet hat [...].“<288> Die „Körperhaftigkeit oder Körpergebundenheit theatraler Prozesse“ im vernetzten Kontext problematisiert Sandbothe entgegen der traditionellen, raumpräsenten Körperlichkeit als eine neue Realitätsform, „deren Konstruktion sich in einem künstlichen digitalen Raum vollzieht, in dem die Nutzerinnen und Nutzer losgelöst von den raum-zeitlichen Zwängen ihrer physischen Körperlichkeit virtuelle Körper mit imaginären Eigenzeiten und Eigenräumen erfinden können.“<289>

Am neuen Medium ist eine gewisse „Theatralität“ gerade wegen der Abwesenheit einer fest strukturierten (ja sogar institutionalisierten) raum-zeitlichen Körperpräsenz festzustellen, was nicht nur auf der BenutzerInnenebene (Chats, MUDs, Homepages usw. als „Selbstinszenierung von Menschen, Institutionen und Themen“)<290> sondern


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wohl auch im Bereich der netzbasierten Kunst, größtenteils eben Internet-Kunst zu beobachten wäre. Zwar nur auf der semiotischen Basisebene, immerhin für das zweidimensionale Interface optimal geeignet beobachtet Sandbothe eine zunehmende „taktile Auszeichnung einzelner Zeichenkomplexe“<291> im Internet. Obwohl lediglich auf der Zeichenebene, beobachtet er treffend, „dass die aus dem Vis-a-vis-Gespräch bekannten Interaktivitätsmomente im Modus der Schrift auf eine medial entfremdete Weise neu inszeniert werden.“<292> Eine solche Dynamisierung des Bildes und Dramatisierung der Schrift kann auf jeden Fall als eins der zentralen Phänomene der Hypermedialiserung verstanden werden. Wenn auch Sandbothes Konzept von Multimedialisierung kaum die Grenzen des Spielraums zwischen (elektronischem) Text und Bild überschreitet, wäre seinem Beitrag eine Hoffnung auf eine ökologisch konzipierte Multimedialität<293> sowohl im technischen als auch im kulturellen Sinne zu entnehmen, die jedenfalls noch um einige Medien pluralisiert werden kann. Dass aus gewissen Perspektiven die räumlichen Metaphern auch als tief im Konkreten verwurzelt verstanden bzw. erlebt werden können, betont auch Derrick de Kerckhove, indem er behauptet, der metaphorische Cyberspace sei zumindest funktional auch „wirklich ein Raum“:

„Man kann ihn bewohnen, man kann ihn ordnen, man kann ihn zeitlich organisieren, man kann Gemeinschaften bilden, und er ist tatsächlich völlig anders als ein rein mentaler Raum. Er existiert objektiv. Und das halte ich für grundlegend. Gleichzeitig handelt es sich um eine räumliche Umgebung, die Planung erfordert, Organisation, Struktur, und die Struktur muss zuverlässig sein.“<294>

Vor allem im Bereich der Bühnen- und Kostümtechnik hat sich das Theater geschichtlich immer wieder als Generator, öfters auch als Versuchsraum technologischer Innovation erwiesen und beinahe alle Kulturen der Welt haben sich des allgemeinen technischen Fortschritts auch zu Darstellungszwecken bedient -


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stets im Dialog mit dem menschlichen Körper, dem „Primärwerkzeug.“ Dieses „tool“ bleibt offenbar weiterhin zwischen den Wünschen bzw. Bedürfnissen nach Inszenierung und den physischen Möglichkeiten des Individuums gespalten und bedient sich zunehmend der technischen Unterstützung, Erweiterung und Modifizierung - dies mit regelmäßigen Phasen der Rückkehr zu einer ursprünglichen Körperlichkeit und einem entblößten, enttechnisierten Schauspielkörper. Von den „machinas“ der alten Griechen über die mittelalterlichen transportierbaren und mit Spezialeffekten beladenen Bühnen wie auch der hochkomplexen Maschinerie eines Barocktheaters zu den Bühnen Wagners oder Piscators, des ästhetisierten hi-tech Raumes von Robert Wilson oder gar des komplett computergesteuerten Broadway Musicals reicht die Palette und verspricht das aktuelle konkrete Theaterexperiment-als-Institution noch um einige Parameter der digitalen bzw. elektronischen Medien zu erweitern (zunehmende Multimedialisierung der „traditionellen“ Bühnenaufstellungen, digitale Bild- und Tonbearbeitung bzw. Echtzeitmanipulation als Erweiterung des Schauspielers oder der Bühne usw.). Trotz der anhaltenden medientechnischen wie auch medienkulturellen Emanzipierung des Theaters könnte für die Situation an der Jahrtausendwende zweifelsohne eine elektronische bzw. mediale Revolution konstatiert werden.

Weit über das aus dem Alltag Bekannte hinaus spannt sich der Bogen der technischen Kreativität am Theater, zumindest aus der modern-westlichen Perspektive. Immer komplexer und mehrdimensionaler wurde die theatralische Darstellungs- und Illusionstechnik entlang der menschlichen Wahrnehmungsgeschichte - der technologische Fortschritt gleicht sich stets mit der allgemeinen Wahrnehmungsmodifizierung der jeweiligen Kultur wechselweise an. Wegen seines unbestrittenen Körperbezugs sowie seiner auf zwei Dimensionen reduzierenden Guckkastenästhetik und -technik fügt sich das (erst vor kurzem breiter anerkannte) Internet-Theater - hier in der Rolle des virtuellen Theaterexperiments-im-Computernetzwerk - als eine ergiebige Quelle etlicher Ansätze, die später zur Untersuchung komplexerer Phänomene und Problemstellungen computerbasierter Kunst implementiert werden können. Zwischen der Zweidimensionalität des traditionellen Bildschirm-Computers und der Dreidimensionalität (samt der Präsenz) des Theaterraums mag der Computermonitor als eine elektronische (und ironische) Steigerung der Guckkastenbühnenästhetik ad absurdum erscheinen.<295> Doch wenn man die tatsächlichen Interaktionsmöglichkeiten der DurchschnittsnutzerInnen genauer beobachtet, gleichen die Kommunikationserwartungen weitgehend denen der Guckkastenbühne! Dies wäre vor allem sowohl den tradierten Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern der breiten NutzerInnenpopulation als auch den (damit eng zusammenhängenden) unterentwickelten bzw. unzugänglichen Schnittstellen (Kapitel 1.3.1.) zuzuschreiben, keinesfalls jedoch einer geringen Kreativität im Bereich, die sich gerade wegen erwähnter Einschränkungen wohl aus kompensatorischen Gründen auf bemerkenswertem Niveau befindet.

Als ein wiederum theaterspezifisches Problem im Kontext des Internets (nach


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Sandbothe als eines Darstellungsmediums schlechthin) zeigt sich die Reproduzierbarkeit der Handlung; ein weiterer Gegensatz wäre die einheitliche Räumlichkeit des traditionellen Theaters und die delokalisierte bzw. sog. distribuierte (siehe unten) Performanz im Internet. Laut einigen journalistischen und kunsttheoretischen Stimmen ist die Zeit des Internet-Theaters schon längst um, aus der Kunstszene wird jedoch von immer neuen experimentellen Projekten berichtet - es werden sogar Unternehmen in dieser Branche gegründet.<296> Wie schon einmal das Fernsehen, übernimmt das Internet - vor allem sein auf „NutzerInnenführung“ bzw. Konkurrenzfähigkeit orientiertes Webdesign - die Strategien des Theaters, darunter auch einige, die nicht über die Wahrnehmungsschule des Fernsehens vermittelt worden sind. Die Projekte aus dem Angebot des Internationalen Ideenwettbewerbes „Webscene“ im 2000 (in Kooperation von „SPIELART München“ und „Ars Electronica Center“ Linz), wo sie „als Anregung für die Theater- und Performance-Szene, sich mit dem Internet als Medium und Gestaltungsmittel zu beschäftigen“<297> gedient haben sollen, könnten mithilfe eines Kategorisierungsversuchs von Gisela Müllers folgenderweise in einem kurzen, doch für den neumedialen Bereich repräsentativen Überblick zusammengeführt werden:

  1. Netz- oder Onlinetheater - Internet Seiten, die einem konventionellen Theater(ereignis) „nachempfunden“ werden; virtualisiertes Theater mit partizipativen Elementen, jedoch ohne Interaktion; beispielsweise kann man die Figuren, die Handlung und die Umstände auswählen und danach das „fertige“ Stück etwa durch Datenhelm, Cyberanzug oder in 3D-Projektion zwar genießen, die echtzeitlichen Eingriffsmöglichkeiten ins Geschehen wie auch die körperliche Identifizierungsqualität seitens der RezipientInnen bleiben jedoch weitgehend beschränkt;
  2. Spiel - die NutzerInnen werden (inter)aktiv ins Geschehen gezogen und können es nach der Analogie der Computerspiele in der Echtzeit beeinflussen; der Wettbewerbscharakter rückt ins Vorfeld, es handelt sich um den Sieg auf Basis der Intelligenz, der Reaktionsgeschwindigkeit und nicht zuletzt auch der Qualität der Darstellung (zwischen Ästhetik und Design); Verbindungsgeschwindigkeit oder technische Ausrüstung, sogar relative Medienkundschaft können zu relevanten Rahmenbedingungen der Teilnahme/Ausgeschlossenheit bzw. des Sieges/Niederlage werden;
  3. Software - als „Künstlersoftware“ ein immer wichtigeres Thema vieler Kunst- und Medienfestivals; von komplexer Produktions- und Kollaborationssoftware für örtlich distribuierte, also „fernbediente“ (interaktive) bzw. „ferngesehene“ (interpassive)<298> Theatervorstellungen zu den webbasierten Geschichte-

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    Generatoren und virtuellen, vorprogrammierbaren Theaterfiguren (Avatare, Bots);
  4. distribuierte Performance - zur Zeit künstlerisch wie auch technologisch mit höchstem Innovationspotential besetzten und meistversprechenden distributed Performances,<299> wo delokalisierte Räume auf einer Webseite, oft aber auch simultan an allen physischen Lokalitäten zusammengeführt werden; die technischen Ansprüche dieser Projekte sind am höchsten (immer schnellere Internet- bzw. Netzwerkverbindungen zur Echtzeit- und Ganzkörperinteraktion, immer genauere und facettenreiche Aufzeichnungs- und Wiedergabetechnik für echtzeitliche Manipulation/Modulation);
  5. prozessgesteuerte Aktion - die Projekte erstrecken sich oft auf einen längeren Zeitraum und/oder auf mehrere Internetseiten; die fiktive bzw. theatralische Handlung (als die einzige einheitliche Kategorie) bezieht sich auf übliche (fiktive!) Handlungsmuster im Internet und versucht, sie vorzutäuschen/darzustellen; die InternetnutzerInnen werden im Rahmen ihrer üblichen online-Tätigkeit wie z. B. chatten, browsen, emailen usw. (wissend oder auch unwissend) miteinbezogen;
  6. „Faked Fiktion“ - erinnert an typische Genres der erzählenden Internetliteratur wie Kriminal- oder Abenteuerroman, die in diesen Projekten im Sinne einer theatralischen Auswertung multimedial und schauspielerisch erweitert werden; Figuren werden von realen Menschen mit ihren Körpern dargestellt, doch digital In-szeniert, „SchauspielerInnen“ verändern aktiv das Geschehen im Netz, z. B. durch Chats, Emails oder Webcasts und interagieren mit den NutzerInnen.

In seiner Erörterung des „Online Theaters“ beobachtet der Internet-Theaterpraktiker Gerhard Sperling<300> eine für die aktuelle Kultur sogar identitätsstiftende „Nichtörtlichkeit“, ein zeitspezifisches Bedürfnis nach Delokalisierung. Die Einheit von Raum und Zeit sei absolut überwunden worden, sowohl auf der Bühne als auch im Foyer. Auf der Welle des neuen Mediahypes ziehe das theatralische Geschehen laut Sperling aus dem Theater auf die intimen Desktops des Publikums, in halböffentliche (elitär anmutende?) Clubs und Lounges. Theater in seinem traditionellen, konkret-physischen Sinne bleibe als nur eine unter den vielen Optionen, die man in sein Theatererlebnis managen soll - und immer öfter lediglich als historische Referenz. Die Entwicklung des „Online Theaters“ kann, so Sperling, in Deutschland bis in das Jahr 1997 zurückverfolgt werden, als delokalisierte Bühnen (überwiegend noch über ISDN-Verbindung) zwar schon funktionierten, immerhin aber die entscheidende Qualität einbüßten: die Interaktion mit den ZuschauerInnen, ihre aktive telematische Teilnahme am theatralischen Geschehen. In dieser Hinsicht setzt Sperling Hoffnung auf Avatare, die in einem solchen Theater eine vielseitige Verwendung finden können. Als menschliche RepräsentatorInnen im virtuellen Theaterraum könnten sie sich nicht nur um Kartenreservierungen (für diese Funktion eignen sich besser Bots)<301>


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kümmern, sondern vor allem als komplexalgorithmische MitgestalterInnen des Programms, einschließlich Bühnen- oder Figurengestaltung fingieren. Solche „Ersatzwesen“ können aber nicht nur gut vermarktet werden und allgemein (wohl nach den soziologischen Modellen der MUDs und MOOs)<302> für frischen Wind im KonsumentInnenbereich sorgen. Als Hauptdarsteller würden diese manipulierbaren fiktiven (nicht unbedingt virtuellen!) Körper auch viel weniger kosten, erheblich mehr „können“ und ein bisher dahinvegetierender Theaterbetrieb könnte sich laut den Visionen Sperlings somit in ein finanziell erträgliches virtuelles Projekt umwandeln. Im Sinne einer interaktiven Live-Regie in Echtzeit taugten die Avatare ebenso gut für Feedback-Schleifen zwischen den BenutzerInnen und dem virtuellen (volldigitalen) oder auch physisch-realen (elektronisch vermittelten) Geschehen auf einer mehr oder weniger konkreten Bühne. Ein solches Theater wäre aber vor allem anfangs, also bis sich die tradierten Wahrnehmungsmuster noch nicht auf neue Simultanität und „Nichtörtlichkeit“ umgestellt haben, auch nur „einseitig“ erlebbar, sowohl im traditionellen Sinne eines Theaterbesuchs wie auch als passiv zu rezipierende Internet- oder sogar Fernsehübertragung. Die tatsächliche Entwicklung zu einer breiteren Benutzung in dieser Richtung hängt, so Sperling, noch stark von den Schnittstellen ab. Die Ergonomie wie auch die Ökonomie der technisierten Kommunikation zwischen dem menschlichen Körper und den verschiedenst digitalisierten Räumlichkeiten und Körpern befindet sich zur Zeit - zumindest im theatralischen Kontext - offenbar noch keinesfalls auf einer Stufe der breiten Verwendbarkeit.

Es ist besonders bemerkenswert, dass die beiden Sieger des Ideenwettbewerbs für das Jahr 2000 in die letzte Kategorie der „geschichtenerzählenden Multimediadarstellungen“ (mit Elementen von Prozessteuerung) gehören, was wohl erneut vermuten lässt, dass sich auch die künstlerisch-mediale Dynamik des Internets am historischen Modell des stets prämierten Schrift-, Buch- und Literaturwesens<303>


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stark orientiert - zumindest anfangs und im kompetitiven Wettbewerb-Kontext. Gewiss bleiben auch hier die mediumimmanenten kreativen Potentiale immer wieder in den Konventionen der literarischen Fiktionalität (als linearen Narrativität) haften, obwohl sich laut einigen zukunftsträchtigen Visionen eine spezifische Netzästhetik jenseits tradierter kunst- bzw. literaturhistorischer Muster trotz diverser Todeserklärungen an die vernetzte digitale bzw. elektronische Kunst erst im Aufmarsch befinden soll<304> - zumindest noch auf der breiteren NutzerInnenebene. Vor allem die TheoretikerInnen und KommentatorInnen, aber auch ein Großteil der InternetnutzerInnen befinden sich hinsichtlich der Hardware-Ausstattung und Übertragungsgeschwindigkeiten vermutlich noch weitgehend auf der zweidimensionalen, primär schrift- und bildbasierten Kommunikationsstufe. Letzteres wurzelt immer wieder sowohl im global ungleich verteiltem technologischen Standard als auch in etlichen ideologischen Festsetzungen medienkultureller und -politischer Natur - vom stereotypen Urteil bis zur demagogischen Agenda. Sie bedürfen einer breiteren Darlegung und Diskussion, die aber den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde. Es liegt an der menschlichen (individuellen wie auch kollektiven) Kreativität und ihren möglichen Förderungsstrategien (Institutionalisierungen), sich die Technologien in einer Weise anzueignen, die eine Revision und Regeneration eigener Handlungs- und Denkweisen ermöglicht.

Immerhin handelt es sich bei solchen praktischen Pilotversuchen wie dem Internet-Theater prinzipiell um eine tatkräftige Überholung der Theorie anhand eines synergetischen Zusammenführens zweier kreativen Bereiche, in den Worten Gisela Müllers um „das Potential des Internets als ‚Bühneraum‘ auszuloten, bzw. das Potential des Kunstgenres Theater zu untersuchen, im Hinblick darauf, ob theatrale Herangehensweisen neue Impulse oder andere Gestaltungsmöglichkeiten für das Medium Internet liefern können.“<305> Obwohl die körperlichen Spielräume des Theaters auf den ersten Blick im vernetzten Kontext kaum verwertet werden können, handele sich eben bei den beiden Siegern des genanten Wettbewerbs doch „um vermisste Körper. Jene Körper, fragt man sich da, die es dann doch nur im Theater geben kann und die im großen weiten Cyberspace nirgends zu finden sind“<306> - eine Tatsache, die den rein fiktionalen Rahmen dieser Mischkunst in der Zukunft gewiss zu sprengen verspricht. Im Einklang mit den Prämissen Fischer-Lichtes betont Müller, dass die internetbasierten Streaming-Verfahren, die den Körper sowie den Raum durch die immer noch unbefriedigende Video- und Audio-Technik den BenutzerInnen nahe zu bringen versuchen, stets an der Authentizität scheitern müssen, sowohl im Sinne der (un)empfundenen körperlichen Präsenz wie auch im Sinne der fraglichen Glaubwürdigkeit des Geschehens. Die Fragen, ob es sich um einen kurzen Videofilm oder eine live Übertragung handelt oder ob das ein „echter“ Schauspieler und ein tatsächlicher Raum sei oder nicht, werden zunehmend zu den Spielfeldern des so oft beschworenen „Fiktionalitätstriebes“ (der sich im multimedialen Kontext zweifelsohne auch anders befriedigen lässt).

Wegen der immer noch unüberzeugenden und/oder unzugänglichen Schnittstellen, die eine intensive telematische bzw. überzeugend immersive Körpererfahrung


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ermöglichten, richten sich die Versuche wieder nach den Kombinationen mit physisch-realen Environments. Die Kommunikationskanäle und -kodes, die sich zwischen der digitalen (digitalisierten) und der physisch-realen Welt samt ihrer elektronischen Vermittlung gleitend bewegen, kommen der tatsächlichen, tagtäglichen NutzerInnenerfahrung und so den kommunikativen Voraussetzungen wohl am nächsten. Die neue Wunschversprechung heißt auch im Bereich des Theaters Mixed Reality.<307> Vor allem das Konzept des Internet-Theaters vermag anhand dieses Prinzips nochmals neu definiert zu werden, laut Gisela Müller als eine intensiv interaktive „Erforschung dieser seltsamen Orte zwischen Realität und Fiktion, die Gratwanderung entlang der Schnittstellen von Echtem und Virtuellem, Lokalem und Globalem; Leben und Kunst.“<308>

1.2.2.3 Installierter Raum<309>

Ein optimales - und auf das neumedial veränderte Theater und den Tanz durchaus übertragbares - Schnittstellenkonzept (siehe Kapitel 1.3.1.), das den ganzen Raum als Schnittstelle versteht und dabei primär den menschlichen Körper einsetzt, also die Sinnespotentiale des Menschen in ihrer Gesamtheit beansprucht, kündigt sich in etlichen Forschungsprojekten von Instituten wie der deutsche „MARS“ oder der US-amerikanische „MIT“ an.<310> Die ganzkörperliche Erfahrung in den Mixed-Reality Environments entspringt dem Verstehen der Schnittstelle als „Situation“, die sowohl die Geräte in ihrer räumlichen Positionierung und Bezug zum Körper als auch das Design im breitesten Sinne (Ergonomie, Ökologie) mit einbezieht. Soweit man also im völlig virtuellen Paradigma des Internets verharrt, ohne die Schnittstellenstrategie und den konkreten menschlichen Körper mitzudenken und -praktizieren, stimmt es auch aus der Zukunftssicht des traditionellen Theaters, „dass es Strukturen und Möglichkeiten von Internet übernimmt, dadurch aber sein Raumkontinuum verliert.“<311> Angesichts kultureller Dynamiken (vor allem jedenfalls des technologisch hochentwickelten modernen Westens) sind Ansprüche auf einen ganzheitlich kontinuierlichen, sei es „künstlerischen“ oder auch „alltäglichen“ Raum ebenso überholt wie die immer noch gängigen Vorstellungen von „normaler“ Geschwindigkeit oder Beschleunigung.<312> Immerhin bleiben die an den biologischen Körper


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gebundenen optimalen Größen nur relativ konstant - die gleichmäßige Schulung bzw. Steigerung des körperlichen Wahrnehmungs- und Reaktionsoptimums angesichts neuer Transport- und Kommunikationstechnologien erfolgt vor allem im elektro(nisch)-technischen Paradigma intensiv und wechselseitig. Deshalb bedarf es möglicherweise nach einer kontrollierten, vorinstallierten und vorprogrammierten Umgebung, um den menschlichen Körper und seine Sinne auf die Zukunft zu testen (nach Virilio „vorzubereiten“), wobei ein kreativer, künstlerisch sowie techno-logisch offener, explorativer Modus von größter Bedeutung sein kann.

Sobald jedoch die Mischformen und Grenzgänge zwischen Kunst und Wissenschaft wieder zu einer gemeinsamen Handlung am gemeinsamen Ort<313> gefunden haben, lässt sich die bereits überholte Divergenz zwischen dem virtuellen und dem konkreten Raum auch im medialisierten Alltag kreativ umsetzen. Die MitarbeiterInnen des MARS‘ behaupten, dass der Raum im künstlerischen Kontext in erster Linie als „Erkundungsraum“ für den Besucher angeboten werden müsste. Erst die nächste Stufe beinhaltet auch eine gesteigerte Performativität. Jenseits vom streng koreographierten „dar-stellenden“ Theater, wo der Raum lediglich als Bühne für den Körper „vor-gestaltet“ wird, befinden sich die Erfahrbarkeit und die Kreationsmöglichkeiten des installierten Multi-User-Raumes, wo die persönliche interaktive Erfahrung aller TeilnehmerInnen am bzw. Positionen zum „Kunstwerk“ intensiviert wird. In den Rauminstallationen der frühen neunziger Jahren wurden die BesucherInnen laut Jasminko Novak lediglich auf die Bemühungen hingewiesen, das System zur Kommunikation zu bringen, um „etwas schönes mit der Technik zu machen.“<314> Angesichts der schnellen technischen (öfters eigentlich künstlerisch-reflexiven) Entwicklung stehe man nun vor der Herausforderung, den technisierten und medialisierten Raum zur Bereicherung der Real-Raum-Erfahrung in ihrer multisensoriellen Qualität aufzubereiten.

In seiner von Roman Ingarden und Jean Baudrillard inspirierten Abhandlung über „Atmospheres of Extraordinary in Installation Art“<315> beobachtet der Medienphilosoph Janez Strehovec an der heutigen „Technokultur“<316> eine radikale kunsthistorische Wende zu einer bedingten und relativierten körper- und raumbedingten Kunstform von


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Konzepten, Netz-Projekten, computer-vermittelten Situationen und virtuellen Artikulierungen als „would-be-works of art.“<317> Kunst am Anfang des 21. Jahrhunderts sei nämlich nicht mehr imstande, sich selber zu rechtfertigen - entweder sie entwickelt sich unter dem Einfluss ästhetischer bzw. kunsthistorischer Theorien oder sie hängt von den Techno-Paradigmen bzw. den dazugehörigen Marktmechanismen ab. Das Subjekt in einer solch relativierten „Als-ob-Kunst“ ist ein multiples Ego innerhalb eines verletzlichen, technologisch bedrohten und verführten Körpers, der sich in radikal verschiedenen sexuellen, religiösen und ästhetischen Praxen wieder(er)findet. Die Kunst im digitalen Kontext ändert ihre soziale Funktion (Benjamin) und verliert zuerst ihr konkretes Objekt, später entwickeln sich organisch-spontan körperlich verbindliche und konkret erfahrbare Kunstwerke im Sinne von Simulatoren (auf der populären Ebene der Vergnügungsparks) und Installationen (Institutionalisierte „höhere“ Kunst-cum-Wissenschaft) oder sogar hochentwickelten Schnittstellen auf der allgemeinen Durchschnittsnutzungsebene (Maus, Joystick, Konsole, 3D-Ton und -Bild). In der stilisierten Situationalität computerbasierter Installationen entdeckt Strehovec die höchste Stufe solch erweiterter Realität als erweiterte Wahrnehmung (von der Augmented zur Mixed Reality):

“These are the works and would-be-works introducing us to the environment of augmented reality based on given realities and in artificial and virtual realities. Augmented realities are entered by way of using interfaces, meaning that techno-would-be-art is part of interface culture. By facing augmented reality and its advanced (even subtle and fragile) objects, like avatars, an augmented, techno-modelled perception is being formed which is getting more and more typical for homo aestheticus.“<318>

Den Zugang zu diesen Kunstwerken erhofft sich Strehovec von der ästhetisch- und medientheoretischen Seite und verwendet dazu Roman Ingardens Theorie der „metaphysischen Realitäten“,<319> die bei solchen Kunstwerken die „Formierung solcher Situation und ihre besondere Choreographie“ am besten beschreiben sollen. Ansetzend bei den Merkmalen literarischer Werke überträgt Strehovec die metaphysische Herangehensweise Ingardens auf die „physische“ Situationalität der Installationskunst. Das Wesen dieser „Besonderheit“ erkennt er eben in der totalen, immersiv überzeugenden und multisensorischen Abwechslung vom Alltag, woraus ein spezieller, außerordentlicher und „tiefer Lebenssinn“ entspringt. Somit erfolgt ein „Schritt in die primäre Existenz,“ die durch die extreme Erlebnisqualität der sensorischen Überflutung keinesfalls wertende Differenzierungen zwischen


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„angenehm“ und „unangenehm“, sogar zwischen „gut“ und „schlecht“ zulässt.<320> Vor allem wegen ihrer intersubjektiven Unüberprüfbarkeit und begrifflicher Eigenart mag eine solche Auslegung zuerst zwar Vereinfachend und nebulös erklingen. Bei einer näheren Auseinandersetzung mit Erfahrungsberichten und allgemeinem Feedback, die solcher Kunst und ihrer Rezeption nachgehen, zeigt es sich dennoch, dass es sich auf solche Weise dem streng wissenschaftlich sonst schwer zugänglichen Gebiet subjektiver Raum- und Körpererfahrung erstaunlich nahe kommen lässt. Die vorliegende Arbeit nimmt sich vor, dies methodologisch ausreichend zu begründen (Kapitel 2.) und empirisch bzw. produktionstechnisch sowie -ästhetisch so korrekt wie möglich zu realisieren (Kapitel 3.). In Rückgriff auf Gernot Böhme präzisiert Strehovec die „Atmosphäre“ als einen situativen ästhetischen Zustand, indem die Form des „Dinges“ (Kunstwerk als konkretes Objekt) nach außen zu wirken beginnt und die ästhetische Aktivität des wahrnehmenden Menschen die Ekstase (als kulminierende Interaktion zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen) auslöst und steigert. Strehovecs Auffassung ergänzt somit auch die Hervorhebung von besonderen Atmosphären bei Erika Fischer-Lichte.<321> In diesem Kontext betrifft ein solches Konzept der Kreation von „außerordentlichen Atmosphären“ eine weitestgehend denkbare Palette moderner Praxen, artikuliert als Situationen (Installationen in konkretem Sinne), Events und Atmosphären sowie Konzepte und Programme.<322>

Die spezifische Qualität des „Events“ als ein intensives, unvergessliches - i. d. S. meistens affektiv besetztes- Ereignis<323> bezieht sich also in diesem Sinne auf die Situation und die Erfahrung des Extremen in einer stilisierten Form, die das Außerordentliche in ein „Event“ zu transformieren vermag.<324> Die Realisierung dessen liegt laut Strehovec weiterhin im Wesentlichen beim Künstler bzw. den Produzenten (samt Techniker, Wissenschaftler usw. im interdisziplinären Sinne) und ihrer Arbeit mit Software und Hardware, die das komplexe Medienkunstwerk zu sensorieller Orchestrierung im immersiven (auch eskapistischen) Effekt konzipieren, optimieren und zur „mythischen Dimension“ hervorheben soll.<325> „Technology itself became


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cultural and artistic, it produces dramatic effects, it is used as the source of artistic imagination and enters into the drive of a new mythology.“<326> Eine mitgestaltende Interaktionsrolle des konsumierenden Rezipienten scheint Strehovec jedoch weiterhin nicht zu erkennen - der Autorenkult scheint, zunächst in den installativen „Atmosphären“ der Neunziger, weiterhin zu haften. Mit Anna Munsters Begriff der “Affektivität“ im digital-künstlerischen Kontext ließe sich das Konzept der “Atmosphären des Außerordentlichen“ (samt all ihrer inner- sowie außerräumlichen Potentialität) plausibel aus der anthropozentrischen Perspektive zu einer ökologisch sowie ontologisch balancierten Optik erweitern:

„Jeder maschinische Prozess, ob technisch, biologisch, ästhetisch oder sozial, ist geprägt vom Übergang von dieser virtuellen Plastizität exzessiver Elemente zur Verwirklichung der dadurch erzielten Linien, Karten oder Verräumlichungen. Jeder maschinische Prozess, der in seiner affektiven Dimension verstanden wird, wird diese Verräumlichungen hervorbringen, die etwas anderes, als sie tatsächlich sind, hätten sein können und immer sein könnten.“<327>

1.2.2.4 Zwischen Territorien: Reflexion eines Tänzers

Um ein Gegengewicht zu den (i. o. S.) affektiv-affirmativen Positionen anzubieten, soll an dieser Stelle betont werden, dass ein elektronischer Alltagsraum (auch in seiner kreativsten Ausprägung) nicht ohne Weiteres als rein künstlerischer Raum betrachtet werden kann. Solch „profane“ Nutzung der elektronischen Medien bezeichnet sowohl eine pauschale Po(pu)larisierung als auch eine absolute politische bzw. strategisch-territoriale Aufladung des ohnehin hochpolarisierten Bereichs. Die kreativen Impulse der Produzierenden müssen sich auch in diesem Feld - wie ebenfalls in anderen künstlerisch aus- und umgewerteten Medien - oft mit besonderem Engagement gegen gleichschaltende Alltagsnutzung und manipulative Ausbeutung des Medieunmündigen positionieren. In seiner technisch erweiterten tänzerischen Praxis empfindet Kent de Spain den Raum zunehmend als eine „politische Dimension“ des kommunikativen Körpers und fragt nach den grundlegenden Motiven des Menschen für sein weiteres Eindringen in den digitalen Raum, das er u. a. offenbar auch in seiner eigenen Tätigkeit beobachtet. Die Zuspitzung dieser Problematik sieht er eben in der physischen Schnittstelle.

De Spains tiefgreifende Reflexion seiner eigenen Arbeit im digitalisierten und mit elektronischer Daten- sowie Impulsübertragungspotenz aufgeladenen Raum beginnt mit der Zentrierung auf die Territorialität des Menschen und auf seinen Trieb nach Erhaltung - nicht jedoch unbedingt nach maßloser Erweiterung - seiner Räumlichkeiten im breitesten Sinne.<328> Doch diese „Liminalität“ (hier als einer Art


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Grenzentoleranz oder sogar -neugier) des Menschen ist also auch im virtuellen Raum relativ hoch. Durch Computervernetzung käme es zu einer unabdingbaren Eindringung in die Räume des Anderen. Eine solche auf den ersten Blick technoeuphorische Positionierung könnte gewiss als untypisch für einen Tänzer bezeichnet werden, immerhin klingt sein Versuch, den neuen elektronischen Raum in bekannte anthropologische Kategorien einzubetten, äußerst plausibel:

“If we only glance at the history of our relationship to space, it might be tempting to see virtual space as something fundamentally different, a profoundly new space requiring a profoundly new human (or post-human) embodiment. Perhaps that will turn out to be the case.“<329>

Dies platziert De Spain in den Kontext anderer bzw. aller menschlicher Räume im Sinne Virilios, da sich die Menschheit schon seit Jahrtausenden auf die Aneignung bzw. Besiedlung virtueller Räume vorbereitet hätte. Die Virtualität sei nämlich eine logische und vielleicht sogar unausweichliche Erweiterung zweier zentraler Merkmale des Menschen: erstens seine Benutzung „abstrakter“ Räume (entweder durch ihre Generierung bzw. Modulierung oder durch die Transformierung „realer“ Räume für kulturelle Zwecke) und zweitens die technologische Erweiterung des Zeit-Raumes eines kommunikativen Körpers. Nach einem misslungenen Versuch, die paradoxe Virtualität des Computerraumes auf den Festplatten bzw. in den Arbeitsspeichern konkret zu lokalisieren, untersucht De Spain noch die visuellen Schnittstellen (Monitor, Projektor, Datenbrille) - einfach wegen der allzu oft vorangenommenen Tatsache, dass Menschen visuell orientierte Wesen sind. Bei delokalisierten Kommunikationssituationen wie Telekonferenz oder distribuierte Tanz- oder Theatervorstellung wird der Raum eben bi- bzw. multilokal, deswegen versucht De Spain das Rätsel durch den Begriff des „abstract‚ communicative space“ zu lösen.

Offensichtlich jedoch waren solche abstrakten Kommunikationsräume bereits für die ältesten Kulturen von zentraler Bedeutung, vielleicht sogar zugänglicher, bedingt lediglich mit kognitiven und körperlichen (Meditations)Techniken - und nicht Technologien: „spaces, imaginary spaces, and mathematically-based n-dimensional abstract spaces such as Riemannian, projective, or topological spaces are all examples of this human power.“ So betrachtet De Spain den virtuellen Raum als nur einen von vielen, die der Mensch erschaffen, erforscht und letztendlich auch kolonisiert hat. Dies mit einer einzigen besonderen Hochleistung: der unvergleichlich exakten und umfangreichen Speicherung und Vermittlung menschlicher Kommunikation.<330> Angesichts der noch sehr begrenzten Möglichkeiten bzw. der fraglichen Zukunftsqualität dieser in der Regel quantitativ begründeten Schlussziehungen,<331> mag die Richtigkeit solcher Aussagen wirklich von der kulturgeschichtlichen Perspektive abhängen. Deshalb sei auch mit einem Verlust der


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Kontrolle über unsere „Nachrichten“ zu rechnen, da es eben keinesfalls einfach sei, in digitalen bzw. virtuellen Welten den eigenen Augen zu glauben: „If we create images and text apart from our own embodied presence, we no longer control or even know what has happened or will happen to our message.“<332> Der Körper samt seiner (durch die statistische Sicherheit der Gewöhnung) konsensuellen sensorischen Zuverlässigkeit scheint sogar an den Grenzen zu den Datenräumen (auch als kulturellen Kontexten!) eine letzte Orientierungsinstanz zu bieten, die offenbar noch eine beträchtliche Zeit „mit hereingenommen“ werden kann - und soll.

Nach einer geglückten Parallelstellung des Mythos vom virtuellen Raum und des amerikanischen “frontier“ Mythos verweist der vielfach selbstreflektierte Amerikaner De Spain sozialkritisch auf ein damit eng zusammenhängendes Problem: auf der “digital divide“ schlägt die Territorialität des virtuellen Raumes in konkrete Konsequenzen um.<333> Bereits eine oberflächliche Beobachtung des Computeralltags ergibt einen hohen kulturgeschichtlich-komparativen Wert mit einer besonderen ökologischen-als-umweltschutzbezogenen Note, wo der elektromagnetische Speicherplatz den konkreten (Abstell- bzw. Aufbewahrungs)Raum für den menschlichen informativen Inhalt ersetzt.<334> Die kultur- und medienkritische


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Abhandlung des technologisch emanzipierten Tänzers schließt mit einer Erkenntnis, dass der elektronische Raum zwar oft, nicht jedoch unbedingt metaphorisch verstanden werden muss: er kann auch konkret erfahren werden - wenn nicht ganz im Sinne von „Okkupierung“, dann besser noch als „physische Interaktion“.

Es sei offenbar nicht schwer, sich vorzustellen, dass die digitalen Repräsentationen und Modelle einen „wahren“ räumlichen Charakter besitzen: erstens die Desktops (als solche zweidimensional, die aufeinandergelegten Fenster wohl als 3D-Metapher) und Icons; dann die abstrakten „Lebensräume“ wie Chatrooms, virtuelle Städte oder eben die sog. „private rooms“; und schließlich die durch Mappierung und Animation generierten dreidimensionalen Objekte und Räume, die größtenteils auf der zweidimensionalen Oberfläche des Computers vor-gestellt werden (selbstverständlich samt aller Avatare und Agenten, die uns als „Einheimische“ durch diese Räume führen können). Ausnahme sind hier wohl die installierten elektronischen Umgebungen (CAVE, Blue Box usw.), HMDs („head mounted display“ als „3D-Brille“ bzw. „Datenbrille“ mit Kopfhörer und Bewegungssensoren) oder sogar ganze Datenanzüge, die aber alle im Bereich der DurchschnittsnutzerInnen (immer) noch nicht realisierbar bzw. zugänglich sind.<335> Ein anderer Weg der virtuellen Eroberung ist die elektronische Erfassung menschlicher Physis (Bewegungserfassung, digitales Video, Animation), womit Körper-Darstellungen entstehen, die überzeugend genug sind, um die menschlichen Kreativitätspotentiale noch um einiges herausfordern zu können - auch diesem Aspekt soll im zentralen Teil der vorliegenden Arbeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Eine dritte Herangehensweise an den elektronischen Raum bestehe in der Invasion intimster menschlicher Räume, nicht zuletzt auch des eigenen (individuellen) Körpers. Als einem Tänzer erscheint Kent de Spain dieser haptisch und kinästhetisch intensiv besetzte, „hybride“ Raum als ein neuer Freiraum zur Erforschung von Bewegungsmöglichkeiten.<336> Die Schwerkraft, eine wesentliche Kategorie des Tanzes, wird auf einmal nicht mehr maßgebend, zumindest nicht auf der Ebene der


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Repräsentation.<337> Die Grenzen der „technologischen Barriere“ werden bei kreativer Auseinandersetzung mit Computern immer leichter überwunden und verwischt:

„In some ways it is surprising that dancers would want access to this terrain. It is a world that lacks the mass, the gravity, the sweat and breath and effort of human movement. Yet our primary entry points to the virtual world are screens and projectors, and a visual field is a fertile site for movement invention.“<338>

Mithilfe von Beobachtungen De Spains könnten die computerbasierten tänzerischen Projekte nach drei Paradigmen kategorisiert werden. Für die vorliegende Arbeit diene dies lediglich als Vorschlag der Schwerpunktsetzung sowie als eine erste taxonomische Orientierung unter den hierzu relevanten Theorien und Projekten:

1.2.2.5 Neue Resonanzräume des bewegten Körpers<340>

Wesentliche Durchbrüche sowohl in körperlicher Darstellung (Körper als Medium bzw. Werkzeug) wie auch im dargestellten Körper (als Thema bzw. Metapher) bezeichnete


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ohne Zweifel die Performancekunst - besonders in ihrer Ausprägung als Medienkunst. Dies wegen ihrer Gebundenheit an die konkrete Situation bzw. Umwelt sowie ihrer Experimentierfreude mit dem zunehmend divergent konnotierten Raum. Im Unterschied zum postmodernen Theater wurde die räumlich-körperliche Dimension des Menschen in der Performancekunst umso konkreter benutzt: es wurden eigene, problematisierte Körper auf realen, politisierten Orten dar- bzw. hingestellt. Durch Thematisierung des Körpers-im-Raum - Raum als Territorium und konkrete Identitätsgröße sowie als Konzept und Symbol - versuchte sich die neue Körperkunstform bereits in den frühen siebziger Jahren vom traditionellen Theater abzugrenzen. Am wichtigsten sei laut Johannes Birringer genau ihre Positionierung zum (und Verwendung vom) medial dargestellten Körper (als Körper-im-Bild) gewesen, was zu einer Konkretisierung der körperlichen Metapher und ihrer Ablösung vom arbiträr Zeichenhaften führte: „Es gibt keinen abstrakten Blick auf Bilder (Körper), die aus dem materiellen Raum verschwunden wären. Die Metaphern sind konkret.“<341>

Am postmodern problematisierten, zwischen Raum und Zeit sowie zwischen seinen vielen Identitäten gespaltenen Körper spielt sich auch das zeitgenössische Spannungsverhältnis zwischen (zeichenhaftem, zunehmend digitalem) Bild und materieller Realität im breitesten Sinne ab: „Die Videoinszenierungen und die Videokunst in der Performance Art der letzten Jahre sind Versuche, diesen Trennungen und der Dominanz der Medienoberfläche vorzugreifen.“<342> Genau die körpergebundenen und intermedialen Darstellungsformen betonen die Grundfragen des menschlichen Daseins im elektronischen Raum, indem sie sowohl seine subtil programmierte/-ende Tiefenstruktur wie auch die nutzungsbestimmten/-enden Kontaktoberflächen problematisieren. Die körperlich-affektive, wie auch die kognitive Reflexion einer performativen (ästhetisch konstruierten, ortsbezogenen) Situation wäre aus dieser Perspektive der höchste Gewinn einer interdisziplinär bzw. interkulturell wirksamen Medienkunst zu betrachten.<343>


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Beim sog. Cyberstaging<344> von Richard Wagners „Parsifal“ bediente sich Christoph Rodatz neuer Medientechnologien am alten Stoff und im traditionellen Raum (eines Museums). Die Inszenierung basiert laut dem Autor auf einfachen technischen Lösungen für die Darstellung komplexer Netzwerk-Kommunikation auf der Bühne und fügt sich somit an dieser Stelle transparent als Veranschaulichung der Beziehungen zwischen Präsenz und Telepräsenz im Bühnenraum und seiner Erfahrung.<345> Das intensive Erleben der Räumlichkeit sowie der eigenen, wie auch der fremden Physis wird in einer fragmentierten und individualisierten Weise erlebt, was aber angeblich „auf Kosten der Handlung und des Gesamtkunstwerks Wagners geht.“<346> Die intensiv performative Räumlichkeit des physisch präsenten Körpers lässt dieses Kunstwerk laut Rodatz als Ganzes hinter seinen zeitlichen, prozessualen Charakter zurücktreten. Das zentrale Anliegen des Projekts sei die Erforschung der „personifizierten Präsenz des Schauspielers auf der Bühne und seine simultane Telepräsenz auf dem Bildschirm“ gewesen, wobei die physische Präsenz des Singens (wohl als intensiven körperlich-räumlichen kommunikativen Akt) noch besonders hervorgehoben wurde.<347> Da die Zuschauer den ganzen theatralen Raum auch „be-gehen,“<348> also aktiv körperlich erforschen konnten, beschließt Rodatz, dass sich beim Projekt die architektonische Struktur des Theaters bzw. der Oper (als Institution und als Konzept) redefinierte. Dabei gibt die Bühne gleichzeitig ihren Anspruch auf (konstante) Visibilität zugunsten anderer Sinne auf, so dass sowohl die ZuschauerInnen als auch die SchauspielerInnen, die MusikerInnen und das Personal in eine neue räumliche und multisensorielle Erfahrung geführt werden (das Bild wurde räumlich und zeitlich verstellt, die Musik und das Singen blieben in verschiedenen Aufführungsräumen konstant).

Etlichen Beiträgen des Expertenforums „Real-Time - Zur Komposition von virtuellen Environments“ (Nürnberg 2002)<349> wäre ebenfalls zu entnehmen, dass die spezifische Wahrnehmungsqualität des Raumes jenseits verschiedener perspektivenabhängiger Raummodelle wesentlich mit seiner Akustik zusammenhängt. Der menschliche Körper erfasst die Räumlichkeit in diesem Sinne nämlich nach dem tonalen Inhalt, nach physischer Vibration, er definiert seine Position weitgehend nach dem Lärm oder dem Geräusch im jeweiligen Raum. Nicht nur die Psychoakustik als Wissenschaft, sondern


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auch eine rege künstlerische Tätigkeit in dem Bereich zeigen die Möglichkeiten akustischer Repräsentation der raum-körperlichen Interaktion auf. Jan Peter Sonntag, Bertrand Medier, Michael Eagerton, Johannes Birringer und Butch Rovan haben anlässlich des erwähnten (betont interdisziplinär angesetzten) Forums - besonders noch durch ihre gemeinsame künstlerisch-wissenschaftliche Produktion<350> - gezeigt, dass das Zusammenfinden von Körper und/im Raum durch den Ton bzw. die Vibration verschiedener Materiale/Medien (Wasser, Luft, Boden usw.), die durch elektr(on)ische Schwingung verstärkt bzw. manipuliert werden, mit einer besonderen Erlebnisqualität zusammenhängt. Im jeweiligen medialen Environment als Koresonanz („Corresonance“, Eagerton) des Körpers mit anderen Körpern oder mit dem (inneren und/oder äußeren) Raum nämlich könnte die Antwort auf die Frage gesucht werden, wie die menschliche Körperintelligenz zusammen mit seinen „anderen“ Intelligenzen funktioniert (Birringer).

Robert Wechsler, Mitglied und Motor der auf diesem Gebiet intensiv forschenden, im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit als empirische Primärquelle und zugleich wissenschaftlich-künstlerischer Kooperationspartner herangezogenen Künstlergruppe „Palindrome Inter-Media Performance Group“ (IMPG)<351> behauptet, dass heutzutage die Computer alles andere als eine Erleichterung im Tänzeralltag darstellen, gesteht jedoch ihr bemerkenswertes experimentelles Potential. Wechsler sieht eine kreative Koexistenzmöglichkeit des Menschen und der Maschine eben in einer vielschichtigen Medialisierung der Erfahrung von Mensch zu Mensch und verspricht sich daraus eine radikal neue Art von Interaktivität.<352> Vielleicht ließe sich diese besondere, technisch affirmative sowie körperlich reflektierte Position auch als humane Intermedialität paraphrasieren. Zur Vermittlung bzw. Darstellung intimster körperlicher Vorgänge im Tanzprozess wie z. B. Muskelspannung oder Herzschlag benutzen Palindrome einerseits gewöhnliche, obwohl meistens spezifisch für diesen Zweck umgebaute Elektroden-Technologie. Ihre Arbeit gründet aber auch auf interaktiven Systemen, die primär auf Videotechnologie basieren und zur Aufnahme, Vermittlung und Darstellung körperlicher Formen bzw. Bewegungen dienen („frame-grabbing“ bzw. „motion capture“):<353>


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„Die Interaktionen mit Elektroden basieren interessanterweise nicht auf Bewegung - jedenfalls nicht direkt - sondern eher auf Spannung. Man muß sich nicht bewegen um Muskeln anzuspannen. Das Medium, das auf die Signale der Muskeln reagiert, offenbart, was der Tänzer auf physischer Ebene ‚fühlt‘, bzw. was normalerweise hinter der ‚Sprache‘ der Bewegung verborgen bleibt.“

Wechsler gibt zwar zu, dass die Videotechnologie die Interaktivität zwischen den Tänzern und den Komponisten/Musikern kritisch verminderte und dass die Zuschauer öfters mehr Aufmerksamkeit dem Bildschirm bzw. dem technischen Gerät und seiner Funktionsweise schenken. Eine wichtige Verschiebung erfolgt durch die (offenbar technisch veranlasste) Entsprachlichung der Kommunikation, die vorerst ein neues kreatives Feld anbietet, doch sehr bald auch zu Kommunikationshemmungen im kooperativen Schaffensprozess führen mag.<354> Jedoch gibt es laut Wechsler im Kontext neuer Technologien ein ungemeines Potential für synästhetische Zusammenarbeit, eine zu erwünschende „Renaissance der Multitalente,“<355> die aber noch nicht genügend konsequent verfolgt wird - Tänzer komponieren eher selten und Musiker malen fast nie. Technologische Plattformen generieren immerhin einen expandierenden Bereich für interdisziplinäre Kollaboration und synästhetische (obwohl konzipier- und kontrollierbare) Orchestrierung neuer Technologien im kreativen Prozess. Bei der kreativen tänzerischen Arbeit mit Computern sei es ähnlich wie bei alltäglicher Arbeit am Computer: zuerst muss die Faszination überwunden und einige Regeln gelernt werden, um schließlich dadurch neue Ausdruckswege und positives Feedback zu finden. Wechsler warnt auch vor einer technischen Überladung, die eine Vorstellung zu einer Demonstration neuer Geräte werden lässt - „they might steal the show.“<356>

Eine weitere Gefahr sei auch das grundlegende Missverständnis, dass der tanzende Körper im computerisierten und (hyper)medialiserten Kontext nur noch durch Maschinen Musik machen kann:

„The synchronization of music and dance has, after all, been going on since antiquity - the old fashioned way: You compose, choreograph and rehearse it to get it that way. This means that if the viewer is not aware of the role of the technology, then in all likelihood they will miss it.“<357>

Die Aufgabe der Künstler in diesem Kontext ist eindeutig eine Demystifizierung der Maschine und ihrer Funktionsweisen.<358> Palindromes Systeme und Performances machen die TänzerInnen direkt zu MusikerInnen und lassen den Körper in seiner Ganzheit als musikalisches Instrument erscheinen - und jenseits eines Als-ob auch tatsächlich in der Rolle des Tonauslösers bzw. der Tonquelle zu funktionieren. Allerdings bemühen sie sich auch um ein vielfaches multimediales Gleichgewicht: Laut Wechsler sei es heutzutage zum ersten Mal möglich, dass Musik und Licht dem Körper folgen (und nicht umgekehrt), was auf die Experimente John Cages und Merce Cunninghams zurückzugreifen scheint und die Perspektive auf das tänzerische


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Erfahrungs- und Ausdruckspotential noch um einiges erweitert. Es handelt sich dabei um eine neue Art von technisch bedingter Interaktivität (Mensch - Maschine sowie Mensch - Maschine - Mensch), die eine tektonische Verschiebung im Ausdrucksrepertoire des Tanzes bzw. aller darstellender Künste hervorzurufen hat.<359> Seine künstlerische Arbeit mit dem Computer als kreativer Plattform unterstreicht Wechsler mit einer Vision eines friedlichen, (beidseitig!) emanzipierten Zusammenwirkens von Menschen und Maschine:

„Computer verlangen nicht nur eine neue Einstellung zum Theater. Sie verkörpern für viele eine Verdrängung dessen, was Tanz in seinem Innersten bedeutet: Der Ausdruck des sinnlichen und ursprünglichen Aspekts menschlicher Existenz. [...] Keine Gesellschaft hat ihre Handlungen noch ausreichend verstanden, um ihren eigenen Ausdehnungen (Medien) oder Technologien gegenüber immun zu werden. Wir beginnen heute zu ahnen, daß Kunst möglicherweise solche Immunität verleihen kann. Der Künstler erkennt die Botschaft kultureller und technologischer Herausforderungen Jahrzehnte bevor deren umwälzende Veränderungen sichtbar werden."<360>

Eine ähnlich (neumedial) emanzipierte Note wäre insgesamt auch dem Bericht Nik Haffners über die Arbeit William Forsythes mit Neuen Medien am Frankfurter Ballet zu entnehmen.<361> Die anfangs immer problematischen Medienwerkzeuge werden zum ständigen künstlerischen Ausdrucksarsenal und erweitern die Möglichkeiten der künstlerischen Erfahrung bzw. Darstellung - somit die Kreativität in Raum und Körper. Dies gebe offenbar darüber nachzudenken, „ob die kontinuierliche Arbeit mit einem Medienexperten nicht an der Zeit ist und so eine Funktion im Theater eingerichtet werden müsste.“<362> Anhand seiner reichen praktischen Erfahrung mit dem „telematischen Tanz“<363> betont auch Johannes Birringer, dass es z. B. bei


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delokalisierten Environments, die eine paradigmatisch neue raum-körperliche Dimension anbieten, immer eine gewisse Zeit gebraucht, um ein neues Gefühl der raum-körperlichen Präsenz zu entwickeln. Die Übertragungsraten des Internets genügen auch in ihrer höchsttechnologischen Ausführung (das sogenannte „Internet 2“ in den USA)<364> immer noch nicht, um die körperliche Präsenz ausreichend zu simulieren, was aber trotzdem - oder eben deswegen, nach dem minimalistischen Motto „weniger bietet mehr“ - genügend Raum für künstlerische Untersuchungen, vor allem auf dem Gebiet des Theaters und Tanzes frei lässt. Dazu zählen noch die regelmäßigen Verspätungen bei der Übertragung (auch bei neuesten Applikationen im Hochgeschwindigkeitsinternet laut Birringer bis zu 8 Sekunden wegen höher Ansprüche an die Bild- und Tonqualität), die eine exakte und echtzeitliche Mimesis der körperlichen Bewegung natürlich beeinträchtigen. Andererseits werden somit aber Zeitlücken geschaffen, die kreativ ausgefüllt werden und sogar Selbstreflexive der Tänzer ermöglichen können (Tänzer begegnen oft ihren eigenen zeitlich verstellten Bewegungen, ähnlich wie bei einer internetbasierten Videokonferenz) - es kommt zu einem zeitlich verstellten Spiegeleffekt. Birringer betont, dass die TänzerInnen mit diesen raum-zeitlichen Diskontinuitäten nicht nur leicht klar kommen, sondern damit noch besonders gerne experimentieren. Nach einem guten Jahrzehnt ansteigender kreativer Dynamik zwischen Tanz und Technologie konstatiert die Zeitschrift „Wired“ nun treffend eine dramatische Transformation dieser Kunstdisziplin „from a kinetic, physical medium to something less tangible but rich with new possibilities.“<365>

1.2.3 Cyberspace, ein körperfremdes Raumkonzept der Informatik

Der mehrfach inflationäre Begriff „Cyberspace“ erweist sich in seinem alltäglichen Gebrauch größtenteils als eine unzulängliche und beinahe beliebig ko(n)textualisierbare Metapher,<366> deren wunschversprechende Idiomatik sowohl von


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der Medien(kunst)geschichte der Sciencefiction wie auch von den andauernden Mystifikationen seitens der Telekommunikations- und Vergnügungsindustrie generiert wird. Diese Metapher soll im Weiteren als die stärkste bzw. repräsentativste ihrer Art exemplarisch auf ihre mystifizierende Rolle im diesbezüglichen Diskurs überprüft werden. Bereits eine einfache Gegenüberstellung von Wörterbuch-Einträgen weist auf ein milieubedingt abgestuftes Konzept, dessen „allgemeiner“ Gebrauch (laut Duden Wörterbuch) eine „von Computern erzeugte virtuelle Scheinwelt, die eine fast perfekte Illusion räumlicher Tiefe u. realitätsnaher Bewegungsabläufe vermittelt,“ implizieren sollte und somit konkret-räumliche, physikalische Definitionstauglichkeit aufweist.<367> Die InternetbenutzerInnen definieren den Begriff in seiner „allgemeinen“ Bedeutung dagegen totalisierend (obwohl medientechnisch differenziert) als „die innerhalb von Computernetzen bestehende Welt [...], die durch die Kommunikationstechnologie zugänglich gemacht wird.“<368> Für die selbstgenannten BewohnerInnen des kybernetischen Raumes scheint er eben einen wesentlich höheren Realitätsgehalt zu besitzen. Dabei sind die Simulationsmechanismen in ihrer Funktionsweise und Struktur jedoch (öfters detailliert) bekannt und sogar von sozialbedingtem Interesse (gemeinsamer Diskurs) - andererseits suggerieren sie einen eskapistischen Willen zur Selbstverführung. Peter Weibel versteht den virtuellen Raum als einen „psychotischen Raum. Es fällt die letzte Grenze zwischen Wirklichkeit und Wunscherfüllung.“<369>

Wegen einer vielfach begründeten hohen Wahrscheinlichkeit, dass wunschversprechende Scheinwelten ohne Kritikpositionen und Abwehrstrategien unreflektiert und als religiöse oder sogar psychotherapeutische Surrogate bereitwillig umarmt werden, erscheint eine technisch undifferenzierte, automatisierte (Durchschnitts)Benutzung der Medientechnik wesentlich problematischer.

„Zugleich aber und im Widerspruch zur Vision der telematischen Ent-Fernung des Raumes wird in einer Vielzahl der den Neuen Medien gewidmeten Prognosen unter dem Zauberwort Cyberspace ein neuer Raum angekündigt, der den einstigen, angeblich unmittelbar gegebenen Raum ablöse und doch wegen seines medial-fiktiven Charakters eigentlich kein wirklicher Raum, sondern raumvernichtende Zeit sei. Aber was ist das: der konkrete, unmittelbare Raum? Oder der abstrakte, virtuelle Raum? Ist der Raum - wie ein Behälter - schlicht 'gegeben', 'vorhanden'?“<370>

Um mitzureißen, gebraucht ein solches technoeuphorisches Raumkonzept wohl das Beste vom menschlichen imaginativen Potential und kommt in der Regel nicht über eine „vor-gestellte“ (weil vermisste) Dreidimensionalität hinaus. Außer bei den komplexesten immersiven Environments im Sinne von Virtual- oder genauer Mixed


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Reality<371> (die Elemente des Konkreten und einen ganzkörperlichen Einsatz mit einbezieht) wird der Körper in seiner Perzeption auf seine seit längerer Zeit prämierte Bisensorik (audio und video) reduziert. Der Begriff des Cyberspace hat sich durch seinen inflationären Gebrauch zu einem medien-, kunst- und naturwissenschaftlichen wie auch philosophischen und sogar intim-religiösen Multifunktionsmythos<372> entwickelt, der die Immaterialität einer „Kopflandschaft“ als Lebensraum vorzutäuschen pflegt und an die wort- und bildgebundenen Wunschversprechungen der Sciencefiction erinnert. Cyberspace bezieht sich laut Florian Rötzer nicht unbedingt auf eine(n) neue(n) externe(n) Welt(entwurf), sondern auf die (interne) Veränderung des Wahrnehmungsprogramms:

„Die neue Welt würde aus Immaterialien bestehen, also etwa aus digitalisierten Informationen oder synthetisierten Farben und Tönen, die sich jederzeit beliebig verändern können. Dadurch müßte sich das bisherige Verständnis von Realität, das auf materielle Objekte bezogen sei, verändern, und man müsste eine neue Sensibilität entwickeln, die der informatisierten Welt angemessen sei.“<373>

Merkwürdigerweise werden künstlich generierte VR-Environments als betont irreal, also räumlich unrealistisch empfunden, solange sie nicht ein Minimum an Interaktivität beinhalten - sei es auch nur eine minimale (möglichst echtzeitliche) Reaktion auf die Bewegungen des konkreten menschlichen Körpers. Dadurch besitzen sie ein gewisses Maß an funktionaler Ähnlichkeit zur wirklichen, konkret erfahrbaren Welt und können einigermaßen - selbstverständlich innerhalb vereinbarter, oft eng gestellter Grenzen bzw. Spielregeln - erkundet werden. Außer bei Datenhandschuhen und (im Gegensatz zu allgemein bekannten technoeuphorischen Wunschprojektionen) tatsächlich noch relativ unterentwickelten Datenanzügen bleiben die Reaktionen eines solchen künstlich erzeugten Raumes (und seiner „Objekte“) auf den bewegenden, kommunizierenden Körper oft nur auf visuelle und akustische Signale mit niedrigem haptischem Erlebniswert beschränkt.<374> Aus der technoemanzipierten Sicht


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entfremdet dies einen solchen virtuellen Raum auf die Ebene der (also solchen erkannten) Illusion, obwohl das durch die Faszination der kreativen Sinnestäuschung sowohl im künstlerischen als auch freizeit- und sexindustriellen Bereich noch lange kein Grund zum Geschäftsrückgang sein wird. Und es handelt sich dabei, nicht nur um einen, wiederum eskapistischen Willen zur Amüsierung, sondern auch um den anthropologisch mehrfach bewiesenen eingeborenen Trieb zur Illusion und Sinnestäuschung.<375> Darüber hinaus kann - insoweit ein wahrnehmbares Interaktivitätspotential besteht - auch der virtuell repräsentierte Körper eine Prämierung erfahren, zunächst im ästhetisch-konzeptuellen Kontext: Sherrie Rabinowitz, die Koautorin des breit angenommen ersten „ganzkörperlichen“ telematischen Medienkunstprojekts „The Satellite Arts Project“ (1977), gab ihrem „Abbild als einer Art Botschafter im virtuellen Raum den Vorrang.“ Doch bleibt der Körper paradoxerweise dabei „unglaublich sinnlich: Ja, der sensorische Verlust verstärkt die Sensibilität, überhöht die Annehmlichkeit der sinnlichen Erfahrung. Man ‚besitzt sein Abbild‘ so vollständig in der Echtzeit, dass man das Gefühl von Phantom-Gliedmaßen hat.“<376>

Die Ansätze von Mixed Reality versuchen hingegen diese zwei bisher „getrennt gehaltenen“ Welten in eine einzige Gesamt(heits)erfahrung zu amalgamieren. Ausgegangen wird dabei in der Regel eben von der alltäglichen NutzerInnenerfahrung, bei der die technischen Geräte und ihre derealisierenden (auch metaphorisch oder sogar konkret dekorporalisierenden) Teileffekte zur gewöhnlichen Selbst- und Welterfahrung, zu einem multimedialen Default kombiniert werden. Über die künstlerische Modifizierung und (De- bzw. Um)Funktionalisierung dieses „Inzwischens“ werden Spielräume und alternative Szenarios angeboten, die dann wiederum mit neuem Aufschwung in die massenkulturempfindlichen Milieus zurückkehren- dies allerdings nicht unbedingt mit einem hochtechnologischen, kostspieligen Anspruch, weil sich die KünstlerInnen bekanntermaßen oft eines gewissen operativen Minimalismus bzw. der Reduzierung von (technischen) Gestaltungsmitteln als Kreativitätsverstärkung bedienen. Für ein solch positives „technologisches Recycling“ gibt es entlang der ganzen neueren Geschichte


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künstlerisch-technischer Kreativität Unzahl Beispiele, vom filmischen bis zum Rundfunkexperiment, von der Video-, Computer- und Handy- (SMS- und WAP-Art) bis zur aktuellsten Netzkunst (Homepage-Design, Digitale Literatur).

Einigermaßen eingegrenzt wird das Konzept nur im Bezug auf die körperlose „Information“ und ihre Vernetzung (als eine der ohnehin weitgreifendsten Metaphern der modernen Wissenschaft spätestens seit der „kybernetischen Revolution“)<377> samt ihrer unterstützenden Hardware, die offenbar einen Weg zu einer zwar parallelen, doch völlig verschiedenen (Welt-)Ordnung bahnt:

„Mit der Entwicklung des Computers, multimedialer Systeme und dem Internet entsteht ein prinzipiell neuer Informationskosmos (Cyberspace), der die bisherigen mentalen, physischen und damit auch kulturell-zivilisatorischen Wahrnehmungsweisen in einen prinzipiell veränderten raum-zeitlichen Kontext stellt.“<378>

In Anlehnung an die Kunst- und Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts behauptet der Dresdner Kurator und Wissenschaftler Klaus Nicolai folgerichtig, die radikale Verschiebung ereigne sich nicht nur im Gebiet der Kunst, „vielmehr verändert sich das Wesen des Kulturellen durch die medialen Produktions-, Speicher-, Transport- und Reproduktionsmittel.“<379> Und vor allem Cyberspace scheint ein weiterer Raum(begriff) zu sein, der nicht nur ästhetisch, sondern vor allem lebenspraktisch, am besten jedoch mit einer Kombination der beiden Zugangsmodi zu erfassen ist.

Natürlich werden zum semantisch überladenen und diffusen Begriff auch wesentlich differenziertere Stellungen genommen, die gegen den Strich der bloßen Raummetapher denken und dem physikalischen Raum sowie ihm verpflichteten biologischen Körper Rechnung tragen wollen. In seinem Essay „Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte. Ende der Philosophie - Beginn des Neuen Jerusalem?“<380> verbindet Hartmut Böhme die auf den Cyberspace gerichteten Wunschprojektionen mit dem religiösen Fundamentalismus. Die metaphorische Vergleichsqualität überträgt er auf die Kategorie des „Urbanen“ und deutet somit den Raum in einem nochmals differenzierteren, vorstellungsreichen Paradigma. Sein in der Literatur wie auch in der Philosophie des 20. Jahrhunderts stabil eingebettetes Nachdenken über die „stealth Architektur“ (im Kontext von Edouard Bannwarts „Medialisierung der Städte“)<381> erörtert die biologisch erklärbare, instinktive, obwohl kaum konstruktive Flucht des materiellen Körpers<382> vor der „babylonischen Verwirrung der Städte“, vor der sterbenden „Biosphäre“, als ob vor dem Jüngsten Gericht:


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„Und da ist zum anderen der Aufbau des Cyberspace, dessen raumlose Räumlichkeit immer mehr Human-Energie absorbiert, so daß ein wachsender Teil der Zeitressourcen dazu verbraucht wird, sich in einer Welt, die nicht von dieser (materialen) Welt ist, zu 'bewegen'. Immer mehr Zeit verbringen wir in Formen der Telepräsenz, nicht aber in den Modi eines Raum-Zeit-Kontinuums, das an das urbane Environment gebunden ist.“<383>

Mit epistemologischem Paradoxon definiert Böhme Cyberspace als „ubiquitäre Gegenwart in der Form abwesender Anwesenheit“<384> und entblößt damit den geeignetsten Kandidaten für den religiös zwanghaften „evolutionäre[n] Sprung aus der Enge des Leibes“. Ähnlich wie bei Tibon-Cornillot<385> sei das Phänomen nicht politisch, sondern religiöser Herkunft. Mit dem virtualisierten Körper kehrt die (mit christlicher Kulturprägung nuancierte) „Seele“ identitätsstiftend wieder zurück.<386>

Die sog. „Cyberfanatiker“ sind für Böhme immerhin programmatisch und gnostisch wirkende religiöse Fundamentalisten. Die Cyberpunk-Autoren hingegen seien wegen „durchgehender dualistischer Grundstruktur“ ihrer Romane (elende Erde vs. glimmernder Cyberspace) eben „die größeren Realisten“. Die konkrete Räumlichkeit des Cyberspace, wohin der Körper als zwar funktionsfähig, doch immerhin als Körper zweiten Ranges zurückkehrt, beschreibt er als biologisch bedingte Zwangsvorstellung einer Raum-Analogie. Er vermutet es sei

„der sinnenhaften Körperlichkeit des Menschen geschuldet, daß Cyberspace, der strukturell nur im Modus nicht-linearer Zeit und nicht dem des Raumes arbeitet, zunehmend topo- und kartographisch eingerichtet wird, so daß man darin flanieren und navigieren, surfen und suchen, rasen und verweilen kann wie in einem Raum.“<387>

Ähnlich wie Martina Leeker,<388> nur entschieden technologiefeindlicher (weil damit etwa persönlich unerfahrener?), unterschätzt Böhme den religiösen Charakter und mythologisierende Funktion des Computerraumdesigns als bloße „Spielformen


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religiöser Energien.“ Dem entgegen sträubt sich eine breit aufgefächerte Praxis der Computerprogrammierung, von einfachen 3D-Animationen zu komplexesten VR-Environments.<389> Den digitalisierten Körper wie auch den Raum, in dem er seine Existenz fristet, betrachtet er (aus seiner Outsider-Position) als einen beinahe zur postmodernen Beliebigkeit entfremdeten Mythos. Das poststrukturalistisch „Flottierende und Hybride, Ephemere und Metamorphotische,“ das sowohl den unkonkreten Räumlichkeiten als auch den darin programmierten Körpern die ontologische Definitionstauglichkeit nimmt, sähe er sogar im positiven Licht „als eine Form der Globalisierung und Multikulturalität des Netzes.“ Allerdings verfalle die sonst (anthropologisch) legitime mythische und religiöse Eigenschaft des Cyberspace allzu oft dem unehrlichen, auf Profit/Erfolg ausgerichteten „sektiererische[n] Fanatismus und dem Werbedesign von Artdirektoren.“<390>

Immerhin wäre statistisch - sowohl stringent philosophierend als auch pauschal populärwissenschaftlich - dem kybernetisch-virtuellen Raum eine körperschonende Eigenschaft im emanzipierten Sinne kaum beizusprechen. Die in der vorliegenden Arbeit angestrebte Qualität der körperlichen Präsenz verliert angesichts einer solchen sprichwörtlich unemanzipierten (bzw. öfters völlig abwesenden) Mediennutzungsspraxis bzw. mangelnden körperlichen (Selbst)Erfahrung der meisten TheoretikerInnen stets nicht nur am praktischen, sondern auch am diskursiven Antrieb und muss dafür einiges an unorthodoxer Rhetorik wie auch Argumentationsstringenz kompensieren. Als „virtuell re-präsentiert“ verstanden, kann der Körper nämlich nur schwer für sich sprechen, da er „lediglich unter der Bedingung seiner technischen und intentionalisierten Repräsentation samt aller ihrer Selektionsmechanismen“ erschient. Indem er durch den medialen Raum digital kodiert (möglicherweise sogar verschlüsselt!), elektronisch moduliert und i. d. S. transformiert wird, vereinsamt er durch die sensorische Überforderung der Maschine. Eine gezielte Reizsimulation entfernt den Körper von seiner konkreten Umgebung, von seinen gewöhnlichen Bezugskörpern- und Räumen und nimmt ihn in einer paradoxen, eigendynamischen, sogar multiplizierbaren „‘Präsenz‘ der Repräsentation“ gefangen.<391> Wieczorek sieht “das Paradox des virtuellen Körpers“ an der Schnittstelle, zwischen zweierlei Raumkonzepten. Faktisch handele es sich um einen multisensoriell simulierten und auf dem bekannten, alltagserfahrenen Modell basierenden „im Virtuellen ‚agierenden‘, nicht-inkarnierten Körper,“ der mit dem konkreten, intim erlebten lediglich „liiert,“ doch


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ebenfalls kommunikationshemmend „mumifiziert“ und „geschützt,“ oft zur Bewegungslosigkeit verdammt wird und somit tatsächlich „ausserhalb des virtuellen Erlebnis-Raumes verbleibt.“<392>

Der technisch bzw. zumindest konkret-biologisch beschränkte Körper tendiert offenbar zum Konflikt mit seinem Ersatz im virtuellen Raum. Er agiert lediglich durch kognitive Projektionen außerhalb seiner biologisch bestimmten materiellen Fragilität, prozessualer Zeitlichkeit und Endlichkeit wie auch außerhalb seiner Horizonte der Erinnerung und Antizipation. Und Wieczorek warnt vor einer fatalen Gleichschaltung, also Verwechslung beider Raum-Konzepte im alltäglichen (Er)Leben. Eine wichtige Klärung liefert er auch bezüglich der lediglich als Wunschprojektion verstellten, technisch jedoch mangelhaft realisierten, i. o. S. synthetisierten Sensorik virtueller Räume, die wohl nur im künstlerisch-produktiven bzw. explorativen Kontext plausibel einsetzbar, d. h. kulturell relevant wäre.<393>

Zu den - seitens der „Cyber-Insider“ tatsächlich öfters unterlaufenen - Vorwürfen der Lebensfremdheit setzt Dieter Wieczorek noch eine weitere überlegene Qualität „tatsächlicher“ Räume hinzu, diesmal mit sozialen und politischen Konsequenzen für die am öffentlichen Raum verlierende postindustrielle Gesellschaft: „Räume der Konfrontation mit dem Anderen, Möglichkeiten nicht intentionaler und nicht finaler Begegnungen, Orte überraschender Erfahrungen sind im ständigen Schwinden begriffen.“<394> Aus den vielfachen Polarisierungen des Virtuellen und des Konkreten ergibt sich damit eine dringende Notwendigkeit zu sozialen Balanceakten, insbesondere im Bereich von Zugangsmöglichkeiten (zur Software sowie zur Hardware, dem Know-how usw.) im breitesten Sinne. Nicht nur konkrete soziale Räume, sondern auch die (quantitativ zunehmenden) medialisierten, virtualisierten und kodebasierten Umgebungen der Kommunikation (als kollektiven Austauschs) sowie ihre Inhalte müssen um jeden Preis frei gehalten und gleichberechtigt verteilt werden.<395> Die Aufgaben der MedienkünstlerInnen, den Raum zwischen Präsenz und Repräsentation experimental zu erkunden und dadurch Probleme aufzuzeigen sowie die oft sinnentleerten bzw. (entertainment)ballastreichen Inhalte mit Lebenszusammenhang und Vision zu erfüllen (die u. a. in dieser Arbeit auf ihre Methode und Erfolg geprüft sein sollen) erweitert Wieczorek in der Richtung einer hohen ethischen Botschaft, einem Aufruf zur ästhetischen Entmystifizierung anhand (medien)relevanter Differenzkriterien:


111

„Die mediale Perfektionierung zu dekonstruieren, die Transformationsprozesse zu verdeutlichen, transparent zu machen und in diesem Sinn die erneute Transformation der technisch-manipulativen Transformation zu leisten ist ein sozial-relevantes Telos künstlerischen Handelns. Die Differenz zwischen Sehen und visueller, zwischen Hören und akustischer Repräsentation, zwischen sensueller Erfahrung und Wahrnehmung sensueller Impulse (Signale) einerseits und zwischen Wahrnehmung und ‚zerebraler Aktivität‘ anderseits erfahrbar zu machen, erscheint als eine der heute dringlichsten Aufgaben.“<396>

Über Bewusstsein, Körper und Raum gibt es mindestens so viele Wahrheiten, wie es BetrachterInnen bzw. „Er-fahrerInnen“ gibt - demzufolge sind verschiedene Bewusstseins-, Körper und Raumkonzepte ebenfalls nur nebeneinander aufzuzählen und keineswegs hierarchiefähig. Eine objektive Außenposition ist insofern nicht möglich, es sei denn, sie versucht in guter Manier einer poststrukturalistisch aufgeklärten Distanz zum (realisierten) Diskurs durch eine (oben exemplifizierte) Montage von Aussagen und relativistisch zu verstehenden Pauschalisierungen zu operieren. Und es gibt so gut wie keinen endgültig maßgebenden Kollektiv,<397> keine einzige definitiv überzeugende und übergreifende Realität. Solange auf der schlicht theoretischen Seite dieser Fragestellungen beharrt wird (und dabei eine intersubjektiv überprüfbare Ebene halbwegs glaubwürdig fingiert werden kann) verbleibt eigentlich nur der provisorische Rutsch in die Relativität des ewigen Paradoxons zwischen Schein und Sein. Um der Aporie los-, oder zumindest einigermaßen habhaft zu werden, empfiehlt sich zunächst ein näherer Blick in die Praxis (Kapitel 1.3.), dem ein Schritt in die Methodologie (2.), darauf am besten noch produktive Teilnahme und Reflexion (3.) am Untersuchten folgen sollen.



Anmerkungen:

<210>

Einstein, Albert: Vorwort. (1953) In: Jammer, Max (Hg.): Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorien. Darmstadt 1960. S. 11. - 15. Zitat S. 11.

<211>

Siehe auch Kapitel 1.1.3., insb. die Ausführungen zu Paul Virilio.

<212>

Einstein: Vorwort. S. 12f.

<213>

Nach Duden Universalwörterbuch handelt es sich beim Begriff „Ort“ im allgemeinen Verständnis um einen „lokalisierbare[n], oft auch im Hinblick auf seine Beschaffenheit bestimmbare[n] Platz (von od. für etw.)“, wogegen „Raum“ in diesem Kontext entweder eine „in Länge, Breite u. Höhe nicht fest eingegrenzte Ausdehnung“ oder eben eine „in Länge, Breite u. Höhe fest eingegrenzte Ausdehnung“ bedeuten und somit als Überbegriff funktionieren kann. Mit dem Begriff „Ort“ überschneidet sich „Raum“ etwa nur in der territorialen Bedeutung „für jmdn., etw. zur Verfügung stehender Platz.“ Duden Deutsches Universalwörterbuch.

<214>

Einstein: Vorwort. S. 13.

<215>

„Absolut ist diese Rolle insofern, als er (im Inertialsystem) zwar auf alle körperlichen Objekte wirkt, ohne dass diese auf ihn eine Rückwirkung ausüben.“ Ebd. S. 14.

<216>

Laut Duden Universalwörterbuch verdichtet sich der Begriff „Feld“ in der Physik als „Raum, in dem die von einem Stoff ausgehenden Kräfte wirksam sind“ Duden Deutsches Universalwörterbuch.

<217>

Einstein: Vorwort. S. 15.

<218>

Zur begrifflichen Präzisierung vgl. insb. Kapitel 3.2.3.1. sowie insb. Kapitel 3.3.1. samt Taxonomie und Modellierung.

<219>

Der Haupttitel der vorliegenden Arbeit lässt die „Interaktivität“ des „elektronischen Raums“ vorerst beiseite und fügt die Eigenschaft den „Systemen“ im Untertitel zu, was entlang des Kapitels 1.3. kritisch argumentiert, in 3.2.3. relativiert und in 3.3. neumodelliert werden soll. Siehe zum Interaktivitätsbegriff Anm. 821.

<220>

Susteck, Sebastian: Aufstand der Körper. Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 10. 05. 2002.

Lesedatum: 13. 07. 2002.

<221>

Burckhardt, Martin: Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt/Main 1994. S. 282. Vgl. zum Thema „Geschwindigkeitskörper“ Kapitel 1.1.2.2.

<222>

Vgl. mit besonderem Hinblick auf die Entwicklung der Chronophotographie Giesecke / Purg: Die Technisierung der visuellen Sensoren: Foto, Film und Fernsehen.

<223>

Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. S. 246ff.

<224>

Ebd. S. 282ff.

<225>

Vgl. insg. die Artikelsammlung von Giesecke: Fallstudien: Die Technisierung der Informationsverarbeitung und die Elektrifizierung der Vernetzung.

<226>

Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. S. 292 - 300. Vgl. dazu das Konzept des „virtuellen Jenseits“ von Virilio, Paul: Die Kunst des Motors. In: Virilio, Paul: Die Eroberung des Körpers. S. 115 - 169. Vgl. insb. S. 155ff.

<227>

Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. S. 309. Merke die direkte Übersetzung des Begriffs „Werkstatt“ als „Workshop“ und vgl. daraufhin etwa die methodischen Überlegungen im Kapitel 2.3.1.1. sowie die Vorschläge des Kapitels 3.3.3.2.

<228>

Ebd. S. 313. (Hervorhebung von P.P.)

<229>

Ebd. S. 310.

<230>

Ebd. S. 312.

<231>

Diesem Absatz liegt das bekannte Interview mit Paul Virilio zugrunde: Wilson: Cyberwar, God and Television.

<232>

Birringer, Johannes: Erschöpfter Raum - Verschwindende Körper. In: Rötzer Florian (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt/Main 1991. S. 491 - 518. Zitat S.495. Der Bereich des sog. “dance-tech“ wird im Kapitel 1.2.2. durch relevante Diskurse aus seinem Umfeld abgesteckt, um in 3.1. umfangreich und thematisch differenziert behandelt zu werden.

<233>

<www.stelarc.va.com.au/> Siehe auch Anm. 980.

<234>

Vgl. die Ausführungen zur kulturkritischen Aufladung des öffentlichen Raumes anhand (bio)körperlich betonter Strategien der Performance in Purg, Peter: Performative Disturbance of Public Space. Street Performance as a Strategy of Cultural Jamming. 2003. <http://peterpurg.kdpm.org/diverse/stopshop/>

<235>

Virilio: Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. S. 114.

<236>

Ebd. S. 116.

<237>

Ebd.

<238>

Ebd. S. 116f und S. 130. Diese Verschiebung formuliert Virilio noch einmal reduktiv als die „Abschaffung der Bedeutung der klassischen Raum-‚ und ‚Zeitintervalle‘ zum ausschließlichen Vorteil des dritten Intervals: dem Interface der ‚Lichtgeschwindigkeit‘.“ Ebd. S. 138.

<239>

Ebd. S. 139.

<240>

Alle Zitate Ebd. S. 130f.

<241>

Ebd. S. 131 - 144.

<242>

<www.studienpreis.de/> Siehe auch Anm.11.

<243>

Virilio: Die Kunst des Motors. S. 149.

<244>

Zu Paradoxien um diesen Begriff ausführlicher im Kapitel 1.2.3. Zum hiesigen Thema vgl. dort insb. die Konzeption des Begriffs als „kein wirklicher Raum, sondern raumvernichtende Zeit“ im Hinweis von Georg Christoph Tholen. Siehe Anm. 370, vgl. auch 342.

<245>

Virilio: Die Kunst des Motors. S. 152. Vgl. die primäre Konzeption von „Raum-Zeit“ im künstlerisch-praktischen Kontext bei Forest, Fred: Thematisierung des Raum-Zeits als kritische Praxis. In: Rötzer, Florian / Weibel, Peter (Hg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. München 1993. S. 350 - 357. Forest untersucht die Strategien der ästhetischen Funktionalisierung des teils virtuellen und teils realen Raums, der sich zur (damaligen) Zeit durch die Netzwerktechnologien beliebig zeitlich und konkret räumlich ausdehnen lässt.

<246>

Virilio: Die Kunst des Motors. Ebd. S. 150.

<247>

Ebd. S. 153.

<248>

Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. S. 323.

<249>

Virilio: Die Kunst des Motors, S. 154f.

<250>

Ebd. S. 163.

<251>

Ebd. S. 164.

<252>

Ebd. S: 165f.

<253>

„Der Verlust oder genauer gesagt: der Untergang des realen Raums jeder (physischen oder geophysischen) Ausdehnung zugunsten ausschließlich der Abwesenheit eines zeitlichen Intervalls der Teletechnologien der Echtzeit führt unweigerlich dazu, dass sowohl die Technik als auch die Mikromaschinen in das Innere der Organe von Lebewesen eindringen.“ Ders.: Vom Übermenschen zum überreizten Menschen. S. 109.

<254>

Vgl. insg. ders.: Transpolitik.

<255>

Siehe dazu Modellierung im Kapitel 3.3.2., insb. ihre Konzeption.

<256>

Virilio: Die Kunst des Motors. S. 168.

<257>

Kamper / Wulf: Die Wiederkehr des Körpers. Siehe insb. die Einführung Kampers S. 9ff. und vgl. die Ausführungen im Kapitel 1.1.2.

<258>

Nach Pias, Claus: Poststrukturalistische Medientheorien. In: Weber (Hg.): Theorien der Medien. S. 277 - 293. Bezug auf S. 284ff. Dem einigermaßen aporetischen Hyperrelativismus Baudrillards wiederstrebt die vorliegende Arbeit durch positive und (hypermedial) konstruktive Aufnahme des kybernetischen Kreislaufprinzips, das durch konkrete, dokumentarische Beispiele unterstützt wird (siehe die elektronische Version der Arbeit, dazu auch die eigene Performance des Autors wie beschrieben im Kapitel 2.3.1.2. und videodokumentiert in der elektronischen Version) Siehe die auf der kybernetischen Kreislaufkonzeption basierenden Modellierungen der Kapitel 3.3.1. und 3.3.2.

<259>

Baudrillard, Jean: Vom zeremoniellen zum geklonten Körper. Der Einbruch des Obszönen. In Kamper / Wulf: Die Wiederkehr des Körpers. S. 350 - 362. Zitat S. 350.

<260>

Den Körper auf seiner letzten technisierten Stufe beschreibt der Autor als einen „Klon, eine Prothese, ein[en] Rhizom, eine Metasthase.“ Ebd. S. 361f.

<261>

Ebd. S. 358f.

<262>

Ebd. S. 354.

<263>

Ebd. S. 357f.

<264>

„Die Obszönität, die Wüste der Transparenz, wächst. Und mit ihr wächst unsere Faszination durch sie. Doch innerhalb einer ultra-sichtbaren, ultra-realen, demaskierten, transparenten und operationalen Welt bleiben wir - unter Todesstrafe, so glaube ich - im Reich der geräuschlosen Effizienz." Ebd. S. 359ff.

<265>

Zum Begriff „Leib“ siehe Anm. 35. Darüber hinaus ist es merkwürdig, dass sich eine (kommunikationstheoretisch in der Regel breit ansetzende) Wissenschaftlerin wie Fischer-Lichte hier lediglich auf „Personen“ begrenzt.

<266>

Vgl. hierzu auch Paul Zumthors Auffassung über die verminderte taktile Qualität angesichts (schlicht visueller und höchstens noch auditiver) medialer Übertragung des Körpers in seiner Handlung. Die nach-gefühlte Performanz geht dabei jedoch nicht verloren. Die spezifische „Be-fühlbarkeit“ des Körpers in seiner Gegenwärtigkeit bedeutet einen besonderen, multisensorisch gesteigerten Grad an Performanz. In: Zumthor, Paul: Körper und Performanz. In: Gumbrecht, Hans Ulrich / Pfeiffer, K. Ludwig (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt/Main 1988. S. 703 - 713. Bezugnahme auf S. 706ff.

<267>

„Es trifft zwar durchaus zu, dass es eben die Reproduzierbarkeit mediatisierter Performances ist, aus der sich ihre massenhafte Verbreitung und beliebige Zugänglichkeit ergibt. [...] Gerade weil die Erfahrung [sic!], die Live-Performances ermöglichen, nicht beliebig Reproduzierbar ist und jedermann jederzeit zugänglich, ist es durchaus denkbar, dass ihr ein hohes kulturelles Prestige zugesprochen wird als mediatisierten Performances.“ Fischer-Lichte, Erika: Wahrnehmung und Medialität. In: dies. (Hg.): Wahrnehmung und Medialität. Tübingen 2001. S. 11 - 28. Zitat S. 23. Die vorliegende Arbeit erkennt und qualifiziert bei der Benutzung von Begriffen „medialisieren“ und „mediatisieren“ keinen Unterschied und verwendet einheitlich den ersteren.

<268>

Absatz nach ebd. S. 11f.

<269>

In Anlehnung an Antonio Demasio versteht Fischer-Lichte unter „Wahrnehmung“ ein vielfach ausbalanciertes, kognitives sowie affektives, ebenfalls wesentlich körperliches Konzept, das als einer der Grundsätze der vorliegenden Argumentation Anwendung findet: „Wahrnehmung impliziert also einerseits kognitive Prozesse, andererseits bestimmte physiologischen Relationen, welche der sinnliche Akt der Wahrnehmung auszulösen vermag. Da beide Ebenen der Wahrnehmung interagieren, ist anzunehmen, dass auch die kognitiven Prozesse und die physiologischen Reaktionen aufeinander bezogen sind, eventuell sogar voneinander abhängen.“ Ebd. S. 13f.

<270>

Ebd. S. 21f.

<271>

Ebd. S. 23.

<272>

Siehe dazu detailliert Kapitel 2.1., wo die methodischen Voraussetzungen samt einigen empirisch vorausgreifenden Thesen (2.2.) der vorliegenden Arbeit näher beschrieben werden.

<273>

Taxonomie nach Fischer-Lichte: Wahrnehmung und Medialität. S. 24.

<274>

Erika Fischer-Lichte erklärt „Theatralität" im medialen Kontext trotzdem als materiell bedingten Wahrnehmungsprozess, als „die je spezifische Inszenierung von Körpern in unterschiedlichen Medien zur je besonderen Wahrnehmung durch andere [...] Dies gilt auch für alle einzelnen beteiligten Faktoren. Denn das Medium der Inszenierung - Körper im Raum, Schrift, Bild, Film oder Fernsehen - entscheidet nicht nur über die jeweilige Materialität, in der Körperlichkeit zur Erscheinung gebracht wird, sondern auch über den Modus ihrer Wahrnehmung.“ Fischer-Lichte: Wahrnehmung und Medialität. S. 13.

<275>

Siehe zum Thema „Tanz und Performance digital“ diesbezüglich Kapitel 1.2.2.3., ausführlicher Kapitel 3.1.

<276>

Willems, Herbert: Medientheatralität. In: Fischer-Lichte (Hg.): Wahrnehmung und Medialität. S. 185 - 201. Zitat S. 186.

<277>

Weber, Caroline: Theater und Medialität. Präsens/z: Körper-Inszenierungen. In: Schade / Tholen (Hg.): Konfigurationen. S. 146 - 160. Zitat S. 148f.

<278>

Ebd. S. 153.

<279>

Ebd. S. 156ff.

<280>

Ebd.

<281>

Ebd. S. 155f.

<282>

Alle Zitate Ebd. S. 158.

<283>

Ebd. S. 153.

<284>

Sandbothe, Mike: Theatrale Aspekte des Internet. 1998. <www.sandbothe.net/40.html> (erschienen auch in: Willems, Herbert / Jurga, Martin (Hg.): Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch. Opladen 1998. S. 583 - 595)

<285>

Ebd. Vgl. die sinnverwandte Argumentation des Tänzers Kent de Spains entlang des Kapitels 1.2.2.4.

<286>

Ebd. Vgl. dazu etliche Korrespondenzen entlang von Scheffer, Bernd (Hg.): Schrift und Bild in Bewegung.

<287>

Die Gleichsetzung von „Kode“ und „Schrift“ soll hier nur in einer unorthodox paradigmatischen Weise verstanden werden. Die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Konzepten werden sonst in der vorliegender Arbeit so weit wie plausibel weiterhin beibehalten. Maschineller Kode darf nicht mit der menschlichen Sprache verwechselt werden, da im Sinne Kittlers die Wörter bzw. Befehle des Programms immer, tatsächlich und sofort ausgeführt werden, was bei der Sprache - außer im autopoietischen, deklarativen Modus des „sprachlichen Sprachbezugs“ - nicht der Fall ist. Kode ist die Maschine, die Bedeutungen in Handlungen umwandelt - und diese vollzieht: „How can code be so different than mere writing? The answer to this lies in the unique nature of computer code. It lies not in the fact that code is sub-linguistic, but rather that it is hyper-linguistic. Code is a language, but a very special kind of language. Code is the only language that is executable. As Kittler has pointed out, ’[t]here exists no word in any ordinary language which does what it says. No description of a machine sets the machine into motion.‘[Kittler, ’On the Implementation of Knowledge.‘] [...] Code has a semantic meaning, but it also has an enactment of meaning. Thus, while natural languages such as English or Latin only have a legible state, code has both a legible state and an executable state. In this way, code is the summation of language plus an executable meta-layer that encapsulates that language.“ RSG (rsg@rhizome.org): How We Made Our Own Carnivore. In: Emailverteiler ‚Rhizome Digest‘. 28. 06. 2002. <www.rhizome.org/> Vgl. auch die Ausführungen zum Problem des „Kode“ im Kapitel 3.2.3., insb. Anm. 801.

<288>

Birringer: Erschöpfter Raum - Verschwindende Körper. S. 493.

<289>

Sandbothe: Theatrale Aspekte des Internet.

<290>

Das Internet beschreibt Sandbothe „als Ort permanenter Public Relations, als Raum einer auf Dauer gestellten Öffentlichkeitsarbeit“ und verweist auf die theatertypischen Inszenierungsstrategien und das schauspielerische Identitätsmanagement, welche das Web als Plattform mit gewissen technischen Voraussetzungen und kommunikativen Konventionen anbietet: „Das Internet funktioniert als eine Form kollektiver Prostitution, die häufig die Veröffentlichung auch noch des Individuellsten und Intimsten einschließt. [...] Sowohl diese Rituale der Selbstentblößung als auch kreativen Potentiale individueller und kollektiver, privater und professioneller Selbstdarstellung und medialer Identitätskonstruktion habe ich im Blick, wenn ich von Internet-Theatralität im weiten Sinn spreche.“ Ebd.

<291>

Ebd. Genauer genommen beobachtet Sandbothe eine allgemeine Theatralisierung der Handlungsmuster im Internet, die „zu einer Revalidierung bildhaft-dramatischer sowie aphoristisch-inszenatorischer Darstellungsformen führt.“ Autor und Leser, Produzent und Rezipient lassen sich - somit auch den ästhetischen Kommunikationssituationen (Netzliteratur, Netzperformance bzw. telematische Performance usw.) - nicht mehr trennscharf scheiden, obwohl sie sich im Moment der (manchmal gegenseitigen) Inszenierung auf verschiedenen Kontinenten befinden können. „Beide agieren als semiotische Dramaturgen und ästhetische Designer, die das Spiel der Signifikanten auf dem Schauplatz der digitalen Schrift theatral inszenieren und modellieren. Die dynamische Konstellation des interaktiven Hypertextgewebes im Raum, die Verflechtung von Bild, Sprache, Musik und Schrift zu einem transversalen Medienhybrid, die taktile Auszeichnung einzelner Zeichenkomplexe als anklickbare Links oder die von Java angebotenen Möglichkeiten, Buchstaben in Bewegung zu setzen und in graphische Szenen einzubetten [...]“ versteht der Autor eben wiederum als „basale Tiefentheatralisierung“ der zeichenbasierten Weltkonstruktion. Ebd. In der Ansicht der vorliegenden Arbeit bedürfen auch diese (vermeintlich durch die digitale Eigenschaft des Mediums bestimmte) Phänomene eines Ansatzes, der über das Zeichenhafte hinaus auch den (etwa unsemantischen) „Impuls“ als kommunikativen Parameter qualifiziert. Vgl. die Ausführungen des Kapitels 3.3.1.

<292>

Sandbothe: Theatrale Aspekte des Internet.

<293>

Vgl. Anm. 16.

<294>

De Kerckhove, Derrick / Breitsamer, Sabine: Die Architektur des vernetzten Datenraums. Derrick de Kerckhove im Gespräch mit Sabine Breitsamer. Audiohyperspace. September 2002. <www.swr2.de/audiohyperspace/gerversion/interview/kerckhove.html> Vgl. dazu die Ausführungen zu der Cyberspace-Metapher im Kapitel 1.2.3.

<295>

„Mit der Funktionslogik dieser Technik verliert der ‚Bildkörper‘ seinen ‚Körper‘ (den er ja nie hatte) an die fraktalisierte Oberfläche: der Fluß auf diesem Monitor, das Erscheinen und Verschwinden der Zeichen, ist mediengerecht. Bedeutungsinhalte sind nicht verschwunden, sondern lediglich beliebig austauschbar und zitierbar, wobei diese Austauschbarkeit das in seinem subjektiven Zeit-Raumbewußtsein fraktalisierte Subjekt bereits voraussetzt. Auch die audiovisuelle Konsumerfahrung hinterlässt Spuren auf dem menschlichen Körper, solange er noch nicht zum ‚Bildschirm‘ geworden ist.“ Birringer: Erschöpfter Raum - Verschwindende Körper. S. 506.

<296>

Die Position der wenigen BeschwörerInnen des „Todes der Netzkunst“ (siehe dazu auch für diese Arbeit praktisch relevante Aussagen und theoretisch einschlägige Praxis von Vuk Cosic auf <www.ljudmila.org/~vuk/>) exemplifiziert der übersichtige Beitrag von Medosch, Armin: Adieu Netzkunst. Programmänderung: Die Vorhut der Netzkunst hat das Terrain bereits wieder verlassen. Internet-Zeitschrift ‚Telepolis‘. 01.07.1999. Die positiven Ansätze im Sinne künftiger Synergien und Mischformen zwischen Theater und Internet entnimmt die vorliegende Arbeit den Beiträgen Gisela Müllers, Mike Sandbothes und Caroline Webers wie auch, seitens der Praxis und zukunftsträchtiger Vision, Gerhard Sperlings beispielhaften Projekt „OnlineTheater“ <www.onlinetheater.de>.

<297>

Nach Müller, Gisela: Das Ganze Web eine Bühne!? Netzinszenierungen und Internetperformances. Internet-Zeitschrift ‚Dichtung Digital‘. 18. 07. 2001. (Artikel: <www.dichtung-digital.com/2001/07/18-Mueller>)

<298>

Vgl. zum Begriff „Interpassivität“ Kapitel 1.3.4.3.

<299>

Vgl. die Konzeption von „distributed Performance“ im Kapitel 3.1.5.2. Bezüglich des „naturalistischen“ bzw. „realistischen“ Anspruchs an die Medientechnik merke die Überlegungen des Kapitels 1.3.1.

<300>

Sperling, Gerhard: Online Theater. Präsentation zum Expertenforum ‚Real-Time‘. Zur Komposition von virtuellen Environments. Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg. 21. - 24. 03. 2002. (Videoarchiv <http://netzspannung.org>)

<301>

Allgemein werden „Bots“ als „virtuelle Roboter, Butlers oder Agenten“ verstanden, die auf Entlastung des Menschen bei digitaler Informationsverarbeitung programmiert sind und sich nur um routinierte, automatisierte internetspezifische Angelegenheiten wie Verteilen von Emails, zielgesetztes Browsen, automatisches Einkaufen, streng formale geschäftliche Korrespondenz (z. B. Urlaubs-Meldungen usw.), einfache Foren-Moderierung oder sogar Übersetzung kümmern sollen. „Ein ‚Bot‘ ist ein virtueller RoBOTer oder Automaton der durch möglichst menschenähnliches Verhalten und die Personifizierung bestimmter Funktionalitäten den Umgang mit Software angenehmer gestalten soll.“ <www.knuddels.com/home/glossar.shtml> Bots scheinen vorerst ohne eines Anspruchs auf jegliche Körperlichkeit rein funktionalistisch (digital, informatisch) definiert zu sein, wogegen Avatare eine wesentlich komplexere, menschlichere und in der Regel ganzkörperlichere Metaphorik im Sinne einheitlicher Repräsentation beziehen. Allgemein handelt es sich bei Avataren um eine „häufig dreidimensionale Darstellung von Personen, vorzugsweise in grafischen Chats. Ursprünglich sind Avatare im Hinduismus Verkörperungen eines Gottes auf Erden.“ Langenscheidt Internet-Wörterbuch online <www.networds.de> Sie eignen sich allgemein als persönliche oder (seltener) kollektive Stellvertreter mit einem gewissen Anspruch an repräsentativer und zusammenhängender (nicht unbedingt anthropomorpher!) Körperlichkeit im Sinne von corporate image. Ähnlich wie Bots können sie vorprogrammiert als auch in der Echtzeit vom Benutzer (fern)gesteuert werden.

<302>

MUDs („Multi User Dungeons/Dimensions“) sind narrative und interpersonal motivierte textbasierte Environments für mehrere online TeilnehmerInnen, wogegen MOOs („MUDs, Object Oriented“) mehr Aufmerksamkeit den Objekten sowie den Räumlichkeiten bzw. ihren (primär weiterhin textuellen) Darstellungsformen widmen. Vgl. die einschlägige Publikation von Turkle, Sherry: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbek 1998.

<303>

„Was die Jury für diese beiden Konzepte sofort vereinnahmte, waren die Geschichten, die erzählt werden. Dass überhaupt Geschichten erzählt werden und diese auch immer im Vordergrund bleiben und nicht dem Medium untergeordnet sind.“ Müller: Das ganze Web eine Bühne!?

<304>

Vgl. Heibach, Christiane: Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt/Main 2003. Dazu das online Projekt <www.netzaesthetik.de>.

<305>

Müller: Das ganze Web eine Bühne!?

<306>

Ebd.

<307>

Vgl. Anm. 53. Hier sollen Raum und Körper als (art)verschiedene Dimensionen der Erfahrung bzw. Kommunikation verstanden werden. Ausführlicher zu den medientechnischen Aspekten der Vielfältigkeit in 1.3.3. Mixed Reality als ein ökologisch konnotiertes hybrides Dachkonzept der neumedialen Balancierung (der technischen bzw. informationsverarbeitenden Artverschiedenheit) soll, empirisch informiert und zusammenfassend, in 3.2.5.1. erörtert werden.

<308>

Müller: Das ganze Web eine Bühne!?

<309>

In diesem Kapitel werden die Möglichkeiten computerbasierter Installation und ihrer Mischformen mit anderen künstlerischen Praxen nur im spezifischen, „räumlich“ relevanten Kontext bearbeitet. Eine breitere theoretische und mit praktischen Beispielen unterstützte Auseinandersetzung befindet sich unter Miteinbeziehung der Schnittstellen- und Interaktionskonzepte im Kapitel 1.3., eine praktisch-empirische Bearbeitung des Themas jedoch im Kapitel 3.2.4.

<310>

Siehe Anm. 1043.

<311>

So die Sichtweise der AutorInnen des preisgekrönten Internet-Theater Projekts „Fluchten!“ <www.fluchten.de/fluchten.htm>

<312>

Vgl. zu den zeitlichen Aspekten des Raumes Kapitel 1.2.1.

<313>

Vgl. die begrifflichen Präzisierungen Einsteins am Anfang des Kapitels 1.2.

<314>

Aus der Vorstellung des „MARS“ (siehe Anm. 53f) von Novak, Jasminko: MARS. Vorstellung des MARS Exploratory Media Labs von Jasminko Novak anlässlich des Expertenforums „Real-Time". Zur Komposition von virtuellen Environments. 21.-24.03.2002, Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg. <http://netzspannung.org> (Video-Archiv)

<315>

Strehovec, Janez: Atmospheres of Extraordinary in Installation Art. London 2000. <http://a-r-c.gold.ac.uk/a-r-cThree/printexts/printjanez.html>

<316>

Strehovec, Janez: Tehnokultura - kultura tehna. In diesem Werk verweist Strehovec auf das übergeordnete kulturelle Paradigma des „Techno“ und begründet es, indem er sowohl die Pop-Kultur als die digitale Kunst und (ihre) Technologien im ausgehenden 20. Jahrhundert auf weitgreifende ästhetisch-philosophische Fundamente sowie popkulturelle Beobachtungen stellt. Darin verweist Strehovec auch auf eine wesentliche und gefährliche Dichotomie zwischen dem „klaren“ und dem „obskuren“ Raum innerhalb der Techno-Kultur: „[...] clear spaces for ultimate questions of person in raving society are being generated in the context of smart machines, but next to these apparatuses obscure spaces appear as well, spaces for generating new-age techno-mysitzism and techno-obscurantism.“ Ebd. S. 251. Für die versprochenen „klaren“ Räume sei typisch, dass sie zum Kern des heutigen Hi-Techs im Sinne von Maschinen gehören, „which are not designed as means of reaching aims in heavy and hard productions but are rather soft, ironic and aesthetic, spectacular and artistic.“ Ebd. S. 250.

<317>

Größtenteils übersetzbar mit “Als-ob-Kunstwerk“: „Would-be-art of would-be-works of art (I have introduced both technical terms just to stress the controversial nature of new art genres with respect to the stable work-nature of traditional art products) is an area which corresponds with the needs of a present-day individual. Namely, this is the need for creativity and experience at the extreme edge of perception and imagination. Would-be-art is heterogeneous in its nature, eclectic in its articulations and plural in its perspectives and accessions. It is spreading into science and religion, everyday life, new media, and new mythologies, but at the same time, it is very explicitly turning towards the crucial issues of the person. Besides religion, would-be-art is the only institution that in as individualised a way as possible deals with the issue of death. It establishes the atmospheres of extraordinary and even names the most condemned things, from both the physical space and the cyber space.“ Strehovec: Atmospeheres of Extraordinary in Installation Art.

<318>

Ebd. Vgl. die Ausführungen zur „Schnittstellenkultur“ am Anfang des Kapitels 1.3.

<319>

Darin Bezieht sich Strehovec auf Ingarden, Roman: The Literary Work of Art. Evanston 1973. S. 291.

<320>

“These qualities produce particularly shocking effects, their occurrence is perceived as grace and for those involved in them their revelation is the climax of their existence. Regardless of whether their value is positive or negative, their revelation is in itself something positive, because these qualities enable one to experience the extreme, sharply juxtaposed to the grey routine of everyday life.“ Strehovec: Atmospheres of Extraordinary in Installation Art.

<321>

Vgl. Kapitel 1.1.2., insb. die Argumentation um die Positionen der „Theatralität.“ Darüber hinaus betrachte die methodischen Voraussetzungen der vorliegenden Arbeit spezifisch im Kapitel 2.1.

<322>

In Strehovecs lebenspraktisch motivierten Zusammenfassung sei dies “an activity which chooses and applies forms and practices of the known, traditional (postmodern, modern, and avant-garde) art as well as processes of science, technology, extreme sport, religion, (new) mythologies, new media, and various, mostly high- adrenaline practices of everyday life.“ Strehovec: Atmospheres of Extraordinary in Installation Art.

<323>

Dieses Event-Konzept rekurriert auf die in letzter Zeit expandierende „Event-Marketing“ Branche; etwa in Bereichen „Seminar und Messe“, „Kunst- und Kulturevents“, Sport usw.

<324>

Strehovec: Atmospheres of Extraordinary in Installation Art.

<325>

Das Ziel dieser Kunst bezeichnet Strehovec als “the arrangement of situations of extraordinary in an attractive, intensively stimulating way that directs us towards experiencing extreme and singular events, which with high amplitudes digress from average, e. g. from the series of events in everyday life and mediascape.“ Ebd.

<326>

Strehovec: Tehnokultura - kultura tehna. S. 250.

<327>

Munster: Von der Wiederkehr des schwindenden Körpers. Vgl. dazu insb. die Hinweise von und zu David Rokeby in Anm. 515 sowie die Ausführungen im Kapitel 3.2.3.

<328>

„One important aspect of human spatial desire is to sense ourselves as the primary, even sole users of particular spaces, and to reinforce this primacy I think that we have learned to set the threshold of liminality very high. In fact, we even share the surface and interior space of each human body with millions of organisms that we only intentionally kill or expel when their existence negatively impacts our own. [...] humans will likely feel that virtual spaces are primarily or solely for their use, and will suppress awareness of any alternative spatial desires present unless they negatively impact their own.“ Kent de Spain: Come in and Make Yourself at Home. Colonization and the Body/Technology Interface. In: Body, Space and Technology. Bd. 2. Nr. 1. Brunel University 2001. <www.brunel.ac.uk/bst/2no1/KentDe/Body.htm>

<329>

Ebd.

<330>

Ebd.

<331>

Vergleiche die bereits mehrmals bewiesene Komplexität des Kode-Phänomens (Anm. 801) sowie Ausführungen zur medialen Vielschichtigkeit des Gesprächs/Kommunikation von Angesicht zu Angesicht wie dargestellt im Kapitel 3.2.3. und vielfach erörtert von Giesecke: Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. sowie mit noch flächendeckenderen Anspruch in: ders.: Kommunikative Welt. Datenbank: <www.kommunikative-welt.de>

<332>

De Spain: Come in and Make Yourself at Home.

<333>

Der symptomatische (sowie immer wieder brisante) US-amerikanische Gründermythos der äußeren Grenze lässt sich - zumindest in der vorliegenden Explizierung - ebenfalls gut auf die präservative Kultur(politik) und gleichsam expansionistische (Geo)Politik des gesamten modernen Westens übertragen. „As an American, I am part of a culture which has been deeply shaped by spatial concerns: our ancestors came to a ’New World‘ and believed in ’Manifest Destiny‘ in settling the ’frontier.‘ Given the depth of that spatial concern, it is not at all surprising that virtual/digital spaces have taken on the mantle of a ’new‘ frontier. The character of the American people both our fearless and democratic self-reliance and our racist and violent self-concern can be easily seen in the spatial desires of the American frontier. [...] Over the past two decades we have been witnessing the domestication, the colonization, of virtual/digital spaces, and such an idea raises questions: Is this new frontier simply reinforcing the social hierarchy of conventional spaces? Will the marginalized and invisible remain so in the virtual world?“ Ebd. Laut De Spain bezeichne “Virtualität“ in ihrem Wesen (immer noch) eine Abwesenheit der verkörperlichten Präsenz, die aber zu einem ultimativen Demokratisierungsraum für die Gesellschaft jenseits kultureller Markierungen werden sollte. Nach der rhetorisch dichten und kulturkritisch hochrelevanten Beobachtung des Tänzers, verbringen die meisten BenutzerInnen der neuen Medientechnik mit ihr zwar eine romantische, kurze und süße, sogar erkenntnisvolle Spielzeit, die aber immer wieder von den Manipulationsstrategien des kapitalgeführten Technologiemarkts durch wiederholte Quasierfindungen und Mystifizierungen politisch entschärft und kreativ atrophiert wird. „We have not even lived up to the utopian values of the early ’free-access,‘ ’no one owns the internet‘ pioneers. Although the rise in corporate and government control of both access and content on the web has not yet prevented anyone from posting just about anything they want (that is, if ’anyone‘ happens to be on the ’haves‘ side of the ’digital divide‘ with access to both the equipment and the knowledge), if corporate content becomes overwhelming in both visibility (sheer volume of content) and quality (let‘s face it, cutting edge technology drives the market and is always just beyond the financial means of most users) it may make independent content ’virtually‘ invisible.“ Ebd.

<334>

“As we move more and more toward the digitization of our culture, with DVDs and digital cameras and the like, digital spaces are becoming the storehouses of human memorabilia. They are replacing desk drawers and closets and boxes in the attic in a way that clearly shows our lack of understanding about the fragility of digital media or the continual obsolescence of the software and hardware that translate a specific set of ones and zeros into wedding photos. [...] We are continually creating and then colonizing new virtual/digital spaces sort of like endlessly building and filling up new closets but the concern goes deeper [...]. In the most human of ways, virtual/digital spaces have become not only the repository of desirable human images and text, but also obsolete and objectionable ones. They are not only archives and attics, but dumps. [...] As humans have expanded into new territories, ever have they dumped their detritus in the spaces they‘ve left behind. That may also explain more about our motives for moving on.“ Ebd.

<335>

Vgl. Anm. 427.

<336>

„Übertragen auf das Feld der Medienkultur und -wissenschaft meint Hybridisierung mehr und hat doch mit der erwähnten Kombination von Medien zu tun: Das Hybride, Vermischte, sich Durchdringende oder Überlagernde gilt seit zwei Jahrzehnten als Kulturphänomen und Signatur unserer postmodernen Zeit. Die Rede ist von hybriden Räumen, virtuellen Metropolen, Ästhetiken.“ Tholen, Georg Christoph: Der Ort des Raums. Erkundigungen zum offenen und geschlossenen Raum. <www.xcult.ch/texte/tholen/raum.html> (Vortragsversion zu HyperKult IX - Augmented Space. Reale, virtuelle und Symbolische Räume. 20. - 22.7. 2000, Lüneburg, FB Kulturinformatik). In Rekurrenz auf Irmela Schneiders begriffsklärende Publikation hält auch der Medienforscher Georg Christoph Tholen das Internet für das reinste Hybridmedium, da es so viele artverschiedene Kommunikationsformen zusammenbringt (Text - Bild -Ton; privat - öffentlich; einwegig - zweiwegig; verschiedene Kodes, Sprachen- und Zeichensysteme usw.). Vgl. Schneider, Irmela / Thomson, Christian W. (Hg.): Hybridkultur. Medien Netze Künste. Köln 1997. Das „Hybride“ der Kultur und ihrer Phänomene sollte als aktuelle conditio sine qua non die Auflösung und Grenzverwischung zwischen den bisher trennbaren (und praktisch sowie diskursiv getrennten) Bereichen bezeichnet werden können, die zudem auch jenseits der Auslegungsmöglichkeiten moderner und postmoderner Theoriebildung liegt. Der (sprachlich) unbestimmbare Zwitterzustand ermöglicht einen besonders regen Austausch zwischen den bisher getrennten Entitäten sowie eine gesteigerte (interdisziplinäre) Produktion in den neuentstandenen (medialen, kulturellen) Hybridbereichen. Im biologischen Sinne assoziiert „Hybridität“ außerdem eine Emergenz des Neuartigen aus (Merkmals)Verschiedenem.

<337>

Auch über die repräsentative Ebene hinaus sind bereits etliche konkrete Versuche gemacht worden, die Schwerkraft im Theater und Tanz tatsächlich zu überwinden. Innerhalb der Projekte zur Weltraumforschung entwickeln sich auch (etwa symptomatisch, vgl. Kapitel 3.3.3.) immer mehrere Kooperative und interdisziplinäre Projekte. Siehe. z. B. Dragan Zivadinovs Projekt „Gravitation Zero Noordung“ <http://noordung.telekom.si/ang/gravzero.htm> (Lesedatum: 22. 03. 2004). Vgl. dazu die EU-finanzierte Ausschreibung des „MIR Partnerschaft“ Projektes am russischen „Gagarin Cosmonaut Training Centre“ in 2002 <http://mir.v2.nl/>. Es werden doppelt mehr künstlerische als wissenschaftliche Projekte gefördert, die mit Schwerelosigkeit und anderen extremen Gravitations- und Geschwindigkeitsbedingungen experimentieren sollen.

<338>

De Spain: Come in and Make Yourself at Home.

<339>

Zu dieser Systematisierung vgl. die ausführliche diskursive Auseinandersetzung entlang des Kapitels 1.3.5., wo die einzelnen Begriffe kreuzweise abgehandelt werden.

<340>

Bevor in einem letzten Exkurs die Diskurse des „Cyberspace“ behandelt werden (Kapitel 1.2.3.), diene das vorliegende Kapitel gleichzeitig als eine thematische Zusammenfassung der vorangehenden Überlegungen zum elektronischen Raum sowie eine schwerpunktmäßige Vorankündigung des zentralen Teils der vorliegenden Arbeit, wo der Bereich des „dance-tech“ in all seiner produktiven Aktualität (3.1.) sowie seiner (medien)kultureller Relevanz (3.2. und 3.3.) behandelt werden soll.

<341>

Birringer: Erschöpfter Raum - Verschwindende Körper. S. 510f.

<342>

Ebd. S. 514. Laut Birringer handelt es sich dabei genauer um „die zur Überlebensfrage gewordene Problematik der phantasmatischen Präsenz der Person auf der Bühne der Welt, ihrer Vereinsamung und Verwirrung im sozialen Raum/Universum technischer Bilder und Apparaturen, die ihre Repräsentationsformen (als Reproduktion ohne Erinnerung) übernommen haben. Allerdings zeigen diese Inszenierungen uns auch, in der Gegenüberstellung von Person und elektronischer Scheinrealität im physischen Raum, inwieweit die Beschleunigungen oder Zerstückelungen der Bildinformation auf den Monitoren und das Ausenanderreißen der Wahrnehmungs- und Sinnzusammenhänge transparent gemacht werden können [...]“ Ebd. S. 514f. Unter philosophischen und ästhetischen Ansätzen von Kant, Heidegger und einigen Poststrukturalisten (Derrida, Lyotard, Virilio, Deleuze) kristallisiert auch Georg Christoph Tholen den elektronischen (Video)Raum als den aktuell plausibelsten Weg zur medialen (sowie medialisierten) Selbstreflexion. Neben Videokunst lassen sich einschlägige Parallelen mit elektronischer Musik, den digitalen Plattformen des Internets sowie mit den Medieninstallationen und computerbasierten Performances leicht ziehen: „Videokunst ist die per-formierende oder dekonstruktive Unterbrechung des Übergangs von opaker zu transparenter Sichtbarkeit. Die Zeitachsenmanipulation der Videokunst distanziert in der Kunst der Wiederholung (closed curcuits) die narzistische Räumlichkeit eines sein Sehen sehen e(sic!)ollenden Subjektes. Videokunst unterbricht den anthropomorphen Narzissmus, indem sie ihn ausstellt.“ Tholen, Georg Christoph: Dazwischen. Zeit, Raum und Bild in der intermedialen Performance. <www.uni-konstanz.de/paech2002/zdm/beitrg/Tholen.htm>

<343>

Vgl. die Ausführungen zur eigenen Performance des Autors im Kapitel 2.3.1.2.

<344>

Das Konzept „Cyberstaging“ erklärt Christoph Rodatz folgenderweise: „Die Funktionsweise Neuer Technologien beruht unter anderem auf Fragmentierung und Vernetzung. Hyperstrukturen, Paketversendung bei Emails oder die Datenverwaltung auf der Festplatte sind nur einige Beispiele dafür. Neue Technologien beschleunigen, entfernen und intensivieren technisch mediale Kommunikation zwischen Sender und Empfänger. Neue Technologien verbinden unterschiedlichste Medientypen, indem sie sie auf einer gemeinsamen Plattform vereinen.“ <http://ipsi.fhg.de/~rodatz/hParsifal.htm>

<345>

Vgl. die künstlerische Homepage von Christoph Rodatz unter <http://ipsi.fhg.de/~rodatz/>. Auf seinen Seiten weist Rodatz darauf hin, dass hier nicht der Einsatz neuer Technologien am Theater (als Maschinerie) thematisiert wird, sondern der Einfluss von Strukturen und Organisationsweisen neuer Technologien auf die Rezeption und Organisation.

<346>

Ebd.

<347>

Rodatz, Christoph: Simulating Net-Structures in Theatre. In: Fleischmann / Strauss (Hg.): Living in Mixed Realities. S. 173 - 176. Zitat S. 175.

<348>

Hier als wortspielerische Analogie zum „Er-fahren“ (vgl. Anm. 68).

<349>

Expertenforum „Real-Time. Zur Komposition von virtuellen Environments. 21.- 24. 03. 2002. Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg.

<350>

Vgl. Kapitel 3.3.3. sowie einzelne Thesensetzungen im Kapitel 3.2.1.

<351>

Vgl. dazu die flächendeckenden Ausführungen zur Praxis sowie den diesbezüglichen Diskursen und Technologien von Palindrome im gesamten Kapitel 3.

<352>

„Möglicherweise liegt das größte künstlerische Potential des Computers weder in seiner Anwendung als Werkzeug, noch in seinem Gebrauch als neues Medium, sondern in seiner einzigartigen Fähigkeit, verschiedene Ausdrucksformen, die lange Zeit voneinander getrennt waren, miteinander zu verknüpfen; d.h. eine neue Art von Verbindung zwischen Menschen herzustellen.“ Wechsler, Robert: Computer und Tanz. <www.palindrome.de/drj-germ.htm> (erschienen auch in: Der Tanz der Dinge. Nr. 41, Herbst 1998. Hervorhebung von P.P.)

<353>

Ebd. "Frame-grabbing" bezieht sich auf die computerisierte Erfassung, Abspeicherung und später Prozessierung von Einzelbildern, „motion capture“ (auch „mocap“) bezieht eher auf die Erfassung des Bewegungsflusses in den Videoaufnahmen. „Hierfür sind drei mini-Videokameras an drei verschiedenen Punkten im Umfeld der Bühne installiert. Eine über und eine jeweils in einer vorderen Ecke der Bühne. Zusammen geben sie dem Computer eine dreidimensionale Sicht des Geschehens auf der Bühne. Indem die Bewegung des Tänzers auf einem Bildschirm erfaßt und festgehalten wird und diese Information innerhalb kürzester Zeit von einer Software bearbeitet werden kann, ist es möglich, Tanz auf andere Medien zu konvertieren. Jede Veränderung in einem einmal erfaßten Bild, die schon durch kleinste Bewegungen ausgelöst werden kann, ist als Impuls, um Reaktionen in anderen Medien hervorzurufen, nutzbar.“ Ebd. Vgl. auch Kapitel 3.1.4.2.

<354>

Dazu umfangreicher im Kapitel 3.2.1.5. und 3.2.1.6. Lösungsvorschläge im Kapitel 3.3.3.

<355>

Wechsler, Robert: The Meaning of Interaction in Dance. 2000. <www.palindrome.de/interact.htm>

<356>

Ebd.

<357>

Ebd.

<358>

Vgl. Kapitel. 3.2.5.4.

<359>

„Die Musik dominiert üblicherweise den Gesamteindruck und damit die Reaktion des Publikums. Tanz wird somit in erster Linie als visualisierte Musik verstanden, oder als eine verbildlichte ‚Geschichte‘. Interaktive Medien bieten die Möglichkeit, diese Beziehung dynamisch zu machen. Musik oder Licht können nunmehr ihrerseits dem Tanz ‚folgen‘.“ Wechsler: Computer und Tanz. Doch die technische Revolution des Tanzes kehrt das altbekannte Paradigma nicht nur um, sondern erweitert es um eine wesentliche mediale Komponente des Körper-im-Raum sowie des Raum-im-Körper, die zwei bisher getrennte Rollen in einer einzigen Person bzw. Gruppe vereinen kann: „In ‚interaktiven Tänzen‘ wird die Beziehung, die zwischen Musik und Bewegung besteht, nicht einfach umgekehrt, (so daß nun die Musik dem Tanz folgt, statt der Tanz der Musik). Es handelt sich hier vielmehr um eine grundsätzlich neue Beziehung. Traditionsgemäß arbeiten Tänzer daran, möglichst genau ‚auf‘ die Musik zu tanzen und durch Phrasieren der Bewegung Synchronität mit den Akzenten in der Musik zu erzielen. Im Fall von computergestützter Interaktion ist die Relation von Bewegung und Musik automatisch und augenblicklich gegeben. Auf den ersten Blick scheint dies den Tod jeder natürlichen Kommunikation zwischen Tanz und Musik zu bedeuten. Bei genauerem Hinsehen jedoch stellt man fest, daß dem nicht so ist. Es ist einfach eine neue Art von Beziehung. Die Anforderungen an die Musikalität des Tänzers sind eher noch höher, da wir nun seine Phrasierung sowohl sehen als auch hören können! In gewisser Weise verfügt der Tänzer dadurch über mehr künstlerische Ausdruckskraft als je zuvor.“ Ebd. Vgl. Kapitel 3.1.4. sowie 3.2.5.3.

<360>

Ebd.

<361>

<www.frankfurt-ballett.de>

<362>

Haffner, Nik: Forsythe und die Medien. Ein Bericht. <www.frankfurt-ballett.de/nikmediagerman.html> (Lesedatum: 1. 12. 2002) Vgl. auch insg. Kapitel. 3.2.2.

<363>

Mehr zur Arbeit Johannes Birringers im Rahmen des Instituts „OSU Dance“ auf der Ohio State University in den USA unter <www.dance.ohio-state.edu/Dance_and_Technology/> sowie auf der Webseite seiner Medienperformance-Gruppe (in ihrer Selbstbeschreibung “a non-profit performing arts organization experimenting with cross-cultural ideas and multiple media“) „AlienNation“ unter <www.aliennationcompany.com/people/jobi.htm> Umfangreicher zum Thema „dance-tech“ bzw. „Tanz und Technologie“ sowie weiteres zum Autor entlang des Kapitels 3.1. sowie themenspezifischer im Kapitel 3.2.2.1.

<364>

Seit 1994 ein Projekt der amerikanischen Regierung, das in letzter Zeit immer häufiger in künstlerischen und akademischen Projekten eingesetzt wird. <http://scv.bu.edu/vBNS/Seminar-10feb97/I2Apps/I2Internet2.html>

<365>

„Choreographers are using software to create their pieces. Working with video-conferencing, video-editing, and motion-capture techniques, academics and dance companies are transforming the stage from a physical space into something that can exist in many places at once - a specialty known as telematics. With elaborate ’wearables‘ and sensor-equipped stages, they've endowed physical movement itself with new dimensions and properties such as sound.“ In: Schreve, Jenn: Borg of the Dance. Internet-Zeitschrift ‚Wired News‘. 29. 04. 2002. Vgl. Insgesamt den Kapitel 3.1. sowie die folgende Definition aus der Wortbildung “Tanztechnologie“ aus „Wikipedia“: “Dance technology is a dance form in which existing and emerging technologies are used to extend traditional dance practice and develop new dance practices.“ <http://dance-technology.wikiverse.org> (“Wikiverse“ <www.wikiverse.org> versteht sich als “an up-to-date high speed static mirror of Wikipedia“, siehe Anm. 88).

<366>

„Notice that spatial metaphors govern the rhetoric of hypermedia: people move along paths from link to link, traveling through cyberspace. Rather than functioning either as performers or as authors, hypermedia audiences function as explorers. They are like tourists, rushing through the areas that do not interest them, lingering when they find something that strikes their fancy, meandering down an intriguing alleyway, perhaps getting lost for a while before finding their way back to a familiar landmark. All the while, the interactors keep their eyes on the road. Their object of attention is the work, not themselves in the work.“ Saltz: The Art of Interaction. S. 6.

<367>

Duden Deutsches Universalwörterbuch.

<368>

Langenscheidt Internet-Wörterbuch online <www.networds.de>

<369>

Weibel, Peter: Virtuelle Welten: Des Keisers neue Körper. Ars Electronica Festival 1990. Archiv: <www.aec.at/20jahre>.

<370>

Tholen: Der Ort des Raums.

<371>

Siehe weiterführend Kapitel 1.3.3. sowie 3.2.5.1.

<372>

Die narrative bzw. fabulative Auseinandersetzung Norie Neumarks mit der historischen Dimension des Raumes soll wegen ihrer besonderen Aussagekraft hier in Ganzem wiedergegeben werden: „Es war einmal ein Raum, der entfernte, aber verlockende Ort von 'Fortschritt' und 'Zukunft'. Der Raum des Weltraumzeitalters war ein Knotenpunkt, ein Konstrukt von wissenschaftlichen Weltraumzeitalter-Diskurs sowie geographisch/imperialistischen Diskursen. Wie ‚Natur‘ in ihrer Zeit wurde er als ‚da draußen‘ verstanden, um ihn zu beobachten und zu vermessen. Seine verlockende, bezeichnende Charakteristik war unbekannt und schuf so das Verlangen, bekannt, erkundet und erobert zu werden. Hinsichtlich Sehnsüchten und Metaphern übernahm der Raum des Weltraumzeitalters kulturell den Rang der Natur und der Kolonien. Aber als die Zukunft da war, war er eher furchtbar als furchteinflößend. So schichteten Sehnsucht und die Faszination ihre Kräfte um, sie verwandelten sich und gingen in sich, angetrieben von einer Nostalgia für den Weltraum und seinen Versprechungen. Und so haben wir Cyberspace - einen Innenraum, der zum Besuch und zur Eroberung einlädt. Dieser apokalyptische Cyberspace ist nicht nur der Nachkomme des technisch/wissenschaftlichen Weltraumzeitalter-Diskurses, sondern auch der früheren philosophischen und populären Romantik sowie des religiösen Diskurses über den Raum.“ Neumark: Synästhesie und Kinästhesie.

<373>

Rötzer, Florian: Der Monitor als Fenster in einen unbegrenzten Raum. S. 289.

<374>

Ausnahme sind z B. bewegliche, aktive Plattformen zur Simulation der Unterlage und der Gleichgewichtsverhältnisse im Raum. Vgl. das Projekt des MARS (siehe Anm. 53) unter dem Titel „Virtual Balance“. Es handelt sich um ein „Interface zur intuitiven Navigation durch dreidimensionale virtuelle Szenarien. Die Idee des fliegenden Teppichs als Interface inspirierte die Entwicklung dieser Bewegungsplattform. Durch Gewichtsverlagerung wird eine Erkundung der virtuellen Umgebung in alle Richtungen möglich. Der Benutzer steht dabei auf einer Plattform mit Sensoren, die seine Schwerpunktverlagerung misst und daraus die Positionsdaten für die Navigation berechnet: Gewichtsverlagerungen nach rechts/links entsprechen den Bewegungsrichtungen im virtuellen Raum, Bewegungen nach vorne bzw. hinten ändern die Höhe des virtuellen Flugs.“ <www.imk.fraunhofer.de/mars> (siehe unter „Produkte und Projekte“)

<375>

Dabei betrachte man - besonders in Hinsicht auf nicht-westliche Kulturen - die ganze Spannweite des Phänomens vom Traum über Drogenexperiment bis zum allgemein gebilligten „kunstgenießenden“ Fiktionalitätsdrang. Eine flächendeckende und diachron differenzierte Auseinandersetzung, allerdings primär mit dem visuellen Aspekt, findet sich durchgängig bei Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart.

<376>

Alle Aussagen von Rabinowitz zitiert nach der historischen Auseinandersetzung mit dem elektronischen Raum von Youngblood, Gene: Der Virtuelle Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image. Ars Electronica Festival 1986. Archiv: <www.aec.at/20jahre>. Bei der Übertragung per Satellit entstanden Zeitverzögerungen von einer Viertelsekunde, was immer noch auf den heutigen unteren Grenzen der Zeitverzögerungen bei Telekonferenzen und Internet Chat liegt. Das zweite telematische Kunstprojekt des Duos Rabinowitz-Galloway im Jahr 1980 hatte bereits die Grenze zum öffentlichen Raum überschritten: „Hole in Space“ verband zwei Straßen in Los Angeles und New York durch ein hochauflösendes Videobild miteinander: „Es gab keine Vorankündigungen und an den Schauplätzen keinerlei Hinweise oder Anleitungen.“ Ebd.

<377>

Vgl. Kapitel 1.1.3.

<378>

Nicolai, Klaus: Das 'Medium' spricht in seiner Sprache. Zur Architektur der Wahrnehmung. <www.body-bytes.de/download/forum98/nicolai.pdf> (Hervorhebung von P. P.)

<379>

Ebd.

<380>

Böhme, Hartmut: Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte. Ende der Philosophie - Beginn des Neuen Jerusalem? 15. 3. 2002. <www.culture.hu-berlin.de/HB/volltexte/texte/vernetzung.html>

<381>

Siehe zu Edouard Bannwarts Konzeption der medialisierten Stadt unter <www.v2.nl/DEAF/96/nodes/BannwartE/>.

<382>

Zwischen „Leib“ und „Körper“ scheint es für Böhme keinen begrifflichen Unterschied zu geben. (Siehe Ausführungen zur begrifflichen Relation in der Anm. 35.

<383>

Böhme: Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte.

<384>

Ebd.

<385>

Vgl. zu Tibon-Cornillot die abschließenden Ausführungen im Kapitel 1.1.3.

<386>

Böhme: Von der Vernetzung zur Virtualisierung der Städte. Vgl. dazu Dieter Wieczoreks Annahme, die Virtualisierung des Körpers ermögliche den Wiederimport des Begriffs „Seele“ in christlicher Vorkonzeption. In seinem Aufsatz „Der Körper im Cyberspace und virtuellen Raum. Programmierte Seelen in nichtinkarnierten Körpern.“ Enttarnt er den virtualisierten Körper als neurotisches „Projekt der Körpermeidung, wenn nicht Körperabschaffung“. „In für manche vielleicht überraschender Weise koinzidiert dieser virtuelle ‚Körper‘ mit dem Konzept der ‚Seele‘ christlicher Provenienz, welche stets als Flucht- und Gegenpol des als endlich, erdgebunden und als sündhaft abzulehnenden Realkörpers stand. Als technische Einlösung und Wiederkehr des Verdrängten realisiert der virtuelle Körper die der Seele zugesprochene Überwindung der Zeit. Ungerührt, unberührbar und unabhängig von den lediglich den materialisierten Körper betreffenden raumzeitlichen Limitationen und Effekten garantiert die Seele die personale Identität. Allein ihr ist der Zugang zur Ewigkeit, verstanden als Ausserzeitlichkeit möglich.“ Wieczorek, Dieter: Der Körper im Cyberspace und virtuellen Raum. Programmierte Seelen in nichtinkarnierten Körpern. Paris 1998. <http://mitglied.lycos.de/DieterWieczorek/index-32.html>

<387>

Ebd. [Hervorhebung des als-ob Komparativs von P.P.]

<388>

Siehe oben Kapitel 1.1.2., etwa Anm. 100f. Entlang des Kapitels 3.1. soll die besondere technoemanzipative Haltung und Empirie dieser praktisch bewanderten Medientheoretikerin unterstrichen werden.

<389>

Vgl. die praktischen Beispiele entlang des Kapitels 1.3.

<390>

Wieczorek: Der Körper im Cyberspace und virtuellen Raum. Zum Thema “Körper und Mythos“ vgl. einen (im Kapitel 1.1.1. herangegangenen) kulturgeschichtlich tiefgreifenden, betont medienaffirmativen Text von Bernd Graff (Graff: Der Körper ist ein Double für das Double des Körpers.). Der Autor bedauert den Körper zwar immer noch als den wissenschaftlichen „Tagungsort des [aufklärerischen] Mythos“, diagnostiziert jedoch seine Entmystifizierung auf der kulturellen Ebene (S. 82) und erklärt seine Prominenz in unserer „dichteste[n] und aufdringlichste[n] Körperkultur“ (S. 70) aller Zeiten, ähnlich wie Florian Rötzer (siehe Kapitel 1.3.), mit der Gefahr seines Verschwindens im Digitalen. Laut Graff gibt es den Körper immer noch nicht und wir suchen ihn weiterhin, diesmal in der virtuellen Realität oder versuchen ihn materiell, also technisch zu erschaffen bzw. modifizieren (S. 71ff). Er meint die mythologische Stufe des tragisch digitalisierten Körpers wäre bereits von den praktisch Arbeitenden Technikern und Künstlern, den tatsächlichen „Puppeteers“ des Körpers (motion capturing, 3D Animationsverfahren in Echtzeit usw.) überholt (S. 77ff) und entdeckt darin die „Kraftlinien [...], die den Körper auf eine neue Weise durchziehen, obwohl sie ihn - jetzt sogar im Wortsinn - nicht einmal mehr zu berühren brauchen.“ (S. 82).

<391>

Wieczorek: Der Körper im Cyberspace und virtuellen Raum.

<392>

Ebd.

<393>

„Die Fabrikation des virtuellen Raumes vollzieht sich im ersten Schritt durch eine mediale Trennung akustischer, visueller und weiterer sensorieller Signale, die dann im zweiten Schritt additiv restruktuiert und kombiniert werden. Eine solche Synthesisierung der getrennten Signale (Medien) im virtuellen Raum kann jedoch kaum konkurrieren mit der nicht-intentionalen, sensuellen Komplexität und Erfahrungsvielheit, noch mit der stets bedeutungsfordernden Unendlichkeit des realen Raumes. Der technischen Komplexität des virtuellen Raumes und ihrer Installation von Signalen steht die unabsehbare Komplexität des Realraumes gegenüber, der sich ständig einem intentionalen Zugriff entzieht und das Subjekt an den Grenzen seiner Kapazität der Bedeutungsstiftung fordert.“ Ebd.

<394>

Ebd. Dazu fänden sich natürlich zahlreiche relevante Gegenpositionen aus der (prinzipiell computeraffirmativen) Praxis der Nutzer, die dagegen ein omnipräsentes, globales - nicht nur vergnügendes, sondern auch verpflichtend soziales und politisches - Bewusstsein zu stellen wüssten. Dies etwa die Ansammlung von Positionen in: Heibach, Christiane / Bollmann, Stefan (Hg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Mannheim 1996.

<395>

Vgl. die Anm. 1083 zum Konzept des „Open Source“.

<396>

Wieczorek: Der Körper im Cyberspace und virtuellen Raum.

<397>

„Differenzierung der Sphären bedeutet auch eine Differenzierung der Bewusstseinstypen, und die Auflösung des Kollektivs meint vor allem eine Auflösung der Schimäre ‚kollektive Wahrheit‘. So kann man im Sklaven tatsächlich auch den Souverän des ‚realen‘ Jetzt entdecken, der auf dem Gipfel seiner ausgekosteten Freiheit dem Wesen aus Bits und Bytes das Abbild seiner Bewegung schenkt. [...] Wo kein Leib mehr, sondern nur Körper ist, kann darum mehr ‚greifbare‘ Wahrheit werden - und sei sie noch so virtuell vermittelt. Wahrheit wohl verstanden nicht als Anathema aus verlorener Zeit sondern aus dem geläuterten Bewusstsein heraus, dass mehr als es gibt, auch nicht zu holen ist.“ Graff: Der Körper ist ein Double für das Double des Körpers. S. 82. Siehe zur Konzeption des Leib-Körper Problems bei Graff wie auch allgemein im Kapitel 1.1.1.f.

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