Purg , Peter: Körper im elektronischen Raum. Modelle für Menschen und interaktive Systeme

Anhang

Beilage 1.: Interviews zum Dissertationsprojekt

„Körper im elektronischen Raum.
Modelle für Menschen und interaktive Systeme“

anlässlich des „Dance & Technology Workshops“
von Palindrome IMPG (6. - 9. 1. 2003) in Nürnberg

Die Interviews<1136> haben in einer regen, kreativen Atmosphäre des Workshops stattgefunden, stellenweise auch unter dem workshop-spezifischen, produktionsorientierten Zeitdruck. Geführt wurden sie in der abschließenden Phase des Workshops (Vorbereitung der Projektarbeiten für Präsentation) hauptsächlich am dritten Tag der Veranstaltung (am vierten und somit letzten Tag lediglich mit Frieder Weiß). Der Interview-Raum war vom Rest der Arbeitsräume gut schallisoliert, von Tageslicht erhellt, als einzig möglicher ungestörter Ort aber auch beinahe ungemütlich kalt (um 15 Grad) und damit viel kälter als die anderen Arbeitsräume des Workshops. Durch ein großes Fenster hatten die Interviewten von ihrem Sitzplatz einen breiten Ausblick über die umliegende Stadt (Wohnhäuser und Industrieobjekte).

Alle Interviews wurden durchgeführt, aufgenommen, transkribiert und analysiert von Peter Purg, dem Autor der vorliegenden Arbeit (auch Teilnehmer am besprochenen Workshop).

Für die Aufnahme wurde eine professionelle DV-Kamera (frontal links oben vom Interviewten) und eine kleine Digitalkamera (frontal rechts unten vom Interviewten) benutzt. Bei der Auswertung wurden hauptsächlich die hochauflösenden und mit Stereo-Ton bespielten Aufnahmen der DV-Kamera einbezogen, die auch einzigst zum audiovisuellen Dokumentationsmaterial (siehe Hypermodellierungen in den Kapiteln 2.5. und 3.3.1. bis 3.3.3.) konvertiert werden konnten. Die kleine Digitalkamera diente lediglich zur Erstellung von Sicherheitskopien und zur Erschließung einzelner körpersprachlich relevanten Momente aus einer weiteren Perspektive. Von jeder interviewten Person wurde vor dem Interview eine schriftliche Einverständniserklärung<1137> erworben.

Bei der Transkription wurden einige allgemein bekannte Richtlinien für Transkription bzw.


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das Transkriptionssystem benutzt, das sich an die Vorschläge von W. Kallmeyer und F. Schülze anlehnt.<1138> Die Verwendung einzelner Zeichen wurde teilweise entsprechend modifiziert.

Bedeutung der verwendeten Transkriptionszeichen:

(,), (.), (:), („“)(‘),(!) und (?) wurden als normale Interpunktionszeichen nach der höchstwahrscheinlichen Bedeutung bzw. Verschriftlichung der Aussage benutzt.

( - ) > Stimme in der Schwebe, auch Interpunktionszeichen für Zwischenbemerkung

(..) > kürzere Pause

(...) > längere Pause

(???) > unverständliche Äußerung

(vermutlich?) > vermutlicher Wortlaut (meistens wegen schlechter Tonaufzeichnungsqualität)

unterstrichen > auffällige Betonung

(Gestikulation) > Bemerkungen zu den sprachlichen und nonverbalen Vorgängen

+ > das Ende einer längeren, in runden Klammern zuvor markierten auffälligen Sprechweise

[Anmerkung] > verschiedene Anmerkungen für längere Pausen, besondere Umstände, Kommentare usw.

Bei allen Interviews wurde die Syntax im geringst möglichen Umfang normalisiert (Halbwörter, Wiederholungen, Satzklammer). Dies geschah nur an Stellen, wo dadurch kein Ausdrucksverlust zu erwarten war.

Einzelne Fragen wurden in Hinsicht auf die jeweilige Rolle der interviewten Person im Workshop bzw. in der Gruppe individuell variiert und in Hinsicht auf den Verlauf des Gesprächs stellenweise auch radikal geändert (siehe einzelne Interviewtranskripte).


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Interview 1

Interview mit Georg Hobmeyer (technischer Assistent am Workshop, sonst Schauspieler, Tänzer, Theatertechniker)

Datum der Aufnahme: 8. 1. 2003

Dauer der Aufnahme: 23:55

Ort der Aufnahme: Tanzzentrale, Kaiserstraße 177, Nürnberg-Fürth, Deutschland


P: Gut, wir fangen damit an: Was findest du an diesem Workshop hier besonders interessant? Du arbeitest hier als -

G: Assistent.

P: Assistent, gut..

G: Also für mich persönlich als Assistent, mich interessieren die verschiedenen Perspektiven, die die verschiedenen Workshopshaltungen entwickeln. Also.. die Herangehensweise, wie Leute aus unterschiedlichsten Bereichen Ideen und Visionen für die Arbeit mit interaktiven Systemen entwickeln. Und wie sie, sozusagen (???), das Interface für ihre Zwecke verwenden würden. Leider bleibt es meistens nur beim Konjunktiv, weil die technischen Möglichkeiten, und die zeitlichen Möglichkeiten eingeschränkt sind. (1:02)<1139>

P: Mhm, aber du benutzt das eigentlich selber schon irgendwie ernst und nicht nur im Konjunktiv - also, das heißt bei ganzen Stücken, in der Theaterpraxis.

G: Also ich benutze es wirklich in der Praxis, ich mache halt große Projekte damit bzw. interaktive Räume, oder auch ganze Stücke - abendfüllend, sozusagen.

P: Abendfüllend -

G: Na ja, abendfüllend - abendfüllend ist ja heutzutage schon achtzig Minuten.. also bis zu diesem Format arbeite ich eben.. Oper kommt noch (lacht), wäre aber auch interessant.

P: OK, wenn du dir jetzt bei dieser Arbeit vielleicht zwei Pole vorstellen könntest.. auch bei diesem Workshop steht es bereits im Titel „Dance and Technology“: Was ist deiner Meinung nach der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Polen des Workshops, also interaktive Audio/Video-Systeme und Choreographie/Tanz für die interaktive Bühne - jetzt ansatzweise, erst mal -

G: Ja, das ist schon eine Konfrontation von zwei völlig unterschiedlichen Systemen, die.. also Wahrnehmungs- und.. und Existenzformen - man merkt vor allem bei.. also es ermöglicht eine Arbeitssituation mit interaktiven Systemen im Probenprozess, dass man mit völlig unterschiedlichen Zeitsystemen arbeitet.. also die Computerzeit entspricht überhaupt nicht der Körperzeit. Das sind ganz unterschiedliche Wahrnehmungs.. -felder, die da in Konfrontation zu einander kommen.. das sind dann ganz banale Sachen - der Techniker lädt kurz nur eine File `rein, und der Tänzer steht auf der Bühne und schläft einfach ein..


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weil es eine Viertelstunde dauert. Und das ist für einen Computertechniker überhaupt nichts, also die Zeit vergeht wie im Fluge.. und der Tänzer, der.. für den Zeit viel - gravierender ist.. weil er ja.. eben live, körperlich im Raum steht, und das viel stärker wahrnimmt.. das ist für ihn eine Ewigkeit. (3:20)

P: Zeitunterschied.. und Raumunterschied? Also, wie nehmen sie den Raum wahr?

G: Na ja, das ist was anderes.. und da..

P: Gibt‘s da einen Konflikt?

G: Ja, also da ist noch ein Konflikt (betonende Geste), weil.. der entsteht durch die Arbeit mit dieser Bildverarbeitungssoftware.. und zwar ist da der Körper.. wird da der Körper zu einem zweidimensionalen visuellen Zeichen.. im Raum, wenn du mit interaktiven Systemen arbeitest (eine veranschaulichende Geste der zweidimensionalen Überlagerung von visuellen Ebenen).. du bist ja nur ein Teil eines Bildverarbeitungsprozesses.. und da gehen aber diese ganzen.. komplexen Prozesse verloren, die sich ja im Körper abspielen.. diese.. diese ganzen Muskelstränge, also wo gehen jetzt.. wo gehen jetzt die.. der Puls der Bewegung aus (gestikuliert reichlich expressiv, aus dem Körper hinaus, versucht darzustellen). Das sind alles so körperinterne Sachen.. die zumindest bei der Arbeit mit der Bildverarbeitungssoftware verloren gehen.. da gibt‘s aber natürlich auch andere Software, wie diese EMG-Elektroden, da kann man aber wieder direkt, also an diesem Muskelprozess ansetzen.. das ist aber natürlich eine vollkommen.. eine vollkommen andere Arbeit. (4:34)

P: Also Körper als interner Raum und Körper im Raum..

G: Mhm -

P: Das macht schon einen Unterschied.. Gibt es - also du hast jetzt gesagt der Techniker‘ und dann der Tänzer, - gibt es in dieser Hinsicht eine gewisse Gruppierung? Kannst du also die Techniker und Technikerinnen von den Tänzern und Tänzerinnen unterscheiden? Kannst du sie irgendwie zuordnen - kannst du jede Person zuordnen?

G: Mhm.

P: Wie zum Beispiel bei dir, also du bist eigentlich -

G: - ich bin der Renaissancemensch (lacht auf, lehnt sich zurück), ich mache alles.. nee, ich will ja gar nicht alles machen.. das mit der Technik, das kommt ja eigentlich notgedrungen, ich will mich da eher verweigern.. weil - weil mir (???) das körperliche verloren geht.. also ich finde..

P: Immer?
G: Hm? Also wenn ich jetzt zum Beispiel Stücke mache und nur hinterm Computer sitze - das wäre für mich kein angenehmer Prozess.. also ich finde, ich finde einfach für mein gesamtkörperliches und auch -seelisches Wohlbefinden, finde ich die Arbeit auf der Bühne besser als die ganze Zeit am Computer zu arbeiten. Was Lebendiges für mich.. also man merkt schon, der eine ist halt ein Körpermensch und der andere ist halt ein Mensch, der sich halt mit Technik beschäftigt, das sieht man meiner Meinung auch..

P: Aber zum Beispiel das EyeCon-System ermöglicht dir ja diesen Auftritt auf der Bühne, du bist nicht von irgendwelchen Drähten abhängig.. und es ist trotzdem ein interaktives computerbasiertes System, wohinter du auch wahrscheinlich einige Zeit verbringen musst..

G: Mhm..

P: Auch wenn du dann auf der Bühne effektiv bist. Aber das erweitert dann deine..


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G: Ja ja, das ist ja das Spannende, das merkt man, das ist ja wie beim Schauspielen - man hat ja beim Schauspielen, da gibt es ja so kleine technische Tricks.. man dreht sich, also wie man sich so eindreht vor der Kamera, wie man zum Publikum steht, wann man Pausen macht.. und.. da gibt‘s also so.. so kleine - Gesetzmäßigkeiten bei EyeCon, wenn man damit arbeitet, damit man diese Interaktivität für sich selbst.. aber auch für das Publikum spürbarer macht. Aber meiner Meinung nach ist das auch eine Wahrnehmungssache, also.. man muss eine eigene Wahrnehmung entdecken für den Raum..(7:10)

P: Also, es handelt sich trotzdem über.. über eine gewisse Erweiterung der Interaktivität.. also durch diese Systeme, durch diese technische Erweiterung des Tanzes, Theaters und der Musik.. ist das... trotzdem eine neue Dimension der Interaktivität? Wie empfindest du diese Verschiebung? Ist es eine andere Art von Interaktivität oder ist sie nur ein bisschen erweitert.. ein bisschen, na was weiß ich - sichtbarer für das Publikum.. also transparenter, in dem Sinne?

G: Mhm - ja, das ist eine Frage, mit der (???) ich schon seit zwei Jahren herum, weil im Prinzip.. also von der ganzen Folge, wer beeinflusst wen ist es eigentlich vor allem ein - ein Kontrollsystem, also von mir - auf den Computer.. aber spannend wird es eben.. mit dem will ich mich demnächst auseinandersetzen.. also wie kann ich den Kreis schließen.. also wie wird es wirklich ein inter-aktives System..

P: Welchen Kreis?

G: Den Kreis zwischen mir und der Maschine..(starke veranschaulichende, kreisförmige Gestikulation) also ich beeinflusse die Maschine und die Maschine beeinflusst mich +, also das kann man.. da gibt es so verschiedenste Möglichkeiten.. mit Spielregeln.. oder mit Wahrnehmung.. dass ich sozusagen Impulse von der Musik nehme.. oder auch direkt.. also ich sage jetzt ich setze mir Muskelstimulatoren an.. und wenn ich mich bewege, dann bewegt mich gleichzeitig die Maschine... aber.. also, da gibt es verschiedenste Abstufungen in diesem Interaktions- ehm.. -begriff, der ja auch nie genau definiert wurde.. also ein interaktiver Raum - diese Begriffe sind ja extrem umstritten.. und der Begriff „Interaktion“.. ich meine eben, dass man eine maximale Interaktivität erreicht eben durch Spielregeln oder wirklich, wenn man versucht, mit direktem Zugriff ein geschlossenes System zu erzeugen.. wo beide Partner, sozusagen, Einflussmöglichkeiten haben (9:31)

P: Und dieses EyeCon System - und dem ähnliche Systeme - sind eigentlich ein ziemlich deutlicher Versuch, diesen Kreis möglichst zu schließen.. auch im zeitlichen Sinne.. also damit du dann sozusagen selber auf deinen eigenen Impuls - durch ein anderes Medium natürlich - reagieren kannst..

G: Ja, genau, das ist ein Genie.. das ist die grundlegende Idee, den.. den Körper zu erweitern.. und das muss natürlich.. in Echtzeit passieren.

P: - um eigentlich auch diese Zeitlücke, die du erwähnt hast, zu schließen?

G: Mhm -

P: Also damit der Körper dann auch (vorsichtig, zögernd) zu sich selber findet.. oder so was? Wäre das eine Möglichkeit?

G: Das ist jetzt also.. sehr schwierig.. weil in Hellerau, letzten Sommer... da haben wir diese Diskussion gehabt, ob man durch interaktive Systeme zu sich selber findet.. also ich finde.. meiner Meinung nach findet man nicht zu sich selber, sondern man findet zu Raum.. weil.. der Körper wird ja nicht unbedingt erweitert.. außer vielleicht mit den Elektrodensystemen, aber EyeCon erweitert vor allem den Raum.. weil, der Raum gewinnt da eine zusätzliche


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Ebene, die er davor nicht besitzt, das ist dann das Magische daran, man hat dann diesen.. diesen leeren Raum, und in diesem Raum befinden sich.. befinden sich aber Sachen.. (starke Gestikulation, Enthusiasmus).. Das war also.. für mich das Faszinierende bei den ersten Begegnungen mit dem System.. dieser.. ja fast schon magische Raum, wo man mit Klängen interagieren konnte.. im Nichts eben..(11:20)

P: Im Nichts? Du meinst die Unsichtbarkeit?

G: Die Unsichtbarkeit, ja..

P: Ist das eigentlich die Abwesendheit von dem visuell besetzten Raum, der dann trotzdem interaktiv ist.. also trotzdem empfindlich ist.

G: Mhm. Das Haptische geht verloren.. also, das Haptische verschwindet einfach.. wir sind nicht mehr gewöhnt, Knöpfe zu drücken und Hebel.. und ziehen und schalten.. und natürlich ist es weg.. dann hat man nur noch (starke Gestikulierung).. Luft. + Aber es passiert was.. also Licht..

P: Könnte man annehmen, dass da das extern Haptische zu dem intern Haptischen wird? Dass man sich dann viel mehr auf seinen eigenen Körper konzentrieren kann? Also wenn du da bei deiner Bewegung nichts mehr berührst, sondern dann nur noch die Bewegung spürst.. aber sie trotzdem irgendwas im Raum auszulösen scheint?

G: Also es verlangt eine.. also das war ja, das war ja für meine Schauspielprofessoren, also wenn ich mein Studium angefangen habe, war das der spannende Ansatz.. also man bekommt diesen.. den Bezug zum Raum.. also man wird extrem darauf geschärft, sich auf den Raum zu beziehen.. also man kann nicht eine Bewegung mit der Konzentration auf interne Vorgänge machen, sondern man muss wirklich genau sich.. also extrem genau.. sich im Raum bewegen.. und eben sehr wach sein, um eben dann diesen Punkt zu erwischen. Auch wenn die (???).. also man muss sich immer extra auf den einen umgebenden Raum beziehen.

P: Mhm.. also jetzt meinst du den allgemeinen kreativen Vorteil der Technik - würdest du die Computerprogramme als verständlich für alle, auch andere Techniker und Technikerinnen und natürlich auch für Laien - die es eigentlich immer wenigere gibt - als verständlich einschätzen?

G: Meinst du jetzt EyeCon, oder -

P: Ja, EyeCon.. und dann auch die ganze Szene, die sich mittlerweile da etabliert hat..

G: Also EyeCon finde ich eine positive Ausnahme.. es gibt manche Programme.. die haben ein Interface wie ein normales Programm - sagen wir mal.. Photoshop zu Beispiel, das sind ja alles Programme wie EyeCon, eigentlich.. und dann halt immer schwieriger (abstufende Geste).. es gibt dann auch Programme - da muss man eben.. hart koden.. wie zum Beispiel (???).. oder man muss halt mathematisch berechnen.. um eben... also um eben... die Module herzustellen, also diese MAX-Patches, also die finde ich.. die sind für mich einfach wahnsinnig komplex.. und das finde ich dann auch ein wenig bedenklich, weil man immer eigentlich mathematisch denken muss.. man ist immer zu so einer mathematischen Denkweise gezwungen.. die... und... und das drängt einen schon in so eine mathematische Ecke (abwertende Gestik), manchmal.. das.. das ändert sich dann glaube ich auch mit der Zeit, aber da muss man erst mal sehr lange damit gearbeitet haben.. bis man dann einmal die Freiheit gewonnen hat.. kreativ und künstlerisch innovativ zu sein..(14:52)

P: Mhm - und behindert dich manchmal dein, also zum Beispiel bei deinen technischen


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Entwicklungen, oder zum Beispiel bei einer Applikation, die du selber entwickelst.. oder wenn du schlicht ein Software-Problem lösen willst.. ob dein künstlerisches Ziel.. ob du dann wegen deiner kreativen, künstlerischen Absicht irgendwelche Probleme oder Konflikte mit der Technik, mit der Software beobachten konntest.. bisher.. also in letzter Zeit hast du ja viel gemacht -

G: - na ja, also.. das war ja so wahnsinnig, bei der ersten Arbeit, was wir da von Problemen mit dem Sound-Treiber hatten und da ist ununterbrochen der Computer abgestürzt.. wir sind dann die zwei Wochen wirklich schreiend durch den Raum gelaufen, wir sind hysterisch geworden.. wir haben den Screen angeschrien.. das war so ein totaler.. Ausnahmezustand.. aber das hat sich dann langsam mit der Zeit eingestellt.. aber man begegnet immer wieder technischen Restriktionen.. also Konflikten, mit denen man halt lernen muss umzugehen, aber es ist so auch mit jeder anderen Maschine, so ist es auch im öffentlichen Theater.. das ist auch eine Maschine, mit verschiedenen Systemen.. da hat man auch Konflikte, mit denen man umgehen muss.. und man muss hier einfach eigene Regeln und Betriebs.. - arten entwickeln, auch beim Proben, vor allem, um eben mit diesem Zeitunterschied zwischen Techniker und Performer umgehen zu können.. um sich eben möglichst intensiv auf den Inhalt und auf den kreativen Prozess konzentrieren zu können (16:55)

P: Also sowohl individuell als auch in der Gruppe - die ganze Gruppe muss sich dann auch wahrscheinlich..

G: Ja, man muss neue Organisationsformen finden. Also man kann nicht arbeiten wie ein normaler Choreograph oder wie im normalen Theater.. man muss viel Rücksicht auf diese Computer und auf verschiedene Medialeninhalte nehmen.. das sind ja riesige Felder, die man organisieren muss.. manchmal wie.. wie beim Film eigentlich.. also es verlangt eine andere Logistik.

P: Und kannst Du dich dann innerhalb der Gruppe - also jetzt konkret deiner Kompanie oder hier beim Workshop - über Technikalien, über technische Sachen auch mit (gestikulierte Anführungszeichen) Laien + gut verständigen? Weil du bist ja eher der technisch Bewanderte, wahrscheinlich.. in der Gruppe - oder auch nicht?

G: Ja also gut, ich habe ein gutes Grundlagenwissen..

P: Gut, hier in deiner Rolle als Assistent - gibt es irgendwelche Unterschiede bei zum Beispiel Begriffen, Metaphern oder.. Perspektiven, zum Beispiel bei diesen Grundbegriffen wie „Körper“, „Raum“, „Schnittstelle“, „Interaktion“ und so weiter?

G: Ja, da gibt‘s auf jeden Fall Konflikte, aber die sind unterschiedlich.. es gibt manche.. also manchmal muss man halt einfacher... ein eigenes Vokabular entwickeln.. wenn man zum Beispiel über all diese verschiedene Raum-Zusammenhänge spricht.. dann muss man es dem Laien einfacher erklären lassen.. zum Beispiel bei der Gruppe sind ja.. eigentlich alle Leute mit Computern.. sozusagen aufgewachsen.. oder bewandert.. das ist angenehm, aber ich habe auch zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Leute dabei waren.. die konnten mit dem Computer an sich schon überhaupt nichts anfangen.. also die konnten dieses Graphical User Interface fast überhaupt nicht bedienen.. und dann ist die.. dann ist die Arbeit extrem schwierig.. also die haben ja auch kein Verständnis, wie der Raum dann funktioniert.. und es hilft meiner Meinung nach halt sehr, wenn man auch weiß, wie es technisch funktioniert.. weil dann der ganze Prozess transparenter ist..

P: Mhm, also mehr Kommunikation zwischen diesen.. zwischen den Softwareentwicklern, -entwicklerinnen einerseits und andererseits den KünstlerInnen, also TänzerInnen,


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MusikerInnen..

G: Da muss es definitiv eine Sprache geben und Verständnis von beiden Seiten.. von den Technikern eher.. und das (betonende Geste) ist meiner Meinung nach das Schwierigste.. damit habe ich auch noch echte Probleme, den Technikern die Funktionsweisen und die Gesetzmäßigkeiten von Theater irgendwie näher zu bringen.. um sie wirklich von dem Computer wegzuzerren (stark veranschaulichende Geste) und ihnen zu erklären, dass man probieren muss.

P: Also die Richtung ist vor allem..

G: Weil die koden nämlich nur.. und meinen, dass wenn der Code fertig ist, dann ist das Produkt fertig.. aber das ist ja nicht der Fall (beide lachen auf). Das ist ja so, wenn ich ein Text jetzt, das war ja früher beim Theater immer so, ich habe den Text und jetzt stelle ich mich auf die Bühne.. aber das ist ja nicht so, man muss ja eben probieren.. und der.. na ja, der Performer, er muss dann auch die technische Seite verstehen können.. also du musst sie begreifen können, um eben damit umgehen zu können..

P: Jetzt konkret, bei dir, wie gehst du persönlich mit diesen graphischen Schnittstellen als Computer-Software um.. und wie andererseits mit den körperlichen, konkreten Schnittstellen, also mit Elektroden, mit motion capturing auch, obwohl im Raum.. was ist hier.. also gibt es irgendwelche Probleme bei dieser..

G: Also manchmal finde ich, aber das ist natürlich auch eine Frage der Zeit.. der Zeitentwicklung.. also manchmal finde ich... die Bildverarbeitungssysteme zu restriktiv was Bewegungen angeht.. das man fast schon gezwungen ist, durch die technische Funktionsweise dieser Bildanalyse, gewisse Bewegungen zu verwenden und das ist auch.. das zwingt einen auch zu gewissen Schritten, was ja auch positiv sein kann, aber..

P: Was für Schritte sind das?

G: Man.. man muss diese Bewegung eben in den Raum `rein machen (begleitet durch starke veranschaulichende Handgestikulation).. es ist ja nicht möglich, irgend so was zu machen (macht eine kleine Handbewegung nahe am Bauch).. weil eben dieser Bezug nach außen.. aber es ist dann eben in den.. in den Raum hinein (betonte Armbewegung nach links, weg vom Körper).. halt diesen Bezug.. und wenn es dann auch noch künstlerisch.. da in diese Szene.. in diesen Setup nicht passt, dann muss du‘s halt trotzdem machen.. das sind auch wieder diese Tricks eben.. dauernd musst du mit dem Fuß herausstehen, plötzlich.. damit dann heimlich da umgeschalten wird.. da lernt man so fiese Tricks.. (22:30)

P: Also du, du wirst auch von diesem System kontrolliert, das du eigentlich selber erstellt hast..

G Ja, eben..

P: - das du kalibriert oder gemappt hast, aber trotzdem musst du ihm dann irgendwie - dienen..

G: Man muss ihm auf jeden Fall dienen, weil die technischen Parameter schränken einen zum Teil ja einfach ein.. also es gibt Gesetzmäßigkeiten, die man befolgen muss.. und das ist natürlich immer ein Limit.. und das finde ich manchmal ein bisschen problematisch..

P: Aber nicht problematisch genug.. damit du jetzt nicht weiter machen würdest.. also, du sagst ja, du hast noch weitere Projekte vor..

G: Dann fehlen einem anfangs auch die Tricks, aber dann wechselt die Freiheit auch.. am


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Anfang habe ich eben gedacht, man kann nur so sitzen und seine Hände nach außen bewegen.. und.. ja, dann erweitert man einfach die Systeme und schließt andere an.. das ist ja das spannende am EyeCon - man schließt es einfach mit anderen Systemen zusammen.. plötzlich hast du dann eine völlig andere Funktionsweise.. plötzlich öffnen sich die Türen auf zu neuen Möglichkeiten..

P: Und dann beginnt es Spaß zu machen..

G: Dann, ja. Spaß macht‘s immer, finde ich.. Spaß hat‘s von Anfang an gemacht..

P: OK, habe vielen Dank.


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Interview 2

Interview mit Andrea Kick (Assistentin am Workshop, auch Tanzwissenschaftlerin und Tänzerin)

Datum der Aufnahme: 8. 1. 2003

Dauer der Aufnahme: 19:06

Ort der Aufnahme: Tanzzentrale, Kaiserstraße 177, Nürnberg-Fürth, Deutschland


P: Was interessiert dich eigentlich an der Arbeit von Palindrome? Wie bist du dazu gekommen und was du daran halt interessant findest - das würde mich interessieren.

A: Also ich komme ja eher aus der Ecke Tanztheorie und Tanzpraxis als Amateur.. und ich hatte eigentlich - noch bevor ich zu Palindrome kam - kaum was gehört von der Verbindung Tanz und Technik... das hat sich eigentlich ganz zufällig ergeben, ich habe Robert getroffen und dann hat er mir von dem Projekt erzählt und dann fand ich es ganz interessant.. obwohl jetzt für mich nicht das interessante daran ist, die Projekte mitzumachen, ich begleite die eher.. und kriege halt damit auch so ‘nen theoretischen Hintergrund und kann ihn erweitern und kriege auch so mit, wie sich diese beiden, Praxis und Theorie.. in einem anderen Kontext, das heißt Tanz und Technik.. verbinden lassen. Und das war für mich zu dem Zeitpunkt neu..

P: Gut.. die Verbindung.. und was ist deiner Meinung nach der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Teilen.. oder Polen.. also sowohl dieses Workshops als auch der ganzen Aktivität von Palindrome.. das heißt interaktive Audio/Video-Systeme und andererseits Choreographie und Tanz.

A: Hm, was ist der Unterschied.. früher war ja so, dass Technik ein Hilfsmittel war für eine Performance, für eine Tanzdarbietung.. und Palindrome bringt es, denke ich, so weit, die auf dieselbe Ebene zu stellen.. nicht mehr nur als Mittel, sondern auch als Ziel.. obwohl das natürlich wieder so eine kritische Frage ist - ist das jetzt wirklich nur Zweck hier, die Technik, das soll es eigentlich hier nicht mehr sein.. im Grunde ist es so.. oder ist der Tanz nur Zweck, die Technik weiter auszubauen und zu verbessern. Das, finde ich, ist sehr schwierig, weil - eben, man sieht es bei so einem Workshop.. wenn Technik-Leute dabei sind, dann tendiert es eher dazu, das sie sich nur noch über technische Fragen auslassen.. im Gegensatz - wenn‘s ganz viele Tänzer gibt, dann ist die Technik eher wieder ein Mittel.. ein Mittel - was es für mich eher auch sein soll - eine Choreographie zu gestalten oder eine Performance zu gestallten. (2:48)

P: Aha.. und gibt es in dieser Hinsicht eine gewisse Gruppierung, beziehungsweise Polarisierung unter den.. auch innerhalb von Palindrome... na ja, es ist ja klar, dass Frieder hier der Techniker ist und Robert..

A: Wie die Polarisierung? Was wichtiger ist oder was -

P: Ja, zwischen dem tänzerischen, künstlerischen Pol und dem technischen Pol..

A: Nee, da gibt‘s eben keine Polarisierung, da eben Frieder so ganz plakativ in dem technischen Teil steht und Robert für das andere..

P: Mhm, mhm...


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A: Und da sie eben die selbe Position haben, ist es dann bei den Performances, die Palindrome selber macht, eigentlich immer sehr ausgeglichen.. weil man ja diese beiden starken Partner hat, die zusammen arbeiten.. da ist es ja nicht so, dass der Frieder jetzt mit irgendwie Amateurtänzern arbeitet - da wäre es vielleicht so eine stärkere Polarisierung - oder Robert arbeitet mit Leuten, die jetzt einmal was mit EyeCon gemacht haben.. aber jetzt bei Palindrome ist es.. nee.. gar nicht so. Und wenn es eine Polarisierung gibt, dann sind es auch einzelne Projekte.. der beiden.. aber bei der Zusammenarbeit nicht.

P: Klar, gut.. was meinst jetzt aber du persönlich über die technische Erweiterung des Tanzes.. vor allem im Sinne von Interaktion mit anderen Tänzerinnen, also von Tänzern und Tänzerinnen unter einander.. von Künstlern und Künstlerinnen untereinander..

A: Also was es dem Tänzer bringt im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Tänzern?

P: Ja, aber auch den Technikern, den anderen Mitschaffenden in so einem interdisziplinären Feld..

A: Ich denke die Interaktivität ist ja per se viel größer.. weil normalerweise arbeiten diese Gruppen ja mehr für sich alleine.. und treffen sich dann irgendwann, um irgendwie einen Auftrag zu machen, oder so.. also jetzt an sich die Interaktivität - das ist doch das Schöne daran, die ist einfach gegeben - die müssen ja, die können ja gar nicht alleine arbeiten.. wenn sie in einer Performance mit dieser Software arbeiten wollen.(5:16)

P: Und wie erlebst du diese Software persönlich? Ich meine, du hast es natürlich mal ausprobiert.. hast damit gearbeitet.. also was bieten dir die Computerprogramme, als Tänzerin?

A: Also als Tänzer, als Mich-Bewegende.. einerseits ist es eine Einschränkung, andererseits eine Bereicherung. Einschränkung in dem Sinne, dass ich meine Bewegungen halt abstimmen muss, dass ich - wenn ich jetzt mit Frieders Programm - dass ich mich halt nur.. dass ich wissen muss, OK, da ist `ne touchline, da muss ich jetzt, um diesen Ton oder was.. oder dieses Licht oder was zu spielen oder das auszulösen.. muss ich jetzt meinen Fuß irgendwie dahinbringen.. das ist natürlich eine Einschränkung. Wenn ich das nicht habe, wenn ich kein Programm habe, dann, denke ich, dann höre ich mehr auf die Bewegungen und (???) mich auszudrücken.. und dann, (gestikuliert veranschaulichend) OK, ich will jetzt das auslösen, ich muss jetzt da irgendwie meine Hand oder meinen Körper dahinbewegen + ..ist eine Einschränkung, auf jeden Fall.. andererseits ist es eine Bereicherung.. weil ja... ich denke... grundsätzlich hast Du einfach.. ist die Musik einfach an erster Stelle .. oder eher umgekehrt.. Musik ist da und Tanz ist da.. und beide entwickeln sich so parallel, aber berühren sich nicht.. du beschreibst zwar die Bewegung nach dem Tanz oder versuchst die Musik, die zu deinen Bewegungen passt.. aber das hat eigentlich nichts miteinander zu tun..

P: Und hier kommen sie irgendwie näher zusammen -

A: Hier kommen sie zusammen, ich denke, das ist auch eine ganz.. also ich habe es so erlebt und die anderen Tänzer auch.. es ist eine ganz neue Erfahrung.. man arbeitet ganz anders, wenn man mit Körper andere Medien beeinflussen kann.

P: Und du würdest also damit weiter arbeiten wollen.. also du bleibst jedenfalls weiterhin dabei.. (beide lachen auf)

A: Ja.. das ist natürlich schwierig bei mir.. ich bin aber auch.. ich stehe aber dem aber auch sehr kritisch gegenüber.. weil ich jetzt auch sehe, besonders in dem Bereich.. da gibt‘s eben diese Polarisierung von Technik.. ich bin auch Rezipient auf der anderen Seite.. ich


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sehe mir immer.. wahnsinnig überall.. wahnsinnig viele Performances an, ich ziehe alles in mich `rein.. und als Rezipient.. ich meine man sollte eben - das ist eben die Frage - soll man die Erwartungen der Rezipienten erfüllen.. oder warum mache ich diese Performance überhaupt.. das ist wieder eine andere Geschichte.. aber für den Rezipienten sind solche Performances ja eher enttäuschend.. weil man die Interaktivität nicht mehr.. die ist inzwischen so weit entwickelt - man spürt sie nicht mehr. Ich weiß jetzt nicht, dass der, wenn er dahingeht und diesen Ton auslöst, dass es von seiner Bewegung kommt..

P: Du meinst, sie ist nicht transparent -

A: Ja..

P: Und soll an dieser Transparenz gearbeitet werden? Weil darum bemüht sich eigentlich Palindrome.. oder zumindest Robert versucht das immer wieder zu betonen..

A: Ich denke, es kommt auch davon.. weil es eben - aber da ist es wieder rezipientenorientiert - weil es den Zuschauern auch mehr bringt. Robert hat wieder eine andere Position, aber jetzt für mich, wenn ich das sehe, ist es einfach ziemlich uninteressant. Ich habe schon Performances gesehen mit ganz vielen - also besonders jetzt mit EyeCon - mit ganz vielen verschiedenen Medien und mit ganz vielen verschiedenen Sounds.. und ich finde, das mindert dann irgendwo die künstlerische Qualität.. der Performance an sich.. wenn‘ s zu viel ist.. man muss es wissen, die geschickt einzusetzen.. und jetzt besonders in der dance-tech Szene, da habe ich das Gefühl, es geht wieder darum, wie oft, wie viel welche Soft- und Hardware - und nicht mehr, was kann ich davon wirklich brauchen.. weil man hat dann oft auch die Tendenz: „ Das ist jetzt da und jetzt haben wir ein dance-tech Workshop und jetzt mache ich ganz viel mit EyeCon“.. man muss es sehr kritisch sehen, denke ich..

P: Auf jeden Fall.. gut, also kannst du dich mit den Technikern und Technikerinnen, das heißt Systementwicklern, Softwareentwicklern gut verständigen?

A: Jetzt als Tänzer -

P: Ja...

A: Ja gut, das ist bei mir ein Beispiel, ein Spezialfall, denke ich, weil ich erst mal die Leute sehr gut kenne.. und dann auch an sich einen anderen Background habe - ich habe sehr viel mit Technikern an sich zu tun, ich weiß wie die arbeiten. Das ist aber irgendwie ein Spezialfall, ich arbeite mit Programmierern zusammen - jetzt in dem anderen Job..

P: Vielleicht kannst du die beiden dann trotzdem verbinden.. oder ist es für dich schwer -

A: Also ich weiß, wie ich mit ihnen reden muss.. ich weiß, was die brauchen. Wenn man das nicht weiß, ist es vielleicht auch ein bisschen schwierig.. die kenne ich auch, diese Geschichten, wo dann die Tänzer kommen und sie brauchen das und das und jetzt machen wir das und das und das.. und dann.. es geht nicht. (10:30)

P: Und bei der Kommunikation zwischen euch, also gibt‘s da irgendwo Unterschiede in diesen Begriffen, Metaphern..

A: Auf jeden Fall..

P: In dieser Sehensweise.. zum Beispiel bei solchen Grundbegriffen wie „Körper“, „Raum“, „Schnittstelle“..

A: Auf jeden Fall.. also Tänzer (???), Tänzer haben da ein anderes Vokabular als die Techniker.. und das ist oft eine Schwierigkeit, ich meine.. das ist wahrscheinlich überall so,


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aber bei solchen interaktiven und interdisziplinären Projekten ist es ein großes Problem.

P: Da müsste also fast eine sozusagen eigene, eine neue Sprache (Andrea lacht auf) entworfen werden.. oder zumindest die alte sehr vorsichtig und differenziert benutzt werden?

A: Das Problem haben wir hier sehr oft, erleben wir sehr oft.. ich denke, also eine neue Sprache zu entwickeln.. oder eine Kodierung zu finden.. oder einfach ein paar Begriffe klären am Anfang, das ist sehr wichtig.

P: OK, gut.. aber was bezeichnet jetzt allgemein diese Kommunikation zwischen Systementwicklern einerseits und den Tänzern, Tänzerinnen, also Künstlern andererseits?

A: Was es bedeutet?

P: Ja.. und dann auch mit dem Publikum -

A: Die Kommunikation Künstler - Techniker.. und Publikum?

P: Ja..

A: Wie das geht oder wie?

P: Also, kannst du das beschreiben, wie das dann in der Performance-Situation funktioniert? ... Ich meine, ob es da irgendwelche Schwierigkeiten gibt, oder ob es halt..

A: Interaktion, also so eine bewusste Interaktion mit dem Publikum gibt es ja immer, Aber wenn man jetzt.. also wir haben so ein paar Stücke, wo das Publikum eben bewusst integriert wird.. und dann auch eben Töne auslöst.. meinst du jetzt so was, oder meinst du jetzt Interaktion Künstler - Rezipient, oder..

P: Ich meine eigentlich beides, aber ich würde es lieber konkret wissen.. also bei diesen Stücken..

A: Ehm.. da will ich sagen, ist es kein großer Unterschied zwischen Publikum - Technik und Tänzer - Technik. Also es funktioniert.. ähnlich: Publikum probiert aus, bewegt sich, und das macht der Tänzer auch.. ich meine, das Publikum versucht jetzt nicht irgendwie ein Stück zu machen oder..

P: Die versuchen nicht zu repräsentieren..

A: Das doch! Manchmal schon..

P: Aha, schon..

A: Das ist vielleicht auch wichtig.. dann irgendwann muss ich mir auch mehr Zeit nehmen.. und dann irgendwann eben, fängt das Publikum an, Darsteller zu werden.. und das ist eigentlich sehr spannend. (14:00)

P: Ja.. das ist auf jeden Fall sehr spannend, das habe ich auch schon selber erlebt, vor allem mit EyeCon, das war sehr interessant.. obwohl, das muss auch sehr vorsichtig gestaltet werden - ob mit Anleitung oder nicht, ob man es selber..

A: Das ist dann wieder diese alte Frage bei uns, Anleitung oder nicht.. ist es mit Anleitung noch ein Kunstwerk, ist das noch Kunst..

P: Eine alte Frage also..

A: Ja, eine alte Frage, ganz alt..


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P: Viel älter als Palindrome wahrscheinlich..

A: Ja, das sowieso, also auch bei uns kam sie immer wieder und es kam auch in dem Kontext, dass halt die technische Entwicklung so weit war, dass die Interaktivität für die Zuschauer jetzt nicht mehr spürbar war.. da kommt es eben.. wo man sagt, soll man ‘s doch lieber erklären.. oder verliert ‘s dann einfach.. muss man ein Kunstwerk erklären? Aber ich denke, das ist eine Frage, die kommt bei allen anderen Künsten auch irgendwann..

P: Gut, jetzt noch mal konkret - eigentlich die letzte Frage - wie gehst du als Tänzerin mit diesen graphischen Schnittstellen, mit den Computern um und wie mit den körperlichen, konkreten Schnittstellen? Oder was du auch in dieser Hinsicht bei anderen Tänzern und Tänzerinnen beobachten konntest? Einerseits also die graphischen Schnittstellen und andererseits diese körperlichen Schnittstellen - wie auch der interaktiv besetzte Raum, die interaktive Bühne..

A: Wie meinst du das.. die Körperschnittstellen?

P: Ja.. im Vergleich zu den anderen Schnittstellen, also Computer, Tastatur und Maus..

A: Ich denke, graphische Schnittstellen - das ist einfach was neueres.. und die körperliche Schnittstelle - das ist einfach was altbekanntes für die Tänzer jetzt, sie gehen ja natürlich mit den körperlichen Schnittstellen.. jetzt grundsätzlich.. um. Und mit den graphischen - vielleicht ist es auch so eine Art Entdeckung oder Eroberung dieser graphischen (gestikuliert ein Tasten oder Tippen auf einer Oberfläche, vermutlich Tastatur)..

P: Eroberung.. mhm..

A: Und ich.. hm, weil ich kann da jetzt kaum für die anderen sprechen.. wie sie es machen, das ist glaube ich auch schwer..

P: Weil du hast bestimmt selber auch damit ein bisschen `rumgespielt, oder?

A: Ja, aber ich habe eben einen ganz anderen Background (lacht auf)..

P: Dein Background stört dich..

A: Ja, mein Background stört mich natürlich, weil ich insofern mitkriege, wie die anderen reagieren.. ich bin ja jetzt nicht naiv und mache das zum ersten Mal.. es ist schwer zu sagen, wie die Tendenz bei anderen ist..

P: Na irgendwann hast du‘s das erste Mal gemacht.. also (beide lachen auf).. wie war.. wie war dein erstes Mal (im Lachen)?

A: Wie war mein erstes mal? Also mit den Schnittstellen ist natürlich jetzt.. kann ich schwierig beantworten.. also wie gesagt: ich denke nur, dass die Körperlichkeit gewohnter ist, familiärer.. und diese graphischen erst mal so ein bisschen schwieriger sind und eher abschreckend (verweigernde Geste mit der Hand).. aber dann bekommt man irgendwie Interesse und dann.. wenn wir das ausprobieren, dann fallen ja die körperlichen Schnittstellen weg.. verweilen eher im Hintergrund. Aber ich weiß nicht, ob das jetzt `ne wirklich.. also die Frage, ob du jetzt.. (17:30)

P: Ja, schon..

A: Ich weiß nicht genau, was du raus willst..

P: Es interessiert mich die Prämierung.. also ich möchte jetzt nichts besonderes herausbekommen.. ich will nur sehen, wie das bei den Tänzern sowohl im allgemeinen als


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auch in dem konkreten Fall ist, weil ich weiß, dass das problematisch sein kann. Also sowohl für den normalen Durchschnittsuser des Computers als auch dann für den damit Kunstschaffenden. Und ich will halt sehen, ob es da Unterschiede gibt.. oder ob es da trotzdem einen gewissen Optimismus gibt.. also „OK, jetzt habe ich dieses Programm kapiert, jetzt kann ich damit wirklich arbeiten, jetzt kann ich mir diese Schnittstellen leisten“.

A: Eben, wie du gesagt hast - erarbeiten, man muss sich diese Schnittstellen erarbeiten.. und dann macht‘s Spaß mit ihnen zu spielen.. und dann versucht man irgendwann mal.. weil es ist ja eine neue Art zu arbeiten, für den Tänzer, es dann mit den Bewegungen irgendwie zusammen zu bringen, aber das braucht ein bisschen Erfahrung.. anfangs kann es auch ein bisschen deprimierend sein, weil das klappt oft nicht so gut.. und jetzt so ein Mensch wie Robert, er hat doch mehr Erfahrung damit.. aber am Anfang ist es ja immer schwierig..

P: OK, schön, vielen Dank.


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Interview 3<1140>

Interview mit Robert Wechsler (Leiter des Workshops, Choreograph und Tänzer)

Datum der Aufnahme: 8. 1. 2003

Dauer der Aufnahme: 1. Teil: 17:57, 2. Teil 9:01, zusammen 26:58

(die Aufnahme wurde wegen Bandwechsel kurz unterbrochen)

Ort der Aufnahme: Tanzzentrale, Kaiserstraße 177, Nürnberg-Fürth, Deutschland


P: Was hat dich erst mal dazu bewegt, diesen Workshop zu veranstalten... ganz allgemein?

R: Aha, ganz allgemein - diesen Workshop?

P: Jetzt, hier..

R: Nicht diese Workshop Art, sondern dieses spezifische Workshop hier in Nürnberg? Eigentlich war die ursprüngliche Idee.. dass wir nachgedacht haben, ob wir hier eine Schule gründen wollen, für Tanz und Technologie..

P: Ach so..

R: Wir haben die Räume und wir haben das Personal.. und die Nachfrage ist erfahrungsgemäß da.. und es gibt keine Konkurrenz.. in Europa. (???) also das war erst mal die Idee.. wir machen ein Workshop, um zu schauen, wie das laufen könnte.

P: Und wie sieht es aus - bis jetzt?

R: Ahm... ich glaube, man müsste sich zusammen setzen und eine Evaluation machen..

P: Gut, gut.. darüber sprechen wir noch..

R: es gibt so viele verschiedene Kriterien.. ob es nun Spaß macht, ob wir dabei noch Zeit habe für andere Arbeit.. ob wir genug Schüler kriegen - das ist.. nicht bewiesen bei diesem Workshop..

P: Ja?

R: Das ist auch ein Faktor.. für zehn Leute würden wir das nicht machen.. das macht kein Sinn.. so.. genau, das ist noch nicht entschieden.

P: Gut.. was ist nun deiner Meinung nach der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Polen.. oder Teilen des Workshops? Und auch in deiner Praxis.. also einerseits interaktive Audio/Video-Systeme und andererseits Choreographie und Tanz.. die sind eigentlich verschieden, aber die wollen irgendwie zusammen.. kommen..

R: Genau. Das ist Palindrome. Das ist unsere ganze Sache..

P: Eigentlich ein Paradox?


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R: Es ist ein Paradox.. es ist.. ja, ein Enigma. Aber der Mensch ist beides.. ein guter Künstler ist auch ein guter Techniker.. glaube ich.. und diese zwei Arten zu denken sind in uns allen.. jeder muss irgendwie fähig sein, mit den Gedanken und formalen Konstruktionen umzugehen sowie mit der künstlerischen, poetischen Welt..

P: So ein bisschen renaissance-mäßig?

R: Ja, das ist es.. Frieder ist der Renaissance-Mann.. vielleicht mehr als ich.. in dem Sinne, dass er noch so viele Dinge.. ich.. ja OK, vielleicht ich auch, weil ich habe ja mit Chemie und (Kinetik?) Studien.. und dann gleichzeitig Tanz.. und dann habe ich irgendwie versucht (schneidende, reihende Geste mit Händen) alles zusammen zu bringen.. aber ich treffe irgendwie nicht mein ideales Bild vom Renaissance-Mann.. aber... wenn ich an die Renaissance-Leute denke, die wir kennen, also die berühmten Renaissance.. da bin ich nicht.. ich weiß nicht, ob ich so ein Genie bin.. ich kann nicht immer das Beste aus Allem holen.. aber.. nee, das ist der Versuch, genau..

P: Aber das haben sie damals auch selber nicht gewusst, in der Renaissance.. das hat die Geschichte erst..

R: Ja.. (das tut eigentlich jeder?).. zweifeln an seiner Arbeit.. aber... ehm.. gut.

P: Wie erleben jetzt die Tänzerinnen deiner Meinung nach diese Technik, also sowohl die Sensortechnik, die Elektroden auf dem Körper, motion capturing im Raum.. und die Computerprogramme andererseits? Einerseits die konkrete Hardware, andererseits die Software..

R: Aha, wie erleben sie das.. die körperliche Arbeit und.. geistige Arbeit.. hinterm Bildschirm zu sitzen und klar kommen mit diesen Systemen.. Ja, also.. ich bin Tänzer und ich bin einer von den Beteiligten.. ich kann eben am besten von mir selber sprechen... es hat natürlich zwei Aspekte: einerseits ist es eine Behinderung, man kann nicht so viel tanzen, wenn man verkabelt ist oder noch ein (wichtiger?) Punkt ist, wenn man so oft warten muss auf die technischen.. also die Technik braucht sehr viel.. das ist einfach ein anderer Zeitsinn als bei den Tänzern.. weil wenn man warm ist, da möchte man schnell (schnipst zweimal schnell hintereinander)..

P: Man möchte halt abtanzen und die Technik ist noch nicht..

A: Ach, das kann stundenlang dauern, ein kleiner Softwarefehler.. bis das gelöst ist.. das kann echt stundenlang (betont die Länge durch Tonfall) dauern.. also es braucht diese Geduld und die Akzeptanz.. Also bei Videosystemen, da ist man nicht verkabelt, da ist es möglich, freier zu tanzen.. aber vielleicht räumlich ist es dann begrenzt.. aber das ist auch so bei Filmarbeit.. das man manchmal Markierungen auf dem Boden haben muss.. und wissen, wo man genau hin soll et cetera.. und auch diese Idee, dass der Raum.. reaktiv ist.. kann eine Behinderung sein, (gestikuliert reichlich, um alles zu veranschaulichen), wenn man eine Bewegung zwar richtig gemacht hat, aber nicht in der richtigen Position ist.. oder das Licht hat sich ein bisschen geändert.. und dann ist es ärgerlich.. also auch bei einer Show, man muss da eine Sequenz.. wiederholen, damit das System dann richtig mit dem Tänzer reagiert + .. alle diese Dinge sind also Beschränkungen, auf der anderen Seite ist es eine Erweiterung des Tanzes, weil der Tänzer kann die Musik selber steuern, die Musik folgt dem Tanz.. zumindest zum Teil.. und das ist ein.. empowerment.. so sagt man‘s auf English, das gibt uns Charakter [versucht eine adäquate Übersetzung ins Deutsch zu finden, aber wir einigen uns darauf, dass das nicht notwendig ist] .. das gibt dem Tänzer mehr Autorität und.. (7:50)

P: Also Tänzer und Tänzerinnen arbeiten gerne damit.. mit dieser kleinen Schlinge, mit


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diesem ganz engen Loop zwischen Bewegung und.. und..

R: Ich würde sagen am Anfang ist es ein Kick für jeden, jedermann mag das, „ah, cool!“.. aber das ist letztendlich nicht, was ein Tänzer ist oder sein soll, sondern ein Künstler..

P: Sein soll?

R: Ja, ein Künstler zu sein.. also da reicht es nicht, wenn man spezielle Effekte.. oder Feuerspucken.. na ja, Feuerspucken ist vielleicht eine Kunst, aber ich meine das metaphorisch.. also wie viele Pirouetten ein Tänzer machen kann, ist nicht eigentlich der Maßstab von einem guten Tänzer.. so meine ich das.. in dieser Hinsicht kann diese Technik auch so ein Spezialeffekt oder ein Trick sein... und das ist dann am Anfang für jeden eine Möglichkeit und ein Spezialeffekt.. es gibt eine Aufregung dabei, aber auf die Dauer, oder wenn man ein bisschen tiefer rein schaut - und das müssen wir als Künstler - dann entdeckt man andere Werte für solche Arbeit.. künstlerische Anwendungen, also andere Aspekte.. (9:20)

P: Die Technik soll also künstlerisch aufgebaut werden, in diesem Sinne? Das genügt nicht..

R: Genau, es gibt eigentlich eine Menge davon in der Welt.. das heißt, wir kennen ein halbes Dutzend von verschiedenen motion tracking Systemen von verschiedenen Universitäten oder was weiß ich.. und bei den meisten fehlt eine gescheite künstlerische Anwendung.. wir sind ein bisschen anders in dieser Hinsicht, dass wir eine Kompanie sind, die zuerst eine Tanzkompanie war und nicht eine akademische.. auch keine Computerfreaks.. sondern es ist eigentlich - Frieder sagt das immer - es ist application-driven.. das heißt er entwickelt Systeme für die Tänze, die ich entwickele.. und nicht umgekehrt.. also nicht so oft umgekehrt.. meine Arbeit ist nicht zu (schauen?), was ich mit seiner Technik machen kann..

P: Das ist schon eine Besonderheit..

R: Ich komme also mit der Idee, und dann frage ich ihn, ob es geht oder nicht.. das ist eben, glaube ich, eine Besonderheit von Palindrome.. das ist der Push.

P: Aber wie bewirkt das deine Choreographie? Es gibt wahrscheinlich auch eine Rückwirkung.. du produzierst die Choreographie wahrscheinlich nicht nur aus dir selber, sondern mit einer gewissen Rücksicht auf die Technik..

R: Natürlich, natürlich.. von vorne an, dieses Tanzstück zu Beispiel, eins von den ganz frühen, das war eine Phrase, ein kleiner Tanz, wo mein eigener Herzschlag den Rhythmus von Musik..

P. Mhm, ich glaube, ich hab‘s gesehen..

R: Nein, wahrscheinlich nicht, du hast ein anderes gesehen.. man hört den Herzschlag, das war bei einem komponierten Stück Musik..

P: Steht das nicht im Netz? Dann habe ich zumindest darüber gelesen.. aber ich fand`s interessant.

R: Ja, irgendwo muss ein Video davon sein.. also ja, ich wollte eine Choreographie machen, in der man mit Tempo achtzig - das ist ein ganz entspanntes Herz - tanzen könnte.. sowie auch - das ist aber ganz schwierig und nur knapp möglich - mit zweihundert.. und das ist eine choreographische Aufgabe.. du musst dann eine Choreographie machen, die du mit Tempo achtzig ausdauern kannst.. wie auch mit


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zweihundert.. also ich wollte schon, dass es ein bisschen aus der Kontrolle gerät zum Schluss.. aber dieses Außer-Kontrolle ist natürlich eingeübt..

P: Aber das ist auch eine sehr interessante Schlinge.. für das technisch gemessene Organische, für diesen Pulsschlag Choreographierte -

R: Ja... (nickt überzeugt zu) das sollten wir irgendwann mal wiederholen. Wir haben eigentlich ganz viele gute Ideen.. und dann machen wir was einmal und sind schon bei dem nächsten.. deshalb arbeiten wir eigentlich mit anderen Choreographen.. wir würden gerne sehen, was andere Leute mit diesen Ideen.. weil bei so einem Stück ist vielleicht die Idee neu und innovativ, aber ein anderer Künstler könnte die selbe Idee noch `mal umsetzen, in einer völlig anderen Art und Weise.. mit einer anderen künstlerischen Wirkung.. wir wurden uns darüber freuen.. zu sehen, wie.. na ja, da haben wir eben zwei Schienen - die eine ist die Systementwicklung und die andere ist das Kunstwerk zu schaffen, die sind parallel, aber von einander abhängig..

P: Trotzdem, ja.. da muss es also eine gewisse Kommunikation geben.. was beobachtest du an dieser Kommunikation zwischen den Softwareentwicklerinnen, den Musikerinnen, Musikern, Tänzern, Tänzerinnen.. und dann auch dem Publikum.. den Rezipienten..

R: Meistens ist es sehr verschieden, verschiedene Leute reagieren auf verschiedene Art und Weise..

P: Gibt es vielleicht irgendwelche Muster? Wie es also gewöhnlicherweise ist..

R: Das ist eine gute Frage.. aber da habe ich keine gute Antwort..

P: Ja, das ist ein ziemlich schwierige Frage..

R: Das ist sehr komplex, wenn man vom Publikum, Komponisten und Tänzern spricht..

P: Oder wenn wir das Dreieck nehmen: Techniker - Künstler - Publikum. Obwohl diese Rollen sind ja sehr fließend manchmal..

R: Ja, das sind sie manchmal... aber ich habe keine gute Antwort..

P: Gut, darüber können wir noch `mal später sprechen. Was für eine Rolle spielt aber - bei der Rezeption eurer Stücke - das System beziehungsweise die entsprechende Bewegungskohärenz.. wie du es auch nennst, also gestural coherence? Bei der Aufführung also.. du pflegst es ja zu betonen, dass das Publikum das Stück beziehungsweise das interaktive System zurückverfolgen kann..

R: Welche Rolle? Ja, also der Begriff gestural coherence kommt aus dem Computermusikbereich, da war dieser Komponist, der da mitgewirkt hat, bei diesem Artikel.. und dieser Ausdruck war bestimmt von ihm..

P: Rovan, Butch Rovan..

R: Butch Rovan, genau.. dieser Begriff ist also von ihm bestimmt worden, aber ich verstehe schon.. Welche Rolle? Oh, „paramount“, sagt man auf English.. Hauptrolle, weil ohne dieser Kohärenz.. da muss man einfach fragen: warum? Weil ohne Kohärenz ist es oft nicht nachvollziehbar.. und ohne dessen muss man, glaube ich - glaube ich, warum den ganzen Weg zu gehen, warum diese ganzen Computer auf der Bühne aufbauen, dann kann man wirklich fragen: hat das einen Platz da? Oder es ist nur Spielerei, also „boys with toys“ oder ist es nur ein akademisches Experiment (zeigt mit dem Zeigefinger auf seine Stirn).. oder ist es ein bisschen „high brow“ oder zu abstrakt.. und Kunst sollte vor allem irgendwie ehrlich sein. Wenn man es verwendet, da muss ein Grund dafür sein.. also ich nehme das sehr


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ernst. Es reicht nicht, wenn das Projekt nur technisch funktioniert.


2. Teil:

[am Beginn wurde geklärt, dass Roberts Aussage über „gestural coherence“ vollständig aufgenommen wurde (bis 00:52)]

P: Zurück zur Kommunikation.. unter all diesen inderdisziplinär gestimmten, verschiedenen Teilnehmern an diesem kreativen Prozess: kannst du die Benutzung von räumlichen und körperlichen, das heißt materiellen Metaphern unter diesen Teilnehmern vergleichen? Gibt es Divergenzen beim Kommunizieren mit Begriffen wie „Körper“, „Raum“, „Schnittstelle“, „Interaktion“, zwischen diesen Grundbegriffen?

R: Du musst die Frage für mich noch einmal formulieren..

P: Ob es eigentlich Divergenzen, Unterschiede gibt - beim Kommunizieren mit Begriffen wie „Raum“, „Körper“, „Schnittstelle“.. das nenne ich räumliche und körperliche Metaphern. Weil manchmal bedeutet das den Körper, den konkreten, manchmal den repräsentierten Körper.. ob es da nun Konflikte gibt, oder man verständigt sich gut darüber, was der eine mit „Raum“, „Schnittstelle“, „Interaktion“ meint..(2.24)

R: Aha, ich verstehe was du meinst.. ich würde sagen, da gibt es.. wenn wir mit Komponisten, Tänzern und Computeringenieuren sprechen, gibt es schon am Anfang diese Begriffsunterschiede.. aber das geht ziemlich schnell vorbei.. weil letztendlich verstehen wir und ja.. und letztendlich sind diese Konzepte universell in Bedeutung.. ein Komponist kann vom Raum sprechen, obwohl er im temporalen Bereich arbeitet.. und umgekehrt: der Choreograph arbeitet im Raum und Zeit.. aber auch bildende Künste haben zeitliche Beschreibungen, obwohl die vielleicht fix sind..

P: Und bei.. zum Beispiel „Schnittstelle“, also „Interface“ - was ist eigentlich Interface, wo beginnt das Interface, wo endet das Interface? Ist es jetzt graphisch oder ist es im Raum?

R: Ja, die Tänzer haben oft das Problem, dass sie nicht daran gewöhnt sind, analytisch zu denken, sie sind eher synthetisch.. sie denken eher in Gestalten (umschreibt gestisch ein dreidimensionales Objekt und vielleicht seine Bewegung), über die Gesamtform, über das Feeling +.. the feeling of a movement is more important than exact timings and places.. und der Computer ist ganz in der anderen Richtung, der kennt nur Spezifika.. Werte und Parameter, zum Beispiel wenn wir da von Parametern sprechen - ein Tänzer spricht aber von Qualitäten, Bewegungsqualitäten, nicht Parametern, das ist nicht so was, was man auseinander schneiden könnte, die Rolle von Position, oder Zeit, oder Gewicht oder Spannung und verschiedene andere Qualitäten.. sie sind halt nicht gedacht als Parameter, wo man abgetrennten Zugriff überhaupt schaffen könnte.. man denkt nicht so.. meine Rolle ist dann manchmal schon Übersetzer zwischen Frieder und Tänzer..

P: Übersetzer zwischen Frieder und Tänzer?

R: Genau, Übersetzer zwischen Ingenieur und Tänzer, also richtig zwischen den Extremen.. (trennende Geste mit zwei auseinanderfahrenden Händen) also Frieder als Ingenieur und Tänzer, wenn sie wirklich Tänzer (zeigt mit dem Zeigefinger auf seine Stirn), wenn sie schwitzen, sich bewegen.. dann versuche ich die Schnittstelle zu sein, da bin ich die Schnittstelle.. dann versuche ich die Anbindungspunkte einzuordnen und... verstehen,


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also ich muss verstehen, was der Tänzer meint, wenn sie was sagt.. und die Worte die sind oft nicht wissenschaftlich, aber die haben Bedeutung.. und eine klare Bedeutung.. das gebraucht manchmal eine Übersetzung..(5:57)

P: Also vielleicht zwischen „analog“ und „digital“? Obwohl das „out of the question“ ist..

R: Ja, es ist eine gute Metapher..

P: Aber trotzdem, mit dieser Metaphorik habe ich ein wenig gespielt.. das als Letztes: das Schema (präsentiert das Schema) dürfte dir bekannt sein?

R: Ja..

P: Das habe ich ein bisschen interpretiert.. oder es ist zumindest ein Versuch.. (interpretiert das Schema, zeigend, gestikulierend) das ist die Modulierung.. und hier die Demodulierung.. wie bei Modem.. und hier geht was Analoges vor.. das sind hier Körper und das ist hier Kodierung.. und Dekodierung.. und da ist die Kommunikation eigentlich digital.. also zwischen den beiden Maschinen - was ja interessant ist, weil die eine Maschine ist ein PC, die andere ist ein Mac - und hier sind die zwei Leute... also wie zum Beispiel du und Helena bei „Seine hohle Form...“ kommuniziert.. in diesem System. + Was meinst du nun dazu? Greift das zu weit bei diesem „analog-digital-out-of-the-question“ Problem oder ist es.. zumindest eine gute Metapher?

R: Es ist eine gute Metapher.. (beide lachen) Da können wir das inzwischen schon ergänzen: der neueste Stand der Dinge ist eine andere.. ist OSC.. da musst du mit Frieder mal sprechen..

P: Ist nicht mehr MIDI?

R: Nein, MIDI ist zu langsam.

P: MIDI ist zu langsam?

R: Ja, manchmal erreicht es wirklich die Grenze.. beim Dateninput.. jetzt ist da Ethernet, und das ist zirka zwanzigtausend Mal schneller, da haben wir genug Platz für laut und leise und gleichzeitig für viele Informationen, Tonmodulationen.. gleichzeitig bei Bewegung in Verschiedenen Richtungen..

P: Und die digitale Information kann schneller gemacht werden.. durch diese schnellen Protokolle?

R: Genau, das ist manchmal wichtig..

P: Und die analoge Kommunikation ist vielleicht schon so komplex, dass die digitale nur noch nachholen muss, um die analoge, die körperliche zu erfassen? Also warum muss das schneller werden?

R: Na du hast schon recht, das ist eine Menge Information, Tanz ist sehr informationsreich..

P: Natürlich wenn man es so interpretieren will..

R: Und das auf die digitale Ebene zu bringen, das bedeutet schon eine Menge Information.

P: Vielen Dank.


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Interview 4

Interview mit Frieder Weiß (technischer Leiter des Workshops, System- und Softwareentwickler)

Datum der Aufnahme: 9. 1. 2003

Dauer der Aufnahme: 41:00

Ort der Aufnahme: Tanzzentrale, Kaiserstraße 177, Nürnberg-Fürth, Deutschland


P: Gleich zur Sache: was hat dich dazu bewegt, mit Tänzerinnen und Musikerinnen gemeinsam Software zu entwickeln, Hardware zu entwickeln.. und dann letztendlich auch mit ihnen aufzutreten? Du machst da also mit, du musst dabei sein..

F: Na gut, das ist meine Vorgeschichte.. ich war einmal ein kultur-interessierter Musiker..

P: Du machst Jazz..

F: Genau, habe mal mit einer experimentellen Band Jazz gemacht.. und da ist eigentlich die Technologie entstanden (???).. also ich habe das damals entwickelt, das war Anfang der neunziger Jahre.. aus meinem Beruf heraus (???) es war eigentlich ein Transfer aus meiner beruflichen Welt.. und daher auch die Motivation - als Versuch der Integration..

P: Irgendwie kommt mir das bekannt vor (beide lachen)..

F: Also ich habe wirklich die Systeme, die ich bei der Arbeit verwendet habe um.. -gearbeitet, umgeschrieben, damit sie bei Musik zu verwenden waren.. es gab damals viele Experimente der Band.. wie kann man mit Computer improvisieren.. das war die Zeit der Sequenzerprogramme, wo wir dann versucht haben zu improvisieren, das heißt diese starre Struktur aufzubrechen..

P: Und wie bist du dann zum Tanz gekommen? Zu diesen eher körperlichen..

F: Na ja, es war offensichtlich, dass die Jazzmusiker sich nicht körperlich genug präsentieren.. auf der Bühne, um das wirklich zu benutzen..

P: Für deine Vorstellung von..

F: Ja, und ich wusste, dass Robert irgendwie interessiert ist.. an den Zusammenhängen von Naturwissenschaft, Technik - so hat es sich einfach aufgedrängt, mit ihm zu arbeiten.

P: Um dieses Ideal, dieses Renaissanceideal dann trotzdem mal umzusetzen.. also die Interdisziplinarität, von der viel gesprochen wird..

F: Von der viel gesprochen wird.. und der ich letztendlich skeptisch gegenüberstehe, weil das kann niemand wirklich.. komplett und umfassend, und es gibt dann immer wieder.. also meiner Erfahrung nach verbeißt man sich ja doch in der Egozentrik, dass jeder seine Sparte weiter pflegt.. also interdisziplinär zu arbeiten finde ich recht schwierig, der Anspruch ist toll aber die Praxis ist.. also bei uns klappt es recht gut, aber meine Erfahrung ist auch.. bei neuen Partnerschaften.. man muss die Kommunikation erst erfinden..

P: Die Kommunikation erfinden -

F: - die notwendig ist zwischen den Beteiligten.. und es zeigt sich, wenn man so in die


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Szene guckt, dass die Partnerschaften oft auch sehr langfristig sind.. das kommt daher, dass es eben nicht leicht ist, den passenden Partner zu finden, mit dem man das tun kann.. (2:58)

P: Das klingt nach Leben.. Kunst und Leben kommen da sehr nahe zusammen?

F: Also ja, wenn man sich das anguckt, da gibt es wirklich auch Paare.. (Wie auch Robert und ich?).. also seit acht Jahren machen wir das zusammen.. also viele dieser Partnerschaften brauchen Jahre, um sich zu entwickeln.. das ist nicht einfach so, dass man zusammen kommt.. man muss erst die Möglichkeiten ausloten.. das war eigentlich die Geschichte mit dem Butch Rovan, dem Komponisten.. wir haben da ein Stück gemacht aus Entfernung.. die erste Produktion.. ein Stück (???) aus „Seine hohle Form...“

P: Aha, das habt ihr telematisch gemacht..

F: Genau.. wir kannten ihn von der Konferenz, wir haben gesehen, dass er weiß, worum es geht im Prinzip.. mit den interaktiven Kompositionen und da wollten wir eine machen.. aber da kannte er ja unser System nicht.. deswegen war es ja auch begrenzt, was das Ergebnis angeht.. das war eben sehr einfach.. und es wurde dann sofort belebt, die Kommunikation, als er es wirklich ausprobieren konnte. Und das ist so die typische Erfahrung mit allen Komponisten, das ist so der erste Entwurf, der es nicht so ganz auf den Punkt bringt, weil man erst lernen muss, das System zu verstehen.. was geht und was nicht geht. (4:25)

P: Und bei so einem Workshop entsteht das, ansatzweise?

F: Dies ist sozusagen dann diese erste Iteration, die kann man gut machen, in einem Workshop.

P: Robert hat aber erwähnt - noch mit Vorsicht, aber trotzdem - das es Aussichten gibt, hier vielleicht eine Schule zu gründen..

F: Ja, man muss aber jetzt zuerst genau die Zielgruppe suchen, das ist immer so.. ist es mehr Tanz oder ist es mehr Technologie.. und die Frage kommt immer.. es ist nicht beides.. es ist auch jetzt nicht beides.. es gibt immer so ein plötzliches Übergewicht (veranschaulicht das gestisch als dynamische, ungleichmäßige Verlagerung des Übergewicht hin und her)..

P: Also diese Balance zu halten.. bringt eine gewisse Kontinuität zu so einer Balance bei?

F: Nee, das ist ja beides.. also die Computer oder die Programmierung - das sind Sachen, die man intensiv oder umfassend machen will und dann plötzlich.. und Tanzen auch.. ein professioneller Tänzer - der will tanzen. Also meine Erfahrung mit den Workshops ist.. also da gibt es immer so eine (Drift?).. dann fangen natürlich die, die eigentlich tanzen - die sitzen dann alle Tage und Nächte nur noch am Computer.. und vergessen die Bewegung.. also es ist schwierig zweierlei..

P: Zweierlei Menschen in eins zu packen -

F: - ist auch für mich letztendlich die Erfahrung der letzten zehn Jahre.. es ist schwierig und kostet viel Energie..

P: Aber du machst es weiter..

F: Ja ja, ich mache weiter.. die Frage war eher, ob ich mein kommerzielles Leben mehr aufgebe, also meine Industriejobs.. das ist eben die Integration in diesem.. ja, also doch recht lebendigen Feld. (6:18)

P: Doch recht lebendig -


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F: Ja es ist eben anders als eben zu Bosch zu gehen und nur mit Ingenieuren zu arbeiten und industriell zu bauen.

P: Eben.. gut, nun zurück zu der Kommunikation, weil das fand ich sehr interessant.. was beobachtest du an dieser spezifischen Kommunikation zwischen Technikern/Technikerinnen und Tänzern, Tänzerinnen - Musikern, Künstlern im allgemeinen - dies einerseits. Und dann auch noch im Vergleich.. bei der künstlerischen Kommunikation zwischen euch als schaffenden und dem Publikum, den Rezipienten? Gibt‘s da eine Spezifik, gibt‘s da besondere Problemfelder?

F: Na gut, mit den Tänzern ist es erst mal so.. das führt zu einer Polarisierung: es gibt welche, die sind begeistert davon, von den Möglichkeiten.. die können sich drauf einlassen.. und es gibt doch welche, die lehnen das ab. (7.25)

P: Also doch eine Polarisierung?

F: Ja, finde ich schon.. also es gibt Tänzer.. immer (???) das erfördert neue Kompetenzen, zum Beispiel man kann nicht dem Rhythmus folgen, man muss das selber spüren.. und auch antreiben.. das kann nicht jeder.. da kommen meistens die Tänzer mit musikalischer Ausbildung besser.. also es ist wirklich beeindruckend, es sind wirklich neue Qualitäten.. man kann eben ein toller Tänzer auf der Bühne sein, aber er ist nicht besonders gut mit diesem.. das interaktive System erfühlen, das klappt nicht immer..

P: Erfühlen -

F: Ja, eben.. man muss es wirklich.. es ist wirklich eine Fähigkeit, eben so sensibel dafür zu sein.. und zuzuhören.. „was, was tue ich jetzt“.. das sind eben neue Qualitäten, die man erkennt.. und das fordert in der Praxis auch viel Geduld, damit das System funktioniert, und es gibt Störungen.. das ist halt die Arbeit mit Technik.. die Computerleute, die haben das sozusagen gelernt, mit der Frustration zu leben.. die Maschine bietet.. also, was weiß ich, die stürzt dauernd ab.. oder es dauert lange bis es fertig ist.. irgendwelche Phänomene.. es gibt ein Artefakt, es gibt eine Störung.. und dann können eben Stunden vergehen.. und so können Tänzer schlecht arbeiten, weil die sind dann nicht mehr warm..

P: Aha, das ist dann diese Zeitlücke.. der Unterschied -

F: Ja, der Unterschied in der Arbeitsweise, in dem zeitlichen Rhythmus.. ja und jetzt wenn man die Kommunikation mit dem Publikum sieht, da gibt‘s meiner Meinung nach auch eine Polarisierung, die mir da aufgefallen ist.. und zwar vor allem der Aspekt, wie transparent soll die Technik sein.. also erklärt werden.. das war dann einmal ein Versuch bei Palindrome, dass man sie wirklich öffnet, das es kein Geheimnis mehr ist.. keine Magie.. und es wird auch erklärt.. und interessanterweise ein Publikum, das jetzt nicht große Erfahrung hat mit Theater.. also Leute, die sich nicht regelmäßig modernen Tanz angucken, die genießen es sehr, wenn sie eine Brücke gebaut bekommen (9:45).

P: Also die Nachvollziehbarkeit.. die dann auch eingesetzt wird..

F: Genau, das macht ‘s für das Publikum verständlich und interessant.. und ein Kunstpublikum lehnt es in der Regel ab..

P: Mhm.. und das wird auch im Diskurs, insoweit ich es untersucht habe, Palindrome vorgeworfen.. dass es zu plakativ gemacht wird, zu einfach, zu spielerisch.. zu transparent. Andererseits wird es aber vom Publikum.. soweit ich es gehört habe, in Dresden zum Beispiel habe ich selber Kommentare dazu gesammelt.. das ist überwiegend positiv..

F: Das ist weitgehend positiv, insofern es nicht ein Kunstpublikum ist.. das Kunstpublikum


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lehnt es in der Regel ab.. die wollen letztendlich, glaube ich, die Magie.. ich kann das schon nachvollziehen.. die Technik aber, die darf auch nicht mehr.. also die Zeit ist vorbei - die kann aber auch nicht mehr so Mittelpunkt stehen.. oder selbst thematisiert werden..

P: In die Kleider herein, in den Körper herein, in den Nano-Bereich..

F: Na ja, die Technik soll auch ihre Funktion übernehmen einfach, ohne im Mittelpunkt zu stehen.. (???) man muss sich ja nur die Mediengeschichte angucken.. als der Film entwickelt wurde, dann war das erst mal ein Thema an sich, dann kann man damit halt damit was machen, dass man ein Film zeigt, also die Bilder zeigt, das reicht schon.. und danach kommt der Inhalt, die Technik zieht dann in den Hintergrund.. nach zehn Jahren, schätze ich `mal.. und die Phase wird jetzt `rum sein.. das passt auch ins technische und gesellschaftliche Umfeld, dass Technologie an sich plötzlich nicht mehr diese überragende Bedeutung hat.. wie vor zwei, drei Jahren noch, da war alles, was mit Technologie zu tun hatte total schick.. und jetzt ist es fast eine Gegenbewegung.. das ist ja auch normal..

P: Also so ein.. Trend?

F: Als Trend.. dass Technologie erst `mal Enttäuschung verkörpert.. dass sie die Erwartungen nicht erfüllt.. und das ist in der Medienkunst auch ganz stark gewesen.. man hat immer mit sehr hohen Erwartungen operiert, die man nicht alle erfüllen kann, natürlich..

P: Und wie reagiert ihr darauf? Wollt ihr in diesem Kurs beharren und die Technik weiterhin sichtbar machen, trotzdem.. (12:20)

F: Also wir haben noch keine einheitliche Meinung.. ich war schon immer eher skeptisch.. dass man das zu sehr...

P: Explizieren?

F: Explizieren möchte, genau.. aber es hat auch seine Berechtigung... ich bin etwas weiter entfernt von dieser expliziten Einstellung als Robert vielleicht...

P: Weil EyeCon als System ist ziemlich.. magisch angesetzt, es besetzt den Raum, ohne ihn eigentlich materiell zu verändern..

F: Richtig, dass das eine eigene Herausforderung hat, dass man einen Raum so erleben kann.. so ein System ist also immateriell.. also man berührt etwas, ohne dass da etwas materiell da ist, dass ist schon eine Schwierigkeit.. die touchline.. oder auch sie zu treffen.. und dies betrifft die eigene Körperwahrnehmung: (versucht es gestisch darzustellen) „Weiß ich denn genau, wie hoch mein Arm ist?“ Normalerweise nicht, vielleicht rutscht er ein bisschen `runter weil er müde ist.. + all das erzeugt jetzt eine Rückkopplung mit dem System..

P: Das ist ein sehr schöner Gedanke: Die äußere Wahrnehmung des Körpers und des Raumes kommt mit der inneren, also mit der kinästhetischen zusammen.. durch so ein System..

F: Das wird erfahrbar.. wird rückgekoppelt..

P: Und es gibt nicht mehr diese radikale Trennung zwischen dem äußeren und dem inneren Raum.. auch vielleicht zwischen dem Analogen und dem Digitalen?

F: Da sehe ich auch im Moment so eine Gefahr.. ob man wirklich körperlich wird.. wenn man die Technik so sehr thematisiert, ob man.. na, das wird ja postuliert, das man dem Körperlichen näher kommt, aber.. da denke ich, da muss man den Fokus auf die Funktion eher weg schieben.. damit es auch mehr Erfahrung wird als Verstehen, zum Beispiel.. das


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ist gar nicht so einfach.. Systeme zu finden, die man nicht verstehen muss.. um sie intuitiv zu erfahren..

P: Es wurde ja viel gesprochen von dem intuitiven Interface und natürlicher Interaktion.. ist das einer deiner Geheimziele.. oder zumindest eine Absicht?

F: Na gut, das ist schon ein Ziel, aber da sehe ich noch wirklich Schritte.. bis so was.. gegeben ist..

P: Aber das entwickelt sich (15:02)

F Ja ja.. also es gibt auch diesen Schritt - jetzt rein technisch gesehen - wir haben da eigentlich immer Raum-Mapping gemacht.. also wir hatten Zonen im Raum.. wenn man jetzt die Zonen an den Körper bindet, das ist zum Beispiel schon ein Schritt.. zur Individualisierung.. das Individuum war ja im Real-Time Forum ein Thema.. es wurde hervorgebracht, jetzt das Individuum mehr zu sehen als den Raum.. durch verschiedene Ansätze.. und das ist eine Entwicklung, die technisch aufwendig ist.. weil der Computer weiß nichts von dem Individuum..

P: Na ja, aber der kann tracen.. das ist dann die Trace-Funktion..

F: Genau, aber das ist auch nicht so ganz ohne.. er kann da auch zum Beispiel den einzelnen verlieren.. die Identitäten können ausgetauscht werden.. das kann man aber natürlich verfeinern, damit man wirklich versucht jemanden zu erkennen.. nach der Haarfarbe oder Kleidungsfarbe.. dass man wieder zu ihm kommt - und bei ihm bleibt.. aber das sind noch technische Entwicklungsschritte..

P: Und der Identitätstausch, zum Beispiel, kann dann wiederum zu einem künstlerischen Element oder Prinzip werden..

F: Solche Zwischenschritte machen wir ja immer, das man das thematisiert.. benutzt als Artefakt -

P: - poetisch umsetzt.. das ist sehr gut.. noch mal zurück zum Diskurs, zu dieser Benutzung von den räumlichen und körperlichen Metaphern zwischen den beiden Polen, wie du gesagt hast.. da gibt‘s eine gewisse Diskrepanz bei der Benutzung von Konzepten wie „Raum“, „Körper“, „Schnittstelle“, „Interaktivität“ - kannst du da welche Beispiele geben?

F: Wozu?

P: Zu dieser Diskrepanz bei der Benutzung von Konzepten wie „Körper“, „Raum“, „Schnittstelle“, „Interaktivität“ - also die zentralen Begriffe, die aber trotzdem nicht so eindeutig definiert sind.. vor allem in so einem interdisziplinären Kontext.. wenn der Tänzer „Raum“ sagt, was versteht jetzt der Techniker, der polarisierte, typisierte Techniker oder Musiker darunter.. oder „Körper“.. oder was ist „Schnittstelle“.. wo beginnt die Schnittstelle?

F: Oh, eine interessante Frage..

P: Gut, für einen typischen, typisierten Tänzer.. oder für einen Techniker?

[7 Sekunden Pause]

P: Oder was verbindet sie? Was schneidet sie?

[5 Sekunden Pause]

F: Na ja, die Komplexität ist ja nur, dass wir mehrere Schnittstellen haben.. was für mich


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noch ein bisschen eine Limitierung ist.. wir benutzen zwar den interaktiven Begriff, aber eigentlich wird es oft als Kontrollsystem benutzt.. also als Steuerungssystem..

P: Ein Paradox?

G: Genau, da (stütze?) ich mich auch dran (???) Experimente betrieben, wie man zum Beispiel.. (habe ich da?) einen Entwurf gemacht - ein Konzept, jetzt auch wieder - ein Stück.. der Tänzer steuert wie bisher jetzt Noten, aber nicht als den elektronischen Soundoutput, sondern als Vorgabe für den Musiker, als graphische Vorgabe.. das Ziel wäre zum Beispiel, dass er dann Noten schreibt.. das könnte jeder Art graphische Spielanweisung sein.. der Rechner ist jetzt hier so.. der Mediator.. ein Interface, das seine eigene Sprache hat, eine eigene Transformation betreibt... der Musiker kann das jetzt auch wieder interpretieren.. was er aus den graphischen Spielanweisungen macht.. ist jetzt jedem alleine und seiner Improvisationskunst überlassen.. ob er jetzt dem auch wirklich genau folgt.. es gibt jetzt aber eine ganze Reihe von Schnittstellen, was das System etwa aus der Bewegung macht.. vom Tänzer, was er daran sieht.. es gibt da eigentlich einen explizit formulierten Algorithmus dazwischen.. du hast da also Bewegungsparameter für graphische Vorgaben für den Musiker stehen.. und jetzt sollte aber die Rückkopplung erfolgen.. und zwar der Computer analysiert jetzt, was der Musiker gespielt hat.. und macht darauf graphische Vorgaben für den Tänzer, wohin er sich bewegt.. das ist dann sozusagen ein.. closed loop.. diese Closed-Loop-Systeme interessieren mich.. wie kann man die zum Leben bringen.. sonst ist es nur sehr stark in einer Richtung, es ist immer ein Kontrollsystem.. die Rückwirkung, wie der Klang also auf den der Performer zurückwirkt, das ist schwächer, ist eindeutig schwächer, die Rückkopplung.. (20:16)

P: Und bei „Seine hohle Form...“ zum Beispiel, da habe ich einen ziemlich starken Loop beobachten können..

F: Da gibt‘s einen starken Loop und es ist auch so eine Performerin, die das sehr gut gemacht hat..

P: Du meinst die Helena?

F: Nein.. das war die Laura Warren.. die war für mich die sensibelste von allen, die es bisher gespielt haben.. vom Anfang an, sie hat nicht lange gebraucht, mit dem System zu proben.. aber sie war unglaublich sensibel.. wie sie die töne spielte, das war für mich sehr beeindruckend..

P: Ich muss mir das Video noch mal anschauen.. das war also nicht die Helena im Duett mit Robert? Ich hab‘s im Netz gesehen und da war das ziemlich..

F: Ne, man sieht‘s auch nicht so gut, es war dunkel.. also von der Beleuchtung her.. aber sie war für mich für das Stück wirklich.. also fast eine ideale Besetzung.. durch diese Sensibilität, mit der sie - hört. (abrupter Tonwechsel) Na gut, aber jetzt um das noch mal kurz zu beschreiben, diese Closed-Loop-Systeme interessieren mich ziemlich, aber es ist ein bisschen an der Komplexität gescheitert.. es hat sich bisher noch nicht befriedigend.. gezeigt. Aber vom Konzept her, also eigentlich könnte man die Computer ja weg lassen.. das ist eigentlich nur eine Vermittlungsebene.. natürlich kann ein Tänzer mit einem Musiker improvisieren (gestikuliert direkte Vermittlung zwischen zwei Seiten).. und für mich war aber jetzt genau das Spiel, dass man da das technische Interface dazwischensetzt.. und dass es trotzdem noch alle Elemente von Improvisation und Freiheit gibt.. also die Medialisierung dazwischen.

P: Eigentlich kann ein Tänzer sozusagen auch alleine die Musik produzieren.. zum Beispiel bei Stepp oder..


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F: Ja gut, aber er kann auch einen Musiker in die Improvisation mit rein.. das ist ja ganz klar.. klassisch.. also der Musiker guckt, was macht der Tänzer und der Tänzer.. hört, was der Musiker tut.. das hat übrigens auch diesen interessanten Effekt, wo die visuellen Aspekte und die akustischen - Akustik ist ja immer im Raum, also es füllt den Raum, du kannst dich nicht abwenden von einem Klang - und das umgekehrte ist, mit dem visuellen Projektionen, da muss man sich zum Beispiel immer hinwenden und deswegen ist es, glaube ich, jetzt als Trend kommen irgendwie die visuellen Systeme (zum Tanz?), die sind aber begrenzt, weil sie immer den Fokus zu sehr abverlangen.. das ist eine hohe Kunst, das zu balancieren.. das ist ja schon visuell, der Tanz.. und wenn man eben die visuelle Ebene hinzufügt, dann gibt‘s schnell eine Verwirrung, deswegen ist, glaube ich, „Seine hohle Form...“ auch so organisch dann zusammen.. weil es ist das akustische System zum Bildlichen, also zum Tanz, der jetzt erst mal visuell wahrgenommen wird.. da bin ich ein bisschen gegen dem Trend eingestellt, dass man jetzt visuell zu viel auf die Bühne bringt..

P: Da muss ich zustimmen.

F. Weil ich glaube, dass durchtrennt sich gut.. die Musik mit dem primär visuellen Medium Tanz -

P: Und die Reaktion.. es wird auf Musik getanzt, primär.. das war auch immer so.

F: Interessiert bin ich natürlich an den Möglichkeiten von zusätzlichen visuellen Effekten, aber die muss man sehr intelligent einsetzen.. (als Teil der Bühne?) oder auf der Bühne als große Projektion.. das funktioniert nicht, meiner Meinung nach.. (24:00)

P: Na vielleicht, wenn sich das Bild von der Zweidimensionalität in der Dreidimensionalität aufgelöst hat.. oder beim Hologramm, wo der Körper zu der dritten Dimension befreit wird.. jetzt ist das Problem eigentlich nur die Funktionsweise.

F: Funktioniert hat es bei uns bei „Heisenberg“, wo wir mit dem transparenten Screen gearbeitet haben.. das wird eine Balance (gestikuliert Balance), da kann der.. lebende Tänzer mithalten.. wenn man dann noch die Größen abstimmt, vom virtuellen Bild zum realen Performer, dann klappt es ganz gut.. + das ist ein Beispiel, wo es funktioniert hat, mit Projektion auf der Bühne.. häufig ist es einfach zu stark, wie man es oft bei anderen Gruppen sieht.. da ist das Video zu stark.. oder man kann damit arbeiten, dass man es zeitlich verlangsamt, die Projektion, damit die nicht so starke Bewegungsimpulse hinzusetzt.. oder man muss es in die Choreographie wirklich einbauen, dass also der Fokus wechseln darf.. aber es ist verlockend, jetzt eben.. und es hängt immer an der technischen Entwicklung.. sind also die Rechner stark genug, um die visuellen Phänomene rechnen zu können. In Echtzeit, das ist natürlich verlockend, aber man muss das auch erforschen..

P: Na dieser Loop, zumindest bei „Seine hohle Form...“, ist meinem Eindruck nach sehr gelungen.. und deshalb habe ich gewagt, dieses Systemschema ein bisschen zu interpretieren.. das wirst du wahrscheinlich erkennen.. [präsentiert das Schema].. meiner Meinung nach - das ist jetzt vielleicht etwas überspitzt und ich brauche deinen Kommentar dazu - hier passiert die Modulierung.. und hier die Demodulierung zum Digitalen.. und hier wird auf der digitalen Ebene - das hier ist also die analoge Ebene - das wäre vielleicht die digitale Ebene, wo es durch Codierung und Dekodierung - also zwischen den Codes - kommuniziert wird, + weil darauf basiert eine kleine Hypothese, die ich zu der konkret-virtuellen, analog-digitalen Kommunikation entwickelt habe.. und hier lässt sie sich auch ziemlich gut veranschaulichen.. und ich bräuchte vielleicht deinen Kommentar dazu.. ich weiß, dass bei euch „the question of digital and analog out of the question“ ist, aber (Frieder lacht laut auf).. aber trotzdem..


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F: Du spielst daraufhin, ob die wirklich eigene Qualitäten haben? (26:53)

P: Ja.

F: Du hast ja in der analogen Welt den Begriff „Modulation“ verwendet und bei der digitalen „Code“?

P: Ja. Was meinst du?

F: Da sind ja zuerst die Begrifflichkeiten -

P: Da habe ich aber nachgeforscht, und das ist nicht nur bei „Mo-dem“, als Modulierung-Demodulierung -

F: Also Code ist erst einmal eine Art von Repräsentation.. und Modulierung ist eigentlich, einem Signal etwas hinzufügen, es beeinflussen, mit Informationen aufladen.. das ist also ganz gut (mit dem Blick aufs Schema).. aber ich weiß nicht, ob es wirklich mit „analog“ und „digital“ zusammenhängt.

P: Weil der Körper funktioniert doch analog -

F: - ja.

P: In diesem.. organischen Sinne, wenn wir es nicht zu abstrahieren versuchen, also informatisch oder sogar kybernetisch zu abstrahieren versuchen.. und die Maschinen funktionieren eindeutig digital.. oder kommunizieren zumindest digital untereinander.. weil ich fand ‘s ja interessant, dass das ein Mac und das da ein PC ist.. das sind eigentlich artverschiedene Kommunikatoren..

F: Genau..

P: Und sie kommunizieren jetzt schon durch Ethernet.. also nicht mehr MIDI.. diese Kommunikation wird eigentlich beschleunigt..

F: Beschleunigt -

P: Weil die hier (zeigt auf die Mitte des Schemas) unter den Menschen, die sowohl innerhalb des Systems als auch mit dem System interagierenden Menschen.. vielleicht schon sehr komplex ist? Und damit man dann auch diesen Loop etwas balancieren kann? Damit die Maschine auch die Komplexität..

F: Ich glaube, dass ich hier vielleicht noch einen dritten machen würde(zeigt auf die rechte Seite des Schemas bzw. Loops).. wir haben also hier eine sehr starke Datenreduktion.. also in der Abstraktion..

P: Datenreduktion -

F: Von dem analogen Geschehen, das ist ja eigentlich sehr komplex, davon versteht die Maschine ja nichts.. und was wir hier immer machen ist.. durch Datenreduktion.. das ist eine Vereinfachung, eine ganz harte Abstraktion.. also diesem Live-Geschehen werden ein paar Byte durch MIDI, das sind ja geringe Datenraten.. ich sage jetzt, zum Beispiel.. eine Positionskoordinate, oder Beschleunigungsparameter, also Bewegungsparameter.(29:34)

P: Das sind eben diese sehr abstrakte..

F: Und das hat aber jetzt für mich performative Funktion.. durch diese Datenreduktion kriegt es ja eigene Eigenschaften.. es wird einer Art Gegenüber.. und das finde ich wichtig, weil es gibt auch Forschungsrichtungen, die sagen: „Ich möchte es aber möglichst präzise


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abbilden, dass heißt ich möchte diese Reduktion.. oder diese Abstraktion immer perfekter machen.“.. Camurri zum Beispiel..

P: Ja, Antonio Camurri.

F: Genau, er sagt: “Ich will eine Sprache damit derivieren, also herauskriegen, die Expressivität, die expressiven Inhalte dieser Bewegungen extrahiert.“ Nur was ich in einer Performance damit machen kann, ist mir nicht ganz klar.. also als Forschungssystem ist es klar, nun wenn es wirklich funktioniert(e?), wäre es ja eine Illustration zu dem, was ich so schon wahrnehmen kann.. und da sehe ich nicht das Ziel.. das ist eine Illustration, die ist künstlerisch zu simpel, ein Illustration von dem, was da ist.. und ich glaube, dass bei uns der Trick ist, dass durch diese Datenreduktion eigentlich die Illustration zum Teil verloren geht oder aufgebrochen wird.. und das etwas immer noch darin ist, was einen Überraschungswert hat, für den Performer, was er nicht weiß, oder was ihn vielleicht auch unter Druck setzt, unter eine Spannung setzt.. und das ist wichtig.. es ist wichtig, dass es nicht nur eine reine Illustration zu der Bewegung herauskommt.. sondern, da muss noch ein Twist (gestikuliert, mit Drehbewegung) darin sein, was Ungewisses.. sonst brauche ich ja nicht darauf zu reagieren, wenn ich schon weiß, was genau kommt.. (31:23)

P: Was du jetzt formuliert hast, ist eigentlich die Urdefinition der Poetik.. so funktioniert zumindest die Poesie, deshalb schreibt man das Gedicht.. so sehe ich das jetzt zumindest.. man reduziert eben von der normalen Kommunikation, von der normalen Komplexität..

F: Da kann eben was neues entstehen.. und deswegen, ich meine.. es kommen ja Leute, die fragen in den Workshops auch: „Kann man es jetzt dreidimensional abbilden, kann man sozusagen jetzt einen Avatar damit bewegen?“ Das geht nicht. Dafür gibt es diese animation tracker, mit den Lichtpunkten, da kann man Bewegung recht explizit.. von verschiedenen Körperteilen.. was für mich, auch für den Performer jetzt aber keinen großen Reiz hat..

P: Die Mimesis.. die Abbildung -

F: - die Abbildung, die möglichst identische Kopie, die finde ich nicht besonders (qualitativ?)..

P: Aber das wird ja so viel angestrebt..

F: Genau, aber das ist nicht die eigentliche Motivation für mich, ich kann es nicht nachvollziehen.. wenn ich da zum Beispiel auf einer Leinwand, eine Figur mit meinen Bewegungen (füttere?).. das ist mir nicht das Ziel.. dieses Naturalistische, Photorealistische.. also irgendwo muss die Brechung ja sein, die wird man sicherlich auch entwickeln können, die muss man dann explizit formulieren.. ob das einfach ist, weiß ich nicht.. bei uns steckt immer so ein Stück impliziter.. Verfremdung mit drin, also durch die Simplizität des Systems..

P: Und so ein Einsatz der Technik ist wahrscheinlich auch sinnvoller.. als nur was zu kopieren, zu klonen.. oder nachzubauen?

F: Ja, also das ist auch für mich schon jetzt.. ich verstehe jetzt, dass auch die Einfachheit von EyeCon.. die ist ein Plus für mich.. also das es nicht das versucht, nicht den Anspruch formuliert.. das durch diese Informationsreduktion immer noch was offen bleibt.. was sinnvoll ist. (33:46)

P: Auf der Oberfläche war EyeCon ziemlich schnell zu begreifen.. also ich habe es in Dresden im Einsatz gesehen, ich hab‘s mir ein bisschen angeschaut, die


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Benutzeroberfläche, die graphische Schnittstelle war mir auch ziemlich geläufig..

F: Wenn ich ‘s jetzt also.. von der Marktsituation.. (wenn man‘s so sieht?), also wo ist die mögliche Anwendung, wo grenzt ‘s sich ab von einander.. das müsste die Einfachheit sein.. dass es nachvollziehbar ist, wie man jetzt so ein Environment aufbaut.. und ohne Programmierkenntnisse, zum Beispiel.. und das funktioniert auch irgendwie - in den Workshops, nach einem Tag können auch Tänzer damit bauen.. das geht.

P: Mhm, hier sehen wir es auch. Die zweite Nacht war ich hier geblieben und habe gestern selber schon in EyeCon gebastelt, und es ging, ich hab‘s mir aufgebaut.. das ist dann auch eine gewisse Benutzerfreundlichkeit.. oder Vereinfachung.. für den gemeinen Benutzer.. damit nicht die Kunst zu hoch bleibt? Kann das auch als ein Ziel..

F: Absolut.. was, dass die Kunst nicht zu hoch bleibt?

P: Dass die Kunst halt nicht in den Wolken bleibt, was du ja gesagt hast.. also zu magisch bleibt, dass jeder damit was machen kann, damit arbeiten kann..

F: Absolut, also wir hatten nie diesen magischen Gedanken.. auch wie wir mit unseren Arbeiten umgehen.. ich erlebe ja, dass viele Tanzgruppen.. die hüten es.. die würden das nie auf ihre Webseite setzen.. das könnte ihnen abhanden kommen.. das ist mehr so ein Open-Source-Gedanke.

P: Dadurch habe ich auch sehr schnell zu euch gefunden... (35:40)

F: Das ist mir sehr angenehm.. also, dass man‘s nicht zum Heiligtum macht..

P: Das ist sehr besonders.. zur Zeit, wo sich alle so viele Gedanken machen, vom Copyright im weltweiten Netz der Information.. da ist die Kreativität vielleicht die letzte Qualität, die wirklich -

F: Ich denke auch, ja.. was kann einem schon gestohlen werden! Mann muss sowieso immer neue Ideen haben.. man kann zitieren.. oder lässt sich inspirieren.. das ist der Austausch.. da habe ich einen ganz interessanten Artikel - rein technisch - gelesen von einer Firma, die jahrelang keine Patente gemacht hat.. das war für sie nie eine Innovationsbremse.. und sie haben jetzt erst angefangen, in den letzten Jahren, damit sie sozusagen Handelswahre haben, in diesem gesamten System.. damit sie sozusagen kontern können.. aber sie haben auch ganz (???) eingesehen, das es eigentlich eine Innovationsbremse ist, wenn man sich nur mit Patenten und Copyrights beschäftigt.. für sie war es eigentlich nicht nötig.. das waren diese, die machen dieses (???).. Cisco.. jetzt machen die Hunderte von Patenten und schützen alles..

P: Bis es dann zu einem globalen Meinungswechsel, einer Verschiebung kommt, wird es noch lange dauern.. bis Leute diesen Eigentumsgedanken aufgeben.. obwohl das eigentlich eine ziemlich späte Entwicklung unserer Kultur ist, unserer westlichen Kultur..

F: Das Eigentum?

P: Das geistige Eigentum.. das Eigentum als solches sowieso und das geistige Eigentum eigentlich auch.. in dem Sinne, dass das ziemlich schnell eine Kreativitätsbremse werden kann, auf einem allgemeinen Niveau.

F: Das ist erstaunlich, ja..

P: Wo wir jetzt gerade global zusammenbasteln könnten, aber das tun wir nicht eben deshalb..


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F: Da gibt‘s ja auch radikale Ideen: Der Künstler hat es gar nicht mehr nötig, dass er jetzt von seinen Copyrights lebt, er lebt bereits als Star schon, er ernährt sich von seinem Star-Sein.. in einer Welt, die jetzt materiell, wo man nicht materiell (am Untergang?) ist.. und wo die (Wertigkeiten?), also wie viel Öffentlichkeit man.. also wie vielen Menschen man bekannt ist (???).. Star-Sein ist ja ein hohes Gut inzwischen.. der Bekanntheitsgrad und (???).. da gibt‘s aber eine doch recht radikale Theorie dazu, dass man.. sag ich ja, da kann der Star seine Fans fragen, ob sie ihm ein Auto kaufen, man braucht dann gar nicht so viel besitzen.. in einer Welt, die ja schon so reich ist, der muss nicht um seine Ernährung fürchten, der muss nicht verhungern.. das fand ich ganz spannend..

P: Ähnlich wie bei Wahren- und Leistungsaustausch in den Kommunen.. das ist dann die globale Kommune?

F: Klar, das ist auch gut, wenn man einsieht, dass es Wirklichkeiten gibt, die nicht materiell sind... wenn ich jetzt so.. diese Öffentlichkeit habe, die Unsterblichkeit als Person.. zum Beispiel auch für Menschen, die mich gar nicht kennen (???) könnte ich es als Wert beschreiben, dass mich Menschen kennen, die ich gar nicht kenne, was einem großen Star normalerweise passiert (beide lachen)..

P: Also ich glaube, dass deine Arbeit hier - zwar ein Tropfen - aber trotzdem zu dieser allmählichen -

F: Befreiung -

P: - beiträgt, ja. Solche Workshops, die zu Schulen oder längerfristigen Projekten oder Mitarbeiten führen, die sich dann rhizomatisch ausweiten - das ist schon.. ich glaube, das ist es.

F: Ja.. ja. Na ja, ist für mich auch eine Frage.. mit dem System.. ob ich jetzt eine Art Schützgebühr.. aber ob ich längerfristig so tue, das weiß ich nicht, weil dann.. mit den paar Systemen, die man da vielleicht verkaufen kann, davon kann man nicht leben.. aber vielleicht von den Kontakten.. und Impulsen, die man gibt.. das braucht viel Kommunikation (hustet stark)..

P: Ja, es ist schon richtig kalt geworden hier..

F: Nun, Projektarbeit.. arbeit mit Menschen..

P: Frieder, vielen Dank.


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Beilage 2.: Verschriftete Neben- und Nachgedanken

eine diskursive und selbstreflexive Rezyklierung
zu den Interviews im Dissertationsprojekt
„Körper im elektronischen Raum.
Modelle für Menschen und interaktive Systeme

anlässlich des „Dance & Technology Workshops“
von Palindrome IMPG (6. - 9. 1. 2003) in Nürnberg

Die folgenden Kommentare und Nebengedanken wurden unmittelbar nach den Interviews, während der ersten Oberflächenanalyse der Videos aufgezeichnet, teilweise mit Hilfe von Notizen (Kurzsätze, Skizzen), die während einzelner Interviews gemacht wurden. Zwei Tage später erfolgte eine gründliche diskursiv wie auch kontextuell (Körpersprache) motivierte Analyse des Videomaterials, anhand derer die Texte nochmals revidiert und präzisiert wurden. An dieser Stufe dienten sie - neben den transkribierten Interviews - zur Formulierung erster Hypothesen, deren letzte Instanz (Kapitel 3.2.) ein Jahr später zu ihrer erneuten, nun ultimativen Reflexion führte. Als Phasenabschluss in diesem - vielleicht als „diskursive Rezyklierung“ paraphrasierbaren - Prozess wurden zentrale Begrifflichkeiten und syntaktische Bildungen mit denjenigen abgeglichen, die im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess unter dem Einfluss weiterer theoretischer wie auch praktischer Wissensschöpfung raffiniert wurden.



Interview 1 (Georg Hobmeier)

1:20<1141> Er ist ziemlich schnell auf interaktive Systeme gekommen, eigentlich direkt zum EyeCon. Ist das bloß, weil der gesamte Workshop eher technophil orientiert ist? Hoffentlich war das keine Suggerierung meinerseits. Offenbar ein Künstler-cum-Techniker. Was wohl eher?

2:52 Neben „Raum“ wird „Zeit“ doch noch eine Rolle spielen müssen, eine viel größere als ich mir gedacht habe. Die ist aber trotzdem stark mit Körper und Raum verbunden. Ist das nur bei den künstlerisch „Kreativen“ so? Wie empfinden TechnikerInnen ihre kreative Zeit? Wahrscheinlich zögert technisches Können die Zeit irgendwie aus - die ungemütliche, kalte Ruhe für den warmen Körper. Maschinenzeit ist länger als Körperzeit. Das empfinde ich auch meistens so, sowohl im EyeCon als auch auf dem Desktop.

4:15 Er scheint schon von alleine zwischen den graphischen, virtuellen und den körperlichen, konkreten Schnittstellen zu unterschieden. Doch auf „Gruppierung“ will er


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nicht losgehen.

5:13 Ein wahrer „Renaissancemensch“ - ein eher von der künstlerischen Seite stammender Frieder [Weiß]. Er wippt in seine schauspielerische Identität, die ist außerhalb des Workshop-Kontexts offenbar stärker. Bezeichnet sich als „notgedrungener Techniker“? Glaube ich nicht, vor allem nicht hier und jetzt. „Verweigern“ kaufe ich ihm auch nicht ab - eigentlich eine ziemliche Diskrepanz: er tut tatsächlich das Gegenteil. Das ginge nur, wenn er sich konsequent als Performer auf der Bühne versteht. Auch möglich - als Oszillation etwa. In der Renaissance-Zwiespalt wird er eindeutig hin und her gerissen, immerhin wechselt er die Rollen sehr geschickt - wiederum ein richtiger Schauspieler!

6:02 Also doch eine Polarisierung! „Körper-Menschen“ einerseits und „Technik-Menschen andererseits“. Muss ich nun befürchten, ihm diese Opposition unterstellt zu haben? Bin ich zu suggestiv?

6:40 „Kleine technische Tricks“ sowohl beim Schauspiel als auch beim technischen System! Schauspiel als Software, als die „gezügelte Technik des Körpers“? Schauspieltechnik, die eine „eigene Wahrnehmung“ im Raum ermöglicht, diese erweitert. Danach will ich ihn später noch fragen.

7:52 Meine eigenen Sprach- und Sprechdefizite: „Was weiß ich“ - was weiß ich denn eigentlich? Weiß ich zu viel oder zu wenig? Ich will hier was erfahren. Er-fahren. Bloß nicht zuviel ([Z]Er)Reden.

8:23 „Wie kann ich den Kreis zwischen mir und der Maschine schließen“ - er trennt also die beiden Pole, aber will sie dynamisch zusammen bringen. Das bedeutet für ihn also Interaktion, die wechselseitige Beeinflussung (manchmal sogar Spiel) zwischen Mensch und Maschine - die enge Schlinge zwischen Mensch und Maschine - gerade er müsste davon Bescheid wissen. Die Schlingenmetapher, der „Loop“ scheint zu zünden.

9:02 Jetzt will er den Interaktivitätsbegriff wieder abstufen, scheint zwischen (theoretischem) Einheitsbedürfnis und (praktischer) Partikularisierung der Begrifflichkeit zu oszillieren. Er versteht es entweder direkt, in Echtzeit und geschlossen/kompakt oder dekonstruiert, dekonzipiert, transparent. Ähnlich wie hier im Workshop eigentlich, wo wir doch ständig zwischen den beiden Aspekten oszillieren und gleichzeitig versuchen, sie zusammen zu bringen. Das „Gesamtkunstwerk“ in seinen Teilen zu verstehen (denken, konzipieren) und stufenweise zu realisieren, ohne das seine Gesamtheit - sowohl beim Rezipienten als auch beim Produzenten - verloren geht. Das ist auch mein persönliches Anliegen - so soll es letztendlich auch in die Arbeit einfließen.

10:02 Den Körper zu erweitern ist für den Bühnenmenschen nur in der Echtzeit möglich.

10:24 „Zu sich selber finden“: er weicht aus und sagt lieber, man findet zum Raum, erweitert den Raum (Raum als externe Qualität!). Aber ist das nicht auch eine Erweiterung des Körpers? Er ist Schauspieler, fasziniert vom Raum, von der vielfachen Kommunikation seines Körpers mit dem Raum - und von der daraus entstammenden Magie (hier eindeutig als Mystifizierung im Sinne vom „Bühnenzauber“) für andere. Dies müsste auf die (zumindest diskursive) Reflexionsebene gehoben werden.

11.25 Die Magie der Unsichtbarkeit also: Transparenz wird für die Macher reserviert, damit die Magie auf die Rezipienten wirken kann. Das System will er aber trotzdem versteckt haben - doch nicht nur für das Publikum, auch für ihn selber. Natürlich, wegen kostbarer Selbsterfahrung! Ein wenig gesunden modernistischen Egoismus kann (uns beiden) nicht schaden? Eindeutig ein guter Schauspieler, spielt sogar vor sich selber. Genau, auch das Haptische muss im vollständigen Zauber verschwinden können.


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12.20 Habe ich ihm diese Hypothese zu explizit unterstellt? Wie auch immer, er scheint es zu verstehen. Argumentiert aber weiterhin als Schauspieler - ein offenbar technoemanzipierter Schauspieler! Als Musterbeispiel? Das Renaissanceideal kann also bereits in der Jugend erlangt werden. Er spielt beide Rollen mehr oder weniger parallel: im Workshop ist er Techniker, tendiert aber im Interview und Privatgespräch zum Schauspieler. Auch hier kompensiert er effektiv.

14:20 Er weiß offenbar Bescheid was „harte technische Arbeit“ sein kann. Das kommt mir entgegen, aber ich kann ihn in seinem stetigen Rollenwechsel kaum bestimmen bzw. festhalten. Doch brauche ich das? Ich schwinge lieber ein Stück weiter mit ihm. Ist alles eigentlich ein gutes Beispiel für den großen Balancegedanken. Kann ich ihn noch etwas komplexer, etwas genauer und intimer fragen? Ich wage offenbar nicht zuviel, er versteht: ich brauche Geschichten, Beispiele. Er spürt die Narrativität dieses Interviews. Also doch eine eher „technische Ecke“, in die er gedrungen wurde/wird! Von wem wohl?

15:50 Wir schwingen miteinander.

16:30 „Theatermaschine“! Ich muss jetzt an „Hamletmaschine“ denken. Beidseitiges Ausschweifen zur rhetorischen Neuaufladung - aber wir wollen uns doch nicht im Kreis drehen, oder?

17:06 „Neue Organisationsformen“. Das will ich nutzen, das erschient mir zentral. Doch ich lasse ihn jetzt besser frei reden. Wie beim Film also - wird er jetzt noch komparativ? Nein, doch lieber nicht.

17:50 ich lasse ihn jetzt am besten als Techniker reden - als einen Techniker in seinem Theater? Das ist zur Zeit seine Hauptrolle. Weiß er diese Rollen von den anderen zu trennen? Nein, lieber ist er wieder der Techniker hier am Workshop - hier ist seine Rolle zumindest halbwegs klar bestimmt. Obwohl er öfters kompensiert (in Pausen, durch Mitspielen in den Performances).

18:22 War ich bei Begriffen zu schnell? „Eigenes Vokabular“ klingt nicht schlecht.

18:50 Er scheint die „Laien“ definieren zu können - aus Eigenerfahrung wohl. Er spricht sonderbar frei. Aber auf die Begriffe will er irgendwie nicht zurück.

19:45 Gut, ich reformuliere. Muss ich die Interviewfragen überhaupt reformulieren?

20:10 Es klappt trotzdem, er erzählt. Er ist eine wertvolle Zitatquelle („Mann muss es eben probieren.“).

20:40 „Kode“ ist im Kunstkontext also nicht gleich „Text“, stimme ich voll zu. Das muss ich noch genauer ausführen. Der Kode ist ähnlich wie Text, aber das genügt nicht bei Performanz. Danke, Georg, darauf war ich eigentlich hinaus. Nun wird er wieder voll Künstler.

21:30 Die Frage kam nicht ganz hinüber, ich muss wiederholen. Er erzählt wieder frei, ich lasse ihn lieber klug werden, so wie er ist - dieser Mensch hat eben Ahnung und erzählt gerne. Eine gute Mischung für den „Renaissancemenschen“. Jetzt lasse ich besser von meinen Fragen.

23:10 In das ewige pro et contra will ich mich aber nicht verstricken. Wir beginnen uns zu wiederholen. Obwohl wir noch gemütlich weiter plaudern könnten. Schluss jetzt lieber.


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Interview 2 (Andrea Kick)

Kurz vor der Aufnahme und dem offiziellen Interviewstart: es ist nicht nur sehr kalt hier, es ist ein wenig kalt zwischen uns beiden. Sie versucht trotzdem irgendwie nett und entgegenkommend zu sein. Hoffentlich spricht sie diesmal nicht als eine brave PR-Person, nur „im Namen“ von Palindrome. Ich versuche die Atmosphäre aufzulockern. Bin ich etwa selber zu angespannt? Oder ist es nur die Erkältung, die mich seit gestern packt?

00:50 Sie „begleitet eher“ - will sich also distanzieren, beschreibt sich als „Amateurin“. Aber ich will sie alle ihre Rollen spielen lassen. Das ist nun offenbar eine ihrer Hauptrollen hier.

1:12 Sie will analysieren. Gut, ich lasse sie erst einmal „tanztheoretisch“ argumentieren, wir haben noch Zeit.

2:00 Bloß keine Palindrome-PR! Ich will mich an ihre eigene Meinung herantasten. Doch vielleicht ist es nicht falsch, ein bisschen PR-Kram vorerst zuzulassen, damit wir einen fruchtbaren Gesprächsboden haben. Sie spürt das Thema gut und lockert allmählich auf.

2:40 „Technik als Mittel“? Ihre Rolle der Tänzerin und Künstler-Advokatin wirkt ziemlich konstant. Sie wird wohl die einzige wirklich „rollenfixierte“ Person unter den Interviewten?

3:05 Mit der „Polarisierung“ könnte es bei ihr also Probleme geben, ich muss die Frage reformulieren. Sie soll vielleicht besser über Frieder und Robert erzählen. Ich will sie trotz allem aus ihrer Distanz herauslocken.

4:02 Wieder bloße PR! Ich will keine Öffentlichkeitsarbeit. Ich will dich persönlich, ich brauche intimere Erzählungen! Den Kulturunterschied immer wieder einrechnen, das muss ich nicht vergessen.

4:24 Sie ergreift die Initiative und reformuliert. „Interaktivität“ versteht sie offenbar viel zu generell, um mir von Nutzen zu sein. Alles klingt bei ihr eigentlich so selbstverständlich. „Generell“ ist mir suspekt.

5:20 Was erlebt sie wohl dabei? Sie behauptet sich zwar wieder als keine Tänzerin, sondern nur als „sich Bewegende“. Aus dieser Pose kann ich sie nur schlecht herauslocken. Doch auch so kann sie mir auch Interessantes erzählen. Vielleicht muss ich mich selber mehr hereinspielen?

6:10 Schön argumentiert. Sie polarisiert offenbar von selbst - stellenweise sogar radikal!

6:38 Hier kommen Tanz und Musik offenbar zusammen. Trotzdem hat sie es selber „erlebt“. Jetzt endlich wird es erst persönlich.

7:15 Sie steht (mir) also kritisch gegenüber? Dieses „Von-Außen-Anschauen“ kommt mir jedoch verdächtig vor. Und als Rezipient ist sie dann wohl enttäuscht? Ich soll besser nicht Palindrome zitieren, das bestätigt sie dann nur. Was ist für sie interessant, was zieht sie wohl persönlich da herein? Eine „gemütliche“ Interdisziplinarität zwischen Tanz und Bürokratie? Interessant erscheint mir die Opposition zwischen „Musikkörper“ und „Tanzkörper“. Unter technischem System (EyeCon) kommen sie wieder zusammen.

8:53 Was ist für sie persönlich „die künstlerische Qualität“? Hat sie wohl selber Distanz zum „System“? Palindrome als soziales bzw. technisch-soziales System? Als sozio-techno-künstlerisches System? Hybridsystem.

9:42 Sie will nun doch wieder Tänzerin sein. Und sie hat die Kamera endlich vergessen.

10:10. Jetzt ist sie schon bei ihrem „anderen Job“. Hier bei Palindrome versteht sie sich


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vielleicht einigermaßen als die geistige, kreative Mutter - dies offenbar in all ihren Jobs, wo sie mit den interdisziplinär Arbeitenden klar kommen muss. Interdisziplinarität bringt mit sich eine gewisse Zersplitterung der Identität und stellt besondere Bedürfnisse an ihre/n soziale Umgebung/Inhalte. Nun müssen wir zurück zur (Meta)Kommunikation. Ich schlage jetzt etwas härter zu.

11:05 Wieder beharrt sie in der affirmativen Haltung. Das will ich nicht! Oder?

11.18 Ich übertreibe wieder! Sie lacht mir die „neue Sprache“ aus. Lacht sie mich aus? Sie theoretisiert wieder. Gut programmiert und geordnet, ihr schlichtes System. Ich muss mich etwas zurücklehnen. Darf sie nicht unterschätzen.

12:15 Mein Fehler: Schlecht gefragt. oder ist ihr bereits langweilig? Sie ist nun endgültig aus allen Rollen gefallen. Hier kommt nichts Neues mehr. Ich bin ihr dankbar, ich weiß es ist kalt. Ich hätte doch besser einen anderen Raum suchen müssen? Oder mich lieber überhaupt nicht mit Fieber an die Interviews wagen? Lampenfieber und Körperfieber - affektive und körperliche Energieüberflüsse. Doch ich lasse sie noch einmal zum Wort.

12:48 Schon wieder der Streit um den Interaktionsbegriff - ich habe ihn absichtlich nicht genauer abgegrenzt, was vielleicht ein Fehler war. Oder war das eben gut? Ich zeige mich dankbar.

13:55 Sie definiert die Interaktivität von selber. Unerwartet.

14:10 Habe ich es wirklich so erlebt? Ich möchte ihr sagen, dass wir beide im selben Raum anwesend sind, diesem konkreten Raum. Und nicht nur im Kopf. Da kratze ich mich auf jeden Fall zu viel daran. Wie versteht oder empfindet sie wohl mein Kopfkratzen? Sie ist eigentlich sehr nett.

15:40 Wieder Probleme mit dem Schnittstellen-Begriff. Und sie hat das nicht erwartet. Soll ich nun glücklich darüber sein, sie aus dem Gleichgewicht zu haben? „Entdeckung und Eroberung“ der graphischen Schnittstellen klingt vielversprechend. Das will ich in den Hypothesen paraphrasieren.

16:20 Ich soll sie nicht wieder auf Distanz gehen lassen. Schon wieder der „Background“, der den Vordergrund verblendet. Sie weiß einfach zu viel.

16:50 Schön aufgelockert, obwohl rein verbal. Aber im Körper scheint sie sich zu verschanzen. Dieser Scherz vor dem Interview mit den „intimen anonymen Geschichten“ auf Video hat gewirkt. Der Witz zündet, doch sie fängt sich wieder schnell in der Ratio. Zu schnell? Auch beim Tanztraining gab sie einen paradoxen Eindruck: einerseits sehr „deutsch“, koordiniert und zielgerichtet und gleichzeitig unheimlich „leicht“, flüssig und dispers.

17:40 Ich will nur von ihren eigenen „Prämierungen“ was erfahren und in diesem Fall ist es keine leichte Arbeit. Wie kann ich das reformulieren? Ich erzähle lieber selber.

18:25 Erzähle ich zu viel? Ich gebe ihr zum letzten Mal noch etwas Input.

18:37 Sie ist wieder beim „Ludismus“. Warum freut mich das? Sie spielt offenbar auch gerne ein wenig herum. Nur niemals ohne ein Minimum an Kontrolle. Sie lässt sich nicht fallen. Es wäre interessant, sie in einer Tanzimprovisation fallen zu sehen. Sie schließt ab, bereits im Tonfall.. und wiederholt wieder. Das reicht nun.

19:05 Zu viel gedankt? Bin ich dankbar? Ja, das bin ich.


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Interview 3 (Robert Wechsler) 1. Teil

Kurz bevor: Für ihn muss die Kälte noch besonders unangenehm sein. Er hat nicht einmal Socken an. Ein empfindsamer Tänzer. Hier kann er sicherlich keinen Boden fühlen. Mir ist eigentlich auch kalt. Wir hätten irgendwie ein Interview-in-Bewegung machen sollen. Ein Tanzinterview im Duett!

0:12 Mein Fehler! Natürlich meine ich nicht „diesen ganz allgemein“ - ich will die generellen Gründe für solche Workshops, aber anhand von diesem Beispiel. Immerhin hat er es verstanden und kommt mir entgegen, spürt, worauf ich hinaus will.

1:23 Er ist sehr vorsichtig und formuliert genau. Für ihn ist Deutsch ja Fremdsprache. Und für mich auch. Eine Drittsprache, wie der Tanz etwa eine Erstsprache ist. So will ich nicht mehr weiterbohren.

1:40 Ich soll es lieber nicht zulassen, dass er sich selber „herunterkriegt“. Demotivation tut keinem Künstler gut. Ich kehre lieber zu meinem festen Plan zurück. Das merkt er dann auch.

2:35 Er will offenbar genauere Fragen. Ein (Ex?)Naturwissenschaftler. Trotzdem kommt er eigentlich selber zu der Renaissance-Idee. Ich entdecke nun auch noch diskursiv den typisierten Künstler in ihm. Auf jeden Fall muss ich mir überlegen, ob ich das in der Workshop-Evaluation hervorheben soll, sobald sie stattfindet. Jeder Mensch ist Renaissancemensch?

3:20 Nur Frieder ist in seinen Augen der „wahre“ Renaissancemensch? Glaube ich kaum. Er ist es eigentlich auch - und das scheint er zu wissen. Natürlich brauche ich ihn nicht einmal daran zu erinnern. Er schätzt sich gewiss hoch, das will ich ausnutzen. Und wir bleiben uns sympathisch.

4:32 Er will das Interview anscheinend selber führen, frei erzählen. Das lasse ich ihm lieber, er hat auch eine klare Vorstellung. Er will was erzählen. Eine gute Chance für den Dialog. Ich versuche nun auch über „meine“ Vorstellungen zu reden. Ein rarer Luxus?

5:30 Er will wirklich von sich sprechen und das kann ich gut gebrauchen. Auch eine andere Kulturprägung, die das Intime herauszuhängen erlaubt. Hoffentlich schweift er nicht in das gemütliche schwarz-weiß Gerede aus. Was bedeutet für mich eigentlich schwarz-weiß? Kann ich selber Farben ertragen? Wie viele Farben kann ich überhaupt unterscheiden?

5:53 Wieder das Zeitproblem, ähnlich wie bei Georg. Ich muss unbedingt auch Frieder danach fragen. Soll ich an dieser Stelle tiefer bohren? Kaum, er trifft genau und sicher, kommt mir entgegen.

6:47 Sein Fabulieren finde ich gut, er gibt auch gute Beispiele. Ich spüre die besondere narrative Qualität des Interviews. Palindrome will offenbar für Theorie kompensieren - bei so vielen technischen Schwerpunkten auch kein Wunder!

7:20 Das will ich für ihn nicht übersetzen. „Empowerment“ finde ich gut, auch unübersetzt kann es gut gebraucht werden. Ich soll ihm nicht zuviel ins Wort fallen. Natürlich will ich, dass er auf den „Loop“ reagiert - darüber will ich überhaupt noch genauer wissen.

8:00 „Ein Künstler zu sein“ das ist klar, aber ich will ihn weiterhin werten lassen - eine schöne Erfrischung in seiner Erzählung. Dabei polarisiert er sich auch selber begrifflich, bleibt aber trotzdem subtil in seiner Rede. Das gefällt mir: Wortkunst, stellenweise mit „wissen(sleiden)schaftlichem“ Tiefgang.


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9:55 „Künstlerische Anwendung fehlt“ also - auch danach muss ich noch bei Frieder fragen. Aber er erzählt schon selber viel davon. „Application driven“ klingt bereits viel versprechend, später frage ich in diesem Zusammenhang noch einmal nach der „gestural coherence“.

10:43 Mir gefällt es nicht, wenn er zuviel über Frieder spricht. Ich lasse ihn besser über sich selber (und) als Choreographen sprechen.

11:20 Um keinen Preis will ich mich „überinformiert“ zeigen! Er will doch selber stets wahrheitstreu und informativ bleiben. Und er weiß irgendwie, dass ich gründlich informiert bin, dazu wähle ich bereits die richtigen Worte. Wenn er über seine künstlerische Arbeit spricht, lächeln wir beide als ob sie auch meine eigene wäre. Der Workshop gibt ein schönes, kreatives Gruppengefühl. Noch einmal erwähnen wir die Schlinge - der „Loop“ funktioniert, das ist ihnen allen offenbar ein gängiger Begriff. Er driftet aber auch ziemlich bald wieder in seine „Konzepte und Ideen“ ab. Muss ich mehr führen? Abwarten, dynamische Balance (in Bewegung) halten.

13:07 Er scheint wirklich alleine gut auszukommen, ich folge nur. Freies Erzählen par excellence.

13:36 Interessante Wertung - die Körpersprache will ich mir hier noch einmal genauer im Video anschauen. Ein spürbarer Konflikt.

14:25 Eine zu schwierige Frage? Ich muss jetzt auflockern.

14:52 Nein, bloß nicht in die Sackgasse! Er schließt sich etwas. Ich erzähle jetzt ein Stück selber, muss mich auch mehr einbringen.

15:40 Keine Antwort auf die Kommunikationsfrage. Ich erzähle immer noch! Aber nur von beidseitig bekannten Sachen. Die „Transparenz“, dazu muss er jetzt einen Anschluss finden.

16:12 Das war nicht einmal sein Text. Aber er versteht es.

16:35 Jetzt übersetze ich lieber. Die Fremdsprache stört? Soll ich besser auf Englisch weitermachen? Das wäre nicht besonders gut, zumindest nicht für die konsequente Methode. Ich bleibe beim Deutsch. Ich folge ihn, ich muss lauter zustimmen. Nun fließt er schön locker, ich fließe mit.

2. Teil (Kassettenwechsel)

0:10 Nicht zu schnell, er soll es noch einmal selber versuchen. Er will stringent bleiben. Ich lerne nun lieber von seiner Ruhe und seiner Präsenz. Und er hat es eigentlich bereits gut formuliert. So wirklich penibel will ich auch nicht werden. Die Rollen des Wissenschaftlers und des Künstlers sind - zumindest für dieses Interview - leider endgültig verteilt.

0:49 Wir haben das Gespräch wieder im Rollen. Doch übertreibe ich nicht mit der Metakommunikation? Er scheint mich in der kurzen Zeit ziemlich gut kennen gelernt zu haben. Er scheint einiges zu tolerieren, also wage ich etwas mehr. Nun will ich direkt zu den Begriffen. Allzu oft soll er sich nicht wiederholen (lassen).

1:35 Wird es ihm langweilig? Zu kalt? Soll ich umformulieren? Ist es überhaupt richtig, die extraverbalen Angelegenheiten verbal zu kompensieren? Ich versuche auszugleichen. Er bleibt jedoch hoch im diskursiven Status, ich weiterhin unten. Nun versuche ich die Wippe wieder in Bewegung zu bringen.


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2:34 Offenbar taut er endlich auf. Aber er will sich nicht richtig zu thesenhaften Aussagen locken lassen. Hoffentlich ist das nur vorübergehend. Außerdem bin ich ja da, um zu hypothetisieren.

2:55 Sind die Begriffe tatsächlich „universell“? Natürlich nur in diesem Kontext. Universalität innerhalb eines einzigen Kontexts? Er sieht offenbar nicht mehr über seine „aufgeklärte interdisziplinäre“ Position hinaus. Das scheint für viele die letzte Station, das ultimative Telos zu sein. Konstruktives Gesprächsklima tut gut.

3:50 Nun wird er wieder Tänzer. Ein wenig Englisch stört nicht. Ist er vielleicht müde? Immer mehr englische Wörter kommen auf.

4:24 „Parameter vs. Bewegungsqualität“ ist eine interessante Opposition!

5:10 Er versteht sich offenbar als „Übersetzer“. In seinem Sinne ist er eigentlich die „Schnittstelle“ - er versteht sie viel personifizierter, sogar persönlicher. Diese beiden Bereiche sind irgendwie paradigmatisch verbunden. In seiner Schnittstellenrolle scheint er sogar ausgesprochen gut zu sein. Das ist eigentlich auch beim gesamten Workshop zu fühlen.

5:52 Tänzerische Wörter können von Bedeutung sein. Dies ist aber keine wissenschaftliche Bedeutung. Beide Diskurse müssen zueinander finden, sich im hybriden Schnittfeld erst einmal kennen lernen und aufeinander abstimmen. Ich kann nun zum Schema umleiten.

6:31 Das muss ich jetzt schnell erklären - aber er hat andererseits schon so viel selber erzählt. Ich will einfach ironisieren, will sein „Out of the Question“ als Wortspielquelle benutzen, dafür ist er sensibel genug.

7:03 Tanz also als komplexe Informationsverarbeitung. Will ihm noch einen letzten Knochen werfen. Das Schema sieht er nicht wirklich „interpretiert“, er fügt selber hinzu. Er will wirklich nicht auf „digital vs. analog“ hinaus. Dann erzähle ich besser selber und sehe einfach was daraus wird. Er ist wirklich müde. Auch das sagt aus.

8:50 Das Schema ist überwiegend bestätigt. Durch Kälte? Aber ich befrage ihn noch einmal später dazu, jetzt muss ich Schluss machen. Es bleibt uns noch die Triangulation - bei so einem Niveau kann das meiste von der Triangulationssitzung erwartet werden. Im Hier-und-Jetzt wäre es einfach zuviel gewesen.


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Interview 4 (Frieder Weiß)

Kurz bevor: Bereits seit unserem gemeinsamen Eintritt in den Interviewraum ist er wunderschön ruhig und auf das Gespräch konzentriert. Das beruhigt mich.

0:20 Ein bisschen Vorgeschichte kann nicht schaden. Er war also Jazzmusiker. Seine Musiker-Identität hat er jedoch nicht völlig zurückgelassen. Spielt immerhin keinesfalls den „großen Komponisten“. Er kontrastiert bereits am Anfang sehr gut und zeigt viel narratives Feingefühl. Ich lerne.

1:32 Hier mein Knackpunkt: Die Musiker haben sich nicht körperlich genug auf der Bühne dargestellt. So hat er auch ganz spontan und organisch zum Palindrome gefunden. Irgendwie habe ich das bereits geahnt: ein außergewöhnlich „körperbewusster“ Techniker. Ein wahrer „Renaissancemensch“? Habe ihn jedenfalls nicht tanzen gesehen. Ich begleite ihn auf seinem Selbstreflexionspfad, wir schwingen bald und verstehen einander auf mehreren Ebenen - auch abseits des Verbalen. Das kann leicht das beste Interview werden. Lang, aber keinesfalls langweilig.

2:20 Ansteckende Ruhe, die ich nicht stören will. Die Interdisziplinarität scheint er im wahrsten Sinne zu „leben“. Ein Paradebeispiel.

2:55 Entblößt sich als Avantgardist und gibt es auch gerne zu. Er weiß es ziemlich Bescheid, sich einzuordnen. Soll ich bereits tiefer fragen? Mein Sicherheitsgefühl erscheint mir beinahe suspekt.

3:42 Er lässt mich räsonieren und weiß Bescheid, dass ich weiß, dass er weiß: reziprokes Verstehen durch intuitives Turntaking. Unsere Rhythmen haben wir schon längst auf einander abgestimmt, nun kommt es auf freie Improvisation, aufs positive Generieren von Wissen an. Wissen als gegenseitiges intellektuelles „Er-fahren“. Dabei hatten wir vorher kaum gesprochen. Hat er etwa schon so viele Interviews hinter sich? Erstaunlich.

4:55 Er fällt mir geschickt ins Wort. Offenbar muss ich weiter vordenken. Doch ich genieße es eigentlich und will es sogar hinauszögern. „Partnerschaften pflegen“ finde ich auch wichtig. Entsteht in diesen Tagen [des Workshops] eine solche Partnerschaft?

5:47 Er hat also selber Probleme mit der Balance, schafft es aber trotzdem dynamisch zu bleiben, zu Oszillieren. Ich lasse seine Inspiration besser vollständig aussprechen. Diesmal kommt es eher auf meinen Input an. Nun zu meinen Fragen - weiterhin will ich mir noch Zeit nehmen, solange der Konversationsgenuss unter uns bleiben möge.

7:31 Polarisierung bestätigt er sofort. Auch „erspüren“ klingt schön, vor allem für einen „Systementwickler“. Halt: ist das mein Vorwurf? Paradoxerweise müsste eben ein Systementwickler seine Systeme am tiefsten verstehen - und auch erspüren können. Vor allem solche, die im ästhetischen Kontext benutzt werden sollen. Nein, eigentlich auch und vor allem diejenigen, die von den AlltagsbenutzerInnen gebraucht werden!

8:06 „Erfühlen“ und „zuzuhören“. Zwei Zentralbegriffe, die sich mit meiner eigenen „theoretischen“ Vorarbeit gut decken. Ich rezykliere sie gewiss.

8:45 Also lernte er trotzdem mit dem Frust der Technik zu leben - das können typische Tänzer nicht. Müssen nicht? Wollen nicht? Jedenfalls lernen sie nur selten, aufmerksam und geduldig mit Technik umzugehen. Auch dann ist die Motivation meistens eine ästhetische. Technisches Training ist für die interdisziplinäre Sphäre unbedingt notwendig: jeder Mensch kennt bereits seinen „ungeduldigen“ Körper und weiß ihm mit


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Entscheidungen entgegen zu kommen, zur „technischen Geduld“ muss man sich eher erziehen. Zeitnot als autodestruktive Strategie. Doch woher schöpft dieser Mensch eigentlich seine Ruhe, sein Gleichgewicht? In der heraus gezögerten Zeit der Maschine, die den Körper diszipliniert? Im mathematisch-philosophischen Gleichgewicht zwischen „0“ und „1“?

10:22 Die Tänzer, die mit den Schwächen und Grenzen ihres Körpers leben und kreieren müssen, ähneln eigentlich den Technikern, die mit den Maschinenschwächen auskommen müssen. Ich reagiere intensiv darauf. Er lächelt - und polarisiert entgegenkommend. Klärt dann noch die Pole von selber.

10:40 Wieder das Magie-Thema, wie bei Georg. Das muss ich festhalten. Doch Frieder scheint auch dem künstlerischen Aspekt Recht zu geben. Seinen „künstlerisch-technischen Funktionalismus“ finde ich überzeugend. Alles also im Namen der Entmystifizierung. Was ist aber mit den NutzerInnen, für die solche Enttarnung(sstrategi)en eben am wichtigsten sind?

11:18 Über Trends weiß er offenbar Bescheid, mir fehlt nur noch eine eindeutige Artikulierung. Darüber will ich eigentlich schreiben. Die Präzisierung von Trends ist noch niemanden leicht gefallen. Aber Frieder ist eine ausschlaggebende Quelle. Und artikuliert gute Argumente. Wiederum werden meine Gedanken zu Oppositionen gezwungen: „Kunstpublikum vs. gewöhnliches Publikum“. Und was ist mit dem „Tech-Publikum“? In diesem Dreieck versteckt sich noch „wissenschaftliches Publikum“, das sich mit seinem Objektivitätsanspruch nur selten mitmodellieren lässt. Dafür möchte ich aufkommen.

12:45 Er distanziert sich ein wenig von Robert, der „Magier“ in ihm tritt hervor. Er reflektiert dies und genießt es. Damit müssten wir eigentlich locker zu den „Loops“ kommen. Dazu fabuliere ich noch ein Stück. Er schließt sich sogar an. Enttäuscht ihn manchmal auch die öfters wegen Industrielogik enttäuschende Technologie?

14:10 Die Gefahr der „Entkörperlichung“ durch die „Techno-Magie“ korrespondiert eigentlich mit der radikalsten Medienkritik. Darüber sind wir aber beide bereits hinaus. Jedenfalls muss die explizite „technische Funktion“ erst in den Hintergrund treten, damit die „Techno-Magie“ ihre Wirkung einläsen kann. Darüber will ich noch sprechen - zumindest jedoch schreiben.

15:03 Am liebsten hätte ich hier eingegriffen, doch ich vertraue ihm völlig. Ich lasse ihn führen.

15:35 Das kann ich kaum glauben. Was meint er eigentlich mit „Tracing“? Eine wahrhaft typische technische Argumentation, in die ich aber nicht unbedingt hineinfragen will. Aber gut, ich werde mich überzeugt zeigen. So bin es dann auch. Ich lasse es bloß nicht zu tief in die Technikalien hereinrutschen - da will er aber nicht einmal selber mehr hin.

16:45 Wird er bei „Begriffen“ vielleicht etwas starr? Ich reformuliere besser - und erzähle noch ein wenig selber. Gebe ich zu viele Beispiele? Er muss schon wissen, dass ich in dieser Sache genügend geforscht habe, so kriege ich das Beste aus einem Technikgenie heraus.

18:11 Blockade? Wir sprechen also lieber von verschiedenen Schnittstellen, da fühle ich mich sicher genug. Nun ist er wieder bei „Konzepten“, ähnlich wie Robert: Konzepte scheinen allen ein beliebtes Gesprächsthema zu sein. Sprechen sie so gerne darüber, weil sie sie somit schon „virtuell“ realisieren? In steter Bestrebung des Möglichen verbessert sich auch das Tatsächliche. Kaum einen erwähnenswerten Unterschied empfinden sie zwischen den realisierten und den nicht realisierten Konzepten. Ich widme mich darüber


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hinaus noch den Konzeptionen.

19:30 Eine interessante Gliederung von Schnittstellen. Das ließe sich gut mit den „Standardtaxonomien“ vergleichen. Bei mir selber spüre ich eine intensive Hypothesenbildung bereits im Gange.

20:05 Endlich sind wir an die „Loops“ gelangt: das muss ihn jetzt motivieren. Hier erwarte ich mir gerade von ihm am meisten. Die „closed loops“ wird er sicherlich besprechen wollen.

21:13 Offenbar hat er gerade hier seine „Systemmuse“ gefunden. Den Videoausschnitt will ich mir wirklich noch einmal genauestens anschauen. Laura Warren also. Talent zieht Talent an, hier insbesondere wenn ein technisches System dazwischenspielt? Wie ist es dabei wohl mit Paarbildung?

22:56 Sie haben ihn offenbar auch ziemlich enttäuscht, es ist eben „an der Komplexität gescheitert“. Ich will noch einmal nach dem Visuellen fragen - befürchte aber, dass es zu viel werden könnte. Das Thema scheint ihm jedoch zu gefallen, die Einfachheit und intuitive Transparenz des Systems empfindet er offenbar als Herausforderung, was auch bei mir ähnlich sein könnte. Wahrhaft bin ich von EyeCon fasziniert. Ist es nur eine typische Faszination am neuen Spielzeug? Nach der „hohen Kunst“ des Balancierens brauche ich offenbar nicht einmal zu fragen. „Musik-Video-Körper“ bleibt offenbar weiterhin eine Paraphrase für den multimedialen Computereinsatz in Perfomance- und Installationskunst. Seine eigenen Projekte empfindet er als „organisch“.

24:52 Intelligenter Einsatz von visuellen technischen Medien ist wahrhaft von zentraler Bedeutung. Er hat offenbar auch praktische Lösungen dafür, was ich eben in meinem theoretischen Feld gut interpretieren und evtl. erweitern kann. Unglaublich, was alles in einem relativ schmal abgesteckten Feld noch zu erforschen bleibt. Jetzt ist gute Gelegenheit, um langsam mit dem Schema anzufangen.

26:10 Das ganze scheint ihn zu interessieren, wesentlich mehr als Robert zumindest. War ich bei Robert vielleicht zu technisch? Es ist letztendlich ein Systemschema. Der Systemtechniker wird da schon zur Sprache finden müssen. Noch ein bisschen transparente Rhetorik - dann klappt es ganz gut.

27:06 Er weiß, dass ich auf präzise getrennte Qualitäten aus bin und kommt mir entgegen, bleibt jedoch vorsichtig. Als ob er wüsste, dass seine Aussagen in diesem Bereich das meiste Gewicht abgeben werden. Kodierung versteht er offenbar als Repräsentation und Modulierung als Interpretation. Darüber würde ich ihm am liebsten noch eine Email schicken, um ihn in Ruhe erzählen, verbal reflektiert konstruieren zu lassen. Er scheint davon intrigiert zu sein und präzisiert sich immer häufiger. Hundertprozentig ist er mit dem Schema jedenfalls nicht einverstanden. Ich versuche es am besten noch ein bisschen zu klären. Ich versuche mit Kontrastsetzung und komme mit der „Artverschiedenheit“ gut an.

28:55 Nun genug fabuliert. Fakten sind gefragt.

29:05 „Datenreduktion“ als radikale Abstraktion, als Voraussetzung für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine (bei ihm über MIDI, nun sogar Ethernet). Selbst als poetisches Prinzip finde ich es außerordentlich anwendbar. Er bringt etwas Ordnung in mein System. Für ihn hat das ganze eben „performative Funktion“ - das müsste auch seine „Magie“ sein, die „Magie der Techniker“. Offenbar ist er Anhänger der „Abstraktionisten“: Reduktion als Urstrategie.

30:25 Er distanziert sich von Camurri in der Praxis (totale Enkodierung des Körpers im


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Namen/Rahmen eines Forschungssystems). Selber will er jedoch paradoxerweise die Komplexität und Magie (zurück?) erobern. Er hat ein klare Vorstellung davon und darüber lasse ich ihn lieber frei erzählen. Ich habe nicht erwartet, dass er in dieser Hinsicht so einen Hermetiker abgeben kann, aber selbst darin klingt er tatsächlich gut begründet - mit einem einzigartig postmodernen Beigeschmack. Problemlos passt er als Beispiel in die ganze postmoderne Theoriebildung um die künstlerische Anwendung der Computertechnik ein - zumindest im „poetischen“ Sinne. Wenn die Illustration verloren geht, dann setzt sie den Performer unter Spannung - eben das soll nach seiner Meinung kreativ sein.

31:28 Meine Zufriedenheit über so ein fruchtbares Interview kann ich in diesem Moment nur offen zeigen. Wir schwingen. Er will weiter, scheint es auch zu genießen. Die abgesprochene Zeit ist schon zweimal um!

33:30 Zugegeben, auch EyeCon ist eigentlich ein ziemlich reduktionistisches System (sowohl in seiner Konzeption als auch in seiner Realisierung). Immerhin habe ich jede Menge Gegenargumente. Er reagiert jedoch positiv, spiegelt aber kaum. So will ich am besten noch ein Kommentar an EyeCon abgeben. Dies nur, weil er es vermutlich gerne hören will. Er hat es aber auch verdient.

34:49 Er mag offensichtlich den „gemeinen Benutzer“ - um ihn bemüht er sich auch bewusst. Obwohl ein solcher „Reduktionist und Magier“, pflegt er eine gesunde Balance-Idee: dass die Magie jedem zugänglich sein sollte, dadurch ständig entmystifiziert und remystifiziert ist. Wie eben alle Mythen.

35:36 Entmystifizierung und Egalisierung durch „open source“ gefällt mir gut. Darüber will ich im Fazit auch noch elaborieren, als Ausklang und Vision - er hängt aber auch selber ziemlich daran. Ein fruchtbarer Austausch-Gedanke. Wann bietet er wohl EyeCon als Freeware an? Soll ich ihn das offen fragen?

38:00 Kriege ich damit eigentlich noch seine weitesten Visionen heraus? Die liegen eigentlich alle schon auf der Hand.

38:43 Verstehen sich Palindrome bereits als Stars? Empfinden sie sich als solche trotz eines sublimen kollektiven Selbstbilds? Kaum zu diagnostizieren, doch er könnte sich das ebenfalls gut vorstellen. „Visionen“ und „positive Facetten“ erscheinen alle äußerst zitierbar, decken sich aber fast schon zu auffällig mit meinen Urhypothesen. Frieder als Person und unser gesamtes Gespräch empfinde ich als einen der tiefsten Spiegelphänomene des gesamten Projekts. Noch ein letztes Mal will ich mich dankbar und glücklich zeigen.

40:42 Die Mentalität des „Copyright“ braucht bessere Alternativen - etwa in die Richtung von „Creative Commons“.

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Fußnoten:

<1136>

Siehe die ausführliche Beschreibung der Interviews sowie ihre Einbettung in das methodische Konzept der vorliegenden Arbeit in den Kapiteln 2.2.2.f

<1137>

Wortlaut der Einverständniserklärung: „Hiermit erkläre ich, [Name der interviewten Person], mich einverstanden, dass das mit mir durchgeführte Interview an Dritte für Forschungszwecke und zur Veröffentlichung weitergegeben werden darf.. [Absatzumbruch] Ich bin einverstanden mit der Aufzeichnung des Interviews auf Video, dessen Verschriftlichung und Kodierung des nonverbalen Verhaltens. Das Videomaterial darf im Rahmen des Projekts ganz (ausschließlich zur Auswertung im engsten Kreis wissenschaftlicher MitarbeiterInnen) bzw. ausschnittsweise (bei Kolloquien, Projektvorstellungen und Tagungen) vorgespielt werden. Ich stimme ferner der Veröffentlichung des Materials und seiner Verschriftlichungen ausschnittsweise zu wissenschaftlichen Zwecken in allen Medien zu. [Absatzumbruch] Ich habe die Möglichkeit, zu jeder Zeit aus dem Interview auszusteigen wie auch das Recht, einen Einblick in das aufgenommene Material, dessen Transkripte und die Ergebnisse zu erhalten. Ferner steht mir Peter Purg für Rückfragen das Interview betreffend per E-Mail, Telefon und bei nachweisbarem Bedarf auch persönlich zur Verfügung. [Ort, Datum, beidseitige Unterschrift]“

<1138>

Als Primärquelle für das Transkriptionsverfahren wurden die Richtlinien zur Datendokumentation von Michael Giesecke einbezogen: Giesecke: Kommunikative Sozialforschung. Modul: „Datendokumentation“, insb. Artikel: „Einführung in das Transkribieren“ und “Das Transkriptionssystem“, denen auch ausführliche Anleitungen zu diversen Genauigkeitsstufen und Anwendungsbereichen für Transkriptionen zu entnehmen sind.

<1139>

Zeitangaben in Klammern bezeichnen den Zeitpunkt des „Turns“ und erleichtern vorerst die Navigation durch die Videoaufnahmen in Hinsicht auf die Transkription.

<1140>

Bei diesem Interview hat sich der Interviewte freundlicherweise für deutsche Sprache entschieden, obwohl seine Muttersprache Englisch ist. Deshalb wurden ohne Bedeutungsverluste oder -verschiebungen einige grammatische und syntaktische Besonderheiten kontrastiv an die deutsche Standardsprache möglichst angenähert. Siehe auch Anm. 65.

<1141>

Die Zeitangaben stimmen meistens mit dem Schlagwort, der Formulierung oder der Gestikulationsabfolge überein, auf die sich das Kommentar zentral bezieht. Die weitere Reflexion nimmt in der Regel Bezug auf die unmittelbar darauf folgenden Aussagen und Kommunikationsinhalte. In dieser Hinsicht kann der vorliegende Text wirkungsvoll mit den Interviewtranskripten (Beilage 1.) verglichen werden: ein paralleler Vergleich bietet sich in der elektronischen Version etwa, indem die beiden Texte in nebeneinander angelegten Fenstern geöffnet werden. Explizite Verweise auf einzelne Thesen(komplexe) des Kapitels 3.2. werden wegen des methodischen Eigenwerts (siehe Kapitel 2.2.3.) der Selbstreflexion vermieden.

 

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