Kopf-Hals-Tumoren und deren Behandlung verursachen neben physisch-funktionellen Defiziten vielfältige psychosoziale und sozioökonomische Folgen. Während das Langzeitüberleben und die gesundheitsbezogene Lebensqualität als primäre Endpunkte inzwischen intensiv untersucht wurden, bleibt der dauerhafte Einfluss der Erkrankung und der begleitenden Faktoren auf die Erwerbsfähigkeit und das Erwerbsverhalten nach der Erkrankung weitestgehend unerforscht. Durch die Identifizierung dieser Faktoren kann sowohl die medizinische, als auch die nicht-medizinische Versorgung so optimiert werden, dass die persönlichen und die gesellschaftlichen Folgen effektiv reduziert werden. In der vorliegenden Arbeit wurde das Erwerbsverhalten in einer Gruppe der Langzeitüberlebenden nach kurativer Therapie eines malignen Kopf-Hals-Tumors der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Jena im Zeitraum von 1996 bis 2005 untersucht. Mit Hilfe einer schriftlichen Befragung konnte der Einfluss einer Reihe von soziodemografischer, medizinischer, Persönlichkeits- sowie weiterer begleitender Faktoren auf die Erwerbstätigkeit analysiert werden. Der zu diesem Zweck entwickelte Fragebogen enthielt einen geringen Teil selbst entworfener Fragen, im Wesentlichen jedoch validierte Instrumente: der FACT-G (Functional Assessment of Cancer Therapy) zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, der Hornheider Fragebogen zur Ermittlung des psychosozialen Interventionsbedarfs, der PHQ-9 (Patient Health Questionnaire) zur Erfassung der Depressivität, der MBSS (Miller Behavioral Style Scale) zur Bestimmung des Copingstyles. Die Selbstwirksamkeitsüberzeugung wurde mit Hilfe des MJRS (Matthias Jerusalem Ralf Schwarzer) Fragebogens, die Schwere der Begleiterkrankungen mit dem ACE–27 (Adult Comorbidity Evaluation) erfasst. Die soziodemografischen Parameter wurden gemäß der Empfehlung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (DAE) erhoben. Ausgewertet wurden die Fragebögen von 55 Patienten. Es zeigte sich, dass während die Betroffenen vor der Erkrankung überwiegend vollzeitbeschäftigt und nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung erwerbslos waren, nach der Behandlung nur in einem Drittel der Fälle wieder erwerbstätig wurden. Der führende Grund für die Erwerbslosigkeit war die Berentung aus gesundheitlichen Gründen. Die Arbeitslosenquote unter den formal Gesunden stieg ebenfalls an. Im Wesentlichen bestimmten der Gesundheitszustand der Betroffenen, der Grad der sozialen Unterstützung nach der Erkrankung sowie die Berufs- und arbeitsspezifischen Faktoren vor der Erkrankung das spätere Erwerbsleben der Betroffenen. Die Persönlichkeitsfaktoren hatten keine Assoziation mit einem bestimmten Erwerbsverhalten. Als die stärksten negativen Prädiktoren für die Wiederaufnahme der Arbeit erwiesen sich das schlechte funktionelle Behandlungsergebnis, das Vorhandensein von Sprachverständigungsproblemen und die Symptome des Fatigue-Syndroms. Die bestehenden Begleiterkrankungen reduzierten die Wahrscheinlichkeit der erneuten Erwerbstätigkeit zusätzlich. Als relevante Faktoren für die Erwerbslosigkeit konnte der Alkoholabusus vor der Erkrankung, das geringe Bildungsniveau sowie schwere körperliche Arbeit identifiziert werden. Durch die vorliegende Arbeit wurden mehrere Problemfelder der Betroffenen dargestellt. So hatten die Untersuchten auch Jahre nach der Behandlung klinisch relevante und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutliche Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, erhöhte Depressivitätswerte und eine geringere Lebenszufriedenheit. Für fast alle Betroffenen und deren Familien bedeutete die Erkrankung massive finanzielle Einbußen mit Entstehung von finanziellen Sorgen. Diese waren stark vom Erwerbsstatus der Betroffenen abhängig. Ebenso konnte eine deutliche quantitative Mobilitätsabnahme mit Vermeidung vom selbstständigen Fahren beobachtet werden. Das Informationsverhalten war bei einem Teil der Patienten unzureichend, so dass sie nur wenig über die Krankheit und derer Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit wussten. Die dargestellten negativen Folgen der Erkrankung und die beschriebenen Defizite stellen mögliche Ansatzpunkte für eine bessere Anschlussversorgung und somit Erwerbsfähigkeitssteigerung dar. Die Ergebnisse der Arbeit wecken ein höheres Problembewusstsein für die Nöte der Langzeitüberlebenden und werfen weitere Fragen auf, die in weiteren Untersuchungen geklärt werden müssen. Die Notwendigkeit, die sozioökonomischen Aspekte vermehrt bei der Behandlung der Patienten zu berücksichtigen, wird durch die neueste wirtschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik unterstrichen. Eine insgesamt schwierige ökonomische Lage des Staates, die Schuldenkrise und der demografische Wandel führten in der jüngsten Vergangenheit zur Einleitung der staatlichen Sparmaßnahmen mit den umfangreichen Kürzungen der Sozialleistungen und der Anhebung des Renteneintrittsalters. Vor diesem Hintergrund erscheint die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft besonders erstrebenswert.