Purg , Peter: Körper im elektronischen Raum. Modelle für Menschen und interaktive Systeme

Kapitel 0. WISSEN(SKÖRPER) SCHAFFEN ÜBER KÖRPER(ERFAHRUNG)

0.1 Motivation und Problemstellung

Im Siegeszug eines technisch begründeten Multimedialisierungsmythos artikuliert sich erneut der Bedarf an Differenzierung etlicher grundlegender Aspekte und Modalitäten menschlicher und maschineller Kommunikation. Die aktuelle Debatte um den (immateriellen) Kode verdichtet sich in einigen wiederkehrenden Fragen an das konkret Materielle und mündet öfters in einem medientheoretischen<1> Durcheinander, das die jeweiligen Prämierungskämpfe zwischen Soft- und Hardware, zwischen dem Gedanken- und dem Körpermenschen in der Medienpraxis zu unterlaufen scheint. Die zentralen Streitgegenstände sind nach wie vor der biotische und zunehmend technisch bestimmte menschliche Körper, (s)ein gleichfalls technisierter Raum sowie die (primär) maschinelle und die (zunehmend) organische Schnittstelle samt ihrer Hybride. Software funktioniert kaum ohne Hardware und nicht nur Computer, auch Menschen sind als interaktionsfähige Multimedien längst erkannt worden - lediglich scheint die Erkenntnis weiterhin einer ausgewogenen konkreten Umsetzung in Bereichen Kunst, Pädagogik und Alltagsnutzung zu bedürfen. Andererseits übermitteln einflussreiche wissenschaftliche Diskurse, insbesondere auch ihre populären Reflexionen nur selten die (kultur)relevantesten Impulse aus der interdisziplinären Praxis. Interaktion zwischen Menschenkörper und Maschinenschnittstelle sowie Transformation zwischen kognitiver und digitaler Information beschreiben weiterhin ein aktuelles medienwissenschaftliches Interessengebiet.

Bedeuten die kursierenden medientheoretischen und -praktischen Diskurse eine automatische Degradierung des organischen Körpers zur mangelhaften Schnittstelle zwischen dem Einzelnen-in-(s)einem-Körper und dem Computerraum-in-allen-Köpfen? Zunehmend gewichtige theoretische Reflexionen einer breiten biokörperaffirmativen Praxis verweisen auf fruchtbare Nischen für die "veraltete Hardware" und ihre biologisch immanenten multimedialen Kommunikationspotentiale. Wie revidieren wir nun die Visionen des total aufgerüsteten Technokörpers zu einem realisierbaren - tatsächlich bereits mehrfach realisierten - „nachhaltigen Cyborg“? Es scheinen sich erste künstlerisch sowie technologisch plausible Positionen anzubieten, die zwischen einer ganzheitlichen Empfindung des (eigenen) Körpers und der partikularen, analytisch-funktionalistischen Perspektive der Maschine oszillieren. Artverschiedene Zeichen und Impulse der biotechnischen Menschmaschine können aufeinander abgestimmt werden, allerdings scheint es angemessener, an aufeinander abgestimmten Diskursen und Praxen sowie an deren Reflexion zu arbeiten. Welche Bedingungen und Möglichkeiten bieten sich angesichts neuester technologischer und ästhetischer Entwicklungen für eine ausgewogene Praxis von Medienkunst, -wissenschaft und -nutzung? Wie (be)schreibt sich in diesem interdisziplinären Feld eine Ökologie des elektronischen Raumes, die sich der verschiedenen Körperkulturen


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bewusst bleibt - und wie kann sie konkret umgesetzt werden?

0.2 Plurale Konzeption und nonlineare Strategie<2>

Im Schnittbereich von Wissenschaft, Kunst und Technik bemüht sich die vorliegende Arbeit um Erschließung innovativer Impulse zu einem nach wie vor relevanten Thema, dem (mannigfaltig zu verstehenden und zu realisierenden) Körper-im-Raum - sowie um Begründung von Methoden seiner medial und diskursiv gerechten Erfassung, dies sowohl aus kulturkritischer und diskursanalytischer wie auch aus einer konkret praktischen Perspektive der Medienkunst, -didaktik und sogar -technologie. Die Frage nach einer Rematerialisierung als positiver Miteinbeziehung des menschlichen Körpers samt seines natürlichen Erfahrungs- und Entwicklungspotentials wird aufgrund aktuellster Forschungsergebnisse positiv beantwortet. Grundlegende Untersuchungen verweisen auf die wahrhaft interdisziplinären und multimedial offenen (also auch konkret körperlich besetzten) Experimentalräume der computerunterstützten Theater-, Tanz- und Installationsprojekte sowie einiger Initiativen in der Technikindustrie, bei denen ein konstanter Kreativitätsüberschuss von bedeutender (diskursiver sowie praktischer) Symptomatik zu entstehen scheint. Als Gegenmythos zum entmaterialisierenden Cybereskapismus bestätigt sich bereits eingehend die These von erneuter Aufwertung und Emanzipation der (immer wieder übereilt verabschiedeten) Physis im Interesse eines ökologisch ausgewogenen Umgangs mit neuer Technik. Vor diesem Hintergrund sollen konkrete Vorschläge exemplifiziert und plausible Visionen präzisiert werden:

Stellenweise als künstlerisch, wissenschaftlich sowie erfahrungsgemäß begründete Hypothesenbildung, meistens jedoch erst als praktisch informierter Diskurs erfolgt eine Modifizierung von Grundkonzepten (Körper, Raum, Schnittstelle, Interaktivität), die wiederum die alltägliche kreative Körper- und Mediennutzung zyklisch beeinflussen können (reflektierte Theorie, erlebte Praxis), dies sowohl im intimen, selbstreflexiven als auch im öffentlich-diskursiven, massenmedialen Feld. Die daraus erwachsende theoretische Reflexion dient als Basis für die praktische Gestaltung von umsichtig regulierten Diskursen und Programmen innerhalb der relativ vorgegebenen, jedoch ebenfalls aufweichenden Strukturen und Systeme (Medien- und Kunstpädagogik, interdisziplinäre Einrichtungen, außerinstitutionelle Initiativen). Zu deren Fundierung werden jedoch nicht nur die Diskurse der wissenschaftlichen Theoriebildung, sondern auch die prägendsten Konzepte der Medienkunstpraxis - sowohl interaktive Systemtechnik als auch menschliche Informationsverarbeitung im interaktiven Raum - einer stellenweise genaueren Sondierung, Analyse und Kritik unterzogen. Untereinander dynamisch ausgewogene Konzepte von Projektarbeit, Dialog und Ökulog modellieren schließlich ein Novum im Bereich der interdisziplinären


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Kooperation. Die hypermedial (am vernetzten Multimediacomputer) zu erfahrenden Modelle verstehen sich als konkrete Vorschläge für ein theoretisch (Diskurs- und Programmbildung) sowie praktisch (Struktur- und Systembildung) ausgewogenes Kommunizieren und Handeln sowohl auf individuellem als auch auf kollektivem Niveau. Damit dienen sie als eine erste theoretisch-praktische Orientierungshilfe für den vielfach aufkommenden medial hybriden Realitätskomplex, das Zeitalter der gemischten Realitäten.

Im Aufbau der Dissertationsarbeit bieten der Körper, seine elektronisch durchsetzte interne und externe Räumlichkeit und deren neue interaktive Qualitäten - zunächst in linearer (obwohl grundsätzlich hyper)textueller Form - einen unorthodoxen theoretisch-historischen Hintergrund. Somit skizzieren sie auch den aktuellen (mythen-, metaphern- und stereotypenreichen) Forschungsstand. Genauer werden die Konzeptionen von Körper und Raum nochmals unter Aspekten wie Interaktivität, Schnittstelle, Telematik, Illusion/Immersion betrachtet. Vor dem Hintergrund ihrer Konfrontationen unterbreitet sich eine exemplarisch besetzte Palette einiger "geschichtemachender" Projekte aus der hochproduktiven "hybriden Kunstszene". Von den netz- und datenträgerbasierten Arbeiten über (lokal) interaktive elektronische Rauminstallationen zu den (global vernetzten) Mischformen der „telematischen Performance“ und den sog. "Mixed Reality Environments" bemüht sich die Untersuchung stets, für aktuelle Anregungen aus der Praxis offen zu bleiben - sowie einige selbst anzubieten (siehe insb. die elektronische Version samt Videodokumentation). Anhand tiefgreifender Empirie sollen schließlich sowohl die fruchtbarsten praktischen Ansätze als auch einige wichtige theoretische Konzepte und Modelle für weitere Forschung ausgelotet und stellenweise präzisiert werden. Dies umfasst eine Durchführung und komplexe Analyse von Video-Interviews, nähere Auswertung von Workshopdokumentationen Dritter, Symposien- und Mailinglistenbeiträgen wie auch des eigenen Dokumentationsmaterials, darüber hinaus auch Selbstbeobachtung sowie Partizipation des Verfassers in einer fortlaufenden wissenschaftlich-künstlerischen Praxis (Workshops, Performances).

Die methodischen Ansätze der Kommunikativen Sozialforschung ermöglichen eine zyklische Verifizierung bzw. Modifikation von Hypothesen sowie eine kommunikativ intensive Rückkopplung der Forschungsergebnisse an das primär untersuchte System (interdisziplinäre Gruppe) - und nicht zuletzt ihre elektronische, hypermediale Modellierung. Die intensive, sogar intime Kommunikation und praktisch produktive Kooperation mit der untersuchten Gruppe resultiert nicht nur in (einmaliger) Verbesserung des untersuchten Systems, sondern auch in (längerfristiger) beidseitiger und projektübergreifender Zusammenarbeit. Zudem bietet die Kommunikative Sozialforschung eine besonders einsatzfähige, methodische Grundlage zur Untersuchung eines solch hochkomplexen Phänomens wie interdisziplinäre Kooperation im Begegnungsfeld zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik. Eine elektronische (umfassende) Speicherung von affektiven Daten und ihre digitale (detaillierte) Auswertung erweitert die Kombinationsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Medien- und Wissensformaten, die eine objekt- und i. d. S. komplexitätsgerechte Darstellung im interdisziplinären Kontext ermöglichen. Nicht nur die personalisierten Interviews, sondern auch diverse Videodokumentationsquellen sowie Strategien der teilnehmenden Beobachtung und Selbstreflexion fließen in eine eigenständige intermediale, (hyper)textuelle, hypergraphische sowie performative Neuschöpfung.

Interviews und Kollaborationsprojekte mit KünstlerInnen, TechnikerInnen und


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WissenschaftlerInnen wie auch die Analyse ihrer vernetzten Kommunikation und Publikation (Diskursbildung) liefern Material für eine repräsentative Bestandsaufnahme und dienen als Anregungen und Argumente zur fortwährenden, sowohl kritischen als auch visionären Ausbildung einer fruchtbar hybriden (interdisziplinären, intermedialen) Kulturpraxis. Einzelne Erfahrungen und Untersuchungsergebnisse fließen gleichzeitig in die Entwicklung einer mehrfach ausgewogenen und komplexen Medientheorie-als-Praxis, die nicht nur in der wissenschaftlichen bzw. didaktischen, sondern auch in der künstlerischen Tätigkeit des Verfassers und seiner sozialen Umgebung ihren Niederschlag finden sollen (konkrete Projekte innerhalb und außerhalb von Institutionen). Neben einer explorativ angelegten CD-ROM samt online Version umfasst das Projekt noch eine Performancereihe im Rahmen der Workshops sowie als Teil des öffentlichen Vortrags zur Promotion.

Mit zahlreichen Ausführungen allgemeiner kultur- und technologiekritischer Aspekte über Körper im elektronischen Raum sowie durch eine aktualitätsbemühte, de- sowie präskriptive Schwerpunktsetzung dimensioniert die vorliegende Arbeit ihre Ansprache in zweierlei Ordnungen: Zunächst richtet sie sich mit ihren konkreten Praxisbeispielen, Vorschlägen und Modellen an einen disziplinär gemischten, obwohl größtenteils milieukohärenten RezipienetInnenkreis der medienkünstlerischen sowie -pädagogischen Praxis. Die Modellierungen und zahlreichen Implikationen zur jeweiligen disziplinären Perspektivierung dienen jedoch auch zur Diskursreflexion in verschiedenen theoretischen Kontexten wie etwa Körper- und Raumdiskurs(kritik), Theorie Neuer Medien, Tanz- und Theaterwissenschaften, teilweise Performancetheorie und Kunstgeschichte. Durch ihre formatspezifische Zugänglichkeit (etwa auch kostenlos online), zahlreiche informationsreiche Ausführungen zu Technologien und Techniken der neuen Medien(kunst) und einen kulturbewusst geschichteten und argumentierten Eklektizismus adressiert das Projekt nicht zuletzt einen breiteren Kreis von NutzerInnen, denen ein ermunterndes Angebot an Einstiegspunkten in die neumediale Theorie und Praxis sowie an deren Reflexionsmöglichkeiten unterbreitet wird.

0.3 Praxisrelevante Theoriebildung

Die hybride Qualität eines multiperspektivischen Ansatzes kann nur durch vorsichtige Kreuzung bzw. vorangehende Kompatibilisierung artverschiedener Fundamente gesichert werden. Die Hypothesenüberprüfung und die darauf basierenden Modellierungen stützen sich in der vorliegenden Arbeit auf unvoreingenommene ontologische sowie epistemologische<3> Lesarten der mehr oder weniger breit


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bekannten Ansätze von Medientheorie, Systemtheorie, Informatik, Sozialwissenschaft, Psychologie und Ökologie, die in den theoretisch grundlegenden Kapiteln jeweils proportional diskutiert bzw. innerhalb kontextrelevanter Zitatenmontagen herangezogen werden.

Die Vielschichtigkeit und Parallelität kann auf individueller sowie auf kollektiver Ebene als Leitmethode einer komplexitätsgerechten Bearbeitung und (Um)Modellierung der menschlichen Kommunikation verstanden werden. In der vorliegenden Arbeit liefert ein einzeltheorieübergreifender Ansatz fruchtbare Ausgangspositionen zur Klärung etlicher theoretischen Fragestellungen (Mediendiskurs) wie auch zur Entwicklung einiger konkretisierungsfähigen Lösungsvorschläge (Medienpraxis). Wenn Mensch(en) und Maschine(n)<4> gleichzeitig in einer multimedialen Kommunikationssituation beobachtet werden sollen, dann ist eine pluralistische Perspektivensetzung der erste und wichtigste Schritt (oder sogar die Voraussetzung) zu einer facettenreichen sowie objektgetreuen Modellierung. Kybernetische und informatische systemtheoretische Ansätze liefern die notwendigen Kriterien für die Beschreibung der (Informations)Technik, sozialwissenschaftliche und psychologische Aspekte der Kommunikation befassen sich mit der Komplexität der menschlichen Kognition, ihrer individuellen und kollektiven Funktion, Reflexion usw. Beide kommen ohne materielle Beschreibung der Maschine bzw. des Körpers nicht aus. Die daraus als Notwendigkeit abzuleitende Integration dieser Perspektiven auf sowohl praktischer als auch theoretischer Ebene versteht sich als eine der Besonderheiten der vorliegenden Arbeit. Eine ausgewogene Kombination von Systemtheorie und Ökologie vermag zudem die erwähnten zwei Aspekte nicht nur in neuer Erkenntnis (des Besonderen) zusammen zu führen, sondern liefert auch solide Grundlagen für die Beschäftigung mit dem kommunizierendem Körper-im-Raum bzw. dem durch/mit ihn/-m kommunizierenden Menschen und seiner Umgebung im Allgemeinen.

Im folgenden kurzen Überblick über die relevantesten Referenzen auf die theoretischen Fundamente bzw. Kontexte soll auch die paradigmatische Orientierung der vorliegenden Arbeit abgesteckt werden. Unter dem Geständnis einer primär medientheoretischen Selbsteinordnung wird vorerst eine grundsätzliche Gleichberechtigung externer Theoriequellen sowie breite, stellenweise eklektische


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Pluralität von praxisgebundener Materialien angestrebt:<5> Wegen ihrer (lebens)praktischen Zugänglichkeit sollen die Techniktheorien (Kittler, Manovich, Winkler, Moravec, teilweise Grau und De Kerckhove) sowie einige diskursrelevante Körpertheorien (Kamper, Fischer-Lichte, Funk, Sampson, Weibel, Rötzer, Virilio) als Folie für medienphilosophische Auseinandersetzungen (Burckhardt, Böhme, Ascott, Tholen, McLuhan, Flusser, teilweise Sandbothe und Krämer, Rückgriffe auf Benjamin) dienen. Auch soll der kunst- bzw. ästhetikphilosophische Bereich stellenweise intensiv herangezogen werden (Daniels, Welsch, Kunst, Kemp, Hemken, Schnell, Auslander, De Mul). Wegen ihrer nach wie vor intensiven Diskursprägung wird eine besondere Rolle den grundlegenden poststrukturalistischen Denklinien (Baudrillard, Virilio, teilweise Weibel sowie Verknüpfungen mit Foucault und Serres) zugespielt. Relativierend dazu sollen einige kritische Theorien (Kroker, Lovink, Weizenbaum, Pfaller, Tibon-Cornillot, Rückgriffe auf Nietzsche) sowie kontextspezifische Kulturtheorien und Ansätze (Johnson, Strehovec, McLuhan, De Kerckhove) herangezogen werden - stets gefolgt sowohl von eigenen als auch vorliegenden diskursgeschichtlichen Interventionen (Lorenz, Dinkla, Koch, teilweise Sarasin) und ihrer Kritik. Zeichentheoretische (Sandbothe, Dinkla, Tholen) sowie konstruktivistische Thematisierungen im medientechnischen (Rötzer) und medienkünstlerischen Kontext (Leeker) werden durch psychoanalytische (Zizek, Tholen, Theoriegrundlagen der Kommunikativen Sozialforschung) und psychologische Ansätze (Turkle, Putnam) sowie feministische Implikationen (Harraway, Balsamo) relativiert. Die zentrale Methode der Kommunikativen Sozialforschung (Giesecke, Rappe-Giesecke, Merten/Teipen) stützt sich sowohl auf systemtheoretische, medienökologische als auch peripher auf einige phänomenologische, kybernetische und diskursanalytische Grundlagen, die u. a. als philosophische Theorie der Realitätswahrnehmung auf die Bereiche der Ethnomethodologie und des Symbolischen Interaktionismus verweisen. Darüber hinaus stecken sowohl historisch kybernetische (Wiener, Kurzweil) als auch informationstheoretische (Giesecke, Jäger, teilweise Rötzer) Konzeptionen das methodisch-empirische Mittelfeld der vorliegenden Arbeit ab. Einige periphere naturwissenschaftliche Bezugspunkte gründen in der Chaostheorie sowie in der bio-physikalischen Wahrnehmungstheorie (Einstein, Mach) und in der Medizin (trucl). Nicht zuletzt sollen auch Mediengeschichte (Packer, Grau, Giesecke) sowie Mediensystematik (Weber, Pias, Faulstich) nicht ungestreift bleiben.

Den praktisch relevanten theoretischen Hintergrund bilden die theoretischen Ausführungen zur Performativität (Fischer-Lichte, Leeker, Birringer) und Interaktivität (Daniels, Tholen, Dinkla, Hünnekens, praxisbemüht Ascott, Birringer, Rokeby und Wechsler) samt relevanter Mischformen im Bereich der - theoretisch nach wie vor prägenden - Kunstgeschichte (Rush, Grau, Popper, Dinkla, Kunst, Hünnekens sowie aus kuratorischer Perspektive Huhtamo und Kusahara, auch Rush). Darin erscheinen


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etliche kultur-cum-medienwissenschaftliche Ansätze von zukunftsträchtiger Bedeutung (Ascott, Leeker, Daniels, Tholen). Einen besonderen Bereich umfassen aktuelle tanz- und theatertheoretische Auseinandersetzungen im künstlerisch-technischen Spannungsfeld neuer Medien (Leeker, Birringer, McGregor, Evert, Willems, Dinkla, Klein, Krämer), die durch umfassende Berichte aus der tänzerischen Praxis (deLahunta, De Spain, Birringer, Wechsler) samt ihren überraschend intensiven theoretischen Implikationen komplementiert werden. Eine vielseitige praktische Verankerung sichern auch zahlreiche einschlägige technikwissenschaftliche sowie einige populärwissenschaftliche Auseinandersetzungen und Projektberichte (Buxton, Mann, Ishii, Bernsen, Rügge, Cox, Fisher, Fleischmann, Strauss, Youngblood, Sermon, Rokeby, Sharir, Munster, Schiller). Eine besonders wertvolle Materialquelle ergeben i. d. S. auch institutionsgebundene online Archive und Plattformen (Telepolis, Ars Electronica, Netzspannung.org) und selbstverständlich das World Wide Web insgesamt als eine dem Druckmedium beinahe ebenbürtige, weil öfters themenspezifische Informationsquelle. Die breite und alltägliche Durchschnittsnutzung der Medien(technik) und ihre kulturelle, öffentliche Reflexion soll durch Interviews, Vorlesungen, Zeitschrift- und Forenbeiträge einschlägiger sowie einiger seltener rezipierter AutorInnen gesichert werden. Der Durchschnittsnutzungsdiskurs wird in deskriptiver empirischer Datenaufnahme nicht zuletzt auch durch Heranziehung von themen- sowie milieurelevanten Lexika und Enzyklopädien (Duden, Wikipedia diverse online Wörterbücher und Datenbanken) erfasst.

Im Bezug etwa auf Werner Faulstichs medientheoretische Kategorisierung<6> bezieht sich der Anspruch der vorliegenden Arbeit zumindest teilweise auf gleich drei von vier vorgeschlagenen Hauptkategorien. Jenseits einer Einzelmedientheorie (insoweit der Körper-im-Raum weder ein einzelnes noch ein rein technisches Medium ist) handelt es sich hier zweifelsohne um eine (pluralperspektivische) kommunikationstheoretische Positionierung auf der Relation Mensch-Maschine-Mensch. Darüber hinaus kann das gesellschaftliche bzw. medienemanzipatorische Anliegen des Projekts kaum geleugnet werden - dieses stützt sich jedenfalls auf eine komplexe systemische Perspektive, die tatsächliche bzw. empfehlenswerte Handlungen konstatiert bzw. vorschlägt. Nach dem Ordnungsvorschlag Stefan Webers<7> handelt es sich innerhalb von (s)einem hypothetischen „Theorien-Raum der Medienwissenschaft“ bei der vorliegenden Arbeit etwa um eine am spezifischen Fall ausgeführte „allgemeine Medialisierungstheorie“ durch Bezugnahme auf viele Medien (bzw. auf ihre Pluralität), die sich konstruktiv zwischen einem (vorbehaltlichen) „Technooptimismus“ sowie einer differenzierten (Techno)Kulturkritik behaupten lässt. Eine solch komplexitätsaffirmative Herangehensweise an Körper und Raum im neumedialen Kontext lässt sich weder in polaren Satzformulierungen noch in triadischen Graphiken vollständig ausschöpfen und greift öfters zum textuellen Paradox sowie zur medientechnischen und sogar performativen Perspektivenvielfalt. Diese bietet wiederum etliche Ausgänge in praxisfähigen<8> Umgebungen der künstlerischen Konzeption und kulturwirksamen Ästhetik sowie der alltäglichen mediennutzungsbedingten Realitäts- und


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Perspektivendiffusion.

0.4 Anmerkungen zu verschiedenen Medien und Formaten der Arbeit

Wegen der Spezifik von verschiedenen Formaten, die sich als teils gleichwertige und teils komplementäre Darstellungsstrategien der vorliegenden Arbeit anbieten, sollen im vorliegenden Kapitel noch einige Benutzungsanweisungen und explorative sowie interaktive Strategien ihrer Rezeption angeboten und geklärt werden. In ihrer gesamten medialen Komplexität kann die Arbeit bzw. ihr unterliegendes Projekt lediglich in der elektronischen Version erfahren werden: die digital komprimierte (PDF) sowie die papierne Druckfassung kommen im Vergleich mit der CD-ROM und insbesondere mit der online Version um etliche dokumentarische Inhalte sowie interaktive bzw. explorative Möglichkeiten zu kurz: Anhand von (mit der Computermaus) ertastbaren, durch Bilder und Text-, Ton- sowie Videoausschnitte erweiterten Hypergraphiken soll eine Vielfalt von Erkenntniswegen und Lesarten strukturell zugelassen, stellenweise sogar stimuliert werden. Zwischen der theoretisch-abstrakten und der dokumentarisch-konkreten Informationsdarstellung bietet sich eine Alternative zum linearen, als-ob monokausalen Leitfaden der Druckversion. Die in allen aktuellen Browsern und auf beinahe allen gängigen Computerplattformen vollständig rezipierbare hypermediale Konzeption spiegelt sich darüber hinaus auch in der dichten Verweisstruktur innerhalb der elektronischen Version des gesamten Textes. Die hypertextuellen Links ergeben, neben anklickbarer Anmerkungen, vor allem eine direkte Bezugsmöglichkeit zu kontextrelevanten Kapiteln oder Medieninhalten und somit eine individuell gestaltbare Navigation durch die gesamte Struktur. Im Fall von online Arbeit (auch mit CD-ROM) bietet sich als beliebig erweiterbarer Ko(n)text die direkte Sichtung von zahlreichen Webseiten, Datenbanken und Medienarchiven im Internet. Die elektronische Fassung des Texts bietet (sogar als druckoptimierte PDF-Datei) zudem auch die jeweils formatspezifische Suchfunktion, weshalb auf die Erstellung eines Namen- bzw. Stichwortverzeichnisses auch allgemein verzichtet wurde.

Die relativ große Zahl und ein stellenweise überdurchschnittlicher Umfang von Anmerkungen sollen auch in der Druckversion ein Lesen auf mindestens zwei Tiefenebenen ermöglichen. Wegen der grundsätzlichen Mehrdimensionalität des Textes und seiner potentiell nonlinearen Lesart konnten begriffliche sowie syntaktische Verdopplungen und einzelne wiederholende Kreuzverweise (die bei einer streng linearen Rezeption als Störung empfunden werden können) in einzelnen Abschnitten nicht vermieden werden. Die Mehrzahl der expliziten internen Querverweise auf einzelne Kapitel und Anmerkungen (in der Druckversion dienen sie anstatt von Hyperlinks) können ebenfalls als Vertiefung der Lektüre und stellenweise als Mehrfachkodierungsangebot in allen Formaten der Arbeit wahlweise rezipiert werden. Dasselbe gilt für die externen weiterführenden Literatur- und Verknüpfungsangaben sowie für die gelegentlichen technologischen, kunstgeschichtlichen oder diskurskritischen Exkurse. Ein besonders intensiver Einsatz von Klammern und Parenthesen versteht sich ebenfalls als Einladung zur Relativierung einzelner argumentativ erarbeiteter - oder eben ohne jeglicher Stellungnahme wiedergegebener (zitierter) - Positionen auf verschiedenen Tiefenebenen.

Nicht zuletzt sei betont, dass „Körper“ als Zentralbegriff der vorliegenden


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Untersuchung primär geschlechtslos konzipiert wird, da eine geschlechtliche (sei es im Sinne von „sex“ oder „gender“) Unterscheidung in der Argumentation nur wenig einbringen könnte. Wenn nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, werden auch andere kulturelle Merkmale und Konnotationen der Begriffe „Raum“ und „Körper“ vorerst generisch ausgeblendet - bis auf ihre „technokulturelle“ Prägung als den Hauptkontext der vorliegenden Thematisierung. Meistens handelt es sich um eine argumentative Oszillation zwischen essentialistischen und (sozial)konstruktivistischen Grundsätzen, die den Körperbegriff sowohl aus der Perspektive der (medialen, metaphorischen, semiotischen) Repräsentation als auch in einigen Kategorien der konstruktivistischen Denktradition (Partikularisierung, Normierung) zu erfassen suchen, sich jedoch im „erfahrenen“ Körper - als reflektierbares ganzkörperliches (Selbst)Erlebnis, samt aller Affekte - tertiär zusammenführen lassen.<9>

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Anmerkungen:

<1>

Soweit nicht im Einzelfall anderweitig verlautet, sind die in Kursivschrift gesetzten Wörter innerhalb von Zitaten dieser Arbeit bereits im Original durch besondere Schriftsetzung hervorgehoben und somit übernommen worden. Kursiv geschriebener Text außerhalb von Zitaten bezieht sich auf besonders hervorzuhebende Einzelbegriffe, Konzeptkohärenzen und logische Oppositionen. In Satzlänge bezeichnet er thematische Zusammenfassungen bzw. thesenhafte Präzisierungen.

<2>

Um eine tatsächlich nonlineare bzw. explorative Rezeption der multimedialen und hypertextuellen Struktur (siehe Kapitel 0.4.) zu ermöglichen, wird auf eine explizite Gliederungsbegründung der Arbeit anfangs verzichtet. Zudem kann die hierarchische und linear(isiert)e Kapitelstruktur bereits dem Gliederungskapitel entnommen werden, das durch eine intertextuell ergiebige Titelformulierung i. d. S. als selbsterklärend zu verstehen wäre. Als ein potentiell ergiebigeres Komplement dazu können immerhin die kontextualisierten Verweise auf einzelne Kapitel im abschließenden Abschnitt 3.4. benutzt werden, wo die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung direkt mit der Struktur der Arbeit verbunden werden. Einzelne themenrelevante Verweise auf die Kapitelstruktur befinden sich auch am Anfang sowie am Ende eines manchen (Ober)Kapitels.

<3>

Diese Systematisierung versucht, eine Kombination von epistemologischen und ontologischen Perspektiven als neue Beobachtungsqualität einzuführen. Die beiden Perspektiven sollen nicht absolut gleichzeitig, sondern in einer möglichst reflektierten bzw. reflektierbaren (als solchen darzustellenden) Oszillation eingenommen werden, um der Komplexität der untersuchten Phänomene Rechnung tragen zu können: „Es hat unter Systemtheoretikern immer Diskussionen darüber gegeben, ob die Strukturbildungsprozesse nur Klassifikationsleistungen der Beobachter sind oder aber in der Natur der Dinge liegen. Ich sehe keinerlei Notwendigkeit hier eine allgemeine Entweder-Oder-Entscheidung zu treffen. Wohl aber ist jeweils zu klären, welche Perspektive jeweils eingenommen wird.“ Giesecke, Michael: Theorie der Kommunikation und ihrer Medien. Modul: „Systeme“, Artikel: „Systeme in ontologischer und epistemologischer Perspektive“. Datenbank: <>. Womöglich werden in der vorliegenden Arbeit aktuell zugängliche online Quellen samt spezifischen Referenzen auf die einzelnen „Module“ (etwa in der Rolle von Kapiteln) sowie auf die „Artikel“ (etwa Datenbankeinträge) als solche gekennzeichnet.

<4>

Die Verabschiedung vom prinzipiell dualen Schema Mensch-Maschine, wie sie anhand einer zeichentheoretischen, teils psycho(sozial)analytisch teils poststrukturalistisch fundierten Deontologisierung Georg Christoph Tholen vorschlägt (Tholen, Georg Christoph: Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine. In: Bolz, Norbert / Kittler, Friedrich / Tholen, Georg Christoph (Hg.): Computer als Medium. Literatur- und Medienanalysen. Bd. 4. München 1999. S. 11 - 138.), ist deshalb nicht nötig, weil Maschinen nicht unbedingt und per se „Symbolmaschinen“ sind (sondern funktionieren auch anhand von etwa Impulsen bzw. materieller Spannung und Kraftverhältnissen, vgl. Kapitel 3.3.1., insb. Tabelle 1.) und weil Menschen nicht unbedingt - öfters nicht einmal überwiegend - sprachlich kommunizieren (sog. „Körpersprache“). Das informationstheoretische Ineinander (Kapitelkomplex 3.3.1. und 3.3.2.) von Maschine und Mensch dient als eine Prädisposition für eine ont(olog)isch unbelastete, obwohl (selbst)bewusste Einschätzung von medienpolitischen sowie -ästhetischen Strategien der aktuellen (Techno)Kultur. Der Körper (vor der Kamera, dem Bildschirm, dem Mikrofon, dem Lautsprecher usw.), der sich dem Elektronenstrom öffnet, kommuniziert nicht unbedingt - öfters nicht einmal primär - mit der zeichenhaften Schnittstelle. Die Schnittstelle ist vorerst konkret, primär un-bezeichnet. Erst die kognitive Instanz (im informationsverarbeitenden a posteriori) mag eine zeichenbasierte Kommunikation überhaupt bevorzugen.

<5>

Diese erste medientheoretische Systematisierung ist größtenteils dem Vorschlag von Weber, Stefan: Einführung: (Basis-)Theorien für die Medienwissenschaft. In: ders.: Theorien der Medien. Konstanz 2003. S. 11 - 48. zu verdanken. Es sollen an diesem Punkt lediglich die Nachnahmen der AutorInnen ohne spezifischer Quellen- oder Kontextangabe genügen, um eine unorthodoxe und möglichst gleichwertige erste Orientierung zu bieten - auch die Angaben in den Klammern bleiben selbstverständlich ohne eines Anspruchs auf Vollständigkeit. Einzelne Quellen werden entlang des Haupttextes der Arbeit vollständig angegeben. Beim Großteil der AutorInnen handelt es sich natürlich um keine ganzheitlichen theoretischen Komplexe, sondern lediglich um Ansätze bzw. (teilweise noch unsystematisierte) Theoriebruchstücke, die - ohne einer expliziten Verweisung - nicht unbedingt stellvertretend für das gesamte Opus oder das jeweilige Werk, sondern eher in ihrer diskurs-exemplarischen, zitatenhaften Qualität verstanden werden sollen.

<6>

Faulstich, Werner: Medientheorien. Einführung und Überblick. Göttingen 1991.

<7>

Weber, Stefan: Theorien-Raum der Medienwissenschaft. In: ders.: Theorien der Medien. S. 325 - 345. Siehe insb. S. 332ff.

<8>

Ebd. S. 342f.

<9>

Lorenz, Maren: Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte. Tübingen 2000. S. 29ff.

 

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