Alles Heritage?

Die Erweiterung des Denkmalbegriffs hat zu einer Expansion des Erinnerns, Schützens, Bewahrens und Tradierens auf alle Bereiche des Lebens geführt. Heute werden nicht nur Scheunen, Tankstellen und Großwohnsiedlungen als Teil des historischen Erbes unter Denkmalschutz gestellt, sondern auch kulturelle Praktiken und Bräuche zum „immateriellen“ Weltkulturerbe erklärt. Die Folge dieser als „Denkmal-Inflation“ kritisierten Entwicklung ist eine verschärfte Konkurrenz um Aufmerksamkeit und finanzielle Zuwendungen. Letzteres spiegelt sich nicht zuletzt in einer zunehmenden, maßgeblich von der Tourismusindustrie geförderten publikumswirksamen Inszenierung des Erbes. Im Zeitalter der „Heritage Industry“ (Robert Hewison, 1987) bilden Kulturgüter aber nicht nur einen wichtigen Standortfaktor, sondern wird das „Erbe“ selbst zunehmend mittels internationaler Charten, Deklarationen, Plaketten und Social Media-Kampagnen konstruiert. Dies geschieht vorwiegend innerhalb eines anglophonen Diskurses, der aber an die deutschsprachigen begriffs- und ideengeschichtlich geprägten Diskussionen strenggenommen nicht anschlussfähig ist. Dort lässt sich ein – in einem ähnlichen Sinne umfassend zu nennender – Erbe-Begriff zwar bereits für die Heimatschutzbewegung konstatieren, eine fachlich ausdifferenzierte Denkmalpflege, wie wir sie heute kennen, tut sich jedoch schwer, ein solches universelles Konzept zu integrieren. Während die „Heritagisierung“ durch internationale Organisationen zu einer Verschiebung des Fokus von Baudenkmalen hin zur allgemeinen Bewahrung von Kulturerbe führt (das immaterielle eingeschlossen, siehe etwa die Burra Charter), bleibt der Denkmal- und Erbe-Diskurs in den deutschsprachigen Ländern bislang klar auf Baudenkmale und städtebauliche Ensembles konzentriert. Letzteres zeigt sich auch im Vorfeld des European Cultural Heritage Year 2018, das in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern maßgeblich von Denkmalschutzorganisationen getragen wird. Die Wende hin zum Heritage lässt sich gleichermaßen bei neuen Forschungsfeldern und Ausbildungswegen der Denkmalpflege beobachten. So werden heute „Heritage Tourism“ und „Dark Heritage“ als spezifische Formen der „Denkmalnutzung“ untersucht und bilden – in Ergänzung zu den klassischen Disziplinen Kunstgeschichte, Architektur und Planung – „Heritage Management“ und „Heritage Studies“ grundständige Studiengänge. Letzteres gilt inzwischen auch für die deutschsprachigen Länder. Der Weg führt damit weg von der spezialisierten Kennerschaft zum Allrounder mit neuen Schwerpunkten auf Marketing, Verwaltung und Vermittlung. Mit Blick auf sozio-kulturelle Entwicklungen erweist sich, dass der Heritage-Begriff vor allem im ökonomischen und politischen Diskurs weitgehend affirmativ gebraucht wird. Heritage geht demnach mit einem gewissen moralischen wie missionarischen Impetus einher, verbunden mit einer (Kultur-)Politik der „Identitätsstiftung“. In Zeiten, in denen „Identität“ wieder als politisches Schlagwort im gesellschaftlichen Diskurs fungiert, scheint es um so wichtiger, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Heritage, die zugrunde liegenden begrifflichen Konzepte und präskriptiven Programme, kritisch zu reflektieren.

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