Mathematische und statistische Verfahren in der chiralen Kapillarelektrophorese : Modellierung des Migrationsverhaltens und Anwendung in der Validierung von Analyseverfahren

Ein sehr interessantes Phänomen in der chiralen Kapillarelektrophorese (CE) ist die Umkehr der Migrationsreihenfolge der DD- und LL-Enantiomere verschiedener Dipeptide im pH-Bereich 2,5 - 3,5 bei Verwendung neutraler Cyclodextrine (CDs). Der pH-Bereich schließt den pKa-Wert der Carboxylgruppe der Peptide ein. Die Mechanismen des Migrationsverhaltens sind nur teilweise verstanden. Die Ladungsverhältnisse der Peptide im relevanten pH-Bereich entsprechen denen einer schwachen Base. Die Enantiomerentrennung schwacher Basen mit einem neutralen CD als chiralem Selektor kann mit Hilfe eines mathematischen Gleichgewichtsmodells als Funktion des pH-Wertes und der CD-Konzentration beschrieben werden. Aufbauend auf diesem Modell kann eine systematische Klassifizierung der schwachen Basen hinsichtlich des Trennmusters in 15 verschiedene Fälle erfolgen. Diese Trennmuster unterscheiden sich in Bezug auf die Migrationsreihenfolge in verschiedenen pH- und CD-Konzentrationsbereichen. Auf der Grundlage des Gleichgewichtsmodells können die Mechanismen zur pH-abhängigen Umkehr der Migrationsreihenfolge der Enantiomere abgeleitet werden. Eine Umkehr kann begründet sein in: (1) einer auf der CD-Komplexierung basierenden, enantioselektiven pKa-Wert-Verschiebung, (2) der entgegengesetzten chiralen Erkennung des CDs für die protonierte und die neutrale Form der Base oder (3) einer auf der durch die CD-Komplexierung verursachten pKa-Wert-Erhöhung für beide Enantiomere. Dieser Effekt kann nicht-enantioselektiv sein. Es konnte dargestellt werden, dass die Migrationsreihenfolge immer im Zusammenhang mit pH-Wert und CD-Konzentration betrachtet werden sollte. Eine Umkehr der Migrationsreihenfolge in Abhängigkeit von der CD-Konzentration basiert auf dem entgegengesetzten Einfluss von Bindungskonstanten und Komplexmobilitäten auf diese. Bei Verwendung von β-CD kann die pH-abhängige Änderung der Migrationsreihenfolge für Ala-Tyr, Ala-Phe und Asp-PheOMe auf eine durch die CD-Komplexierung verursachte, enantioselektive pKa-Verschiebung zurückgeführt werden. Mit DM-β-CD als chiralem Selektor wurde für Ala-Tyr und Ala-Phe eine signifikante, auf der CD-Komplexierung beruhende pKa-Wert-Verschiebung zu einem höheren Wert festgestellt, worüber die pH-abhängige Änderung der Migrationsreihenfolge erklärt werden kann. Der Zusatz von 2 M Harnstoff als Lösungsvermittler für β-CD hat keinen Einfluss auf die Migrationsreihenfolge bei der Trennung der DD- und LL-Enantiomere von Ala-Tyr und Ala-Phe. Allerdings wurde ein pH-abhängiger Effekt auf die Trenneffizienz beobachtet. Eine durch den Harnstoff-Zusatz bedingte Erhöhung des pKa-Wertes spielt dabei eine Rolle. Für die Enantiomere von Boc-Phe führt der Harnstoff-Zusatz zu einer nicht-enantioselektiven Abnahme der Affinität zu β-CD und zu einer Verschiebung des pKa-Wertes zu einem höheren Wert. Für die DD- und LL-Isomere von Ala-Tyr, Ala-Phe, Asp-PheOMe und Glu-PheNH2 mit DM-β-CD als chiralem Selektor bewirkt die Zugabe von Harnstoff pH- und konzentrationsabhängige Veränderungen in der Trenneffizienz. Im Zusammenhang damit stehen eine Zunahme des pKa-Wertes der Peptide, eine Abnahme der Affinität zu β-CD sowie eine Erhöhung der Mobilität der ungebundenen Form sowie eine Abnahme der Komplexmobilität. Harnstoff wirkt als nicht-enantioselektives Additiv. Für das Injektionsnarkotikum Etomidat wurde eine CE-Methode zur simultanten Bestimmung des (S)-Enantiomers und der „verwandten Substanzen“ entwickelt und validiert. Der Robustheitstest erfolgte unter Anwendung der statistischen Versuchsplanung basierend auf einem „erweiterten“ Plackett-Burman-Design. Es zeigte sich, dass die Auflösung zwischen der Verunreinigung (R)-Metomidat und Etomidat als kritischer Parameter empfindlich gegenüber Veränderungen im pH-Wert und der Konzentration des Trennpuffers ist.

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