„Gute” Lehrer an berufsbildenden Schulen – Best Practice aus der Schülerperspektive Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt vorgelegt von Hans-Peter Holl Erfurt 2007 Erstes Gutachten: Professor Dr. Manfred Eckert Zweites Gutachten: Professor Dr. Rudolf Husemann Drittes Gutachten: Professor Dr. Karin Aschenbrücker Tag der Disputation: 10.12.2007 Datum der Promotion: 10.12.2007 urn:nbn:de:gbv:547-200800369 - 2 Zusammenfassung Wer ist ein ‚guter’ Lehrer? Mögliche Antworten auf diese Frage sind abhängig von der Perspektive des Befragten. In dieser Arbeit werden die Aussagen von gewerblich-technischen Auszubildenden des dritten Ausbildungsjahres an einer Berufsschule mit Interviewaussagen ihrer Lehrer verknüpft. Die interviewten Lehrer sind durch die Schüler selbst als ‚gute’ Lehrer eingeschätzt worden. Im Ergebnis wird deutlich, dass es den ‚guten’ Lehrer nicht gibt. Aus der Schülerperspektive erlangt ein Lehrer dann Bedeutung, wenn es ihm gelingt für die Wirklichkeit des Schülers relevante Angebote bereitstellen zu können. Schüler im dritten Ausbildungsjahr des dualen Systems orientieren sich in ihrer Einschätzung ‚guter’ Lehrer zunächst daran, ob die Unterrichtssituation Leistungen ermöglicht. Dies steht im engen Zusammenhang mit dem Ziel der Schüler mit Bestehen der Prüfung einen Berufsabschluss zu erreichen. Ein größerer Teil der Schüler sieht im Berufsabschluss die Grundlage für die erfolgreiche Einmündung in den gelernten Beruf und präferiert Lehrer, die fachpraktische Wissensbestände vermitteln. Die übrigen Schüler sehen den Berufsabschluss als Chance zur Neujustierung ihres Lebens und entsprechend präferieren sie Lehrer, die lebenspraktische Wissensbestände vermitteln. Berufsschule Schüler Lehrer Qualität - 3 Abstract Who is a ‘good’ teacher? A possible answer depends on the point of view of the person answering the question. This paper combines the statements from students in the third year of vocational training with self-assessment of their teachers. The teachers interviewed for the paper were named as ‘good’ teachers form the students. The main result of the paper is that there will be no single ‘ideal-type’ of a ‘good’ teacher. In the students’ view teachers become significants for them when they are able to present relevant information for the needs and interests of their personal life. Students in the third year of vocational training, just before the final examinations, first look for the abilitiy of the lessons to help them learning. This belongs to their main goal – success in the final examination. The majority of the students look forward to work in their new profession. So they prefer teachers who can help them to be good in their job. A minority of students wants to leave their profession and use the exam as a starting position for a change in their life. Therefore they prefer teachers presenting them knowledge helping them to handle their life. vocational training student teacher quality - 4 Vorwort Die vorliegende Arbeit zur Schüler-Lehrer-Interaktion an berufsbildenden Schulen ist als Dissertation an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt entstanden. Das Vorwort bietet mir die angenehme Gelegenheit auf die Entstehungszeit zurückzublicken und mich bei vielen Menschen bedanken zu können, die Vertrauen in mich und den Erfolg der Untersuchung gesetzt haben. Zuvor möchte ich jedoch auch nicht verschweigen, dass ich noch immer mit Unverständnis dem Kultusministerium und den Schulbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber stehe. Dort war ich als verbeamteter Lehrer beschäftigt. Mein Ansinnen auf Beurlaubung ohne Bezüge, um an der Universität Erfurt befristet tätig werden, Lehrer zum ersten Staatsexamen ausbilden und die vorliegende wissenschaftliche Untersuchung erarbeiten zu können, wurde knapp ein Jahr verschleppt und mündlich abschlägig beschieden. So musste ich um meine Entlassung nachsuchen, um wissenschaftlich tätig werden zu können. Abgesehen von meinen persönlichen Nachteilen kann ich auch landespolitisch und bildungspolitisch keinen Vorteil in dieser Haltung erkennen. Sehr viel schöner ist es jedoch an all die angenehmen und guten Momente während der Entstehung der Arbeit zu denken. Hier gilt mein Dank den Schülern und Lehrern einer Thüringer Berufsschule, die mir für meine Fragebögen und Interviews zur Verfügung gestanden haben. Genauer darf ich die Schule leider nicht bezeichnen. Dies musste ich den Thüringer Schulbehörden, die schnell, unkompliziert und interessiert dem Projekt zugestimmt haben, im Sinne des Datenschutzes zusichern. Für die Erfassung der Daten in einer Datenmaske und die Transkription der Interviews darf ich mich bei Madlen Schuchardt und Angela Pechtold bedanken. Dateneingabe und Transkription sind die Zeitfresser und Knochenarbeiten, die die Grundlagen für empirische Aussagen erst möglich machen. Dies wendet den Blick auf den Umstand, dass eine Dissertation keine Ein-Tages-Arbeit ist, sondern vielmehr einen langen Prozess darstellt. Für die kollegiale Prozessbegleitung darf ich mich beim ganzen Team der Professur für Berufspädagogik und der Professur für Erwachsenenbildung an der Universität Erfurt herzlich bedanken. Besonders schön war, dass mit meinen Kollegen Dietmar, Jörg und Matthias auch ein geselliger Kreis entstanden ist, in dem man bei Bier, Rotwein und Steak mit Würzfleisch lange Abende verbringen konnte. Bei meinem Doktorvater Professor Dr. Manfred Eckert darf ich mich für die Annahme und Betreuung der Arbeit herzlich bedanken. Sein Vertrauen und die von ihm großzügig eingeräumten Entfaltungsmöglichkeiten haben - 5 sehr zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Mein Dank gilt auch Professor Dr. Karin Aschenbrücker (Universität Augsburg) und Professor Dr. Rudolf Husemann (Universität Erfurt) für die Übernahme der weiteren Gutachten. Bei ersterer möchte ich mich darüber hinaus auch für die Aufnahme in Ihren Doktorandenkreis und die langjährige Begleitung des Forschungsprojektes bedanken. Es freut mich außerordentlich, an dieser Stelle auch den vielen sehr lieben Menschen im Familien- und Freundeskreis Danke sagen zu können. Allen voran meinen Eltern. Sie alle haben zurückstecken müssen und immer wieder gehört: „Ich muss noch ein bisschen an der Diss. …“. Künftig gibt es das nicht mehr. Besonders häufig hat dies Silke, meine Frau, zu hören bekommen. Gerade sie hat auch alle Höhen und Tiefen miterlebt und stand mir zur Seite. So möchte ich den Umstand, dass eine Dissertation veröffentlicht und gedruckt wird, ergreifen und nutzen, um es Dir, Silke auch schriftlich zu sagen: Silke, ich liebe Dich. Wettenberg, im Juli 2008 Hans-Peter Holl - 6 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis......................................................................................... 7 1 Problemstellung.......................................................................... 14 2 Schulbezogene Lebenswirklichkeiten der Schüler und der Lehrer ...................................................... 27 2.1 Schülerperspektive zu Lehrern und Unterricht ............................ 27 2.1.1 Forschungen zur Schülerperspektive..................................... 27 2.1.2 Schule aus Schülerperspektive............................................... 29 2.1.3 Unterricht aus Schülerperspektive ......................................... 30 2.1.4 Schulische Ziele und Inhalte aus Schülerperspektive............ 32 2.1.5 Schulische Methoden und Medien aus Schülerperspektive .. 32 2.1.6 Lehrer im Blick der Schüler................................................... 33 2.1.6.1 Lehrer in der Schülerperspektive..................................... 33 2.1.6.2 Forschungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive ... 36 2.1.7 Schulklasse und Schülergruppe aus der Perspektive der Schüler ............................................................................. 45 2.1.8 Schüler in der Perspektive der Schülerrolle........................... 45 2.1.9 Schüler in gesellschaftlicher Perspektive .............................. 47 2.2 Lehrer an beruflichen Schulen – Lehrerausbildung und Lehrerselbstverständnis......................................................... 50 2.2.1 Forschungen zum Lehrerhandeln........................................... 50 2.2.2 Berufswahl, Berufspraxis und berufliche Belastungen ......... 53 2.2.3 Lehrerausbildung – Studium und Referendariat.................... 55 2.2.4 Rahmenfaktoren des Unterrichtens........................................ 58 2.2.5 Berufliches Rollenverständnis von Lehrern .......................... 59 2.2.6 Wirkung des Lehrerrollenverständnisses auf die Unterrichtspraxis........................................................ 62 3 Blickwinkel auf die Qualität des Lehrerhandelns................... 64 3.1 Expertenforschung und Lehrerhandeln ........................................ 64 3.1.1 Historische Entwicklung der Expertenforschung .................. 64 3.1.2 Expertenbegriff ...................................................................... 65 3.1.3 Mensch und Gesellschaft als Rahmen der Expertenforschung ........................................................... 67 3.1.4 Forschungsdesign der Expertenstudien ................................. 68 - 7 3.1.5 Wissen als Grundlage der Expertenzuschreibung ................. 71 3.1.6 Kognitive Leistungen als Grundlage der Expertenleistung... 72 3.1.7 Erkenntnisse zur Expertenentwicklung ................................. 74 3.1.8 Methodik der Expertiseentwicklung...................................... 77 3.1.9 Kritik an der Expertenforschung............................................ 80 3.1.10 Bezüge zwischen Expertenstatus, Expertengemeinschaft und Expertenforschung .......................................................... 83 3.2 Kompetenzbegriff und Lehrerhandeln ......................................... 85 3.2.1 Historische Entwicklung des Kompetenzbegriffs ................. 85 3.2.2 Abgrenzung von Kompetenz- und Performanzbegriff .......... 85 3.2.3 Mensch und Gesellschaft als Rahmenfaktoren für Kompetenzentwicklung.................................................... 86 3.2.4 Aspekte der Kompetenzzuschreibung ................................... 87 3.2.5 Kompetenzzuschreibung als kompetente Leistung / Handlung................................................................................ 88 3.2.6 Kompetenzzuschreibung als kompetentes Selbst .................. 88 3.2.7 Individuelle Kompetenzentwicklung..................................... 89 3.2.8 Kompetenzen von berufsbildenden Lehrern.......................... 90 3.2.9 Problembereiche pädagogisch kompetenten Handelns ......... 95 3.2.10 Bezüge zwischen Kompetenzentwicklung, Kompetenzprofilen und kompetentem Handeln in der Lehrerbildung .............................................................. 95 3.3 Professionalisierung und Lehrerhandeln...................................... 98 3.3.1 Profession und Professionsanalyse ........................................ 98 3.3.2 Funktionale Aspekte pädagogischer Professionalität ............ 99 3.3.3 Sonderwissen pädagogischer Professionalität ..................... 102 3.3.4 Erfolgskriterien pädagogischer Professionalität .................. 105 3.3.5 Entwicklung pädagogischer Professionalität....................... 107 3.3.6 Pädagogisch professioneller Klientenbezug ........................ 109 3.3.7 Pädagogische Profession und Gesellschaft.......................... 111 3.3.8 Kritik an selbstverwalteten Professionen............................. 115 3.3.9 Bezüge zwischen Kriterien pädagogischer Professionalität, pädagogischem Sonderwissen und pädagogisch professionellem Handeln ......................... 117 - 8 Konstruktivismus und Lehrerhandeln – Ansatzpunkte für das Forschungsdesign ............................... 119 4.1 Konstruktivistische Theorie ....................................................... 120 4.1.1 Historische Vorläufer........................................................... 120 4.1.2 Erkennen der Welt (Wirklichkeit) ....................................... 120 4.1.3 Menschenbild....................................................................... 121 4.1.4 Gesellschaftsbild .................................................................. 123 4.1.5 Lerngegenstände .................................................................. 125 4.1.6 Erziehungsziel...................................................................... 126 4.1.7 Methodik des Lehrens für selbständiges Denken ................ 126 4.1.8 Lernprozess .......................................................................... 127 4.1.9 Arrangement von Lernsituationen ....................................... 129 4.1.10 Menschen als Teilnehmer von organisierten ‚Lernprozessen’.................................................................... 130 4.1.11 Menschen als Leiter von organisierten ‚Lernprozessen’..... 133 4.1.12 Forderungen an die Lehrerausbildung ................................. 134 4.1.13 Kritik am Konstruktivismus................................................. 135 4.1.14 Forschungsmethodik des Konstruktivismus ........................ 135 4.2 Sozialkonstruktivistische Theorie .............................................. 137 4.2.1 Begriffsbestimmung............................................................. 137 4.2.2 Historische Vorläufer........................................................... 137 4.2.3 Erkenntnis von Welt ............................................................ 138 4.2.4 Menschenbild....................................................................... 139 4.2.5 Gesellschaftsbild .................................................................. 142 4.2.6 Dialektisches Verhältnis von Individuum und Gesellschaft................................................................... 145 4.2.7 Stellung der Professionen .................................................... 146 4.2.8 Erziehungsziel...................................................................... 149 4.2.9 Lerngegenstände .................................................................. 150 4.2.10 Methodik des Lehrens und Lernens..................................... 152 4.2.11 Lernprozess .......................................................................... 153 4.2.12 Menschen als Teilnehmer von organisierten ‚Lernprozessen’.................................................................... 154 4.2.13 Menschen als Leiter von organisierten ‚Lernprozessen’..... 155 4.2.14 Kritik am Sozialen Konstruktivismus.................................. 157 4.2.15 Methodik des Sozialen Konstruktivismus ........................... 158 4.3 Schüler-Lehrer-Interaktion – sozialkonstruktivistische Grundlegung des Forschungsdesigns......................................... 160 - 9 Methodische Konzeption des Forschungsdesigns und Erhebungsverlauf ............................................................. 173 5.1 Methodische Konzeption des Forschungsdesigns...................... 173 5.1.1 Konstruktivistisches Forschen ............................................. 173 5.1.2 Entwicklung der Fragestellung ............................................ 175 5.1.3 Auswahl der Probanden ....................................................... 175 5.1.3.1 Schülerprobanden .......................................................... 175 5.1.3.2 Lehrerprobanden, Ermittlung der Teilnehmer am Lehrerinterview........................................................ 180 5.1.4 Inhaltliche Konzeption der Schüler- und der Lehrerbefragung...................................................... 182 5.1.4.1 Untersuchungsebenen.................................................... 184 5.1.4.2 Verbindung von Untersuchungsebenen und Unterricht................................................................ 184 5.1.4.3 Kontextualisierte Abstimmung der Schüler- und Lehrerbefragung aufeinander ................................. 185 5.1.4.4 Selbst- und Fremdeinschätzung als wirklichkeitskonstituierende Befragungsaspekte.......... 186 5.1.5 Anlage der Erhebung ........................................................... 188 5.1.5.1 Methodische Konzeption der Schüler- und der Lehrerbefragung ............................................... 188 5.1.5.2 Schülerbefragung als unechtes Semantisches Differential..................................................................... 189 5.1.5.3 Auswertung der Schülerbefragung ................................ 195 5.1.5.4 Lehrerbefragung als Leitfadeninterview ....................... 199 5.1.5.5 Auswertung der Lehrerinterviews ................................. 203 5.1.5.6 Zusammenführen von Schülerbefragung und Lehrerinterviews..................................................... 206 5.2 Erhebungsverlauf........................................................................ 210 5.2.1 Fragebogenerhebung bei den Schülern................................ 210 5.2.2 Leitfadeninterview mit den Lehrern .................................... 214 - 10 6 Zwischenergebnis der Schülerbefragung im Hinblick auf die Ermittlung der Lehrerprobanden ............................. 216 6.1 Individuelle Präferenzstruktur auf Schülerebene bei der Lehrerbenennung............................................................ 216 6.2 Mono- und Multipräferenzen auf Klassenebene bei der Lehrerbenennung............................................................ 220 6.3 Präferenzvermutungen aus personen-, funktions- oder fachbezogenen Merkmalen bei der Lehrerbenennung............... 225 7 Ergebnisse der Schülerbefragung........................................... 227 7.1 Darstellungsstruktur der Ergebnisse der Schülerbefragung....... 227 7.2 Ergebnisse der Multipräferenzklassen........................................ 229 7.2.1 Ergebnisermittlung und Bildung zweier Lehrergruppen ..... 229 7.2.2 Ergebnisse der Makro-Perspektive – Objektivierung.......... 231 7.2.3 Ergebnisse der Meso-Perspektive – Internalisierung .......... 235 7.2.4 Ergebnisse der Mikro-Perspektive – Externalisierung ........ 240 7.2.5 Ergebnisübersicht der Multipräferenzklassen...................... 246 7.3 Übertrag der Ergebnisse der Multipräferenzklassen auf Monopräferenzklassen ......................................................... 250 7.3.1 Übertrag der ‚leistungsfördernden Rahmenbedingungen’ auf die Monopräferenzklassen ............................................. 250 7.3.2 Trennschärfe der ‚thematischen Rahmenbedingungen’ für Monopräferenzklassen ......................................................... 252 7.3.3 Übertrag der ‚thematischen Rahmenbedingungen’ auf die Monopräferenzklassen ............................................. 254 7.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der Schülerbefragung.......... 258 8 Ergebnisse der Lehrerbefragung............................................ 261 8.1 Darstellungsstruktur der Ergebnisse der Lehrerbefragung ........ 261 8.2 Leistungsfördernde Rahmenbedingungen aus der Lehrerperspektive .......................................................... 263 8.2.1 Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer .................... 263 - 11 8.2.2 Leistung und Unterrichtsinhalte........................................... 271 8.2.3 Leistung und Lernschwierigkeiten....................................... 275 8.2.4 Leistung und Notengebung.................................................. 287 8.3 Thematische Rahmenbedingungen aus der Lehrerperspektive.. 297 8.3.1 Ausgangssituation auf der Basis der Schülerperspektive .... 297 8.3.2 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer................. 298 8.3.2.1 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer in den Multipräferenzklassen......................................... 298 8.3.2.2 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer in den Monopräferenzklassen........................................ 306 8.3.2.2.1 Fallskizze: Sozialthematisch orientierter Lehrer Eichholz...................................................................... 306 8.3.2.2.2 Fallskizze: Sozialthematisch orientierter Lehrer Henkel ........................................................................ 314 8.3.2.2.3 Fazit der Fallskizzen Eichholz und Henkel................ 319 8.3.3 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer ................... 321 8.3.3.1 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer in den Multipräferenzklassen......................................... 321 8.3.3.1.1 Aspekte fachthematischer Orientierung von Lehrern in Multipräferenzklassen .............................. 321 8.3.3.1.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Lotz................................................................. 324 8.3.3.2 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer in den Monopräferenzklassen........................................ 328 8.3.3.2.1 Aspekte fachthematischer Orientierung von Lehrern in Monopräferenzklassen ...................... 328 8.3.3.2.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Arnold............................................................. 334 8.3.3.3 Vergleich der Perspektive von Lehrern mit gleichzeitig sozial- und fachthematischer Orientierung................................................................... 338 8.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der Lehrerbefragung ........... 343 ‚Gute’ Schüler-Lehrer-Interaktion an berufsbildenden Schulen .................................................... 351 9.1 Ergebnisse der Schüler- und der Lehrerbefragung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ....................................... 351 - 12 9.2 Kritik und Reichweite der Studie ............................................... 366 9.3 Reflexion des Studienergebnisses in unterschiedlichen Theoriepositionen....................................................................... 373 Kurzzusammenfassung............................................................ 379 Literaturverzeichnis.................................................................................. 385 Anhang 1: Schülerfragebogen.................................................................. 411 Anhang 2: Leitfaden für die Lehrerinterviews......................................... 417 - 13 1 Problemstellung Unterrichtsqualität ist ein komplexes Thema, das sich durch Merkmals- sowie Kriterienvielfalt auszeichnet und insbesondere auch von der Perspektive des Beobachters abhängig ist. Häufig wird von den Beobachtern Unterrichtsqualität als Leistungspotential im Unterricht im Sinne einer Maximierung von Wissen und Können interpretiert. Ein Teilaspekt der Unterrichtsqualität ist die Interaktion von Schülern und Lehrern, die dann im Sinne des Leistungsleitbilds als Maximierung der Lern- und Lehrleistung aufgefasst werden kann. In der gesellschaftlichen Diskussion wird das Leistungsparadigma klar artikuliert, mit PISA und TIMS gemessen, um anschließend auf dem Wege des Top-down in Kompetenzmodelle für Lehrer, Schulentwicklungsmodelle und Modelle zur Evaluation von Schule umgesetzt zu werden. Doch wie bestimmen Schüler Unterrichtsqualität? Hier muss zunächst die zugegebenermaßen scheinbar sarkastische Frage gestellt werden: ‚Ist das überhaupt relevant?’, um dann mögliche Qualitätsparameter diskutieren zu können. Impulsiv möchte man die Frage zunächst mit ‚Ja’ beantworten, um dann zu stocken, an kleine Kinder und deren Horizont zu denken und zu beginnen, das ‚Ja’ zu relativieren. Wo hören Kinder auf unmündig zu sein? Staatlicherseits ist die ‚Mündigkeit der Volljährigkeit’ mit dem 18. Lebensjahr erreicht. Allerdings ist auch dies nur scheinbar eine scharfe Grenzziehung. So kann z.B. bei Vorliegen bestimmter Bedingungen strafrechtlich auch darüber hinaus weiter das Jugendstrafrecht zugunsten der jungen Menschen angewandt werden. Pädagogisch betrachtet, intendiert jede Unterrichtssituation einen Entwicklungsprozess, der per definitionem entwicklungsbedürftigen Menschen einen Weg eröffnet, der sie in erweiterte Handlungspotentiale im Sinne einer zunehmenden Mündigkeit führen soll. Aufgrund dieses konstitutiven Merkmals pädagogischer Situationen ist die Position des Lernenden gegenüber dem Pädagogen immer eine inferiore Position. Diese bleibt auch dann bestehen, wenn mit dem pädagogischen Prozess nicht länger eine Erziehungsabsicht verbunden ist. Für Erziehungsprozesse kann dem Educandus eine zunehmende Reife attestiert werden, die bei Erreichen eines Zielwertes zum Ende des Erziehungsprozesses führt. Bildungsprozesse hingegen, die auf die Erlangung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten abzielen, gewinnen ihre Zielkriterien und damit im übertragenen Sinne ihre Mündigkeitskriterien aus dem Sachzusammenhang, so dass mit jedem neuerlichen Eintritt in einen Bildungsprozess für den Lernenden jeweils in diesem speziellen Sachzusammenhang eine erneute Inferiorisierung einhergehen kann. - 14 In dem geschilderten Zusammenhang können drei Argumentationsstränge für die Irrelevanz schülerseitiger Einschätzungen von Erziehungs- und Bildungsprozessen konkretisiert werden. Dies ist zum einen die Argumentation, dass Schüler nicht die Fähigkeit besitzen würden, sich qualifiziert zum Unterrichtsverlauf äußern zu können, da sie hierfür nicht den notwendigen Überblick oder die notwendige Reife besitzen würden. Eine zweite Argumentationslinie stützt sich auf das Primat der Lehrpläne, d.h. die Unfähigkeit eines Novizen im Vergleich zu einem Experten, ein Sachgebiet überblicken zu können. Eine dritte Argumentationsfigur greift die asymmetrische Interaktionssituation zwischen Schüler und Lehrer auf und attestiert darauf aufbauend den Schüleräußerungen strategische Absichten, die z.B. im Einschmeicheln bei Lehrern bestehen könnten. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 38-39) In der Replik muss zunächst grundsätzlich auf die Professionalisierungsdiskussion der Pädagogik verwiesen werden. Professionen können u.a. als Organe zur Durchsetzung von kollektiven Eigeninteressen interpretiert werden, so dass die Interaktion mit den Klienten der Profession eine interessengeladene politische Dimension erlangen kann. (vgl. Hitzler, R. (1994) S. 25) Billigt die Profession nun den Klientenaussagen keinerlei Relevanz zu, so öffnet sie der Kritik einen weiten Raum, um die professionstypischen Wissensbestände, Herangehens- und Handlungsweisen als am Eigeninteresse der Profession orientierte Theorien und Praktiken diskreditieren zu können. In der Einzelreplik zu den drei Argumentationsfiguren ist diesen sicherlich ein gewisses Gewicht nicht abzusprechen. Doch was spricht für die Relevanz von Schüleraussagen? Hier ist zunächst das Prozessargument, d.h. die Unfähigkeit der Schüler, sich bedeutsam zum Unterrichtsverlauf zu äußern, zu betrachten. Aus lehr-lerntheoretischer Perspektive ist Unterricht für die Schüler eine Lernsituation. Die Schüler lernen, und der Lernprozess ist ein Prozess der Auseinandersetzung mit Wirklichkeit, den die Schüler zu leisten haben. Ohne die Lernleistung der Schüler wäre der pädagogische Prozess ad absurdum geführt, so dass die Lernleistung der Schüler ein konstitutives Moment des pädagogischen Prozesses ist. Über die Beteiligungsnotwendigkeit und das damit einhergehende Verweigerungsmandat der Schüler1, ergibt sich eine konstitutive prozessuale Relevanz der Schüler- Die Literatur zur Schülermotivation ist äußerst zahlreich. Exemplarisch sei hier verwiesen auf die Untersuchung von Lewalter, D.; Schreyer, I. (2000), die die Entwicklung themen- und tätigkeitsspezifischer Abneigung in der Erstausbildung aus der Perspektive der Jugendlichen thematisiert, und Wild, K. (2000), der die Auswirkungen betrieblicher Lernumgebungen auf die Motivation der Auszubildenden - 15 äußerungen. Zum gleichen Ergebnis gelangt man aus der Lehrerperspektive. In schulischen Lernsituationen gestaltet der Lehrer einen Lernprozess für eine Gruppe von Schülern. Dieser gründet und berücksichtigt idealerweise die anthropogenen und sozial-kulturellen Voraussetzungen aller Schüler und stützt sich in seinem Verlauf auf deren Lernfortschritte, so dass der Pädagoge zur Initiierung des Prozesses auf die Mitwirkung der Schüler verwiesen und zur Steuerung des Prozesses auf deren Rückmeldungen angewiesen ist. Letztlich gipfelt der pädagogische Prozess im Ziel der Mündigkeit des Schülerklienten. Die Mündigkeit im pädagogischen Sinne2 erlangt der Schülerklient jedoch erst, wenn er auch in der Lage ist, mündig über seinen persönlichen pädagogischen Prozess reflektieren zu können. Erst dadurch gelangt der pädagogische Klient in die Lage, Selbstlernprozesse erfolgreich initiieren und gestalten zu können.3 Die zweite Argumentationsfigur, die Unfähigkeit eines Novizen im Vergleich zu einem Experten, ein Sachgebiet überblicken zu können, stützt sich auf eine Kernproblematik jeder Lernsituation, d.h. die begründete Konkretisierung von Lerninhalten.4 Das Argument ist aufgrund der Vielzahl didaktischer Positionen schwer zu greifen und zu entkräften. Umgekehrt kann jedoch schon die Vielzahl der perspektivischen Positionen als Indiz für die Mehrdimensionalität von Lerninhalten gedeutet werden, die erst vor dem Hintergrund entsprechender didaktischer Theorien ihren Gehalt für die Lernenden entfalten können. Exemplarisch sei hier auf die Didaktische Analyse von Klafki verwiesen. Mit drei Kernfragen, der Frage der Gegenwartsbedeutung der Inhalte für die Schüler, der Frage der Zukunftsbedeutung der Inhalte für die Schüler und der Frage der Exemplarität der Inhalte für die Schüler, arbeitet Klafki den Vermittlungsauftrag der Inhalte zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und Schülerwirklichkeit heraus. Lehrerseitig und aus gesellschaftlicher Perspektive können diese Fragen nur vor dem Hintergrund der eigenen Wirklichkeit und der gesell untersucht. Die Motivation von Berufsschülern außerhalb des Dualen Systems beschreibt Doppler, D. u.a. (2005). Zur Leistungsmotivation von Schülern: Menzel, J. (1996) Ein allgemeiner Überblick zum Verhältnis von Jugend und Schule, in: Helsper, W. (1992). 2 Der Begriff der Mündigkeit wird hier im Sinne des Bildungsideals, das auf das Vermögen zur Selbstbestimmung der Person zielt, verwendet. Wesentlich ist dabei, dass Mündigkeit genuiner Selbstzweck der Pädagogik ist (vgl. Blankertz, H. (1982) S. 306-307) und ihr nicht extern zugeordnet bzw. vorenthalten werden kann. 3 Darauf zielt u.a. die pädagogische Methodik der vollständigen Handlung. 4 Hier wird der Didaktikbegriff in einer sehr engen Auslegung verwendet. (vgl. Gudjons, H. (1994) S. 213, Jank, W.; Meyer, H. (2002) S.14) - 16 schaftlichen Wirklichkeit beantwortet werden und erhalten dadurch einen Zielcharakter. Schülerseitig können die gleichen Fragen jedoch individuell vor dem Hintergrund der eigenen Lebenswirklichkeit reflektiert und in ihrer subjektiven Relevanz gedeutet werden. Erst auf dem Wege eines Soll- Ist-Vergleichs zwischen Schülerperspektive und gesellschaftlicher Perspektive, d.h. auf dem Wege einer Bedingungsanalyse, lässt sich das konkrete Potential der Inhalte ermessen.5 So überblickt der Novize zwar das Sachgebiet nicht, er befindet sich jedoch sehr wohl in Kenntnis einer Eigenperspektive auf seine Lebenswelt, die für ihn die Ausgangsituation und den Reflexionshintergrund des Lernprozesses bildet. Es wäre daher pädagogisch fahrlässig, allein auf gesellschaftliche Zielvorstellungen gestützt und unter Ignoranz der Klientenposition die Vermittlungsformen und die inhaltlichen Schwerpunkte eines Lernprozesses bestimmen zu wollen.6 Die dritte Argumentationsfigur, in der den Schülern in ihren Äußerungen zum Unterricht strategische Absichten unterstellt werden, entpuppt sich für einen forschenden Zugriff auf die Unterrichtssituation als technisches Argument. Die Problematik kann durch geeignete Forschungsdesigns und -methodiken ausgeschlossen werden, die sicherstellen, dass strategische Antworten für die Schüler keinen Vorteil in der Unterrichtssituation stiften können. In einer Variante der Argumentation wird den Schülern eine unbewusste Täuschung ihrer Wahrnehmung unterstellt, die dann zu verfälschten Aussagen führen könnte. In diesem Zusammenhang kann dann auf den ‚Dr. Fox’-Effekt verwiesen werden, der die Argumentation scheinbar stützt. Der ‚Dr. Fox’-Effekt beschreibt, dass ein charismatischer Lehrer die Schüler blendet und sie sich in der Folge in ihrer Einschätzung des Lernerfolgs überbewerten. Allerdings konnte der Effekt nur als kurzzeitiger Effekt erfasst werden. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 264) Hier nun, im Hinblick auf die Gestaltung von Forschungsdesigns, wendet sich der Effekt gegen die Argumentationsfigur, die er scheinbar stützt. Zum einen kann das Forschungsdesign, das Schüleräußerungen erforschen soll, so angelegt werden, dass der kurzfristige Effekt nicht zur Geltung kommen kann. Zum anderen ist auch der Forscher selbst nicht frei von Blendungseffekten, so dass jedes Forschungsdesign, das lediglich kurze Zeiträume, z.B. einzelne Unterrichtsstunden, beobachtet, Gefahr läuft, einem ‚Dr. Fox’-Effekt zu 5 Dies gilt zumindest für die Verständigung über die Gegenwartsbedeutung und die Exemplarität der Inhalte. 6 Daher beziehen die gängigen didaktischen Modelle, wie das Perspektivschema (vgl. Klafki, W. (1996)) und das Berliner Modell (vgl. Heimann, P. (1962)), die Schülerposition in den Planungshorizont explizit mit ein. - 17 unterliegen. Dadurch zeigt sich auch für diese Variante der Argumentationsfigur ihr technischer forschungsmethodischer Charakter, so dass sie nicht in der Lage ist, die grundsätzliche Bedeutsamkeit von Schüleraussagen zur Unterrichtsqualität in Frage zu stellen. Im Gegenteil, es kommt aufgrund der Blendungsgefahr der beobachtenden Forscher den zeitraumbezogenen Aussagen zur Unterrichtsqualität von langjährig erfahrenen Teilnehmern, und das sind die Schüler mit Sicherheit, größeres Gewicht als kurzfristigen Beobachtungen zu. Nachdem nunmehr die Bedeutung der Schülerperspektive als eine relevante Perspektive begründet werden konnte, ist zu diskutieren, ob die Schüler- Lehrer-Interaktion ein geeignetes Merkmal ist, aus dem Schlussfolgerungen zur Unterrichtsqualität gezogen werden können. Unter dem Begriff der Qualität wird zunächst eine Aussage über die Beschaffenheit oder Güte einer Sache, Person oder Situation verstanden. Jedoch kann die Beschaffenheit und Güte objektiven und subjektiven Charakter tragen. Objektive Güte lässt sich als messbare Eigenschaft definieren, die sich im Resultat der Messgröße für alle die Eigenschaft messenden Personen in gleichem Maße erweist. Subjektive Güte hingegen bestimmt den Eignungswert eines Objektes im Hinblick auf die subjektive Lebenswirklichkeit der messenden Person, so dass sich die subjektive Güte eines Objektes je nach messender Person als unterschiedlich erweisen kann.7 Gleiches gilt für den Unterricht. Er kann in seinen materiellen Voraussetzungen im Sinne von Unterrichtsraum und -ausstattung, wie auch in seinen immateriellen Vorgaben im Sinne der Lehrpläne bezogen auf ein Fach, zunächst objektiv gleiche Voraussetzungen für Unterricht schaffen. Erste subjektive Bedeutungszuschreibungen erfolgen hier durch den Lehrer bei der Unterrichtsvorbereitung. Dort gestaltet er z.B. nach dem Berliner Modell (vgl. Heimann, P. (1962) S. 416, 422-425) die Situation und die Inhalte für die Exemplarisch sei hier auf das Beispiel eines Buches verwiesen. Das Buch selbst als materielles Objekt und auch der Inhalt des Buches als immaterielles Gut sind für jeden Nutzer des Buches objektiv gleich. Allerdings kann sich das Buch subjektiv für die Nutzer unterscheiden. So kann es für den einen materiell lediglich ein gewöhnliches Buch sein wie viele andere auch, für den anderen jedoch ein Erbstück, das ihn an einen lieben Menschen erinnert. Auch als immaterielles Gut können sich je nach Nutzer Unterschiede ergeben. Für den einen birgt der Inhalt lediglich eine nichtssagende Geschichte, für den anderen jedoch eröffnet sie eine neue unbekannte Welt, die ihm neue Einsichten vermittelt. Entsprechend dem subjektiven Eignungswert des Buches wird der Nutzer auch handelnd mit dem Buch und seinem Inhalt umgehen. Das materielle Erinnerungsstück wird sorgsam verwahrt, das gewöhnliche Buch hingegen genutzt wie jedes andere Buch auch. Eine nichtssagende Geschichte wird vergessen, eine Welt im Buch kann ein Leben verändern. - 18 Schüler subjektiv bedeutsam, allerdings vor der Folie seiner eigenen subjektiven Wirklichkeitsperspektive. In der Interaktionssituation Unterricht selbst erleben die Schüler jeweils einzeln und subjektiv verschieden die Situation und können daraus ihre persönliche subjektive Einschätzung entwickeln. Hieraus erwachsen nun auch durch jeden Schüler subjektiv bedeutsame Handlungen, die sich auf die Situation beziehen. Schüler und Lehrer können dann aus der Interaktion Konsequenzen ziehen, subjektive Perspektiven überprüfen und verändern, was ein zentrales Moment von Lernprozessen ist, und daraus die Interaktionssituation weiter entwickeln. Genau diese Möglichkeit zur Entwicklung, das Vermögen zu lebendiger aktiver, reaktiver und kreativer Gestaltung, ist der Grund, weshalb die Interaktionssituation zwischen Schüler und Lehrer das zentrale Moment subjektiver Qualität ist.8 Hier zeigen sich nun auch die subjektiven Qualitätsmomente den objektiven überlegen. Sie sind überlegen, da sie in der jeweils subjektiven Wirklichkeit der Schüler und des Lehrers verwurzelt und für diese handlungsleitend sind. Als subjektive Momente sind sie dem Zugriff der Menschen unterworfen, so dass diese in der Lage sind, Veränderungen der subjektiven Positionen und damit der Lebenswirklichkeiten vornehmen zu können, ohne dass die objektiven Rahmendaten sich geändert hätten.9 Für die Interaktionssituation Unterricht bedeutet dies, dass Schüler und Lehrer gemeinsam in der Lage sind, eine intersubjektive Unterrichtswirklichkeit zu entwickeln, die für Schüler und Lehrer gleichermaßen fruchtbar sein kann. In diesem Sinne stellt sich hier die Frage nach dem ‚guten’ Lehrer als Frage, die aus der subjektiven Schülerperspektive zu beantworten ist. Das Attribut ‚gut’ ist als Produkt der Interaktionssituation Unterricht eine subjektive Qualitätszuschreibung, die auf den Handlungen der Beteiligten in der Interaktionssituation beruht. Diese schöpfen sich aus den jeweils subjektiven Lebenswirklichkeiten der Schüler und des Lehrers. Daher kann das Qualitätsattribut nicht ohne Blick auf die subjektiven Lebenswirklichkeiten und die dort relevanten Qualitätsmerkmale beschrieben werden. 8 Für den schulischen Unterricht ist die Face-to-Face-Situation ein zentrales gestaltendes Moment, das ihn von anderen Lernformen wie Buchlernen oder Lernen aus Lehrfilmen klar abgrenzt. Gerade die situative Gestaltungsmacht und -möglichkeit in der Face-to-Face-Situation ermöglicht die Flexibilität, Aktualität und Adressatenbezogenheit schulischer Unterrichtsformen. 9 Ob dem Inhalt eines Buchs subjektiv Bedeutung zuwächst, erkennt das lesende Subjekt. Verändert das Subjekt seine Perspektive, kann auch aus dem objektiv gleichen Inhalt des Buches für das Subjekt eine andere Bedeutung erwachsen. - 19 Dieser Grundidee folgt die nachfolgend dargestellte Studie. Im Kapitel 2 werden die schulbezogenen Lebenswirklichkeiten der Schüler und der Lehrer dargestellt. Schülerseitig wird zum einen die Schule als Institution und auch ihre gesellschaftliche Einbindung mit Fokus auf die Lebenswirklichkeit der Schüler thematisiert. Zum anderen wird die subjektiv wahrgenommene Unterrichtswirklichkeit der Schüler auf die didaktischen Entscheidungsmomente Ziele, Inhalte, Methoden und Medien bezogen und dementsprechend dargestellt. Ein dritter Aspekt befasst sich mit Interaktionsbeziehungen, d.h. mit der Interaktion der Schüler in der Schulklasse bzw. Schülergruppe und der Interaktion zwischen Schülern und Lehrer. Lehrerseitig wird deren schulbezogene Lebenswirklichkeit zunächst mit einem beruflichen Fokus erschlossen, der die Berufswahl, -ausbildung und -praxis betrachtet. Daran anschließend wird der Unterricht selbst und das berufliche Rollenverständnis der Lehrer im Sinne interaktionsleitender Überzeugungen thematisiert. Im Anschluss an die Darstellung der subjektiven schulbezogenen Lebenswirklichkeiten von Schülern und Lehrern wendet sich die Studie der Qualitätsproblematik zu. Qualität ist, wie weiter oben schon dargestellt, eine Frage der Perspektive. Neben der Unterscheidung in subjektive und objektive Qualitätsmerkmale können auch durch die Präferenz bzw. Fokussierung auf bestimmte Merkmale Qualitätscharakteristika erzeugt werden. Auf der Basis der Präferenzentscheidungen erfolgt dann die Qualitätsentwicklung im Sinne der Begünstigung und Entfaltung entsprechender Charakteristika auf dem Wege des Unterrichts und der Ausbildung. Gleichzeitig werden anhand der Charakteristika wesentliche Merkmale der Qualitätskontrolle formuliert. So bilden die eingangs postulierten Charakteristika Zielbedingungen, an denen sich die realen Entwicklungen messen lassen müssen. Über die formulierten Charakteristika wird das Attribut ‚gut’ zu einer handhabbaren Größenordnung, aus der Messgrößen und -skalen entwickelt werden können. Diese erlauben in ihrer Anwendung auf einzelne Probanden Aussagen über deren Zielerreichung bezüglich der postulierten Zielcharakteristika. Damit gelingt es Qualitätscharakteristika, die zunächst nur vor dem Hintergrund einer Präferenz oder Theorie formuliert wurden, handlungsleitend für die gesellschaftliche Wirklichkeit zu werden. Um nun die von den Schülern und Lehrern erzeugte schulische Wirklichkeit im Hinblick auf ‚gute’ Lehrer in ihren Ausgangs- und Zielbedingungen an gesellschaftliche Qualitätscharakteristika rückbinden und reflektieren zu - 20 können, werden drei relevante wissenschaftliche Theorien10, die geeignet sind Aussagen zu ‚guten’ Lehrern zu formulieren, im Kapitel 3 skizziert. Der erste Teil des Kapitels widmet sich der Expertenforschung. Sie befasst sich zum einen mit Spitzenleistungen in einem Fach, zum anderen aber auch mit der Abgrenzung und Entwicklung des Leistungsspektrums von Laien, Novizen und Experten. In ihrem Ursprung handelt es sich um einen Forschungszweig der Psychologie, der im Ergebnis Spitzenleistungen auf besondere Wissensstrukturen und Sonderwissensbestände der Experten zurückführt. Für die vorliegende Studie bedeutsam sind zum einen die Studien, die die Leistung von Lehrern betrachten. Für den deutschsprachigen Raum sei hier auf die Arbeit von Bromme (1992) verwiesen. Zum anderen ist die Nähe zur psychologischen Lehr-Lernforschung von Interesse, die Aussagen zur Wissensvermittlung im Unterricht macht. Der zweite Teil des dritten Kapitels wendet sich dem Kompetenzbegriff zu. In der Nachfolge des Qualifikationsbegriffs, der als Anforderungsbegriff aus Situationen die notwendigen Potentiale zu deren Bewältigung herleitet, gewinnt der Kompetenzbegriff seinen Zugriff auf die Situation aus dem Möglichkeitspotential der Person. Dadurch wird die Person perspektivisch zum Subjekt und ihre Entscheidungen und Handlungen bestimmen die Entwicklung der Situation. Für die vorliegende Studie bedeutet dies, dass auf der Basis der Kompetenzforschungen zum Lehrerhandeln gesellschaftlich attribuierte Lehrerkompetenzen ‚guten’ Lehrern zugeordnet werden können, die als gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Lehrer herangetragen werden. Auf dem Wege der Selbstzuschreibung schließlich erlangen sie situatives Handlungspotential, indem sie als bedeutsame Aspekte der Eigenperspektive bei den Lehrern deren persönliche Handlungsspielräume und -absichten kanalisieren. Im dritten Teil des Kapitels schließlich werden Professionalisierungstendenzen der Pädagogik diskutiert. Als Professionen werden Berufsgruppen bezeichnet, denen es gelungen ist, eine herausgehobene, gesellschaftlich sehr bedeutsame Position einzunehmen und die sich in ihrer beruflichen Entwicklung ein hohes Maß an Abgrenzung und Eigenständigkeit sichern konnten, so dass eine geringe gesellschaftliche Einflussnahme auf sie erfolgt. Die Berufsgruppe der Pädagogik selbst bemüht sich um eine entsprechende Stellung, ohne dass der Entwicklungsprozess zur Profession bisher abgeschlossen ist.11 Für die vor 10 Theorien als gedankliche und ordnende Zugriffe auf Wirklichkeit beschreiben, syste matisieren und erklären Phänomene, so dass eine Reflexion der Alltagspraxis, die auf Erfahrungswissen ruht, das aus Handlungen erwächst, möglich wird. 11 Zur Professionalisierungsdiskussion im Lehrerberuf: Helsper, W. u.a. (2000), Combe, A.; Helsper, W. (1997a), Dewe, B. u.a. (1992), Apel, H. u.a. (1999); zu - 21 liegende Studie ist jedoch nicht das Ergebnis, sondern der Diskussionsprozess pädagogischer Professionalisierung von Interesse. Er erlaubt wichtige Einblicke in das Selbstverständnis der pädagogischen Berufsgruppe. Das Selbstverständnis ist eine wichtige richtungweisende Grundlage für die – von der pädagogischen Berufsgruppe in eigener Verantwortung durchgeführte – Lehrerausbildung. Nachdem Kapitel 3 unterschiedliche Aspekte zur Generierung pädagogisch relevanter Wissensbestände diskutiert hat, wendet sich Kapitel 4 dem Aspekt der Interaktion aus konstruktivistischer Perspektive zu. Im ersten Teil des Kapitels wird zunächst die Theorieposition des Konstruktivismus, der die scheinbar unverrückbar existierende Wirklichkeit als Konstruktionsleistung des Subjekts beschreibt, vorgestellt und in ihren Konsequenzen für die Pädagogik erläutert. Dies ist notwendig, um diese theoretische Position von den Darstellungen in Kapitel 3 klar abgrenzen zu können. Im Anschluss daran wird die Position des Sozialen Konstruktivismus vorgestellt, um den Aspekt der sozialen Interaktion in das Zentrum der Betrachtung rücken zu können. Hier gelingt es dem Sozialen Konstruktivismus, die Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft über einen dialektischen Dreischritt der Externalisierung, Internalisierung und Objektivation als Grundlage individueller und gesellschaftlicher Entwicklung darstellen zu können. Über die Interdependenz von Gesellschaft und Individuum, vor dem Hintergrund subjektiver Wirklichkeitskonstruktion und daraus entwickelter gesellschaftlicher Wirklichkeit, gelingt es der sozialkonstruktivistischen Theorie, gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeitsperspektiven in der Interaktionssituation gleichberechtigt zu verbinden. Dies ermöglicht den Akteuren, gemeinsam eine Interaktionssituation zu konstruieren oder auszuhandeln, in der ihre jeweils subjektiven Konstruktionsleistungen der Wirklichkeit aufgehoben sind. Mit dem Begriff des ‚Aufgehobenseins’ ist zum einen der Begriffsaspekt der Teilhabe gemeint, auf die sich das Individuum in der Interaktionssituation einlässt. Zum anderen ist auch der Begriffsaspekt der Überwindung gemeint, da in der gemeinsamen Konstruktionsleistung für das Subjekt eine Entwicklungschance intendiert ist, um seine eigene Wirklichkeitskonstruktion überprüfen und weiterentwickeln zu können. Ebenso ist der Begriffsaspekt des Bewahrens intendiert, da eine gemeinsame Konstruktionsleistung Teil gesellschaftlicher Wirklichkeit ist und diese in ihrer Existenz begründet bzw. bestätigt. In diesem Sinne ermöglicht der sozialkonstruk- Lehrern an berufsbildenden Schulen: Backes-Hasse, A. (2001); zum Zusammenwirken von wirtschaftlicher Entwicklung und pädagogischen Aufgabenfelden: Gonon, P. (2003). - 22 tivistische Zugriff auf die Interaktionssituation, dass subjektive Wirklichkeitskonstruktionen der Schüler und Lehrer bezüglich des Qualitätsattributs ‚gut’ für die Handlungen des Lehrers in der Interaktionssituation beschrieben werden können, ohne gesellschaftliche Positionen ausschließen zu müssen. Vielmehr bleiben die gesellschaftlichen Positionen in den individuellen Konstruktionen berücksichtigt und werden dort aufgehoben12. In diesem Sinne erläutert der dritte Teil des Kapitels die sozialkonstruktivistische Grundlegung des Forschungsdesigns der vorliegenden Studie. In Kapitel 5 wird das Forschungsdesign als zweistufiges Verfahren konkretisiert. Die Interaktion zwischen Schülern und von diesen benannten ‚guten’ Lehrern wird mit Hilfe einer Kombination quantitativer und qualitativer Methoden untersucht. Dabei wird die schulbezogene Lebenswirklichkeit der Schüler mittels eines quantitativ orientierten Fragebogens erhoben, während die Lehrerbefragung mittels Leitfadeninterview erfolgt. Beide Erhebungsteile sind in der Anlage und in der Auswertung aufeinander bezogen, so dass ein Gesamtergebnis ermittelt werden kann. Mit dem Forschungsdesign wird klar eine positive Auswahl von Lehrerprobanden intendiert, um vor dem Hintergrund realer Möglichkeiten das darin erreichbare positive Potential der Interaktion ermitteln zu können. Im zweiten Teil des Kapitels wird die Durchführung der Erhebung dargestellt. Das relativ kurze Kapitel 6 stellt ein erstes Zwischenergebnis vor, das sich aus einer ersten Auswertung der Schülerbefragung ergibt. Ziel der Erstauswertung ist die Ermittlung der von den Schülern am häufigsten benannten Lehrer, die dann gebeten werden, als Lehrerprobanden an der Lehrerbefragung teilzunehmen. Allerdings werden in den Häufigkeiten der Lehrernennungen zwei Typen von Schulklassen sichtbar, die für die weitere Auswertung richtungweisend sind. Für einen Typ, der als Monopräferenzklasse apostrophiert wird, ist charakteristisch, dass die Schüler sich mehrheitlich für einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer entscheiden. Für den anderen Typ, der als Multipräferenzklasse bezeichnet wird, ist kennzeichnend, dass eine breite, recht gleichmäßige Streuung der Schülervoten 12 Der Begriff ‚aufgehoben’ ist hier durchaus mehrdeutig zu verstehen. Zum einen kann der Begriff im Sinne des Verwahrens verstanden werden, so dass gesellschaftliche Positionen als bekannt gelten können. Zum anderen kann der Begriff auch im Sinnedes Überwindens bzw. Darüberhinweggehens oder Darüberhinausgehens verstanden werden, so dass die gesellschaftliche Position zwar bekannt subjektiv aber ein veränderter Anspruch Geltung erlangt. Zum dritten kann der Begriff auch im Sinne des Bewahrens verstanden werden, der ein subjektives Tradieren der gesellschaftlichen Position intendiert. - 23 auf mehrere Lehrer beobachtet werden kann. Für diesen Klassentyp sind in der Lehrerbefragung daher die beiden am häufigsten genannten Lehrer aufgenommen worden. Für die Monopräferenzklassen hingegen der am häufigsten genannte Lehrer. Aus dieser Situation hat sich die Chance ergeben mittels Vergleichs innerhalb der Multipräferenzklassen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der von einer Klasse benannten ‚guten’ Lehrer herausarbeiten zu können. Anschließend können die für die Multipräferenzklassen gewonnenen Ergebnisse auf die Monopräferenzklassen übertragen werden und dort, in den Lehrerinterviews der Monopräferenzklassen, auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Allerdings können schon in der Erstauswertung des Kapitels 6 einige potentielle Erklärungen für die Benennung ‚guter’ Lehrer, die an objektiven Merkmalen wie Alter oder Geschlecht anknüpfen, für die Untersuchung ausgeschlossen werden. Im siebten Kapitel werden die Ergebnisse der Schülerbefragung vorgestellt und in das sozialkonstruktivistische Forschungsdesign eingeordnet. Dabei können in den aggregierten Schüleräußerungen ein obligatorisches Muster und zwei Präferenzmuster für die Benennung ‚guter’ Lehrer entdeckt werden, die an die subjektive Lebenswirklichkeit der Schüler anknüpfen. Obligatorisch für die Benennung ‚guter’ Lehrer ist das Potential des Lehrers eine leistungsförderliche Umgebung im Unterricht schaffen zu können, um – und das ist die primäre Absicht der Schüler – ihre Abschlussprüfung erfolgreich bestehen zu können. Ist diese Grundbedingung erfüllt, kommen zwei fakultative Präferenzmuster zum Tragen. Dies ist zum einen eine berufspraktische Orientierung von Schülern, die eine enge Bindung an ihren Beruf entwickelt haben und dort auch ihre Zukunft sehen. Zum anderen eine lebenspraktische Orientierung von Schülern, die zwar auch den Berufsabschluss anstreben, jedoch eine geringe Bindung an den Beruf entwickelt haben und eine suchende Entwicklungsperspektive einnehmen, die ihre Anknüpfungspunkte außerhalb des Berufes findet. Kapitel 8 widmet sich dem Ergebnis der Lehrerbefragung. Es gelingt dort, die Präferenzmuster der Schüler in entsprechenden Handlungsorientierungen der Lehrer zu spiegeln, so dass eine Interdependenz von Schülerpräferenz und Lehrerhandeln deutlich wird, die die Interaktion von Schülern und ‚guten’ Lehrern kennzeichnet. Im ersten Teil des Kapitels werden die leistungsförderlichen Orientierungen des Lehrerhandelns thematisiert, die allen ‚guten’ Lehrern gemeinsam sind. Es wird deutlich, dass sie auf einer wechselseitigen Wertschätzung zwischen den Schülern und ihrem Lehrer ruhen, eine entsprechende Schwerpunktsetzung in den Unterrichtsinhalten bewirken, Lernschwierigkeiten als Normalitäten der Leistungserstellung erachten und in der Notengebung ein leistungsdifferen - 24 zierendes und leistungsadäquates Feedback intendieren. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden dann zum einen die beiden fakultativen Präferenzmuster der Schüler in den Lehrerorientierungen als fachthematische und sozialthematische Orientierungen thematisiert. Jeweils gleichzeitig wird zum anderen der Frage nachgegangen, ob die für die Lehrer der Multipräferenzklassen ermittelten Ergebnisse auch für die Lehrer der Monopräferenzklassen Relevanz beanspruchen dürfen. Letzteres bestätigt sich und für ersteres wird deutlich, dass sich die sozialund die fachthematische Lehrerorientierung nicht wechselseitig ausschließen, sondern vielmehr auch gleichzeitig praktiziert werden können. Kennzeichnend für eine fachthematische Lehrerorientierung sind dabei vertiefte aktuelle Fachpraxiskenntnisse mit hohem realem Praxisbezug, die auf die Entwicklung der beruflichen Handlungsfähigkeit und die berufliche Integration der Schüler zielt. Charakteristisch für die sozialthematische Lehrerorientierung hingegen ist die Kenntnis typischer Problemlagen von Jugendlichen innerhalb und außerhalb des Berufs, die – verbunden mit einer authentischen Annahme der Schüler – den Lehrer in die Funktion eines ‚Informationsbrokers’ führt. Er hält entlang der Schülerbedürfnisse Informationen bereit und bringt sie in den Unterricht ein bzw. ist offen für das Einbringen entsprechender Themen durch die Schüler. Damit zielt der sozialthematisch orientierte Lehrer auf die Entwicklung der Persönlichkeit über den Beruf hinaus und ermöglicht es den Schülern, sehr unterschiedliche Orientierungsbedürfnisse, die aus ihren situativen Kontexten resultieren, zu bearbeiten und daraus für sich erweiterte Handlungschancen zu entwickeln. Dem abschließenden Kapitel 9 obliegt es, die Ergebnisse der Schüler- und Lehrerbefragung gemeinsam vor sozialkonstruktivistischem Hintergrund zu verbinden. Dabei wird deutlich werden, dass die Schüler entsprechend ihren subjektiven Lebenswirklichkeiten und Entwicklungsbedürfnissen für Lehrer votieren, die einen Beitrag leisten können, diese Bedürfnisse im Sinne der Jugendlichen und im Sinne einer Integration in die Gesellschaft zu fördern. Darüber hinaus wird in Kapitel 9 das Forschungsergebnis in seiner Reichweite ausgelotet und in seinem Potential für die in Kapitel 3 skizzierten theoretischen Positionen reflektiert. Im Ganzen betrachtet zeichnet sich die Studie dadurch aus, dass sie die wechselseitige Interdependenz der Schüler- und Lehrerinteraktion aus der Bottom-up- Perspektive der Beteiligten herausarbeitet. Dadurch werden deren handlungsleitende Hintergründe, die sich aus den subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen der Beteiligten herleiten lassen, zu den relevanten Merkmalen oder Charakteristika von Unterrichtsqualität. In der Beschrei - 25 bung der ‚guten’ Lehrer werden durch die Kumulation positiver Aspekte in zwei Modellen ‚guten’ Lehrerhandelns Realutopien geschaffen. So bleiben die Modelle zwar Utopien, die als Ideale im vollen Umfang nicht erreichbar sind. Gleichwohl sind sie aus den subjektiven Realitäten und relevanten Charakteristika der Schüler und Lehrer entwickelt, so dass die Modelle Orientierung anbieten und gangbare Entwicklungswege aufzeigen können. - 26 2 Schulbezogene Lebenswirklichkeiten der Schüler und der Lehrer 2.1 Schülerperspektive zu Lehrern und Unterricht 2.1.1 Forschungen zur Schülerperspektive Der Blickwinkel bzw. die Sichtweise der Schüler und Schülerinnen auf Schule und Unterricht ist ein Forschungsgegenstand, der in seinen Ergebnissen umstritten ist. Gegen die Einbeziehung von Schülerauffassungen in die Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht sind verschiedene Kritiken vorgetragen worden.13 Sie sprechen zum einen den Schülern die Fähigkeit ab, sich geeignet zu Unterricht äußern zu können, postulieren die Zwänge und das Primat der Lehrpläne oder sehen die Einbeziehung der Schüler als Versuch der Einschmeichelung. Diesen Auffassungen entgegen steht die Auffassung, den Schüler als „kundige(n) Laien“ (Pallasch, W. (1983) S. 38) anzusehen, der Beiträge zur Unterrichtsentwicklung leisten kann. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 38-39; Pallasch, W. (1983) S. 37-38) Die kritischen Stimmen, die den Aussagegehalt der Schüleraussagen anzweifeln, stützen sich in ihrer Kritik auf das Phänomen des ‚Dr. Fox’Effekts. Er besagt, dass sich Lernende durch eine charismatische Persönlichkeit blenden lassen und ihre Lernleistungen bei dieser Person überbewerten. Entsprechende Untersuchungen erfassten jedoch nur kurzfristige Effekte. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 264) Gegen den ‚Dr. Fox’-Effekt spricht das Ergebnis der Studie von Ditton (2002). Schüler bewerten dort die Lehrkräfte positiv, die das Lernen durch die Unterrichtsgestaltung unterstützen, über wahrnehmbare diagnostische Kompetenz verfügen und ein gutes Verhältnis zu den Schülern aufbauen. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 280-281) Beobachtungsfehler wie der ‚Dr. Fox’Effekt sind jedoch kein ausschließliches Problem von Schülerbeobachtungen. Auch Unterrichtsbeobachtungen mit externen Beobachtern sind nicht frei von Beobachtungsfehlern. Auch dort können Halo-Effekte und implizite Persönlichkeitstheorien14 als Fehlerquellen auftreten. Darüber 13 Eine Vielzahl von Einwänden und deren Widerlegung ist zusammengetragen bei: Boettcher, W. u.a. (1980) S. 130-146, Fölsch, G. (1978) S. 139-147 sowie Von tobel, J. (1981) S. 7-14.14 Implizite Persönlichkeitstheorien von Lehrern, vgl. Nickel, H. (1978) S. 58-59. Zu impliziten Persönlichkeitstheorien von Lehrern vor dem Hintergrund eines sozialis tischen Gesellschaftsbildes: vgl. Hinke, S. (1986), dort besonders S. 150-161. Die - 27 hinaus entsteht dort das Problem der sozialen Erwünschtheit, d.h. in der Beobachtungssituation weicht der Lehrende entsprechend der vermuteten sozialen Erwünschtheit vom normalen Unterrichtsverhalten ab, so dass der unterrichtliche Alltag von den Beobachtern nicht erfasst werden kann. (vgl. Seltmann, K. (1986) S. 403-404) Schüler hingegen beobachten und erleben den Alltagsunterricht. Eine weitere Problematik der externen Unterrichtsbeobachtung liegt in der Frage, wie real die Beobachtungen der externen Beobachter tatsächlich sind. Ein positiver Beobachtungseindruck durch externe Beobachter muss nicht notwendigerweise mit dem subjektiven Eindruck der betroffenen Schüler übereinstimmen. Erst der subjektive Eindruck der Schüler erschafft für diese die Unterrichtsrealität und wird handlungsleitend, so dass die subjektiven Eindrücke der Schüler ihrer Realität näher sind als die Eindrücke externer Beobachter. (vgl. Seltmann, K. (1986) S. 404) Schülerbefragungen bieten den Vorteil, direkt mit den Betroffenen, d.h. denjenigen, die den Unterricht erlebt haben und für die der Unterricht gedacht war, in Kontakt zu treten. Im Gegensatz zu beobachtenden Verfahren, die eher kurzfristig, punktuell und auf eine kleine Anzahl Unterrichtsstunden ausgelegt sind, können Schülerbefragungen Langzeiterfahrungen mit der Lehrkraft, dem Fach, der Schule und auch vergleichende Perspektiven zwischen Lehrkräften und Fächern in die Untersuchung einbinden. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 263-264, Mayer, J.; Nickolaus, R. (1998) S. 297) In den gewonnenen Ergebnissen enthalten die Schüleraussagen einen individuellen Aussageanteil und einen Aussageanteil, der von der Klassengemeinschaft geteilt wird. In den individuellen Aussageanteil fließen die individuellen Präferenzen des einzelnen Schülers ein. Der kollektive Aussageanteil spiegelt eher das Klassenklima wider und könnte verlässlichere Aussagen als der individuelle Aussageanteil über die Unterrichtsqualität in der ganzen Klasse ermöglichen. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 264-265) Methodisch sind verschiedene empirische Wege beschritten worden, um Schüleraussagen zu Schule, Unterricht oder Lehrern zu generieren. Für Erhebungen zu Lehrern sind zum Beispiel Schüleraufsätze zu Wunschlehrern zu nennen oder auch Befragungen zu real existierenden Lehrkräften. Die Befragungen zu Lehrkräften erfolgten zunächst quantitativ mit Fragebögen Wirkung impliziter Persönlichkeitstheorien, bezogen auf soziale Einschätzungen menschlichen Verhaltens bei Probanden, zeigt Bonath, J. (1998). Am Beispiel der Kategorisierung von Verhalten entsprechend dem Anlage-Umwelt-Problem kann Bonath zeigen, dass die soziale Diskriminierung geringer ausfällt, wenn das Verhalten auf Umwelteinflüsse zurückgeführt wird. - 28 oder Polaritätenprofilen. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 61-90) Mitte der achtziger Jahre ist ein quantitativer Fragebogen zur Lehrerbewertung, der Bonner Lehrerbewertungsbogen BLBB, entwickelt worden, der in allgemeinbildenden Schulen getestet wurde. (vgl. Seltmann, K. (1986)) Zu den Erwartungen an Berufsschullehrer hat Brandl Ende der achtziger Jahre eine qualitative Untersuchung mit Hilfe der Aufsatzmethode durchgeführt. (vgl. Brandl, G. (1989)) In jüngerer Zeit ist von Mayer / Nickolaus ein quantitativer Fragebogen zur Beurteilung längerer Unterrichtszeiträume durch Schüler als Feedbackquelle für Lehrer veröffentlicht worden. Er wurde im berufsbildenden Bereich mit Erfolg erprobt. (vgl. Mayer, J.; Nickolaus, R. (1998)) Schülerbefragungen können auch zur Untersuchung der lehrerorientierten Perspektive auf Schule und Unterricht eingesetzt werden. Die lehrerorientierte Perspektive wird unter den Stichworten Erziehungs- und Unterrichtsstil, Lehrereffektivität und Unterrichtsqualität diskutiert. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 109-128) Schülerbefragungen stellen hier ein Instrument neben anderen dar. So werden auch Beobachtungen oder Expertenbefragungen eingesetzt. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 112, 114, 116, 120) Die Ergebnisse der Unterrichtsqualitätsforschung gehen in die gleiche Richtung wie die Ergebnisse der Schülerforschung, die weiter unten bei der Schülerwertschätzung der Lehrkräfte im ‚mastery-theme’ und ‚lovetheme’ 15 beschrieben werden. Für die Ergebnisse aus der Lehrerperspektive kann konstatiert werden, dass sie, bezogen auf schulische Leistungen, den Faktoren „Klassenmanagement, positive soziale Interaktion, Klarheit des Unterrichts und akademischer Fokus, d.h. starke Ausrichtung auf die Inhalte“ (Einsiedler, W. (2000) S. 121) großen Einfluss beimessen. 2.1.2 Schule aus Schülerperspektive Die Schule als Einrichtung wird von den Schülern als bedeutsam und wichtig akzeptiert. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass sie der Schule positiv gegenüberstehen. Die Schule wird überwiegend als langweilig betrachtet und ca. die Hälfte der Schüler geht manchmal ungern zur Schule. (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 52) Die Akzeptanz der Schule speist sich aus zwei Begründungsperspektiven. Zum einen aus der Sozialperspektive, in der dem zwischenmenschlichen Aspekt, Gleichaltrige und Freunde treffen zu können, Bedeutung zukommt. Zum anderen aus der Sachperspektive, in der den schulischen Inhalten Nützlichkeit für später attestiert wird. (vgl. Haselbeck, F. (1999a) S. 69-73) Die Sozialperspektive 15 Siehe Kapitel 2.1.6 Lehrer im Blick der Schüler. - 29 wird von allen Schülern geteilt. Die Sachperspektive hingegen nicht. Eine Sachperspektive ordnet Nölle (vgl. Nölle, V. (1995)) bei einer Untersuchung an Gymnasien ca. drei Fünfteln der Schüler zu. Sie tritt mit zunehmendem Alter der Schüler häufiger auf. Die Sachperspektive kann untergliedert werden in eine beruflich orientierte Sachperspektive und eine alltagsorientierte Sachperspektive. Bei der beruflichen Sachperspektive treten die Vermittlung von Fachwissen und die Vorbereitung auf den Beruf in den Vordergrund. Bei der alltagsweltlichen Sachperspektive gewinnt die Vorbereitung auf künftige gesellschaftliche und private Lebenssituationen zentrale Bedeutung. (vgl. Nölle, V. (1995) S. 105-111) Für die Bewertung des Unterrichts ist die Atmosphäre der Schule bedeutsam. Der atmosphärische Eindruck wird durch bauliche und räumliche Gegebenheiten und durch die Einschätzung der Lehrkräfte geprägt. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 51) Für die Einschätzung der Lehrkräfte ist das schülerseitige Vertrauen zu ihnen eine wichtige Komponente. Vertrauen entlastet die Interaktion und macht sie vorhersehbar. Dies ist gerade in der Schüler-Lehrer-Beziehung, die eine machtungleiche Zwangsgemeinschaft ist, von entscheidender Bedeutung. Vertrauen kann einen positiven Regelkreis bewirken, der für die Schüler die schulische Situation stabilisiert und zu positiven Einschätzungen bezüglich der schulischen Situation und dem Lernerfolg führt. (vgl. Schweer, M. (2000) S. 129-138) Störend und belastend wirken auf die Jugendlichen die „beständigen Verpflichtungen und Reglementierungen“ (Denner, S. u.a. (2002) S. 52) in der Schule. (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 52, 56; Denner, S. u.a. (2002) S. 52) Sie erfahren die Schule als fremdbestimmend, handlungsarm, bürokratisch durchorganisiert und ritualisiert. Gleichzeitig erleben sie Machtlosigkeit gegenüber den Lehrern und stehen in einem dauernden Konkurrenzdruck untereinander. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 30) Es ist zu beobachten, dass sie mit zunehmendem Alter und zunehmendem Bildungsniveau eine kritische Einstellung gegenüber der Schule entwickeln. (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 54-57, 63-65) 2.1.3 Unterricht aus Schülerperspektive Die Akzeptanz der Leistungsnorm durch die Lernenden ist eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Durchführung von herkömmlichem Unterricht. Mit der Akzeptanz des Anspruchs werden auch Zwang und Kontrolle als Lernbedingungen von den Schülern akzeptiert. Dem Lehrer wächst die Funktion des Leiters der Gruppe zur Organisation des Leistungsverhaltens und zur Strukturierung der Leistungssituation zu. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 120-124) Entsprechend der bedeutsamen Stellung des Lehrenden für die Organisation der Lernsituation korrelieren - 30 auch das Interesse am Unterrichtsfach und die Bedeutung, die ihm durch die Schüler beigemessen wird, mit ihrer Einschätzung des Lehrenden. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 272, Haselbeck, F. (1999a) S. 96) Mit der Akzeptanz der Position des Lehrenden akzeptieren die Schüler im umgekehrten Sinne eine inferiorisierte Position, die sich in ihren Erwartungen an die Lehrerrolle widerspiegelt. Die Erwartungen drücken sich zum einen in Leistungsansprüchen aus, die darauf abzielen, durch eigene Lernleistung die Ziele des Unterrichts erreichen zu können. Damit entziehen sie auch dem Begründungszusammenhang ihrer inferiorisierten Position ein Stück weit die Grundlage und erarbeiten sich so die Möglichkeit diese auch erfolgreich verlassen zu können. Hier erwarten die Schüler entsprechend strukturierte und übersichtliche Lernangebote und -arrangements des Lehrers. Zum anderen drücken sie sich in der Erwartung aus, bei Misserfolgen nicht bestraft zu werden, sondern Schutz und Hilfe durch den Lehrer erfahren zu können. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 77-88, 102105, 152-153) Möglicherweise ist dies mit ein Grund, weshalb Unterricht in kleinen Klassen positiver wahrgenommen wird als Unterricht in großen Klassen. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 266) In Bezug auf Schule und Unterricht unterscheiden die Schüler beeinflussbare und nicht beeinflussbare Bereiche. Zu den außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten zählenden Bereichen gehören die Unterrichtsgestaltung und die Mitbestimmung in der Schule. Demgegenüber rechnen sie die eigene Leistungsfähigkeit, die Zusammenarbeit und den persönlichen Kontakt mit ihren Mitschülern zu ihren Aktivposten. Die Nützlichkeit der schulischen Lerninhalte und auch die Kontakte zu den Lehrern erhalten aus dieser Perspektive mittlere Rangplätze. Hier sehen die Lernenden deutliche Grenzen ihrer Einflussmöglichkeiten. (vgl. Eckerle, G.; Kraak, B. (1993) S. 44-47) Vom Standpunkt der persönlichen Bedeutsamkeit wird Schule und Unterricht von den Schülern aus einer Ergebnisperspektive wahrgenommen. Individuelle Leistung, Nützlichkeit der Inhalte und interessanter Unterricht treten zusammen mit persönlichen Kontakten zu Mitschülern in den Vordergrund. In der Verlaufperspektive werden Schule und Unterricht mittlere bis nachrangige Bedeutungsrangstufen zugeordnet. Dort sind Aussagen zum Klima der Klasse, Lehrer-Schüler-Verhältnis, Zusammenarbeit mit Mitschülern, Möglichkeit zur Unterrichtsgestaltung sowie Kontakt und Anerkennung der Lehrer zu finden. (vgl. Eckerle, G.; Kraak, B. (1993) S. 3233, 37-38) Die Einschätzung der Schüler bezüglich mangelnder Einflussmöglichkeiten und ihre ergebnisorientierte Perspektive bei der Einschätzung der persönlichen Bedeutsamkeit lassen den Eindruck der Passivierung entstehen. Die - 31 Schüler erleben Schule und Unterricht als notwendige Station, als unausweichlichen Schicksalsschlag, der ausgehalten werden muss. Sie erleben Schule und Unterricht nicht als Gestaltungs- und Lebensraum. Einzig der über die Schule ermöglichte Kontakt zu Mitschülern, im Sinne von privaten Freundschaften, wird als positiv empfunden. (vgl. Eckerle, G.; Kraak, B. (1993) S. 37) 2.1.4 Schulische Ziele und Inhalte aus Schülerperspektive Die Sinnhaftigkeit von Lerninhalten wird von den Schülern vorwiegend anhand der Gegenwartsbedeutung und der angestrebten zukünftigen, vorwiegend beruflichen, Lebensperspektive beurteilt. Dabei wächst den Inhalten ihre Bedeutung aus der erwarteten Brauchbarkeit zu. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 28) In der konkreten schulischen Situation haben die Inhalte zusätzlich einen Tauschwert, um gute Noten und Abschlüsse zu erreichen. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 28) Vielfach wird die Sinnhaftigkeit nicht erlebt, sondern Unterrichtsstoffe als langweilige Themen empfunden, (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 50, Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 58) so dass Desinteresse und Schulmüdigkeit entstehen. Die schulischen Inhalte geraten in eine Legitimationskrise. Dies umso mehr, da die Schüler bei der Auswahl der Inhalte nicht mitbestimmen können. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 28-29) Im Gegenteil wird die Präzisierung der Lerninhalte dem Verantwortungsbereich des Lehrers zugerechnet und die eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten werden als gering eingestuft. (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 60-61) Die Schüler geraten in die Rolle von Zwangskonsumenten. An dieser Stelle setzt auch Kritik der Schüler an. Sie erwarten hier eine deutliche Praxisorientierung der Inhalte und auch eine Beteiligung bei der Themenwahl. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 47-48, 56) 2.1.5 Schulische Methoden und Medien aus Schülerperspektive In der Methodik überwiegen, zumindest in den achtziger Jahren, lehrerzentrierte Methoden. Von den Schülern werden fehlende Möglichkeiten zur Selbständigkeit und Mitgestaltung sowie fehlende Meinungsfreiheit kritisiert. (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983) S. 58-59) Für sie stellt sich das methodische Können der Lehrer als monoton und lehrerdominiert dar, so dass für sie ein negativer Eindruck methodischen Lehrerkönnens entsteht. (vgl. Werres, W. (1996) S. 22-23) Denner (vgl. Denner, S. u.a. (2002)) bestätigt die Aktualität dieses Eindrucks. Die Schüler erwarten mehr methodische Abwechslung und größere Anschaulichkeit bei der Darbietung der Inhalte, die auch ausführlicher erklärt werden sollten. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 50, Brandl, G. (1989) S. 52-55) Mit der Möglichkeit zur Selbsttätigkeit korrespondiert auch die Beliebtheit eines Unterrichtsfachs. - 32 Allerdings werden bei stimmigen Schüler-Lehrer-Beziehungen methodische Mängel eher toleriert. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 33-34) Neben der Selbsttätigkeit betonen Berufsschüler den Wunsch nach erarbeitenden Unterrichtsformen, bei denen sie ihre Erfahrungen einbringen können. Möglicherweise steht dieser Aspekt mit dem Wunsch nach größerer Praxisnähe in Beziehung, da die Aussagen zu den Unterrichtsformen häufig verbunden sind mit dem Wunsch nach aktuellen Themen. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 55-57) 2.1.6 Lehrer im Blick der Schüler 2.1.6.1 Lehrer in der Schülerperspektive Lehrer sind als Interaktionspartner der Schüler in ihrer Rolle mit einem Machtübergewicht gegenüber den Schülern ausgestattet. Aus der rollenstrukturell überlegenen Position heraus gestalten sie die Interaktionssituation durch die vorbereitende Planung der Situation und durch den Einsatz von Lenkungs- und Kontrollinstrumenten. (vgl. Arbeitsgruppe (1980) S. 24-28) Für Schüler sind sie in der Interaktionssituation Schule zentrale Partner, die ihnen Chancen eröffnen können, ihre Identität zu entwickeln und denen sie im Konfliktfall scheinbar hilflos ausgeliefert sind. (vgl. Arbeitsgruppe (1980) S. 39-46) Vor diesem Hintergrund beurteilen Schüler Lehrer. Sie sind in der Lage, Lehrer zu typisieren und relativ schnell adäquate Verhaltenstaktiken zu entwickeln. Bei der Beurteilung der Lehrer rückt mit zunehmendem Schüleralter die fachliche Beurteilung gegenüber der affektiven in den Vordergrund. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 32) Schüler prüfen das Lehrerverhalten an ihren Verhaltenserwartungen und -vorstellungen. Diskrepanzen können in Beziehungsprobleme und desintegrative Verhaltensweisen der Schüler münden. Auf der Basis ihrer Rollenerwartungen entwickeln die Schüler eine stark personenbezogene Beurteilung ihrer Lehrer. Die Rollenerwartungen gehen dabei von einer entgegenkommenden, menschlichen und von didaktischem Können begleiteten Erwartung aus. (vgl. Haselbeck, F. (1999a) S. 71-73) Dem steht jedoch ein als zumindest zeitweise autoritär empfundenes Lehrerverhalten gegenüber, das beurteilende und bewertende Wesenszüge trägt. (vgl. Werres, W. (1996) S. 18-19) Entsprechende negative Erfahrungen können zu einer zurückgezogenen Identität der Schüler führen. Sie richten sich durch die bewusste Trennung von Schule und Privatleben in einer zurückgezogenen Identität ein. Schule und Lehrer werden ‚ertragen’. (vgl. Krause, C. (1996) S. 112-117) Das Leben hingegen hat andere außerschulische Sinnzentren. Schüler-Lehrer- Probleme ergeben sich aus der Schülerperspektive zum einen aus versach- 33 lichten Beziehungen. Dabei wird der Lehrer primär in seiner Sachfunktion als Wissensvermittler, Zeitüberwacher und Leistungs- bzw. Verhaltenskontrolleur tätig. Zu diesem Problemkreis zählt auch die Machtproblematik, d.h. wenn der Lehrer in einer Vorgesetztenrolle mit ausschließlicher Weisungs- und Entscheidungsmacht erlebt wird. Zum anderen ergeben sich Probleme aus der Missachtung der individuellen Wertschätzung der Schülerpersönlichkeit. Zu diesem Problembereich zählen die Bevorzugung und Benachteiligung einzelner Schüler und die entwürdigende Bloßstellung bzw. als ungerecht empfundene Bestrafung von Schülern. (vgl. Holtappels, H. (1987) S. 133-140) Ein weiterer Aspekt der Schüler-Lehrer-Beziehung ist die Modellfunktion des Lehrers. Er fungiert für die Schüler als Modellperson, der die reziproke Vorlage für die Rollenidentität der Schüler darstellt. Er verkörpert die Ansprüche der Organisation Schule bzw. die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an die Schüler. Aus der jeweils individuellen Interpretation des Lehrerverhaltens durch den Schüler in eine für den Schüler sinnvolle Struktur ermöglicht der Lehrer dem Schüler eine Identitätsentwicklung und die Interpretation sozialer Rollenerwartungen. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 152-166) Dabei erfolgt die Wahrnehmung der Schüler bezüglich ihrer Lehrer auf der Basis spezifischer Erwartungshaltungen, die sich aus der Rollenstruktur der Schüler ergeben. Im Vergleich zwischen Selbstwahrnehmung des Lehrenden und Fremdwahrnehmung durch die Schüler gehen insbesondere die Erwartungen in den sozialen Rollenanteilen auseinander. Für die Lehrenden tritt hier eine Sachorientierung in den Vordergrund ihrer Verhaltenspräferenz, während die Schüler die Beziehungsebene zwischen Lehrer und Schüler favorisieren. In der Beziehungsebene präferieren die Schüler einen diskursorientierten Verhaltensstil, der die Interessen der Lernenden in die Unterrichtssituation einbezieht. (vgl. Kenner, M. (2001) S. 308-310) Aus Schülerperspektive ist das idealisierte Rollenbild des Lehrers ein „demokratischer Führer“ (Denner, S. u.a. (2002) S. 52), der sanft eine geordnete Lernatmosphäre schafft, gerecht und freundlich ist, alle Schüler gleich behandelt, Verständnis zeigt und Humor hat. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 52) Vom Lehrer wird weiterhin erwartet, dass er schlechte Leistungen nicht diskriminiert, individuell bei Lernschwierigkeiten fördert, anschaulich, informativ und locker unterrichtet und für die Einhaltung der Rahmenbedingungen der Arbeitsdisziplin sorgt, dabei aber auf Störungen humorvoll reglementierend reagiert. (vgl. Apel, H.; Sandfuchs, U. (2002) S. 12-13) Entscheidende Beurteilungsmerkmale für Lehrer werden nicht durch äußere Parameter wie Geschlecht, Aussehen oder Alter bestimmt. Vielmehr - 34 sind die Einstellungen und Haltungen der Lehrkraft relevant. Idealisierte Lehrerbilder lassen zwei Eigenschaftsdimensionen erkennen. Dies ist zum einen das ‚love-theme’ und zum anderen das ‚mastery-theme’. Im ‚lovetheme’ sammeln sich Wunschvorstellungen zur Gestaltung der individuellen Schüler-Lehrer-Beziehung, die von einem Grundtenor von Wärme und Verständnis getragen wird. Das ‚mastery-theme’ sammelt demgegenüber die Wunschvorstellungen zur kollektiven Situationsgestaltung. Es bündelt Aussagen zum fachlichen Können und zum gruppenbezogenen sozialen Umgang der Lehrkraft. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 267) Erwartungen im Sinne des ‚love-theme’ werden eher von Schülern geäußert, die als leistungsschwach charakterisiert werden. Leistungsstarke Schüler hingegen orientieren ihr Urteil stärker am ‚mastery-theme’. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 104) Beide Erwartungshaltungen führen jedoch nicht notwendigerweise zu unterschiedlichen Realverkörperungen. Im Gegenteil, beide Schülergruppen können übereinstimmend ihre Erwartungen in einem Lehrer verkörpert sehen. Dabei scheint die Interaktionsdauer, d.h. die Stundenzahl des Lehrers in der Klasse, die Wahrnehmung positiv zu beeinflussen. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 70) Im ‚mastery-theme’ verknüpfen Berufsschüler die Erwartungshaltungen an den Lehrer mit Erwartungen, die auf die Bewältigung ihrer beruflichen Situation gerichtet sind. Dies äußert sich in Erwartungen, dass das Wissen und Können der Lehrer auf dem neusten Stand sein muss, dass der Unterricht praxisbezogen sein soll und der Lehrer die Probleme des Praxisalltags kennt. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 45-48) Im Umgang mit der Klasse wird ein wertschätzender, partnerschaftlich-demokratischer Stil erwartet. Er scheint jedoch an eine Leistungsaffinität gebunden, da häufig auch ein Durchsetzungsvermögen im Sinne einer Ermöglichung von Lernleistungen gefordert wird. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 48-51) Im ‚love-theme’ erwarten Berufsschüler Gerechtigkeit im Sinne einer Gleichbehandlung aller Schüler, Achtung ihrer Persönlichkeit und ihrer personalen Integrität. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 58-61, ähnlich Fichten W. (1993) S. 30-33 ohne expliziten Berufsschulbezug) Das Verhältnis zum Lehrer soll von Vertrauen getragen sein und Rat und Hilfe in beruflichen Situationen ermöglichen. Für Rat und Hilfe in privaten Belangen ist eine größere Distanz zum Lehrer zu beobachten, zum kleinen Teil wird dem explizit widersprochen. (vgl. Brandl, G. (1989) S. 62-67) Generell werden im ‚love-theme’ die sozialen Rollenerwartungen an den Lehrer beschrieben. Sie bilden die Grundlage für das inhaltliche Unterrichtsgeschehen und müssen langfristig tragfähig angelegt sein. Schüler erwarten hier Verständnis, Vertrauen, Humor und Gemeinschaftssinn. Der erste Aspekt Verständnis ist die Grundlage für Zuneigung und eine beruhi - 35 gende emotionale Stabilität, die methodisch auf dialogisch kommunikative Art Probleme löst. Der zweite Aspekt Vertrauen bildet die Grundlage für Anerkennung. Die Grundlage des Vertrauens schafft stabile Rahmenbedingungen, so dass unterrichtliche und erzieherische Handlungen nicht unvorhersehbar bleiben und den Charakter der Willkürlichkeit annehmen. Handlungen sollen vielmehr vor klaren Rahmenbedingungen erfolgen, nachdem Probleme angesprochen und die Schülerperspektiven berücksichtigt worden sind. Entsprechend integrative Entscheidungen vermeiden die Präjudizierung von Schülerverhalten und binden die Schüler in die Entscheidung mit ein. Der dritte Aspekt im ‚love-theme’, der Humor, ist für die Schüler ein Ausdruck von Lockerheit. Unterrichtliche Anforderungen werden als Anspannung empfunden, die durch episodenhafte humorige Elemente abgebaut werden und die soziale Atmosphäre entspannen. Der vierte Aspekt ist der Gemeinschaftssinn. Er verbindet die Schüler mit dem Lehrer zu einer Gemeinschaft, die den Schülern Ordnung und Orientierung vermittelt. Als Element der Gemeinschaft ist jeder zum einen eingebunden, zum anderen von der Gemeinschaft kontrolliert. Es entsteht ein Gefühl des Zusammenhalts und der Zusammengehörigkeit, das Spannungen abbaut. Der Lehrer nimmt hier eine Vorbildfunktion für die Gemeinschaft wahr. (vgl. Haselbeck, F. (1999a) S. 157-169, 338-341) Der Lehrerwahrnehmung kommt eine über die Person des Lehrers hinausreichende Bedeutung zu. Mit der Lehrerwahrnehmung ist die Wahrnehmung des Unterrichtsfaches verknüpft. Eine positive Lehrerwahrnehmung begünstigt die Wahrnehmung des Unterrichtsfachs und dessen Beliebtheit. Entsprechend Konträres gilt für negative Lehrerwahrnehmungen. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 31, 33, Denner, S. u.a. (2002) S. 51) 2.1.6.2 Forschungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive Das Bild des Lehrers in den Augen der Schüler hat eine lange Forschungstradition, die sich bis in die dreißiger Jahre (vgl. Keilhacker, M. (1932)) zurückverfolgen lässt. Eine Übersicht zur Entwicklung des Forschungsfelds für den deutschsprachigen Raum findet sich am Ende des Kapitels. Gliedert man die Forschungstradition wie Gerstenmaier (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 51-89) anhand des methodischen Zugangs, können drei Methodiken, die Aufsatzmethode, die Befragung per Fragebogen und die Interviewmethodik, unterschieden werden. Die Aufsatzmethode, bei der die Schüler aufgefordert werden einen Aufsatz zu einem vorgegebenen Thema zu verfassen, ist dabei die älteste angewandte Methodik, die bis in die sechziger Jahre ausschließlich verwandt worden ist. (vgl. Keilhacker, M. (1932), Schönecker, M. (1950), Krüger, G. (1950), Kuhr, I. (1952), - 36 Aibauer, R. (1954), Rosensträter, H. (1961))16 In den sechziger Jahren ist die Fragebogenmethodik zunächst mit der Verwendung semantischer Differentiale als Instrument hinzugetreten (vgl. Fippinger, F. (1969), Fittkau, B. (1969), Grubitzsch, S.; Vogt, H. (1970), Roloff, G. (1973)). Echte semantische Differentiale zeichnen sich durch eine sprachassoziative Verbindung des Untersuchungsgegenstandes zu vorgegebenen Begriffspaaren aus, die der Befragte einzuschätzen hat. Dies begrenzt die Einsatzmöglichkeiten dieser Methodik, so dass später freiere schriftliche Befragungsformen, in denen die Probanden ihre Zustimmung oder Ablehnung zu Aussagen in Werteskalen eintragen können, hinzutreten (vgl. z.B. Haecker, H.; Werres, W. (1983)). Die jüngste Methodik sind die Interviewformen, die verstärkt seit den achtziger Jahren eingesetzt werden (vgl. Hurrelmann, K. u.a. (1980); Lambach, H. (1987); Nölle, V. (1995); Haselbeck, F. (1999b))17. Sie sind aufgrund des Untersuchungsaufwands für eher kleine Probandengruppen geeignet, eröffnen dafür aber über offene Frageformen freiere Antwortmöglichkeiten und können im Vergleich zur Aufsatzmethodik bei den Probanden spontane Antworten dokumentieren. Inhaltlich zeichnen sich bezüglich der Schülerperspektive auf Lehrer vier Forschungsphasen ab. In der ersten Phase, ca. bis Mitte der fünfziger Jahre, wird die Schülerperspektive hinsichtlich ihrer Vorstellungen zum Ideal- Lehrer untersucht (vgl. Keilhacker, M. (1932), Schönecker, M. (1950), Krüger, G. (1950), Aibauer, R. (1954))18. Daran schließen sich, bis ca. Mitte der sechziger Jahre, als zweite Phase Studien zu Real-Lehrern an (vgl. Rosensträter, H. (1961), Rösler, H. (1964), Pinther, A. (1966)). Im weiteren Verlauf, d.h. in der dritten Phase, bis Ende der siebziger Jahre, haben beide Forschungstraditionen nebeneinander (vgl. Müller, I. u.a. (1975); Masendorf, F.; Kratzsch, S. (1977)) und auch gemeinsam verbunden (vgl. Grubitzsch, S.; Vogt, H. (1970), Seifert, K. (1978)) Bestand. In der vierten Forschungsphase, mit Beginn der achtziger Jahre, sind Einzelstudien zu Lehrern in der Schülerperspektive eher selten (vgl. Haecker, H.; Werres, W. (1983), Brandl, G. (1989), Garlichs, A. (2000), Ditton, H. (2002)). Vielmehr werden Schüleräußerungen von der Forschung in einen größeren Kontext gestellt, so dass Aussagen zu den Lehrern nur noch Teilaspekte des Forschungsinteresses oder Beigaben der Forschungsbefunde bilden (vgl. Holtappels, H. (1987), Lambach, H. (1987), Eckerle, G.; Kraak, B. (1993), Nölle, K. (1993), Nölle, V. (1995), Haselbeck, F. (1999a), Denner, S. u.a. (2002), Doppler, D. u.a. (2005)) 16 Abweichend hiervon verwendet Kuhr, I. (1952) zusätzlich auch einen Fragebogen. 17 Deutlich früher: Rösler, H. (1964). 18 Abweichend hiervon Kuhr, I. (1952) mit einer Realbetrachtung. - 37 Daneben wird ein Forschungsinteresse deutlich, Schüler als Feedbackquellen für ihre Lehrer, im Sinne einer Unterrichtsevaluation, zu aktivieren. Dieses Interesse führt zur Entwicklung von Beurteilungsbögen, die zum Teil auch getestet werden, und den Lehrern für ihre Selbstevaluation zur Verfügung gestellt werden. Ein weitergehendes Forschungsinteresse, z.B. im Sinne der Untersuchung verschiedener Feedbacks, scheint jedoch nicht intendiert (vgl. Pallasch, W. (1983), Seltmann, K. (1986), Mayer, J., Nickolaus, R. (1998)). Strukturiert man den Forschungsstand zur Schülerperspektive auf Lehrer im Hinblick auf die untersuchten Schulformen, so fällt auf, dass sich eine Vielzahl von Studien auf die Sekundarstufe I bezieht. Für die Grundschule hingegen konnten wenige Untersuchungen nachgewiesen werden, die sich ausschließlich mit der Grundschule befassen (vgl. Dutka, W.; Marggraf, C. (1987), Garlichs, A. (2000))19. Für den berufsbildenden Bereich, der der Sekundarstufe II zuzuordnen ist, lassen sich in der ersten Forschungsphase bis Mitte der fünfziger Jahre Studien zum Ideal-Lehrer nachweisen (vgl. Schönecker, M. (1950), Krüger, G. (1950), Aibauer, R. (1954))20. Auch für die zweite Forschungsphase, bis Ende der sechziger Jahre, sind zwei Studien zu Real-Lehrern auffindbar (vgl. Rosensträter, H. (1961), Pinther, A. (1966)). Für die dritte Phase, bis Ende der siebziger Jahre, in der Ideal- und Real-Lehrer parallel oder gemeinsam untersucht worden sind, kann mit der Arbeit von Seifert noch ein Ansatz, der Ideal- und Real- Lehrer untersucht, verzeichnet werden (vgl. Seifert, K. (1978)). Gleiches gilt für die vierte Phase, mit Beginn der achtziger Jahre. Hier legt Brandl eine Arbeit zu Ideal-Lehrern vor (vgl. Brandl, G. (1989)). Wie auch für die anderen Schulformen können für die beruflichen Schulen in dieser Phase Studien verzeichnet werden, bei denen der Lehrer in der Schülerperspektive als Teil- oder Randgröße eine Rolle spielt (vgl. Rose, P. u.a. (2003), Doppler, D. u.a. (2005)). Ebenfalls vertreten ist ein Feedback-Beurteilungsbogen, der von Mayer, J., Nickolaus, R. (1998) veröffentlicht und an einer gewerblichen Berufsschule getestet worden ist. Ist das so gezeichnete Bild zutreffend, so beruhen viele Forschungsergebnisse der Schülerperspektive für die Berufsschullehrer auf Studien aus den fünfziger und sechziger Jahren, so dass Entwicklungen, z.B. mögliche Veränderungen in der Schüler-Lehrer-Interaktion aus der Akademisierung 19 Einzig die Aufsätze von Garlichs A. (2000) und Dutka W. / Marggraf C. (1987) be ziehen sich ausschließlich auf die Grundschule, Sochatzky, K. (1988) untersucht die Klassen 4-10, Rösler, H. (1964) die Klassen 1-8, Nölle, K. (1993) Grundschule und Sekundarstufe I, Czerwenka, K. u.a. (1990) Grundschule und Allgemeinbild. Schule. 20 Abweichend hiervon Kuhr, I. (1952) mit einer Realbetrachtung. - 38 der Gewerbelehrerbildung Mitte der sechziger Jahre (vgl. Stratmann, K. (1994)) oder Veränderungen der Lebenswirklichkeiten der Jugendlichen, nicht in den Studien reflektiert werden können. Einzig die Studien von Seifert, K. (1978) für den kaufmännischen Bereich und Brandl, G. (1989) für den gewerblichen Bereich sind jüngeren Datums. Außerhalb des berufsschulischen Kontextes sind hier die Arbeiten von Ditton, H. (2002) und Stolz, G. (1997) zu nennen. Ditton wendet sich der neunten Jahrgangsstufe im Fach Mathematik an der allgemeinbildenden Schule zu und befragt die Schüler per Fragebogen zu dem Fachlehrer. Stolz hingegen untersucht ein ‚negatives’ Ideal, indem er nach dem ‚schlechten’ Lehrer aus der Schülerperspektive forscht. Vom methodischen Ansatz zeichnen sich die Studien in der Regel dadurch aus, dass sie in eine Richtung blicken. Dies bedeutet, dass sie ausschließlich die Schülerperspektive auf Lehrer untersuchen. Die gleichzeitige Verwendung der umgekehrten Perspektive, d.h. die Perspektive der Lehrer auf die befragte Schulklasse, wird nicht thematisiert. Abweichend hiervon sind die Untersuchungen von Pinther, A. (1966), Masendorf, F.; Kratzsch, S. (1977), Eckerle, G.; Kraak, B. (1993), Grundmann, G.; Kötters, C. (2000) und Ditton, H. (2002). Pinther und Masendorf / Kratzsch erforschen die Schülerperspektive und erheben zusätzlich die von den Lehrern erwarteten Schülereinschätzungen, um über deren Antizipation Selbst- und Fremdbild der Lehrer einschätzen zu können. Eckerle / Kraak untersuchen das reale Selbst- und Weltbild von Schülern und Lehrern mit Blick auf deren Lebensziele und Lebenszufriedenheit. Dabei ist ein eher lockerer Bezug zur Interaktionssituation im Unterricht zu konstatieren und es wird auch kein direkter Bezug zwischen einzelnen Klassen und ihren Lehrern hergestellt. Grundmann / Kötters stellen das Schulklima in das Zentrum ihrer Forschung, so dass die Perspektiven der Schüler und Lehrer entsprechend diesem Ziel eruiert und vor diesem Hintergrund aufeinander bezogen werden. Ditton schließlich befragt nicht nur die Schüler bezüglich ihrer Lehrer und deren Unterricht im Fach Mathematik, sondern befragt auch die Lehrer bezüglich der befragten Klasse und der von ihnen vermuteten Einschätzung der Klasse zu ihrem Unterricht. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 268) Er verwendet dabei jeweils Fragebögen, die soweit möglich identische Items enthalten. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 268) Dadurch gelingt es Ditton die Interaktionssituation zu erschließen und es gelingt ihm auch als ‚gut’ bzw. ‚weniger gut’ eingeschätzte Lehrer voneinander abzugrenzen. Bedingt durch den Einsatz von Fragebögen, ermöglicht es der Ansatz jedoch nur begrenzt die langfristigen Planungs- und Reflexionserwägungen der Lehrer einzufangen, die handlungsleitend für die Interaktion mit der Klasse sind. - 39 Abb.: Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum – Teil 1. Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum:21 Jahr Autor (Kürzel) Schülerbezug Ziel Methode 1932 Keilhacker, M. (1932) Gymnasium, Sek. I und II Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1950 Schönecker, M. (1950) Berufsschule Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1950 Krüger, G. (1950) Berufsschule Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1952 Kuhr, I. (1952) Volks- und Berufsschule Real-Lehrer Aufsatzmethode und Fragebogen 1954 Aibauer, R. (1954) Volks- und Berufsschule Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1961 Rosensträter, H. (1961) Berufsschule (gewerbl.) Real: Lehrer- Schüler-Verhältnis Aufsatzmethode 1964 Rösler, H. (1964) Schule, 1.–8. Klasse Real: Lieblingslehrer Interview 1966 Pinther, A. (1966) Berufsschule Real: Lehrer durch Schüler / Lehrer schätzen ihre Wirksamkeit ein Fragebogen 1966 Löwe, H.; Preuß, G. (1966) Berufsschule (gewerbl.) Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1969 Fippinger, F. (1969) Hauptschule, 5.–9. Klasse Ideal-Lehrer Semantisches Differential 1969 Fittkau, B. (1969) Volks- und Realschule, 6.–8. Klasse Modelle von Lehrerverhalten und Schülerreaktion Semantisches Differential 1969 Baumgärtner, A. (1969) Gymnasium, Sek. I und II Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1969 Bachmair, G. (1969) Gymnasium, 5.–11. Klasse Real-Lehrer Ratingskala / unechtes semant. Differential 21 Eine weitere potentielle Quelle, die jedoch leider nicht im Original eingesehen werden konnte: Wellenhofer, Walter: Die Lehrerpersönlichkeit in der Vorstellung der Oberstufenschüler der Pflichtschule – Experimentelle Untersuchung zur Ermittlung des Persönlichkeitsbildes, Diss. Uni-Salzburg, 1968. - 40 Abb.: Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum – Teil 2. Jahr Autor (Kürzel) Schülerbezug Ziel Methode 1970 Grubitzsch, S.; Vogt, H. (1970) Volksschule, 6. und 9. Klasse Ideal / Real: Lehrer Assoziationen Semantisches Differential 1971 Keese, A. (1971) Volks- und Sonderschule Real-Lehrer Semantisches Differential 1971 Heiland, H. (1971) Metaanalyse Überblick über verschiedene Studien Metadarstellung 1973 Roloff, G. (1973) Hauptschule, 6. und 9. Klasse Ideal / Real: Lehrer-in, Genderforschung Semantisches Differential 1973 Lüdtke, H. (1973) Vollzeitschüler und Besucher Jugendfreizeitheime Klassenlehrer / Lehrer Semantisches Differential / Fragebogen 1975 Heinzmann, M. (1975) Gymnasium Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1975 Gerstenmaier, J. (1975) Metaanalyse Überblick über verschiedene Studien Metadarstellung 1977 Masendorf , F.; Kratzsch, S. (1977) Allg.bild. Schule, 12- bis 15-Jährige Real Klassenlehrer / Klassenlehrer erwartete Einschätzung Fragebogen 1978 Seifert, K. (1978) Berufsschule (kfm.) Ideal / Real: Rollenerwartung Schüler an Lehrer (Idealerwartung), dann Realverhalten geprüft Semant. Differential, Ratingskalen aus schriftlicher Befragung entwickelt 1978 Fölsch G. (1978) Metaanalyse Entwicklung ‚Beurteilungsbogen’ Metadarstellung 1979 Achtenhagen, F. u.a. (1979) Berufsschule (kfm.) Real: Klassenlehrer Fragebogen 1980 Wagner, H. (1980) Gymnasium, 8.–11. Klasse Fiktive Lehrer eines Typs Fragebogen 1980 Hurrelmann, K. u.a. (1980) Hauptschule / Gymnasium Schüler: Alltagstheorie zu Versagen und Erfolg Interviews - 41 Abb.: Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum – Teil 3. Jahr Autor (Kürzel) Schülerbezug Ziel Methode 1980 Hagstedt, H.; Hildebrand-Nishon, M. (1980) Allg.bild. Schule, 6.–11. Klasse Schüler zeigen ihren Schulalltag Verschiedene Methoden 1980 Hoferichter, H. (1980) Allg.bild. Schule, 6.–8. Klasse Real: Schülerrezepte für Schule Mündliche Frage 1981 Bujok-Hohenhauer, E. u.a. (1981) Allg.bild. Schule, 8.–10. Klasse Real: Schulkritik Gruppendiskussion 1981 Hofer, M. (1981) Metaanalyse Überblick über verschiedene Studien Metadarstellung 1982 Hofer, M. (1982) Metaanalyse Überblick über verschiedene Studien Metadarstellung 1982 Furtner-Kallmünzer, M; Sardie- Biermann, S. (1982) Allg.bild. Schule, 8.–10. Klasse Real: Schulkritik Gruppendiskussion 1982 Dreesmann, H. (1982) Metaanalyse Überblick zu Klima im Unterricht Metadarstellung 1983 Haecker, H.; Werres, W. (1983) Hauptschule Real: Klassenlehrer- Verhalten Fragebogen 1983 Pallasch, W. (1983) diverse Real: Lehrerverhalten einschätzen „Beurteilungsbogen“ 1985 Hanke, U. u.a. (1985) nicht benannt Kognition Schüler / Lehrer in einer Situation Interview 1986 Seltmann, K. (1986) Allg.bild. Schule, Sek. I und II Real: Klassenlehrer- Verhalten „Beurteilungsbogen“ 1987 Dutka, W.; Marggraf, C. (1987) Grundschule Real-Lehrer „Beurteilungsbogen“ 1987 Holtappels, H. (1987) Allg.bild. Schule, 7.–9. Klasse Real: Schüler, abweichendes Verhalten schriftliche Befragung / Interview - 42 Abb.: Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum – Teil 4. Jahr Autor (Kürzel) Schülerbezug Ziel Methode 1987 Lambrich, H. (1987) Allg.bild. Schule, 6. Klasse Real: Selbstkonzept von „schwachen“ Schülern Beobachtung und Interviews 1987 Fromm, M. (1987) Metaanalyse Methodische Zugänge zur Schülerperspektive Metadarstellung von Verfahren 1987 Petillon, H. (1987) Metaanalyse Schule aus Schülerperspektive Metadarstellung 1988 Sochatzky, K. (1988) Allg.bild. Schule, 4.–10. Klasse Wunsch bzw. Ideal: Ideal von Welt Aufsatzmethode 1989 Brandl, G. (1989) Berufsschule (gewerbl.) Ideal-Lehrer Aufsatzmethode 1990 Czerwenka, K. u.a. (1990) Grundschule und allg.bild. Schule Schule aus Schülerperspektive Aufsatzmethode 1993 Eckerle, G.; Kraak, B. (1993) Allg.bild. Schule, 9. Klasse Real: Wirklichkeitsperspektive von Schülern u. Lehrern Fragebogen 1993 Nölle, K. (1993) Grundschule und Sek I, alle Schulformen Real: Typiken von Schülerperspektiven Aufsatzmethode 1993 Fichten, W. (1993) Metaanalyse Schülerperspektive als Grundlage von Meta-Unterrichtskonzepten Metadarstellung 1995 Nölle, V. (1995) Gymnasium, 9.–13. Klasse Ideal: Sinn von Schule aus Schülersicht (Lehrer nur indirekt) Interviewmethode 1997 Apel, H. (1997) Allg.bild. Schule, 7.–10. Klasse Ideal: Guter Unterricht Aufsatzmethode 1997 Hofer, M. (1997) Metaanalyse Überblick verschiedener Studien Metadarstellung - 43 Abb.: Untersuchungen zur lehrerbezogenen Schülerperspektive im deutschsprachigen Raum – Teil 5. Jahr Autor (Kürzel) Schülerbezug Ziel Methode 1997 Schweer, M. (1997) Gymnasium, Sek I und II Hypothetische Lehrer Fragebogen 1997 Stolz, G. (1997) Retro-Perspektive auf Schulzeit Real-Lehrer, bester / schlechtester Aufsatzmethode 1998 Mayer, J.; Nickolaus, R. (1998) Berufsschule (gewerbl.) Real: Schüler als Feedbackquelle für Lehrer „Beurteilungsbogen“ 1999 Haselbeck, F. (1999a) Hauptschule 9. Klasse Real: Schulalltag in der Schülerperspektive Fragebogen / Interview / Tagebücher 1999 Haselbeck, F. (1999b) Hauptschule 9. Klasse Real: Interviews zum Schulalltag Interviewmethode 2000 Garlichs, A. (2000) Grundschule, 4. Klasse Ideal-Lehrer Fragebogen 2000 Gruehn, S. (2000) Allg.bild. Schule, 7. Klasse, Fach Mathematik, Biologie, Physik Schülerleistung und Unterrichts-, Lehrerwahrnehmung der Schüler Testaufgaben / Fragebogen 2000 Grundmann, G.; Kötters, C. (2000) Allg.bild. Schule, 5.–8. Klasse Schulqualität Schüler / Lehrerperspektive Fragebogen 2002 Ditton, H. (2002) Allg.bild. Schule, 9. Klasse, Fach Mathematik Real: Lehrer aus Schülersicht sowie dessen Lehrerperspektive Fragebogen 2002 Thies, B. (2002) Allg.bild. Schule, 7.–10. Klasse Real: Schüler- Lehrer Vertrauen, wechselseitige Perspektive Interview / Fragebogen 2002 Denner, S. u.a. (2002) Hauptschule Real: Einschätzung von Unterricht Befragung 2003 Rose, P. u.a. (2003) Berufsschule (gewerb. / kfm.) Real: Schülerperspektive auf die Duale Ausbildung Befragung 2005 Doppler, D. u.a. (2005) Berufsschule, Jugendl. ohne Lehrstelle Real: Schülerperspektive auf Berufsschule Fragebogen - 44 2.1.7 Schulklasse und Schülergruppe aus der Perspektive der Schüler Die Schule wird von den Schülern als sozialer Raum erlebt. Der soziale Aspekt „Freunde zu treffen“ und „andere Leute kennen zu lernen“ (Denner, S. u.a. (2002) S. 52) wird positiv hervorgehoben. Allerdings erleben die Jugendlichen in der Schule auch physische und verbale Gewalt durch ihre Mitschüler. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 52, Eckerle, G.; Kraak, B. (1993) S. 37) In der Schulklasse bilden sich Schülergruppen, die gruppentypische Perspektiven entwickeln. Aus der Selbstdefinition der Gruppe ergibt sich ein typisches Verhalten in der Interaktion, aber auch in der Wirklichkeitsdefinition. Ursachen für die Gruppenbildung und deren Wirklichkeitsdefinition können zum einen externe Etikettierungen sein, zum anderen Selbstdefinitionen der Schüler. (vgl. Lambrich, H. (1987) S. 30-41) Für die Selbstdefinition bilden strategische Absichten, soziale Erwartungen und deren Interpretation vor dem persönlichen Hintergrund die Grundlagen des individuellen Verhaltens. (vgl. Lambrich, H. (1987) S. 40-42) Gemeinsam geteilte Positionen führen zu einer Gruppenbildung. In der Gruppe hat die gemeinsame Wirklichkeitsdefinition eine wirkungsvollere Möglichkeit, wahrgenommen zu werden und für die Gesamtsituation der Klasse Wirkung zu entfalten. (vgl. Lambrich, H. (1987) S. 198-211) Ähnlich können gemeinsam geteilte Erfahrungen der ganzen Klasse auf deren Verhalten wirken. (vgl. Gordon, Th. (1994) S. 100-105) Die Selbstdefinition und das entsprechend gezeigte Verhalten scheinen dabei in enger Verknüpfung zur Einschätzung des jeweiligen Lehrers durch die Schülergruppe zu stehen. (vgl. Lambrich, H. (1987) S. 40, 202-205) Damit wird die Interaktion zwischen Schüler und Lehrer nicht nur eine individuelle Interaktion, sondern enthält auch Elemente der Massenkommunikation im Sinne kollektiver Kommunikationswirkungen und kollektiven Verhaltens. (vgl. Hadorn, W.; Cortesi, M. (1985) S. 106-108) 2.1.8 Schüler in der Perspektive der Schülerrolle Die Identitätsentwicklung der Schüler erfolgt in Auseinandersetzung mit der vorgefundenen (Schul-)Wirklichkeit. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 65) Entsprechend beurteilen sie die Schule und die Lehrer aus der dominierenden Wahrnehmungsperspektive der Schülerrolle. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 64) Die Perspektive ändert sich in Abhängigkeit von der Altersstufe der Schüler und emanzipiert sich mit zunehmender Nähe zur Schulentlassung von der Schülerrolle. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 6469) Mit der Übernahme der Schülerrolle durch die Lernenden wird die Leistungserwartung als legitimer Anspruch an die Schülerrolle übernommen und akzeptiert. Die Lehrer werden danach beurteilt, inwieweit sie - 45 es den Schülern ermöglichen, die Erwartungen an die Schülerrolle erfüllen zu können. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 117-119) Entsprechend korreliert das Selbstkonzept des Schülers mit seiner Lehrerwahrnehmung. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 73-76, 89) Schüler, die sich als leistungsstark einschätzen, präferieren leistungsorientierte Beurteilungskriterien, die dem ‚mastery-theme’ zuzuordnen sind. Demgegenüber präferieren Schüler, die sich als leistungsschwach einschätzen, Beurteilungskriterien des ‚lovetheme’. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 107-118) Die Orientierung am ‚love-theme’ hilft den leistungsschwachen Schülern, ihre als problematisch erlebte Rollenerfüllung durch harmonische Sozialbeziehungen und ein Absenken des Angstniveaus besser aushalten bzw. bewältigen zu können. (vgl. Gerstenmaier, J. (1975) S. 109-112) Persönliche Leistungsangst führt auch zu einer zum Negativen hin veränderten Wahrnehmung der Lehrkraft. Eine positive Wahrnehmung wird hingegen beim Erleben diagnostischer Kompetenz und motivierender Unterstützung des Lehrers, bei Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts und in einem guten Verhältnis zum Lehrer erlebt. Auch die Gerechtigkeit bei der mündlichen Notengebung ist bedeutsam. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 272-273, 280-282) Mit zunehmendem Alter verändert sich die Wahrnehmung des Unterrichtes. Die Schüler neigen dazu, Unterricht differenzierter wahrzunehmen. Dabei rücken die fachliche Kompetenz der Lehrkraft und ihr Verständnis für die Schüler zunehmend stärker in das Blickfeld der Schüler. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 266) Die altersbedingte veränderte Wahrnehmung des Unterrichts führt zu einer Negativwahrnehmung. Der Unterricht wird von der 5. bis zur 9. Klasse zunehmend negativer empfunden. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 50) Die Schüler erleben sich als fremdbestimmt und fühlen sich den Entscheidungen der Schulbehörden und Lehrer ausgeliefert. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 52) Dennoch fordern nur wenige Schüler größere Möglichkeiten zu Eigentätigkeit im Unterricht. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 50) Möglicherweise ist dies eine Reaktion der Schüler, um Fehlerpotentiale, die bei Eigentätigkeit größer sind, zu vermeiden, oder um Erwartungsdruck seitens der Schule zu minimieren. Die Erwartung an sie, ein guter Schüler zu sein, wird von ihnen als Belastung empfunden. (vgl. Denner, S. u.a. (2002) S. 52) Die Schülerrolle ist keine Einheitsrolle. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist sie auf Selektion und Allokation von gesellschaftlichen Zukunftschancen angelegt, die über die Noten vergeben werden. In der Konkurrenzsituation der Schüler kommt es notwendigerweise zu Gewinnern und Verlierern, so dass schon im Rollenkonzept des Schülers die Ausdifferenzierung angelegt ist. Über die Schulpflicht gibt es für die Schüler auch keine - 46 Möglichkeit, sich dem Rollenkonzept ‚Schüler’ zu entziehen. Dies fördert notwendigerweise die Bandbreite der Rollengestaltung bis hin zur Rollenablehnung. Die Bandbreite möglicher individueller Rollenausprägungen zeichnet K. Nölle nach. (vgl. Nölle, K. (1993)) Je nach der individuellen Rollenauslegung richten die Schüler auch ihre Erwartungen an die Schule und die Lehrer aus. (vgl. Nölle, K. (1993) exemplarisch S. 136-139, 155158) Nölles Untersuchung spart die Berufsschule aus. Durch die arbeitsmarktbezogene Leistungsselektion könnte es in Berufsschulklassen zu berufstypischen Allokationen von Rollenauslegungen kommen. Der Schulwechsel und der Übertritt in berufliche Sozialisationsinstanzen könnten aber auch zu einer individuellen Neuinterpretation der Schülerrolle führen. In ihrer Rolle verwenden Schüler Bewältigungsstrategien, um mit belastenden Unterrichtssituationen umgehen zu können. Häufig kommt es zur Vortäuschung von Interesse und zur Selbstverleugnung im Sinne einer „angepaßt- engagierte(n) Beteiligung“22 (Eder, F. (1987) S. 107)23. Entsprechende Verhaltensweisen können als Versuch gedeutet werden, die eigene personale Integrität und Identität zu schützen. (vgl. Werres, W. (1996) S. 17) Damit distanzieren sich die Schüler von der Schule und bilden eine pragmatische Bewältigungsrolle aus. (vgl. Werres, W. (1996) S. 25) Das ‚wahre Leben’ findet im privaten Bereich statt. 2.1.9 Schüler in gesellschaftlicher Perspektive Klagen über die Jugend von heute durchziehen die nachweisbare Geschichte der Menschheit. Sie gleichen sich und scheinen zeitlose Gültigkeit zu beanspruchen. Der immer gleiche Tenor zielt auf zunehmenden Sittenverfall, verbunden mit mangelnder Leistungs- bzw. Lernbereitschaft. (vgl. Keller, G. (1989) S. 94-95) Doch die Alten von heute waren die Jugend von gestern und die Jugend von heute sind die Alten von morgen. So wird der Sittenverfall zu einer Frage der Perspektive.24 Dabei stellt sich die Perspektive auf Kinder und Jugendliche als Defizitperspektive dar. Sie ent 22 Einfügung in Klammern durch Autor. 23 Eder unterscheidet vier Formen schulischer Bewältigungsstrategien von Schülern. Er ermittelt für Gymnasiasten am Ende der Sekundarstufe I: 36,3% für das Cluster ‚Beziehungsmanagement’; 23,9% ‚Mitarbeiten und Lernen’; 25,5% ‚Angepaßt-enga gierte Beteiligung’; 14,3% ‚Demonstratives Engagement’. (vgl. Eder, F. (1987) S. 107. 24 Keller, G. (1989) zeichnet ein sehr lesenswertes Bild über die Beschwerden über schlechte Schüler, angefangen im alten Ägypten quer durch die Geschichte bis in die jüngere Vergangenheit. - 47 hält Defizitelemente der mangelnden Vernunft, der mangelnden Sittlichkeit und der mangelnden Sozialisation in die Gesellschaft. (vgl. Harder, W. (2003) S. 10, 11) Je nach dem gesellschaftlichen Mangelfokus wird die Schule konstruiert, spiegelt möglicherweise trotzdem lediglich die gegenwärtige gesellschaftliche Situation wider und prägt die Jugendlichen dennoch für ihr ganzes Leben. (vgl. Harder, W. (2003) S. 10) Eine veränderte Pädagogik25 hingegen könnte die Schüler als fertige Menschen eigenen Rechts begreifen, die auf dem Weg ihrer persönlichen Entwicklung fortschreiten und dabei Unterstützung erfahren sollen. (vgl. Harder, W. (2003) S. 11) Hierfür ist es hilfreich, in die Perspektive der Schüler auf Schule, Unterricht und Lehrer Einblick zu nehmen. (vgl. Drews, U. (2003) S. 6-7) Die Perspektive der Schüler ist dabei ebenso einer rollentypischen Wahrnehmung unterworfen wie die Perspektive der Lehrenden. (vgl. Kenner, M. (2001) S. 305-307) Neben Rollentypen sind auch die unterschiedlichen Lebenswelten, Situationswahrnehmungen, Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten mögliche Ursachen für unterschiedliche Wahrnehmungen. (vgl. Fichten, W. (1993) S. 26-27) In der Schülerrolle eröffnen sich für die Jugendlichen mit dem Schulerfolg soziale Karrierechancen, die die Möglichkeiten ihrer Lebensentwürfe entscheidend beeinflussen. Umgekehrt gilt das gleiche. Schulversagen führt zur Revidierung und Reduzierung der ursprünglichen Lebensentwürfe. Dies kann für den Jugendlichen im Übergang von der Schule in das Erwerbsleben bis zum Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt führen. (vgl. Hurrelmann, K. u.a. (1986) S. 153-163) Schulversagen wird von den Jugendlichen als individuelles Versagen interpretiert. Die Institution Schule und auch das Leistungsprinzip werden kaum in Frage gestellt. (vgl. Hurrelmann, K. u.a. (1986) S. 155) Die Perspektive der Schüler ergibt sich in langer Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Sozialisationsinstanz Schule. Die gesellschaftliche Institution und der Leistungsmaßstab werden nicht in Frage gestellt und das Versagen der eigenen Person angelastet. Diese Zuschreibung kann durchaus ein Teil des schulischen Sozialisationsprozesses sein. Mit dem Integrationsziel von Schule tragen Gesellschaft, Schule und Lehrer als dominante Akteure im Sozialisationsprozess der Schule hohe Verantwortung für den Prozess, der ohne die Mitwirkung der Schüler an der Interaktion kaum stattfinden kann. In der schulischen Wechselbeziehung sind sowohl Schüler als auch Lehrer gestaltend an der Interaktion beteiligt. (vgl. Arbeitsgruppe (1980) S. 24-25) Es ist daher notwendig, beide Perspektiven – Schüler und Lehrer – zu betrachten, um einen 25 In diese Richtung wirkt die kritisch-kommunikative Didaktik. (vgl. Winkel, R. (1980) S. 79-93; Schäfer, K.; Schaller, K. (1976)) - 48 entwicklungsfördernden Interaktionsprozess gestalten zu können. (vgl. Arbeitsgruppe (1980) S. 46) - 49 2.2 Lehrer an beruflichen Schulen – Lehrerausbildung und Lehrerselbstverständnis 2.2.1 Forschungen zum Lehrerhandeln Einsiedler (vgl. Einsiedler, W. (2000)) fasst die Forschungsentwicklung von der Erziehungsstil- bzw. Unterrichtsstilforschung zur Unterrichtsqualität im Überblick zusammen. Gemeinsam ist beiden Forschungsrichtungen ihre Fokussierung auf das Lehrerverhalten als unabhängige Variable und das Schülerverhalten als abhängige Variable. Im Gegensatz zur Erziehungsstilforschung steht jedoch bei den Forschungen zur Unterrichtsqualität die Schulleistung im Mittelpunkt des Interesses, während die Erziehungsstilforschung soziale Fragen des Zusammenlebens in das Zentrum der Untersuchungen rückt. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 109) In der Erziehungsstilforschung werden Konzepte oder Grundüberzeugungen von Lehrern, die ihr Lehrerverhalten relativ beständig leiten, im Hinblick auf ihre Wirkung auf die Schüler untersucht. Die frühen Konzepte sind als Typenkonzepte in der Regel als antinomische Gegensatzpaare angelegt, so zum Beispiel dominativ versus sozialintegrativ26, autoritär versus demokratisch27. Später werden zwei- und dreidimensionale Modelle verwendet28, die in der Lage sind, die Dimensionen miteinander in Beziehung zu setzen und Abstufungen in den Merkmalsausprägungen deutlich machen können. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 110-114) Die Stilforschung kann als Prozessforschung gekennzeichnet werden, da sie die Wirkung von Verhaltensweisen auf den Prozessverlauf in den Vordergrund rückt. Thematisch halten die Studien den Spannungsbogen zwischen Zwang und Selbstbestimmung sowie Individualität und Solidarität. Damit stehen sie in der humanistischen Tradition des 19. Jahrhunderts und folgen den Spuren Pestalozzis und Humboldts. Ein Paradigmenwechsel vollzieht sich mit der Hinwendung zur Leistungsorientierung. Sie erfolgt in der Unterrichtsstilforschung mit Kategorisie 26 Anderson, H. H.; Brewer, J. E.; Reed, M F.: Studies of teachers’ classroom personali ties, III. Follow-up studies on the effects of dominative and integrative contacts to children’s behaviour, in: Applied Psychological Monographs, 11, 1946, S. 3-156, zitiert nach Einsieder, W. (2000) S. 110.27 Bei Tausch, R.; Tausch, A. (1965): autorikratisch versus sozialintegriert. Der Begriff ‚sozialintegriert’ wird von den Autoren als demokratische Verhaltensform inter pretiert (vgl. Tausch, R.; Tausch, A. (1965) S. 56); Tausch, R.; Tausch, A. (1971): Lenkung – Dirigierung versus Wertschätzung – Wärme – Zuneigung. 28 Tausch, R.; Tausch, A.-M (1971), Nickel, H. (1978) S. 32-43. - 50 rungen der Lehrereffektivität. Ein Vertreter dieser Richtung ist Flanders29, der Aussagen zum Lehrerverhalten in Verbindung setzt mit Aussagen zur Lehrstoffbeherrschung bei den Schülern. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 114-116) Vollends deutlich wird der Wechsel in der Unterrichtsqualitätsforschung. Hier dominieren Mittel-Zweck-Relationen. Lernzeit und Lernerfolg werden zueinander in Beziehung gesetzt. Entsprechend setzt Carroll30 (1963) Lernerfolg und Lernzeit in Relation, Bloom. (1973) Eingangsvoraussetzungen und Lernerfolg, Walbergs (1981) verwendet ein Produktivitätsmodell der Ökonomie31 und Weinert (Weinert, F. u.a. (1989)) verortet Unterrichtsqualität in Mustern von Instruktionsverhalten, die Vorhersagen zu Schulleistungen erlauben. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 114-119) Mit dem Paradigmenwechsel zur Leistungsorientierung geht der Perspektivwechsel von der Prozessorientierung hin zur Ergebnisorientierung einher. (vgl. Dick. A. (1994) S. 57-61) Bemerkenswert ist dabei, dass, möglicherweise aus forschungsmethodischen Gründen, kurzfristige kognitive Lernerfolge in das Zentrum der Forschung rücken. Selbstbestimmung, Selbstkonzept und soziale Verantwortung werden, wenn sie überhaupt Beachtung finden, einem erweiterten Qualitätskreis zugerechnet. (vgl. Einsiedler, W. (2000) S. 120) Problematisch an der kurzfristigen Leistungsorientierung ist, dass die Lernenden nicht im Hinblick auf das Verstehen des Lerngegenstandes lernen, sondern vielmehr lernen, adäquat auf die Anforderungen der Rahmenbedingungen der Lernsituation zu reagieren. Sie lernen der Anforderungssituation ‚Schule’ gerecht zu werden. (vgl. Aeschbacher, U. (1989) S. 24-25, 38-40) In diesem Zusammenhang muss auf die Problematik der Kontextabhängigkeit der Wissenselaboration und -reproduktion verwiesen werden. (vgl. Meer, E. (1996) S. 226-227) Der Gedanke, dass die Lernleistungen im Sinne von ‚Schule bewältigen’ nur in schuladäquaten Kontexten abrufbar und einsetzbar ist, ist nahe liegend. In gleicher Weise am Leistungsprinzip orientiert sind Forschungen zu Lehrerkognitions- und -entscheidungstheorien. Hier werden die Denk- und Entscheidungshintergründe des Lehrerverhaltens untersucht. Die Forschungen erstrecken sich auf die Unterrichtsvorbereitung, -durchführung 29 Vgl. Flanders, N. (1951), Flanders, N. (1970) S. 11-12, 376-427; Amidon, E.; Flan ders, N. (1967) S. 1-5, 77-85.30 Vgl. Carroll, J. B. (1963) S. 730.31 Es handelt sich um das Modell einer Produktionsfunktion. Statt ökonomischer Größen werden sieben Faktoren, die die Lernleistungen beeinflussen, für das Modell verwendet. Die Faktoren sollen dabei Alter und Neigung des Schülers sowie Umgebungsfaktoren abbilden. (vgl. Walbergs, H. (1981) S. 89-94) - 51 und -nachbereitung. Entsprechende Forschungen können in die Nähe der Kompetenzmodelle gerückt werden. (vgl. Dick, A. (1994) S. 67) Im Sinne dieser Ansätze konstruieren Lehrer Modelle der Unterrichtswirklichkeit und verhalten sich rational entsprechend ihrer Modelle. In der präaktiven Phase der Unterrichtsvorbereitung steht das Planungsverhalten zum Unterricht im Vordergrund. In der interaktiven Phase des Unterrichtens stehen Erläuterungen und Begründungen zu den Lehrerverhaltensweisen im Zentrum der Untersuchungen. In diese Forschungstradition ist auch die kognitivistische Expertenforschung einzuordnen, die mit dem Experten- Novizen-Modell Unterschiede in der Informationsverarbeitung als Ursache für Leistungsunterschiede ausmacht. (vgl. Dick, A. (1994) S. 67-71) Ansätze, die nicht dem Produkt-, sondern dem Prozessaspekt folgen, betrachten Unterricht als Interaktionsgefüge. Sie werden unter den Begriffen Klassenökologie oder subjektive Theorien subsumiert. Kennzeichnend für diese Ansätze ist, dass sie die Wechselwirkungen der Schüler-Lehrer-Interaktion berücksichtigen und damit die Passivierung der Schüler als empfangende Input-Output-Einheiten relativieren. (vgl. Dick, A. (1994) S. 63-66) In die gleiche Richtung gehen Ansätze, die die Komplexität von Unterricht hervorheben. Sie versuchen die vielfältigen soziokulturellen und anthropologischen Elemente und Rahmenfaktoren, die Unterricht beeinflussen können, als prozessrelevante Komplexitäten zu beschreiben. (vgl. Dick, A. (1994) S. 72-77) Fend (vgl. Fend, H. (2001)) stellt umfangreiche Forschungsergebnisse zum Lehrerhandeln aus mehreren seiner Studien vor. Er bindet das Lehrerhandeln in den Kontext des Bildungssystems ein, das er in Meso-, Makro- und Mikroebene gliedert. (vgl. Fend, H. (2001) S. 9-12) Er kommt aus produktorientierter Perspektive zu dem Schluss, dass die Lernleistungen der Schüler nicht wesentlich durch die pädagogische Haltung des Lehrers, die das Lehrerhandeln bedingt, beeinflusst werden. Vielmehr werden durch die Rahmenfaktoren der Makroebene, wie Lehrplan, Schulbücher etc., die Auswirkungen des Lehrerhandelns in eine Bandbreite gezwungen, so dass besonders gute und besonders schlechte Lehrerleistungen durch die Rahmenfaktoren verhindert werden. (vgl. Fend, H. (2001) S. 335-336) Bedeutsam ist die pädagogische Haltung des Lehrers hingegen aus prozessorientierter Perspektive. Sie ist bedeutsam für seine Wahrnehmung durch die Schüler, das pädagogische Klima in der Klasse und die Einstellung der Schüler zu einem Schulfach. (vgl. Fend, H. (2001) S. 300-306, 308-316) - 52 2.2.2 Berufswahl, Berufspraxis und berufliche Belastungen Die Berufswahl des Studiums zum Berufsschullehrer ist häufig eine „Entscheidung der zweiten Wahl“ (Gerdes, P. u.a. (1999) S. 34). Sie wird von den Arbeitsmarktchancen der ingenieurwissenschaftlichen Wunschfächer und den aktuellen Arbeitsmarktmöglichkeiten der Absolventen der beruflichen Schulen beeinflusst. Der Arbeitsmarkt für Berufsschullehrer unterliegt starken zyklischen Schwankungen, die in Zeiten des Lehrerüberangebots zu einer restriktiven Einstellungspraxis und in Phasen ohne bedarfsdeckendes Lehrerangebot zu Sonderprogrammen und Seiteneinsteigermöglichkeiten in den Berufschullehrerberuf führen. (vgl. Gerdes, P. u.a. (1999) S. 34-35, Faustmann, W. (1998) S. 7-8, Sommer, K. (1992) S. 14-16) Durch die mangelnde Polyvalenz des Studienabschlusses (vgl. Gerdes, P. u.a. (1999) S. 35-36) ergeben sich in Verbindung mit den zyklischen Schwankungen ihres beruflichen Arbeitsmarktes für die Studierenden erhöhte Marktrisiken, die die Attraktivität des Berufsschullehrerstudiums mindern. (vgl. Faustmann, W. (1998) S. 7-8) Inhaltlich stellt sich das Studienangebot im Vergleich zwischen den Universitäten als äußerst heterogen dar, so dass aus den differenten Konzeptionen eine verallgemeinerte Darstellung nicht möglich ist (vgl. Gerdes, P. u.a. (1999) S. 37, Bachmann, K. (1999) S. 113, Faustmann, W. (1998) S. 8-10). Die Berufswahlentscheidung der Studierenden hat, auch wenn sie nur eine zweite Wahl ist, deutlich ein bewusstes pädagogisches Zentrum. Dieser Schluss ergibt sich aus einer Befragung von Studierenden des Studiengangs zum Diplom-Handelslehrer, die als wichtigstes Studienwahlmotiv die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen angeben. (vgl. Sieger, B. (1994) S. 125) Da für Handelslehrer die Polyvalenz des Studienabschlusses gegeben und somit das Berufsrisiko geringer ist, darf bei der Berufswahlentscheidung für das grundständige Studium des gewerblich orientierten Berufschullehrers, dessen Berufswahlentscheidung aufgrund ihrer Univalenz32 ihn deutlich an schulnahe Berufe bindet, eine gleichartige, bewusst 32 Studierende der Ingenieurwissenschaften, die sich auf das Lehramt an gewerblichtechnischen Berufsschulen vorbereiten, schließen ihr Studium mit dem ersten Staatsexamen ab. Das Staatsexamen entfaltet seinen beruflichen Marktwert bei der Bewerbung auf einen Platz im Referendariat. Im Markt der ingenieurwissenschaftlichen Berufe allerdings scheint das Ingenieur-Diplom dem Staatsexamen überlegen. Studierende der Wirtschaftswissenschaften hingegen, die sich auf das Lehramt an kaufmännischen Berufsschulen vorbereiten, schließen ihr Studium als Diplom-Handelslehrer ab. Dieser Abschluss ist auch im kaufmännischen Arbeitsmarkt den Arbeitgebern vermittelbar, so dass sich für die Diplom-Handelslehrer ein kaufmännischer Arbeitsmarkt und ein schulnaher Arbeitsmarkt eröffnen. Eine entsprechende - 53 pädagogische, Motivation als gegeben angenommen werden. Eine ähnliche Motivation könnte auch den Seiteneinsteigern unterstellt werden. Sie geben zu zwei Dritteln an, vor dem Referendariat in ihrer beruflichen Tätigkeit mit pädagogischen Aufgabenstellungen Erfahrungen gesammelt zu haben. (vgl. Faustmann, W. (1998) S. 129) Im Beruf selbst prägen „die berufsbezogenen Lernziele, Themen und Medien, die schulischen und durch die Berufsausbildung bedingten Rahmenfaktoren sowie die sozio-kulturellen Voraussetzungen der Lernenden ... die Arbeitssituation der Lehrer“ (Bonz, B. (1995) S. 196). Hinzu treten heterogene antrophogene Voraussetzungen der Lernenden. Das zentrale schulische und berufliche Ziel der Lehrertätigkeit an beruflichen Schulen ist das Erreichen des Berufsabschlusses durch die Jugendlichen. Damit einher gehen beständige Veränderungen im Schulbetrieb. Durch die Wissensexplosion, die Veränderung betrieblicher Abläufe und die entsprechenden Anforderungen der Wirtschaft ergeben sich nicht nur für die Schüler bzw. Auszubildenden Veränderungen, auch die Anforderungen an die Lehrer unterliegen dem Wandlungsprozess. (vgl. Bachmann, K. (1999) S. 107-110) Die dezidiert geäußerten fachlichen Anforderungen führen zu einem Berufsverständnis als Fachexperten. Veränderungen des Schülerverhaltens hingegen werden häufig nicht als pädagogische Herausforderungen erkannt, so dass pädagogisches Denken eher vernachlässigt wird. (vgl. Bachmann, K. (1999) S. 116) Belastungen im Lehrerberuf ergeben sich zum Teil aus den persönlichen Voraussetzungen des Lehrenden und seinem Umgang mit den Anforderungen des Berufs. Sie ergeben sich jedoch ebenso aus den Rahmenfaktoren, die der Lehrende nicht beeinflussen kann. Für die Berufsschule treten neben die ‚üblichen’ Belastungen weitere hinzu. Hier sind exemplarisch Abstimmungsprozesse im dualen System, die sehr unterschiedlichen Anforderungen in den Schularten, fachfremder Unterrichtseinsatz, Heterogenität der Klassen und der Einsatz in Kurzfächern mit nur einer Wochenstunde zu nennen. Als besonders belastend werden heterogene Lerngruppen und Lerngruppen mit niedrigem Leistungsniveau empfunden. (vgl. Bachmann, K. (1999) S. 116-118, Vogel, H. u.a. (1996) S. 272-277) In diesem Zusammenhang interessant scheint, dass heterogene Lerngruppen und Lerngruppen mit niedrigem Leistungsniveau nicht als Anforderungen empfunden werden. (vgl. Bachmann, K. (1999) S. 118) Dieser Befund korrespondiert mit dem Berufsverständnis der Lehrer als Fachexperten, die pädagogische Anforderungen nur am Rande zu ihren Polyvalenz am Arbeitsmarkt ergibt sich für die Absolventen mit Staatsexamen nicht bzw. nur in sehr vermindertem Umfang. - 54 Aufgabengebieten zählen und vorwiegend den Berufsabschluss der Schüler als zentrales Ziel des Lehrerhandelns sehen. 2.2.3 Lehrerausbildung – Studium und Referendariat Die Lehrerausbildung in Deutschland ist durch eine Zweiphasigkeit gekennzeichnet. In der ersten Phase wird ein wissenschaftliches Studium in zwei Fächern sowie in Erziehungswissenschaften absolviert. In der zweiten Phase erfolgt im Referendariat eine berufsbezogene Vorbereitung auf das spätere Aufgabenfeld. Berufsbegleitend existiert die Möglichkeit zur Weiterbildung. Sie wird auch als dritte Phase der Lehrerbildung bezeichnet, ist jedoch in ihrem Entwicklungsstand im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Phasen deutlich defizitär. (vgl. Terhart, E. (2000) S. 23) In der ersten Ausbildungsphase dominiert, gestützt auf die staatlichen Prüfungsordnungen, die Fachausbildung für die Unterrichtsfächer.33 Die erziehungswissenschaftlichen Studieninhalte bleiben eher randständig und erlangen bei vielen Studierenden nur geringe Aufmerksamkeit.34 (vgl. Terhart, E. (2000) S. 28) Die zweite Ausbildungsphase35 im Referendariat schließt sich ohne systematischen Bezug an die erste Phase an und ist deutlich am Berufsfeld orientiert. (vgl. Terhart, E. (2000) S. 28) Allerdings droht diese Phase mit zunehmender Belastung der Referendare durch eigenständige Lehrtätigkeit ihren Ausbildungscharakter zu verlieren. Bei der Einmündung in den Beruf und in den ersten Berufsjahren schließlich ist der Lehrer auf sich selbst verwiesen. Einstiegsphase und Weiterbildung werden von den Lehrern und der Schuladministration „sträflich vernachlässigt“ (Terhart, E. (2000) S. 29). Gleichwohl muss ihnen aus berufsbiographischer Perspektive hohe Bedeutung für die Professionalität der Lehrer in ihrem Beruf zugemessen werden. (vgl. Terhart, E. (2000) S. 33) Der Zugang zur Lehrerausbildung erfolgt über verschiedene Wege. Als grundständig wird der Weg vom Abitur über ein reguläres Studium, ver33 Für das Lehramt an berufsbildenden Schulen umfasst das Studium 160 Semester wochenstunden. (vgl. Stratmann, K. (1994) Davon entfällt ein Anteil von 50% auf das Studium des ersten Fachs, das aus einer beruflichen Fachrichtung (für den ge werblich-technischen Bereich eine Ingenieurwissenschaft) zu wählen ist. (vgl. Pät zold,G.; Wortmann, E. (1999) S. 485) 34 Diese Problematik entspringt nicht notwendigerweise einem mangelnden Interesse der Studierenden. Merzyn (2005) zeigt vielmehr universitätsinterne Problematiken auf, die die Lehrerbildung zu einem „Stiefkind der Universitäten“ (Merzyn, G. (2005) S. 342) werden lässt. (vgl. Merzyn, G. (2005) S. 342-350) 35 Eine Darstellung der zweiten Ausbildungsphase für Baden-Württemberg findet sich in: Faustmann, W. (1998). - 55 bunden mit dem Referendariat bezeichnet. Daneben gibt es weitere Möglichkeiten, die unter dem Begriff ‚Seiteneinsteiger’ subsumiert werden. Seiteneinsteigerprogramme in unterschiedlicher Ausprägung sind häufig im Bereich der beruflichen Bildung anzutreffen. Hier ermöglichen sie es Studierenden mit Hochschulabschluss, durch ein erziehungswissenschaftliches Ergänzungsstudium den Zugang zum ersten Staatsexamen zu erlangen. Andere Seiteneinsteigerprogramme sehen einen Direkteinstieg in den Schuldienst vor, der in den ersten Berufsjahren durch ein ergänzendes erziehungswissenschaftliches Studium begleitet wird. Durch die enge Bindung der zweiphasigen Lehrerausbildung an staatliche Prüfungsordnungen und Staatsexamen ist sie stark an die staatlichen Strukturen der Bildungsverwaltung gebunden. (vgl. Terhart, E. (2000) S. 24) Damit unterliegt sie tagespolitischen Strömungen und Notwendigkeiten, so dass der wissenschaftliche Primat36, der für universitäre Studienabschlüsse kennzeichnend ist, in der Lehrerausbildung Gefahr läuft, dem politischen Primat37 zu weichen. Gleiches gilt in noch schärferer Form für die berufliche Praxis. (vgl. Heid, H. (1989) S. 112, 116-117, 119-124; Spies, W. (1989) S. 106-108; Prange, K. (1989) S. 134-137) Kritisch wird die zweiphasige vollakademische Lehrerausbildung im Vergleich zu ihren historischen Vorläufern, d.h. vor- bzw. teilakademischen Ausbildungsstrukturen, bewertet. Diese zeichneten sich zwar durch einen geringeren fachwissenschaftlichen Bezug aus, hatten jedoch einen höheren pädagogischen Studienanteil und knüpften über die Zugangsvoraussetzung einer abgeschlossenen Lehre direkt an das berufliche Tätigkeitsfeld der Schüler an. Mit der Akademisierung der Lehrerausbildung einher ging die Verdrängung der pädagogischen Studienanteile in die zweite Phase der Ausbildung. (vgl. Bonz, B. (2001) S. 94-97) In der ersten Phase dominieren die Fachwissenschaften, die über die jeweilige Fachdidaktik, die sich „in 36 Universitäten zeichnen sich durch ihr Recht auf Selbstverwaltung aus. Hierzu gehört auch die Festlegung der Curricula, die zum Erreichen eines akademischen Grades führen. Die Curricula selbst sind an die Wissenschaftlichkeit gebunden, d.h. sie sind dem wissenschaftlichen Wissen verpflichtet und führen den Studierenden zur Beherrschung seiner Disziplin. Dementsprechend bescheinigt die Universität in eigener prüfender Verantwortung mit der Verleihung des akademischen Grades dem Kandidaten seine Fähigkeiten in einer Disziplin. 37 Das schulische Bildungssystem ist Teil der staatlich-hoheitlichen Aufgaben und den Bundesländern zugewiesen. Über die Lehrerbildungsgesetze, die staatlichen Prüfungsordnungen für die Lehrämter wie auch über die quasi monopolartige Marktmacht bei der Einstellung von Lehrern gelingt es staatlichen Institutionen im Sinne ihrer Eigeninteressen in die wissenschaftliche Selbstverwaltung der Lehrerbildung seitens der Universitäten einzugreifen. - 56 einem desolaten Zustand befindet“ (Pukas, D. (1992) S. 321), an die Pädagogik angebunden sind. Die Pädagogik selbst hat nach Rahmenvorgabe der KMK einen Anteil von 30 Semesterwochenstunden an einem Studium von 160 Semesterwochenstunden. (vgl. KMK (1995) S. 2) Der geringe Umfang erziehungswissenschaftlicher Studieninhalte verlagert die pädagogische Ausbildung in das Referendariat, die zweite Phase der Lehrerausbildung. Dort werden die pädagogischen Inhalte von ausgewählten Schulpraktikern ohne wissenschaftliche Überprüfung festgelegt, so dass die Curricula organisatorisch und inhaltlich sehr heterogen sind. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 73, 75-77) Gleichzeitig ist ein Druck in Richtung auf eine Praxisorientierung der pädagogischen Inhalte von Seiten der Schule und der Schuladministration im Sinne bewährter und tradierter Techniken festzustellen. Von schuladministrativer Seite kommt darüber hinaus ein Drängen auf die Vermittlung von schul- und beamtenrechtlichen Kenntnissen hinzu. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 79-80) Durch die organisatorische Einbindung der Studienseminare der Lehrerausbildung in den Verantwortungsbereich der Schuladministration verschafft sich die Administration durch Regelungen, Anweisungen, Verbote etc. Geltung, so dass wissenschaftliche und pädagogisch sinnvolle Ausbildungselemente Gefahr laufen, durch administrative Vorbehalte konterkariert zu werden. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 80-83) Gegenwärtig werden von schuladministrativer Seite Referendare immer stärker zu selbständigem Unterricht verpflichtet. Jedoch ist unter dem Druck der Notwendigkeit zu selbständigem Unterricht die Entwicklung der pädagogischen Reflexionsfähigkeit der Referendare durch didaktischmethodische Analyse-, Übungs- und Reflexionssituationen kaum mehr zu leisten. (vgl. Bonz, B. (2001) S. 94-97) Damit läuft die pädagogische Entwicklung der Referendare Gefahr, sich zunehmend auf die autodidaktischen Fähigkeiten der Referendare zu stützen. Das Referendariat schließt mit einer Abschlussprüfung, die aus den Prüfungsteilen Hausarbeit, je einer Lehrprobe im ersten und zweiten Unterrichtsfach sowie einer mündlichen Prüfung besteht. Die Noten des Referendariats bilden zusammen mit den Noten des Studienabschlusses die Einstellungskriterien für den Schuldienst. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 90) Allerdings scheinen sie nur Tendenzaussagen über die unterrichtlichen Alltagsfähigkeiten der Lehrer machen zu können. Neben der allgemeinen Fragwürdigkeit von Noten im Hinblick auf messtheoretische Anforderungen variieren die Prüfungskriterien, die zur Beurteilung von Lehrproben herangezogen werden, sehr stark. Sie reichen von der freien Beurteilung über unsystematische Kriterienkataloge bis hin zu systematischen Kriterienkatalogen, die sich auf das Berliner Modell stützen oder sich am Interaktionsprozess orientieren. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 91-100) - 57 Darüber hinaus gelten Lehrproben als unechte Schulwirklichkeiten. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 92) Ebenso entsprechen Universitätsprüfungen bzw. Hausarbeiten in ihrer Konzeption keineswegs den realen Arbeitserfordernissen unterrichtlicher Praxis. In die gleiche Richtung weisen die Aussagen der Referendare, die Selbstlernprozessen aus ihrer eigenen Praxis während des Referendariats zu 74% ‚viel’ und zu 16% ‚mittleren’ Einfluss auf ihre Entwicklung zumessen. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 134, 140) Gerade die Selbstlernprozesse setzen sich über das Referendariat hinaus fort. Zur Einschätzung der Selbstlernprozesse muss allerdings einschränkend auch erwähnt werden, dass möglicherweise eine Überschätzung vorliegt. Dies ist dem Phänomen geschuldet, dass von Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Anwendung ohne Überlegung Gebrauch gemacht wird. Es fallen lediglich die Lücken auf, die den Gebrauch erschweren oder zu einem Problem werden lassen. So erscheinen vergangene Lernsituationen häufig als Defizitsituationen, da die positiven Lernerfolge mittlerweile zum selbstverständlichen Repertoire des Anwenders gehören. (vgl. Beck, K. (1992) S. 197-198) 2.2.4 Rahmenfaktoren des Unterrichtens Für das Wohlbefinden der Lehrer in der Schule spielen die schulischen Rahmenfaktoren eine Rolle. Hohe organisatorische und soziale Belastungen sowie eine starke Reglementierung wirken negativ auf ihr Wohlbefinden. Als starke Reglementierungen empfundene Belastungen führen auch zu einer geringeren Schülerorientierung des Unterrichtes. (vgl. Fend, H. (2001) S. 56-58) Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Befund, dass positive pädagogische Grundhaltungen von Lehrern sich in der Praxis, wenn sie auf Schwierigkeiten stoßen, relativ rasch ändern. (vgl. Fend, H. (2001) S. 316) Damit könnten die vor Ort praktizierten schulorganisatorischen Rahmenfaktoren eine Leitfunktion für die pädagogischen Grundhaltungen der Lehrer ausüben. (vgl. Fend, H. (2001) S. 335-336) Die pädagogische Freiheit der Lehrer im Unterricht wird durch verschiedene Faktoren begrenzt. Sie reichen von Gesetzen, Verordnungen, Beschlüssen des Kollegiums bis hin zu Weisungen des Schulleiters. (vgl. Ulich, K. (1996) S. 20-21) Für die konkrete Arbeit besonders bedeutsam sind die curricularen Vorgaben der Lehrpläne und die Pflicht, Schülerleistungen zu benoten. Der Unterricht präsentiert sich den Lehrern als Bündelung diverser Teilaufgaben. Inhalte werden unter Berücksichtigung von Schülerbeiträgen dargestellt, Zeitrahmen eingehalten, Schüler beobachtet und zur Notenfindung bewertet, gleichzeitig Interesse und Mitarbeit der Schüler gefördert, Unterrichtsstörungen beseitigt, Probleme der - 58 Schüler untereinander moderiert und in ihrer Wirksamkeit auf den Unterricht minimiert. (vgl. Ulich, K. (1996) S. 23-24) Vor diesem Hintergrund verfolgen Lehrer im Unterricht Bildungs- und Erziehungsziele. Durch ihre fachwissenschaftliche Ausbildung sind sie auf die Erreichung der Bildungsziele vorbereitet und werden hierin durch Curriculum und Notengebung administrativ unterstützt. Die soziale, zwischenmenschliche und erzieherische Seite des Lehrerberufs wird jedoch in Studium und Referendariat kaum vermittelt und auch im Schulalltag häufig vernachlässigt. (vgl. Ulich, K. (1996) S. 28-29, 36, 38-39) Es ist daher kaum verwunderlich, dass drei Viertel der Lehrer ihr erzieherisches Handeln an unterrichtsfunktionalen Zwecken orientieren (vgl. Ulich, K. (1996) S. 40-44) und von den Schülern auch so wahrgenommen werden. (vgl. Wagner, H. (1981) S. 108-109) Damit einher gehen die Lehrerempfindungen, die mangelnde Disziplin, Fähigkeiten und Lernmotivation der Schüler als Belastungsfaktoren ihres Berufes charakterisieren, welche für die Lehrer Elemente beruflicher Unzufriedenheit darstellen. (vgl. Vogel, H. u.a. (1996) S. 274) 2.2.5 Berufliches Rollenverständnis von Lehrern Dick (1994) stellt zwei Konzeptionen zur Lehrerauffassung von Unterricht gegenüber. Er bezeichnet sie als ‚kulturell-gemeinschaftliche’ und als ‚individuell-assimilatorische’ Konzeptionen. Die kulturell-gemeinschaftliche Konzeption ist eine individualistische Position38, die Schüler in ihrer Entwicklung zur Eigenständigkeit fördern will. Demgegenüber ist die individuell- assimilatorische Konzeption eine gesellschaftsorientierte Konzeption, die Schüler in gesellschaftliche Positionen einweisen will. (vgl. Dick, A. (1994) S. 343-347) Er stellt fest, dass sich in den Aussagen von Expertenlehrern deutlich kulturell-gemeinschaftliche Konzeptionen wieder 38 Zwar klingt der Begriff ‚kulturell-gemeinschaftliche Konzeption’ zunächst begrifflich nicht nach einer individualisierenden Position, doch führt Dick für diese Position aus, dass sie „dem Schüler Selbstvertrauen ermöglicht, positiv auf seine Umwelt einwirken zu können.“ (Dick, A. (1994) S. 344) Er grenzt hierzu die ‚individuellassimilatorische’ Position dahingehend ab, dass diese „utilitaristisch auf die Ausübung einer ganz bestimmten Position innerhalb der Gesellschaft ausgerichtet ist.“ (Dick, A. (1994) S. 344) Damit verwendet Dick einen Spannungsbogen zwischen Ich und Gesellschaft ähnlich dem Gegensatz zwischen Humanismus und Philanthropen. Humboldt, stellvertretend benannt für die Humanisten, sieht in der Ausbildung der Individualität die Grundlage für die Entwicklung der Gemeinschaft (vgl. Reble, A. (1993) S. 193-194), während für die Philanthropen die Gemeinschaft, durch die praktische Gewandtheit des Einzelnen, die sich in Erwerbssinn und Berufstüchtigkeit ausprägt, gefördert wird (vgl. Reble, A. (1993) S. 160-161). - 59 finden lassen, die sich an den Lernprozessen und Lernaktivitäten der Schüler orientieren sowie deren Perspektiven berücksichtigen. (vgl. Dick, A. (1994) S. 349-352) Ähnlich wie Dick stellt Faßhauer (1997) zwei Selbstbilder, im Sinne von Selbstverständnis, für Berufsschullehrer gegenüber. Dies ist zum einen das Selbstverständnis als helfender Pädagoge bzw. sozial engagierter Professioneller und zum anderen das des Fachwissenschaftlers39 bzw. unterrichtenden Ingenieurs. Mit dem Typus des helfenden Pädagogen ist Einfühlungsvermögen und Klientenorientierung verbunden, die mit einer Nachrangigkeit der Fachwissenschaften einhergeht. Demgegenüber hat beim Typus des Fachwissenschaftlers die Fachwissenschaft Vorrang und pädagogische Methoden haben den Charakter rationalistischer, standardisierbarer Problemlösetechnologien. (vgl. Faßhauer, U. (1997) S. 64, 117118) Tendenziell meint Faßhauer den Rollentypus des helfenden Pädagogen eher bei grundständig Studierten anzutreffen, insbesondere bei Studierten mit nichtaffinem sozial-kulturellem Zweitfach. Der Typus des Fachwissenschaftlers ist demgegenüber eher bei Lehrern zu finden, die über die Ingenieur- oder Wirtschaftswissenschaften in den Lehrerberuf eintreten. (vgl. Faßhauer, U. (1997) S. 64) Das Selbstverständnis entwickelt sich jedoch nicht allein durch die Ausbildungswege der Lehrer. Auch Sozialisationseffekte der Berufsgruppe, des Kollegiums und der vorgefundenen Rahmenfaktoren spielen eine Rolle. (vgl. Faßhauer, U. (1997) S. 65, 120) In die gleiche Richtung wie die Konzeptionen der Lehrerauffassungen deuten implizite Persönlichkeitstheorien. Sie verknüpfen die Wahrnehmungen von Situationen und Personen mit den vorhandenen Erwartungen, so dass die Erwartungserfüllung die späteren Handlungen leitet. (vgl. Schweer, M.; Thies, B. (2000) S. 61) Es ergibt sich eine Art selbsterfüllender Prophezeiung. Erwartungen werden zum Maßstab, Schüler werden an dem Maßstab geprüft, Erwartungskategorien zugeordnet und entsprechend der Handlungsroutine, die der Erwartungskategorie zugeordnet ist, behandelt. Aus der Schülerreaktion entsteht eine Bestätigung der Erwartung, und die Spirale setzt sich fort. Es ergibt sich der ‚Pygmalion- Effekt’ (nach Rosenthal, R.; Jacobson, L. (1992)). (vgl. Schweer, M.; Thies, B. (2000) S. 61-66) Folgt man diesem Modell, scheinen sich die handelnden Personen unausweichlich in determinierten Reiz-Reaktions- Folgen zu verfangen, die dem Potential menschlicher Verhaltensmöglichkeiten nicht gerecht werden. 39 Die Unterrichtspraxis des Fachmanns skizziert Bonz, B. (1992) S. 99-104. - 60 Deutlich weitere Ansätze präsentieren Modelle, die die Lehrerrolle thematisieren. Jenewein (1994) zeichnet die Ansätze von Spanhebel40, Brechmacher41 und Widmer42 nach, die die Rollenproblematik für berufliche Schulen diskutieren. Es wird deutlich, dass erst durch die Verknüpfung der Rollenteile in der Berufsrolle unter Verbindung mit dem Selbstverständnis der Person die individuelle Rollenauffassung entsteht. Diese wiederum wird in der konkreten Interaktion mit den Schülern ausgestaltet bzw. lebendig. Über die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler wird die jeweilige Rolle beider ein Konstrukt, das erst in ihrer Interaktion entsteht. Dabei liegen die Gestaltungsgrenzen in den jeweiligen Möglichkeiten, die die Rollenauffassungen der Akteure zulassen. (vgl. Jenewein, K. (1994) S. 3747) Rahmen gebend für die Möglichkeiten der Rollenausgestaltung sind dabei die schulstrukturellen und -rechtlichen Gegebenheiten. (vgl. Faßhauer, U. (1997) S. 65, Ulich, K. (1996) S. 20-21) Ebenso Rahmen gebend, wie auch Veränderungen intendierend, sind berufliche sowie gesellschaftliche Anforderungen in den künftigen Arbeits- und Lebenswelten der Schüler und die sozio-kulturellen und anthropogenen Voraussetzungen der Schüler. (vgl. Faßhauer, U. (1997) S. 121-124) Neben der Rolle des ‚normalen’ Lehrers bzw. Fachlehrers muss an dieser Stelle auf die besondere Rolle des Klassenlehrers hingewiesen werden. Vordergründig betrachtet, ist die Funktion des Klassenlehrers ein staatlich per Gesetz und Erlass geregeltes Amt mit administrativer Funktion. Tatsächlich gehen die Aufgaben und Möglichkeiten des Klassenlehrers über diese Funktion deutlich hinaus. Die Klassenlehrerrolle ist eine Rolle, die den Lehrer über die unterrichtlichen Funktionen herausführt und ihn in die Rolle einer Bezugsperson, der intensivsten Form pädagogischer Beziehungen, lenkt. Damit ergeben sich Möglichkeiten eines sozialen Handlungsrahmens außerhalb direkt unterrichtlicher Intentionen. (vgl. Gudjons, H. (1997) S. 24-39) 40 Vgl. Spanhebel, D. (1981), dort besonders S. 116-119. 41 Brechmacher u.a. untersuchen Verwertungsmöglichkeiten beruflicher Qualifikationen und skizzieren als Zugriffsmöglichkeit zur Einschätzung der beruflichen Situation drei Problembereiche. Einen Problembereich skizzieren sie als rollenspezifische Handlungskompetenz und berufliche Identität. (vgl. Brechmacher, R. u.a. (1980) S. 237) 42 Vgl. Widmer, K. (1982), dort besonders S. 95-99. - 61 2.2.6 Wirkung des Lehrerrollenverständnisses auf die Unterrichtspraxis Ein wesentlicher Teil des Rollenverständnisses von Lehrern sind ihre pädagogischen Haltungen. Die pädagogischen Haltungen, die auch als Menschenbilder, Erziehungsstile oder Einstellungen bezeichnet werden, stellen Grundüberzeugungen der Lehrer dar. An ihnen orientiert sich in der konkreten Unterrichtssituation das Lehrerverhalten. In der Literatur werden pessimistische und idealistische pädagogische Menschenbilder einander gegenübergestellt. Pessimistische Menschenbilder sind gekennzeichnet durch Vorstellungen, die den Menschen als zum Schlechten hin tendierend sehen und daraus Ordnungs-, Hierarchie- und Leitungsansprüche ableiten, um das Gute zu bewirken. Sie legitimieren die Autorität des Lehrenden und rechtfertigen Druck- und Zwangsmaßnahmen.43 Idealistische Menschenbilder sehen den Menschen als vernunftbegabt und zur Selbstbestimmung fähig. Die Autorität des Lehrenden wird hier mit der Absicht legitimiert, den Schülern Möglichkeiten zu ihrer Selbstentfaltung zu eröffnen. Druck und Zwangsmaßnahmen werden jedoch äußerst skeptisch betrachtet. (vgl. Fend, H. (2001) S. 280-286) Die pädagogischen Haltungen der Lehrer zeigen sich auch in ihrer Praxis. Sie wirken sich auf das pädagogische Verhältnis zu den Schülern aus und werden von den Schülern auch wahrgenommen. (vgl. Fend, H. (2001) S. 295-300) Sie prägen die persönliche Entwicklung der Schüler, ihre Einstellungen zur Lehrkraft und zum Unterrichtsfach. (vgl. Fend, H. (2001) S. 294, 300, 305, 310, 314-316, 352, 370-371) Die Haltungen bzw. pädagogischen Menschenbilder der Lehrer sind in ihrer Wirkung für die Lernerfolge der Schüler im Sinne von Wissen und Können nicht signifikant, da sie von den Rahmenfaktoren des Unterrichtens, wie Rahmenlehrplan, Lehrbuch etc., in Bandbreiten gehalten werden. (vgl. Fend, H. (2001) S. 335-336) In ihrer Wirkung auf die Entwicklung der Persönlichkeit der Schüler sind sie jedoch signifikant. (vgl. Fend, H. (2001) S. 294) Im Gegensatz zu realistisch-negativen Lehrerhaltungen gelingt es idealistischhumanistischen Lehrerhaltungen deutlich besser, die Persönlichkeitsentwicklung hin zu einer selbstbewussten Persönlichkeit der Schüler zu fördern. (vgl. Fend, H. (2001) S. 292-295) Auch die Leistungsangst wurde von den Schülern bei idealistisch-humanistischen Lehrern als geringer empfunden. Erklärt wurde dies mit geringeren Leistungsanforderungen der Lehrer mit idealistisch-humanistischen Lehrerhaltungen. Der Zusammenhang von geringen Leistungsanforde43 Eine Vielzahl von Beispielen aus dem 18. und 19. Jahrhundert bei: Rutschky, K. (1997). - 62 rungen und idealistisch-humanistischen Lehrerhaltungen wurde allerdings aus dem Umfang des Lernens außerhalb der Schule im Sinne von Hausaufgaben gefolgert, deren Umfang bei Lehrern mit idealistisch-humanistischen Lehrerhaltungen geringer ist als bei Lehrern mit realistisch-negativen Lehrerhaltungen, so dass die Leistungsanforderungen aus dem Umfang der Hausaufgaben erschlossen wurden. (vgl. Fend, H. (2001) S. 294295) Später zeigt Fend jedoch, dass zwischen Druckorientierung, die mit umfangreichen Hausaufgaben einhergeht, und Leistung der Schüler kein Zusammenhang zu erkennen ist. (vgl. Fend, H. (2001) S. 312-314) - 63 3 Blickwinkel auf die Qualität des Lehrerhandelns 3.1 Expertenforschung und Lehrerhandeln 3.1.1 Historische Entwicklung der Expertenforschung Der Ursprung der Expertenforschung wird in De Groots Forschung ‚Thought and choice in chess’ (Groot, A. (1965) gesehen.44 Sein Experiment ist dann teilweise von Chase und Simon (Chase, W.; Simon, H. 1973a und 1973b) wiederholt45 worden. Es handelt sich um Untersuchungen, die den Unterschied zwischen sehr guten und weniger guten Schachspielern erklären sollen. Dafür wurden den Probanden Schachbretter mit Figurenkonstellationen vorgelegt, die sie jeweils fünf Sekunden betrachten konnten und anschließend reproduzieren sollten. Das verwendete Leistungskriterium war die Anzahl der notwendigen Betrachtungen, die zur korrekten Reproduktion notwendig war. (vgl. Chase, W.; Simon, H. 1973b S. 5759) Das Forschungsdesign der vergleichenden Untersuchung guter und weniger guter Probanden wurde auf verschiedene Gebiete übertragen und führte zu vielfältigen Studien. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 17-18) Ein Übertrag der Forschungsergebnisse zwischen den Forschungsbereichen scheint jedoch problematisch. Die Generalisierung der Ergebnisse und der Übertrag auf andere Probleme sind durch die Bereichsspezifizität der 44 De Groot interessiert sich für die Denkprozesse der Schachspieler, während diese sich für einen Zug entscheiden. Dazu legt er ihnen reale Schachkonstellationen vor, fordert sie auf sich für einen Zug zu entscheiden und bittet die Spieler während der Entscheidung gleichzeitig laut zu Denken. (vgl. Groot, A. (1965) S. 96) Daneben gibt es weitere Experimente, die Aspekte des Entscheidungsprozesses untersuchen sollen. (vgl. Groot, A. (1965) S. 97-98) Die Ergebnisse der Experimente legen De Groot nahe, dass Experten auf einem anderen Niveau denken als weniger gute Schachspieler, und er formuliert daraus ein Experiment, dass die ersten Sekunden des Denkprozesses in den Fokus der Untersuchung führt. In Anlehnung bzw. Abwandlung eines russischen Experiments zeigt er den Probanden Schachkonstellationen für wenige Sekunden, die diese anschließend reproduzieren. (vgl. Groot, A. (1965) S. 321-334) 45 Chase und Simon möchten das Phänomen des Chunkings untersuchen. Unter dem Begriff ‚Chunking’ wird die Möglichkeit verstanden, Informationen in der Form von zusammengehörigen Informationsblöcken zu erfassen. So lässt sich zum Beispiel eine lange Telefonnummer (83574129) einfacher merken, wenn sie nicht in der Form der ganzen Zahl oder als Summe von Ziffern betrachtet wird, sondern in Zahlenblöcke gegliedert wird (83 574 129). Für das Schachexperiment kommen Chase und Simon zu dem Schluss, dass Schachexperten größere Chunkeinheiten bilden, und sie sehen auch Anzeichen dafür, dass diese Chunks nach anderen Kriterien organisiert sind als die der schwächeren Spieler. (vgl. Chase, W.; Simon, H. 1973b S. 80) - 64 Wissensstrukturen und domänenspezifische Aneignungsmethodiken für das Expertenwissen ungewiss. (vgl. Charness, N. (1991) S. 58-60, Chase, W.; Simon, H. (1973a) S. 278-279) 3.1.2 Expertenbegriff In der Expertenforschung sind zwei unterschiedliche Forschungsrichtungen erkennbar. Die eine ist die Untersuchung von absoluten individuellen Spitzenleistungen innerhalb eines Fachgebietes. Es werden die Ursachen für die Entstehung der Spitzenleistung gesucht. Experten werden hier als Spitzenkönner definiert. Die andere Forschungsrichtung untersucht die Struktur des Expertenwissens. In dieser Forschungsrichtung werden als Experten Personen bezeichnet, die eine ausgewiesene überlegene Leistung in ihrem Fach erbringen. Beiden Forschungsrichtungen gemeinsam ist der Vergleich von Expertenleistungen mit Nicht-Expertenleistungen. Beide zielen darauf ab, den Zusammenhang zwischen Wissen und Leistungserstellung zu ergründen. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 35-39) Das Forschungsdesign der Expertenforschung verwendet duale Abgrenzungsmuster. Zum einen gibt es das Abgrenzungsmuster Experte- Novize. Der Novize ist Anfänger auf dem Fachgebiet des Experten. Seine Leistungsfähigkeit wird von der des Könners seines Faches abgegrenzt. Zum anderen gibt es das Abgrenzungsmuster Experte-Laie. Hier wird die Leistung eines Experten von der Leistung eines Fachfremden abgegrenzt. Der Unterschied zwischen Novize und Laie besteht darin, dass der Novize sich in das Fach einfinden will, während der Laie nur einem Problem gegenübersteht, das dem Fachgebiet des Experten zugeordnet ist, ohne jedoch die Absicht zu haben, in das Fachgebiet des Experten einzudringen (vgl. Hesse, H. (1998) S. 7). Auch innerhalb eines Fachgebietes kann eine Tendenz zur inneren Differenzierung bzw. Spezialisierung zur Abgrenzung von Expertisen verwendet werden. Ein Experte seines Faches kann in Teilgebiete seines Faches noch tiefer eindringen als seine Expertenkollegen. Er spezialisiert sich in diesem Teilgebiet. So nimmt er im Vergleich zu seinen (Experten-)Kollegen auf diesem Fachgebiet eine Sonderrolle ein. Er wird auch im Vergleich mit seinen Kollegen zu einem Experten seines Teilfachgebietes. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 33) Die Abgrenzung zwischen Experten, Novizen und Laien ist immer eine relative Abgrenzung. Sie ergibt sich aus der fachlichen Relation der betrachteten Personen zueinander. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 33) Es ist allerdings auch eine Abgrenzung der Erwartungshaltungen. Der Laie hat ein Problem und vermutet, mit Hilfe des Experten eine Lösung seines Problems erreichen zu können. Es liegt eine Fremdzuschreibung der Fachlich - 65 keit vor. Umgekehrt kann auch der Experte von sich behaupten, Probleme für den Laien auf seinem Fachgebiet lösen zu können. Er reklamiert den Expertenstatus auf dem Wege der Selbstzuschreibung für sich. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 35) In gleicher Weise bedeutsam wie die Problematik der Selbst- und Fremdzuschreibung ist, dass die Expertenleistung an die untersuchte Leistung bzw. Tätigkeit gebunden ist. So können unterschiedliche Vorbildungen mögliche Grundlagen für die Expertenleistung sein. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 13) Für die Expertenforschung bedeutet dies, dass es keine allgemein verbindlichen Auffassungen zum Expertenstatus innerhalb der Forschung gibt. Deshalb sind Vergleiche zwischen den verschiedenen Untersuchungen schwierig. (vgl. Ziegler, A. (2000) S. 453, Gruber, H.; Ziegler, A. (1996) S. 8-9) Neben den Problemen der Abgrenzung möglicher Expertenstufen innerhalb einer Rangreihe, der Selbst- und Fremddefinition des Expertenstatus sowie der möglichen Abgrenzung über die Vorbildung des Experten gibt es ein grundsätzliches Definitions- oder Zuschreibungsproblem. Es ist die Frage nach den Zuschreibungskriterien, die eine ordnende Rangfolge von Personen erst ermöglicht. Welche Kriterien sollen zur Leistungsmessung und damit zur Festlegung der Rangfolge der Experten herangezogen werden? Für den Lehrerberuf können vier Kriterienmodelle unterschieden werden, die Zuschreibung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Zuschreibung von theoriebasiertem Prinzipienhandeln, die Zuschreibung von kritischen Analysefähigkeiten und die Zuschreibung von bewusst erwägenden Handlungen. Bei der Zuschreibung von Fähigkeiten und Fertigkeiten liefert ein entsprechender Katalog die Kriterien zur Auswahl und Rangstufung von Experten. Die Zuschreibung der Expertise nach theoriebasierten Prinzipien erfordert den Übertrag genereller Prinzipien auf konkrete Situationen als Leistung des Experten. Bei der Zuschreibung der Expertise durch kritische Analysefähigkeiten muss der Experte in der Lage sein, eine Situation mit Hilfe eines Analyserasters zu prüfen und zu interpretieren. Schließlich fordert die Zuschreibung der Expertise mit Hilfe von bewusst-erwägenden Handlungen vom Experten ebenfalls eine theoriegeleitete Prüfung der Situation. Zusätzlich wird hier allerdings eine Interdependenz zwischen Theorie und Situation unterstellt, so dass die Expertise erst aus der Handlungserfahrung entsteht. (vgl. Dick, A. (1994) S. 140-147) Allen Positionen gemeinsam ist die Zuschreibung der Expertise über eine Wissensbasis. - 66 3.1.3 Mensch und Gesellschaft als Rahmen der Expertenforschung Die Expertenforschung schwankt in ihrer Erklärung besonderer Leistungsfähigkeit zwischen Begabungs- und Lernansätzen. (vgl. Ziegler, A. (2000) S. 454) Immer mehr neigt sie jedoch den Lernansätzen zu und erklärt auch bemerkenswerte körperliche Leistungsfähigkeit, die besonders umstritten ist, aus der Anpassung des Körpers an spezifische Trainingssituationen. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 28-30) So ergibt sich ein Menschenbild, das den Menschen als entwicklungsfähiges Wesen wahrnimmt. Gleichzeitig ist es ein individualistisch-kognitivistisches Menschenbild. Individualistisch ist es notwendigerweise, da die Expertenforschung Spitzenleistungen von anderen Leistungen abgrenzen will. Individualistisch ist es aber auch, da es die Entwicklung von Expertenleistungen auf die Motivation, die Bereitschaft des Lernenden zu konzentrierter Übung, zurückführt. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 25, 34) Die entsprechenden Übungen werden als besonders wirksam beschrieben, wenn der Lernende sie in Einzelübung durchführt. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 20-21, 27, 34) Kognitivistisch ist es, da es die Übungen zur Entwicklung der Expertenleistung nur als Erfolg versprechend kennzeichnet, wenn der Lernende seine Übungen kognitiv überwacht. Auch wird die Expertenleistung selbst als kognitive Leistung verstanden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 18, 24, 34) Ebenso kognitiv muss der Lernende seine Motivation auf zukünftige Erfolge richten und für die konzentrierten Übungsphasen auf andere, möglicherweise angenehmere Beschäftigungen in der Gegenwart verzichten. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 25-27) Für die Expertenforschung bietet die Gesellschaft den Vergleichsrahmen für die Expertenleistungen. Nur im Vergleich mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft kann die besondere Leistungsfähigkeit eines Experten ermittelt werden. Naturwissenschaftliche Maßstäbe sind lediglich Hilfsmittel, um relative Leistungsunterschiede zwischen Konkurrenten ermitteln zu können. Damit gibt es für die Expertenleistung keinen Maßstab, der außerhalb der menschlichen Gesellschaft liegt. Die gesellschaftlichen Möglichkeiten determinieren auch die Rahmenbedingungen zur Entwicklung von Expertise. In den gesellschaftlichen Möglichkeiten liegen limitierende Faktoren für die Förderung von Spitzenleistungen. Mögliche Grenzen ergeben sich aus den verfügbaren ökonomischen Ressourcen wie auch aus unzureichendem Kenntnisstand über die notwendigen Förderschritte zur Entwicklung von Spitzenleistungen. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 20, 31-33) - 67 3.1.4 Forschungsdesign der Expertenstudien Untersuchungen zu Experten gibt es in den unterschiedlichsten Fachrichtungen. Für die wissenschaftliche Betrachtung des Phänomens sind drei Bedingungen grundlegend, die Zuverlässigkeit der Beobachtbarkeit, die Reproduzierbarkeit der Leistung und die Messbarkeit der Leistung. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 2-3) In vielen Disziplinen sind diese Bedingungen gegeben, insbesondere im Sport und in Bereichen der physischen Leistungserstellung. Andere Bereiche bereiten der Forschung aus methodischer Perspektive mehr oder weniger große Probleme. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 3-8) Die Grundlage für den Leistungsvergleich zwischen Experte und Novize eines Fachgebietes bildet eine Analyse der Anforderungen und Ziele im gewählten Forschungsbereich. Bei der Problemanalyse können gut definierte und schlecht definierte Problemstrukturen unterschieden werden. In gut strukturierten Problemstrukturen lassen sich richtige Lösungen ermitteln. Sie bilden das Gütekriterium für den Vergleich. Bei schlecht definierten Problemen lassen sich keine eindeutigen Lösungen ermitteln. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 40) Schlecht definierte Probleme treten häufig bei der Betrachtung von menschlichen Interaktionssituationen zu Tage. Hier können keine eindeutigen Lösungen vorgegeben werden. Die Analyse der Anforderungen durch den Forscher (vgl. Bromme, R. (1992) S. 40) ist entscheidend. Die Problemwahrnehmung des Forschers legt dann das Gütekriterium für die Leistung fest. Das experimentelle Vorgehen der Expertenforschung ist der Best- versus Inferior-Vergleich. Die Leistungen von Experten werden dabei mit weniger guten Leistungen anderer auf diesem Gebiet verglichen. Ziel der Untersuchungen ist es, die Ursachen für die Besonderheiten der Expertenleistung zu erkennen. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 14, Bromme, R. (1992) S. 38-39) Der kontrastive Vergleichsansatz wird vor kognitionspsychologischem Hintergrund gestaltet. Als Hypothese für die Erklärung der Expertise wird eine besondere kognitive wissensbasierte Leistungsfähigkeit der Experten vermutet. (vgl. Gruber, H. u.a. (1996) S. 169) Für die Auswahl der Probanden und damit für die Entscheidung, wer als Experte gelten soll, werden verschiedene Auswahlmechanismen beschrieben. Ein Auswahlkriterium ist der Ausbildungsstand. Anfänger eines Fachgebietes, die Grundkenntnisse besitzen, werden mit Absolventen verglichen. Eine andere Möglichkeit bietet die Orientierung am beruflichen Erfolg. Für messbare Leistungen bieten sich Wettkampfrangreihen als Auswahlkriterium an. Für nicht messbare Leistungen werden Beurteilungen durch Kollegen, Vorgesetzte oder Klienten herangezogen. Auch die Dauer der Berufstätigkeit kann als Auswahlkriterium herangezogen - 68 werden. Dabei wird unterstellt, dass aus der Dauer auf die Qualität der Leistung geschlossen werden kann. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 46-48, Lingelbach, H. (1995) S. 34-35) Die Auswahl der Probanden und die Einstufung als Experten kann auch durch den Forscher durchgeführt werden. Mit Hilfe einer Beobachtung im Arbeitsfeld ermittelt der Forscher selbst gute und schlechte Leistungen. (vgl. Bromme, R.; Steinbring, H. (1990) S. 59) Gerade bei der letztgenannten Methode ist die Problematik interessengeleiteter Expertenauswahl besonders groß. Indem der Forscher zum einen die Analyse der Situation als Voraussetzung für die Expertenstudie durchführt (vgl. Bromme, R. (1992) S. 40) und er zum anderen gleichzeitig auch die Probanden für den Best- und Inferior-Vergleich auswählt (vgl. Bromme, R.; Steinbring, H. (1990) S. 59-61), läuft der Forscher in die Gefahr, sein Forschungsdesign zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung zu machen.46 Das Forschungsdesign des Best- versus Inferior-Vergleichs wird häufig um weitere Probandengruppen erweitert. Zu den beiden Extrempositionen werden weitere Vergleichsgruppen betrachtet. Zum einen kann die Gruppe der Novizen in Anfänger und Laien unterteilt werden. Anfänger wollen sich in den Bereich einarbeiten und haben erste Erfahrungen gesammelt, die über den Alltagsbereich hinausreichen. Laien hingegen wollen sich nicht in den Bereich einarbeiten, haben jedoch ein Problem des Bereiches zu lösen und verfügen über keine Erfahrungen in dem Bereich, die über Alltagserfahrungen hinausreichen. Zwischen die Novizen- und die Expertenposition kann eine Gruppe erfahrener Sachkundiger positioniert werden, die schon über größere Erfahrungen in diesem Bereich verfügen, aber noch keinen Expertenstatus erreicht haben. Auch innerhalb der Gruppe der Experten kann eine Unterscheidung vorgenommen werden. Experten können in Subexperten und ‚echte’ Experten bzw. Experten und spezialisierte Experten unterteilt werden. Die Unterscheidungslinie verläuft hier zwischen einer bereichstypischen Expertise der Subexperten und einer problemtypisch noch zugespitzteren spezielleren Expertise der ‚echten’ Experten. (vgl. Patel, V., Groen, G. (1991) S. 96) Das Forschungsdesign unterstellt häufig bei der Auswahl der Experten eine Voraussetzung. Es wird unterstellt, dass alle Experten auf ihrem Gebiet die 46 Diese Gefahr ist gegeben, auch wenn Bromme und Steinbring auf den globalen Eindruck am Ende der auswählenden Beobachtung verweisen, der ein „hochinferente(s)“ (Bromme, R.; Steinbring, H. (1990) S. 60) Maß sei, um interessante Fälle auszuwählen. (vgl. Bromme, R.; Steinbring, H. (1990) S. 59-61) Dem ist entgegenzuhalten, dass der Forscher seine Forschungsfrage schon formuliert hat und daher in seinen Beobachtungen und Eindrücken nicht mehr frei ist. - 69 gleichen Voraussetzungen mitbringen bzw. den gleichen Denkschulen angehören. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 17) Im weiteren Schluss ergibt sich das Problem, wie und ob die Ergebnisse für eine Denkschule auf das ganze Fachgebiet übertragen werden können. Einen Einblick in die Problematik gibt Gäßler, die unterschiedliche Auffassungen innerhalb der psychologischen Gesprächstherapie zur Problematik des Verstehens darstellt. (vgl. Gäßler, B. (1994) S. 134-137) Das experimentelle Vorgehen der Expertenforschung ist methodisch als Kontrastvergleich angelegt. Damit nutzt die Expertenforschung ein statisches Instrumentarium. Es ergibt sich das Problem, aus den (statischen) Schlussfolgerungen der Forschungsergebnisse auf Entwicklungen bzw. Entwicklungsmodelle schließen zu können. Adäquatere methodische Herangehensweisen hierfür sind biographische Untersuchungen, kurzfristige Trainingsstudien oder längsschnittliche Untersuchungen. Die längsschnittlichen Untersuchungen bergen ein Zeitproblem, da für die Entstehung von Expertise zehn Jahre veranschlagt werden. Kurzfristige Trainingsstudien leiden an derselben Problematik, da auch hier die Trainingszeiten im Vergleich zur Expertiseentwicklung sehr kurz sind. Darüber hinaus werden nur sehr kleine geschlossene Bereiche untersucht, so dass der Übertrag der Ergebnisse auf größere Expertisebereiche problematisch ist. Biographische Untersuchungen sind bisher im Geniebereich durchgeführt worden. Aufgrund der geringen Zahl von Genie-Probanden können allerdings anekdotenhafte Züge entstehen. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist fraglich. (vgl. Gruber, H. u.a. (1996) S. 169-170) Für eine größere Zahl von Probanden sind in unterschiedlichen Domänen biographische Untersuchungen zum Expertiseerwerb mittels der Erhebung retrospektiver Aussagen gemacht worden. Dabei hatten die Probanden einen Fragebogen zur Entwicklung ihrer Domänenexpertise zu beantworten. Die bisherigen Ergebnisse vermitteln interessante Aussagen, und das Instrument erweckt den Eindruck, für die Untersuchung der Expertiseentwicklung aufschlussreiche Ansatzmöglichkeiten bieten zu können. (vgl. Gruber, H. u.a. (1996) S. 188-189) Expertenforschungen zur Untersuchung von Lehrerexpertise verwenden eher selten quantitative Untersuchungsmethodiken wie bei der Untersuchung von Schach- und Physikproblemen. Methodisch werden meist Unterrichtsbeobachtungen, Fallbeschreibungen, retrospektive Interviews, anhand von Unterrichtsszenen der Probanden stimulierte Erinnerungsbeschreibungen, lautes Denken und Fragebögen zur Untersuchung der Lehrerexpertise verwendet. Der Beobachtungshorizont kann sich von der Unterrichtsepisode über die Unterrichtsstunde bis zu einer Unterrichtseinheit erstrecken. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 32-33) - 70 3.1.5 Wissen als Grundlage der Expertenzuschreibung Der Expertenstatus wird einem Menschen durch die Zuschreibung besonderer Fähigkeiten auf einem Gebiet zuerkannt. Grundlegend für die Zuschreibung ist ein vermuteter überlegener Wissensbestand in Gegenüberstellung zur Vergleichsgröße. Im Selbstvergleich ist dies die eigene Wissensposition. Im gesellschaftlichen Fremdvergleich die Wissensposition, die als üblich oder normal empfunden wird, und im personifizierten Fremdvergleich werden Wissenspositionen von zwei Personen miteinander verglichen. Ein überlegener Wissensbestand ist jedoch noch nicht ausreichend, um das Besondere, das das Expertenbild auszeichnet, ausreichend fassen zu können. Das Besondere des Experten ist die Relevanz seines Wissens. Erst die Zuschreibung der Relevanz durch andere macht das Expertenwissen zu überlegenem Wissen. Überlegene Fähigkeiten oder Wissenspositionen ohne gesellschaftliche Relevanz werden in der Regel dem Bereich des Kuriosen oder der Liebhaberei zugeordnet.47 Das überlegene und relevante Wissen des Experten gilt als wertvolles Sonderwissen zur Lösung von Problemen. Aus hierarchischer Perspektive ist der Experte dem Laien überlegen, ihm wächst eine Machtposition zur Lösung von Laienproblemen zu. Gleichzeitig wächst dem Experten Autonomie zu, da der Laie nicht in der Lage ist, den Experten zu kontrollieren. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 4143, 46-47) Dies gilt sowohl für den einzelnen Laien bezüglich seiner persönlichen Schwierigkeiten wie auch für die Gesamtheit der Laien im Hinblick auf gesellschaftliche Problemsituationen. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist die Relevanz des Sonderwissens ein kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Damit ist die Expertise an die Bedürfnisse und Wandlungen einer Gesellschaft gebunden. Auch ist sie zwischen verschiedenen Gesellschaften nicht gleich. Exemplarisch sei auf das Sumo-Ringen und die Teezeremonie verwiesen. Beides hat in Japan eine lange Tradition und gesellschaftliche Relevanz. In beiden Disziplinen ist es dort möglich, meisterliche überlegene Leistungen zu erbringen, die gesellschaftlich anerkannt sind und gewürdigt werden. Je nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten wird einer Expertise mehr oder weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch können sich die Anforderungen an Expertenleistungen über die Zeit verändern. Mit fortschreitender historischer Entwicklung können die Anforderungen an eine Expertenleistung in einem Fachgebiet steigen. Leistungen, die noch 47 Hier sei auf die diversen Spitzenleistungen im Guinnessbuch der Rekorde verwiesen. Für Unterricht exemplarisch auf den Rekord im Dauerunterricht. (vgl. Guinnessbuch (1992) S. 5, 354-359) - 71 vor fünfzig Jahren als Spitzenleistungen ihres Faches galten, werden heute von Semiexperten, d.h. Experten, die unterhalb der Spitzenklasse liegen, erreicht (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 11-13). Auch der umgekehrte Weg ist denkbar. Wissensbestände können ganz aus dem kulturellen Gedächtnis verschwinden. Diesem Problem versucht z.B. die UNESCO durch den Schutz des immateriellen Kulturerbes entgegenzutreten (vgl. Talkenberger, H. (2005) S. 48). Für die Lehrerexpertise werden gegenwärtig für den europäisch geprägten Kulturraum die vier Wissensbereiche Sachwissen, diagnostisches Wissen, unterrichtsmethodisches Wissen und Klassenführungswissen als Expertisegrundlage bezeichnet. Das Sachwissen umfasst zum einen den Aspekt des fachlichen deklarativen Wissens. Zum anderen umfasst es den Aspekt des unterrichtsbezogenen Aufbaus bzw. der Organisation des Fachwissens. Das diagnostische Wissen beschreibt Wissen um die spezifischen Besonderheiten des einzelnen Lernenden, die sich auf seinen Lernprozess oder auf seine Lernsituation beziehen. Das unterrichtsmethodische Wissen kennzeichnet das Planungs- und Strukturierungswissen, mit dem ein Unterrichtsprozess gestaltet wird. Das Klassenführungswissen charakterisiert Wissensbestände, die einen Unterrichtsfluss sicherstellen können, so dass der Unterricht störungsfrei verläuft und eine gute Mitarbeit der Lernenden konstatiert werden kann. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 41-65) 3.1.6 Kognitive Leistungen als Grundlage der Expertenleistung Die besondere Leistungsfähigkeit eines Menschen auf einem Fachgebiet wird durch die Expertenforschung als besondere Gedächtnisleistungen und besondere Problemlösefähigkeiten des Experten erklärt. Die Expertenleistung ruht auf einer organisierten Wissensbasis. Sie ermöglicht es dem Experten zusammen mit einer großen Gedächtnisleistung Probleme mit einer Vorwärtsstrategie zu lösen. Die Wissensbasis ist problem- bzw. fallbasiert und beinhaltet auch ein Repertoire an Problemlösestrategien. (vgl. Ziegler, A. (2000) S. 454, Bromme, R. (1992) S. 40-45) Daher kann die Expertise in der Regel nur in einem Fach erworben werden. Auf anderen Gebieten bleibt der Experte Laie oder Novize. (vgl. Ziegler, A. (2000) S. 453, Gruber, H.; Ziegler, A. (1996) S. 10) Die Expertenleistung ist qualitativ anders als die Novizenleistung. Sie unterscheidet sich in der Gedächtnisleistung, in der Art des Wiedererkennens und in der Problemlösestrategie. Für den Experten wird bei der Gedächtnisleistung ein großes Volumen von Erinnerungen zu seinem Leistungsbereich unterstellt, das auch als Wiedererkennen abrufbar ist. Beim Wiedererkennen erblickt der Experte Probleme aufgrund von - 72 Prinzipien, während der Novize Probleme anhand von Oberflächenmerkmalen wiedererkennt. Die Problemlösung ist beim Experten eine Vorwärtsstrategie. Er schreitet von den Gegebenheiten zur Lösung voran, während der Novize den umgekehrten Weg geht und eine Rückwärtsstrategie einsetzt. (vgl. Grabowski, J.; Meer, E. (2001) S. 333-334, Ericsson, K. (1996) S. 14-15, Bromme, R. (1992) S. 40-41) Die kognitiven Zusammenhänge bei der Erbringung von Spitzenleistungen wurden in älteren Studien im Sinne einer Wiedererkennung von Mustern bekannter Vorgänge interpretiert. (vgl. Ericsson, K. (1996) S.14) Neuere Studien haben ergeben, dass Experten eine komplexere Repräsentation der Vorgänge nutzen. Sie fassen die relevanten Merkmale der Situation zu einer Bedeutungseinheit zusammen und nutzen sie als Muster für ihr weiteres Vorgehen. Durch die Repräsentation als Muster gewinnen sie Freiheit für Planungen, Voraussagen und Bewertungen der Situation. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 15-18) Die Muster der Experten, die beruflich tätig sind, gruppieren sich um Problemkategorien, die sie in ihrer praktischen Arbeit vorfinden. Sie sind nicht nach den Strukturen der zugrunde liegenden Wissenschaftsdisziplin organisiert. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 34) Die Ergebnisse der Schachexperimente zeigen, dass Experten im Spiel nicht mehr Züge vorausdenken als weniger erfahrene Spieler. Bei der Reproduktion der Schachpositionen waren die Experten den weniger erfahrenen Spielern überlegen. Bei der Reproduktion von Zufallsstellungen jedoch nicht. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Experten Figurenkonstellationen zu Bedeutungseinheiten, ‚Chunks’ zusammenfassen. Die Chunks enthalten neben der reinen Figurenkonstellation auch Bedeutungszuschreibungen, die die Konstellation bewerten und eine erfolgreiche Selektion zwischen verschiedenen möglichen Konstellationen erleichtern. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 15-17) Gegen die Bedeutungszuschreibung in den Chunks wird eingewandt, dass die geringe Zugtiefe des Vorausdenkens von ein bis zwei Zügen nicht naturgegeben ist. Schachspielern ist es möglich acht bis zehn Züge tief zu denken. Eine mögliche Erklärung für die geringe Zugtiefe besteht darin zu unterstellen, dass die Spieler nicht nach den besten Lösungen suchen, sondern mit guten Lösungen zufrieden sind. Eine andere Erklärung sieht das Expertendenken als zielgeleitetes Denken an. Experten folgen einem strategischen Ziel und verfolgen nur Zugfolgen, die geeignet sind das Ziel zu erreichen. Schwächere Spieler verfolgen möglicherweise keine Ziele oder schwächere Ziele. (vgl. Charness, N. (1991) S. 42) Auch bei der Reproduktionsleistung scheint es zwischen Experten und Novizen Unterschiede zu geben. Experten nutzen zur Reproduktion der - 73 Chunks Gehirnbereiche, die für den Gedächtnisabruf verwendet und dem impliziten Gedächtnis zugeordnet werden. Implizite Gedächtnisleistungen beziehen sich auf Fähigkeiten und Prozeduren. Demgegenüber verwenden weniger erfahrene Anwender Gehirnbereiche, die mit der Gedächtnisbildung und Lernprozessen in Verbindung stehen und dem expliziten Gedächtnis zugeordnet werden. Explizite Gedächtnisleistungen beziehen sich auf Tatsachen und Erklärungen. (vgl. Amidzic, O. (2003) S. 114, 118, 120-121) Für die Vermutung einer Expertenschaft nach langjähriger Praxis, im Sinne einer Spitzenleistung, konnte für verschiedene Bereiche kognitiver Leistungserstellung nur ein schwacher Zusammenhang festgestellt werden. Für andere Bereiche wird sogar vermutet, dass eine Expertenschaft im Sinne einer Spitzenleistung unmöglich ist, da die Besonderheiten dieser Bereiche eine Expertiseentwicklung unmöglich zu machen scheinen. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 3-4) 3.1.7 Erkenntnisse zur Expertenentwicklung Expertise wird in einem langwierigen Prozess erworben. (vgl. Ziegler, A. (2000) S. 454) Je nach untersuchtem Fachgebiet schwankt das Lebensalter, in dem ein Leistungsmaximum erreicht werden kann. Bei Sportarten liegt es in den Zwanzigern, bei geistigen Leistungen in den Dreißigern. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 9) Erstmals von Simon und Chase (1973)48 genannt und später auch von anderen Autoren bestätigt, wird eine Zeitspanne von mehreren Jahren für notwendig erachtet, um ein Expertenlevel erreichen zu können.49 Der Umkehrschluss ist allerdings unzulässig. Nicht jeder, der viele Jahre in einem Bereich tätig ist, hat auch den Expertenlevel erreicht. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 10) Die von Ericsson auf zehn Jahre bezifferte 48 Vgl. Simon, H.; Chase, W. (1973) 49 Ericsson, K. (1996) S. 10 benennt einen konkreten Zeitrahmen von 10 Jahren. Er stützt sich auf den Aufsatz: Simon, H.; Chase, W. (1973). Tatsächlich gibt die dort referierte Quelle keine genaue Zeitangabe an. Bei Simon, H.; Chase, W. (1973) S. 403 heißt es dazu eher vage: „Such a learning process takes time – years – to build the thousands of familiar chunks needed for masterlevel chess.” Auch in Chase, W.; Simon, H. (1973b) wird keine konkrete Zeitspanne benannt. Dort heißt es: „years of constant practice“ (Chase, W.; Simon, H. (1973b) S. 56). Gleiches gilt für Chase, W.; Simon, H. (1973a) „The organization of Master’s elaborate repertoire of information takes thousands of hours to build up, and the same is true of any skilled task (e.g., football, music).” (Chase, W.; Simon, H. (1973a) S. 279). De Groot schreibt hierzu: “…some remarks on how the core of chess mastership – the acquired, highly differentiated system of thought habits – develops in a lifetime, particulary in youth.” (Groot, A. (1965) S. 347). - 74 Spanne beschreibt einen Entwicklungszeitraum, in dem die Anzahl der Übungsstunden kumuliert wird. Die kumulierte Anzahl der Übungsstunden korreliert dabei stark mit dem erreichten Leistungsgrad. Es reicht also nicht, zehn Jahre auf ein Fachgebiet zu verwenden. Ausschlaggebend sind die tatsächlich investierten Übungsstunden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 10, 22-23) Wenn die Anzahl der Übungsstunden ausschlaggebend für die Leistungsentwicklung ist, ist die Schlussfolgerung nahe liegend, mit einer Steigerung der Anzahl der Übungsstunden den Zehn-Jahres-Horizont verkürzen zu können. Dies ist jedoch sehr problematisch, da der Übungserfolg entscheidend von der Konzentration des Lernenden auf seine Übungen abhängig ist. Die Konzentrationsfähigkeit des Lernenden ist der limitierende Zeitfaktor. Über den Tag verteilt und unterbrochen von Pausen können vier Stunden konzentrierter Übung als erreichbare Dauerleistung eines Lernenden betrachtet werden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 24) Die Entwicklung besonderer Leistungsfähigkeit in einem Fachgebiet kann schon in der Kindheit50 beginnen. Unter spielerischen Bedingungen beginnt das Kind Interesse für ein Fachgebiet zu zeigen, das dann weiter gefördert wird. Mit zunehmender Entwicklung der Leistungen werden immer leistungsfähigere Lehrer bzw. Trainer benötigt. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 19-20) Auf der Seite des Lernenden ist die persönliche Motivation ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg. Eine besondere Problematik ergibt sich hier, da die für den Erfolg unabdingbare konzentrierte Übung (Deliberate Practice) nicht selbst als motivierend erlebt wird. Erst über die kognitive Akzeptanz langfristiger Ziele gelingt die notwendige dauerhafte Motivation für die Übungen. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 25-28) Expertenleistung zeichnet sich durch ein qualitativ anderes Vorgehen aus. Qualitativ anders sind die Kenntnisse zu tätigkeitsrelevanten Sachverhalten und zu den Vorgehensweisen zur Problemlösung. Ausschlaggebend sind leistungsrelevante Strategien und Metastrategien, die das ganzheitlichstrategische Vorgehen betreffen. Im Einzelnen sind dies diagnostische und prozessbegleitend diagnostische Leistungen sowie prognostische Leistungen. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 14-19) Die Leistung eines Experten wird nicht aus dem Stand erbracht. Wenn immer möglich, bereitet sich der Experte auf die spezielle Situation vor. In der Vorwegnahme der Leistungserstellung gelingt es dem Experten, Probleme und Schwierigkeiten zu erkennen. Auch in der Rückschau ist der Experte in der Lage, die Leistungssituation planvoll nachzuvollziehen und daraus Rückschlüsse zu 50 Ericssons Aussagen zur Expertiseentwicklung in der Kindheit beziehen sich auf musische und sportliche Leistungen. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 19-20) - 75 ziehen. Die Expertenleistung besteht also neben dem Vollzug der Handlung auch in der planvollen Vor- und Nachbereitung der Handlungssituation. Über die aktuelle Leistungssituation hinausschauend besteht das Geschick des Experten in der Fähigkeit, seine Expertenleistung planvoll und effektiv weiterentwickeln zu können. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 37-41) Der Problemlöseprozess von Experten wird als Vorwärtsstrategie, d.h. von den gegebenen Daten zum Ziel hin beschrieben. Im Vergleich dazu wird der Problemlöseprozess der Novizen als Rückwärtsstrategie beschrieben. Er verfolgt von der oder den möglichen Lösungen ausgehend rückschreitend und prüfend, ob die Lösung mit der Datenlage übereinstimmt. Die Vorwärtsstrategie ist mit einer hohen Irrtumswahrscheinlichkeit belastet. Ihr Erfolg wird nur durch eine große Menge relevanter Kenntnisse ermöglicht. Diese fehlen den Novizen, so dass sie in Anbetracht der fehlenden Basis die Vorwärtsstrategie nicht nutzen können. (vgl. Patel, V., Groen, G. (1991) S. 93-94) Allerdings weist auch die Expertenleistung bei komplexen, schlecht definierten Problemen gegenüber der Expertenleistung bei klar definierten Problemen Besonderheiten auf. Definierte Probleme lassen sich mit Hilfe eines systematischen Vorgehens der hierarchischen Zerlegung des Problems im Sinne einer Vorwärtsstrategie lösen. Schlecht definierte Probleme hingegen sind Probleme, die keine klaren Zielzustände erkennen lassen und die eine Eigendynamik haben. Hier lässt sich der Lösungsweg als Weg mit Rückholschleifen beschreiben, der zwischen den Lösungsschritten oszilliert. Schritte des Problemverstehens und Analyseschritte werden mit Lösungsversuchen verknüpft und aus den Lösungsversuchen auftauchende neue Anforderungen führen zu wiederholten Verstehens- und Analyseschritten und zu Reformulierungen des ganzen Problems. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 21, 35-36) Die üblicherweise den Experten zugeordnete Vorwärtsstrategie wird als starke Strategie und die Rückwärtsstrategie als weiche oder schwache Strategie bezeichnet. Sprachlich ist damit eine Überlegenheit der Vorwärtsstrategie intendiert. Die Überlegenheit ist jedoch nur vorhanden, wenn eine eindeutige Datenlage vorhanden ist und die handelnde Person über große Kenntnisse im relevanten Bereich verfügt. Bei einer mehrdeutigen Datenlage, unvollständiger oder fehlender Datenlage wird die Vorwärtsstrategie unzuverlässig, selbst wenn die handelnde Person über Kenntnisse im relevanten Bereich verfügt. In diesen Fällen ist die Rückwärtsstrategie der Vorwärtsstrategie überlegen. (vgl. Patel, V., Groen, G. (1991) S. 94, 119, 121) Gerade ein Setting mit unüberschaubarer Datenlage und unklaren bzw. mehrdeutigen Zielen zeichnet Problembereiche aus, die der menschlichen Interaktion zuzuordnen sind, die einen Kernbereich der Lehrertätig - 76 keit bildet. Klare Settings hingegen sind im naturwissenschaftlich-technischen und streng logischen Bereich zu erwarten, da hier eindeutige Mittel-Ziel-bzw. Ursache-Wirkungs-Beziehungen hergestellt werden können. Bei der Expertiseentwicklung von Lehrern wird vermutet, dass die Zuschreibung ‚längere Berufszeit ergibt höhere Expertise’ nicht gilt. Dies wird unmittelbar einsichtig, wenn man bedenkt, dass die Zuschreibung auf der Annahme eines Selektionsmechanismus des Marktes ruht. Es wird vermutet, dass der Experte eine größere Chance hat sich auf dem Markt behaupten zu können. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 13) Aufgrund von Burnout- Untersuchungen bei Lehrern wird hier vielmehr vermutet, dass schulische Rahmenfaktoren und auch motivationale und volitionale Faktoren eine Rolle spielen (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 37-40). Expertenleistung wird erst in der Ausübung der betreffenden Tätigkeit erkennbar. Aus der berufsspezifischen Vorbildung, der allgemeinen Vorbildung oder aus Intelligenztests ist die Expertenleistung nicht bestimmbar. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 13) Dementsprechend setzen Modelle zur Beschreibung der Lehrerexpertise in der Berufsausübung an. Sie beschreiben den Übergang vom Novizen zum Experten mit Stadienmodellen, die zwischen dem Novizen und dem Experten verschiedene Übergangsstufen einfügen. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 37-40) 3.1.8 Methodik der Expertiseentwicklung Für die Entwicklung besonderer Leistungsfähigkeit kommt der Methode der „Deliberate Practice“ (Ericsson, K. (1996) S. 20) besondere Bedeutung zu. Eine schlichte Steigerung der Anzahl der Übungseinheiten steht in keinem Zusammenhang mit einer Leistungssteigerung. Die Leistungssteigerung ergibt sich erst durch die bewusste und überlegte, d.h. planvolleÜbung (Deliberate Practice). Hierfür sind sinnvoll strukturierte Aufgaben notwendig, denen eine Aufgabenanalyse des Fachgebietes zugrunde liegt. Die Aufgaben müssen für den Lernenden leistungsadäquat ausgewählt sein und durch eine informative Rückmeldung des Erfolgs unterstützt werden. Darüber hinaus müssen Gelegenheiten zur Wiederholung und zur Korrektur von Fehlern gegeben werden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 20-21) Als Rahmensituation für die Deliberate Practice werden Übungsaufgaben betrachtet, die zwischen Lernenden und Lehrenden im Einzelgespräch besprochen und dann vom Lernenden alleine durchgeführt werden. Anschließend konsultiert der Lernende den Lehrenden wieder, um das Übungsergebnis zu besprechen und Schritte zur Fehlerkorrektur bzw. neue Aufgaben zu verabreden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 20-21) Übungen in Wettkämpfen oder in realen Arbeitssituationen bieten sich für die Ent - 77 wicklung von neuen Leistungsfähigkeiten nicht an. In ‚Ernstsituationen’ steht das Bemühen um eine erfolgreiche Handlung im Vordergrund, so dass der Lernende erprobten Methoden den Vorzug vor unerprobten Lernschritten einräumt. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 21) Die konzentrierten Einzelübungen erweisen sich jedoch auch als problematisch. Sie erfordern vom Lernenden eine hohe Motivation. Deshalb versucht man Einzelübungen in angenehme Gemeinschaftsaktivitäten einzubinden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 25) Das Schlüsselproblem, um eine erfolgreiche Lernsituation zu gestalten, besteht in der Identifikation von gut definierten Zielen und einem entsprechend sequentiellen Curriculum. Für die konkrete Lernaufgabe ist es notwendig, dass jeder Aufgabe ein definiertes Ziel zugrunde liegt und der Lernende in der Lernaufgabe Möglichkeiten für eine Rückmeldung seiner Leistungen selbst finden kann. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 33) In der langfristigen Betrachtung kommt der Aufrechterhaltung der Konzentration bei den Übungen entscheidende Bedeutung zu, damit die Übungen ihren Sinn als selbststeuernde Entwicklung behalten und nicht zur mechanisierten Abarbeitung von Aufgaben werden. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 34) Dem Feedback, der Rückmeldung des Erfolgs kommt für die Entwicklung der Expertise große Bedeutung zu. Über die Rückmeldung werden Fehlerkorrekturen möglich. Für manche Expertenleistungen sind Feedbackmöglichkeiten jedoch nicht gegeben, treten selten auf oder werden erst lange nach der Leistungserbringung möglich, da der Leistungserfolg nicht zeitnah eintritt. Hier ist es sinnvoll, durch eigene Zielsetzungen interne Rückmeldemöglichkeiten zu schaffen. Auch dem Modelllernen, d.h. der Orientierung an besonders erfolgreichen Leistungsträgern, kommt zur Entwicklung der eigenen Leistungsexpertise bei geringen Feedbackmöglichkeiten Bedeutung zu. (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 35-36) Die Anhäufung großer Wissensmengen scheint für die Entwicklung von Expertise nicht ausreichend zu sein. Es besteht die Gefahr, dass träges Wissen aufgebaut wird. Träges Wissen ist Wissen, das für Handlungen nicht abrufbar ist. Um träges Wissen zu vermeiden, muss der Erwerb des deklarativen Wissens mit dem Erwerb von Erfahrungs- bzw. Handlungswissen verbunden werden. (vgl. Gruber, H.; Mandl, H. (1996) S. 18, 27) Günstige Bedingungen für den erfahrungs- bzw. handlungsorientierten Erwerb von Wissen sind aktive Lernformen, die den Lernenden eine handelnde, erfahrende Rolle beim Erwerb des Wissens einnehmen lassen. Auch der Anwendungsbezug des Wissens und das Anknüpfen an die Vorerfahrungen der Lernenden fördern die aktive Aneignung von Wissen. Als Lernformen, die dies leisten, werden Anchored Instruction, Cognitive Apprenticeship und Cognitive Flexibility Theory genannt. Diese Lern - 78 formen sind den konstruktivistischen Ansätzen zuzuordnen. (vgl. Gruber, H.; Mandl, H. (1996) S. 29-31) Es fällt auf, dass die erfolgskennzeichnenden Elemente der Deliberate Practice, Identifikation von Zielen, Rückmeldung, Fehlerkorrektur und Handlungswissen für gut strukturierte Probleme, relativ leicht handhabbar sind. Für schlecht strukturierte Probleme jedoch ergeben sich in der Umsetzung der Deliberate Practice Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten fangen bei der Problematik der Identifikation von Zielen an, ergeben sich auch bei den Rückmeldungen, da keine eindeutigen Ergebnisse als Maßstab verwendet werden können, erschweren die Fehlerkorrektur und lassen die Entwicklung eindeutigen Handlungswissens nicht zu. Hier müssen möglicherweise die Expertisemomente nicht im Handlungsergebnis, sondern im Prozess gesucht werden. Eventuell beginnt die Expertise schlecht definierter Probleme mit der Erkenntnis, dass keine Struktur erkennbar ist, und entwickelt sich in der Handhabung von Ungewissheit. Jede konkrete Methodik des Lehrens und Lernens von Expertise ist jedoch eingebunden in den generellen Leistungsfortschritt des Lernenden. Zur Beschreibung des Leistungsfortschritts kann ein Entwicklungsmodell verwendet werden. Ein solches Modell ist das Modell von Dreyfus / Dreyfus51, das auch für die Beschreibung von Lehrerexpertise verwendet wird. Das Modell kennzeichnet Stufen der Entwicklung anhand der Beschreibung der Leistungsfähigkeit, die der Lernende auf dieser Stufe erreicht haben soll. (vgl. Dick, A. (1994) S. 180-181) Das Modell unterstellt dem Novizen einen kontextfreien Umgang mit den Komponenten der Problemsituation. Ohne über die Perspektive der Problemsituation hinauszugehen, werden analytisch begründete Entscheidungen getroffen, die eine eigene emotionale Nähe nicht erkennen lassen. Über drei Zwischenstufen hinweg entwickelt sich die Expertise. Der Umgang des Experten mit Problemsituationen wird gekennzeichnet als kontextfreier, aber ganzheitlicher, d.h. die Ganzheit und den Zusammenhang der Bedingungen erkennender, Prozess. Der Experte entscheidet intuitiv vor dem Hintergrund einer auf Erfahrung beruhenden Perspektive und ist selbst emotional beteiligt. (vgl. Dick, A. (1994) S. 176-179) Im Modell von Dreyfus / Dreyfus trägt die Beschreibung des Novizen technokratische Züge, während den Experten eine Aura des Intiutiven bzw. Künstlerischen umgibt. (vgl. Dreyfus, H.; Dreyfus, S. (1986) S. 43-44, 54-62) Es fällt auf, dass im Modell von Dreyfus / Dreyfus von der vorletzten Stufe auf die Expertenstufe ein Wechsel in der Er 51 Vgl. Dreyfus, H.; Dreyfus, S. (1986) zur Modellübersicht: S. 79-80. - 79 klärung der Entscheidungen postuliert wird. Bis zur Expertenstufe werden Entscheidungen als analytische Entscheidungen charakterisiert. Auf der Expertenstufe selbst werden die Entscheidungen als intuitiv beschrieben. Unterstellt man, dass der Experte die Analysefähigkeiten nicht spontan verliert oder aufgibt, werden mentale Reflexionsprozesse für den Experten zu unbewussten Routinen. Eine andere Erklärungsmöglichkeit als die ‚Intuition des Experten’ für seinen kontextfreien ganzheitlichen Problemzugang könnte in der Verwendung von Regeln liegen. Gerade für die Lehrertätigkeit ist bemerkenswert, dass Unterricht in hohem Maße Regeln folgt. Viele Regeln sind implizite Regeln, die erst im unterrichtlichen Handlungszusammenhang über einen langen Zeitraum entstehen. (vgl. Petersen, J. (1987) S. 163) Möglicherweise werden sie zum Teil auch erst in konkreten Unterrichtssituationen ausgehandelt. Diese Erklärung hat gegenüber der Intuition den Vorteil, sich aus dem langen Zeitraum der Expertiseentwicklung von zehn Jahren erklären zu lassen und ohne plötzliche Paradigmenwechsel auszukommen. Experten gelingt es schlicht, über einen langen Zeitraum implizite Regeln zu lernen oder zu entwickeln. Ihren Kollegen, die eine geringere Expertise entwickeln, gelingt dies nicht im gleichen Maße. Für diesen Erklärungsansatz ist kein Paradigmenwechsel, kein göttlicher Funke notwendig. 3.1.9 Kritik an der Expertenforschung Die Expertenforschung basiert auf dem traditionellen kognitivistischen Forschungsdesign. Ihr zentrales Element über alle Untersuchungen hinweg ist die Methodik des Novizen-Experten-Vergleichs. Vor dem Hintergrund der kognitivistischen Forschungslogik wird das Verhalten der Probanden als wissensbasierte kognitive Leistung gedeutet. Damit ist das Verhalten von seinen seelischen, intentionalen und motivationalen Aspekten entleert. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 31) Der methodische Ansatz der Expertenforschung selbst erreicht seine experimentellen Grenzen bei der Untersuchung von Expertenleistungen, deren Expertenpraxis in Interaktionssituationen mit anderen Menschen bewirkt wird. Hier können keine reproduzierbaren Bedingungen für eine Leistungsmessung geschaffen werden. In gleicher Weise problematisch ist in Interaktionen die Identifizierung der relevanten Leistungsziele. Aus diesem Grund ist auch die Definition der Spitzenleistung schwierig (vgl. Ericsson, K. (1996) S. 5-6) und das Erkennen der Experten heikel. (vgl. Hacker, W. (1992) S. 13) Für den Bereich der Unterrichtsforschung bzw. den Bereich der Lehrerforschung ist zu konstatieren, dass auf dem Gebiet des Unterrichtens - 80 schlecht strukturierte Probleme vorliegen, die keine eindeutigen Lösungen zulassen. Daher ist es schwer, Expertenleistungen zu demonstrieren und zu diagnostizieren. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 32) Für den kontrastiven Vergleich von Novizen und Experten legt der Forscher die Kontrastvariablen bei der Konzeption der Untersuchung fest. Innerhalb der Untersuchung wird lediglich die Signifikanz dieser Variablen überprüft. Andere Variablen bleiben außen vor. Da es keine eindeutigen Messkriterien für Lehrerexpertise gibt, ist die Validität der Variablenwahl problematisch. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 30) Kritisch muss auch die Probandenauswahl betrachtet werden. Es gibt bei Lehrern keine einheitliche Expertendefinition. Jede Studie definiert einen eigenen Experten- und Novizenstatus. Ein Vergleich zwischen den Studien wird dadurch erschwert. Gemeinsam ist den Definitionen lediglich, dass die Experten größere Praxiserfahrung aufweisen als die Novizen. (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 34-36) Für die Unterrichtsforschung fällt auf, dass mit dem Expertenansatz den Lernenden eine passivierende reaktive Rolle zugewiesen wird.52 Die Lehrerexperten agieren aktiv und die Situation kreativ gestaltend, während die Lernenden als reaktive Handlungsobjekte der Lehrenden erscheinen, auf die sich Handlungsplanungen beziehen und an denen Handlungen vollzogen werden. Dies intendiert, dass die Lernenden auf eine Handlung immer in ähnlicher bzw. gleicher Weise reagieren würden und die Lehrenden bei der Entwicklung ihrer Expertise die Lernenden in einer komplexen Situation nur immer besser einordnen müssten, um immer erfolgreicher Aktionen generieren zu können. Damit unterstellt die Expertenforschung im Lehrerbereich, dass der Leistungserfolg einseitig durch den Lehrenden 52 Untersucht wird die Expertise des Lehrenden. Daher sind die Lernenden im Untersuchungsansatz in der Funktion von Parametern, die der Experte in seinen Handlungsentscheidungen zu berücksichtigen hat. Ein Setting von Leinhardt und Greeno skizziert einen Handlungsplan für Lehrer zur Untersuchung von Hausaufgaben. Dabei erscheinen die Schüler lediglich als Objekte, auf die sich die Handlungen des Lehrers beziehen. (vgl. Leinhardt, G.; Greeno, J. (1986) S. 77-80) In einem Experiment von Berliner sollen Lehrer ad hoc eine neue Klasse übernehmen. Sie erhalten zur Einarbeitung verschiedene Informationen, u.a. auch Daten über die Schüler (Noten, Anwesenheit, demographische Daten). Auch hier fungieren die Schüler als Parameter für die Handlungsplanungen des Experten. (vgl. Berliner, D. u.a. (1987) S. 148-149) Ein Experiment von Bromme / Steinbring testet eine graphische Analysetechnik zur Darstellung von Unterrichtsverläufen im Best-Inferior-Vergleich. Während die Lehreräußerungen für die Kodierung der Transkripte in ihrer Funktion für den Unterricht in Fragen und Darstellungen unterschieden werden, werden die Schüleräußerungen „zur Vereinfachung … nicht weiter nach ihrer Funktion im Unterrichtsdiskurs unterschieden“. (Bromme, R.; Steinbring, H. (1990) S. 61) - 81 erzeugt wird. Eine Leistungsdefinition, die sich als Interaktionserfolg zwischen Lernenden und Lehrenden ergibt, wird nicht vermutet. Erachtet man jedoch Unterricht als komplementär angelegten gemeinsamen Prozess, der auf eine Entwicklung der Lernenden abzielt, so entsteht der Leistungserfolg aus der Interaktion von Lernenden, Lehrendem und Lerngegenstand. (vgl. Dieterich, R. (1983) S. 11-12) Entsprechende Vermutungen lassen auch die Ergebnisse der Expertenforschung von Berliner zu. Berliner zeigte in einem Expertenversuch Lehrern Informationen zu einer Klasse, die sie in Kürze übernehmen sollten. Expertenlehrer lehnten die detaillierte Auseinandersetzung mit den Daten ab und verwiesen auf die Notwendigkeit, sich in der ersten Stunde zunächst selbst und ihre Erwartungen über den Unterrichtsverlauf vorstellen zu wollen. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 54-55) Gleichzeitig verwiesen sie auf die Notwendigkeit eines persönlichen Eindrucks von der Klassensituation, darauf, ein ‚Gefühl’ für Schüler und Situation entwickeln zu müssen. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 56) Jenseits einer Interpretation, die Expertise auf besondere Wissensbestände zurückführt, kann das Ergebnis als Interaktion eingeschätzt werden. Hier deutet sich der Kerngehalt der Expertise als eine gelungene Kommunikation zwischen den Beteiligten an. Der Kerngehalt bleibt jedoch leer, wenn er nicht um den Gegenstand der Kommunikation präzisiert wird. (vgl. Petersen, J. (1987) S. 159-160) Auch die Interaktionskomponente ‚Lerngegenstand’ muss präzisiert werden, um Expertise identifizieren zu können. Das in der Expertenforschung verwendete Expertenmoment des Lernfortschritts im Sinne einer Stoffvermittlung (vgl. Bromme, R. (1992) S. 89-91) bzw. des Leistungszuwachses (vgl. Lingelbach, H. (1995) S. 9091) ist nicht unumstritten. Neben der ‚Stofforientierung’ werden der Schule weitere Ziele zugeordnet, die im Sinne des Erziehungsauftrages die Persönlichkeitsbildung des Lernenden bzw. seine Einbindung in die Gesellschaft anstreben. (vgl. Dieterich, R. (1983) S. 12) Aber auch die Lernstoffzuwachsorientierung selbst als Leistungskriterium der Expertenforschung53 ist problematisch. Die Stoffzuwachsorientierung rückt die Expertenforschung aus didaktischer Perspektive in die Nähe des Gedankenkreises der materialen Bildungstheorien54. Mit der Diskussion um das Veralten von Wissensbeständen, den Überlegungen zu Qualifikationen und Schlüssel53 Die Nominierung von Expertenlehrern bzw. die Unterscheidung von Experten und weniger befähigten Lehrern im Verlauf einer Studie erfolgt sehr häufig über den Leis tungsfortschritt, der bei den Schülern gemessen werden kann. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 47-48) 54 Zur Abgrenzung materialer und formaler Bildungstheorien: Jank, W.; Meyer, H. (2002) S. 212-216. - 82 qualifikationen bis hin zur Diskussion von Kompetenzen ist die aktuelle didaktische Diskussion jedoch deutlich am Gedankenkreis formaler Bildungstheorien orientiert. 55 3.1.10 Bezüge zwischen Expertenstatus, Expertengemeinschaft und Expertenforschung Die Zuschreibung des Expertenstatus durch Dritte beruht in der Regel auf der Anerkennung einer besonderen Leistungsfähigkeit in einem Aufgabengebiet, die auf ein Sonderwissen der Experten bzw. auf besondere Wissensstrukturen der Experten zurückgeführt wird. Sind die Experten in der Lage, mittels ihres Sonderwissens Laienprobleme zu lösen, kann das Sonderwissen durch die Experten als Einnahmequelle genutzt werden56. Dies kann dazu führen, dass der Zugang zum Sonderwissen erschwert und die Ausübung des Sonderwissens durch die Gruppe der Experten monopolisiert wird. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 42-43) Grundlegend für diesen Mechanismus ist, dass die Definition eines Problems und die Zuschreibung des Sonderwissens zur Problemlösung von den Beteiligten geglaubt wird. (vgl. Hesse, H. (1998) S. 47-48, Hitzler, R. (1994) S. 13-15) Im wirtschaftlichen Interesse der Expertengemeinschaft liegt nun ihre Abgrenzung und Bestandssicherung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, die durch Standesvertreter ihrer Gemeinschaft erfolgt. Ihnen obliegt, neben der Interessensvertretung und Legitimierung der Gruppe nach außen, auch die Organisation des Zugangs und der Ausübung 55 Den Hintergrund bilden unterschiedliche Auffassungen zu Sinn und Zweck von Schule, die ihren Ausdruck in materialen und formalen Bildungstheorien finden. (vgl. Jank, W.; Meyer, H. (2002) S. 212-216) Für die Schule konkretisiert sich die Diskussion in den Lehrplänen. Die Entwicklung der Lehrplandiskussion zeichnet Müller (2002) nach. (vgl. Müller, W. (2002)). Für berufliche Bildungskonzepte zeigt Wittwer (2003) aktuelle Erosionstendenzen des Berufsbegriffs auf. (vgl. Wittwer, W. (2003)) Im Bereich der beruflichen Bildung mündet die Lehrplandiskussion aktuell im Lernfeldkonzept, das arbeitsorientierte Handlungssituationen zum strukturierenden Ausgangspunkt beruflicher Bildungsprozesse macht (und dadurch die Frage nach Berufsfelddidaktiken aufwirft). (vgl. Pahl, J. (2004)) Vonken diskutiert Kompetenz als Grundlage kompetenten Handelns und bindet den Kompetenzbegriff an die Handlungssituation. (vgl. Vonken, M. (2005) S. 170-174, 184-188) 56 Gergen erläutert diesen Zusammenhang für das Schulsystem. Zunächst ist Bildung als erstrebenswertes Gut gesellschaftlich zu akzeptieren. Bildungsgüter entstehen aus wissenschaftlichem Wissen, so dass Wissenschaftler Wissen produzieren, das durch Bildungsexperten in Lehrpläne und Lernstoffeinheiten überführt wird, um anschließend durch Lehrer an die Lernenden herangetragen zu werden. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 224-226) Auf jeder Ebene entstehen Sonderwissensbestände, die es ermöglichen Aufgabengebiete abzugrenzen und als Einnahmequellen zu nutzen. - 83 des Sonderwissens. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 124-128) Gleichzeitig liegt die Weiterentwicklung der Sonderwissensbestände in den Händen der Expertengemeinschaft. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 55-59) Je mehr eine Expertengemeinschaft in der Lage ist, selbst den Zugang, die Ausübung und die Entwicklung des Sonderwissens zu kontrollieren, desto besser kann die Expertengemeinschaft ihren Weiterbestand sichern. In idealtypischer Ausprägung erlangt die Expertengemeinschaft den Status gesellschaftlicher Autonomie. Das klassische Beispiel hierfür ist die Medizin, die in der Universitätsklinik Ausbildung, Forschung und Praxis vereinigt und autonom kontrolliert. (vgl. Hitzler, R. (1994) S. 15) Wird nun der Forschungsansatz des Novizen-Experten-Vergleichs auf eine bestehende Expertengemeinschaft mit eigenen Sinnstrukturen und organisierten Interessensvertretungen angewandt, kann der Forschungsansatz Gefahr laufen bei der Untersuchung der gängigen Expertenpraxis die Leistungskriterien und den Leistungskanon der Expertengemeinschaft als Abgrenzungsbasis zwischen Novizen und Experten zu übernehmen. Eine zweite Problematik entsteht für die Forschungsmethodik aus dem Umstand, dass lediglich Probanden, die nach den Regeln der Expertengemeinschaft ausgebildet und zur Ausübung des Expertenwissens zugelassen sind, an der Untersuchung teilnehmen können, so dass ein mögliches Potential alternativer Handlungspraktiken nicht für die Untersuchung zur Verfügung steht. Beide Problematiken können dazu führen, dass die Ergebnisse des Novizen-Experten-Vergleichs dazu tendieren, die Thesen, Wissensbestände und Ausbildungspraktiken der Expertengemeinschaft zu bestätigen, und dadurch zur Tradierung der bestehenden Strukturen beitragen. - 84 3.2 Kompetenzbegriff und Lehrerhandeln 3.2.1 Historische Entwicklung des Kompetenzbegriffs Für den Bereich der beruflichen Bildung kann der Kompetenzbegriff als Nachfolgebegriff des Qualifikationsbegriffs betrachtet werden. Zunächst stand der Begriff der Schlüsselqualifikation (vgl. Mertens, D. (1974)) im Zentrum der Diskussion. Später konkurrierten Qualifikations-und Kompetenzbegriff um den Vorrang des Oberbegriffs (vgl. Jenewein, K. (1994) S. 35-37). Beide Begriffe untersuchen eine Problematik, wählen jedoch unterschiedliche Perspektiven. Der Qualifikationsbegriff bezieht sich mehr auf das Arbeitsleben und die notwendigen Prozesse zur Bewältigung der dortigen Anforderungen. (vgl. Rauner, F. (2002) S. 531-534) Demgegenüber rückt der Kompetenzbegriff stärker die Person und die Auswirkungen der Kompetenzerlangung auf die Person in den Vordergrund der Betrachtung. (vgl. Vonken, M. (2003) S. 50-51, Sorg-Barth, C. (2000) S. 34-35) 3.2.2 Abgrenzung von Kompetenz- und Performanzbegriff Eine Wurzel des Kompetenzbegriffs wird in den Sprachwissenschaften bei Noam Chomsky gesehen. Er verwendet den Begriff Kompetenz als „Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache“ (Chomsky, N. (1970) S. 14) und grenzt ihn von der Performanz als der „aktuelle Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen“ (Chomsky, N. (1970) S. 14) ab. Kompetenz ist notwendige Bedingung und Möglichkeitsspektrum zugleich. Sie ist die vorausgesetzte Notwendigkeit, mit deren Hilfe eine Interaktion erfolgreich ermöglicht werden kann, und gibt gleichzeitig den Möglichkeitsrahmen der Interaktion vor. Die Performanz beschreibt dabei die konkret erfolgende Interaktion. Mit der Dualität seiner Bedeutung als Möglichkeitsspektrum und Bedingung beschreibt der Kompetenzbegriff das reale Potential eines Menschen. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 14) Dem realen Potential tritt als Beschreibung eines gesellschaftlichen Ideals die Grammatik gegenüber. Sie „versteht sich als Beschreibung der immanenten Sprach-Kompetenz des idealen Sprecher-Hörers.“ (Chomsky, N. (1970) S. 14) Dadurch ist das reale Potential des Einzelnen auf ein ideales gesellschaftliches Potential bezogen und die Kompetenz des Einzelnen als Ausprägungsmöglichkeit des Ideals in der Gesellschaft verankert. Eine zweite Wurzel des Kompetenzbegriffs entsteht durch die Einbeziehung der Welt in das Kompetenzmodell. Das oben dargestellte Modell von Chomsky untersucht eine homogene Sprachgemeinschaft (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 13), die als Sozialgemeinschaft interpretiert werden könnte, und wendet sich der Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft - 85 zu. Andere Modelle gehen über das Sein des Menschen als Teil einer Sprach- bzw. Sozialgemeinschaft hinaus. Sie betrachten das menschliche Sein eingebunden in einen größeren Kontext. Der Deutsche Bildungsrat definiert Kompetenzen als „Lernerfolg im Hinblick auf den Lernenden selbst und seine Befähigung zu selbstverantwortlichem Handeln im privaten, beruflichen und gesellschaftlich-politischen Bereich.“ (Deutscher Bildungsrat (1974)) Die Kompetenz umfasst hier über den Handlungsbegriff auch Tätigkeiten, die auf die Gestaltung von Wirklichkeit zielen, z.B. im Sinne einer Naturbeherrschung. Entsprechend werden in jüngerer Zeit Kompetenzmodelle dargestellt, die eine Trias bilden. Sie beschreiben Kompetenz als Fach-, Sozial- und Humankompetenz (vgl. Wengemuth, F. (1998) S. 36). Die Fachkompetenz kennzeichnet in den Modellen den Zugang zu einer Sachbeherrschung, die Sozialkompetenz den Zugang zu einer Sozialgemeinschaft und die Humankompetenz den Zugang zur eigenen Person. (vgl. Bader nach Wengemuth, F. (1998) S. 34-35)57 Alle Zugänge sind gestaltende Zugänge. Sie tragen damit zum einen der Problematik der Sozialisation bzw. Aneignung Rechnung, zum anderen gelingt es, Dynamiken in das Modell einzubinden und so gesellschaftliche, technische und persönliche Veränderungen als Entwicklungskräfte in das Modell zu integrieren. Eine dritte begriffliche Wurzel schöpft der Kompetenzbegriff aus dem Wortsinn der Zuständigkeit bzw. der Handlungsrechte. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 65) In diesem Sinne versteht der Deutsche Bildungsrat Kompetenz als „Befähigung zu selbstverantwortlichem Handeln“ (Deutscher Bildungsrat (1974) S. 65). Grundlegend für diese Perspektive ist die Annahme, dass jedem Verhalten bestimmte Voraussetzungen zugrunde liegen, die es dem Handelnden ermöglichen, das Verhalten zeigen zu können. (vgl. Vonken, M. (2003) S. 55) In dieser Logik werden Merkmalskataloge entwickelt, die der Lernende aufweisen muss, um als kompetent in einem Bereich bezeichnet bzw. zertifiziert werden zu können. 3.2.3 Mensch und Gesellschaft als Rahmenfaktoren für Kompetenzentwicklung Chomsky kritisiert für die Entwicklung seines Modells Theorien, die völlig homogene Sprachgemeinschaften voraussetzen. Er weist darauf hin, dass in 57 Wengemuth zitiert eine Handreichung zu einem Vortrag, die nicht recherchierbar ist. Quellenangabe bei Wengemuth: Bader, R.: Handlungsorientierung als didaktischmethodische Leitkonzeption. – Handreichung zum Vortrag im Rahmen der Tagung „Berufliche Bildung und Lehrerbildung im Land Sachsen-Anhalt“ am 1.12.1994 an der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg. - 86 diesen Theorien die Sprachverwendung eines Sprechers unmittelbar dessen Sprachkompetenz widerspiegeln würde. Im Gegensatz hierzu stellt Chomsky die Problematik dar, mittels der aktuellen Sprachverwendung auf das zugrunde liegende Regelsystem schließen zu können. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 13-14) Er verweist vielmehr darauf, dass eine „Vielzahl von Faktoren in Betracht“ (Chomsky, N. (1970) S. 13) zu ziehen sind, um eine aktuelle Sprachverwendung erforschen zu können. Im Übertrag auf gesellschaftliche Modelle ist zu konstatieren, dass gesellschaftliche und individuelle Ziele keineswegs harmonisch oder deckungsgleich sein müssen. Vielmehr können sie auch partiell voneinander abweichen oder im Konflikt zueinander stehen. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 46) Es scheint jedoch evident, dass die volle Teilhabe an der Gemeinschaft im Sinne einer Mündigkeit des Einzelnen Ziel der Gemeinschaft sein sollte, da sie auf diese Weise ihren Weiterbestand sichern kann.58 Dieser Aspekt wird umso deutlicher, wenn man die Betrachtung vom statischen Gesellschaftsmodell in ein dynamisches Gesellschaftsmodell verlagert. Gesellschaftliche Dynamiken, technische Dynamiken und Umweltdynamiken erfordern individuelle und gesellschaftliche Veränderungsleistungen, um auf die Dynamiken zu reagieren, mehr noch um sie gestalten zu können. Individuelle Mündigkeit bedeutet jedoch auch, dass bei konfliktären Interessen Lösungen ausgehandelt werden müssen. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 46-48) Dadurch gewinnen Kompetenzen zeit- und funktionsgebundene Aspekte, die sie zum Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungs- und Entwicklungsprozesse machen können. 3.2.4 Aspekte der Kompetenzzuschreibung Kompetenzzuschreibungen im theoretisch-abstrakten Sinne rücken personenimmanente Möglichkeiten bzw. Dispositionen in das Zentrum der Betrachtung. Sie verweisen zum einen auf das Fähigkeitspotential, d.h. nicht auf die beobachtbare Performanz, und bestimmen zum anderen individuelle Mündigkeit und Gestaltungsfähigkeit als Zielhorizont. Über die Disposition hinaus wird auch die Bereitschaft im Sinne einer Motivation als Merkmal der Kompetenzzuschreibung diskutiert. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 66-68) Kompetenzzuschreibung im funktionellen Sinne kann als Zuständigkeit oder Handlungsrecht verstanden werden. Folgt man dieser Perspektive, wird Kompetenz durch die Zuerkennung von Handlungsrechten erlangt. Gesellschaftlich geschieht dies üblicherweise durch Prüfungen, in denen 58 Dies gilt zumindest für demokratisch verfasste Gemeinwesen. Für die Bundesrepublik siehe Grundgesetz (1949) Art. 2 sowie Art. 38. - 87 eine Performanz festgestellt und in Zeugnissen dokumentiert wird. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 66) Auf individueller Ebene erfolgt die funktionelle Kompetenzzuschreibung zum einen auf der Grundlage der selbst beobachteten Performanz und zum anderen auf der Grundlage der Bewertungsübernahme gesellschaftlicher Zertifizierungen. 3.2.5 Kompetenzzuschreibung als kompetente Leistung / Handlung Eine Handlung59 ist die für den Beobachter sichtbare Performanz eines Akteurs. Aus der beobachteten Performanz können nur Vermutungen zur Kompetenz des Akteurs gefolgert werden. Sie ist jedoch nicht sicher feststellbar. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 67) Die Einschätzung der Handlung als kompetente Handlung ist nach Schwadorf von „weiteren subjektiven, gesellschaftlichen und situativen Bestimmungsfaktoren“ (Schwadorf, H. (2003) S. 67) abhängig. In gleicher Weise von weiteren subjektiven Faktoren beeinflusst ist die Selbsteinschätzung des Handelnden. Allerdings kann es ihm im Gegensatz zum Beobachter gelingen, über die Introspektive Einblick in sein Möglichkeitsspektrum, d.h. seine Kompetenz, zu erlangen. Gleichzeitig hat er die Möglichkeit, im Rückgriff auf die Introspektive seinen subjektiven Entstehungs- und Verwertungszusammenhang als performanzleitende Entscheidungsfaktoren zu reflektieren. Die Grenzen der Introspektive liegen dabei allerdings in der begrenzten Bewusstheit des eigenen Selbst. Fremd- und Selbsteinschätzung kompetenten Handelns beinhalten daher besondere Probleme. Der Fremdeinschätzung könnten Einblicke in die handlungsleitenden Zusammenhänge fehlen. Der Selbsteinschätzung hingegen fehlen möglicherweise Bezüge (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 29), um die Handlung einordnen zu können.60 Da beide Einschätzungen mit unvollständigen Informationen arbeiten müssen, können sie zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. 3.2.6 Kompetenzzuschreibung als kompetentes Selbst Bei der Erlangung von Kompetenz steht die Subjektorientierung im Vordergrund, der „Lernerfolg im Hinblick auf den Lernenden selbst“ (Deutscher Bildungsrat (1974) S. 65). Der Verwertungserfolg ist nachrangig. (vgl. Schwadorf, H. (2003) S. 65) Mit dem kompetenten Selbst ist die 59 In einigen Fällen auch die Unterlassung einer erwarteten Handlung. 60 Chomsky spricht in diesem Zusammenhang davon, „dass diese intuitive unreflektierte Kenntnis dem Benutzer der Sprache durchaus nicht unmittelbar zugänglich zu sein braucht.“ (Chomsky, N. (1970) S. 29) - 88 Innenwirkung der Kompetenz, d.h. es sind die Veränderungen im Subjekt gemeint. Die Identität des Subjekts erwächst nach Widmer (1982) aus dem inneren Zusammenwirken der Kompetenzen (vgl. Widmer, K. (1982) S. 97-99). Sie entwickelt sich im Zusammenwirken und in Abgrenzung zum sozialen Umfeld bzw. zu für das Individuum relevanten anderen. (vgl. Schottmayer, G. (1997) S. 31-32) Die außen als Performanz sichtbaren Handlungen vollziehen sich im Subjekt vor dem Hintergrund seiner Logik und Kausalität, die in dessen soziokulturellen Hintergrund eingebettet sind und für das Subjekt in einem größeren Handlungszusammenhang stehen. (vgl. Wiater, W. (1991) S. 32) Das kompetente Selbst entzieht sich der unmittelbaren Beobachtung. Der externen Kompetenzbeurteilung ist nur die Außenwirkung zugänglich. Sie erfolgt als Bewertung der beobachteten Performanz vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Ansprüche, Erwartungen und Zuschreibungen (vgl. Schottmayer, G. (1997) S. 32, 33). Neben der Beschreibung des kompetenten Selbst im Sinne eines Identitätskonzeptes gibt es Auffassungen, die das kompetente Selbst als Teilkompetenz beschreiben. Sie verwenden Begriffe wie Humankompetenz oder persönliche Kompetenz, die auf das Subjekt verweisen und im Sinne einer Selbststeuerungsfähigkeit und Selbstentwicklungsfähigkeit verwendet werden. (vgl. Sorg-Barth, C. (2000) S. 37, 94, Wengemuth, F. (1998) S. 34-35) 3.2.7 Individuelle Kompetenzentwicklung Kompetenz als Möglichkeitsspektrum der Interaktion ist als Potential nicht erfahrbar. In konkreten Situationen ist lediglich die Performanz eines Akteurs erkennbar. Mit dem Erkennen und Deuten einer Performanz durch den Lernenden ist der Lernprozess ein aktiver generierender Prozess. Aus der beobachtbaren Performanz muss der Lernende auf das zugrunde liegende Möglichkeitsspektrum schließen. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 14, 33) Dies gilt nicht nur für den Lernenden. In gleicher Weise kann auf den Lernerfolg auch durch den Lehrenden nur anhand der Performanz des Lernenden oder dessen Selbstauskünfte geschlossen werden. Hier ergibt sich allerdings das Problem, dass der Akteur, obwohl er eine korrekte Performanz erkennen lässt, über die zugrunde liegende Kompetenz keine Auskunft geben kann. Es besteht die Möglichkeit, dass sie ihm trotz korrekter Performanz nicht im vollen Umfang bewusst ist. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 27-29) Die Kompetenzentwicklung ist als Aneignungs- und Deutungsprozess ein Konstruktionsprozess. Er muss sich an vorgefundener Performanz orientieren, damit der Lernende Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Kompetenz ziehen kann. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 13-14) Orientierung - 89 an vorgefundener Performanz bedeutet, dass die Performanz durch den Lernenden verstanden werden muss. Dabei ist das Verstehen ein handelnder Vollzug des Lernenden, der Neues vor dem Hintergrund bestehender Wissensbestände reflektiert, einordnet, interpretiert und bewertet. Es entsteht eine individuelle Einsicht in die vorgefundene Performanz, die für den Lernenden handlungsleitend wird. Das verstehende Handeln und die vorgefundene Performanz sind wechselseitig aufeinander bezogen. Ohne verstehendes eigenes Handeln kann sich der Lernende eine vorgefundene Performanz nicht zugänglich machen. Umgekehrt gilt, dass ohne orientierende Performanz kein Objekt für verstehendes Handeln greifbar ist. (vgl. Straka, G.; Macke, G. (2003) S. 45-46) Für organisierte berufliche Lernprozesse bedeutet dies eine Verlagerung der Prozesse in die konkrete berufliche Situation hinein. (vgl. Vonken, M. (2003) S. 62-63) Ähnlich wird in schulischen Lernprozessen verfahren, die über selbstgesteuerte handlungsorientierte Unterrichtsformen die Kompetenzentwicklung fördern wollen. Allerdings ist nach Auffassung von Nickolaus (2005) zumindest für berufliche schulische Lernprozesse die Überlegenheit handlungsorientierter Lernkonzepte gegenüber klassischen direktiven Konzepten zur Kompetenzentwicklung jedoch noch nicht eindeutig zu belegen. (vgl. Nickolaus, R. u.a. (2005) S. 60, 64-72) Möglicherweise müssen hier noch die Bedingungen für verstehendes Handeln präzisiert werden. (vgl. Straka, G.; Macke, G. (2003) S. 46-47, Nickolaus, R. u.a. (2005) S. 72-75) 3.2.8 Kompetenzen von berufsbildenden Lehrern Lehrer an berufsbildenden Schulen finden sich in der Situation, den Entwicklungsprozess ihrer Schüler vor dem Hintergrund des Berufes und durch den Beruf zu fördern. Ihnen obliegen die Aufgaben des Lehrens, Erziehens, Beratens, Beurteilens und Innovierens (vgl. Deutscher Bildungsrat (1970) S. 217). In diesem Sinne werden die notwendigen Kompetenzen der Lehrer verstanden als „das Verstehen und Gestalten von Situationen und Prozessen im Rahmen der Funktionen Lehren, Erziehen, Beraten, Beurteilen und Innovieren in der beruflichen Bildung“ (Bader, R. (1995) S. 320). Es handelt sich hier um eine funktionalistische Beschreibung. Sie verweist die berufsbildenden Lehrer in die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe vor und in beruflichen Kontexten zu ermöglichen. Die gesellschaftliche Funktionszuschreibung, aus der sich die notwendigen Lehrerkompetenzen ergeben, ist jedoch keineswegs eindeutig. Sie schwankt zwischen drei Sphären, die sich auch in der Ausbildung der Lehrer widerspiegeln. Dies ist zum einen die Sphäre der Fachlichkeit, die sich im Leitbild des Lehrers als Autorität für fachliche Inhalte manifestiert. - 90 Hier stehen die sachlichen funktionalen Notwendigkeiten der künftigen Berufsausübung des Schülers im Zentrum der Lehrerkompetenzen. Die zweite Sphäre bildet die persönliche Entwicklung des Schülers, die sich im Leitbild des Lehrers als Pädagoge ausdrückt. Hier stehen die Möglichkeiten, die zur Entwicklung der Mündigkeit führen, im Vordergrund der Lehrerkompetenzen. Schließlich bildet der Wissenschaftsbezug die dritte Sphäre. Sie findet ihre Entsprechung im Leitbild des Gymnasiallehrers, der die fachlich-inhaltliche Vermittlung mit wissenschaftlichem Anspruch verbindet. (vgl. Bader, R. (1995) S. 320-321) Mit der dreisphärigen Funktionszuschreibung bindet die Gesellschaft kompetentes Lehrerhandeln von vornherein in unterschiedliche Zielhorizonte, so dass nur bei Zielkongruenz eindeutige Handlungsempfehlungen möglich sind. Tatsächlich werden jedoch bei Zieldivergenzen notwendigerweise Kompromisse erforderlich.61 Die dreisphärige Funktionszuschreibung spiegelt das triadische Kompetenzmodell aus Fach-, Sozial- und Humankompetenz unter dem Blickwinkel des Lehrerberufs wider. (vgl. Wengemuth, F. (1998) S. 42-43, ähnlich Widmer, K. (1982) S. 95-97)62 Interessant ist, dass alle Kompetenzen eine berufliche Orientierung erfahren. Bemerkenswert ist dabei die dritte Sphäre. Über den Wissenschaftsbezug erfährt die Humankompetenz, d.h. die Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit, eine Rückbindung in gesellschaftliche Strukturen, die der Selbstentwicklung eine orientierende Richtung weisen. In der tatsächlich geübten gesellschaftlichen Praxis der Lehrerausbildung wird jedoch das Primat der Fachlichkeit deutlich. (vgl. Lutter, H. (1999) S. 40) Vor dem Hintergrund des Lehrermangels an berufsbildenden Schulen werden fachwissenschaftliche Studienabschlüsse dem ersten Staatsexamen gleichgestellt und pädagogische Nachqualifizierungen durchgeführt (vgl. Bader, R. (1995) S. 328), sonderpädagogische Fachrichtungen, die das Zweitfach ersetzen, mit dem Hinweis auf reduzierte fachliche Einsetzbarkeit skeptisch betrachtet (vgl. Bader, R. (1995) S. 325), 61 Interessanterweise scheint eine Kompetenzzuschreibung, die Lehrer befähigen würde, aus gesellschaftlicher Perspektive Kompromisse herzuleiten bzw. Antinomien zu bewältigen, in der vorher dargestellten funktionalen Kompetenzbeschreibung nicht enthalten zu sein. 62 Widmer fasst die Triade unter der Unterrichtskompetenz als Fachkompetenz, methodisch- didaktische Kompetenz und Begründungskompetenz direkt zusammen. (vgl. Widmer, K. (1982) S. 95) Neben der Unterrichskompetenz beschreibt er weitere Kompetenzen, die als ‚pädagogische Kompetenz’, ‚psychologische Kompetenz’ und ‚gesellschaftlich-politische und kulturell-soziale Kompetenz’ bestimmte Aspekte besonders akzentuieren. (vgl. Widmer, K. (1982) S. 96-97) - 91 und die erziehungswissenschaftlichen Anteile des Studiums in der Regel auf nur 25% des Studienvolumens festgelegt63 (vgl. Bader, R. (1995) S. 321-322). Es könnte sich hier ein doppelter blinder Fleck der gesellschaftlichen Perspektive abzeichnen. Dies ist zum einen der Irrtum, zu glauben, dass das Beherrschen eines Faches auch schon bedeutet, es vermitteln zu können. Zum anderen ist es ein möglicher Irrtum in Mittel und Zweck: Fachlichkeit ist in der Lehrerausbildung nicht länger ein Mittel, um eine langfristige gesellschaftliche Teilhabe der Lehrer im Sinne ihres Lehr- und Vermittlungsauftrages zu ermöglichen. Sie wird vielmehr zum pädagogischen Zweck, um eine kurzfristige gesellschaftlich-berufliche Einsetzbarkeit sicherzustellen, die darauf abzielt ad hoc aktuelle Fachlehrerengpässe der Berufsschulen auszugleichen. Einen Hinweis auf diese Problematik liefert die organisatorisch und wissenschaftlich problematische Ein- und Anbindung der Fachdidaktiken64 (vgl. Bader, R. (1995) S. 325, Lutter, H. (1999) S. 39-42), die zwischen den drei Sphären vermitteln könnten. Das Primat der Fachwissenschaften ist auch vor dem Hintergrund von Wandlungsprozessen in Gesellschaft, Technik und Wirtschaft problematisch. Mit der Unterstellung beschleunigter Wandlungsprozesse, die zurzeit vor dem Hintergrund der Globalisierung diskutiert werden, verschärft sich die Problematik, mit gegenwärtigen Lernprozessen auf zukünftige unbekannte Anforderungen vorbereiten zu müssen. Da die künftigen Veränderungen und damit auch die künftigen Ansprüche an die Fachwissenschaften unbekannt sind, ist die Kompetenzsphäre der Fachwissenschaft 63 Nach KMK (1995) S. 2 soll der erziehungswissenschaftliche Anteil am Studium des Lehramtes für die berufsbildenden Schulen 30 Semesterwochenstunden ausmachen. Insgesamt sind 160 Semesterwochenstunden für das Studium vorgesehen. Ergänzend zu den erziehungswissenschaftlichen Studienanteilen treten die Fachdidaktiken hinzu, die den beruflichen Fachrichtungen zuzurechnen sind, so dass von einem pädagogischen Studienanteil von ca. 25% ausgegangen werden kann. 64 Hierzu auch der Aufsatz von Merzyn, G. (2005), der die Fachdidaktiker als unwillkommen in ihren Fachbereichen schildert, da sie Ressourcen und Stellen besetzen, und ihnen innerhalb der Fachdisziplinen mangelnde Anerkennung durch die Kollegen bescheinigt. Deren Wertesystem beruht auf fachgebundenen Kriterien, so dass pädagogische Aspekte keinen Raum finden. In der Folge und im Ringen um Anerkennung wenden sich die Fachdidaktiker sehr stark fachwissenschaftlichen Themen zu, so dass fachlich-pädagogische Themen brachliegen. Für die Ausbildung der Lehramtsanwärter bilden die Fachdidaktiken in diesem Sinne keinen Brückenschlag zwischen Pädagogik und Fach, mit der Folge, dass Studium und Referendariat als Bruch erlebt werden. In diesem Sinne werden die Studierenden im Fach, jedoch nicht in ihrem pädagogischen Vermittlungsauftrag ausgebildet. - 92 nur geeignet, gegenwärtige Probleme zu bearbeiten und exemplarisch den Umgang mit Anforderungen zu erproben. Als berufspädagogisches Ziel tritt die gesellschaftlich eingebundene Mündigkeit als „Potential subjektivindividueller Problembewältigung mit Ungewissem, mit komplexen, offenen Situationen selbständig und kreativ umzugehen, wobei Kriterien des erfolgreichen Handelns vom handelnden Subjekt selbst mitdefiniert werden“ (Pätzold, G. (1995) S. 158), in das Zentrum pädagogischer Bemühungen. Ähnlich wird die Fachlichkeit auch aus betrieblicher Perspektive wahrgenommen. Dort sind tayloristische Arbeitsstrukturen mit vielfältigen Hierarchien durch flache Hierarchien, Gruppenarbeit und Arbeitsvollzüge mit Entscheidungs- und Kontrollaufgaben sowie Selbstverantwortlichkeiten abgelöst worden. Das Berufsprinzip als Festlegung auf einen Lebensberuf ist obsolet. Vielmehr werden aktive Lernprozesse im Arbeitsvollzug (vgl. Döring, O.; Severing, E. (2000) S. 144-149) im Sinne vollständiger Handlungen favorisiert. Sie zielen auf eine inhaltlich-materiale Vollständigkeit und auf eine methodisch-zyklische Vollständigkeit der Handlung. Die inhaltlich-materiale Vollständigkeit bezieht sich dabei auf die Berücksichtigung aller Kompetenzbereiche, d.h. der Fach-, Sozial- und Humankompetenz, und die methodisch-zyklische Vollständigkeit auf die Vollständigkeit der lernenden Handlung, d.h. von der Handlungsplanung bis hin zur abschließenden Kontrolle und Bewertung. (vgl. Dehnbostel, P. (1998) S. 177-179, 183-186) Für die funktionalistisch betrachteten Kompetenzsphären berufsbildender Lehrer65 bedeutet dies einen Bedeutungsverlust der Sphäre der Fachwissenschaft zugunsten der pädagogischen Sphäre, die die Aufgabe des Lehrenden auf die Entwicklung der Mündigkeit der Schüler fokussiert. Die Entwicklung entsprechender Lernangebote wird zu einer zentralen Aufgabe. Besonders geeignet sind hierfür handlungsorientierte Lernarrangements. (vgl. Pätzold, G. (1995) S. 158, 167-169). Die Kompetenzsphäre der Wissenschaftsorientierung stützt und ergänzt diese Entwicklungen im Sinne einer Prozessbegleitung und -reflexion. Dabei zielt die Reflexion auf die Voraussetzungen, Wege und Grenzen des Unterrichts. (vgl. Pätzold, G. (1995) S. 168). Problematisch ist jedoch nach Bader (1995) eine Wissenschaftsorientierung, die fachwissenschaftliches Verständnis zur Klärung bzw. Reflexion pädagogischer Praxis beruft, da sie möglicherweise vor dem Hintergrund ihres wissenschaftstheoretischen 65 Gleiches gilt für die betrieblichen Ausbilder. (vgl. Pätzold, G. (2000) S. 71, 76-77, 84) - 93 Vorverständnisses nicht in der Lage sein könnte, Aspekte der beruflichen Praxis aufzuklären. (vgl. Bader, R. (1995) S. 325) Die Reflexion im Sinne der pädagogischen Sphäre ist vielmehr an den erlangten Möglichkeiten der Schüler zur Teilhabe an ihrer Welt einzuschätzen. Dabei ist nicht jeder Schüler gleich. Vielmehr sind unterschiedliche Lernfortschritte sowie Notwendigkeiten bzw. Möglichkeiten seiner Unterstützungen zu konstatieren. (vgl. Wiater, W. (2002) S. 176-177) Ebenso unterschiedlich sind die Erwartungshaltungen der Schüler an die Lehrer und die spezifischen Kompetenzprofile, die von den Lehrkräften erwartet werden.66 (vgl. Wiater, W. (2002) S. 175, 181-183) Verbindend zwischen diesen funktionalistischen Lehrerprofilen ist das Bemühen, das Profil des Lehrenden jeweils weitestgehend an die Notwendigkeiten der vorgefundenen Situation anzupassen. Aus der umgekehrten individuellen Lehrerperspektive ergibt sich die Notwendigkeit, die eigene pädagogische Leistung jeweils den Erfordernissen der Schülerklientel anpassen zu können und dabei gleichzeitig den gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag umzusetzen. Gerade hier, in der Anpassung an die Schülerklientel, scheinen Lehrende im berufspädagogischen Bereich erhebliche Defizite aufzuweisen. In Jeneweins Untersuchung erweisen sich die Lehrerkompetenzen in diesem Bereich als individuelle unsystematische Erfahrungen, die sich die Lehrenden aus der praktischen Erfahrung selbst angeeignet haben.67 (vgl. Jenewein, K. (1994) S. 214-218, 259-260) In die gleiche Richtung weisen die Fehleinschätzungen der Lehrer bezüglich der Erwartungshaltungen ihrer Schüler. (vgl. Jenewein, K. (1994) S. 231-234) Ein weiteres Indiz, das in die gleiche Richtung deutet, kann einer Studie zur beruflichen Belastung von Berufsschullehrern entnommen werden. Hier geben immerhin 24% der Befragten Probleme in der Lehrer-Schüler- Interaktion als Belastung an. Bemerkenswert ist dabei, dass es sich um eine verbal freie Antwortkategorie und nicht um eine Antwortvorgabe handelt. (vgl. Vogel, H. u.a. (1996) S. 275-277) 66 Wiater schildert, dass Hauptschüler Lehrer mit straffem Führungs- und Kontroll verhalten „nicht als unangemessen“ (Wiater, W. (2002) S. 175) erleben, wohingegen Realschüler wenig äußere Kontrolle positiv bewerten. (vgl. Wiater, W. (2002) S. 175) Im weiteren Verlauf beschreibt er Anforderungsprofile an Haupt- und Realschul lehrer, die er nach Schulart gewichtet und mit schularttypischen Kompetenzen ergänzt. (vgl. Wiater, W. (2002) S. 181-183) 67 In einem Teil seiner Untersuchung erbat Jenewein Selbstauskünfte von Lehrern, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang sie die Aspekte ‚altersgemäße Entwick lung’ und ‚soziale Umwelteinflüsse’ und deren Konsequenzen auf ihren Unterricht einschätzen. (vgl. Jenewein, K. (1994) S. 210-225) - 94 3.2.9 Problembereiche pädagogisch kompetenten Handelns Eine Problematik der Kompetenzdiskussion ist die Schwierigkeit der Messung. Kompetenzen als Handlungsmöglichkeiten entziehen sich der Beurteilung. Lediglich die gezeigte Performanz kann beobachtet werden und Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Kompetenz zulassen. Dabei ist es schwierig z.B. im Bereich der Sozialkompetenzen festzustellen, inwieweit eine gezeigte Performanz lediglich für die Prüfungssituation gespielt wird oder im Sinne der Kompetenz Teil der Persönlichkeit des Lernenden geworden ist. (vgl. Vonken, M. (2003) S. 58-59) Neben der Messproblematik ergibt sich als weitere Schwierigkeit die Vielfalt möglicher Kompetenzbegriffe, die erzeugt werden und alle konkretisiert und didaktisch umgesetzt werden könnten. (vgl. Vonken, M. (2003) S. 57-58) Eng verbunden mit der Schwierigkeit der Vielfalt ist die Problematik der Auswahl bzw. Kompetenzdefinition. Im Modell einer harmonischen Gesellschaft könnten den Lernenden Kompetenzen mit dem Ziel einer Teilhabe an der Gemeinschaft vermittelt werden, die im Einklang mit den gesellschaftlichen Anforderungen stehen würden. Dadurch würden Normenkonflikte zwischen gesellschaftlichen Akteuren außerhalb des Modells stehen. In realen Gesellschaften sind jedoch Normen- und Interessenskonflikte vorhanden, die Eingang in die zu vermittelnden Kompetenzen finden müssen, da sich die Kompetenzen neben dem Handlungsbezug und der Persönlichkeit auch an Normen und Werten orientieren (vgl. Vonken, M. (2003) S. 53). Beide Problematiken sind Bestandteil der beruflichen Handlungssituation des Lehrers an berufsbildenden Schulen. Über die Notengebung ist der Lehrer in die Messproblematik eingebunden, über den schulischen Entwicklungsauftrag ist er auf die berufsfachliche und erzieherische Entwicklung und Integration der Schüler in die Gesellschaft festgelegt. Letztlich obliegt es ihm, konkret vor Ort in Normenkonflikten zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen, pädagogischen Möglichkeiten und der Identitätsentwicklung der Schüler zu vermitteln. 3.2.10 Bezüge zwischen Kompetenzentwicklung, Kompetenzprofilen und kompetentem Handeln in der Lehrerbildung Für die Entwicklung von Kompetenzen ist aus der Kompetenzdiskussion ersichtlich, dass Lernen nicht länger als Vermittlung, sondern vielmehr als Entwicklungsförderung gesehen werden kann. Lernen als individuelles Verstehen von vorgefundener Performanz anderer lässt drei Perspektiven professionellen Lehrerhandelns erkennbar werden. Dies ist zum einen die Input-Perspektive. Sie ist die klassische Perspektive, die Lernen als Vermittlungsleistung des Lehrenden versteht und diesen in das Zentrum der - 95 Betrachtung rückt. Die zweite Perspektive ist die Output-Perspektive. Sie begreift die Verstehensleistung des Lernenden als zentralen Aspekt. Die dritte Perspektive ist schließlich die Prozess-Perspektive, die den Fokus auf den Interaktionsprozess zwischen Lernendem und Lehrendem richtet. (vgl. Krainer, K. (2003) S. 972-974) Gegenwärtige Kompetenzprofile scheinen sich insbesondere aus der Input- Perspektive zu erschließen. Input meint hier Anforderungskataloge, die als berufliche Profile an Lehrer herangetragen werden (vgl. Wiater, W. (2002)), um berufliche Handlungssituationen adäquat meistern zu können. Die Output-Perspektive ordnet dann dem Lernort Universität die Sicherung der „Grundlagenkenntnis und Sachkompetenz … der … Fachdisziplinen“ (Wiater, W. (2002) S. 184), dem Referendariat die „Umsetzung der theoretischen Kenntnisse“ (Wiater, W. (2002) S. 186) zum routinierten Handeln und der Fortbildung die Erhaltung und die Erlangung weiterer Kompetenzen (vgl. (Wiater, W. (2002) S. 186) zu. Durch die spezifische Arbeitsteilung bei der Kompetenzentwicklung für das Lehramt ergibt sich eine zeitliche Aufsplittung der Verstehensleistung des Studierenden, die weiter oben als zentraler Aspekt der Output-Perspektive beschrieben worden ist. Auch für die Prozess-Perspektive als dritte Perspektive gilt die zeitliche Zersplitterung. Während des berufspädagogischen Studiums interagieren Fachwissenschaftler mit den Studierenden, so entfällt ein Anteil von ca. 50% des Studiums auf das Erstfach. (vgl. Pätzold, G. (1999) S. 485) Erst im Referendariat haben die Studienseminare verstärkt Gelegenheit, die berufliche Situation der künftigen Lehrer zu reflektieren. Im Ganzen ergibt sich eine Problematik des Anwendungstransfers (vgl. Euler, D. (1996) S. 359-363), so dass Lehrer an berufsbildenden Schulen ihr Lehrerhandeln weitestgehend auf eigene Praxiserfahrungen sowie auf Erfahrungen der Referendariatszeit stützen. (vgl. Euler, D. (1996) S. 352) Für kompetentes Handeln ist allerdings nicht nur die Bewältigung von Situationen charakteristisch. „Situationen können durch andere erzeugt werden oder durch den Handelnden selbst“ (Vonken, M. (2005) S. 184). Dies bedeutet, dass neben der Bewältigung von vorgefundenen Situationen auch die Inszenierung einer Situation Teil kompetenten Handelns ist. Gerade die Inszenierung, im Sinne der Planung, Durchführung und Reflexion von Lerneinheiten, ist zentraler Gegenstand der schulischen Praxis der Lehrer. Hier laufen Lehrer durch einen möglichen mangelnden Anwendungstransfer universitären Wissens Gefahr, vorgefundene Alltagspraktiken zur Bewältigung schulischer Situationen unreflektiert zu nutzen - 96 und als Grundlagen ihrer Inszenierungspraxis in künftige Handlungssituationen zu tradieren.68 68 Exemplarisch sei für die methodischen Aspekte didaktischen Handelns in diesem Zusammenhang auf Heimann verwiesen. Er weist für die methodischen Aspekte der Didaktik auf die Problematik der „retrospektiven Hemmung“ (Heimann, P. (1962) S. 425) hin, die durch das Festhalten an tradierten Methodiken entstehen kann. Er führt weiter aus, dass aufgrund der Zeitabhängigkeit, d.h. der Einbindung der Methodiken in einen historischen Kontext, diese stets in ihrer Zeit neu zu begründen seien. Dabei bilden die tradierten Methodiken Möglichkeiten für Ersterfahrungen, die eine produktive Weiterentwicklung ermöglichen können. (vgl. Heimann, P. (1962) S. 425) Folgt man Heimann, könnte eine unreflektierte Tradierung das pädagogische Handeln im Laufe der Zeit den gesellschaftlichen Kontexten entfremden. - 97 3.3 Professionalisierung und Lehrerhandeln 3.3.1 Profession und Professionsanalyse Als Profession werden Berufsgruppen beschrieben, die sich über das normale Maß beruflicher Entwicklung und Abgrenzung hinaus entwickelt haben. Professionen wird eine herausgehobene gesellschaftliche Position und Bedeutung beigemessen. Als klassische Professionen gelten die Theologie, die Jurisprudenz und die Medizin. Ob die Pädagogik den Professionen zuzurechnen ist, ist umstritten. Zur Analyse des Phänomens Profession sind verschiedene Untersuchungsperspektiven gewählt worden. Die gewonnenen Analysebefunde werden gleichzeitig als Referenzgrößen in der Diskussion um die Pädagogik als Profession herangezogen. Eine erste mögliche Untersuchungsperspektive ist die funktionalistische Betrachtungsweise. Sie beschreibt die gesellschaftliche Funktion der Profession und ihre Merkmale. Zu den Merkmalen zählen ein systematisches Wissen, das spezielle Aneignungen erforderlich macht, die Orientierung der Profession am Gemeinwohl als zentralem Wertbezug der Profession und die Autonomie der Profession über ihre eigene Berufsausübung und Ausbildung. (vgl. Combe, A.; Helsper, W. (1997) S. 9-10) Eine zweite Perspektive bietet die machttheoretische Betrachtungsweise. Sie betrachtet eine Profession als berufliche Gruppierung, der es gelungen ist, einen relevanten sozialen Bereich für sich zu reklamieren. Wesentlich ist die Erlangung von Organisations- und Klientenautonomie, um der Profession die Verfügung über eine soziale Problemlage zu verschaffen. Das soziale Marktsegment wird von den Vertretern der Profession bearbeitet, die über lang andauernde Bildungsgänge den Zugang zu dem Aufgabengebiet erreichen. (vgl. Combe, A.; Helsper, W. (1997) S. 11) Einen weiteren Blickwinkel eröffnet die interaktionistische Betrachtungsweise. Sie betrachtet eine Profession aus der Rollenperspektive. Professionen werden als ausgehandelte Arbeitsbereiche verstanden. Der Schwerpunkt der Untersuchung richtet sich auf Spannungen und Paradoxien, die sich aus der Wertbindung der Profession und der Fallorientierung des professionellen Handelns ergeben. (vgl. Combe, A.; Helsper, W. (1997) S. 10-11) Ähnlich, jedoch aus gesellschaftlicher Perspektive, argumentiert die strukturtheoretische Betrachtungsweise. Sie ordnet der Profession eine Vermittlungsfunktion zu, die zwischen einem zentralen gesellschaftlichen Gut und einer demgegenüber defizitären Position eines Individuums aussöhnt. Die Profession liefert dazu stellvertretende Orientierungen und Deutungen für die Problemlagen des Individuums. (vgl. Combe, A.; Helsper, W. (1997) S. 13-14, Schütze, F. (1997) S. 185-186) Professio- 98 neller und Klient schließen ein Arbeitsbündnis. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 115-118) Schließlich thematisiert die systemtheoretische Betrachtungsweise eine Profession als ein Lösungsmuster für Probleme in einer funktional differenzierten Gesellschaft. Eine Profession bearbeitet ein zentrales gesellschaftliches Problem, für das die Profession über einen monopolisierten Wissenskorpus verfügt. Die Professionsmitglieder stehen in einem Leistungsverhältnis einem Klienten gegenüber, der die Komplementärposition einnimmt. Die behandelte Problematik des Klienten betrifft seine Identitätserhaltung, seinen Strukturaufbau oder seine Strukturveränderung. Zentral für das Verhältnis zum Klienten ist die Vermittlungsfunktion des Professionellen. (vgl. Combe, A.; Helsper, W. (1997) S. 13, Stichweh, R. (1997) S. 58-64) 3.3.2 Funktionale Aspekte pädagogischer Professionalität Aus der historischen Entwicklung heraus werden der Pädagogik die Aufgaben Lehren und Erziehen zugewiesen (vgl. Reble, A. (1993)). Die Erziehungsaufgabe könnte jedoch, folgt man Giesecke (1993), vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Relativität von Weltbildern zu einem Setzen von Grenzen für die Handlungsspielräume der Kinder reduziert werden. (vgl Giesecke, H. (1993) S. 8-13, 21-22) Ein Anspruch zur erzieherischen Persönlichkeitsformung scheint problematisch und wird in die Familie verlagert bzw. anonymen Sozialisationsinstanzen wie den Medien oder Gleichaltrigengruppen eingeräumt. Der professionelle Pädagoge wird zum Lernhelfer, der die fünf „Grundformen pädagogischen Handelns: Unterrichten, Informieren, Beraten, Arrangieren und Animieren“ (Giesecke, H. (1993) S. 6)69 praktiziert. (vgl. Dewe, B. u.a. (1992) S. 7-10) Mit dieser Analyse scheint zunächst eine Deprofessionalisierung der Pädagogik einherzugehen, die den Pädagogen zum Lerninhaltsgestalter beliebiger Inhalte reduziert. Die indikatorische Professionsforschung, die die Wesensähnlichkeit der klassischen Professionen und der pädagogischen Berufe thematisiert und aus den Professionsattributen der klassischen Professionen Orientierungsmerkmale für die pädagogische Professionalisierung gewinnt, könnte diese Analyse nur durch die Entwicklung von Anforderungskatalogen auffangen, die ein professioneller Pädagoge erfüllen muss. (vgl. Dewe, B. u.a. (1992) S. 12-14) Aus dieser Perspektive wäre eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung erstrebenswert, um dem Vor69 Giesecke gliedert so das Inhaltsverzeichnis seines Buches. Konkret beschreibt er die Grundformen in den Einzelkapiteln. (vgl. Giesecke, H. (1993) S. 66-100). - 99 wurf einer möglichen Deprofessionalisierung der Pädagogik entgegentreten zu können. Aus strukturtheoretischer Perspektive muss zunächst die spezifische Aufgabe des ‚deprofessionalisierten’ Lernhelfers untersucht werden, um eine Aussage zu dessen möglicher Professionalität machen zu können. Die spezifische Aufgabe des Pädagogen besteht danach in der „Hervorbringung einer Handlungsstruktur, die es ermöglicht, in der Alltagspraxis auftretende Handlungsprobleme (von Patienten oder Klienten) aus der Distanz stellvertretend wissenschaftlich reflektiert zu bearbeiten.“ (Dewe, B. u.a. (1992) S.14, Hervorhebung im Original). Damit wird der Klientenbezug und nicht der Status als Lernhelfer zur Wissensvermittlung zum zentralen Moment pädagogischen Handelns. Der pädagogische Klientenbezug ist ein mehrfacher. Zum Ersten steht der Pädagoge im Klientenbezug zu seinem Schüler sowie zu dessen Eltern, soweit der Schüler noch minderjährig ist. Zum Zweiten sind weder der Schüler noch dessen Eltern im Rahmen der gesetzlichen Regelungen frei, sich dem pädagogischen Zugriff zu entziehen. Die Autonomie der Klienten im Sinne einer Vertragsfreiheit ist nicht gegeben. Zum Dritten wirken Pädagogen nicht auf einzelne Schüler, sondern auf Gruppen. Eine Handlungsstruktur, die sich auf den einzelnen Klienten bezieht – im Sinne eines direkten Fallbezugs – ist nicht möglich. Neben dem Klientenbezug ist das weitere Merkmal pädagogischer Handlungsstruktur die auf Entwicklung zielende Einflussnahme. (vgl. Dewe, B. u.a. (1992) S. 14-15) Mit dem auf Entwicklung zielenden Klientenbezug ist für die pädagogische Professionalität der Fördergedanke für den Klienten verankert und ein normativer Bezug gefordert. Der Fördergedanke legt die pädagogische Arbeit auf die Anleitung zur Selbsttätigkeit und Selbststeuerung fest. Der normative Entwicklungsbezug bleibt jedoch offen. Entwicklung wohin? Hier bedarf es der bildungstheoretischen Reflexion, um herauszufinden „welche denn jene anderen Zwecke sind, für die Schule und Unterricht da sind.“ (Herrmann, U. (1999) S. 425, Hervorhebungen im Original.) Die systemtheoretische Perspektive teilt mit der strukturtheoretischen Perspektive den Klientenbezug als Zentrum pädagogischer Arbeit. Sie untersucht jedoch den funktionalen Aspekt der Profession, d.h. die für die Gesellschaft bzw. den Klienten zu lösende Aufgabe. Aus der individuellen Klientenperspektive, der Interaktionsebene, leistet die Profession einen Beitrag, um ein existenz- oder bestandskritisches Problem für den Klienten zu lösen. (vgl. Stichweh, R. (1997) S. 64) Aus gesellschaftlicher Perspektive ist die professionelle Arbeit ein Lösungsmuster, um spezifische Probleme innerhalb einer Gesellschaft bearbeiten zu können. (vgl. Stichweh, R. (1997) S. 57-58) Für die Gesellschaft ist dies zum einen die funk - 100 tionale Leistungsrolle gegenüber individualisierten Klienten und zum anderen die Verwaltung eines gesellschaftlich relevanten Wissenskorpus. Für die Pädagogik ergibt sich im Wissenskorpus eine Ambiguität in der Orientierung. Die Mehrdeutigkeit erwächst aus der pädagogischen Aufgabe. Zum einen gehören pädagogisches Wissen über die Vermittlung von Wissensbeständen und zum anderen disziplinäre Fachwissensbestände als Vermittlungsgegenstände zum Wissenskorpus der Profession. (vgl. Stichweh, R. (1997) S. 60-61) Durch die Bündelung pädagogischer Aufgaben im Klientenbezug erhebt die Pädagogik den gleichen Anspruch auf Professionalität wie die klassischen Professionen auch. Gleichwohl sind für die Pädagogik einige Besonderheiten im Vergleich zu anderen Professionen zu konstatieren. Ein indikatorisches Moment ist der kollektive Klientenbezug der Pädagogik. Pädagogisches Arbeiten ist Arbeiten mit Gruppen, nicht mit einzelnen Klienten. Dadurch ist der Bezug des Professionellen zum einzelnen Klienten immer in einen Gruppenkontext eingebunden. Dem steht ein individueller Klientenbezug der klassischen Professionen Medizin und Jurisprudenz gegenüber. Der kollektive Klientenbezug der Pädagogik könnte, im Vergleich zu den beiden klassischen Professionen, als defizitärer gesellschaftlicher Zustand beschrieben werden, den es zu überwinden gilt. Immerhin ist auch Einzelunterricht, also ein individueller Klientenbezug praktikabel. Eine solche Argumentation steht jedoch im Widerspruch zum doppelten Fördergedanken pädagogischer Arbeit. Sie will zum einen die Selbständigkeit des einzelnen Klienten und zum anderen seine Sozialisation in die Gesellschaft fördern. Beide Förderaspekte bedürfen der Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Gruppe, wenn sie nicht bloße Theorie bleiben wollen. Die Besonderheit des kollektiven Klientenbezugs ist daher ein konstitutives Merkmal pädagogischer Professionalität.70 Ebenso konstitutiv ist der Fördergedanke, der Gedanke der Anleitung zur Selbsttätigkeit für die Pädagogik. Auch hier unterscheidet sie sich von den klassischen Professionen. Die klassischen Professionen behandeln Störungen. Sie finden einen Klienten in einer defizitären Position vor, der vormals in einer äquilibralen Position gewesen ist, und führen ihn dorthin zurück. Die Leistung des Klienten beschränkt sich auf seine Mithilfe. Die 70 Hier gibt es zwischen pädagogischer und theologischer Profession Ähnlichlichkeiten. Dort ist die Kirche in der Nachfolge der Jüngerschaft Jesu ein gemeinsamer Heilsweg. Die Sakramente (z.B. die Taufe) allerdings, als gnadenvermittelnde Zeichenhandlungen, wenden sich an den einzelnen Gläubigen. - 101 Pädagogik hingegen findet per definitionem defizitäre Klienten71 vor, die – abgesehen von der Erwachsenenpädagogik – erstmals eine äquilibrale Position72 einnehmen werden. Gegenstand der Pädagogik ist hier nicht lediglich das Hinführen, sondern es geht darüber hinaus darum den Klienten in die Lage zu versetzen, diese Position selbständig aufrechterhalten und gestalten zu können. Die Leistung der Klienten ist in der pädagogischen Förderung daher ein zentraler Aspekt, der mit dem Begriff der ‚Mithilfe’ unzureichend charakterisiert wäre. So unterscheidet sich über den Fördergedanken in der Pädagogik sowohl das Leistungsziel als auch die Stellung des Klienten von den klassischen Professionen. 3.3.3 Sonderwissen pädagogischer Professionalität Eine besondere Wissensbasis ist ein konstitutives Element für eine Profession. Allerdings ist sie nicht ausreichend, um eine Profession kennzeichnen zu können. Erst in Verbindung mit der institutionalisierten öffentlichen Anerkennung und der damit verbundenen Zuerkennung von Autonomie ergibt sich der besondere Status einer Profession. Die Autonomie richtet sich auf zwei Autonomiebereiche, zum einen auf die Klientenautonomie und zum anderen auf die Organisationsautonomie. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 26) Das Sonderwissen der Profession fußt zumindest in Teilbereichen auf einer „höhersymbolischen Sinnwelt“73 (Schütze, F. (1997) S. 183). Sie stellt zum einen Orientierungen und Systematisierungen für die Sonderwissensbestände zur Verfügung. Zum anderen beschreibt sie über Wertorientierungen ein besonderes Mandat der Gesellschaft, das der Profession einen Aufgabenbereich zur stellvertretenden Problembearbeitung für die Gesellschaft zuweist. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 183, 190-191) Das Sonderwissen besteht aus mehreren Komponenten. Es umfasst wissenschaftliches Wissen als Problemlösungs- und Deutungswissen, Berufswissen als tradiertes Erfahrungswissen zur Berufsausübung und gängiges Alltagswissen ins 71 Defizitär ist die Position insoweit, als i.d.R. bei den pädagogischen Klienten keine volle Teilhabe, Mündigkeit und Mitbestimmungsfähigkeit in der Gesellschaft vor liegt. Sie sollen vielmehr dahingehend entwickelt werden. 72 Als äquilibral kann das Ziel pädagogischen Wirkens insofern verstanden werden, als es in der erwachsenen Persönlichkeit ein Gleichgewicht zwischen mündiger Partizi pation und gesellschaftlichen Wertordnungen im Sinne von gesellschaftlichen An sprüchen intendiert. (vgl. Gudjons, H. (1994) S. 177-178) 73 Schütze versteht hierunter Problembestände, die durch die Profession in generalisier ten Typen- und Prozesskategorien erfasst werden. Die Kategorien ermöglichen eine wissenschaftliche und grundlagentheoretische Verankerung der Problematiken sowie deren wissenschaftliche Diskussion. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 183) - 102 besondere im Bereich der interaktiven täglichen Praxis. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 29) Entsprechend kann das wissenschaftliche pädagogische Sonderwissen kein rein akademisches Wissen sein. Es ist vielmehr ein Wissen, das praxisverbunden vermittelt werden muss, um praxisleitend wirksam werden zu können. Die Verschränkung von Theorie und Praxis ist die notwendige Bedingung, um pädagogisches Sonderwissen in den Sinnhorizont der künftigen Praktiker einzuführen und dort durch reflexive Selbstkonstruktionsprozesse zu individuellen subjektiven Alltagstheorien umzuformen, die für die Praktiker handlungsleitend werden. (vgl. Euler, D. (1996) S. 357-362) Der Verweis auf ein akademisch zu vermittelndes wissenschaftliches Sonderwissen ist aus indikatorischer Perspektive konstitutiv für eine Profession. Das wissenschaftliche Sonderwissen der Profession scheint jedoch für die Pädagogik zunächst nicht praxisleitend zu sein. (vgl. Euler, D. (1996) S. 350-352) Die Praktiker der Profession selbst schätzen es gering und führen ihr pädagogisches Handeln vorwiegend auf die eigene Praxiserfahrung zurück. (vgl. Euler, D. (1996) S. 352) Folgt man der strukturtheoretischen Perspektive, so stellt das wissenschaftliche Wissen Handlungsstrukuren zur reflektierten Bearbeitung von Alltagspraxis bereit. (vgl. Dewe, B. u.a. (1992) S.14) Für die pädagogische Alltagspraxis gibt es jedoch keine eindeutigen Lösungen, sondern nur Lösungsangebote, die aus den verschiedenen möglichen Blickwinkeln Beiträge zur Lösung von Praxisproblemen leisten können. Gleichzeitig ist die pädagogische Praxis eine Praxis, die nicht in einer Fachwissenschaft alleine verortet ist, sondern disziplinübergreifend nach Lösungen suchen muss. (vgl. Euler, D. (1996) S. 356) Hier unterscheidet sich die pädagogische Profession deutlich von den klassischen Professionen der Medizin, Jurisprudenz und Theologie, deren Wissenschaftsfundament Außenstehenden fest umrissen scheint und eindeutige Lösungen möglich erscheinen lässt. Die Grundlagen medizinischer Profession sind den naturwissenschaftlichen Wissensbeständen zuzuordnen, die reproduzierbare Ergebnisse ermöglichen. Die Grundlagen der Jurisprudenz und Theologie sind jeweils in logischen Systemen angelegt, so dass aus der Logik heraus notwendigerweise eindeutige Lösungsaussagen möglich werden können. Dies gilt für die Pädagogik nicht. Das pädagogische Klientenproblem ist im sozialen Umgang auszumachen, der sich aufgrund der Vielfalt möglicher Einflussgrößen, situativer Bedingungen und der Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Subjekte eindeutigen und reproduzierbaren Lösungen eher entzieht. Daraus ergeben sich für die Sonderwissensbestände der Sozialwissenschaften gegenüber den Sonderwissensbeständen anderer Professionen - 103 Darstellungs- und Rechtfertigungsprobleme. Die Sonderwissensbestände der Mediziner fußen auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Juristen auf Normsetzungen und die der Theologen auf metaphysischen Sinnwelten. Allen gemeinsam ist die für Außenstehende scheinbar sichere und prüfbare Herbeiführung von Ergebnissen. Die medizinische Sicherheit ergibt sich aus der Wiederholbarkeit naturwissenschaftlicher Phänomene, die der Juristen und Theologen aus der Logik ihrer Theoriegebäude. Demgegenüber scheitern sozialwissenschaftliche Wissensbestände schon amLeistungsmaßstab, der die Überlegenheit bzw. den Fortschritt des Neuen gegenüber dem Bisherigen nicht ermitteln und nicht darstellen kann.74 Das Rechtfertigungsproblem sozialer Leistungsmaßstäbe tritt neben die reine Leistungsmessung. Logiken und naturwissenschaftliche Maßstäbe können exakte Maßstäbe ermöglichen. Sozialwissenschaftliche Maßstäbe hingegen unterliegen dem Zeitgeist und dem Wandel sozialer Normen. Für die Sozialwissenschaften ergeben sich mehrdeutige Sonderwissensbestände, die die Entwicklung sozialwissenschaftlicher Expertenrollen und Professionen erschweren. (vgl. Walter-Busch, E. (1994) S. 83-84) Beide Probleme bewirken, dass auch im Reifestadium der Verwissenschaftlichung die Überlegenheit sozialwissenschaftlichen Wissens und die Überlegenheit sozialwissenschaftlicher Praxis gegenüber gut informiertem Laienwissen und -praktiken nicht deutlich werden können. (vgl. Walter- Busch, E. (1994) S. 91) Neben die Darstellungs- und Rechtfertigungsprobleme der Sozialwissenschaften tritt für die pädagogische Profession das Inklusionsproblem. Welche Sonderwissensbestände sind konstitutiv für die Beschreibung der Profession? Für die pädagogische Profession ist eine eindeutige Beschreibung der Sonderwissensbestände keineswegs erkennbar. Dies rührt aus dem professionstypischen Aufgabenfeld her, in dem Wissensbestände verschiedenster Provenienz an die Klienten weiterzugeben sind und gleichzeitig eigene Wissensbestände über das Vermittlungsproblem bereitstehen 74 Im übertragenen Sinne könnte man fragen: Ist in der Kunstgeschichte der Jugendstil der Klassik überlegen? Diese Frage ist nicht zu entscheiden und Holle (o.J.) verweist auf die unterschiedlichen künstlerischen Perspektiven auf Wirklichkeit, die der jeweiligen künstlerischen Interpretation zugrunde liegen. (vgl. Holle, G. (o.J.) S. 651-654) In die gleiche Richtung argumentiert Reble (1993) für die Pädagogik: „Weil das pädagogische Gebiet so vielfältig in das kulturelle Gesamtleben, in die weltanschauliche und die soziale Entwicklung, in die Ideengeschichte und die staatlich-ökonomische Bewegung hineinverflochten und auch in sich selbst so vielgestaltig ist – Erziehungsideen und -lehren wie auch Erziehungsformen und Schulwesen umfassend –, so kann der Schwerpunkt der Darstellung sehr verschieden gewählt werden.“ (Reble, A. (1993) S. 16) - 104 müssen. Wenn der erzieherische Auftrag gleichfalls Gegenstand professionellen pädagogischen Handelns ist, sind auch entsprechende Wissensbestände über Erziehungsziele, -maßnahmen und -bedingungen zu den Sonderwissensbeständen zu zählen. In diesem Zusammenhang scheint dann z.B. die Zuordnung der Fachdidaktiken, die zumeist den Fachwissenschaften angegliedert sind, problematisch. Sie können als Teilgebiet erziehungswissenschaftlicher Wissensbestände, im Sinne der didaktischen Transformation fachlicher Wissensbestände, aufgefasst werden, so dass sie im Sinne der Professionalisierung den Erziehungswissenschaften zuzuordnen wären. (vgl. Freitag, C. (2002) S. 205, 213) Allerdings bestünde bei einer entsprechenden Zuordnung wiederum die Gefahr der Entkopplung von Fachdidaktik und Fach. Aus den Darstellungs- und Rechtfertigungsproblemen der Sozialwissenschaften kann sich auch für die Auswahl und Tradierung der Wissensbestände ein Problem ergeben, das die Autonomie sozialwissenschaftlicher Professionen im Sinne einer Selbstverwaltung nicht wünschenswert erscheinen lässt. Problematisch können Sonderwissensbestände dann werden, wenn sie systematische Fehler enthalten, die für Klienten und Professionelle gleichermaßen zu Fesselungsmechanismen werden. Sie führen zu Stabilisierung der Situation, indem sich der Professionelle und der Klient in der Situation einrichten. Eine Entwicklung zum Positiven wäre nicht länger intendiert. (vgl. Schütze, F. (1997) S.258-260, 263) In gleicher Weise problematisch wäre die gewollte oder ungewollte Tradierung von systematischen Fehlern durch die Profession selbst. Verschiedene professionsimmanente Strategien stehen hierfür zur Verfügung. Die Fehler können organisatorisch zugedeckt oder ausgeblendet werden, berufliches Handeln kann vom fehlerhaften Bereich abgelenkt werden, Fehler können geleugnet werden, auf gesellschaftliche Einflüsse oder die Klienten abgeschoben oder auf mangelnde Arbeitsbedingungen zurückgeführt werden. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 261-263) Durch die Rechtfertigungsproblematik sozialwissenschaftlicher Wissensbestände, die zu ihrer vergleichenden Bewertung eines normativen Bezugs bedürfen, sind systematische Fehler nicht zu entdecken, solange sie nicht gegen das normative Bezugssystem verstoßen. Eine Autonomie der Profession, die auch die Autonomie eines Bezugssystems im Sinne der höhersymbolischen Sinnwelten intendieren muss, liefe Gefahr, einmal gemachte systematische Fehler zu tradieren. 3.3.4 Erfolgskriterien pädagogischer Professionalität Professionen sehen sich selbst als Berufe, die für ihre Klienten qualifizierte Dienste leisten. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 22) Als Grundlage der Dienstleistung kann ein Arbeitsbündnis zwischen Professionellem und Klienten - 105 angenommen werden. Gegenstand des Arbeitsbündnisses ist die Herstellung der Autonomie des Klienten, die der Klient alleine ohne die Hilfe des Professionellen nicht herstellen kann. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 114-115) Erfolgreiche professionelle Praxis der klassischen Professionen gibt Hilfestellungen, um negative Verlaufskurvensituationen des Klienten zu stabilisieren und ins Positive zu wenden. Hier kann zum einen der Versuch unternommen werden die Dynamik der Situation zu stoppen. Zum anderen können die Bedingungskonstellationen bearbeitet werden, die den problematischen Verlauf steuern bzw. in Gang gesetzt haben. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 258-259) Im Übertrag auf die pädagogische Professionalität sieht sie sich aus ihrem Selbstverständnis heraus im Normalfall nicht mit negativen Verlaufskurvensituationen konfrontiert, sondern mit entwicklungsbedürftigen Verlaufskurven, denen eine positive, auf mündige Selbststeuerung zielende Wendung zu geben ist. Entsprechend versucht die Pädagogik Entwicklungsdynamiken und deren Bedingungskonstellationen zu fördern. Dabei ist die Pädagogik in ihrem normativen Bezug auf die bildungstheoretische Reflexion in der Gesellschaft verwiesen (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 425). Auf Seiten des Klienten ist ein wichtiges Strukturmerkmal des Arbeitsbündnisses die Entscheidungsautonomie, sich in das Arbeitsbündnis zu begeben. Mit der autonomen Entscheidung für das Arbeitsbündnis entscheidet sich der Klient für die Situation und verbindet mit der Entscheidung die eigene Verantwortung, am Erfolg mitzuwirken. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 115-116) Der Erfolg des Arbeitsbündnisses wird allerdings durch den Professionellen konstatiert. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 122) Interessanterweise wird eine vollständige Herstellung des Erfolgs im Sinne des Erreichens eines Ideals als unmöglich angesehen, so dass das Arbeitsbündnis prinzipiell zukunftsoffen, d.h. dauerhaft bleiben könnte. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 122) Für die Pädagogik ist mit der Idee des Arbeitsbündnisses die Problematik der mangelnden Freiwilligkeit auf der Seite der Klienten verbunden. Hier greift die Denkfigur des Menschen als bei der Geburt entwicklungs- und erziehungsbedürftiges Wesen, um die gesellschaftliche Vormundschaft zu rechtfertigen. Dies enthebt den Pädagogen vor Ort keineswegs der Notwendigkeit eines funktionierenden Arbeitsbündnisses als Grundlage seiner Arbeit. Im Gegenteil verweist ihn die gesellschaftliche Bevormundung der Klienten explizit auf die Notwendigkeit, vor Ort erst ein konkretes Arbeitsbündnis mit seinen Klienten herstellen zu müssen. So kann die Herstellung des konkreten Arbeitsbündnisses als notwendiges Erfolgskriterium jeder konkreten pädagogischen Praxis identifiziert werden. - 106 3.3.5 Entwicklung pädagogischer Professionalität Professionsmitglied wird der Novize durch die Aneignung des relevanten Sonderwissens in den dafür vorgesehenen Institutionen. Dies sind in der Regel die Universitäten. Hier wird den Studierenden wissenschaftliches Wissen und erstes Berufswissen vermittelt. Die weitere Vermittlung des Berufswissens, die berufliche Orientierung und die nachhaltige Entwicklung der Berufsidentität erfolgen in den an die Studienzeit anschließenden Praktika bzw. Referendariaten. In der Anwendung des Wissens erfährt es eine Formung zu einer praktischen Theorie. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 29-30) Die entwickelte Berufsidentität geht durch ihren biographischen Bezug über die Ausformung von beruflichen Rollenmustern hinaus. Sie ist eine spezielle biographische Identität des Professionellen. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 185) In der gleichen Weise kann aus der Verwendungsperspektive argumentiert werden. Im Sinne eines Arbeitsbündnisses muss der Professionelle zwei Entwicklungsschritte durchlaufen. Zum einen muss er mit den wissenschaftlichen Begründungszusammenhängen seiner Profession vertraut werden. Zum anderen muss er sich in das spezifische Verhältnis zum Klienten im Arbeitsbündnis einfinden. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 124129) Ersteres kann an wissenschaftlichen Hochschulen studiert werden. Letzteres jedoch ist eine Habitualisierung, eine Entwicklung einer Geisteshaltung, die durch Hineinwachsen erworben werden muss, d.h. nur im Umgang mit der Praxis erworben werden kann. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 120, 123, 129) Eine Entkopplung beider Prozesse im Sinne einer zeitlichen Reihung von Theorievermittlung und Habitualisierung kann jedoch zu einer Deprofessionalisierung führen.75 Dies kann zum einen eintreten, wenn die Theoriebasis als Selektionsinstrument genutzt wird, um den Zugang zum Habitualisierungsprozess zu steuern. Zum anderen kann es eintreten, wenn die Theorievermittlung erfolgt, ohne dass die Vermittler selbst den Habitualisierungsprozess durchlaufen haben. In diesem Sinne ist die Einheit von Forschung und Lehre eine notwendige Voraussetzung der Professionalisierung. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 108-109) Für die Professionalisierung der Lehrer sind Praktika und Referendariate die Lernbereiche, in denen Berufsanfänger erste Realerfahrungen sammeln können. Die bis zu diesem Zeitpunkt angesammelten wissenschaftlichen und systematischen Wissensbestände sind nicht ausreichend, um in dynamischen Situationen unter Zeitdruck erfolgreich tätig werden zu können. In 75 Oevermann argumentiert hier allgemein für das Wissenschaftshandeln sowie die Sozialisation und Habitualisierung von Novizen in den wissenschaftlichen Diskurs. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 108-109) - 107 den Praktika eignen sich die Berufsanfänger nichtformalisierte Wissensbestände an, die sich aus den Kontexten und Erfahrungen ergeben. Es kann zu Praxisschocks kommen, wenn die Praxiserfahrung die vorher gesammelten Wissensbestände in Frage stellt. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 47-48) Für die Berufsanfänger stellt sich die Frage nach der Verlässlichkeit ihres wissenschaftlich professionellen Wissens. Hinzu kommen die ständige Vermehrung der Wissensbestände und die sich wandelnde Relevanz der einzelnen Wissensbestände. Dadurch ist es schwierig, Kernbereiche professioneller Wissensbestände bzw. Leistungspotentiale eindeutig zu bestimmen. Zum Teil ergeben sie sich auch aus gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 41) Damit unterliegen die relevanten pädagogischen Sonderwissensbestände zumindest partiell Entwicklungen und Wandlungen, die gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln. Radikaler kann die gegenwärtige Ausbildungspraxis im Lehrerberuf als Entwicklung „routinisierte(r) Autodidakten“ (Herrmann, U. (1999) S. 422, Hervorhebung im Orginal) beschrieben werden. Der wissenschaftlichen Erstausbildung wird ein zweifelhafter Nutzen bescheinigt und den folgenden Praxisanteilen nur geringe Selbstentwicklungsmöglichkeiten für den angehenden Lehrer zugebilligt. Vielmehr gleiche der Einstieg in den Beruf einem Überlebenstraining, in dem die ersten Praxisjahre zum Erwerb der Alltagsroutinen dienen. In der weiteren beruflichen Entwicklung werdenLehrer zu Experten im Überleben des Schulalltags und im Erzeugen standardisierter Schülerleistungen, da das Schulsystem ein produktorientiertes Schülerleistungssystem ist. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 420422, Euler, D. (1996) S. 350-352) Nach der Ausbildung kommt es in der Ausübung der Profession für den Professionellen zu paradoxen Anforderungssituationen, die sich aus widersprüchlichen und nicht aufhebbaren Kernproblemen ergeben. Die Kernprobleme resultieren aus konträren Anforderungen seitens des professionellen Sonderwissens bzw. gesellschaftlichen Mandats auf der einen Seite und weiteren Anforderungen bzw. Bedingungen, die der Professionelle in der konkreten Handlungssituation vorfindet. Dies können u.a. Sachressourcen, bürokratische Abläufe oder hoheitliche Aufgaben sein, die mit der Ausübung der professionellen Handlung verbunden sind. Sie resultieren aber auch aus Fehlentwicklungspotentialen, die in den institutionellen Strukturkomponenten der Profession begründet sind. Für die Sozialisation des Professionellen in sein Arbeitsfeld und seine spätere Arbeit ist die Auseinandersetzung mit den Handlungsparadoxien der Schlüssel, um sich Fehlerpotentiale bewusst machen zu können, sie einschätzen und kontrollieren zu können. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 186-190) - 108 Zwei grundsätzlich fehlerhafte Strategien des Professionellen im Umgang mit Kernproblemen sind das einseitige Auflösen der Komplikationen und das Ignorieren bzw. Umgehen der Probleme. Mit der einseitigen Auflösung der Probleme wird bei der Bearbeitung des Falles systematisch ein Aspekt unterdrückt. Dies führt entweder zur Ignoranz der Interessenlagen des Klienten oder zur Hintergehung der gesellschaftlichen Zentralwerte, deren Vermittlung der Profession obliegt. Das Ignorieren bzw. Umgehen der Probleme lässt Informationen zu Tatsachen werden und nimmt ihnen ihren dialektischen Charakter. Dies führt dazu, dass eine Problemlösung im Sinne einer Synthese nicht mehr möglich ist. Beide Strategien führen letztlich zur Verschärfung der Probleme des Klienten.76 (vgl. Schütze, F. (1997) S. 255-258) Im pädagogischen Kontext bedeutet dies, dass die Entwicklungsproblematik des Klienten zur Selbständigkeit nicht gelöst wird. Defizitäre pädagogische Auseinandersetzung mit Kernproblemen führt in der pädagogischen Situation zur Statusstabilisierung des Klienten als dauerhaft entwicklungsbedürftig oder zur Kündigung des Arbeitsbündnisses durch den Klienten. Auch auf der Seite des Professionellen könnten problematische Selbstbilder aufgebaut werden. Hilfen zur Problembearbeitung scheinen die Pädagogen zumindest nicht aus ihrem wissenschaftlichen Sonderwissen schöpfen zu können (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 420-422, Euler, D. (1996) S. 350-352). Inwieweit es den pädagogischen Professionellen im autodidaktischen Prozess gelingt, erfolgreiche Strategien im Umgang mit Kernproblemen zu entwickeln, könnte deren pädagogischen Erfolg entscheidend formen. 3.3.6 Pädagogisch professioneller Klientenbezug Als wesentliches Merkmal einer Profession wird die Klientenautonomie erachtet. Gleichzeitig entsteht daraus ein Problem. Klienten sind nicht in der Lage, die Arbeit des Professionellen zu kontrollieren, haben jedoch ein starkes Interesse an einer guten Leistung. Umgekehrt bedarf der Professionelle der Mithilfe des Klienten, um seine Leistung erbringen zu können. 76 Die Auseinandersetzung mit den Paradoxien professionellen Handelns kann durch verschiedene Bedingungskontexte besonders erschwert werden. Zum einen ist dies der persönliche Bedingungskontext des Professionellen, der ihn vorbelastet, ohne professionelle Reflexion auf die Paradoxien mit emotionaler Ablehnung oder mit bedingungslosem Gehorsam reagieren lässt. Zum anderen können Ausbildungsmängel seitens der Profession ihren gesellschaftlichen Zentralwert, d.h. ihre Analyse- und Wissensbasis trüben oder die Praxis-Sozialisation beeinträchtigen. Zum Dritten können im konkreten Handlungsfeld Arbeitskontexte existieren, die professionelles Handeln gravierend behindern oder verhindern. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 252-253) - 109 (vgl. Daheim, H. (1992) S. 22-23) Die Interaktion des Professionellen mit dem Klienten wird als asymmetrisch betrachtet. Für den Klienten definiert der Professionelle ‚richtiges Handeln’. Die Legitimation hierfür erhält er aus dem gesellschaftlichen Auftrag seiner Profession, die Kriterien aus den Wissensbeständen seiner Profession. Die Gesellschaft zeichnet die Grenzen seines Mandates vor. In der Mandantschaft liegt das wesentliche Verhältnis zwischen Professionellem und Klienten. Der Professionelle bearbeitet für den Klienten Probleme, die zentrale Aspekte des alltäglichen Handelns des Klienten betreffen und vom Klienten nicht allein gelöst werden können. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 31) Häufig kann auch der Klient das helfende Angebot nicht ablehnen. Es führt ihn freiwillig oder unfreiwillig in die Abhängigkeit des Professionellen, der treuhänderisch tätig werden soll. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 31) Der Klient erwartet in der Arbeit mit dem Professionellen eine konkrete Veränderung seiner Situation. Für ihn ist es eine reale Handlungs-, Erlebens- oder Erleidenssituation. Für den Professionellen hat die Situation des Klienten jedoch Fallcharakter. Er muss seine allgemeinen Wissensbestände zur Erschließung der Typika bzw. Kategorien, die im Fall enthalten sind, anwenden und anschließend die professionellen Maßnahmen- und Lösungsmuster, die für die Typika möglich sind, zur Anwendung bringen. Durch die dynamische Entwicklung des Klienten(-falls), aber auch durch gesellschaftliche Entwicklungen bedingt, müssen die Typisierungen und Kategorisierungen ständig überprüft, angepasst und neu geschöpft werden. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 191-192) Es entsteht eine Falldynamik. In der Dynamik durch das Zusammenwirken zwischen Klient und Professionellen entsteht eine neue Wirklichkeit für den Klienten. Ziel der synthetischen Wirklichkeit ist eine Hilfe für die bestehende problematische Wirklichkeit des Klienten. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit einer Festhaltefalle bzw. Stabilisierungsfalle, indem der Hilfezustand als stabiler Dauerzustand eingerichtet wird. Mit zunehmender Handlungsmacht der Profession wächst die Wirksamkeit des Stabilisierungseffekts, und es kann ein Sog in die Stabilisierungsfalle entstehen. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 263-266) Der weiter oben geschilderte staatliche Einfluss auf eine Profession gibt für die Arbeitsgrundlage zwischen Klient und Professionellem scheinbar zwei konträre Möglichkeiten vor. Zum einen die Alternative des klientenadvokatischen Handelns. Zum anderen die Alternative des kontrollierenden Staatsdieners. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 248) Beide Alternativen führen in Krisen. Mit dem klientenadvokatischen Handeln verbunden ist die Notwendigkeit, das gesellschaftliche Mandat der Profession in Frage zu stellen. Als Mandat ist der Profession jedoch ein gesellschaftlicher Zentralwert - 110 übertragen worden, der dann in Frage gestellt wird. Die Profession verliert ihre Wertorientierung. Mit dem Handeln als kontrollierender Staatsdiener geht das Grundwesen der Klientenbeziehung, die helfende, zur Normalität führende Interessenswahrnehmung für den Klienten, verloren. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 249-250) Aus dem Dilemma führt die professionelle Selbstreflexion heraus. Gerade auf der Grundlage des gesellschaftlichen Zentralwertes sind die Möglichkeiten zur individuellen Wohlfahrt des Klienten auszuloten, sind die Ermessens-, Handlungs- und Entscheidungsspielräume gegen externe Verwaltungs- und Herrschaftsinteressen abzugrenzen. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 247-248) Das pädagogische Mandat geht über das bisher dargestellte Mandatsverhältnis hinaus. Zum einen ist das pädagogische Mandat zum Klienten nicht nur ein personenbezogenes Klientenmandat mit einem individuellen Arbeitsbündnis. Es ist vielmehr gleichzeitig, aus der Interaktion mit pädagogischen Gruppen heraus, auch ein Gruppenmandat, für das ein kollektives Arbeitsbündnis ausgeformt werden muss. Zum anderen stehen mögliche Konfliktpotentiale des Klienten nicht wie im klassischen Mandat außerhalb des Verhältnisses von Klient und Professionellem, sondern sie können im Dreiecksverhältnis zwischen einzelnem Klienten, Gruppe oder Teilgruppen und dem Pädagogen entstehen. Konflikte zwischen den Mandanten in der Gruppe werden in das Verhältnis hineingetragen. So hat das pädagogische Mandat Wesenszüge der Konfliktmoderation, die dem normalen Klientenmodell fremd sind. Im professionellen Selbstreflexionsprozess muss nunmehr die Wohlfahrt des Klienten nicht nur gegenüber externen Ansprüchen, sondern auch gegenüber den internen Gruppenansprüchen ausgelotet werden, und dies für jeden Klienten einer Gruppe. 3.3.7 Pädagogische Profession und Gesellschaft Die Gesellschaft überträgt der Profession einen monopolisierten Zuständigkeitsbereich. Kennzeichnend für eine Profession aus indikatorischer Perspektive ist die autonome Verwaltung dieses Bereichs. Im Professionalisierungsprozess eines Berufes sind die Entwicklung von Expertise und Kontrollorganisationen die wesentlichen Elemente, um erfolgreich die Zuständigkeit für einen Bereich reklamieren zu können. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 23) Die Autonomie der Profession sollte jedoch in ihrer Selbstkontrolle nicht überschätzt werden. Der Versuch eines Berufes, sich zu einer Profession weiterzuentwickeln, hat nur dann größere Aussichten auf Erfolg, wenn es ihm gelingt, seine marktregulierenden Berufszertifikate staatlich als universitäre oder universitätsadäquate Bildungsabschlüsse legitimieren zu lassen. Die Profession ist auf die staatliche Legitimationsgrundlage ange - 111 wiesen, um Gemeinwohlorientierung und Qualität ihrer Leistung glaubhaft machen zu können. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 39, 44-45) Mit der Abhängigkeit von staatlicher Sanktionierung der Zertifikate und der staatlich gebilligten, gewährten oder verordneten Monopolisierung eines Aufgabenbereiches ist die Profession an staatliche Einflüsse gebunden. Damit einher geht die staatliche Instrumentalisierung der Profession. Ihr werden Aufgaben zugeordnet, die ihrem Wesen nach nicht der Profession zuzuordnen sind oder gar dem Wesen der Profession zuwiderlaufen. Typisch hierfür sind staatliche Verwaltungsaufgaben, die ihrem Sinn nach gesellschaftlich kollektiv orientiert sind. Demgegenüber ist typisch professionelles Handeln klientenbezogen und seinem Sinn nach individuell orientiert. Mit der staatlichen Instrumentalisierung geht die gesellschaftliche Zuweisung der ökonomischen und organisatorischen Mittel an die Profession einher. In diesen Zwängen bleibt das professionelle Handeln weiter am Wohl des Klienten orientiert, ist aber in den limitierenden gesellschaftlichen Rahmen eingebunden. (vgl. Schütze, F. (1997) S. 239-245) Die staatliche Abhängigkeit der Profession wird für sie immer da zu einem Problem, wo sie durch den Staat in Kontroll-, Selektions- und Sanktionsfunktionen gegenüber ihren Klienten gedrängt wird (vgl. Schütze, F. (1997) S. 244), die professionsuntypisch sind und dem Wohl des Klienten zuwiderlaufen.77 Die Autonomie der Profession in der Selbstkontrolle ist daher nur vordergründig gegeben. Sie lässt den staatlichen Einfluss lediglich zu einem indirekten werden. Die Selbstkontrolle einer Profession ist darüber hinaus keine unausweichliche Entwicklung, die sich aus dem Prozess der Professionalisierung ergeben muss. Als Alternative zur professionsimmanenten Kontrollorganisation kommt eine Fremdkontrolle der Berufsausübung in Betracht. Hier könnte an Laienorganisationen im Sinne von laienfinanzierten Stiftungen und Organisationen gedacht werden. Auch staatlich bürokratische Kontrollmöglichkeiten sind denkbar (vgl. Daheim, H. (1992) S. 23). Gerade die Pädagogik hat nie die volle Autonomie der klassischen Professionen besessen. Sie war immer eingeschränkt durch die Schulorganisation und die Bedingungen des Berufsbeamtentums. (vgl. Dewe, B. u.a. (1992) S. 13) Die Autonomie als Merkmal einer Profession aus indikatorischer Perspektive weist zwar den Anspruch einer Gruppe nach, als Profession gelten zu können, zeigt jedoch noch nicht, ob der Autonomieaspekt wesentliches 77 In jüngerer Zeit z.B. die Einführung der Praxisgebühr für gesetzlich Kranken versicherte, deren Inkasso der praktizierende Arzt zu überwachen und zu vollziehen hat. - 112 Element professioneller Aufgabenerfüllung oder lediglich Ausdruck einer erreichten gesellschaftlichen Status- und Machtposition ist. Die moderne Gesellschaft orientiert sich in ihren Entscheidungen bzw. Bewertungen an Maßstäben, die eine Leitfunktion für die Gesellschaft haben. Professionen gelingt es mit ihrer Selbstverpflichtung auf „Rationalität, funktionaler Spezifität und Universalismus“ (Heidenreich, M. (1999) S. 40) die gesellschaftlichen Maßstäbe in idealer Weise umzusetzen. Sie spiegeln die gesellschaftlichen Grundüberzeugungen in ihrer Profession. Dabei ruht die Rationalität der Profession auf der wissenschaftlich legitimierten Erkenntnisbasis, die rational begründetes Handeln ermöglicht. Ihre funktionale Spezifität weist der Profession ein gesellschaftlich bedeutsames Handlungsfeld zu, in dem die Profession für die Gesellschaft Verantwortung übernimmt. Der Universalismus wiederum verpflichtet die Profession auf die Allgemeingültigkeit ihrer Handlungen und Aussagen. Damit einher geht die Rückbindung der Profession in die sie tragende Gesellschaft. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 40) Die Interaktion zwischen Gesellschaft und Profession wird zu einem Aushandlungsprozess. Das zentrale Moment der Aushandlung ist aus der Perspektive der Profession ihre funktionale Spezifität. In umgekehrter Perspektive ist es die gesellschaftliche Bedeutsamkeit des Handlungsfeldes. Mit der Abgrenzung des Problembereiches einher geht die Aushandlung der Definitionsmacht über die zu bearbeitenden Probleme. Wesentliches Merkmal einer Profession in der Abgrenzung zu einem Beruf ist die Autonomie der Problemdefinition durch die Profession selbst. Der Profession gelingt es, die Problemdefinition aus dem gesellschaftlichen Zuständigkeitsbereich in die Profession zu verlagern. Ihr gelingt es, im Aushandlungsprozess die Zuständigkeit für ein Handlungsfeld zu erlangen und auch die Zuständigkeit für die Problemdefinition innerhalb des Handlungsfeldes zu erhalten. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 46-47) In diesem Sinne beschränkt sich die notwendige Autonomie einer Profession auf die alleinige Zuständigkeit für ein gesellschaftlich bedeutsames Handlungsfeld und die Autonomie der Problemdefinition innerhalb des Handlungsfeldes. Aus der Perspektive der arbeitsteiligen Gesellschaft ist die Profession eine spezifische Idee der Berufsausübung. Sie ist ein Beruf besonderen Typs, der neben seiner funktionalen Zuständigkeit besondere Merkmale der Berufsausübung aufweist. (vgl. Stichweh, R. (1997) S. 50-51, 58) In der Leistungsrolle steht die Profession individualisierten Klienten mit Existenz- oder Bestandsproblemen gegenüber, verwaltet für die Gesellschaft besondere Wissensbestände und sorgt autopoietisch für die Tradierung ihres Funktionssystems. (vgl. Stichweh, R. (1997) S. 60-61, 64) Dabei ist die - 113 Leistungsrolle gegenüber dem individualisierten Klienten nur scheinbar eine Leistung ohne gesellschaftlichen Bezug. Tatsächlich stehen die zu bearbeitenden Klientenprobleme jedoch in einem direkten Bezug zur Gesellschaft und betreffen die Teilhabemöglichkeiten des Klienten an der gesellschaftlichen Interaktion. Dem Bild der ‚Teilhabemöglichkeiten’ bzw. dem Bild der Profession als ‚helfendem Beruf’ liegt ein harmonisches Gesellschaftsverständnis zugrunde (vgl. Daheim, H. (1992) S. 23). Dabei sind die Interessen der Profession deckungsgleich mit den gesellschaftlichen Interessen. In diesem Sinne kann sich eine Profession als gesellschaftliche Integrationsinstanz darstellen, die in gesellschaftlicher Verantwortlichkeit tätig wird (vgl. Daheim, H. (1992) S. 23). Hier gerät sie in einen möglichen Widerspruch zu ihrem Klienten. Dessen Interesse müsste ebenfalls in seiner Integration in die Gesellschaft liegen. Liegt das Problem des Klienten in einer Interessenskollision mit den gesellschaftlichen Interessen, so gerät die Profession in einen Konflikt. Über die professionelle Selbstreflexion gelingt es der Profession zwar auf der Grundlage des von ihr verwalteten gesellschaftlichen Zentralwertes, Handlungsspielräume für den Klienten aufzuzeigen (vgl. Schütze, F. (1997) S. 247-248), es gelingt ihr jedoch nicht, in Klientenproblemen gespiegelte gesellschaftliche Antinomien aufzulösen. Aus einer Perspektive, die divergierende Interessenlagen innerhalb der Gesellschaft untersucht, stellt sich Professionalisierung als ein berufs- und standespolitischer Prozess dar, mit dem Ergebnis, dass ein gesellschaftlich bedeutsames Handlungsfeld einer geschlossenen Personengruppe vorbehalten wird. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 413, 417) Erfolgreiche Professionalisierungsprozesse können durch vier Merkmale gekennzeichnet werden. Sie verfügen über ein sozial anerkanntes Fachwissen, eine an das Fachwissen gekoppelte Berechtigung zur Berufsausübung, eine Autonomie gegenüber den Klienten und dem Staat und eine berufsständische Ideologie der Orientierung am Gemeinwohl. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 414-415) Die entsprechenden Merkmale können für das Lehramt an öffentlichen Schulen nicht reklamiert werden. Bezüglich des Fachwissens werden Lehrer überwiegend in den Fachwissenschaften ihrer Unterrichtsfächer ausgebildet. Sie unterscheiden sich von den Absolventen ihres Faches, die nicht das Lehramt anstreben, nur durch den erziehungswissenschaftlichen Studienanteil, der relativ klein ist. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 415) Die Berechtigung zur Berufsausübung, d.h. Übernahme in den Schuldienst, ist zwar prinzipiell an entsprechende Studienexamen gebunden, wird jedoch immer wieder durch staatliche Seiteneinsteigermöglichkeiten durchbrochen. Hier werden Studienabsolventen ohne pädagogischen Hintergrund in das Referendariat oder gar den Schuldienst eingestellt mit der Auflage, - 114 erziehungswissenschaftliche Erstqualifikationen nachzuholen. Bezüglich der Klientenautonomie ist das Lehramt durch das Recht der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten auf eine Kooperation verwiesen. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 415) Auch der letzte Merkmalspunkt, die berufsständische Ideologie der Orientierung am Gemeinwohl, gestaltet sich für Lehrer schwierig. Mit dem Erziehungsauftrag ist der Lehrer sowohl auf das Wohl des Kindes im Sinne seiner Entwicklung zur individuellen gesellschaftlichen Teilhabe wie auch auf das Wohl der Gesellschaft im Sinne einer Vergesellschaftung des Kindes festgelegt. (vgl. Herrmann, U. (1999) S. 415-416) Vor dem Hintergrund des interessenorienterten standespolitischen Merkmalskataloges kann der Lehrerberuf nicht als Profession bezeichnet werden. Der dargestellte Merkmalskatalog könnte abgesehen vom standespolitischen Bezugssystem auch innerhalb des Bezugssystems problematisch sein. Er ist aus den gemeinsamen Merkmalen der Professionalisierung von Ärzten und Juristen hergeleitet und wird als Maßstab genutzt. Problematisch ist zum einen, dass äußerliche Merkmale zum Maßstab der Professionalisierung genutzt werden, die möglicherweise am wesentlichen Kern einer Profession, der in der Klientenorientierung liegen könnte, vorbeigehen. Zum anderen unterstellt der Maßstab für andere mögliche Professionen die gleichen gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen auf dem Weg zu einer Profession wie für Mediziner und Juristen. Hiervon kann für den Lehrerberuf nicht die Rede sein. Aus ökonomischer Perspektive bewegen sich Ärzte und Juristen auf einem oligopolistischen Angebotsmarkt. Wenige Anbieter stehen vielen Nachfragern gegenüber. In dieser Marktsituation liegt die Marktmacht auf Seiten der oligopolistischen Anbieter, die ihre Marktmacht in einem Angebotskartell über die oben dargestellten Mechanismen absichern. Lehrer hingegen stehen als Anbieter von Leistungen einem weitestgehend monopolisierten Nachfragemarkt gegenüber. Die Nachfrager sind hier die Kultusministerien, die über die KMK und standardisierte Ausbildungs- und Nachfragebedingungen ein Nachfragekartell geschaffen haben. Die Marktmacht liegt auf Seiten des Nachfragekartells und nicht auf Seiten der professionsambitionierten Lehrer. 3.3.8 Kritik an selbstverwalteten Professionen Eine autonome Profession im Sinne einer selbstverwalteten Profession entzieht sich der Klientenkontrolle und auch der gesellschaftlichen Kontrolle. Eine Kontrolle über den Wissensinput ist nicht möglich, da es sich um selbstverwaltetes Wissen handelt, das nur durch die Profession kontrolliert wird. Ebenso problematisch ist die Kontrolle des Output. Eine un - 115 genügende Leistung kann immer mit Hinweis auf die Mitwirkungspflichten des Klienten und dessen unzureichende Mitwirkung entkräftet werden. Auch die Kontrolle der Profession durch die Betrachtung der gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Arbeit ist nicht durchführbar, da die Profession den Kontext ihrer Arbeit beeinflusst. (vgl. Daheim, H. (1992) S. 32) Aus den mangelnden Kontrollmöglichkeiten kann die Gefahr einer Verselbständigung der Profession innerhalb der Gesellschaft entstehen. Das Deutungssystem der Profession schließt sich gegenüber der Gesellschaft ab und wird über die selbstverwaltete Ausbildungspraxis professionsintern entwickelt und tradiert. (vgl. Meier, A. (1994) S. 79) Über diesen Mechanismus kann sich das Deutungssystem von den gesellschaftlichen Anforderungen entfernen, entspricht aber den gemeinsamen Denkweisen der Professionsmitglieder, da diese professionsintern entsprechend dem Deutungssystem ausgebildet werden. (vgl. Meier, A. (1994) S. 78-80) Eine interne Kontrolle des Deutungssystems ist nicht möglich. In gleicher Weise unmöglich ist eine professionsexterne Kontrolle, da die Profession über den von ihr autonom kontrollierten Bereich die Deutungshoheit beansprucht. Mögliche Fehlentwicklungen könnten lediglich im Vergleich zu anderen Gesellschaften aufgedeckt werden. Allerdings fällt auch hier die Deutungshoheit der Profession zu. Sie neigt in diesem Fall zur Stabilisierung des eigenen Deutungssystems und könnte die Phänomene oder deren mögliche destabilisierende Interpretationen leugnen. (vgl. Meier, A. (1994) S. 80) Durch die Definitionsmacht einer Profession, die innerhalb ihres gesellschaftlichen Zuständigkeitsbereiches in der Lage ist, die zu bearbeitenden Probleme selbst zu definieren, entzieht sich die Profession nicht nur einer gesellschaftlichen Kontrolle. Sie ist in der Lage, über die Problemdefinition ein von der Gesellschaft unabhängiges Kontrollsystem aufzubauen. So ist die Jurisprudenz vordergründig für das zentrale gesellschaftliche Problem der Gerechtigkeit zuständig.78 Tatsächlich prüft die Rechtsprechung die Legalität von Entscheidungen. (vgl. Heidenreich, M. (1999) S. 47, 49) Mit der Umdefinition des Problems von der Gerechtigkeit zur Legalität einher geht die Umdefinition des Kontrollsystems. Nicht die Sache selbst wird geprüft, sondern ein formaler Vollzug. Auf diesem Weg könnte der Juris 78 Oevermann begründet die Legitimation von Professionen aus deren Zuständigkeit für die Lösung potentieller gesellschaftlicher Geltungskrisen. Der Jurisprudenz ordnet er in diesem Zusammenhang die Zuständigkeit für „die Aufrechterhaltung und Gewährleistung einer kollektiven Praxis von Recht und Gerechtigkeit“ (Oevermann, U. (1997) S. 88) zu. (vgl. Oevermann, U. (1997) S. 88-91) - 116 prudenz eine gesellschaftliche Entkopplung gelingen. Die Jurisprudenz könnte sich ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Zuständigkeit entziehen und würde stattdessen die Legalität, ein logisches Formalproblem, als ihren Zuständigkeitsbereich definieren, der auch logisch formal geprüft werden kann. Ihre Kontrolltätigkeit würde einen Formalismus, den sie selbst entwickelt hat, treffen. Sie würde lediglich die Regeln, die sie selbst aufgestellt hat, kontrollieren. Gesellschaftliche Gerechtigkeitsprobleme könnten nun als juristische Formalprobleme umgedeutet werden. Als Formalprobleme wären es Logikprobleme, die sich einer eindeutigen Lösung zuführen lassen könnten. Gleiche Formalprobleme würden zu gleichen Lösungen führen. Das logische juristische Regelwerk wäre in der Lage die Basis für reproduzierbare und sicher voraussagbare Lösungen zu liefern. Für Außenstehende würde sich der Eindruck einer neutralen Distanziertheit, die ohne Ansehen der Person immer wieder zu den gleichen Ergebnissen gelangt, ergeben. Die Definitionsmacht der pädagogischen Professionsambition ist gegenüber anderen Professionen deutlich geringer. Die Problematik beginnt bei der gesellschaftlichen Zuständigkeit, deren Schwerpunkt je nach Perspektive zwischen Erziehungs- und Bildungsauftrag schwanken kann. (vgl. Terhart, E. (1997) S. 448, 466) Ebenso unklar wie der Auftrag ist der Zielhorizont strittig. Ohne normative Kriterien der Schulqualität bleiben auch professionsinterne Entwicklungen diffus, lassen aber auch Raum für die Eigenbestimmung der Lehrer. (vgl. Terhart, E. (1997) S. 461-462) Letztlich ist auch der Klientenbezug, im Sinne einer Vermittlung zwischen Klient und Gesellschaft, eine instabile Grundlage der Lehrerprofession. Dabei sind beide Bezugsgrößen – Klient und Gesellschaft – nicht stabil. Die jugendlichen Klienten leben in immer individualisierteren Jugendphasen mit pluralistischen Jugendkulturen und auch die Gesellschaft ist zunehmenden Wandlungen unterworfen, so dass schulische Standardprogramme unter Umständen eine sehr geringe Vermittlungsleistung zwischen Klient und Gesellschaft ermöglichen und die ausgestellten schulischen Zertifikate dadurch entwertet werden. (vgl. Terhart, E. (1997) S. 455, 466) Das dargestellte Theorieproblem der Eingrenzung professioneller Standards lässt das Kollegium der Lehrer und den einzelnen Lehrer in ihrem individuellen Bemühen um ihre Klienten in das Zentrum der Betrachtung professioneller Lehrertätigkeit rücken. (vgl. Terhart, E. (1997) S. 462-463) 3.3.9 Bezüge zwischen Kriterien pädagogischer Professionalität, pädagogischem Sonderwissen und pädagogisch professionellem Handeln Zentrale Kriterien der Professionalität ergeben sich aus der Funktion, die die Profession für die Gesellschaft wahrnimmt. Aus der gesellschaftlichen - 117 Funktion heraus können dann Ansprüche an die Gesellschaft legitimiert werden, die der Profession die Erfüllung ihrer Aufgabe ermöglichen sollen. Für eine pädagogische Profession könnte die Entwicklung der pädagogischen Klienten im Sinne einer mündigen Integration in die Gesellschaft als zentrale Aufgabe definiert werden. Damit würden sich drei zentrale Teilaspekte pädagogischer Professionalität benennen lassen. Dies ist zum Einen der Klientenbezug, zum Zweiten der Entwicklungsbezug und zum Dritten der Gesellschaftsbezug. Aus den drei zentralen Teilaspekten pädagogischer Professionalität können jetzt Bezugsgrößen für das pädagogische Sonderwissen beschrieben werden. Hier sind jedoch Klientenbezug und Gesellschaftsbezug keine Bezugsgrößen, die der pädagogischen Profession ein Alleinstellungsmerkmal sichern könnten, da beide das menschliche Sein in einer sehr umfassenden Breite umspannen. Demgegenüber stellt der Entwicklungsbezug einen sehr klaren und abgrenzbaren gesellschaftlichen Auftrag dar, der sich zur Definition und Abgrenzung pädagogischer Professionalität eignen würde. In diesem Sinne könnten Wissensbestände um den pädaogischen Klienten, die Gesellschaft und auch Fachwissenschaftsbestände lediglich Medien sein, die die pädagogische Profession im Rahmen ihres Auftrages nutzt, um die Entwicklung des Klienten zu fördern. Demgegenüber würden sich die Sonderwissensbestände der pädagogischen Profession in den Wissensbeständen, die sich mit Entwicklungsprozessen pädagogischer Klienten befassen, subsumieren lassen. Hier greifen die Sonderwissensbestände der Profession auch in die weiter oben als zu allgemein ausgeschlossenen Wissensbestände über. Exemplarisch hierfür seien die Fachdidaktiken benannt, deren zentrales pädagogisches Element in der didaktischen und methodischen Transformation fachlicher Wissensbestände in klientengeeignete Entwicklungsprozesse beschrieben werden könnte. Pädagogisch professionelles Handeln könnte nun im Kern als Entwicklungshandlung verstanden werden, die geeignet ist, die Entwicklung des Klienten im Sinne der gesellschaftlichen Bezugsgröße der ‚mündigen Integration’ zu gestalten. Über die gesellschaftliche Bezugsgröße wäre dabei das pädagogisch professionelle Handeln in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung rückbezogen, so dass sich Begründungszusammenhänge pädagogischen Handelns immer im Bezug auf den Klienten und den gesellschaftlichen Kontext ergeben.79 79 Dies wird zum Beispiel in der Didaktischen Analyse von Klafki deutlich. Die fünf Grundfragen von Klafki zielen immer auf die Begründung eines Inhaltes im Sinne seiner Bedeutsamkeit für die Schüler und die Gesellschaft, so dass sich ein - 118 4 Konstruktivismus und Lehrerhandeln – Ansatzpunkte für das Forschungsdesign In Kapitel 3.1 konnte für die Expertenforschung gezeigt werden, dass ihre Forschungsergebnisse zur Expertiseentwicklung für Problematiken, die durch schlecht definierte Probleme – wie sie in der beruflichen Situation des Lehrers vorliegen – gekennzeichnet sind, ein geringeres Erklärungspotential bereitstellen.80 Die Expertenleistung eines Lehrers wird vielmehr erst in der Ausübung seiner Tätigkeit erkennbar. Kapitel 3.2 wendet sich den Lehrerkompetenzen zu81 und beschreibt dort die Fachlichkeit, die Pädagogik und den Wissenschaftsbezug als Zentren der Lehrerkompetenzen. Aufgrund beständiger gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, die an Dynamik gewinnen, erwächst dem pädagogischen Zentrum des Lehrers, im Sinne der Entwicklung der Mündigkeit des Lernenden und seiner damit verbundenen Befähigung selbständig Lernprozesse gestalten zu können, zunehmende Bedeutung. Das Kapitel 3.3 erläutert die Professionalisierung des Lehrerhandelns. Als Erfolgsfaktoren pädagogisch professionellen Handelns können der Klientenbezug und das Arbeitsbündnis mit dem Klienten erachtet werden.82 Im Überblick betrachtet, weisen alle drei Perspektiven auf die zentrale Bedeutung der Interaktionssituation zwischen Lehrendem und Lernenden als Erfolgsfaktor pädagogischen Handelns hin. Mit dem Konstruktivismus, und spezifischer mit dem Sozialen Konstruktivismus, wird daher im Folgenden eine Basis für die Erörterung von Interaktionssituationen gelegt, die es ermöglicht unterschiedliche Wirklichkeitsperspektiven der Akteure zu charakterisieren. Auf dieser Basis wird daran anschließend das Forschungsdesign entwickelt. Reflexionsrahmen für das Lehrerhandeln ergibt. (vgl. Klafki, W. (1975) S. 129-130, 135-142) 80 Vgl. Kapitel 3.1.7 Erkenntnisse zur Expertenentwicklung. 81 Vgl. Kapitel 3.2.8 Kompetenzen von berufsbildenden Lehrern. 82 Vgl. Kapitel 3.3.4 Erfolgskriterien pädagogischer Professionalität. - 119 4.1 Konstruktivistische Theorie 4.1.1 Historische Vorläufer Grundlegend für den Konstruktivismus ist das Erkenntnisproblem von Welt durch den Menschen. Der Konstruktivismus vertritt hier die Ansicht, dass die Welt durch den Menschen nicht erkannt werden kann. Vielmehr konstruiert der Mensch eine Welterklärung aus seinen Wahrnehmungen. Entsprechende erkenntnistheoretische Positionen reichen bis in die Antike zu Xenophanes zurück. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 13) Für das Zeitalter der Aufklärung wird auch Kant als Vorläufer der konstruktivistischen Position von deren Vertretern benannt. (vgl. Krohn, W., Küppers, G. (1992) S. 52-54, 58) Für sie ist die Aussage Kants, dass die menschliche Vernunft nur einsieht, was sie selbst erzeugt hat, bedeutsam (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 216). Spätere Vertreter der Posititon der ‚Nicht-Erkennbarkeit’ von Welt sind Schopenhauer, Nietzsche und Piaget. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 16, Glasersfeld, E. (1992) S. 25-29) 4.1.2 Erkennen der Welt (Wirklichkeit) Die Grundannahme des Konstruktivismus ist die Feststellung, dass die Welt vom Menschen nicht erkannt werden kann. Darüber hinaus geht der Konstruktivismus davon aus, dass die menschlichen Interpretationen der Welt vorläufig und begrenzt sind. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 13, Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1996) S. 41) Im Vergleich zu den historischen Vertretern des Gedankens der Nicht- Erkennbarkeit der Wirklichkeit entwickelt der Konstruktivismus seinen Ausgangspunkt nicht aus geisteswissenschaftlichen Argumentationsfiguren und Schlussfolgerungen. Er findet seine Wurzeln in neurobiologischen und neurophysiologischen Erkenntnislehren. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 17; Maturana, H.; Varela, F. (1987)) Der Mensch kann die Welt nicht erkennen, da er die Wirklichkeit selbst nie unmittelbar erfahren kann. Der Erkenntnisprozess wird als „selbstreferentieller, operational geschlossener Prozeß unseres Gehirns“ (Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 19) beschrieben. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 16) Dabei kann das Gehirn nur von den Sinnesorganen an das Gehirn weitergeleitete Erregungsmuster verarbeiten. Es erhält keine direkten Informationen der Außenwelt, sondern nur durch die Sinneseindrücke vermittelte Wahrnehmungen des Außen.83 (vgl. Oerter, R. (2001) S. 70) So stehen dem 83 Entsprechend der Wahrnehmungsmöglichkeiten der Sinnesorgane können Informatio nen an das Gehirn dringen. Die Sinnesorgane könnten so als Informationsfilter be zeichnet werden. Für den Geruchssinn des Hundes ergeben sich Informationen der - 120 menschlichen Gehirn lediglich Abbilder der Wirklichkeit zur Deutung zur Verfügung. Damit bleibt ihm die objektive Realität verschlossen. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 15) Auf dieser Basis schafft sich das Gehirn aktiv einen Eindruck der Wirklichkeit. Grenzen der Wirklichkeitsschaffung ergeben sich aus den Konstruktionsbedingungen des Organismus bzw. der Sinnesorgane. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 17-18) Beispielsweise haben nachtsichtige Tiere einen anderen Wirklichkeitseindruck in der Dunkelheit als der Mensch. Auch der menschliche Geruchssinn ist vergleichsweise begrenzt. Für einen Hund sind Geruchsspuren präsent, die außerhalb der Wirklichkeit des Menschen liegen. Die Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt zur Konstruktion der Wirklichkeit ist nicht die einzige Konstruktionsleistung, die der Mensch vollbringt. In gleicher Weise konstruiert der Mensch seine soziale Wirklichkeit. Identitätsentwicklung und Integration in soziale Strukturen sind gleichfalls konstruktive Leistungen des Individuums. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 18) 4.1.3 Menschenbild Der Konstruktivismus vertritt ein individualistisches Menschenbild. Jeder Einzelne ist für seine Konstruktion der Wirklichkeit verantwortlich und kann aus dieser Verantwortung nicht entlassen werden. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 23, Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 33) Durch die Nicht-Erkennbarkeit der Welt ist jeder Mensch zur Interpretation seiner Umwelt gezwungen. Es ergeben sich viele mögliche Wirklichkeitsinterpretationen, die nebeneinanderstehen und jeweils Gültigkeit beanspruchen. Eine digitale ‚Richtig’- oder ‚Falsch’-Einordnung einer Wirklichkeitsinterpretation ist damit unmöglich. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 19, Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 264) Die Konstruktionsleistung des Menschen kann als ihm selbst bewusster oder unbewusster Akt (vgl. Abb.: Bewusste / unbewusste Konstruktionsleistungen) erfolgen. Das Gleiche gilt für das Konstruktionsergebnis. Wirklichkeit, die dem menschlichen Geruchssinn aufgrund seiner geringeren Sensitivität verborgen bleiben. Dennoch sind auch diese Informationen Teil der Außenwelt und führen bei dem Hund zu einem spezifischen Eindruck seiner Wirklichkeit. Dessen gattungsspezifische Informationen und Wirklichkeitseindrücke können durch den Menschen selbst jedoch nicht erkannt werden. In Kenntnis der unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten wird daher der Hund z.B. in der Drogenfahndung eingesetzt, um indirekt dem Menschen einen erweiterten Zugriff auf die nicht erkennbare Wirklichkeit zu eröffnen. - 121 Abb.: Bewusste / unbewusste Konstruktionsleistungen. Quelle: Oerter, R. (2001) S. 71. Ergebnis Bewußt Nicht bewußt Prozeß Bewußt I II Nicht bewußt III IV Die Konstruktionsleistung des Individuums betrifft den physischen Existenzbereich, also die Konstruktion einer natürlichen Außenwelt. In gleicher Weise konstruiert das Individuum auch seinen sozialen Existenzbereich, also die Beziehungen zu anderen Menschen und seine eigene Identität. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 18-19) Der Spielraum des einzelnen Menschen zur Konstruktion seiner Wirklichkeit ist dabei so groß, dass er trotz großer Ähnlichkeiten mit anderen Menschen immer einen spezifischen und von anderen Menschen unterscheidbaren Menschen erschafft. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 19, Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 157-174) Die individuelle Konstruktionsleistung, d.h. die individuelle Interpretation der Welt, wird zur Grundlage des Verhaltens. Nicht die Welt, wie sie ein Beobachter sieht, oder die Summe gleichartiger Beobachtungen, die als objektive Welt beschrieben wird, wird zur Grundlage für das Verhalten. Es ist die innere Repräsentation der Welt, wie sie vom Individuum für sich geschaffen wurde, die seine Handlungen veranlasst. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 137-139, 148-151) Entwicklungspsychologisch betrachtet vollzieht sich die kindliche Entwicklung nach Piaget als Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt. In dieser Auseinandersetzung konstruiert das Kind sein Weltverständnis. Die Entwicklung der kindlichen Moral wird dabei als Ergebnis der Ko-Konstruktion mit Gleichaltrigen in spielerischen Gruppen betrachtet. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 71-72) Über diese Position hinausgehend betrachtet Aebli den ‚Prozess der Konstruktion’, d.h. die Handlung des Menschen die Sinneseindrücke zu einer Wirklichkeit zu deuten, ebenfalls als Konstruktionsleistung. Der von ihm beschriebene Elaborationsprozess greift zur Bearbeitung von Problemen nicht nur auf vorhandenes Strategiewissen zurück. Er beschreibt, dass Operationen zur Lösung des Problems an die gegebene Situation angepasst und gegebenenfalls neu entwickelt werden müssen. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 72) Damit konstruiert das Kind nicht nur seine Interpretation der Wirklichkeit, sondern es konstruiert sich auch selbst. - 122 In diesem Sinne bezeichnen Maturana/Varela den Menschen als autopoietisches System.84 (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 50-58) Der menschliche Organismus wird als geschlossenes System betrachtet, das Informationen über die Umwelt aus den Sinnesorganen bezieht. Aus diesen Informationen erschafft der Organismus selbst ein Bild der Außenwelt. Dieses Bild der Außenwelt wird zur Grundlage der Interaktion des Organismus mit der Außenwelt. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 60) Veränderungen des Bildes der Außenwelt können nur durch den Organismus selbst herbeigeführt werden. Er kann nicht dazu gezwungen werden. Lediglich über Störungen (Perturbationen) der Eindrücke von der Außenwelt kann dem Organismus ein Anreiz zur Veränderung seines Bildes von der Außenwelt vermittelt werden. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 20-21) Im Gegensatz zu älteren Lerntheorien, die den Lernenden im Lernvorgang eher passivieren85, bleibt der Mensch frei, seine inneren Strukturen mittels selbstorganisatorischer Prozesse zu verändern. Das heißt, dass der Mensch auf eine Störung mittels Selbstreflexion unterschiedlich reagieren kann, ja sogar auf die Störung gar nicht reagieren muss. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 20-21, Wyrwa, H. (1998) S. 127-130) 4.1.4 Gesellschaftsbild Über das individualistische Menschenbild ist jeder Einzelne für seine Integration in die Gesellschaft selbst verantwortlich. Integration in die Gesellschaft wird zu einer Anpassung der Wirklichkeitsinterpretation des Einzelnen. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 23) Gesellschaftliche Wahrheit ergibt sich als erreichter Konsens der Gesellschaft im betrachteten Zeithorizont. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 25) Die Integration des Individuums in die Gesellschaft wird zu einer Frage der Übereinstimmung der individuellen Wirklichkeitsinterpretation mit der Konsensinterpretation der Gesellschaft zu dieser Zeit. Die Konsensinterpretation der Wirklichkeit durch die Gesellschaft kann als historisch gewachsener Entwicklungsstand der Gesellschaft, als Kultur, die sich in Sprache, Gedächtnis, Wahrnehmung etc. der Gesellschaft spiegelt, verstanden werden. Der Gesellschaft eröffnet die Schrift ein externes 84 Autos bedeutet dabei ‚selbst’ und poiein bedeutet dabei ‚machen’. Sie definieren also ein ‚selbstmachendes’ System. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 51) 85 In den älteren Reiz-Reaktions-Modellen werden die Lernenden zu Reizempfängern, die den Reizen entsprechend eine erwünschte Reaktion zeigen sollen. Der Lernerfolg zeigt sich in der erfolgreichen Kopplung von Reiz und Reaktion, im Sinne einer stabilen Verbindung von Reiz und Reaktion, bei dem Lernenden. - 123 Speichermedium. Für die Gesellschaft bedeutet die Schrift die Möglichkeit, ihre Speicherkapazität für Wirklichkeitsinterpretationen fast beliebig zu vergrößern und kulturelle Fortschritte zu ermöglichen. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 74) Aus der Position des Individuums wird ihm über die Schrift die Kultur der Gesellschaft zugänglich. Nach Wygotski wird es dem Individuum so möglich, gesellschaftliche Konstruktionsleistungen, für die die Gesellschaft Jahrtausende an Entwicklung gebraucht hat, seiner eigenen Entwicklung zugänglich zu machen. Binnen kurzer Zeit ist das Individuum in der Lage, sich mit den kulturellen Grundlagen seiner Gesellschaft auseinanderzusetzen und sich mit gesellschaftlichen Positionen vertraut zu machen. Ein Prozess der Ko-Konstruktion zwischen Individuum und Kultur wird ermöglicht. Das Individuum ist in der Position des Nachahmenden. Die Nachahmung wird dabei als aktiver Konstruktionsprozess betrachtet. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 74) Kultur und Gesellschaft sind für das Individuum vorstrukturierte Wirklichkeiten. Im Prozess der Einfindung in die Gesellschaft übernimmt das Individuum Vorstellungen der Gesellschaft in seine Wirklichkeitskonstruktion. Je nach den orientierenden Rahmenbedingungen können familiäre, schichtspezifische, gruppentypische etc. Vorkonstruktionen in die Wirklichkeitskonstruktion des Individuums einfließen. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 18-19) Das Medium zur Ko-Konstruktion von Wirklichkeit ist die Sprache. Sie wird als wichtigstes Instrument zur Sozialisation betrachtet. Sie dient als Möglichkeit zur Interpretation von Wirklichkeit. Die Sprache ermöglicht es, in der Begegnung mit anderen Menschen Konsensbereiche zu erschaffen. Damit wird eine gemeinsam getragene Vorstellung von Wirklichkeit möglich. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 19-20, Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 39-41, 69, 144-145) Gleichwohl verbleiben die ‚gemeinsamen Vorstellungen’ bei den einzelnen Individuen. Es bleibt damit Raum für Mehrdeutigkeiten und Missverständnisse.86 (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 20, vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 212) 86 Der soziale Konsensbereich ist dadurch offener als ein physischer Konsensbereich, dessen Konsensstrukturen auskristallisieren können und damit ‚Realität’ schaffen. Aber auch die physische Konsens-Realität ist nur eine scheinbare. In der Alltagswelt ist es zum Beispiel ein allgemein gültiger, auskristallisierter Konsens, dass ein Tisch ein harter Gegenstand ist. Für Physiker hingegen besteht der Tisch aus Atomkernen und Elektronen, zwischen denen viel Platz ist. - 124 4.1.5 Lerngegenstände Glasersfeld unterscheidet zwei Arten von Lerngegenständen. Dies sind zum einen Dinge, die gelernt werden sollen, aber keine logische Begründung haben. Es handelt sich hier um gesellschaftliche Abmachungen, z.B. geschichtliche Ereignisse verbunden mit ihren Jahreszahlen, die gelernt werden sollen. Für diese Lerngegenstände besteht die Notwendigkeit des Auswendiglernens. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 213-214) Zum anderen sind es Dinge, die als Ergebnis von Denkvorgängen erklärbar sind. Diese Lerngegenstände können vom Lernenden einsichtig nachvollzogen werden, z.B. mathematische Operationen wie 2+2=4. Zur Auseinandersetzung mit diesen Dingen wird verstehendes Lernen bzw. selbständiges Denken notwendig. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 213-214) Zu den Dingen, die logisch erklärbar sind, gehört auch die Begriffsbildung. Begriffe entstehen durch die Reflexion der eigenen Denkvorgänge durch den Lernenden. Dadurch können Begriffe nicht sprachlich übermittelt werden, sondern müssen durch den Lernenden aufgebaut bzw. konstruiert werden. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 216-219) Beispielsweise muss der Begriffsinhalt des ‚Guten’ verstanden werden. Seine sinnvolle Anwendung setzt Verstehen voraus und der Begriff des ‚Guten’ kann nicht auswendig gelernt werden. Die Lerngegenstände begegnen dem Lernenden als Perturbation (Störung) seiner bestehenden Wirklichkeitskonstruktion. Im Rahmen geplanter Lernsituationen sind es didaktisch geplante Perturbationen, die zu Anregungen für Veränderungen des Wirklichkeitsbildes durch den Lernenden führen sollen. Je begrenzter die Angebote sind, desto begrenzter sind die Möglichkeiten, die das Individuum hat, um sein Wirklichkeitsbild zu verändern. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 28, 30-31) Die Veränderung des Wirklichkeitsbildes in Folge einer Perturbation kann als Ausdruck eines Ausgleichs zwischen Organismus und Umwelt verstanden werden. Mit der Veränderung des Wirklichkeitsbildes versucht das Individuum, eine verträgliche Basis für seine Interaktion mit der nun perturbierten (gestörten oder veränderten) umgebenden Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Das Individuum versucht, die Störung sinnvoll in sein Wirklichkeitsbild zu integrieren. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) 188189) Aus der Perspektive des Beobachters ist die Auseinandersetzung des Individuums mit dem Lerngegenstand dann erfolgreich, wenn das Individuum verbessertes, effektives Verhalten in dem beschriebenen Lern- bzw. Problembereich zeigt. Das heißt, die Veränderung des Wirklichkeitsbildes beim Individuum muss beim Beobachter zu Verhaltensbeobachtungen führen, die den Erwartungen des Beobachters entsprechen. (vgl. Matu- 125 rana, H.; Varela, F. (1987) S. 190-191) In diesem Sinne versucht der Beobachter festzustellen, ob und wie weit sich das Wirklichkeitsbild des Individuums an sein Wirklichkeitsbild angenähert hat. 4.1.6 Erziehungsziel Das konstruktivistische Erziehungsziel entwickelt sich auf der Grundposition der Nicht-Erkennbarkeit der Welt. Aufgrund der Nicht-Erkennbarkeit der Welt gibt es eine Pluralität von Weltauffassungen, die nebeneinander existieren. Grundsätzlich dürfen alle Weltentwürfe einen Anspruch auf Geltung erheben.87 Zur Teilhabe an der Welt ist es für jeden Menschen im Sinne des autopoietischem Systems notwendig, eigene Entwürfe der Welt konstruieren zu können. Dies betrifft sowohl die physische als auch die soziale Welt. Gleichzeitig ist es für den Menschen unverzichtbar, sich in andere Entwürfe hineinversetzen zu können. Ziel konstruktivistischer Pädagogik ist es, die kognitive Flexibilität und Autonomie des Menschen zu fördern und ihn in die Lage zu versetzen, unterschiedliche divergente oder parallele Wirklichkeitskonstruktionen entwickeln und verstehen zu können. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 28) Damit ist das Erziehungsziel die Selbständigkeit des Menschen. 4.1.7 Methodik des Lehrens für selbständiges Denken Die Grundbedingung für konstruktivistische Lernarrangements ist das Anknüpfen an die Erfahrungswelt des einzelnen Individuums. Die geschaffene Lernsituation muss sich in der Erfahrungswelt des Individuums befinden. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 220) Nur so können individuelle Wirklichkeitskonstruktionen verändert werden. Die Lernsituationen sind so zu gestalten, dass in ihnen die gewohnten Denkweisen der Lernenden fehlschlagen. Dies ermöglicht es, mit den Lernenden über die Situation und ihr Denken reflektieren zu können. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 220) Im Unterricht sollen Wissensvermittlung, Wissensverarbeitung und Identitätsarbeit erfolgen. Das zu vermittelnde Wissen wird als ein Ganzes verstanden, das sich unter spezifischen Kontexten entwickelt hat. So wird das Wissen nicht als ‚wahr’ vermittelt, sondern als Konstruktionsmöglichkeit. Die Wissensverarbeitung zielt auf das Erkennen der Konstruktivität und Relativität des Wissens und will den Umgang mit dem Wissen ermög 87 Solange ein Mensch an seinem Weltentwurf festhält und bereit ist sein Handeln da nach auszurichten, entwickelt dieser Weltentwurf für diesen Menschen, und mittels seiner Handlungen auch für andere Menschen, Bedeutung. - 126 lichen. Die Notwendigkeit der Identitätsarbeit ergibt sich aus der aktiven Konstruktionsleistung des Lernenden im Umgang mit Lerngegenständen. Seiner Identitätsbildung dienen die Wissensvermittlung und Wissensverarbeitung. Die Identitätsbildung ist so eine Metaebene, die dem Lernenden helfen soll, seine inneren Konstruktionsprozesse im Sinne einer Hinführung zur Selbständigkeit zu modifizieren. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 3841) Als historische Vorbilder konstruktivistischer Unterrichtsgestaltung werden Dewey (Projektlernen), Kerschensteiner (Arbeitsschule), Bruner (entdeckendes Lernen) und Wagenschein (Epochalunterricht / genetisches Lernen) genannt. Als neuere Ansätze konstruktivistischer Unterrichtsgestaltung werden Anchored Instruction, Cognitive Flexibility und Cognitive Apprenticeship bezeichnet. (vgl. Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1996) S. 42-43) Für den deutschen Sprachraum wird der handlungsorientierte Unterricht als konstruktivistische Unterrichtsform bezeichnet. (vgl. Schelten, A. (2000) S. 733) 4.1.8 Lernprozess Die herkömmliche, objektivistische Lernauffassung geht davon aus, dass Wissen durch Experten objektiv festgestellt und zu Lerngegenständen transformiert werden kann. In fachsystematischen Strukturen werden die Lerngegenstände dem Lernenden vermittelt. Der Lernende übernimmt die Lerngegenstände, wie sie ihm angeboten werden. Dabei hat der Lernende eine weitgehend passive und rezeptive Lernrolle, eine aufnehmende Rolle. Hier besteht die Gefahr, ‚träge’ Wissensstrukturen zu vermitteln, die nicht aktiv zur Lösung von Problemen eingesetzt werden. (vgl. Schelten, A. (2000) S. 732) Die konstruktivistische Lernauffassung hingegen geht von Wirklichkeitskonstruktionen aus. Die Wirklichkeitsinterpretation des Lernenden ist ebenso gültig wie die Wirklichkeitsinterpretation des Lehrenden. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 19) Da das Gehirn des Lernenden gegenüber seiner Umwelt autonom und abgeschlossen ist (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 19), kann es nur zu Veränderungen seiner Wirklichkeitskonstruktion angeregt werden. Lernen ist eine Form des Erkennens von Welt. Es ist eine aktive Handlung, bei der Beschreibungen der Wirklichkeit erzeugt und reflektiert werden. Mit dem Lernen schafft sich das Individuum eine Wirklichkeitsinterpretation. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 36, 40.) Lernen ist aus konstruktivistischer Perspektive keine Form der Informationsaneignung (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 20), sondern Lernen ist ein aktiver Prozess. Der Lernende ist aktiv und sein Verarbeitungs - 127 prozess ist konstruktiv. Die Eigenaktivität und Selbststeuerung des Lernprozesses sind zentrale Momente des Lernens. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 10, Wyrwa, H. (1995) S. 34, Schelten, A. (2000) S. 732) Lernen ist ein ununterbrochenes aktives Reagieren oder Nichtreagieren auf Perturbationen (Störungen). Aktiv ist dabei der Umgang mit den Störungen, deren Ablehnung, Annahme und Verarbeitung. Wobei der Ablehnungsentscheidung ebenfalls eine aktive Prüfung vorausgeht. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 36) Ausgehend von seiner subjektiven Position beginnt der Auseinandersetzungsprozess des Lernenden mit dem Wissen. Er interpretiert es vor seinem eigenen Erleben und baut daraus selbst Wissen auf. Erst das im eigenen Prozess erworbene Wissen gilt als verstandenes Wissen. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 10) Das selbstaufgebaute Wissen des Individuums ist jetzt nicht mehr genau deckungsgleich mit dem angebotenen Wissen, da ein Verarbeitungsprozess stattgefunden hat. Es hat sich eine individuelle Interpretation des angebotenen Wissensbestandes ergeben. Interpretation heißt nicht, dass die neue Information akzeptiert und die bestehende Wirklichkeitskonstruktion geändert wird. Auch eine Ablehnung der Information kann möglich sein. Auch der Begriff der Information kann als solcher nicht Bestand haben. Der Lernende setzt sich nicht mit ‚der Information’ auseinander. Vielmehr setzt er sich mit dem auseinander, was er in dem Informationsangebot gefunden hat, d.h. mit dem, was er für die Information hält. Der Informationsinhalt des Lerngegenstandes für den Lernenden muss nicht identisch mit dem Informationsinhalt sein, den der Lehrende im Lerngegenstand sieht. Es bleibt Raum für Interpretationen, Selektionen und Missverständnisse. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 212) Beispielsweise könnte sich ein Mathematiklehrer bemühen, einem Schüler klarzumachen, dass man in einer Gleichung die x- und die y-Werte nicht zusammenzählen darf. Zu diesem Zweck bedeutet er dem Schüler, dass man ja auch keine Äpfel und Birnen zusammenrechnen könne. Damit will er deutlich machen, dass zwischen x und y ebenso wie zwischen Äpfeln und Birnen gewaltige unüberbrückbare Unterschiede bestehen, die ein Zusammenzählen unmöglich machen. In der Vorstellung des Schülers jedoch könnten beide Beispiele allerdings bestechende Gemeinsamkeiten aufweisen: x und y sind Buchstaben, Äpfel und Birnen sind Obst. Damit würde sich die Trennschärfe der Beispiele für den Schüler verlieren. In seiner Wirklichkeit wären die Objekte jeweils Objekte einer Klasse von Objekten und könnten sehr wohl zusammengezählt werden. Neben der Illustration möglicher Missverständnisse wird an dem Beispiel die Bedeutung der Sprache für den konstruktivistischen Lernprozess deutlich. Die Sprache ist ein wichtiges Instrument zur Erlangung von Erkennt - 128 nissen. Sie ist die Grundlage für die Konstruktion und jede Reflexion der Wirklichkeit, sei es in der Form des zwischenmenschlichen Gesprächs oder als gedachter Dialog. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 32-33) Jeder Lernprozess führt beim Lernenden zu einer Neu- bzw. Umkonstruktion seines Wirklichkeitsbildes. Dabei folgt der Konstruktionsprozess dem Postulat der ‚epistemischen Homöostase’ nach Foerster. Es besagt, dass das Gehirn als Ganzes nach jeder Perturbation eine stabile Wirklichkeit erzeugt. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 35) Bestehende Strukturen des Individuums sind Resultat seiner Biographie. Neue Anregungen werden an die bestehenden Strukturen ‚assimiliert’ (angeglichen). Damit verändert sich die Gesamtstruktur des Individuums. (vgl. Reinhardt, A.; Osburg, C. (1999) S. 14, Schelten, A. (2000) S. 732) Die jeweils bestehende Gesamtstruktur ist wieder Grundlage der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Es entsteht ein Prozess der inneren Dynamik. Der Prozess der inneren Dynamik ist ein permanenter Prozess, der äußere Anregungen im Sinne der inneren Strukturen verarbeitet und angleicht. Dabei verändert er die inneren Strukturen und über die Aktionen des Individuums auch die Umwelt. Es kommt zu wechselseitigen Strukturveränderungen. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 84-85, 136-137) 4.1.9 Arrangement von Lernsituationen Bei der Gestaltung arrangierter Lernsituationen folgt die Prozessgestaltung dem Ziel, die Lernenden anzuregen, verschiedene Wirklichkeiten, parallele und divergente, konstruieren zu können. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 32) Dabei wird die Eigenaktivität und Selbststeuerung des Lernprozesses durch die Lernenden zum zentralen Moment des Lernens. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 10, Wyrwa, H. (1995) S. 34, Schelten, A. (2000) S. 732) Die Selbständigkeit der Lernenden bei der Wissensaneignung bedeutet jedoch nicht, dass sie auch den Prozess der Wissensvermittlung alleine steuern können. Selbstgesteuerte Lernprozesse sind störanfällig und bedürfen der Unterstützung durch Lehrende. D.h., dem Lehrenden wird die Rahmenplanung des selbstgesteuerten Lernprozesses zugewiesen. Ihm obliegen Planungs-, Organisations- und Durchführungsaufgaben, die den Lernenden stützen sollen. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 11) Probleme des selbstgesteuerten Lernens können sich ergeben, wenn die Komplexität der Situation die Möglichkeiten des lernenden Individuums übersteigt. Die Gleichzeitigkeit von Konstruktion des Prozesses, von Auseinandersetzung mit der Inhaltsstruktur und von Prozessen des Strukturierens und Ein- 129 prägens können die Möglichkeiten des Individuums überfordern. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 80, Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1996) S. 44) Arrangierte Lernsituationen und Unterstützungen durch Lehrende müssen den Lernenden Raum zur Entfaltung und zum Umgang mit den Lernangeboten erlauben. Die aktive Konstruktionsleistung des Lernenden ist notwendig, damit er seine bestehende Wirklichkeitskonstruktion in Auseinandersetzung mit dem Lernangebot verändern kann. Die Konstruktionsmöglichkeiten für den Lernenden müssen dabei auch den Lernprozess selbst umfassen. Aebli beobachtete, dass Kinder in der Auseinandersetzung mit Problemen Elaborationsprozesse zur Lösung einsetzen (vgl. Oerter, R. (2001) S. 79). Damit konstruieren sie aktiv Verstehenswerkzeuge, die einen späteren selbständigen Umgang mit Perturbationen ihrer Wirklichkeitsvorstellung ermöglichen. Bisher verbleibt das beschriebene Arrangement konstruktivistischer Lernsituationen in einer Perspektive, die den einzelnen Lernenden als isoliertes Individuum betrachtet. Dem Aspekt der Lerngemeinschaft wendet sich der Soziale Konstruktivismus zu. Er rückt die Idee des Lernenden als Teil einer Gemeinschaft stärker in das Zentrum der Betrachtung. Lernen ist hier ein kommunikativer Prozess gemeinsamen Handelns. (vgl. Oerter, R. (2001) S. 80) 4.1.10 Menschen als Teilnehmer von organisierten ‚Lernprozessen’ Der ‚Homo pädagogicus’, der erziehungsfähige und erziehungsbedürftige Mensch, ist eine gesellschaftliche Konstruktion. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass erst Erziehung dem Menschen zu seinem Menschsein und zu seiner Integration in die Gesellschaft verhilft. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 28) Im gleichen Sinne ist der erwachsene Teilnehmer an Lernsituationen eine Konstruktion. Das Bild des erwachsenen Teilnehmers entsteht aus Bedeutungszuschreibungen seitens der Anbieter von Kursen, die teilnehmerorientierte Angebote entwickeln wollen. Die Bedeutungen ergeben sich dann als Mischkonstrukte aus Wissenschaft, Zeitgeist, Sprache, Subjektivität und Interessen. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 30-31) Entwicklungspsychologisch kann die kognitive Entwicklung als Gestaltung von Wirklichkeitskonstruktionen in verschiedenen Inhaltsbereichen aufgefasst werden. Das Kind als Teilnehmer an Lernsituationen wird dabei als „universeller Novize“ (Oerter, R. (2001) S. 77) betrachtet. Der erwachsene Teilnehmer wird zumindest in dem Inhaltsbereich der Lernsituation, an der er teilnimmt, als Novize betrachtet. Das heißt, dass im betrachteten Inhalts - 130 bereich die Wirklichkeitskonstruktion des Teilnehmers Defizite aufweist. Defizite der Teilnehmerkonstruktion können sich im Vergleich zu der Konstruktion des Lehrenden oder der Konstruktion einer Konsensgemeinschaft ergeben. Lernen wird als aktive Umgestaltung der Wirklichkeitsvorstellungen des Lernenden betrachtet. Dies ist nur unter Mithilfe des Lernenden möglich. Aktivität setzt so ein Mindestmaß an Motivation und Interesse seitens des Teilnehmers an einer Lernsituation voraus. (vgl. Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1996) S. 41) Da Lernen ein aktiver Prozess ist und der Lehrende lediglich Anregungen (Perturbationen) gibt, muss der lernende Teilnehmer in der Lernsituation Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 32) Die positiven Aspekte der Verantwortungsübernahme und der Selbststeuerung des eigenen Lernprozesses bewirken eine teilnehmerbestimmte Gestaltung des Lerntempos und der Zeiteinteilung sowie eine teilnehmerbestimmte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Gleichzeitig werden jedoch auch hohe Anforderungen an die Teilnehmer gestellt. Es ergeben sich hohe Anforderungen an die Selbstdisziplin, die Motivation und den Umgang mit Problemsituationen für die Teilnehmer. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 12) Die Verantwortungszuweisung an die Teilnehmer kann in didaktisch arrangierten und organisierten Lernsituationen nur bedingt erfolgen. Die Verantwortung für den didaktisch-organisatorischen Rahmen verbleibt beim Leiter bzw. Gestalter der Lernsituation. Hierbei muss der didaktische Arrangeur nicht nur den einzelnen Teilnehmer in der Rahmengestaltung berücksichtigen. Er muss vielmehr auch die Teilnehmergruppe als soziale Gemeinschaft in sein Arrangement einbeziehen. Soziale Gruppen erlauben eine Koordination, eine Koppelung von Verhalten. Es entstehen Interaktionsarten und ein Bereich von Interaktionsphänomenen, die ein einzelnes Individuum alleine nicht herstellen kann. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 207) Soziale Phänomene beruhen darauf, dass Individuen sich als Teil eines Netzwerkes in aufeinander bezogener Entwicklung (Ko-Ontogenese) begegnen. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 209) Über den wechselseitigen Bezug kommt es zu einem gemeinsamen Driften der Entwicklung. D.h. die Individuen entwickeln sich weiter selbständig, nunmehr aber in eine gleiche Richtung. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 86, 204, 213) Durch die Koppelung des Verhaltens entsteht eine Einheit höherer Ordnung. Die Einbindung in die Gruppe lässt Verhaltensweisen zu, die aus egoistisch-individueller Perspektive keinen Vorteil bzw. Sinn ergeben, wie - 131 z.B. das Teilen von Nahrung. Der Sinn erschließt sich auf individueller Ebene erst, wenn sich das Individuum in seiner Wirklichkeitskonstruktion als Teil des Ganzen begreift. Im Sinne einer Erhaltung der Einheit höherer Ordnung ergibt jetzt altruistisches Verhalten für das Individuum einen Sinn. Es ist eine Anpassung seiner Wirklichkeitskonstruktion an die Bedingungen seiner Bezugsebene. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 213) Die hier geschilderten Verhaltensweisen ergeben sich in freien, informellen Gruppen. Hiervon zu unterscheiden sind menschliche Gemeinschaften, die Zwangsmechanismen zur Stabilisierung des Verhaltens ihrer Mitglieder einsetzen. Sie können ihre soziale Funktion verlieren und werden unmenschlich, wenn sie ihre Mitglieder depersonalisieren. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S.216-217) Eine egoistisch-altruistische Teilhabe des Individuums ist nur eingeschränkt oder nicht mehr gegeben. Aus der Perspektive des Teilnehmers enthalten auch arrangierte Lernsituationen Zwangsmechanismen. Durch die absichtsvolle didaktische Gestaltung der Situation ergibt sich ein Situationsrahmen, der als Zwang empfunden werden kann. Gerade in schulischen Lernsituationen wird der Teilnehmer mit schulorganisatorischen und didaktischen Zwangssituationen konfrontiert, die ihm einen offensichtlichen aktiven Rückzug aus der Situation nicht gestatten. Wenn sich der schulische Teilnehmer der Wirklichkeitskonstruktion der Schule als Person nicht entziehen kann, bleibt ihm der passive Rückzug aus der Situation. Er verweigert die aktive Auseinandersetzung mit den Perturbationen durch die Schule. Er schützt seine Wirklichkeitsvorstellung vor den schulischen Konstruktionen, indem er die schulischen Konstruktionen ablehnt.88 Ein Ausweg aus dieser Problematik ergibt sich durch die Ko-Konstruktion der Lernsituation. Im Sinne der Ko-Konstruktion wird Lernen als kommunikativer Akt verstanden. Das Lernen wird „als Prozess des gemeinsamen Handelns konzipiert.“ (Oerter, R. (2001) S. 80) Konzepte in diesem Sinne, die ineinandergreifen, sind: Praxisgemeinschaft (community of practice), geteilte Teilhabe (guided participation), Meister-Lehrlings-Verhältnis (apprenticeship learning) und situiertes Lernen (situated learning). (vgl. Oerter, R. (2001) S. 80-81) 88 Beispiele hierzu in: Holtappels, H. (1987) S. 235-247; Heinze, T. (1980) S. 92-95. - 132 4.1.11 Menschen als Leiter von organisierten ‚Lernprozessen’ Das Lehren wird als Förderung interner Wachstumsprozesse verstanden. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 14) Der Lehrende muss sich auf die Wirklichkeitsdeutungen des Lernenden einstellen. Selbst- und Wirklichkeitsinterpretation des Lernenden werden Ausgangspunkte für den Lernprozess, der ein Entwicklungsprozess der individuellen Selbststeuerung des Lernenden ist. Für den Lehrenden werden damit seine Wirklichkeitsdeutung, seine Kenntnisse und Gewissheiten nicht länger zum Ausgangs- und Endpunkt des Lernprozesses. Seine Hauptaufgabe besteht vielmehr im Umgang mit Ungewissheiten. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 21) Die größte Ungewissheit für den Lehrenden sind die individuellen Voraussetzungen des Lernenden. Naive Begriffe des Lernenden sollen umgebaut werden, es sollen neue Begriffsverbindungen entstehen. Daher muss sich der Lehrende einen Eindruck von den naiven Begriffen der Lernenden gemacht haben. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 221) Besonders wichtig ist es, in die Wirklichkeit des Lernenden einzutauchen, um dessen Wirklichkeitskonstruktion interpretieren zu können. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 32; Reinhardt, A.; Osburg, C. (1999) S. 14) Grundlage der Interaktion zwischen Lernendem und Lehrendem ist eine weitestgehend konsensorientierte Basis. Die Basis der Interaktion ist eine dialogische Gemeinschaft, die beide Interaktionspartner weitestgehend zufrieden stellt und eine Kooperation ermöglicht. Dies bedeutet, auch die Wünsche des Lernenden zu berücksichtigen. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 2829) Erst die Konsensbasis erlaubt es dem Lernenden, vom Lehrer erzieherisch intentional eingebrachte Perturbationen (Störgrößen) als Entwicklungsanregungen zu interpretieren. Mehr oder weniger konfliktgetragene Interaktionen enthalten schon in der Interaktion Störpotentiale, die die beabsichtigte Perturbation überlagern. Die aktive Konstruktionsleistung des Lernenden konzentriert sich dann nicht mehr auf die Bearbeitung der Perturbation, sondern betrachtet die Perturbation in Verbindung mit den potentiellen Situationskonflikten möglicherweise als zusammengehöriges Ganzes. Die Entwicklungsabsicht der Perturbation könnte dann vor dem Hintergrund des situativen Misstrauens als Bedrohung interpretiert werden. Der Lehrende hat für den Selbstlernprozess des Lernenden eine rahmengebende Funktion, die den Selbstlernprozess ermöglichen soll. (vgl. Kraft, S. (1999) S. 11) Um dies zu ermöglichen, hat sich der Lehrende mit seinen eigenen Wirklichkeitsvorstellungen gegenüber den Lernenden Zurückhaltung aufzuerlegen. Er soll Raum für alternative Wirklichkeitsvorstellungen bereitstellen. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 31) Allerdings ist der - 133 Lehrende auch ein Orientierungsmodell für die Lernenden. Um die in der Lernsituation didaktisch beabsichtigten Inhalte – Möglichkeiten zu alternativen Wirklichkeitsvorstellungen und der Umgang mit alternativen Wirklichkeitsvorstellungen – darzustellen, müssen diese vom Lehrenden in den eigenen Handlungen und Entscheidungen auch vorgelebt werden. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 41) Die zentrale aktive Bedeutung des Lernenden im konstruktivistischen Lernprozess macht das Lernen zu einem individuellen Vorgang der Wirklichkeitserzeugung. Für den Lehrenden bedeutet dies, nicht nur den einzelnen Lernenden als Person individuell berücksichtigen zu müssen, vielmehr ist auch der Lerngegenstand individualisiert. Er hat für jeden Lernenden einen eigenen bedeutungsvollen Eingangspunkt in den Lernprozess und ebenso einen individuellen Bedeutungsgehalt am Ende des Lernprozesses. Hier unterscheidet sich die konstruktivistische Lernsituation von herkömmlichen objektivistischen Lernsituationen. In objektivistischen Lernsituationen gibt es für alle Lernenden einen gleichen Lerngegenstand und ein objektivierbares Lernergebnis. Für den Lehrenden ergeben sich gegenüber objektivistischen Lernsituationen erweiterte, individualisierte Planungs- und Durchführungsbedingungen. Gleiches gilt für die Ergebnissicherung und die Beurteilung der Lernleistung. Es entstehen hohe pädagogische, psychologische und therapeutische Anforderungen (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 41). 4.1.12 Forderungen an die Lehrerausbildung Der Professionalisierungsprozess eines Lehrenden endet nicht mit dem Abschluss seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Er muss vielmehr eine Alltagstheorie entwickeln, in die seine wissenschaftlichen Erkenntnisse handlungsorientierend und strategieleitend einfließen. Unterschiedliche Ausprägungen individueller Professionalisierung können dann als unterschiedliche Mischungsverhältnisse zwischen wissenschaftlicher Konstruktion und biographisch bedingter Konstruktion eines Professionellen gedeutet werden. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 30) Bedeutsam für den Prozess der Professionalisierung ist das Erkennen der Konstruktivität des eigenen Denkens und Handelns für den Professionellen. Dies erlaubt ihm vor einer eigenen Wirklichkeitskonstruktion handeln zu können und gleichzeitig zu erkennen, dass es nur seine eigene Konstruktionsleistung ist. Vor diesem Hintergrund wird es ihm möglich, pädagogische Situationen so zu gestalten, dass sie erweiterte Möglichkeiten entstehen lassen. Ein weiteres Moment der Professionalisierung ist die Konsensorientierung. Die Konsenskonstruktion der Unterrichtssituation zwischen Lehrendem und Lernenden eröffnet die Möglichkeit zum ent - 134 wicklungsfördernden Handeln. Gemeint sind Handlungen bzw. Handlungsmöglichkeiten, die nicht auf fixe Ergebnisse zustreben. Individuelle Ergebnisse ergeben sich erst im Verarbeitungsprozess durch die Lernenden. (vgl. Wyrwa, H. (1995) S. 33, 42) 4.1.13 Kritik am Konstruktivismus Als Problem des Konstruktivismus wird sein Relativismus bezeichnet. Da jeder Lerngegenstand als Konstruktion bezeichnet werden kann und bei der Aneignung durch den Lernenden eine Transformation in eine neue, individuelle Konstruktion stattfindet, gibt es weder greifbare Ausgangs- noch Endpunkte für das Lernen. Auch die konsequente Hinwendung zum Lernenden und die Bedeutung, die seinem aktiven Lernprozess zukommt, erfordern vielfältige Freiheitsgrade, die als Beliebigkeit ausgelegt werden können. Gleichsam unmöglich ist eine Überprüfung des Lernerfolgs bzw. der Wirksamkeit einer Lernumgebung, da auch sie nur vor dem persönlichen Hintergrund des Lernenden eingeschätzt werden können. (vgl. Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1996) S. 43-44) Vor dem Hintergrund eines objektivistischen (klassischen) Lernverständnisses können die unterschiedlichen Lernergebnisse konstruktivistischer Unterrichte als ineffizient aufgefasst werden. Hier ist auch von Bedeutung, dass konstruktivistische Unterrichtsprozesse als sehr zeitaufwändig gelten und, mit Blick auf die ‚Stofffülle’, die Frage des pädagogischen Nutzens im Vergleich zum erforderlichen zeitlichen Einsatz aufgeworfen wird. Einweiterer Kritikpunkt ergibt sich aus einer möglichen Überforderung der Lernenden, die möglicherweise die Freiheitsgrade konstruktivistischer Lernumgebungen nicht in aktives eigenes Lernen transformieren können. (vgl. Schelten, A. (2000) S. 733-734) 4.1.14 Forschungsmethodik des Konstruktivismus Die Konstruiertheit der Wirklichkeit durch jeden einzelnen Menschen verweist die konstruktivistische Forschungsmethodik auf qualitative Verfahren. Sie erlauben den Zugang zu den Wirklichkeitsdeutungen der betrachteten Untersuchungspersonen. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 16) Quantitativ-statistische Verfahren nötigen zu einer strengen Vornormierung möglicher Antworten. Damit verengen sie notwendigerweise die Wirklichkeitsinterpretationen der Probanden auf das Spektrum der vorgesehenen Antwortmöglichkeiten, so dass die Probanden in ihrem Antwortverhalten ihre persönliche Wirklichkeit den Antwortmöglichkeiten des Untersuchungsinstrumentes (z.B.: Fragebogen) anpassen müssen. Dadurch könnte die Problematik entstehen, dass sich Wirklichkeitsdeutungen des - 135 Forschers in den Antwortkategorien spiegeln. Dies könnte dazu führen, dass die Wirklichkeitskonstruktion des Forschers nicht nur erkenntnisleitend wären, sondern sich auch im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung möglicherweise im Ergebnis der Untersuchung niederschlagen. (vgl. Arnold, R.; Siebert, H. (1997) S. 18, 27-28) Allerdings wäre die Problematik selbsterfüllender Wirklichkeitsdeutungen auch eine Problematik qualitativer Forschungsmethoden. Auch sie eröffnen Raum für Wirklichkeitsdeutungen des Forschers. Erst seine Fragestellungen, Zusammenstellungen und Interpretationen erschließen die Wirklichkeitsdeutungen der untersuchten Personen. Für den Forscher ergibt sich die Notwendigkeit einer „logischen Buchhaltung“ (Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 148). Er muss zwei Beobachtungsebenen logisch trennen. Dies ist zum einen die Ebene des betrachteten Systems und zum anderen die Ebene des Systembeobachters. Aus der Perspektive des Systems werden nur seine inneren Zustände, seine innere Dynamik und seine selbstkonstruierte Wirklichkeit betrachtet. Die umgebende Welt existiert für das System nicht. Aus der Perspektive des Beobachters hingegen können aus dem Verhalten und dem Umfeld des Systems Schlussfolgerungen gezogen werden. Innere Dynamiken, Zustände und Wirklichkeitsvorstellungen des Systems sind dem Beobachter jedoch nicht zugänglich. Erst die bewusste Zusammenführung beider Perspektiven im Sinne von „Mehrebenenmodellen“ (Merkens, H. (2001) S. 33) erlaubt eine umfassende Betrachtung. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 148-150) - 136 4.2 Sozialkonstruktivistische Theorie 4.2.1 Begriffsbestimmung Der Soziale Konstruktivismus ist eine theoretische Position in der Diskussion sozialer Probleme, die als Gegenposition zum objektivistischen Zugang entwickelt wurde. Die objektivistische Position geht von objektiv feststellbaren sozialen Problemen aus. Demgegenüber beschreibt der soziale Konstruktivismus gesellschaftliche Phänomene und Probleme als soziale Konstruktionen der Realität. (vgl. Schmidt, L. (2000) S. 153, Best, J. (1995) S. 337) Der Begriff Konstruktivismus hat sich in der Soziologie sozialer Probleme jedoch nicht durchgesetzt. Stattdessen wird hier der Begriff des Konstruktionismus verwandt. (vgl. Schmidt, L. (2000) S. 153) Gegen eine synonyme Verwendung der Begriffe Sozialer Konstruktivismus und Sozialer Konstruktionismus wendet sich Gergen. Er führt aus, dass der Soziale Konstruktivismus die kognitive Entwicklung in das Zentrum seiner Untersuchungen rückt, der Soziale Konstruktionismus hingegen den sozialen Bereich im Sinne von Diskurs, Dialog und Koordination als Zentrum seiner Betrachtungen sieht. Beide Positionen vertreten jedoch übereinstimmend die Auffassung, dass menschliches Wissen als Produkt gesellschaftlichen Umgangs entsteht und die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden die zentralen Punkte im erzieherischen Prozess darstellen. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 67, Gergen, K. (2002) S.82) Die begriffliche Unterscheidung des Konstruktivismus und des Konstruktionismus hat in der englischsprachigen Literatur ihren Ursprung. Der Begriff ‚construct’ kann hier zum einen im Sinne von ‚built up’ bzw. ‚formed’, d.h. als ‚aufbauen’ bzw. ‚gestalten’ gebraucht werden, zum anderen kann er als ‚made up’ bzw. ‚invented’, d.h. als ‚bilden’ oder ‚erfinden’ verwendet werden. Konstruktivistische Positionen werden mit ‚made up’ in Verbindung gesetzt. Sie verwenden bei der Analyse sozialer Probleme Techniken der Demaskierung oder des Entlarvens. Konstruktionistische Positionen hingegen werden mit ‚built up’ in Verbindung gesetzt. Sie verwenden Techniken im Sinne der Baulichkeit. An einem Gerüst werden logische Strukturen gebildet, die aufeinander aufbauen. (vgl. Bogard, C. (2003) S. 209-212) 4.2.2 Historische Vorläufer Im Zentrum sozialkonstruktivistischer Überlegungen steht die Problematik der Wechselwirkung zwischen Mensch und Welt. Die Kernfrage ist, inwieweit menschliches Denken eigenständig ist bzw. von Rahmenfaktoren geleitet wird. Hier greift der Soziale Konstruktivismus Gedanken der - 137 Wissenssoziologie (Scheler) aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder auf. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 3-4, 6) Durch Karl Mannheim wird die Wissenssoziologie 1929 erweitert. Bei Mannheim wird der gesellschaftliche Einfluss auf das Denken nicht mehr nur als Rahmenfaktor gedacht, sondern bestimmt auch den Gehalt menschlichen Denkens. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 10) Hier ist es von großer Bedeutung, inwieweit sich das Individuum die gesellschaftliche Wirklichkeit zu eigen macht. Zur Untersuchung der Internalisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit beim Individuum erlangt der symbolische Interaktionismus für den Sozialen Konstruktivismus Bedeutung. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 18) 4.2.3 Erkenntnis von Welt Wirklichkeit ein gesellschaftlich konstruiertes Phänomen.89 Für den einzelnen Menschen ist sie ungeachtet seines Wollens vorhanden. Er kann den gesellschaftlichen Phänomenen Eigenschaften zuordnen. Gemeinsam von vielen Menschen geteilte Auffassungen von Eigenschaften gesellschaftlicher Phänomene lassen sie für den einzelnen Menschen in der Gesellschaft zu Wirklichkeit werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 1-3) Dadurch wird die Erkenntnis von Welt zu einem Konstruktionsprozess. Die soziale Welt wird durch den Menschen hervorgebracht und wirkt auf ihn als erfahrbare soziale Realität zurück. (vgl. Soeffner, H. (1992) S. 477) Gemeinsame Auffassungen vieler Menschen finden ihren Ausdruck im Alltagswissen. Alltagswissen bzw. Allerweltswissen muss daher im Zentrum der Untersuchungen zur Wirklichkeit stehen, da es die Bedeutungs- und Sinnstrukturen für die Gesellschaft und für die Individuen bildet. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 16) Aus der alltäglichen Wirklichkeitskonstruktion der Beteiligten entstehen soziale Phänomene und soziale Probleme. Die Begriffe des sozialen Phänomens und des sozialen Problems definieren dabei lediglich gesellschaftliche Situationen als Situation. Sie existieren nur aus der Wirklichkeitskonstruktion der Beteiligten heraus als Konsenskonstruktion, ohne für deren konkrete Lebenslage jedoch bedeutsam sein zu müssen. (vgl. Schmidt, L. (2000) S. 154-155) 89 Der Sozialkonstruktivismus untersucht gesellschaftliche Wirklichkeit. Physikalische Wirklichkeiten, z.B. die Wirklichkeit eines Autos als Objekt, werden nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr die Bedeutung der Objekte im Bewusstsein des Einzelnen untersucht. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 23-25) - 138 4.2.4 Menschenbild Gergen (2002) stellt in kritischer Distanz individualistische Menschenbilder vor, um später Unterschiede zu konstruktivistischen Menschenbildern darstellen zu können. Er führt aus, dass individualistische Menschenbilder zu einer Abgrenzung zwischen den Einzelnen und zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft führen. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Individuums in dieser Perspektive werden Handlungen des Menschen auch nur vor individuell bedeutsamen Kontexten sinnvoll. Handlungen werden nicht um ihrer selbst willen oder für andere vollzogen. Im Zentrum steht für das Individuum immer die Frage: Was erreiche ich für mich? Individuelle Ziele stehen im Zentrum der Handlungssteuerung des Menschen. Gesellschaftliche Ziele werden nur in dem Sinne befolgt, wie sie für den Einzelnen gesellschaftliche Anerkennung oder die Vermeidung gesellschaftlicher Sanktionen bewirken. Im Umkehrschluss lässt sich auch Schuld individuell zumessen, ohne das gesellschaftliche Umfeld einbeziehen zu müssen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 150-155) In konstruktivistischen Menschenbildern hingegen wird das Selbst durch seine Beziehungen zu anderen definiert. Es entsteht durch die Bedeutung, die die Anderen dem einzelnen Menschen geben. Das Selbst ist ein vom Menschen konstruierter Kern, der die Bedeutungen der Anderen aufnimmt und interpretativ umformt zu einem schlüssigen Konstrukt verlässlicher, belastbarer und sinnhafter Lebensäußerungen. Damit ist das Selbst relational. Es entsteht aus den Bedeutungszuschreibungen der Anderen und existiert nur in Beziehungen zu anderen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 167170, 174-175) In konstruktivistischen Menschenbildern wie auch in anderen Menschenbildern wird der Mensch als entwicklungsbedürftiges Wesen betrachtet. Im Radikalen Konstruktivismus steht die innere Konstruktionsleistung des Menschen im Vordergrund der Untersuchung. Dort kann das Entwicklungsmodell des Kindes von Piaget als Argumentationshintergrund verwendet werden.90 Im Sozialen Konstruktivismus hingegen steht die Entwicklung des Kindes durch Austausch mit seiner kulturellen Umgebung im Vordergrund der Betrachtung. Hier bilden die Arbeiten von Vygotsky den Argumentationshintergrund. Die soziale Realität erhält für die Entwicklung des Kindes den objektiven Charakter sozialer Tatsachen. Dadurch hat sie erhebliche Bedeutung für die kindliche Entwicklung. (vgl. Backes- Hasse, A. (2002) S. 121) 90 Backes-Hasse, A. (2002) S. 121 führt aus, dass im Radikalen Konstruktivismus Piaget als „Ahnherr in Anspruch genommen wird“ (Backes-Hasse, A. (2002) S. 121). - 139 In konstruktivistischen Menschenbildern besitzt der Mensch die Fähigkeit zur Einsicht, zu logischen Schlüssen und zur begrifflichen Entwicklung. Über diese Instrumente eignet er sich die Welt an. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 57) Dabei gilt sein größtes Interesse dem Teil der Wirklichkeit, den er direkt beeinflussen kann. Es sind direkte oder potentielle Handlungszonen für den Menschen. Die vom Menschen erkannte Wirklichkeit ist für ihn subjektiv sinnhaft. Er gründet darauf seine subjektiv sinnvolle Lebensführung. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 21, 25) Die Aneignung der Welt durch den Menschen erfolgt durch Austausch mit seiner kulturellen Umgebung. Dabei spielt die Alltagswelt eine zentrale Rolle. Sie wird vom Menschen als vorhanden empfunden. Sie existiert für ihn unabhängig von ihm. Für den Austausch mit der kulturellen Umgebung der Alltagswelt hat die Sprache eine Mittlerfunktion. Sie vermittelt den Sinngehalt der vorgefundenen Wirklichkeitselemente und strukturiert den Bedeutungsgehalt der Wirklichkeit für den Menschen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 24) Die Alltagswelt kann als eine Menge von Typuserfahrungen beschrieben werden. Menschen und Situationen werden als Typen von Menschen und Situationen betrachtet. Die Einordnung einer Situation zu einem Typ bzw. die Zuordnung eines Menschen zu einem Typ bestimmt zunächst unser Handlungsmuster. Allerdings verändert sich die Einordnung von Mensch und Situation in der Begegnung. Dadurch kann sich auch die Handlung in der Begegnung verändern. Probleme der Alltagswirklichkeit, d.h. Erfahrungen, deren Sinngehalt nicht unmittelbar erkennbar ist, versucht der Mensch in seine vorhandenen Sinnstrukturen der Alltagswelt zu integrieren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 27-28, 33-36) Auch der gesellschaftliche Wissensvorrat ist Typuswissen. Er ist auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet und enthält Rezeptwissen, um Routineverrichtungen des Alltags bewältigen zu können. Dabei interessiert den einzelnen Menschen der Teil des Rezeptwissens, der geeignet ist, seine Alltagswelt zu beherrschen. Erst wenn dies nicht gelingt, können Zweifel auftreten. Das Rezeptwissen des Menschen ist nach individueller und gesellschaftlicher Relevanz strukturiert. Die individuelle Relevanz ergibt sich aus der persönlichen Lebenssituation, die gesellschaftliche Relevanz aus den Sinnstrukturen der Gesellschaft. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 44-48) Aus gesellschaftlich relevanten Sinnstrukturen, d.h. gesellschaftlich bedeutsamen, objektiv vorhandenen Wissensbeständen, können gesellschaftliche Routineverrichtungen zu Handlungstypen zusammengefasst werden. Im gesellschaftlich objektiven Kontext werden Handelnde zu Rollenträgern. Es werden von ihnen Handlungen des entsprechenden Typus - 140 erwartet. Als Rollenträger haben sie Anteil an der objektiven Welt und verhelfen Institutionen durch ihr Rollenspiel zu erfahrbarer Realität für andere Menschen. Auch für den Rollenträger wird die objektive Welt durch die subjektive Verinnerlichung seiner Rolle wirklich. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 78-79) Eine Rolle kann verdinglicht werden. Die Rollenanforderungen können dann für den Rollenträger den Anspruch eines Gesetzes erlangen. Er kann den Erwartungen der Rolle nicht ausweichen, verinnerlicht sie und macht sie zur Grundlage seiner Handlung. Die Identifikation des Menschen mit der Rolle kann total werden. Die Rolle wird dann zur Identität des Trägers. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 97-98) Hier zeigt sich eine besonders starke Verschränkung von Mensch und sozialer Welt. Durch die Erfüllung der Rollenerwartungen erschafft der Mensch auf der einen Seite die soziale Wirklichkeit, auf der anderen Seite wird diese geschaffene soziale Welt zur Bedingung, die dem Menschen auferlegt ist. (vgl. Soeffner, H. (1992) S. 477) Jeder Mensch hat unterschiedliche Bezugspunkte zur sozialen Welt. Jede Person wird verschiedenen sozialen Gruppen zugeordnet. Für jede Gruppe gibt es gesellschaftlich vorgefertigte Typen, die typische Merkmale der Gruppe beschreiben. Über die Typen treten dem Menschen von seinen Mitmenschen Erwartungshaltungen entgegen, sobald sie ihn einer Gruppe zuordnen. Bei der Identitätsbildung orientiert sich der Mensch an den Erwartungshaltungen und lernt aus ihnen typadäquates Verhalten. So entsteht eine stabile wechselseitige Entsprechung zwischen Selbstbild und Fremdbild der eigenen Identität. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 60-61) Probleme der Identitätsbildung können aus konträren oder konfliktären Rollenanforderungen entstehen. Hier kann der Mensch zunächst versuchen, die Anforderungen in die Sinnstrukturen der Alltagswelt zu integrieren (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 27-28). Eine zweite Möglichkeit, divergierende Rollenanforderungen in eine Persönlichkeit zu integrieren, besteht, wenn sich der Mensch bewusst als Träger einer Rolle erlebt. Er ist sich dann den Anforderungen der Rolle bewusst und kann ihre identitätsproblematischen Anforderungen von sich weg, der Rolle zuweisen. Er grenzt damit seine Identität von der Rolle ab. Dies gelingt ihm umso mehr, je geringer ihm sein Einfluss auf die Rollenanforderungen scheint. Er erlebt die Rollenanforderung als Handlungszone, die er nicht direkt beeinflussen kann. Dadurch hat die Handlungszone ein geringeres Interesse für ihn (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 25). Über den Gesetzescharakter der Rollenanforderung gelingt dann die persönliche Distanzierung der Anforderung von der eigenen Identität. Es entsteht eine Rollenidentität neben der als Persönlichkeit empfundenen Identität. - 141 4.2.5 Gesellschaftsbild Die Gesellschaft hat für den einzelnen Menschen einen Doppelcharakter. Zum einen ist sie für ihn eine objektive Realität, die durch die Handlungen von Menschen entsteht, zum anderen bringen die Handlungen der Menschen deren subjektiven Sinn, deren Bedeutungszuschreibung oder Bedeutungsverständnis gesellschaftlicher Sachverhalte zum Ausdruck. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 20) So schaffen Handlungen gesellschaftliche Realität und diese wiederum wird sinnstiftend für Handlungen bzw. begründet Handlungen. Die Gesellschaftsordnung als ein Produkt menschlichen Tuns hat darüber hinaus auch eine historische Dimension. Sie resultiert aus vergangenem menschlichen Tun und wird durch das gegenwärtige menschliche Tun reproduziert und modifiziert. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 55) Sinn und Bedeutung der gesellschaftlichen Realität ergeben sich erst aus der Interaktion. Erst die Beziehungen zwischen den Menschen lassen Bedeutung entstehen. Sie entsteht aus der Sinnhaltigkeit, die einer Sache oder einer Interaktion durch die beteiligten Menschen zugemessen wird. Auch Normen, Werte und Gesellschaftsordnungen entstehen erst aus den sinnhaltigen Beziehungen zwischen Menschen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 66-67) Gleiches gilt für die Alltagswelt des Menschen. Auch sie ist intersubjektiv. Sie wird zwischen den Menschen, die an ihr Anteil haben, zu einer gemeinsamen Welt bzw. einer geteilten Welt. Sie entsteht aus der gemeinsamen Verständigung zwischen Menschen. Gleichzeitig bleibt sie geteilt, da jeder Einzelne eigene Absichten in dieser Welt verwirklichen will. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 25-26) Die Sprache ist das Bindeglied der Verständigung zwischen den Menschen. Sie speichert Bedeutungen und Erfahrungen und tritt dem Einzelnen als fertiges System (Objekt) gegenüber. Sie erlaubt es ihm, mit anderen Erfahrungen und Bedeutungen auszutauschen. Damit wird eine gemeinsame Wirklichkeitsvorstellung ermöglicht. Über Sprache kann eine gemeinsame sinnhafte Alltagswelt entwickelt werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 39-42) Gleichwohl ist auch die Sprache in Sinnstrukturen eingebunden und bezieht ihren Sinn aus den Beziehungen der beteiligten Sprecher zueinander. Erst der gemeinsame sinnhafte Kontext der Situation lässt die Sprachäußerung Bedeutung erlangen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 50-51) Zwar tritt die Sprache als Ganzes dem einzelnen Menschen als fertiges System gegenüber, in ihren Elementen ist sie jedoch gestaltbar. So können zum Beispiel neue Begriffe eingeführt werden. Ihr Sinngehalt wird zwischen den beteiligten Sprechern festgelegt. Über die Schaffung eines - 142 Begriffes können die zugehörigen Fakten bzw. Erfahrungen und Bedeutungen leichter erkannt und als zusammengehörend interpretiert werden. Sie werden dann in die Richtung gedeutet, die der Begriff vorgibt. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 52-53, Schwarz, E. (2004) S. 36-37) Auf diesem Wege kann Verhalten typisiert und zu einem Phänomen zusammengefasst werden. Ist erst das Phänomen geprägt worden, werden immer öfter Verhaltensweisen in diesem Sinne interpretiert. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 3637) Mit der begrifflichen Typisierung von Verhalten zu Phänomenen ist eine phänomenadäquate Verhaltensweise bzw. Verhaltensreaktion der Gesellschaft verbunden. Dadurch schafft die Typisierung sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die gesellschaftlichen Bezugspersonen oder -gruppen Realitäten. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 37) Typisierungen erleichtern Verhalten, da sie Routinemuster zur Verfügung stellen. Routinen sind für das Handeln in dauerhaften oder wiederkehrenden gesellschaftlichen Situationen sinnvoll. Sie bilden Muster für Handlungen, die in der Situation für die Beteiligten relevant sind. Kommt es zu einer Zuordnung von Handlungsmodellen zu speziellen Handlungsträgern, entstehen Institutionen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 57-62) Die Institutionen erlangen mit den Handlungsmodellen Kontrollmöglichkeiten über das individuelle Verhalten. Das Handlungsmodell erzeugt beim Handlungsträger ein erwartetes Verhaltensmuster. Das Verhaltensmuster wirkt als Kontrollmechnanismus. Er drängt das individuelle Verhalten in die Richtung des Musters. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 5859) Das Handlungsmuster der institutionalisierten Wirklichkeit steht für den Handlungsträger als Rollenmuster seines Handelns bereit. Der Handelnde Rollenträger lässt die Institution zu erfahrbarer objektiver Realität werden. Die einzelnen Rollen stehen dabei in einer Verbindung zu anderen Rollen, die gemeinsam die Institution manifestieren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 78-79) Institutionalisierte Wirklichkeit wird dadurch als objektive Wirklichkeit erlebt. Sie gewinnt durch ihre „bloße Faktizität zwingende Macht“ (Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 64). Für den Einzelnen ist die institutionalisierte Wirklichkeit unausweichliche Realität. Sie ist genauso real wie der Umgang mit der Natur. Dennoch ist die institutionalisierte Wirklichkeit eine von Menschen geschaffene Wirklichkeit. Sie ist vom Menschen konstruiert und ihre Realität wird durch die Handlungen der Menschen erzeugt und aufrechterhalten. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 64-65) Die gemeinsam geteilte und in diesem Sinne objektive Sinnhaftigkeit und Wahrheit von Wissensbeständen kann sich für den Einzelnen bzw. für eine - 143 Gruppe aus den Rahmenbedingungen einer Situation herleiten. Je nach der bevorzugten objektiven Sinnhaftigkeit ergeben sich in einer konkreten Entscheidungssituation mehrere mögliche gesellschaftlich sinnhafte Handlungsoptionen und Entwicklungen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 53-56) Verschiedene Institutionen können entstehen. Eine Vielzahl von Institutionen kann zur Entstehung mehrerer gesellschaftlicher Sinnwelten führen, die voneinander abgetrennt sind. Die verschiedenen Subsinnwelten können in Sinnkonflikt zueinander geraten. Sie können aber auch in den Konflikt um die Verteilung der gesellschaftlichen Überschüsse geraten, da alle Sinnwelten einer ökonomischen Basis für ihre Existenz bedürfen. Nur vorhandene gesellschaftliche Überschüsse erlauben die Freistellung von Menschen, die die Subsinnwelten institutionell tragen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 90-91) Die Aufgliederung der objektiven Gesellschaft in konkurrierende Institutionen mit zugehörigen Wissensbeständen führt zu dem Problem, eine allgemeinverbindliche sinnhafte Integration der Institutionen wieder herbeiführen zu müssen. Es muss eine objektive Sinnhaftigkeit für den Einzelnen möglich sein. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 89) Sie wird durch eine symbolische gesellschaftliche Sinnwelt hergestellt. Die symbolische Sinnwelt einer Gesellschaft integriert alle isolierten institutionalen Prozesse zu einem Ganzen. Sie legitimiert alle Institutionen und Rollen durch ihre sinnhafte Verknüpfung zu einem sinnvollen Ganzen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 111) Durch die sinnhaltige Zusammenführung der Institutionen und Rollen werden die menschlich geschaffenen Institutionen quasi verdinglicht. Sie werden vom Menschen als objektiv vorhandene Welt erfahren und erhalten für ihn den Charakter von Naturerscheinungen bzw. Naturgesetzen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 95ff.) Die so monopolisierten Wirklichkeitsbestimmungen werden innerhalb der Gesellschaft durch tradierte Organisationen gestützt. Innerhalb der Organisationen werden sie durch deren Experten getragen und vertreten. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 131) Widersprechen Einzelne oder Gruppen in ihren Auffassungen der gültigen symbolischen Sinnwelt, so erzeugen sie eine neue alternative Wirklichkeit. Gleichzeitig geraten sie in Konflikt zu der gültigen Sinnwelt. Verteter der ‚gültigen Sinnwelt’ versuchen dann, über Repressionsinstrumente die Existenz ihrer Sinnwelt zu wahren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 114-115, 117) Im negativen Sinne behindern die tradierten Sinnwelten und Organisationen den gesellschaftlichen Wandel. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 131) Positiv gewendet, entlasten Sinnwelten und Organisationen den einzelnen Menschen bei der alltäglichen Interaktion. In diesem Sinne - 144 wird die Alltagswirklichkeit für den einzelnen Menschen durch eine Vielzahl von Institutionen, Weltsichten, Handlungsmustern, Wissensformen etc. geformt. Deren individuell erfahrbare objektive Wirklichkeit bilden den formenden Rahmen für die Identitätsentwicklung des einzelnen Menschen. (vgl. Soeffner, H. (1992) S. 477) 4.2.6 Dialektisches Verhältnis von Individuum und Gesellschaft Das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zueinander kann als dialektischer Prozess beschrieben werden. Er erfolgt dreischrittig als Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung. Alle drei Schritte existieren simultan. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139) Im Schritt der Externalisierung wird die Handlung des einzelnen Menschen betrachtet. Er erschafft durch seine Handlungen eine soziale Welt. Die Welt ist ein Produkt seiner Handlung. Gleichzeitig ist sie auch ein Produkt aller Handelnden, die an der Handlung des einzelnen Menschen Anteil haben. Im Schritt der Objektivierung wird das Wirklichkeitserleben des einzelnen Menschen betrachtet. Er selbst erlebt die soziale Welt nicht als Produkt seiner Handlungen. Die gesellschaftliche Welt hat für den Einzelnen vielmehr die gleiche Realität wie die natürliche Umwelt. Im Gegensatz zur natürlichen Umwelt ist sie jedoch durch die Handlungen von Menschen geschaffen und erhält nur durch die Handlungen von Menschen den Charakter einer bestehenden Realität. Im Schritt der Internalisierung werden die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen betrachtet. Für ihn wird die bestehende Realität der gesellschaftlichen Welt zum Rahmen seiner Entwicklungsmöglichkeiten. Dadurch wird der einzelne Mensch zugleich zum Schöpfer und zum Produkt der gesellschaftlichen Welt. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 64-65) Im gleichen Dreischritt lässt sich die Erzeugung von Sinn beschreiben. Die gesellschaftliche Welt bzw. ihre Institutionen haben keine eigene Logik. Sie erhalten ihre Logik aus der Erklärungsleistung des Menschen heraus (Externalisierung). Die Logik der Institutionen und der Welt gehört zum allgemeinen Wissensvorrat einer Gesellschaft (Objektivierung). Aus dem Wissensvorrat schöpft der einzelne Mensch die Erklärung für die Institutionen und schafft dadurch Sinnbezüge (Internalisierung). (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 69-70) Über die Sinnbezüge gelingt dem einzelnen Menschen die Sozialisation in die Gesellschaft und seine Integration in die gesellschaftlichen Institutionen. Sie schaffen die Grundlagen für die Rollen, die im Zusammenhang mit der Institution gespielt werden. Die gesellschaftlich legitimen Rollen bestimmen die Bandbreite des möglichen Verhaltens. Gleichzeitig be - 145 stimmen sie auch mögliches Fehlverhalten. Durch die Festlegung des möglichen Verhaltens entsteht im realen Tun die erfahrbare Realität der Institution. Die Produktion der Realität bestätigt wiederum die Wissensbestände des allgemeinen Wissensvorrates der Gesellschaft. Die gesellschaftliche Realität wird doppelt erfahrbar. Zum einen wird sie als produzierte Realität erfahrbar und zum anderen als Bestätigung vorhandener gesellschaftlicher Wissensbestände. Der dialektische Kreis schließt sich, indem die gesellschaftlichen Wissensbestände wieder zur Grundlage der legitimen Rollen des handelnden Individuums werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 70-72, 83)91 4.2.7 Stellung der Professionen Professionen können als autonome institutionalisierte Subsinnwelten verstanden werden. Autonome Subsinnwelten monopolisieren spezielle Wissensbestände (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 93) und haben die Fähigkeit, auf die Gesellschaft zurückzuwirken. Es werden Identitätstypen gebildet und Rollenträger verinnerlichen die Wissensbestände der Subsinnwelt so weit, dass sie ihre eigenen Interessen zurückstellen bzw. ein Perspektivwechsel im Sinne der autonomen Subsinnwelt stattfindet. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 92) Streben Vertreter autonomer Subsinnwelten gesellschaftliche Anerkennung und Privilegien für ihre Gruppierung an, entsteht ein Legitimationsproblem. Zum einen müssen Zugangs- und Ausschlussregeln entwickelt und legitimiert werden. Zum anderen müssen Motivations- und Kontrollmechanismen für die Mitglieder geschaffen werden. Zum Dritten muss die Gesellschaft von der Notwendigkeit der Sonderstellung und Privilegierung der Subsinnwelt bzw. ihrer Mitglieder überzeugt werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 93-94) Die Legitimation erfolgt als Objektivation im Sinne einer allgemeinen Anerkennung von Sinn durch die Mitglieder der Gesellschaft. Zum einen muss die ganze Subsinnwelt und die sie tragende Institution von den Mitgliedern der Gesellschaft als sinnvoll erfahren werden. Zum anderen muss auch eine biographische Sinnhaftigkeit für den einzelnen Beteiligten entstehen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 98-99) Legitimation wird durch Erklärungen und Rechtfertigungen erzeugt. Erklärungen und Recht 91 Eine ähnliche Dialektik zwischen Gesellschaft und Individuum verwendet auch die historische Kulturpädagogik. Anders als im Konstruktivismus werden die Werte der Bildungsgüter jedoch nicht durch den Interaktionsprozess innerhalb der Gesellschaft entwickelt, sondern als Kulturgüter aus normativen Setzungen im Sinne von gedachten Idealen gewonnen. (vgl. Koch, G. (1989) S. 909-910) - 146 fertigungen erzeugen Wissen um die Subsinnwelt und deren Institution. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 100-103) Es entsteht eine symbolische Sinnwelt, die die Ordnung der Alltagswelt herstellt. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 104) Die Erklärung und Rechtfertigung der Institution erfolgt über einen dialektischen Dreischritt. Um die objektivierten Wirklichkeiten der Institution als Phänomene beschreiben zu können, entwickelt die Subsinnwelt eine eigene Sprache. Gleichzeitig werden auch Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten entwickelt, um Phänomene innerhalb der Gesellschaft, für die die Subsinnwelt Zuständigkeit erlangt hat, behandeln zu können. Mit der Klassifzierung der Phänomene werden auch Menschen klassifiziert, d.h. menschliche Lebensäußerungen den Phänomenen zugeordnet. Die Subsinnwelt externalisiert damit im ersten Schritt ihre Wirklichkeitsbeschreibung. Akzeptiert der Einzelne eine Phänomenzuschreibung für sich selbst, dann akzeptiert er auch den kontrollierenden Einfluss der Institution auf sich selbst. Die externalisierte Wirklichkeitsbeschreibung erlangt im zweiten Schritt für den Einzelnen objektivierten Charakter. Akzeptiert die Gesellschaft die Terminologien einer Institution, werden sie zu Teilen der objektiven sozialen Welt. Die Wirklichkeitsbeschreibung der Subsinnwelt wird im dritten Schritt durch die Gesellschaft internalisiert. Die Institution erlangt Einfluss auf die Gesellschaft und auf die einzelnen Menschen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 55-57, Holstein, J.; Miller, G. (2003) S. 86-88) Wird zur Erklärung und Rechtfertigung einer Institution der Anspruch erhoben, wissenschaftliches Wissen zu verwenden, dann wird von der Institution a priori der Anspruch auf Objektivität erhoben. Wissenschaftliches Wissen erhebt den Anspruch auf Wahrheit. Es beeinflusst damit die gesellschaftlichen Vorstellungen über die Welt. Wissenschaftliches Wissen wird nur durch andere Wissenschaftler widerlegt, da Bürgern außerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft die wissenschaftliche Sprache und die Hintergründe der Wissenschaften in der Regel fremd sind. Für diese Bürger gelten wissenschaftliche Erkenntnisse als Tatsachen. Gleichwohl unterliegen auch Wissenschaftler traditionellen Denkweisen und Vorannahmen, die ihnen den Blick für alternative Sichtweisen versperren können. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 70-72) Auch Professionen beanspruchen, sich auf wissenschaftliches Wissen zu stützen. Durch die mangelnde Prüfbarkeit ihrer professionellen Aussagen durch Außenstehende besteht die Gefahr der unreflektierten Tradierung ihrer aktuellen wissenschaftlichen Sichtweise. Dadurch kann eine gesellschaftliche Tatsache bzw. eine soziale Wirklichkeit in der Gesellschaft entstehen. Da die Professionen die Auswahl und Ausbildung ihrer Mitglieder - 147 eigenverantwortlich betreiben, entsteht auch eine Tradition innerhalb des professionellen Personals. So wird die traditionelle Sichtweise der Profession auch innerhalb der Profession Allgemeingut, eine soziale Tatsache, die nicht mehr hinterfragt wird. Stellt man nun die Frage nach den Erfolgsfaktoren professionellen Handelns, so ergeben sich die Erfolgsfaktoren notwendigerweise aus der traditionellen Sichtweise der Profession, die das wissenschaftliche Phänomen selbst konstruiert hat. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 73) Auch bei der Untersuchung von realem Handeln erfolgreicher Professioneller werden sich wieder die gleichen Faktoren zeigen, da der Professionelle in der Tradition seiner Profession steht und handelt. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 74) Zu Abweichungen von der tradierten Sinnwelt kann es kommen, wenn innerhalb institutionalisierter Subsinnwelten eine Aufgabenteilung vorgenommen wird. Die Legitimationsaufgabe wird speziellen Experten der Institution übertragen. Die Praktiker arbeiten weiter im Kontext ihrer Subsinnwelt. Alternative Sinnwelten innerhalb der Subsinnwelt können durch Laienrebellionen gegen die Experten entstehen oder aus Rivalitäten zwischen den Experten, die unterschiedliche Legitimationsmodelle vertreten. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 124-127) Für die Subsinnwelt entsteht die Notwendigkeit, ihre Sinnwelt nach innen und außen abzusichern. Zu den Theoriebildungen, die die Sinnwelt stützen, gehören Verfahren, um mit Abweichlern umgehen zu können. Es sind die Methoden der Therapie und der Nihilierung. Mit der Methode der Therapie sollen Abweichler einer bestehenden Sinnwelt in diese integriert werden. Dazu wird ein Wissensbestand benötigt, der eine Theorie der Abweichung bereithält, eine Diagnose der Abweichung ermöglicht und eine Methodik der Rückführung in die bestehende Sinnwelt bereitstellt. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 121) Mit der Methode der Nihilierung werden Abweichler inferiorisiert. Ihnen wird ein Status zugewiesen, in dem man sie nicht mehr ernst nehmen kann bzw. muss. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 123) Gültige, d.h. gesellschaftlich objektivierte Sinnwelten haben darüber hinaus die Möglichkeit, über Repressionsinstrumente ihre Existenz zu wahren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 114-117) Die Sinnwelt einer Institution oder einer Profession ist eine Konstruktion derer, die diese Wirklichkeit geschaffen haben. Neben dieser Wirklichkeit gibt es theoretisch andere, gleichberechtigte Modelle von Wirklichkeitsinn für diese Sinnwelt. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist die Sinnwelt einer Institution oder Profession eine gesellschaftliche Subsinnwelt, die mehr - 148 oder weniger gleichberechtigt neben anderen gesellschaftlichen Subsinnwelten steht. Um auf Veränderungen der allgemeinen gesellschaftlichen Sinnwelt reagieren zu können, ist es für die Akteure einer Subsinnwelt sinnvoll, verschiedene subjektive Wirklichkeitsvorstellungen neben der eigenen zuzulassen. Für die Subsinnwelt der Lehrerausbildung bedeutet dies, dass es für Pädagogen wichtig ist, verschiedene Erklärungsversuche von pädagogischer Wirklichkeit neben der eigenen als gleichberechtigt zuzulassen. Aus dem Umgang mit den verschiedenen Wirklichkeiten müssen für die eigene Unterrichtswirklichkeit subjektive Konstruktionsleistungen und Wirklichkeiten geschaffen werden. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 38) Der Weg zur subjektiven Konstruktionsleistung führt über Dekonstruktion und Neukonstruktion. Es ist zunächst wichtig, die eigenen Konstruktionsleistungen freizulegen. Als nächster Schritt wird eine Mehrperspektivität für die betrachtete Situation durch kreativen Umgang mit den Gegebenheiten, gegenteiligen Theorien, Querdenken etc. erzeugt. Es entsteht eine gelockerte Perspektive im Hinblick auf die Situation. Aus ihr können neue Lösungsansätze entstehen. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 39-40) 4.2.8 Erziehungsziel Der Mensch bringt eine Disposition für das Leben in einer Gesellschaft mit auf die Welt. Er muss allerdings erst noch Teil von ihr werden. Nach Berger / Luckmann ist das Erziehungsziel die Übernahme der Welt, „in der Andere schon leben“ (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 140), mittels der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Dialektik von Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-145) Eine erfolgreiche Sozialisation ist erreicht, wenn ein hohes Maß an Übereinstimmung von subjektiver und objektiver Wirklichkeit erzielt ist. Dabei repräsentiert die subjektive Wirklichkeit die Identität des Individuums. Der Begriff der Identität beschreibt die Gewissheit des Menschen zu wissen, wer er ist. Der Identitätsbegriff muss hier von dem persönlichen Empfinden des Menschen unterschieden werden. Der Mensch kann seine Identität als glücklich oder als problematisch erleben. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139, 175-176) Neben der gesellschaftlichen Primärsozialisation werden auch Sekundärsozialisationen in Subwelten erfolgen. Dabei können die gesellschaftliche Sozialisation und die Sozialisationen in die Subwelten zu konfliktären Anforderungen an das Individuum führen. Die Identität des Individuums schwankt zwischen den Welten und es muss sich in Entscheidungssituationen für oder gegen einen Sozialisationsanspruch schlüssig werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 181-183) - 149 Mit dem Sozialisationsanspruch bietet die Gesellschaft auch Identitätstypen an. Identitätstypen sind gesellschaftliche Produkte, die Rollenmerkmale aus der Perspektive gesellschaftlicher Objektivierung zu einem Typus zusammenfassen. Sie bilden einen Teil der objektiven Wirklichkeit. Der Einzelne kann die Identitätstypen in individuell unterschiedlichem Maße als Orientierungsmodelle für seine Identität verwenden. Alternativ dazu kann er auch verschiedene Wirklichkeiten internalisieren, ohne eine entsprechende Identität auszubilden. In diesem Falle würde der Identitätstyp lediglich als Rolle gespielt. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 183190) 4.2.9 Lerngegenstände Die Welt, die außerhalb des Individuums liegt, wird im Sozialen Konstruktivismus nicht als grundsätzlich gegeben aufgefasst. Das Wissen dieser Welt ist ein Produkt der Gemeinschaftsbeziehung zwischen Menschen. Es entsteht durch Handlungskoordinationen zwischen Personen. Erst die Handlungskoordination weist der Handlung bzw. dem Gegenstand einer Handlung seine Bedeutung zu. Auch der inhaltliche Aspekt einer Handlung erlangt erst durch die Auswahl des Handelnden und die Reaktion der Handlungsempfänger Bedeutung. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 60-61) Aus gesellschaftlicher Perspektive müssen objektivierte Wissensbestände dem einzelnen Menschen vermittelt werden. Hierzu gehören zum einen das objektivierte Wissen um die soziale Welt und zum anderen die Logik der gesellschaftlichen Institutionen. Die gesellschaftlichen Wissensbestände müssen weitergegeben werden, um die gesellschaftliche Realität reproduzieren zu können. Gleiches gilt für die gesellschaftlichen Institutionen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 74-75)92 Für die Sekundärsozialisation in Subwelten sind Lernfolgen häufig sinnvoll, da Wissensbestände einer inneren Logik unterliegen und aufeinander aufbauen können. Es ist allerdings auch möglich, dass Lerngegenstände oder Lernfolgen willkürlich von den Vertretern der Subwelt vorgegeben werden, um zum Beispiel den Zugang zur Subwelt zu regulieren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 151) Gergen (2003) beschreibt die gegenwärtige Hierarchie in der Konkretisierung von Lerngegenständen aus konstruktivistischer Perspektive als traditionelles hierarchisches Modell. Im traditionellen Modell liegt die 92 Da das gesamte Wissen der Gesellschaft an nachfolgende Generationen weitergegeben werden muss, kann die Aufgabe der Wissensweitergabe nicht ausschließlich einer Subsinnwelt übertragen werden. Vielmehr ist die Wissensweitergabe in vielfältiger Form Gegenstand gesellschaftlicher Praxis. - 150 Autorität für die Gültigkeit von Wissensbeständen bei den wissensproduzierenden Gemeinschaften.93 So werden z.B. die Erkenntnisse im Bereich Physik von Wissenschaftlern und Forschern der Physik entdeckt. Im nächsten hierarchischen Schritt folgen die Experten der Pädagogik. Ihnen obliegt die Aufgabe, Wissensgegenstände pädagogisch in Lehrpläne zu transformieren. Am Ende der hierarchischen Kette stehen die Lehrer, die die Lehrpläne zu konkreten Unterrichtsgegenständen formen. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 69, Gergen, K. (2002) S. 225) Die Problematik des traditionellen hierarchischen Modells ergibt sich daraus, dass die Lerngegenstände im Kontext der wissensproduzierenden Subgemeinschaft sinnvoll sind – und nur in diesem Kontext. Für die Perspektive der Lehrer als Wissensmittler und die Perspektive der Lernenden könnte daraus die Gefahr entstehen, Wissen ohne relevante Kontexte handhaben zu müssen. Die dann für die Lehrenden wie für die Lernenden entkontextualisierten oder sinnlosen Lerngegenstände lassen das Lernen dieser Gegenstände lediglich im Kontext der Subgemeinschaft sinnvoll erscheinen. Außerhalb der Subgemeinschaft würde es zu einer sinnfreien Reproduktionsleistung. Von solchen Lerngegenständen würde außerhalb der Subgemeinschaft keine Möglichkeit der Identitätsstiftung für die Lernenden ausgehen. In der Auseinandersetzung mit solchen Lerngegenständen würde den Lernenden die Möglichkeit verschlossen bleiben, sich aus ihren persönlichen Kontexten heraus mit Lerngegenständen auseinandersetzen zu können. Lernen würde zur sinnlosen Aneignung, zum Anhäufen von Wissen ohne selbst zu denken, zur kritiklosen Einnahme eines Platzes in der Welt. Träges Wissen würde entstehen. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 70-72) Im Gegensatz zum traditionellen Modell beginnt konstruktivistisches Lernen bei den Perspektiven und Werten der direkt am Lernprozess beteiligten Parteien. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden nach ihrem kontextspezifischen Beitrag für die Lernenden in den Lernprozess eingebracht, um kontextspezifische Wissensbestände für den Lernprozess auszuarbeiten. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 72-74) Hier lassen sich in der konstruktivistischen Auswahl der Lerngegenstände Parallelen zum Lernfeldgedanken finden. Die wissenschaftlichen Disziplinen rücken in den Hintergrund und werden zu Lieferanten von wichtigen Ressourcen für 93 Je nach Wissensbestand kann es unterschiedliche gesellschaftliche Subsysteme geben, die für sich den Anspruch erheben, Aussagen über die Gültigkeit bzw. Werthaltigkeit von Wissensbeständen machen zu können. Dabei kann es zu konkurrierenden Ansprüchen kommen. In der Praxis können dann die durchsetzungsstarken Gruppierungen an der Auswahl der Lerninhalte beteiligt werden. - 151 Themen von öffentlicher oder privater Bedeutung. Anstatt dass die wissenschaftlichen Disziplinen die Lerngegenstände bestimmen, bestimmt das kontextgebundene gesellschaftliche Leben die Lerngegenstände. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 75-79) 4.2.10 Methodik des Lehrens und Lernens Im traditionellen hierarchischen Modell wird den Lernenden eine defizitäre Position unterstellt. Die Aufgaben der Lehrenden bestehen zum einen in der Diagnose des Vorwissens bzw. Defizits und zum anderen in der Vermittlung von Lösungen, um das Defizit abbauen zu können. Dabei wird die Defizitposition des Lernenden nach der gesellschaftlich erwarteten und festgelegten Normposition bestimmt. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 224-225) Aus konstruktivistischer Perspektive folgt der Lernprozess dem dialektischen Dreischritt von Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung. Methodisch können die Schritte jedoch nicht getrennt werden, da sie simultan ablaufen. Die methodische Grundfigur des Lehrens und Lernens ergibt sich als ein Dialog zwischen den Lernenden und dem Lehrenden über den Lerngegenstand. Gemeinschaftlich werden Bedeutungen zwischen Lernendem, Lerngegenstand und Lehrendem erzeugt. Die Perspektive des Lehrenden hat dabei im Sinne der Objektivierung orientierenden Charakter für den Lernenden. Wichtig ist jedoch, dass der Lernende selbst zum Wissen fortschreitet. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 210-213 in Übertrag der konstruktivistischen Therapie auf die Pädagogik.) Die soziale Wirklichkeit entsteht erst durch die Bedeutung, die ihr von den einzelnen Menschen zugemessen wird. Die Lerngegenstände erlangen daher erst durch ihre Reflexion bei den Lernenden ihren gesellschaftlichen Sinn. Für den methodischen Lernprozess ist deshalb die Entwicklung der individuellen Fähigkeiten zu Einsicht, Logik und Begriffsbildung von wesentlicher Bedeutung. Entsprechende Fähigkeiten werden durch aktives Mitmachen im Lernprozess entfaltet. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 57-58) Grundlegend für die Entwicklung des Lernenden ist, dass sich der Lernende selbst Perspektiven, Überlegungen und Sichtweisen zu einer Thematik eröffnet. Eine methodische Möglichkeit besteht in der Entwicklung von alternativen Positionen. Dabei werden gängige Darstellungen durch die Lernenden hinterfragt, Vor- und Nachteile herausgearbeitet und alternative Interpretationen entwickelt. Hierzu werden die Lernenden an der Entwicklung des Lehrplanes beteiligt. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 226) Eine andere Möglichkeit besteht in der Entwicklung einer Konsensmeinung. Zur intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema und unter - 152 schiedlichen Positionen werden Gruppen von Lernenden aufgefordert, eine eigene Konsensmeinung zu einem Thema zu bilden, die sie anschließend den anderen Lerngruppen vortragen müssen. Die Schwierigkeit besteht hier in der Konsensfindung aller Gruppenmitglieder. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 228) Ebenso grundlegend wie der Entwicklungsaspekt für den Lernenden ist der Sinnaspekt für die Lerngegenstände. Sie erlangen erst mit der Sinnzuweisung durch die einzelnen Menschen ihre Bedeutung. Daher ist konstruktivistisches Lernen ein aktives dialogisches Lernen. Es wird ein Zusammenwirken zwischen den Lernenden und der für den Lerngegenstand und die Lernenden wichtigen Realität angestrebt. Die Lernhandlungen und -aktivitäten der Lernenden werden in Projekten mit den realen, in der Gesellschaft vorhandenen Anwendungsbereichen verbunden. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 76-78) 4.2.11 Lernprozess Der Lernprozess ist aus sozialkonstruktivistischer Perspektive eine Zeitspanne, in der der Mensch in die Teilhabe an der Gesellschaft eingeführt wird. Teilhabe ist dabei im Sinne der gesellschaftlichen Dialektik von Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung zu verstehen. Der Lernprozess ist der gesellschaftliche Sozialisationsprozess des Menschen. Er ist die Einführung des Einzelnen in die objektivierten Wirklichkeitsvorstellungen der Gesellschaft. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-141) Im Prozess der Sozialisation übernimmt der Mensch auch Funktionen in der Gesellschaft. Die Übernahme der gesellschaftlichen Funktion ist verbunden mit der Übernahme von gesellschaftlich produzierten Identitätstypen als Rollen. Der Einzelne wird als Rollenträger zum Vermittler von Ausschnitten des gesellschaftlichen Wissensvorrates. Hierfür muss er nicht nur die äußeren Routinen der Durchführung seiner Rolle erwerben. Er muss sich auch mit den kognitiven und affektiven Schichten des rollenspezifischen Wissensvorrates vertraut gemacht haben. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 81-82) Konstruktivistisches Lernen ist daher nicht nur auf die kognitiven Aspekte beschränkt, sondern umfasst auch affektive Aspekte. Die affektiven Aspekte bleiben dabei keineswegs randständig. Sie sind essentielle Bestandteile, um gesellschaftliche Identitätstypen sinnvoll ausgestalten zu können. Gesellschaftlich objektivierte Wissensbestände entstehen durch die Handlungskoordination zwischen Menschen. Für den Lernprozess im Sinne einer kognitiven und affektiven Auseinandersetzung des Einzelnen mit den Wissensbeständen ist seine Einbettung in Prozesse der Handlungs- 153 koordination von zentraler Bedeutung. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 60-61) Die mediale und situative Ausgestaltung von Lernprozessen muss dem Lernenden Möglichkeiten und Spielräume eröffnen, um zwischen Alternativen auswählen zu können. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 62) Dadurch entwickelt der Lernende seine Handlungsfähigkeit. Die Handlungsmöglichkeiten des Lernenden ergeben sich aus den Kontexten, in die er eingebunden ist. Der Lernprozess wird mit praktischen Vorhaben der Lernenden oder von Bezugsgruppen der Lernenden verbunden, damit echtes Engagement möglich wird. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 77) Neben der gesellschaftlichen Primärsozialisation wird der einzelne Mensch auch in verschiedene Subwelten sozialisiert. Die Sozialisation in die Subwelten kann über gestufte Lernprozesse erfolgen. Mehrere Lernstufen können eine zunehmende Identifikation mit den Rollenerwartungen der Subwelt bewirken und gleichzeitig auf jeweils spezialisiertere Aufgaben innerhalb der Subwelt vorbereiten. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 156-157) Mit der Sekundärsozialisation erfolgt für den Einzelnen eine zumindest teilweise Uminterpretation seiner subjektiven Wirklichkeit. In der Sekundärsozialisation orientieren sich die Methodiken der Lernprozesse am notwendigen Potential, um die Implementation der neuen Wirklichkeit beim Lernenden bewirken zu können. Die Sekundärsozialisation baut auf der vertrauten Wirklichkeit des Einzelnen auf, verknüpft sich zunächst mit ihr und überwölbt sie allmählich. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 154, 172) 4.2.12 Menschen als Teilnehmer von organisierten ‚Lernprozessen’ Organisierte Lernprozesse sind sowohl in der Primärsozialisation des Menschen als auch in seinen Sekundärsozialisationen möglich. Die Phase der Primärsozialisation wird der Kindheit zugeordnet. Phasen der Sekundärsozialisation begleiten das ganze weitere Leben. In der Primärsozialisation erfolgt die Internalisierung der gesellschaftlichen Welt durch den Lernenden über die Identifikationen mit den signifikanten Anderen. Der Lernende übernimmt deren Rollen und Einstellungen. Er übernimmt und spiegelt das, was die Anderen in ihn hineingelegt haben. Normen entstehen, indem Rollen und Einstellungen von den signifikanten Anderen losgelöst und verallgemeinert werden. Die Verallgemeinerung der signifikanten Anderen zu generalisierten Anderen lässt den Lernenden die Gesellschaft als eine objektive Welt erkennen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 142-144) In den Sekundärsozialisationen erfolgt die Sozialisation des Einzelnen in Subwelten der Gesellschaft. Er erwirbt Spezialwissen, das es ihm ermög - 154 licht, bestimmte Rollen übernehmen zu können. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Rollenwissen auf eine Rolle in der arbeitsteiligen Gesellschaft vorbereitet und sich daher auf die Arbeitswelt bezieht. Neben dem Spezialwissen werden auch Werthaltungen und Affektnuancen der Rolle erworben. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 148-150) Die Sekundärsozialisationen bauen auf einer erfolgten Primärsozialisation auf. Zur Internalisierung der Sekundärsozialisation ist es für den Lernenden nötig, mögliche Widersprüche zwischen den Sozialisationen überbrücken zu können. Hierfür muss die Sekundärsozialisation ein Erklärungspotential bereithalten. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 150-151) Gleiches gilt für Widersprüche zwischen verschiedenen Sekundärsozialisationen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 90-91) Die Sekundärsozialisation ist deutlich geringer mit der Person verbunden als die Primärsozialisation. Ihr Bindungsgefüge reicht für Alltagssituationen aus. Sie errodiert jedoch leicht in Grenzsituationen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 158-159) Hier stellt sich das Problem des Berufes als Sozialisationsinstanz. Eine berufliche Identifikation reicht vor diesem Hintergrund für persönliche Krisensituationen möglicherweise als Einbindung in die Arbeitsgesellschaft nicht aus. Über den Beruf würde dann keine über die Beruflichkeit hinausgehende Identität gestiftet. Das bedeutet, dass bei einer Krise (Arbeitslosigkeit, technischer Wandel etc.) die berufliche Sekundärsozialisation erodiert. Da es die berufliche Sozialisation ist, die die Anbindung des Einzelnen an den Arbeitsmarkt bewirkt, könnte die gesellschaftliche Anbindung des Einzelnen an den Arbeitsmarkt erodieren. In der Folge könnte er den Anschluss an den gesellschaftlich objektivierten Wissensbestand der Erwerbstätigkeit verlieren. 4.2.13 Menschen als Leiter von organisierten ‚Lernprozessen’ In organisierten Lernprozessen der Primärsozialisation kann der Lehrende die Rolle eines signifikanten Anderen für die Lernenden einnehmen. Die Rolle des signifikanten Anderen ist eine Feedback-Rolle, der für die Identität des Lernenden eine große Bedeutung zukommt. Das Feedback der signifikanten Anderen bildet eine wichtige Orientierung bei der Internalisierung der gesellschaftlichen Wirklichkeitsdefinition. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 161-162) In der Sekundärsozialisation wird der Lehrende als Funktionär der Institution einer Subwelt wahrgenommen. Als Vermittler des Rollenwissens ist er austauschbar und durch einen anderen Funktionär ersetzbar. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 152) Der Lehrende wird in seiner Rolle wahrgenommen. Er ist nicht länger ein authentischer signifikanter - 155 Anderer. Er spielt die Rolle eines signifikanten Subweltrepräsentanten und wird in dieser Rolle wahrgenommen. Eine organisierte Lernsituation kann als Situation verstanden werden, die von der Gesellschaft bzw. einer gesellschaftlichen Subwelt vordefiniert ist. Sie ist ein gesellschaftlich vorgefertigtes Definitionsobjekt. Gleichzeitig ist sie ein Rahmen, der von den Beteiligten ausgefüllt werden muss. Sie ist in ihrer realen Konkretisierung ein Produkt, das zwischen den Beteiligten ausgehandelt und akzeptiert werden muss. Der Lehrende wie auch die Lernenden bringen ihre jeweilige internalisierte Wirklichkeitsdefinition in den Situationsrahmen ein. Die Definitionsleistung der Akteure ist in ihrer Ausprägung und ihrem Inhalt auf den Kontext der Definitionsleistung abzustimmen. Erst die Abstimmung auf den interaktiven Kontext erlaubt es den Teilnehmern, ihre Behauptungen und Forderungen erfolgreich stellen zu können. Erst durch die Abstimmung auf den Kontext können sie erwarten, dass die anderen Teilnehmer reagieren. (vgl. Schmidt, L. (2000) S. 155) Als Funktionär einer Subwelt ist dem Lehrenden der Lernsituation eine zentrale vermittelnde, aber gleichzeitig auch starke Definitionsmacht gesellschaftlich zugewiesen. Die Definitionsleistung des Lehrenden im Sinne einer gelingenden Ausgestaltung der gesellschaftlich vorgefertigten Schablone ‚Lernsituation’ für die konkrete Lerngruppe ist grundlegend für den Erfolg der Lernsituation. Sie ist ein entscheidendes Moment, um die Schablone erfolgreich in eine für die Gruppe geeignete Lernsituation umwandeln zu können. Das Ziel der Definitionsleistung des Lehrenden ist es, Beziehungen zu den Lernenden aufzubauen, die es den Lernenden ermöglichen, am Ende des Prozesses selbst mit gesteigerten Möglichkeiten, Beziehungen aufzubauen, aus dem Prozess hervorzugehen. Nicht das Fachinhaltliche, sondern das pädagogische Wirken steht im Zentrum der Betrachtung. Für die Lernenden ist es wichtig, den Lehrenden nicht nur in der Funktion des dozierenden Wissensexperten zu erleben. Sie erweitern ihre eigenen Möglichkeiten vielmehr, wenn sie teilhaben an der Vorbereitung und Nachbereitung unterrichtlicher Situationen. Gerade im inhaltlichen Suchen und Auswählen, in der Gestaltung von Situationen und der Nachbearbeitung von Situationen liegen die Potentiale, die den Lernenden Möglichkeiten der selbständigen Lebensgestaltung zuwachsen lassen. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 82-85) Mit der gemeinsamen Definitionsleistung des Lehrenden und der Lernenden wird die Externalisierung subjektiver Weltsichten der Lernenden innerhalb der gesellschaftlichen Schablone gewährleistet. Die Schablone wird zu einer Lernsituation für die Beteiligten. Innerhalb der Lernsituation begleitet der Lehrende die Auseinandersetzung der Lernenden mit objekti- 156 vierten Weltsichten der Gesellschaft und unterstützt deren Internalisierung. Seine Aufgabe besteht darin, den Lernenden Feedback- und Evaluationsmöglichkeiten für ihren Entwicklungsprozess anzubieten. Über das Feedback lenkt der Leiter der Lernsituation die Wirklichkeitsdefinitionen der Lernenden in die Richtung auf ‚anerkannte’ Definitionen. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 62) Mit dieser Perspektive hebt sich der soziale Konstruktivismus von den klassischen Organisationsmodellen und deren Zustands- bzw. Ergebnisorientierung ab. Die Lernsituation selbst wird erst durch die Lernenden und den Lehrenden ausgestaltet bzw. geschaffen. Das Ausgestalten der Situation ist dabei kein einmaliger Akt, der am Anfang bei der Gruppenbildung stattfindet, sondern ein fortlaufender Prozess, der sich in den Interdependenzen der Beteiligten entwickelt. Mit der Überführung der Situation in einen Prozess wird sie aus einem statischen Zustand umgewandelt in einen dynamischen Fluss der Beziehungen zwischen den Beteiligten. Damit rücken die Effektivität und die Qualität der Verbindungen bzw. Beziehungen zwischen den Lernenden untereinander und zum Lehrenden in den Fokus der Betrachtung. (vgl. Hosking, D.; Bouwen, R. (2000) S. 129-131) 4.2.14 Kritik am Sozialen Konstruktivismus Die Kritik am Sozialen Konstruktivismus richtet sich zum einen grundsätzlich gegen das Theoriegebäude selbst. Von der Seite des Radikalen Konstruktivismus wird gegen den Sozialen Konstruktivismus eingewandt, dass es sich beim Sozialen Konstruktivismus gar nicht um Konstruktivismus handeln würde, da er der sozialen Wirklichkeit einen quasi existierenden Status zusprechen würde. (vgl. Backes-Hasse, A. (2002) S. 121) Gegen diese Position wenden Soziale Konstruktivisten ein, dass der systemtheoretisch gestützte Radikale Konstruktivismus selbst lediglich einegesellschaftliche Konstruktion und Weltanschauung ist. Über die Systemtheorie wird metaphysisches Denken zur Grundlage eines autopoietischen Systems. Mit der Anreicherung von Wissensbeständen anderer Wissenschaftsdisziplinen gelingt es dem systemischen Radikalen Konstruktivismus jedoch lediglich, Wirklichkeitskonstruktionen zu analysieren. Es gelingt ihm jedoch nicht, die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeiten betrachten zu können. (vgl. Soeffner, H. (1992) S. 478-479) Gleichwohl diskutiert der Soziale Konstruktivismus die Kritik des Radikalen Konstruktivismus an der sozialkonstruktivistischen Position auch inhaltlich als berechtigten Einwand. Die Problematik besteht darin, dass im Sinne eines selektiven Realismus Teile der sozialen Welt als unproblematisch betrachtet und für die problematisierten Teile zur Analyse heran - 157 gezogen werden. Dies geschieht, obgleich auch die unproblematischen Teile der sozialen Welt soziale Konstruktionen sind. (vgl. Holstein, J.; Gubrium, J. (2003) S. 188-190, Best, J. (1995) S. 341-344, Best, J. (2003) S. 63-66) Aus einem anderen Blickwinkel wird pragmatisch inhaltliche Kritik am Sozialen Konstruktivismus vorgetragen. Hier gibt es zwei Kritikrichtungen. Die erste kritisiert die zentrale Stellung der Definitionsleistung der Akteure im Sozialen Konstruktivismus. Kritisiert wird, dass dadurch die Konstruktionspraktiken der Akteure in den Hintergrund geraten. Die soziale Organisation der Definitionsleistungen wird nicht deutlich. (vgl. Schmidt, L. (2000) S.166-167) Die zweite pragmatische Kritikrichtung wendet sich gegen die Auswahl der Lerngegenstände. Bei der Auswahl der Lerngegenstände wird der traditionellen Position, der Auswahl durch die wissenproduzierenden Gemeinschaften, von Seiten des sozialen Konstruktivismus der Vorwurf der Hierarchie und der Unterdrückung gemacht. Die traditionelle Position neige zur Monopolisierung der Lerngegenstände. Der gleiche Vorwurf kann auch der konstruktivistischen Position, der Auswahl durch die gesellschaftlichen Kontexte der Lernenden, gemacht werden. Hier neigt jedoch die konstruktivistische Auswahl zur Beliebigkeit, indem sie alle Positionen zulässt. Dies bedeutet, dass auch radikale und extreme Positionen gleichberechtigt möglich sind. (vgl. Gergen, K. (2003) S. 80-82) Eine dritte Kritikposition ergibt sich aus der Auseinandersetzung objektivistischer Positionen mit dem Konstruktivismus. Kritisch wird hier zum einen vorgetragen, dass der Konstruktivismus lediglich eine Variante objektivistischer Positionen sei, der die Bedeutung subjektiver Entscheidungen hervorheben würde. Mit der Fokussierung seiner Analyse auf die Entstehung sozialer Ansprüche würde er darüber hinaus die bedeutenden soziologischen Fragestellungen zu problematischen Lebenszuständen von Menschen ignorieren und sei daher wissenschaftlich nicht bedeutsam. Die Analyse sozialer Ansprüche laufe in ihrem Ziel lediglich auf eine Fehleranalyse verzerrter Ansprüche hinaus. Die Analyse sei zudem keine wertneutrale Forschungsposition. Im Gegenteil sei der Kontruktivismus linksliberalen moralischen Ansprüchen und politischen Ideen verpflichtet. (vgl. Best, J. (1995) S. 338-341) 4.2.15 Methodik des Sozialen Konstruktivismus Der Soziale Konstruktivismus beschreibt die Sozialisation in die soziale Wirklichkeit und auch Entwicklungen in der sozialen Wirklichkeit als einen dreischrittigen dialektischen Prozess. Der dialektische Dreischritt besteht aus Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung. Alle drei - 158 Schritte existieren simultan. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139) Ausgangspunkt des dialektischen Prozesses sind die subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen der Menschen. Sie werden als gegebene Definitionsleistungen, die die Basis der weiteren Analysen bilden, aufgefasst. (vgl. Schmidt, L. (2000) S. 161, 165) Der Erkenntnisprozess entspricht der Dialektik aus These, Antithese und Synthese. Einer gegebenen Wirklichkeitskonstruktion (These) werden andere Wirklichkeitskonstruktionen (Antithese) als gleichberechtigt zur Seite gestellt. Aus dem Vergleich der Wirklichkeitsperspektiven können neue Einsichten (Synthese) gewonnen und neue Konstruktionsleistungen erzeugt werden. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 39-40) Damit verwendet der Soziale Konstruktivismus die Mehrperspektivität als Möglichkeit des Erkenntnisgewinns. (vgl. Schwarz, E. (2004) S. 39) Die Grundlage der Mehrperspektivität ist die Reflexivität. Sie bietet die Möglichkeit, eigene Vorannahmen in Frage zu stellen und andere als die offensichtlichen Erklärungen der Wirklichkeit zuzulassen. Das Normale und Übliche wird in Frage gestellt und Möglichkeiten für neue Standpunkte aufgestoßen. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 69-70) - 159 4.3 Schüler-Lehrer-Interaktion – sozialkonstruktivistische Grundlegung des Forschungsdesigns Das Schüler-Lehrer-Verhältnis aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ergibt sich vor dem Hintergrund der Aneignung von Welt94. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive erfolgt die Aneignung von Welt in einem dialektischen Dreischritt von Objektivierung, Internalisierung und Externalisierung (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139ff). Im Teilschritt der Objektivierung trifft der Lernende auf bestehende gesellschaftliche Wissensbestände, mit denen er sich auseinandersetzt. Bei der Internalisierung eignet er sich die vorgefundenen Wissensbestände im Sinne einer Auseinandersetzung mit vorgefundenen Erklärungen an, die er dann, bei der Externalisierung, als Ergebnisse seines Lernprozesses als für ihn sinnvolle Erklärungen in sein Handeln einfließen lässt. Bis hierher scheint sich zunächst das sozialkonstruktivistische Verständnis zur Aneignung von Welt noch nicht von den gängigen Lerntheorien zu unterscheiden. Diese verstehen Lernen als informationsverarbeitenden Prozess, dessen Ergebnis die Annäherung des Lernenden an eine objektive Welt bzw. die Übernahme objektiver Wissensbestände in das Repertoire des Lernenden ist (vgl. Schelten, A. (2000) S. 732; Reich, K. (2004a) S. 160-161). Im Unterschied hierzu versteht der Konstruktivismus die Wirklichkeit des Einzelnen als subjektiv sinnhafte Auslegung der vorgefundenen gesellschaftlichen Wissensbestände durch den Einzelnen. Gesellschaftliche bzw. objektive Wirklichkeit entsteht für den Einzelnen aus dem sinnhaften Wirklichkeitskonsens der Anderen, d.h. aus den Bestimmungen der Anderen, die sie für gemeinsame Situationen mit dem Einzelnen verwenden.95 Es entsteht eine wechselseitige Identifikation. Der Einzelne bestätigt durch sein Einfinden in die Gemeinschaft und seine sinnhafte Auslegung der gesellschaftlichen Wissensbestände die Gültigkeit der Wissensbestände und dadurch den Bestand der gemeinschaftlichen Wirklichkeit. Die Gemeinschaft bestätigt dem Einzelnen durch kollektive 94 Als Welt wird im sozialkonstruktivistischen Verständnis die soziale Welt verstanden. Naturwissenschaftliche Weltkonstruktionen, die Gegenstand radikal konstruktivistischer Vorstellungen (Maturana / Varela) sind, werden vom Sozialen Konstruktivismus nicht diskutiert. 95 In der konkreten Handlungssituation wirkt auch der Einzelne an der Entstehung der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit. Die vom Einzelnen in der Situation subjektiv sinnhaft erzeugte Handlung bestätigt die gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion, soweit der subjektive Handlungssinn mit den gesellschaftlichen Wirklichkeitsvorstellungen übereinstimmt. Dadurch bestätigt die Handlung zum einen die gesellschaftliche Wirklichkeitsvorstellung und zum anderen auch die Wirklichkeitsvorstellung des Einzelnen. - 160 Wissensbestände und gleichartige Reaktionen auf Handlungen die Existenz des Wirklichkeitszusammenhangs. Beide, Gemeinschaft und Einzelner, sind wechselseitig aufeinander angewiesen, um soziale Wirklichkeit zu generieren. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-140) Die subjektive Wirklichkeit des Einzelnen existiert mit gleichem Gültigkeitsanspruch neben den individuellen Wirklichkeiten aller anderen Subjekte. (vgl. Reich, K. (2004) S. 39-41, 44) Lernen wird dadurch zu einer subjektiven, sinnerschließenden Auseinandersetzung mit Wirklichkeiten anderer Subjekte, die bei dem Lernenden zu neuen subjektiven Sinneinsichten führt. (vgl. Siebert, H. (2005) S. 29-30, 46) Sobald diese Sinneinsichten im Handeln des Einzelnen sichtbar werden, treten sie in den gesellschaftlichenRaum ein. Soweit die neuen Sinneinsichten des Einzelnen in Übereinstimmung mit bestehenden gesellschaftlichen Wissensbeständen, d.h. mit mehrheitlich geteilten Wirklichkeitseindrücken anderer Subjekte stehen, stützen die Sinneinsichten des Subjekts die objektivierte Wirklichkeit und tragen zur Reproduktion und Tradierung dieser Wirklichkeit bei. (vgl. Abb.: Sinnentstehung aus sozialkonstruktivistischer Dialektik, S. 162) Falls die neuen Sinneinsichten des Subjekts zu Handlungen führen, die nicht in Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Wirklichkeitskonsens stehen, kann dies zu einem erneuten Lernprozess bei dem Einzelnen führen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 140-142) Siebert (vgl. Siebert, H. (2005) S. 24-26) sieht auch die Möglichkeit einer Auseinandersetzung der anderen Subjekte mit der Sinneinsicht des einzelnen Subjekts, die zu veränderten gemeinsamen Sinneinsichten und letztlich zu einer veränderten Objektivierung der Wirklichkeit führen kann. Begünstigend für die Veränderung objektivierter Wirklichkeit wirken neue Kontexte, für die neue Handlungen erprobt werden müssen. Der Mechanismus der wechselseitigen Abhängigkeit und Bestärkung der Wirklichkeitskonstruktion zwischen Subjekt und Gesellschaft macht drei wesentliche Unterschiede konstruktivistischer Lernprozesse im Vergleich zu klassischen objektivistischen Lernprozessen deutlich. Der erste Unterschied besteht darin, dass Lernen für das Individuum ein Prozess der Auseinandersetzung und Sinnerschließung und nicht ein Prozess der schablonenhaften Aneignung und prägenden Oktroyierung bestehender Sinnstrukturen ist. (vgl. Siebert, H. (2005) S. 30) Über den dialektischen Prozess der Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung entsteht eine sinnerschließende Verallgemeinerungsleistung für das Individuum. Diese eröffnet ihm eine sinnhafte Teilhabe an der Gesellschaft. (vgl. Siebert, H. (2005) S. 40-41) Die zunehmende Abstraktion der Erklärungs - 161 leistung sichert dabei eine breitere Absicherung und Anwendbarkeit des Gelernten.96 Sinnentstehung aus sozialkonstruktivistischer Dialektik Externalisierung Erklärungsleistung des Menschen, indiv. Sinn Internalisierung Aus allg. Wissensvorrat geschöpfte Erklärung Objektivierung Allgemeiner Wissensvorrat der Gesellschaft Abb.: Sinnentstehung in der sozialkonstruktivistischen Dialektik. Der zweite Unterschied zu klassischen objektivierten Lernprozessen gründet sich darauf, dass im Sinne der sozialkonstruktivistischen Theorie Lernen nicht nur Sozialisation des Subjekts in eine Gesellschaft, d.h. eine Möglichkeit, individuelle Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft zu eröffnen, ist. Es ist vielmehr ebenso ein Moment zur Entwicklung und Veränderung von Gesellschaft. Gesellschaft und Individuum sind dadurch interdependent aufeinander bezogen. Berger / Luckmann (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 64-65) führen aus, dass das Handeln und der subjektiv gemeinte Handlungssinn des Individuums subjektive Wirklichkeit schafft. In Übereinstimmung mit anderen Subjekten entstehen gemein 96 Berger / Luckmann zeigen dies exemplarisch am Beispiel des ‚Suppe Verschüttens’ (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 143) Sie beschreiben, dass ein kleines Kind lernt, dass seine Mutter böse ist, wenn es Suppe verschüttet (Externalisierung). Weiter erkennt es, dass auch andere – Vater, Oma etc. – böse sind, wenn Suppe verschüttet wird (Internalisierung) und erkennt schließlich, dass keine Suppe zu verschütten eine gesellschaftliche Norm darstellt (Objektivierung). - 162 same Objektivationen, die in ihrer Übereinstimmung die Gesellschaft bilden. Gleichzeitig ist die Gesellschaft der Handlungsrahmen, innerhalb dessen der Einzelne sich entwickeln kann. Hieraus entsteht der wechselseitige Bezug. Der Einzelne kann sich nur in der Gesellschaft entwickeln und gleichzeitig entsteht Gesellschaft nur als Produkt aus den Handlungen der vielen Einzelnen. „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.“ (Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 65, Hervorhebung im Original) Der dritte Unterschied besteht darin, dass der konstruktivistische Lernprozess selbst kein zeitlich befristeter und kein chronologischer Prozess ist.97 Wyrwa (vgl. Wyrwa, H. (1998) S. 25) beschreibt die Entstehung sozialer Wirklichkeit als Stabilisierungsprozess, in dem Erlebnisse des Einzelnen durch gleichartige Erlebnisse anderer bestätigt werden. Durch die intersubjektive Bestätigung entsteht soziale Wirklichkeit. Lernprozesse verstanden als Prozesse zur Aneignung von Wirklichkeit (vgl. Reich, K. (2004a) S. 161-162, Wyrwa, H. (1998) S. 130) müssen daher zeitlich unbefristet sein, da sie ständig im Einzelnen subjektive Veränderungen bewirken können, der Einzelne auf gesellschaftliche Wirklichkeitsveränderungen reagieren kann und er gesellschaftliches Sein durch seine Konstruktionsergebnisse produziert und reproduziert. In diesem Zusammenhang sprechen Maturana / Varela von „struktureller Kopplung“ (Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 110) als ständigem Prozess zwischen Milieu und Einheit. Milieu und Einheit sind füreinander wechselseitige Quellen von Perturbationen und können beim jeweils Anderen ständig Zustandsveränderungen bewirken. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 110, 196, 210, 216-217) Gleichzeitig ist damit aus konstruktivistischer Perspektive Lernen ein simultaner Prozess, der zwischen den Elementen Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung ständig oszilliert. Alle drei Elemente können Ausgangspunkt und Endpunkt von Lernprozessen sein.98 (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 60-65, 139) Lernen beginnt mit der Geburt des Kindes und führt es in die Wirklichkeit seiner ersten engsten Sozialisationspartner, seiner Eltern, ein. Auf diese 97 Berger / Luckmann beschreiben den ganzen dialektischen Prozess der Externalisie rung, Objektivierung und Internalisierung im gesellschaftlichen Zusammenhang als simultanen und zeitlich unbefristeten Prozess. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139) 98 Vgl. exemplarisch als Unterrichtsbeispiel hierzu Reich, K. (2004) S. 46-48. Reich verwendet dabei die Begriffe Rekonstruktion, Konstruktion, Dekonstruktion in sehr ähnlicher Weise wie Internalisierung, Externalisierung und Objektivierung. - 163 Primärsozialisation folgen Sekundärsozialisationen in andere gesellschaftliche Bereiche hinein, die in zunehmendem Maße von den elterlichen Sozialisationspartnern losgelöst sind. Gesellschaftlich geregelte Sozialisationsprozesse werden dabei in der Regel entsprechenden Institutionen zugeordnet. Auch die berufliche Sozialisation ist eine Sekundärsozialisation (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 172-173). Für das duale System der Berufsausbildung ergibt sich die Besonderheit einer funktional geteilten bzw. doppelten Sozialisation. Die Sozialisation in den Beruf erfolgt auf betrieblicher Ebene durch Angehörige des Berufes selbst und auf schulischer Ebene durch staatliche Funktionsträger, die neben der beruflichen Sozialisation gesellschaftliche Sozialisationsaufgaben mit übernehmen. (vgl. Gonon, P. (2003) S. 55-58) Ebenso zweigeteilt ist der organisatorische Rahmen. Auf betrieblicher Seite bilden das Berufsbildungsgesetz, Ausbildungsordnung und Ausbildungsrahmenplan sowie diverse andere Gesetze die Grundlagen der Ausbildung. Die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern sichern den Handlungsrahmen der betrieblichen und überbetrieblichen Ausbildung ab. Die Kammerprüfungen am Ende der Ausbildung enthalten die Prüfkriterien für einen erfolgreichen Qualifizierungsprozess. Auf schulischer Seite bilden die Schulgesetze und -verordnungen sowie die Rahmenlehrpläne die Grundlagen der Ausbildung, sichern Schulbürokratie und Schulleitung den organisatorischen Handlungsrahmen ab und bilden Schulnoten und Schulzeugnisse die Prüfkriterien für die erfolgreiche Sozialisation. (vgl. Pätzold, G. (1999) S. 85-101) Der Sozialisationserfolg ergibt sich als Symmetrie zwischen subjektiver und objektiver Wirklichkeit. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 175, Reich, K. (2004) S. 43-44) Hier entsteht für das Duale System ein mögliches Risiko oder auch eine mögliche Chance. Beide entstehen aus dem gleichen Mechanismus der Irritation. Berger / Luckmann weisen auf den Mechanismus hin, der sich aus der Vermittlung divergierender Wirklichkeitsvorstellungen ergibt. Sie erläutern, dass sich die unterschiedlichen Vorstellungen durch unterschiedliche Sozialisationspartner, hier Betrieb und Schule, die bezogen auf eine Wirklichkeit unterschiedliche Perspektiven vermitteln, ergeben. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 179). Das potentielle Risiko ergibt sich als erfolglose Sozialisation in den Beruf. Das Risiko entsteht, da divergierende Wirklichkeitsvorstellungen von betrieblicher und schulischer Seite vermittelt werden können, die zu Widersprüchen beim Auszubildenden führen können und den beruflichen Sozialisationserfolg im Sinne einer intensiven Identifikation mit dem Beruf in Frage stellen können. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 179) Die Chance eröffnet sich durch die Möglichkeit einer Art ‚kalten‘ Identifi- 164 kation. Berger / Luckmann beschreiben, dass in diesem Falle an die Stelle einer intensiven eine distanzierte Identifikation tritt. Die berufliche Wirklichkeit tritt als eine mögliche und akzeptierte Wirklichkeit neben die bestehende subjektive Wirklichkeit. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 183-184) Bei großen Widersprüchen zwischen primärer und sekundärer Sozialisation, die den sekundären Sozialisationserfolg erschwert, erhält das Individuum durch die ‚kalte‘ Identifikation die Möglichkeit, eine berufliche Teilidentität99 neben seiner ursprünglichen Identität aufzubauen. Die berufliche Teilidentität eröffnet dem Individuum ein Potential, die Teilidentität in entsprechenden beruflichen Handlungskontexten zu nutzen und anschließend wieder in den Hintergrund treten lassen zu können. Hier ist bei Berger / Luckmann die Anlehnung des Identitätsbegriffs an Rollenbegriffe besonders deutlich. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 184) Durch eine berufliche Teilidentität distanziert sich das Subjekt von der beruflichen Wirklichkeit. Es gelingt ihm, berufliche Schwierigkeiten aushalten zu können, sich beruflichen Veränderungen anpassen zu können und auch einen Berufswechsel vornehmen zu können, ohne jeweils Wirklichkeitskrisen in der Primäridentität aushalten zu müssen. Im umgekehrten Fall, bei Krisen im Bereich der Primäridentität, kann auch die berufliche Teilidentität für das Individuum zum wirklichkeitsstabilisierenden Anker werden. Berger / Luckmann meinen hier jedoch ausdrücklich nicht existenzielle Krisen wie die Sinnfrage im Angesicht des Todes. Sie meinen vielmehr den ständigen Prozess der subjektiven Wirklichkeitsabsicherung der Alltagswelt, der beständig durch den Kontakt zu anderen Menschen erfolgt. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 157-163, 172-174) Durch die Primärsozialisation und darauf folgende Sekundärsozialisationen in Bezug auf unterschiedliche gesellschaftliche Wirklichkeiten ergeben sich für das Subjekt Teilwirklichkeiten, und es entsteht die Möglichkeit, Teilidentitäten zu entwickeln, die in den entsprechenden Handlungssituationen handlungsleitend werden. Für alle Sozialisationsprozesse wird der dialek 99 Identität wird bei Berger / Luckmann in gesellschaftlichen Prozessen geformt. Gesellschaftliche Prozesse erzeugen Identitätstypen, die Teil der objektiven Wirklichkeit sind. Subjektive Identität entsteht im dialektischen Bezug zwischen Gesellschaft und Einzelnem. Der Grad der Identifikation mit verschiedenen Identitätstypen in verschiedenen Sozialisationszusammenhängen ergibt sich aus der subjektiven Internalisierung des Identitätstyps. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 185-186, 190) Identität ist dabei nicht teilbar, hat aber entsprechend der Handlungssituation jeweils zugehörige Parameter. Der objektivierte Sinn der Handlung wird als Teilobjektivation Strukturbestandteil des Selbstbewusstseins. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 77) - 165 tische Dreischritt von Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung wirksam. Objektivierte Wissensbestände des Sozialisationszusammenhangs werden als Erklärungszusammenhang vom Subjekt internalisiert und in der Externalisierung handlungsleitend für die Handlungen des Subjekts. Die aus gesellschaftlicher Perspektive sinnvollen Handlungen des Subjekts wiederum bestätigen die Wirklichkeit und Richtigkeit der objektivierten Wissensbestände. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 78-79, 139145) Der hier beschriebene Prozess kann im Sinne einer Deduktion, der Ableitung vom Allgemeinen zum Besonderen und der anschließenden Bestätigung des Allgemeinen durch das Besondere, betrachtet werden. Genauso möglich ist die Interpretation im Sinne einer Induktion, als Schluss vom Besonderen zum Allgemeinen und der anschließenden Bestätigung des Besonderen durch das Allgemeine. Es handelt sich bei der sozialkonstruktivistischen Dialektik daher um hermeneutische Zirkel bzw. Spiralen, bei denen das Verstehen zwischen Momenten hin- und herläuft, die sich im Verstehensprozess selbst korrigieren und erweitern. (vgl. Danner, H. (1979) S. 52-54) Diese Zirkelschlüsse können als vertikale Komponente des Sozialisationsprozesses bezeichnet werden, da sie allgemeinere bzw. speziellere Perspektiven auf einen Wissensbestand in einen Sozialisationszusammenhang eröffnen. Aufgrund der Vielzahl möglicher Sekundärsozialisationen gibt es jedoch nicht nur einen Sozialisationszusammenhang. Daher muss neben die vertikale Sozialisationskomponente eine horizontale Sozialisationskomponente hinzutreten. Durch nebeneinanderstehende Sekundärsozialisationen sind auch Objektivierungen und die zugehörigen Internalisierungen und Externalisierungen den entsprechenden Sozialisationen zuzuordnen und erlangen dort Gültigkeit. (vgl. Reich, K. (2004) S. 45, Siebert, H. (2005) S. 64) In diesem Zusammenhang entsteht notwendigerweise die Frage nach der Verallgemeinerung bzw. nach der gleichzeitigen Gültigkeit von Wissensbeständen in verschiedenen Sozialisationszusammenhängen. In diesem Sinne wird die subjektiv handlungsleitende Reichweite der Wissensbestände in verschiedenen Sozialisationszusammenhängen mit dem Begriff horizontale Sozialisationskomponente bzw. horizontale Reichweite beschrieben.100 100 Exemplarisch soll die vertikale und horizontale Sozialisationskomponente am Tötungsverbot als gesellschaftlichem Wissensbestand beschrieben werden. Das Tötungsverbot zwischen Menschen gilt generell als Objektivierung für alle gesellschaftlichen Sozialisationszusammenhänge. Es wird vom Subjekt internalisiert und leitet die Externalisierungen und die konkreten Handlungen des Einzelnen an. Verstöße werden gesellschaftlich geahndet. Mit der Ahndung wird die Gültigkeit des - 166 Für die Duale Berufsausbildung bedeutet dies, dass sie als sekundäre Sozialisation ihre horizontale Sozialisationsreichweite primär in der Erlangung eines Berufes aufspannt. Darüber hinaus erhebt die staatliche schulische Ausbildungskomponente den Anspruch einer über den Beruf hinausreichenden Sozialisation. Dies manifestiert sich u.a. in den Landesverfassungen, Schulgesetzen und Schulverordnungen, Lehrplanpräambeln und auch in den Lehrerdienstordnungen.101 Für die Lehrenden an berufsbildenden Schulen ergibt sich die doppelte Aufgabe, die Schüler für ihren Beruf und für die Teilhabe an der Gesellschaft zu qualifizieren. Im Sozialisationsprozess können bestimmte andere Menschen besonders wichtige Bedeutung erlangen. Sie werden als „signifikante Andere“ (Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 141) bezeichnet. Für die Primärsozialisation sind dies in der Regel die Eltern. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 141) Später sind es Menschen, die dem Individuum besonders nahe stehen, Ehepartner, Familie, enge Freunde, bedeutsame Arbeitskollegen etc. (vgl. Siebert, H. (2005) S. 38) Daneben gibt es weitere Sozialisationspartner, den „Chor“ (Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 161), die geringere Bedeutung erlangen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 161-163) Sekundäre Sozialisationsprozesse, die durch Institutionen initiiert werden, weisen die Sozialisationsaufgabe speziellem Personal zu. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist das sozialisierende Personal der Institutionen durch den vorgegebenen Handlungsrahmen und die Vermittlung spezifischer, der Institution zugeordneter Wissensbestände Wissensbestands gesellschaftlich bekräftigt. Dieser Zusammenhang beschreibt zunächst die vertikale Sozialisationskomponente des Tötungsverbots. Bisher ist von einem universalen gesellschaftlichen Gültigkeitsanspruch auszugehen. Im Sinne der horizontalen Sozialisationskomponente ist nach der Reichweite des Geltungsanspruchs des Wissensbestandes in verschiedenen Sozialisationszusammenhängen zu fragen. Hier zeigt sich, dass das Tötungsverbot in einigen Sozialisationszusammenhängen, Militär, Polizei, Selbstschutz des Einzelnen in existenziellen Bedrohungssituationen nur eine eingeschränkte Gültigkeit hat. 101 Für das Land Thüringen wird der Erziehungs- und Bildungsauftrag in der Landesverfassung geregelt (vgl. LV (1993) Art. 22), im Schulgesetz konkretisiert und von den Grundwerten des deutschen Grundgesetzes und der Landesverfassung hergeleitet (vgl. ThürSchulG (1993) §2), mit dem Hinweis auf allgemeine und berufliche Abschlüsse auf die berufsbildenden Schulen übertragen (vgl. ThürSchulG (1993) §4), in der Berufsschulordnung mit der Festlegung der Rahmenstundentafel (vgl. ThürBSO (1996) Anlage 1 – zu §6 Abs. 5) und mit Regelungen zur Anerkennung von Abschlusszeugnissen der Berufsschule als gleichwertig zu allgemeinbildenden Schulabschlüssen (vgl. ThürBSO (1996) §20) umgesetzt und auch in der Lehrerdienstordnung als Erziehungsauftrag (vgl. Lehrerdienstordnung (1993) §3 (1) und §9 (4)) verankert. - 167 in seinen Handlungsmöglichkeiten beschränkt und festgelegt. Der sozialisierende Personenkreis, wie zum Beispiel Lehrer, erhält dadurch den Charakter austauschbarer Funktionsträger. Die Aufgabe ist leicht von ihrem Träger zu lösen, der Träger beliebig ersetzbar und eine enge Identifikation wie mit einem ‚signifikanten Anderen‘ ist nicht notwendig. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 152) Aus gesellschaftlicher Perspektive sind Lehrer als institutionale Sozialisationspartner dem Chor zuzuordnen. Die Situation des Schülers in der beruflichen Bildung als institutionalem Sozialisationsprozess stellt sich als Entwicklungs- und Orientierungssituation der Adoleszenz dar. (vgl. Bremer, R.; Haasler, B. (2004) S. 174) Sie ist z.B. gekennzeichnet durch die Loslösung vom Elternhaus und die Identitätssuche (vgl. Hirblinger, H. (2000) S. 22-23), d.h. die signifikanten Partner der Primärsozialisation verlieren an Relevanz. Neue ‚signifikante Andere‘ treten an ihre Stelle. Hinzutreten können besondere schulische Vorerfahrungen, die als Ausgrenzungs- und Leistungsdefiziterfahrungen102 den Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung zusätzlich belasten können. (vgl. Goede, N. (2001) S. 250-252) Vor diesem Hintergrund erfolgt der Eintritt in die berufliche Sozialisation im Dualen Ausbildungssystem. Im Hinblick auf das Schüler-Lehrer-Verhältnis im Dualen System sind die Lehrer zunächst aus gesellschaftlicher Perspektive in ihrem Handlungsrahmen als schulische Funktionsträger angelegt, die in ihrer wissensvermittelnden Funktion austauschbar sind. Dennoch können sie aus der Schülerperspektive in ihrer Qualität und Bedeutung von den Schülern unterschiedlich wahrgenommen werden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 152, Oerter, R. (2001) S. 81) Für die Duale Berufsausbildung ergibt sich die Besonderheit mehrerer Lernorte. Hier scheint der betriebliche Ausbildungspartner für die Schüler problematisch zu sein. Die Untersuchung von Rose (2003) kommt zu dem Ergebnis, dass Schwierigkeiten in der Ausbildung, die zu Ausbildungsabbrüchen führen, von den Auszubildenden zu 70% in betrieblichen Gründen gesehen werden.103 Demgegenüber messen die Auszubildenden der Schule im Hinblick auf den Ausbildungsabbruch keine besondere Bedeutung zu. (vgl. Rose, P. u.a. (2003) S. 4-5) In der adoleszenten Orientierungssituation der Auszubildenden könnte daraus, im Vergleich zu den betrieblichen Sozialisationsträgern, ein 102 Exemplarisch hierfür ist die Problematik von Hauptschülern. Vgl. hierzu Goede, N. (2001). 103 Ebenso Berufsbildungsbericht (2006) S. 121, dort mit Verweis auf den Berufs bildungsbericht 1991, S. 42. - 168 Bedeutungszuwachs für die Lehrer in der Dualen Ausbildung resultieren. Eine größere wahrgenommene Bedeutung, d.h. eine größere Signifikanz aus der Schülerperspektive, verbessert die Möglichkeit und Reichweite dieser Lehrer, ihre schulischen Sozialisationsbestrebungen im Wettbewerb mit anderen Sozialisationspartnern der Schüler zur Geltung zu bringen. Was bedeutet dies, wenn man eine klassische Unterrichtssituation betrachtet, eine Unterrichtsstunde, eine Schulklasse und einen Lehrer? Eine solche Situation zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl die Schüler als auch der Lehrer die Externalisierungen des jeweils anderen erleben. Die Externalisierung ist hier die sichtbare Erklärungsleistung, der individuelle Sinn, der sich im Handeln des Einzelnen ausdrückt. Internalisierung und Objektivierung selbst bleiben dem jeweiligen Gegenüber verborgen. Als Repräsentant der Gesellschaft obliegt es dem Lehrer, gesellschaftliche Objektivierungen, d.h. allgemeine Wissensvorräte der Gesellschaft, an die Schüler heranzutragen, um deren Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Hierzu erbringt der Lehrer einen eigenen Lernprozess von Objektivierung, Internalisierung und Externalisierung, um gesellschaftlich relevante Wissensaspekte vertreten und darstellen zu können. (vgl. Glasersfeld, E. (2002) S. 220-221, Lumpe, A. (1994) S. 222) Für die Schüler wird allerdings nur der Teilprozess der Externalisierung im Unterricht sichtbar. Dort treffen die Externalisierungen des Lehrers auf die Externalisierungen der Schüler, die auf deren bisherigen Objektivierungen und Internalisierungen beruhen. Aus diesem Zusammentreffen ergeben sich für den Lehrer neue Lernprozesse, die sich in veränderten Internalisierungen und Objektivierungen niederschlagen. Für die dann anschließende Unterrichtssituation ergibt sich eine veränderte Externalisierung des Lehrers. (vgl. Lumpe, A. (1994) S. 220-222) Ein gleicher Prozess gilt für die Schüler. Sie treten in eine Situation ein, die ihnen eine Möglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe eröffnen soll. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139) Der individuelle Ausgangspunkt des Lernprozesses ist der jeweils eigene Stand der Objektivierung, Internalisierung und Externalisierung. In der Unterrichtssituation sichtbar wird auch hier nur die Externalisierung. Sie trifft auf die Externalisierungen der anderen Schüler und die des Lehrers. In der Auseinandersetzung mit deren Externalisierungen entstehen neue Prozesse der Internalisierung und Objektivierung, die anschließend in veränderten Externalisierungen sichtbar werden können. (vgl. Abb.: Schüler-Lehrer-Interaktion als dialektischer Prozess, S. 170) - 169 Schüler-Lehrer-Interaktion als Dialektik S-Objektivierung S-Internalisierung S-Externalisierung L-Objektivierung L-Internalisierung L-Externalisierung Abb.: Schüler-Lehrer-Interaktion als dialektischer Prozess. Für das Schüler-Lehrer-Verhältnis bedeutet dies, dass im Unterricht ihre jeweiligen Externalisierungen aufeinandertreffen und für den Einzelnen jeweils subjektiv rückgekoppelt werden. Lehrerhandlungen wirken für die Schüler als Anregung für ihre Externalisierungen oder als Reaktion auf ihre Externalisierungen. Dadurch erhalten die Schüler eine Stimulanz oder eine Rückkopplung für ihre Externalisierungen. Gleiches gilt für den Lehrer. Sowohl bei den Schülern als auch bei dem Lehrer ergeben sich aus der Unterrichtssituation Prozesse der Internalisierung und Objektivierung. Sie bilden die veränderte Basis für die Externalisierungen in folgenden Situationen (vgl. Lumpe, A. (1994) S. 226, 264-265). Die Ergebnisse der Rückkopplungen und der folgenden Internalisierungen und Objektivierungen bewirken im Subjekt jedoch keineswegs eine exakte Übernahme der fremden Externalisierungen. Vielmehr entstehen Hybride, die alte Vorstellungen des Subjekts mit den fremden Externalisierungen verknüpfen. (vgl. Duit, R. (1995) S. 910-911) Der hier skizzierte subjektive Rückkopplungsprozess auf der Basis gemeinsam erfahrener Externalisierungen gilt für alle Handlungsaspekte einer Unterrichtssituation. Er gilt sowohl für die Externalisierung fachlicher Unterrichtsinhalte, die Externalisierung anderer Inhalte, die durch Schüler oder Lehrer außerhalb des Lehrplans eingebracht werden, als auch für die - 170 Externalisierung geplanter und ungeplanter Abläufe in der Unterrichtssituation sowie für die Externalisierung von Aspekten des persönlichen Umgangs miteinander. Die subjektive Rückkopplung wirkt für die Schüler als Vermittlung zwischen ihrer subjektiven Perspektive und der gesellschaftlichen Perspektive, vertreten durch den Lehrer. So bilden die Externalisierungen und die daraus entstehenden subjektiven Rückkopplungen die Grundlage der Lernprozesse in der jeweiligen Unterrichtssituation. (vgl. Reinmann-Rothmeier, G. (2003) S. 11, Siebert, H. (2002) S. 226-227) Durch die Simultanität von Objektivierung, Internalisierung und Externalisierung sind alle drei Aspekte des Lernens auch in einer Unterrichtssituation gleichzeitig vorhanden. Bei der Externalisierung handelt es sich um die subjektive Sinnzuweisung bzw. Erklärungsleistung eines Individuums, die es in der individuellen Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen für sich entwickelt hat. Tatsächlich sichtbar wird allerdings nur ein externalisiertes Handeln, das auf den subjektiven Externalisierungen basiert. Das Ziel von institutionalisierten Unterrichtssituationen ist die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139). In der dualen Berufsausbildung ist dies zum einen die Einführung in den zu erlernenden Beruf und zum anderen die Ermöglichung gesellschaftlicher Partizipation. Unter dieser Perspektive entfaltet in der Unterrichtssituation die sozialkonstruktivistische Dialektik aus Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung unter dem Handlungsdruck und den Rahmenbedingungen der Situation zunächst primär ihr auf die konkrete Situation bezogenes vertikales Potential. Dies bedeutet, dass Rückkopplungen auf subjektive Externalisierungen zunächst auch bezogen auf die vorliegende Sozialisationssituation reflektiert werden und zu situationsbezogenen Verallgemeinerungen führen. Das horizontale Potential, d.h. die Adaption auf andere Bereiche der Sozialisation, entfaltet sich in der dialektischen Reflexion der Unterrichtssituation erst außerhalb der konkreten Situation (vgl. Siebert, H. (2005) S. 33) durch die Schüler und den Lehrer.104 In der Horizontalreflexion entsteht eine Reflexionsmöglichkeit ohne konkreten Handlungsdruck. Sie kann dabei alle drei Teilbereiche der konstruktivistischen Dialektik, Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung erfassen. Im Hinblick auf die Unterrichtssituation bedeutet dies, dass die subjektive Sinn- und Werthaltigkeit des Unterrichts sich gegenwartsbezogen und 104 Dies gilt, soweit eine Adaption nicht gerade der aktuelle Unterrichtsgegenstand selbst ist. - 171 kurzfristig durch ihr vertikales Potential, d.h. ihre Funktion im konkreten Sozialisationszusammenhang, erschließt. Zukunftsbezogen und langfristig tritt das horizontale Potential, d.h. ihre Übertragbarkeit auf andere Sozialisationsbereiche, hinzu. (vgl. Siebert, H. (2005) S. 35-37) Bezogen auf das Schüler-Lehrer-Verhältnis bedeutet dies, dass sich das subjektive sozialisatorische Signifikanzpotential eines Lehrers, d.h. die Bedeutung, die der Schüler dem Lehrer als möglichem ‚signifikanten Anderen‘ oder als Teil des ‚Chors‘ zumisst, aus der Schülerperspektive kurzfristig aus dem vertikalen Potential im konkreten Unterrichtszusammenhang ergibt. Längerfristig erweitert sich das Signifikanzpotential des Lehrers um das horizontale Potential, d.h. die Übertragbarkeit seines Unterrichts auf andere Lebensbereiche, denen aus Schülerperspektive Relevanz zukommt. Für die Entwicklung eines sozialkonstruktivistischen Forschungsdesigns zur Untersuchung von Schüler-Lehrer-Verhältnissen, die aus der Schülerperspektive ein hohes subjektives Signifikanzpotential aufweisen und damit auch ein hohes Potential in sich tragen, erfolgreich am Sozialisationsprozess mitzuwirken, ergeben sich die nachfolgenden Forderungen an das Untersuchungsdesign. 1. Die zu befragenden Lehrer sind aus der Schülerperspektive auszuwählen. Insbesondere die Schüler verändern ihre subjektive Wirklichkeitsperspektive im Sozialisationsprozess, um gesellschaftliche und berufliche Teilhabe zu erlangen. Daher ist ihre Perspektive im Umgang mit Funktionsträgern, die aus gesellschaftlicher Perspektive als austauschbar gelten, zu bevorzugen. 2. Schüler und Lehrer sind in ihrem Verhältnis aufeinander bezogen zu betrachten. Durch die Interaktion entsteht ein wechselseitiger Austausch zwischen den Schülern und dem Lehrer, in dem sich das Verhältnis zwischen den Partnern entwickelt. 3. Die Untersuchungsbasis ist die Unterrichtssituation. In der Unterrichtssituation treffen die Externalisierungen der Schüler und Lehrer zusammen. Von hier aus entwickeln sich die subjektiven Rückkopplungen und münden auch wieder in diese Situation ein. 4. Zeitlich ist aus der Ex-post-Perspektive ein längerer Zeitraum zu betrachten. Insbesondere das horizontale Sozialisationspotential, d.h. das Potential der subjektiven Rückkopplungen über die konkrete Sozialisationssituation hinaus, entfaltet sich erst in der Reflexion, d.h. in Zusammenhängen außerhalb der konkreten Unterrichtssituation. 5. Die Untersuchung muss das horizontale Sozialisationspotential über den Beruf hinaus erfassen. Aufgrund des gesellschaftlichen Anspruchs an Unterricht, wie auch des Anspruchs der Schüler auf Teilhabe an der Gesellschaft, ist die Perspektive über den Beruf hinaus auszudehnen. - 172 5 Methodische Konzeption des Forschungsdesigns und Erhebungsverlauf 5.1 Methodische Konzeption des Forschungsdesigns 5.1.1 Konstruktivistisches Forschen Der Konstruktivismus betrachtet Wirklichkeit als ein Phänomen, das jeweils individuell durch das Subjekt in Wechselwirkung mit seiner Umgebung erzeugt wird. Maturana / Varela beschreiben das Subjekt als fortlaufend im Wandel befindliches „strukturdeterminiertes dynamisches System“ (Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 109), das in ständiger Kopplung zum umgebenden Milieu steht und durch die Perturbationen des Milieus im dauernden Wandel begriffen ist. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 109-112) Der Soziale Konstruktivismus rückt Menschen und die sie umgebenden gesellschaftlichen Bezugsrahmen in den Fokus der Betrachtung. Berger / Luckmann beschreiben den Menschen in dialektischer Beziehung zur Gesellschaft. Der Mensch agiert als Subjekt in die Gesellschaft hinein und nimmt gleichzeitig die Wirklichkeit der Gesellschaft als subjektiv sinnhafte Wirklichkeit in sich auf. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-140) Subjektive und gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen basieren auf wechselseitigen Intentionalitäten der Handlungssubjekte und deren wechselseitiger Bezugnahme. Dies führt zu verschiedenen Beobachterpositionen auf die Konstruktion, so dass in der Konstruktion eine Mehrperspektivität angelegt ist. (vgl. Moser, S. (2004) S. 11) Die Handlungen selbst sind zirkuläre Prozesse. Handlungen einer Person müssen zu den Handlungen der anderen Person(en) in Beziehung gesetzt werden. Dadurch werden Handlungsabläufe sichtbar, die als selbsterzeugende Konstruktionen beschrieben werden können. Soziale Phänomene und soziale Wirklichkeiten werden zu erzeugten Wirklichkeiten, die durch die Handlungen der Subjekte entstehen. (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 78-79) Aufschluss über die Wirklichkeitskonstruktionen der Beteiligten können aus Fragen über wechselseitige Erwartungen und Erwartungserwartungen, d.h. Erwartungen über von anderen an das Subjekt selbst gerichtete Erwartungen, gewonnen werden. Die ermittelten Erklärungen und Wahrheiten sind individuell. Es gibt keine einzige richtige Wahrheit. Bedeutsam ist daher, die Wirksamkeit der einzelnen Wahrheiten für die Kommunikation herauszufinden. (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 80) Konstruktivistische Forschungsdesigns suchen Möglichkeiten zur Beobachtung und Beschreibung dynamischer und komplexer Wechsel - 173 wirkungsprozesse. Sie zielen darauf ab, die Mehrperspektivität sozialer Handlungssituationen einzufangen und aus der Erschließung von Zusammenhängen und Grenzziehungen zwischen den Interaktionspartnern Schlüsse für komplexere Gegebenheiten zu ziehen. (vgl. Moser, S. (2004) S. 18) Hierfür ist das Prinzip des Perspektivwechsels ein bedeutender methodischer Aspekt des Konstruktivismus. Damit erhält man verschiedene Beobachterperspektiven zu einem Phänomen. Es bleibt allerdings immer nur bei Beobachterperspektiven (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 71-72), selbst wenn die befragte Person zu sich selbst Aussagen macht. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 223-229) Auch hier kann die Person nur die ihr bewussten Momente aus ihrer Erinnerung abrufen. Es ist eine Beobachtung der eigenen Person aus zeitlicher Distanz. Die Erkenntnisse eines Beobachters werden nur aus ihrer Bedeutung für ihn selbst heraus verständlich. Er hat einen spezifischen Zugang zur untersuchten Situation. Vor diesem Hintergrund erfolgt seine Beschreibung, Erklärung und Bewertung. (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 73-74) Mit dem Bemühen des Forschers, die Beobachtungen und ihre Bedeutung für den Probanden in empirischen Forschungsdesigns zu fassen, werden die Forschungsdesigns selbst zu spezifischen Arten von Wirklichkeitskonstruktionen. Die Empirie erschafft in ihrem Forschen eine neue eigene Wirklichkeit105. (vgl. Moser, S. (2004) S. 20) Die Forschungswirklichkeit ist lediglich eine Repräsentation der vorgefundenen Wirklichkeit. In der Vermischung beider Wirklichkeiten liegt die Gefahr, den wissenschaftlichen Gehalt der Forschungswirklichkeit, der in der Beschreibung der Zustandsveränderungen und der Relationen zwischen den Untersuchungsobjekten und deren Milieu liegt, zu verlieren. Matura- na / Varela schlagen zur Lösung dieser Problematik eine „logische Buchhaltung“ (Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 148) vor. Im Sinne der logischen Buchhaltung fällt dem forschenden Beobachter die Aufgabe zu, klar zwischen den Beobachtungsperspektiven zu trennen. Die Trennung hat dabei entlang der Linie der inneren Dynamik des Untersuchungssystems, die den Akteuren bekannt ist, und der Verknüpfung des Untersuchungssystems mit der Außenwelt, die in der Forscherperspektive entsteht, zu erfolgen. (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 147-150) 105 Sozialwissenschaftliche Forschung ist dadurch notwendigerweise Beobachtung und Handlung zugleich. Es entsteht ein Eingriff in das beforschte soziale Gebilde, der zu einer Unschärfe und einem beeinträchtigenden Einfluss in den Forschungsergebnissen führen muss. (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 83) - 174 5.1.2 Entwicklung der Fragestellung Für den schulischen Unterricht werden vielfältige Forderungen und Wünsche von sehr unterschiedlichen Interessengruppen an die Schulen herangetragen. Ebenso breit gefächerte Vorstellungen gibt es zu den Anforderungen an die Lehrkräfte in den Schulen. Entsprechend den Anforderungen werden auch unterschiedliche Qualitätsmerkmale für Lehrerhandlungen im Unterricht formuliert. Wie in den ersten Kapiteln dargestellt, sieht die Expertenforschung im Expertenwissen die Ursache für Spitzenleistungen, skizziert die Professionsforschung einen spezifischen Wissenskorpus der Profession, der die Grundlage professionellen Handelns und damit Grundlage von Spitzenleistungen sein soll, und formuliert die Kompetenzforschung Kompetenzbündel aus Pädagogik, Fachlichkeit und Wissenschaft, um die Anforderungen an Lehrkräfte zu beschreiben. Aus konstruktivistischer Perspektive ist Unterricht eine von den Schülern und dem Lehrer gemeinsam konstruierte Wirklichkeit. Eine wesentliche Lehrerleistung liegt in der Gestaltung von Konstruktionsgelegenheiten für die Schüler. Reich (2004) bezeichnet sie als Möglichkeiten zur Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion (vgl. Reich, K. (2004a) S. 141144) und bezeichnet Lehrer „einerseits als mehrwissende Experten, andererseits als lernerorientierte Moderatoren der Wissens- und Handlungskonstruktion“ (Reich, K. (2004a) S. 205). Aus der Orientierung am Lernenden erwächst eine erweiterte Perspektive auf die Qualität der Lehrerhandlung. Im Sinne einer gemeinsamen Konstruktion von Unterrichtswirklichkeit ist die Perspektive der Schüler – als lernende Ko- Konstrukteure der Unterrichtswirklichkeit – für die Beschreibung der Qualitätsmerkmale von Lehrenden von Bedeutung. Die in dieser Arbeit gesuchten Qualitätsmerkmale ‚guter’ Lehrer aus der Schülerperspektive sind für andere Forschungsbereiche von Bedeutung, um Bereiche des Expertenwissens, den Wissenskorpus der Profession oder Kompetenzbündel genauer beschreiben zu können und die schülerorientierten Komponenten dieser Forschungszweige schärfen zu können. Möglicherweise gelingt auch ein Beitrag zur Lehrerbildung, um Lehrern Hinweise für eine stärker schülerorientierte Gestaltung von Lernsituationen und Curricula zu eröffnen. 5.1.3 Auswahl der Probanden 5.1.3.1 Schülerprobanden Die Fragestellung dieser Untersuchung macht deutlich, dass Unterricht als Wirklichkeit verstanden wird, die von Schülern und Lehrern gemeinsam konstruiert wird. Reich (2004) weist dabei dem Lehrenden eine leitende Konstruktionsaufgabe zu (vgl. Reich, K. (2004a) S. 141-144, 205) und die - 175 Schüler finden sich in der Position von Ko-Konstrukteuren wieder. Über die konkrete Unterrichtssituation hinausweisend machen Berger / Luckmann (2004) die Einbindung subjektiver Wirklichkeiten in größere gesellschaftliche Kontexte deutlich. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-140) Nach der Primärsozialisation des Menschen in die Familie erfolgen weitere Sekundärsozialisationen in andere gesellschaftliche Zusammenhänge. Die Sozialisation in Subwelten, zu denen auch die Sozialisation in einen Beruf zählt, eröffnet partielle Wirklichkeiten, die in Verbindung, d.h. Übereinstimmung oder auch Kontrast, zur Grundwelt der Primärsozialisation stehen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 148149) Für die Untersuchung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses als Grundlage der gemeinsamen Konstruktionsleistung ‚Unterricht‘ und als Grundlage der Einführung in Subwelten sind Kontexte der Dualen Berufsausbildung besonders geeignet. Zum einen sind berufliche Subwelten des Dualen Systems relativ klar abgegrenzte Subwelten, die den Grundwelten der primären Sozialisation der Schüler gegenübertreten. Zum anderen zeichnet sich auf der Seite der Schüler mit der beginnenden Lösung vom Elternhaus eine Reife der Primärsozialisation ab. Beides zusammen führt dazu, dass die Schüler einen größeren Anteil an der Konstruktionsleistung ‚Unterricht‘ übernehmen können und ihre Einschätzung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses nicht nur an den Kontexten ihrer Primärsozialisation vergleichen müssen, sondern ebenso in der Lage sind, die Kontexte der in der Ausbildung erlebten beruflichen Wirklichkeit einbeziehen zu können. Dadurch haben die Schüler die Möglichkeit, die Konstruktionsleistung des Lehrers im Unterricht aus ihrer subjektiven Perspektive in ihrem Ausgangs- und ihrem Zielpunkt verankern zu können. Ausgangspunkt ist dabei die Primärsozialisation des Schülers. Der Zielpunkt ergibt sich aus der subjektiven Erwartung des Schülers, wie sie sich ihm zum Zeitpunkt des Unterrichts präsentiert. Innerhalb des Dualen Systems gibt es eine deutliche geschlechtertypische Allokation zu den Ausbildungsberufen. Über alle Ausbildungsberufe gesehen liegt der Anteil von weiblichen Auszubildenden im Jahr 2004 bei 40,1% und ist im Vergleich zu den Vorjahren nahezu konstant. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 129, 132) Die weiblichen Auszubildenden konzentrieren sich dabei mit 54,1% auf zehn Ausbildungsberufe, die vorwiegend in Industrie und Handel liegen. Im Vergleich zu männlichen Auszubildenden haben auch freie Berufe eine große Bedeutung. Für männliche Auszubildende hingegen ist eine breitere Streuung zu konstatieren. Bei ihnen konzentrieren sich lediglich 35,6% der Auszubildenden in den zehn häufigsten Ausbildungsberufen, die neben Industrie und Handel ihren - 176 Schwerpunkt im Handwerk finden. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 133) Neben der geschlechtertypischen Allokation ist eine Allokation nach Schulabschlüssen zu konstatieren. Auszubildende mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss konzentrieren sich in den Ausbildungsberufen des Handwerks. Hier haben sie im Jahr 2004 zusammen genommen einen Anteil von 52,3%106. Ähnliche Bedeutung erlangen für sie Ausbildungen in der Landwirtschaft (2004 mit 45,1%) und in der Hauswirtschaft (2004 mit 62,2%). Beide weisen jedoch deutlich kleinere absolute Fallzahlen auf. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 103-105) Aufgrund der sozialen Gegebenheiten im Dualen System ist eine geschlechtsneutrale Auswahl der Schülerprobanden für die Untersuchung unrealistisch. Auch eine Streuung zwischen den Schulabschlüssen ist nicht darstellbar. Beides würde nicht den gesellschaftlichen Tatsachen entsprechen. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Studie auf Auszubildende in gewerblich-technischen Berufsausbildungen des Handwerks. Hier sind vorwiegend männliche Auszubildende mit niedrigen Schulabschlüssen anzutreffen. Männliche Auszubildende überwiegen im Dualen System 2004 mit 59,9%.107 Zudem überwiegen auch bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss und bei den Jugendlichen ohne Schulabschluss die männlichen Jugendlichen.108 (vgl. Preuss-Lausitz, U. (2005) S. 225) In diesem Sinne wird mit der Auswahl gewerblich-technischer Berufsausbildung im Handwerk für das Untersuchungsdesign den gesellschaftlichen Tatsachen der geschlechtertypischen Allokation und der Allokation nach Schulabschlüssen Rechnung getragen. Mit der Konzentration auf Auszubildende in Berufen des Handwerks gelingt eine Konzentration auf Auszubildende ohne Schulabschluss und Auszubildende mit Hauptschulabschluss. Die Problematik der Ausbildungsreife, Berufseignung und Vermittelbarkeit ist besonders für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen sensibel. Einflussfaktoren auf die Problematik sind die Knappheit der Ausbildungsplätze und die damit verbundenen Möglichkeiten einer strengeren Auswahl der Bewerber, der Trend zur Höherqualifizierung bei der Neustrukturierung der Ausbildungs106 Die Prozentzahlen stellen den Anteil der Auszubildenden im Ausbildungsbereich dar. 107 Vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 132, Übersicht 45, dort 40,1% weibliche Auszubildende. 108 Den Hauptschulabschluss erreichen 29,7% männliche Jugendliche und 22,4% weibliche Jugendliche. Ohne Schulabschluss verlassen 11,3% männliche und 6,5% weibliche Schüler die Schulen. (vgl. Preuss-Lausitz, U. (2005) S. 225) - 177 berufe im Sinne einer Erhöhung der Anforderungen in der Ausbildung besonders im Theoriebereich sowie das problematische Leistungsniveau der Schüler (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 165). Insbesondere die schulischen Voraussetzungen sind in ihrem Stellenwert für die Eignung der Auszubildenden umstritten. Die Arbeitgeberseite sieht hier die Hauptursache für unbesetzte Ausbildungsplätze (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 25), während die Arbeitnehmerseite zwar eine Verschlechterung der Rechen-, Lese- und Rechtschreibleistung konstatiert, jedoch auf verbesserte Team-, Kommunikations-, Englisch- und IT-Kenntnisse der Bewerber verweist (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 32-33). Bezogen auf das Schüler-Lehrer-Verhältnis im Sinne einer Mittlerfunktion gesellschaftlicher Wissensbestände lassen sich daher im Handwerk mit seinem hohen Anteil an Schülern mit geringen Schulabschlüssen im Vergleich zu Schülern mit höheren Schulabschlüssen deutlich wahrnehmbarere pädagogische Konstruktionsleistungen der Lehrer und Anforderungen an die Lehrkräfte erwarten. Abb.: Neuverträge im Dualen System. Erstellt nach: Berufsbildungsbericht (2006) S. 17. Vergleich der Anzahl der Neuverträge im Dualen System 1999 und 2005 1999 2005 %-Veränderung Alte Bundesländer: Handwerk Industrie und Handel Insgesamt Neue Bundesländer und Berlin: Handwerk Industrie und Handel Insgesamt 162.037 250.545 482.213 48.513 83.006 148.802 127.679 244.095 434.162 29.346 72.070 116.018 -21,20 -2,57 -9,96 -39,51 -13,17 -22,03 Gesamtdeutschland: Handwerk Industrie und Handel Insgesamt 210.550 333.551 631.015 157.025 316.165 550.180 -25,42 -5,21 -12,81 - 178 Neben dem pädagogischen Blickwinkel führt auch ein gesellschaftlicher und arbeitsmarktbezogener Fokus zu dem Ergebnis, dass die Betrachtung der Ausbildung im Handwerk besonderes Augenmerk zukommen sollte. Dem Handwerk kommt große Bedeutung bei der Wanderung der Facharbeiter zwischen den Wirtschaftszweigen zu. Es fungiert als ‚Exporteur’ ausgebildeter Fachkräfte. Aus dem Handwerk gibt es zwei große Wanderungsströme der Gesellen: in die Großindustrie und in den Dienstleistungsbereich. (vgl. Grossmann, S.; Meyer, H. (2002) S. 27) Hier könnte sich eine Verknappung abzeichnen, da die Ausbildungszahlen im Handwerk überproportional rückläufig sind (vgl. Abb.: Vergleich der Anzahl der Neuverträge im Dualen System 1999 und 2005, S. 178)109. Auch im Jahr 2005 verzeichnet das Handwerk den stärksten Rückgang der Verträge (-6,7%) Über einen längeren Zeitraum betrachtet, ist ein Rückgang des Anteils der Ausbildung im Handwerk an der Gesamtzahl der Ausbildungsverträge zu beobachten. Betrug der Anteil 1999 noch rund 37% der Ausbildungsverträge in den alten Bundesländern (42% in neuen Bundesländern), so belief er sich 2005 noch auf 29,4% der Lehrverträge (25,3% in neuen Bundesländern). (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 53) Die generell rückläufige Ausbildungszahl in der Dualen Berufsausbildung geht einher mit steigenden Zahlen im Berufsvorbereitungsjahr und Berufsgrundbildungsjahr. Sie stiegen um 172.000 Schüler, von 1995 bis 2004 von 287.000 auf 459.000. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 30) Gleichzeitig besitzt die Duale Berufsausbildung Strahlkraft auch auf die Bewerber, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Jeder Siebte behält seinen Vermittlungswunsch für einen Beruf im Dualen System bei. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 80) Es wird deutlich, dass für Jugendliche die bestandene Duale Ausbildung im Handwerk eine arbeitsmarktöffnende Funktion einnimmt. Dieser Schlüsselfunktion, insbesondere für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen, wird das Handwerk zunehmend nicht mehr gerecht. Mit dem Rückgang dualer handwerklicher Ausbildungsangebote entsteht für Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen eine Markteintrittsbarriere in den Arbeitsmarkt. Hinzu kommt die Problematik vorzeitig gelöster Ausbildungsverhältnisse, die im Handwerk 2004 bei 26,2% liegt, für alle Branchen jedoch durchschnittlich auf 21,0% beziffert wird. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 120) Die Gründe der Vertragslösung werden dabei besonders häufig in Spannungen zwischen Ausbilder und Auszubildendem gesehen. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 121) 109 Vgl. hierzu auch Berufsbildungsbericht (2006) S. 47. - 179 Aus gesellschaftlicher Perspektive entsteht in der Dualen Ausbildung im Handwerk mangels Ausbildungsplätzen ein Problembereich für Jugendliche mit schwachen Schulabschlüssen. Bezogen auf das Schüler-Lehrer- Verhältnis in der Dualen Ausbildung könnten auch für Jugendliche, die erfolgreich einen Ausbildungsplatz im Handwerk gefunden haben, erweiterte Problemlagen entstehen110. Dadurch könnten Lehrer, die aus der Schülerperspektive ‚gute‘ Lehrer sind, eine zunehmend wichtigere Bedeutung erlangen. Um das Schüler-Lehrer-Verhältnis untersuchen zu können, werden Schülerprobanden im dritten Ausbildungsjahr befragt. Im dritten Ausbildungsjahr hatten die Schüler Gelegenheit, unterschiedliche Lehrer an der Schule kennen zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt steht der schulische, pädagogische Prozess kurz vor seinem Abschluss und auch die berufliche Sekundärsozialisation der Schüler ist weit fortgeschritten. All dies ermöglicht den Jugendlichen, eine abgewogene Entscheidung bei der Frage nach ‚guten’ Lehrern abgeben zu können. Gleichzeitig wird dadurch die Problematik des ‚Dr. Fox’-Effekts vermieden. Er beschreibt das Phänomen, dass sich Probanden durch charismatische Persönlichkeiten blenden lassen und dadurch zu Fehleinschätzungen gelangen. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 264) Entsprechende Effekte sind jedoch kurzfristige, so dass sie im dritten Ausbildungsjahr nicht mehr auftreten sollten. Darüber hinaus steht den Jugendlichen mit dem privaten und beruflichen Kontext ein erweiterter Beurteilungsraum zur Verfügung, der dazu beiträgt, Fehleinschätzungen zu korrigieren. 5.1.3.2 Lehrerprobanden, Ermittlung der Teilnehmer am Lehrerinterview Die Möglichkeiten zur Auswahl von Probanden sind vielfältig. Das Auswahlproblem ‚gute Lehrer’ des vorliegenden Forschungsdesigns ist eine Form der bewussten Auswahl (vgl. Friedrich, J. (1990) S. 130-132), die es ermöglicht, gezielt einzelne Fälle aus der Gesamtheit der möglichen Probanden auszuwählen. Für die bewusste Auswahl der Probanden werden in der Regel Außenkriterien verwandt. Als mögliche Außenkriterien für die Auswahl ‚guter’ Lehrer könnten der Ausbildungsstand, die Dauer der Berufstätigkeit, Kollegen- und Vorgesetztenbeurteilungen oder Leistungen im Arbeitsfeld111 herangezogen werden. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 45-49) Bei der 110 Problemlagen, z.B.: dohender Ausbildungsabbruch, Erfolgsdruck, Identifikations probleme mit dem Beruf. 111 Z.B.: im Sinne der Messung des Leistungszuwachses der Schüler. - 180 Benennung ‚guter Lehrer’ mittels Außenkriterien ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine soziale Wirklichkeit durch ihre Akteure geschaffen worden ist und von ihnen dauernd verändert und neu ausgehandelt wird. (vgl. Atteslander, P. (2003) S. 84) Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ist die Einschätzung ‚gut’ Bestandteil einer Wirklichkeitskonstruktion. Sie ergibt sich aus dem Interaktionszusammenhang zwischen den Beteiligten und den jeweiligen zugehörigen Kontexten, in denen die Beteiligten sich befinden (vgl. Rusch, G. (2004) S. 186-187). Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses ist die Einschätzung des ‚guten’ Lehrers notwendigerweise aus der Schülerperspektive zu erforschen und der Schülerproband hat den ‚guten’ Lehrer zu benennen. In der Interaktion zwischen dem benannten Lehrerprobanden und dem Schülerproband ist schülerseitig eine subjektive Konstruktion von Bedeutung geschehen, die diese Interaktion zu einer besonders ‚guten’ Interaktion macht bzw. einer Interaktion, der der Schüler eine hohe positive Bedeutung zumisst. Übereinstimmende Lehrernennungen innerhalb einer Klasse weisen auf interpersonelle Ko- Konstruktion von Wirklichkeit hin und sind Ausdruck der Konsensualisierung subjektiver Wirklichkeiten (vgl. Rusch, G. (2004) S. 186-187). Im vorliegenden Untersuchungsdesign werden die Schüler aufgefordert, einen ‚guten’ Lehrer, bei dem sie in der Berufsschule Unterricht hatten, namentlich zu benennen112 und auf dem Schülerfragebogen einzutragen. Die Beantwortung der nachfolgenden Fragen im Schülerfragebogen bezieht sich dann auf die Interaktion mit dem genannten Lehrer. Der von der Mehrheit der Schulklasse benannte Lehrer wird anschließend gebeten, an einem Leitfadeninterview teilzunehmen. Auch das Leitfadeninterview bezieht sich auf die Interaktionssituation mit der Schulklasse, so dass die Situation aus beiden Perspektiven, d.h. einer konsensualisierten Schülerperspektive und der Lehrerperspektive, betrachtet werden kann. 112 Für den Fall, dass Schüler keinen Lehrer als ‚gut’ einschätzen, werden sie bei der Vorstellung des Fragebogens gebeten, beim Lehrernamen im Fragebogen „keiner“ einzutragen. - 181 5.1.4 Inhaltliche Konzeption der Schüler- und der Lehrerbefragung Aus den theoretischen Überlegungen113 wird deutlich, dass vier Faktoren bei der inhaltlichen Gestaltung der Befragung der Schüler und der Lehrer zu berücksichtigen sind. Dies ist zum einen der wechselseitige Bezug zwischen den Schülern und dem Lehrer. Aus dem wechselseitigen Austausch zwischen den Beteiligten entwickelt sich das Verhältnis beider zueinander. Zum anderen ist die Befragung zeitlich über die konkrete Unterrichtssituation hinaus anzulegen, um die längerfristigen Entwicklungen im Schüler-Lehrer-Verhältnis berücksichtigen zu können. Zum Dritten ist die Unterrichtssituation als Grundlage der wechselseitigen Interaktion zu beachten. Zum Vierten darf dabei allerdings die Unterrichtssituation nicht der einzige Situationsbezug bleiben. Da die Unterrichtssituation auf künftige Situationen in beruflichen und außerberuflichen Kontexten vorbereiten soll, müssen diese in der Befragung berücksichtigt werden. Die tabellarische Übersicht ‚Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler- Lehrerbefragung’ visualisiert die inhaltliche Anlage der Untersuchung. Im Folgenden werden die einzelnen Aspekte erläutert. 113 Vgl. Kapitel 4.3 Schüler-Lehrer-Interaktion – sozialkonstruktivistische Grundlegung des Forschungsdesigns. - 182 Abb.: Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler-Lehrer-Befragung. Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler-Lehrer-Befragung Ebene Dialektik Unterrichtsbezug Schülerperspektive Lehrerperspektive Mikro Externalisierung Realisierung (erlebte soziale Wirklichkeit) * Sozialer Bezug der Situation * Thematischer Bezug der Situation Eigene Handlungen des Schülers und anderer Schüler, erlebte Handlungen des Lehrers Handlungen mit sozialer Absicht bzw. sozial empfundener Absicht Handlungen mit Bezug auf den Gegenstand des Unterrichts Eigene Handlungen des Lehrers, Handlungen einzelner Schüler, Handlungen der Klasse Handlungen mit sozialer Absicht bzw. sozial empfundener Absicht Handlungen mit Bezug auf den Gegenstand des Unterrichts Meso Internalisierung Subjektive Reflexion bzw. Konkretisierung eines Zusammenhangs der konkreten Situation und der sozialen Wirklichkeit * Sozialer Bezug der Reflexion * Thematischer Bezug der Reflexion Erwarten / Erinnern Schülerselbst, Lehrer, Schülergruppe Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung, Exemplarität Planen / Nachbereiten Lehrerselbst, Schülergruppe, Einzelschüler Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung, Exemplarität Makro Objektivation Subjektives Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit * Verständnis der Situation als Handelnder * Verständnis des Situationsthemas ‚Fach’ Schülerschulwirklichkeit / persönliche berufliche Wirklichkeit / außerberufliche Wirklichkeit Situation als Schüler / Auszubildender (Identifikation z.B. als: Aversion / Akzeptanz / Identität) Thematische Einordnung: Beruf / außerberuflich Lehrerschulwirklichkeit / persönliche Berufswirklichkeit / außerberufliche Wirklichkeit Situation als Lehrer (Pädagogische Idee: z.B. Bildhauer / Gärtner) Thematische Einordnung: Wissenschaft / Alltag - 183 5.1.4.1 Untersuchungsebenen Die Untersuchungsebenen Mikro bzw. Externalisierung, Meso bzw. Internalisierung und Makro bzw. Objektivierung korrespondieren mit dem Prozess der Schüler-Lehrer-Interaktion als sozialkonstruktivistisch dialektischem Prozess. Die Mikroebene der Externalisierung beschreibt die konkrete Unterrichtssituation, in der die Handlungen der Schüler und die des Lehrers aufeinandertreffen. Die Internalisierung auf der Mesoebene stellt die Auseinandersetzung des Subjektes mit den Externalisierungen der Situation dar, die zu subjektiv sinnhaften Konstruktionen der Wirklichkeit beim Subjekt führen. Für den Schüler bedeutet dies, dass er sich mit seinen eigenen Handlungen und den Handlungen der Anderen auseinandersetzt und für sich sinnhafte Zusammenhänge konstruiert. In der Ebene der Objektivierung schließlich erfolgt eine intersubjektive Situationsbestimmung zwischen dem Subjekt und den anderen Subjekten der Situation, so dass aus dem Verständnis der Anderen heraus eine gemeinsame Situationsbestimmung gelingt. Dies bedeutet für den Schüler, dass er aus seiner subjektiv sinnhaften Perspektive heraus zu einer gemeinsam geteilten Situationsbestimmung mit anderen gelangt. Die gemeinsam geteilte Situationsbestimmung wird aufgrund ihrer wechselseitigen Bestätigung durch alle Subjekte zu einer gemeinsamen objektiven Wirklichkeit. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-140, Wyrwa, H. (1998) S. 25) 5.1.4.2 Verbindung von Untersuchungsebenen und Unterricht Für die konzeptionellen Überlegungen zur Untersuchung der Schüler- Lehrer-Interaktion muss der Prozess der Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung auf den Unterricht bezogen werden. In schulischen Lernsituationen hat der sozialkonstruktivistische Prozess der Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung einen Anspruch, über die konkrete Situation hinaus zu wirken und auf andere gesellschaftliche Situationsbestimmungen vorzubereiten. Im vorangegangenen Kapitel wurde dieser Aspekt als ‚horizontale Sozialisationskomponente‘ in die Darstellung eingeführt. Im Kontext dualer Berufsausbildung hat die Schule zum einen den Auftrag, auf berufliche Wirklichkeiten in einem Ausbildungsberuf vorzubereiten. Zum anderen hat die Schule gleichzeitig den Auftrag, die Schüler in die Teilhabe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit einzuführen. Beide Erweiterungen der Situationsbestimmung werden in der Befragung unter dem Aspekt ‚thematischer Bezug’ berücksichtigt (vgl. Übersicht: Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler-Lehrer-Befragung). Neben dem thematischen Bezug ergibt sich ein sozialer Bezug, der die Handlungen in der Situation aus der Perspektive des Umgangs zwischen den Beteiligten betrachtet, dort reflektiert und in gesellschaftliche Hand - 184 lungsmaximen bzw. -erwartungen überführt. In der klassischen Schulliteratur wird dieser Aspekt in der Regel als Erziehungsauftrag der Schule diskutiert. Für die Ausbildung im Dualen System ist jedoch der Begriff des Erziehungsauftrages problematisch, da die Schüler in der Regel schon während des zweiten Ausbildungsjahres ihre Volljährigkeit erreichen. Formal wird mit der Volljährigkeit der volle Teilhabeanspruch des Subjekts an der Gesellschaft erreicht und der schulische Erziehungsauftrag entfällt. Real bleiben jedoch gesellschaftliche Sozialisationskräfte lebenslang für das Subjekt erhalten, da es immer wieder in Sekundärsozialisationsprozesse eintritt, in denen es bestehende Objektivierungen vorfindet, internalisiert und in eigene Externalisierungen und Handlungen überführt. In diesem Sinne ist auch für die schulische Unterrichtssituation im Dualen System von bestehenden Objektivierungen auszugehen, die in der konkreten Situation Sozialisationskraft entfalten. Dieser Zusammenhang wird im Konzeptionsrahmen dieser Untersuchung (vgl. Übersicht: Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler-Lehrer-Befragung) unter dem Aspekt ‚sozialer Bezug’ subsumiert. 5.1.4.3 Kontextualisierte Abstimmung der Schüler- und Lehrerbefragung aufeinander Bei der Konzeption der Befragungen von Schülern und Lehrern sind die einzelnen Untersuchungsaspekte aufeinander abzustimmen, um die Antworten der Subjekte aus ihrer jeweiligen Perspektive auf bestimmte gleiche oder ähnliche Aspekte der Situation beziehen zu können. Dies gelingt insbesondere für die Mikro-Ebene der Untersuchung, da hier Externalisierungen von Schülern und Lehrern in einer Situation zusammentreffen. So arbeiten Schüler und Lehrer in einem fachlichen schulischen Lernfeld gemeinsam an der Unterrichtssituation. Auf den weiteren Verarbeitungsebenen gehen die Perspektiven der Schüler und die des Lehrers immer weiter auseinander. Auf der Meso-Ebene werden Aspekte der Internalisierung von Wissensbeständen in bestehende Sinnstrukturen untersucht. Entsprechend der divergenten subjektiven Sinnstrukturen aus Schülerperspektive und aus Lehrerperspektive resultieren unterschiedliche Sinnkontexte, die bei der Befragung zu berücksichtigen sind. Für die Schüler gestaltet sich die Aufgabe der Internalisierung vordringlich als sinnerschließende Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten der Themen, um sie für ihre subjektiven beruflichen Kontexte zu erschließen. Demgegenüber internalisiert der Lehrer vordringlich die Schülerreaktionen auf das Thema, um nachfolgende Lernsituationen gestalten zu können. Gleiches gilt für die Makro-Ebene. Die Objektivierungen der Schüler werden in ihren gesellschaftlichen Kontext und ihre Aspekte gesellschaft - 185 licher Wirklichkeit eingebunden, die des Lehrers in die seinen. Die Sinnzuweisungen des Subjektes werden auf der Makro-Ebene in den jeweils zugehörigen gesellschaftlichen Kontext des Subjekts gestellt. Es erfolgt eine intersubjektive Situationsbestimmung zwischen dem Subjekt und anderen Subjekten, die in diesem Kontext Relevanz besitzen. Daraus ergibt sich eine gemeinsame Wirklichkeitsperspektive. Für die Schüler erfolgt die Objektivierung beruflicher Wissensbestände im Kontext ihres Ausbildungsberufes. Demgegenüber erfolgt für den Lehrer die Objektivierung seiner Wissensbestände im schulischen Kontext seiner Aufgabe als Lehrer. So ist zwar der Gegenstand der Unterrichtssituation in der Externalisierung für Schüler und Lehrer gleich, doch entwickelt er sich in der Internalisierung und Objektivierung jeweils anders und auf die Wirklichkeiten der Schüler und des Lehrers bezogen. Dementsprechend muss auch in der Befragung dem jeweiligen Kontext Rechnung getragen werden. 5.1.4.4 Selbst- und Fremdeinschätzung als wirklichkeitskonstituierende Befragungsaspekte Als weiteres konstitutives Moment bei der Gestaltung der Befragung ergibt sich die Notwendigkeit, neben den Fremdbeschreibungen auch Selbstbeschreibungen konzeptionell vorzusehen. Die Fremdaussagen, d.h. die Einschätzung der Schüler bezüglich des Lehrers und die Einschätzung des Lehrers bezüglich der Klasse, sind ein notwendiges Element, um eine Einschätzung aus der Perspektive des Subjektes erlangen zu können. Gleiches gilt für die Selbstaussagen. Externalisierungen, Internalisierungen und Objektivierungen erfolgen auf der Basis der subjektiven Wirklichkeit des Einzelnen. Diese ist die Grundlage der Befragten für ihre subjektive Einschätzung der Situation, der Interaktion und der anderen Personen. Zur Entwicklung der konkreten Fragestellungen in der Schülerbefragung bezüglich der subjektiven Wirklichkeit der Selbsteinschätzung der Schüler wurden die im Kapitel ‚Schülerperspektive’114 dargestellten Forschungsbefunde zugrunde gelegt. Für die Entwicklung der Fragestellungen zur subjektiven Selbsteinschätzung der Lehrer wurde für die Lehrerbefragung auf die im Kapitel ‚Lehrer an berufsbildenden Schulen’115 dargestellten Erkenntnisse zurückgegriffen. Zur Entwicklung der Fragestellungen für die Fremdeinschätzung, d.h. die Einschätzung des Anderen, der Interaktion und der Situation, wurden die didaktischen Felder des Perspktivschemas zur Unterrichtsplanung von 114 Vgl. Kapitel 2.1 Schülerperspektive zu Lehrern und Unterricht. 115 Vgl. Kapitel 2.2 Lehrer an beruflichen Schulen – Lehrerausbildung und -selbstver- ständnis. - 186 Klafki als Anregung verwendet (vgl. Peterßen, W. (1994) S. 64-65), umeinen Überblick der konstitutiven Elemente einer Unterrichtssituation ermitteln zu können. An Klafkis Modell ist für den hier gewählten sozialkonstruktivistischen Zugang zur Schüler-Lehrer-Interaktion besonders das didaktische Feld des Begründungszusammenhangs von Interesse. (vgl. Klafki, W. (1996) S. 271-278) In diesem didaktischen Feld wird die Legitimation der Zielsetzungen des Lehrers bezogen auf die Schülergruppe ins Auge gefasst. Nach Klafki ergibt sich die Legitimation aus der Beantwortung der Fragen nach der Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung und Exemplarität der Zielsetzungen des Lehrers für die Schülergruppe. Aus der Lehrerperspektive erfolgt mit der didaktischen Begründung eine subjektive schülerorientierte Rechtfertigung seiner Zielsetzungen. (vgl. Peterßen, W. (1994) S. 65-66, Klafki, W. (1996) S. 271-278) Im Sinne der sozialkonstruktivistischen Schülerperspektive erfolgt während der Internalisierung, d.h. der subjektiven sinnerschließenden Auseinandersetzung der Schüler mit der Unterrichtssituation, ebenfalls eine subjektive Wirklichkeitserschließung. Dadurch führt das didaktische Feld der Begründung für die Schüler wie auch für den Lehrer über die konkrete Unterrichtssituation hinaus. Die Handlungssituation Unterricht wird jeweils in die subjektiven Wirklichkeiten der Beteiligten eingebunden. - 187 5.1.5 Anlage der Erhebung 5.1.5.1 Methodische Konzeption der Schüler- und der Lehrerbefragung Die Untersuchung ist als zweistufige Erhebung angelegt. In der ersten Stufe werden Schüler einer Schulklasse aufgefordert, namentlich einen ihnen bekannten Lehrer zu benennen, der aus ihrer persönlichen Perspektive heraus ein ‚guter’ Lehrer gewesen ist. Weiter werden die Schüler gebeten, zu diesem Lehrer einen Fragebogen auszufüllen. In einer Erstauswertung soll die in der Klasse am häufigsten genannte Lehrkraft festgestellt werden. In der zweiten Stufe wird diese Lehrkraft dann zu einem Interview gebeten und mit einem leitfadenorientierten Interview befragt sowie aufgefordert, aus den Schülerfragebögen aggregierte Schüleraussagen zu seiner Person zu kommentieren. Die zweistufige Vorgehensweise ist notwendig, um Realerfahrungen einfangen zu können. Die zu interviewenden Lehrer werden durch die Schüler selbst ausgewählt und auch die Aussagen in den Schülerfragebögen beziehen sich auf den im Schülerfragebogen benannten Lehrer. In den Lehrerinterviews wird wiederum ein Bezug zur Klassensituation hergestellt. Auf diesem Wege gelingt es, eine Mehrperspektivität herzustellen, die im Hinblick auf die gemeinsamen Unterrichtssituationen wechselseitig aufeinander bezogen ist. In der ersten Stufe wird ein quantitatives Erhebungsinstrument verwendet, in der zweiten Stufe ein qualitatives. Sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsstrategien116 und deren Kombination sind in der konstruktivistischen Forschung möglich. (vgl. Hug, Th. (2004) S. 130) In der Gesamtkonzeption ist die vorliegende Untersuchung qualitativ angelegt. Qualitative Forschung ermöglicht die Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 19), wie sie in dieser Untersuchung beabsichtigt wird. Ziel des Forschungsdesigns ist die Rekonstruktion von Sinn- und Wirklichkeitskonstruktionen der Schüler und Lehrer. Subjektive Sinn- und Wirklichkeitskonzepte sind nicht objektiv gegeben, sondern werden durch Interaktionen der daran beteiligten Menschen gebildet. Die Sinnaussagen der Befragten sind in einen Kontext eingebunden, der für das Verstehen der Information wichtig ist. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 20-21) In diesem Sinne erstreckt sich die Schüler- und die Lehrerbefragung auf die gemeinsame Unterrichtssituation sowie schul-und berufsbezogene Kontextbereiche. 116 Zur Diskussion der Vereinbarkeit qualitativer und quantitativer Verfahren: Loosen, W. (2004), Eberwein, H.; Mand, J. (1995) hier S. 14-16. - 188 Für die Schülerbefragung wird eine Fragebogenform gewählt, um einen Sinnkontext der Lehrernennung eröffnen zu können. Über die standardisierte Befragungsform ist es möglich, eine relativ große Zahl von Schülern bzw. Klassen in die Untersuchung einzubeziehen und vergleichbare Aussagen zu erzielen. Dadurch kann die Untersuchung eine Breite gewinnen, die sie bei Verwendung der qualitativen Interviewmethode zur Untersuchung der Schülerperspektive nicht erreichen könnte. Notwendigerweise verliert die Untersuchung – bedingt durch diese methodische Entscheidung – an Tiefe gegenüber rein qualitativen Forschungsmethoden. Diese Problematik ist bei der Konstruktion des Fragebogens zum einen durch die Verwendung bestehender Forschungsergebnisse zur Schülerperspektive117 begrenzt worden. Zum anderen sind drei offene Fragen118 in den Fragebogen eingefügt worden, die es den Schülern erlauben, für sie besonders wichtige Momente äußern zu können. Die Lehrerbefragung wird als leitfadengestützes Interview durchgeführt. Durch die Konzentration auf den am häufigsten in der Klasse benannten Lehrer wird es möglich, qualitative Forschungsmethoden einzusetzen, um die Aspekte des Einzelfalls erschließen zu können. Dem Leitfadeninterview wurde gegenüber offeneren Interviewformen der Vorzug gegeben, um mit Hilfe der Leitfragen Impulse geben zu können, die den Befragten zu Erzählungen führen sollen. Gleichzeitig dienen die Leitfragen dazu, sicherzustellen, dass das Interview auch einen Kontext um die konkrete Situation zwischen dem befragten Lehrer und der ihn auswählenden Klasse aufspannt. 5.1.5.2 Schülerbefragung als unechtes Semantisches Differential Das Semantische Differential wurde von Osgood / Suci / Tannenbaum 1957 beschrieben. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 116; Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 280-281; Bortz, J. (1984) S. 128) Von Hofstätter wurde es unter der Bezeichnung ‚Polariätenprofil’119 in den deutschen Sprachraum eingeführt. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 116) 117 Vgl. Kapitel 2.1 Schülerperspektive zu Lehrern und Unterricht. 118 In Anlehnung an Eder, F. (1987) S. 103 bzw. Hoferichter, H. (1980) S. 418 wird in den offenen Fragen nach Tipps der Schüler gefragt, die sie dem Lehrer und nach folgenden Schülern bei diesem Lehrer geben würden. 119 Der Unterschied zwischen dem Semantischen Differential und dem Polaritätenprofil von Hofstätter besteht darin, dass das Polaritätenprofil immer mit 24 Itempaaren arbeitet, die stets identisch sind. Die Itempaare sind unabhängig vom zu beurteilen den Objekt. Hier entsteht die Problematik, dass der Proband keinen Bezug der Item paare zum untersuchten Objekt herstellen kann. (vgl. Pepels, W. (1995) S. 298) - 189 Das Semantische Differential120 kann als Vervielfachung einer Ratingskala verstanden werden. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 281) Es besteht aus einer Serie von Gegensatzpaaren, die zumeist eine siebenstufige Skala bilden. Die Gegensatzpaare beschreiben Eigenschaftsaussagen zu einem untersuchten Objekt. Auf der Skala haben die Befragten ihre Meinungsaussage zu der Eigenschaft des Objektes zwischen den Polen anzukreuzen. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 116-118, Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 282) Die beiden Enden der Skala werden als extreme Ausprägungen des Items interpretiert, der mittlere Wert als neutraler Bereich. (vgl. Pepels, W. (1995) S. 296-297) Osgood und Hoffstätter verwenden universelle Semantische Differentiale, die die assoziative Bedeutung des Untersuchungsobjektes zu den bipolaren Begriffen der Ratingskalen untersuchen. Neben dieser konnotativen Bedeutungsmessung besteht auch die Möglichkeit, konzeptspezifische Ratingskalen zu entwickeln. Konzeptspezifische Skalen sind auf das Untersuchungsobjekt zugeschnitten und erfassen die Kontexte des Untersuchungsobjektes. Sie messen die denotative Beziehung, im Sinne einer Zugehörigkeit der sachlich-inhaltlichen Bedeutung, zwischen dem Untersuchungsobjekt und den Begriffen der Ratingskala. (vgl. Bortz, J. (1984) S. 128-129) Die vorliegende Untersuchung lehnt sich im Aufbau und in der Methodik an das Semantische Differential an. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden in den Abbildungen ‚Beispiel eines Semantischen Differentials’ (S. 191) und ‚Beispiel zur Konzeption der Schülerbefragung dieser Untersuchung’ (S. 192) exemplarisch illustriert. Der für die Untersuchung entwickelte konzeptspezifische Itemkatalog, der sich inhaltlich an den weiter oben beschriebenen Kriterien orientiert121, muss aber als ein ‚unechtes’ Semantisches Differential bezeichnet werden. Als ‚unecht’ muss das verwendete Semantische Differential aus verschiedenen Gründen bezeichnet werden. Zum einen zielt der verwendete Itemkatalog auf die denotative Beziehung zwischen Untersuchungsobjekt und Proband, klassische Semantische Differentiale untersuchen demgegenüber primär die konnotative Beziehung. Zum anderen schätzen die verwendeten Items nicht das Meinungsobjekt als Ganzes, sondern jeweils Teilaspekte des Objektes ein. Im Weitere Beschreibungen zu den Unterschieden: Berekoven, L. u.a. (1986) S. 69-82; Magen, K. (1964) S. 56-58; Mayntz, R. u.a. (1974) S. 47-67. 120 Zu Aufbau, Durchführung und Auswertung inkl. einem Beispiel siehe Micko, H. (1962). 121 Zu den Kriterien vergleiche Kapite: 5.1.4 Inhaltliche Konzeption der Schüler- und Lehrerbefragung. - 190 Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung verwenden Semantische Differentiale an den Polen der Skala lediglich Adjektive, die die extremen Ausprägungen der Gegensätze markieren (vgl. Abb.: Beispiel eines Semantischen Differentials). Dadurch werden die gegensätzlichen Adjektive vom Probanden auf das ganze zu untersuchende Objekt bezogen. In der vorliegenden Untersuchung (vgl. Abb.: Beispiel zur Konzeption der Schülerbefragung dieser Untersuchung, S. 192) werden demgegenüber zum Teil keine Adjektive verwendet, zum Teil bedeutungsergänzende Zusätze verwendet. Darüber hinaus ist der Ratingskala eine Frage vorangestellt, so dass sich die Meinungsaussage des Probanden jeweils nur auf Teilaspekte des Untersuchungsobjektes bezieht. Abb.: Beispiel eines Semantischen Differentials.122 interessant O O O O O O O langweilig nutzlos O O O O O O O nützlich billig O O O O O O O teuer chemisch O OOOOOOpflanzlich Ein weiterer Unterschied ergibt sich, da das Semantische Differential das Meinungsobjekt, zu dem der Proband Meinungsaussagen machen soll, vorgibt. Im Unterschied hierzu wählen die Schüler in dieser Untersuchung den ‚guten’ Lehrer, zu dem sie dann im ‚unechten’ Semantischen Differential Meinungsaussagen machen, selbst aus. Die Auswahl des Meinungsobjektes ist die Primäraussage des Schülers. Das Ziel des Differentials ist daher die Erschließung von Begründungszusammenhängen, die zur Primäraussage geführt haben. An dieser Stelle wird noch einmal die denotative Intention des Differentials der Untersuchung deutlich. Um die Begründungszusammenhänge der Primäraussage erschließen zu können, ist eine Untersuchung des Kontextes, in dem diese Aussage gemacht wurde, notwendig. Aus diesem Grund geht das Differential der Untersuchung über Aussagen zum ‚guten’ Lehrer als Meinungsobjekt hinaus und enthält schülerbezogene Kontextfragen, die sich auf mögliche relevante Bezugsrahmen, die zur Auswahl des Meinungsobjektes führen, beziehen.123 122 Das Beispiel zum Semantischen Differential ist in der Anzahl der Items gekürzt dar gestellt. Es handelt sich um eine Untersuchung über Haarpflegemittel. Das Beispiel ist Hüttner, M. (1999) S. 116 entnommen. 123 Exemplarisch hierzu Frage Nr. 3 in Abb.: Beispiel zur Konzeption der Schüler befragung dieser Untersuchung, S. 192. - 191 Abb.: Beispiel zur Konzeption der Schülerbefragung dieser Untersuchung. Nr. Frage Bitte im freien Feld ankreuzen, was eher zutrifft. Je stärker der Begriff zutrifft, desto näher am Begriff ankreuzen. 1 Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff O O O O O O O zu wenig Stoff 2 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist: leicht verständlich OOOO OO O schwer verständlich 3 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) kann/muss ich: viel selbst machen OOOO OO O wenig selbst machen 4 Die Noten im Unterricht bei dem /der Lehrer(in) sind: gerecht O O O O O O O ungerecht Wie im Kapitel 5.1.4 ‚Inhaltliche Konzeption der Schüler- und Lehrerbefragung’ ausgeführt, dehnen sich die Fragen zum Umfeld über den unterrichtsbezogenen Zusammenhang in berufliche und außerberufliche Kontextbereiche aus. Die Struktur des ‚unechten’ Semantischen Differentials folgt in ihrem Aufbau dem inhaltlichen Konzeptionsrahmen der Untersuchung. 124 Im ersten Teil des Differentials, Fragen 1-19, werden Aussagen zur konkreten Unterrichtssituation bei dem vom Schüler ausgewählten Lehrer erhoben. Über die Mikro-Ebene hinausgehend wird in der Meso- Ebene mit den Fragen 20-39 eine erweiterte Perspektive untersucht, die die Unterrichtssituation in einen größeren schülerbezogenen Sinnkontext rückt. Abschließend wird mit den Fragen 40-61 eine Makro-Ebene untersucht, die allgemeiner den schulischen und beruflichen Kontext der Schülerprobanden erfasst. Mit dem Design des Differentials in drei Ebenen wird im konstruktivistischen Sinne der Versuch unternommen, aus der Schülerperspektive heraus eine Mehrperspektivität zu erzeugen, die verschiedene Beziehungen des Schülers zu seiner Auswahlhandlung des ‚guten’ Lehrers 124 Vgl. Abb.: Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler-Lehrer-Befragung in Kapitel 5.1.4 Inhaltliche Konzeption der Schüler- und Lehrerbefragung. - 192 erkennbar macht und dadurch verschiedene Formen der Selbstbezüglichkeit bzw. mögliche unterschiedliche Einflüsse auf die Auswahlentscheidung offenlegen kann (vgl. Pfeffer, T. (2004) S. 77-78). Im Sinne der Probanden stehen die konkreten Fragen zur Unterrichtssituation am Beginn des Fragebogens. Sie sind für die Probanden am leichtesten zu erinnern. Gleichzeitig wird angestrebt, dass die Erinnerungen zum konkreten Unterricht eine Fokussierung auf den selbst ausgewählten Lehrer bewirken und dadurch einen Bezugsrahmen aufspannen. Aus der Fokussierung heraus sollen sich auch die Antworten zu den Fragen der Meso- und Makro-Ebene weiter auf die Auswahlhandlung beziehen. Die Fragen selbst sind möglichst knapp und präzise gehalten.125 Durch den Wertungsraum des Differentials erübrigen sich verbale Zwischenabstufungen im Antwortbereich, so dass der Fragebogen zügig beantwortet werden kann. Im Pretest und auch in der Untersuchung konnte der Fragebogen von den Probanden in 30 bis 35 Minuten bearbeitet werden. Für die Gestaltung des Differentials kommt der Auswahl der Polaritäten und der Formulierung der Items große Bedeutung zu. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 118) Bortz weist auf die Problematik hin, dass unterschiedliche Beurteiler die Bedeutung der Skalen unterschiedlich auffassen könnten. (vgl. Bortz, J. (1984) S. 130-131) Zwar soll durch die doppelte Verankerung der Skala auf beiden Seiten des Wertungsraums der Wertungsraum inhaltlich besser bestimmt werden (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 117-118), doch Trommsdorff (1975) bemerkt hierzu kritisch, dass auch die Fehlergrenze vergrößert werden kann, indem jeweils ein Pol von Probanden nicht als Gegenpol akzeptiert wird. Sie lassen sich dann jeweils nur vom akzeptierten Pol in ihrer Wertung leiten. (vgl. Trommsdorff, V. (1975) S. 89) Hofstätter (1973) hingegen kann exemplarisch nachweisen, dass es beiProbanden breite sinninhaltliche Übereinstimmungen zu Begriffsinhalten gibt. (vgl. Hofstätter, P. (1973) S. 258-261) Bortz (1984) weist darauf hin, dass die Unterschiede bedeutungslos werden, wenn Durchschnittsprofile interpretiert werden. (vgl. Bortz, J. (1984) S. 130-131) Bortz und Hofstätter kann aus konstruktivistischer Perspektive gefolgt werden, da der Konstruktivismus keine eindeutige objektive Wirklichkeit, sondern lediglich subjektive Wirklichkeitskonstruktionen kennt, die sich notwendigerweise voneinander unterscheiden müssen. Hofstätters Befund weist dann auf gemeinsame Objektivierungen im Sinne Berger / Luckmanns (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-140) hin, so dass über die Auswertung von 125 Zur Konzeption von Fragestellungen und Fragebögen vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 205-207, Atteslander, P. (2003) S. 173-174. - 193 Mittelwerten subjektive Besonderheiten der Wirklichkeitskonstruktion aus- geglichen werden. Für die Anordnung der Items sieht Bortz (1984) mit Bezug auf eine Studie von Kanb (1971)126 keine Reihenfolgeeffekte. Auch die Polung der Ratingskalen, d.h. die Anordnung von ‚leicht – schwer’ oder umgekehrt, hat keinen Einfluss auf das Untersuchungsergebnis. (vgl. Bortz, J. (1984) S. 129-130) Allerdings könnte eine Verzerrung, im Sinne eines Antwortdralls in eine Skalenrichtung, durch die Wiederholung gleichartiger Polungen entstehen, die zu einer Tendenz beim Ankreuzen durch den Probanden führen könnte. Hüttner (1999) erwägt hier eine Drehung der Pole, um einer möglichen Bevorzugung positiver Pole entgegenzuwirken und dadurch einer Antwortverzerrung vorzubeugen. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 118) Probleme von Ratingskalen und damit auch Probleme des Semantischen Differentials ergeben sich aus dem Nachsicht-, dem Zentralitäts- und dem Haloeffekt. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 274-275) Der Nachsichteffekt beschreibt, dass unbekannte Untersuchungsobjekte in der Regel schlechter eingeschätzt werden als bekannte Untersuchungsobjekte. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 274) Für die vorliegende Untersuchung ist der Effekt durch die Konzeption der Untersuchung ausgeschlossen. Die Probanden werden dezidiert nach ihnen bekannten Lehrkräften gefragt und benennen selbst die Lehrkraft, für die sie im Folgenden den Fragebogen ausfüllen. Der Zentralitätseffekt beschreibt, dass extreme Einschätzungen von den Probanden vermieden werden. Der Effekt tritt insbesondere dann auf, wenn ihnen das Untersuchungsobjekt nicht bekannt ist. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 275) Auch hier ist für die vorliegende Untersuchung darauf hinzuweisen, dass die Lehrkräfte den Schülern bekannt sind. In der Auswertung der Untersuchung konnten vielfach extreme Einschätzungen beobachtet werden. Allerdings konnte in einem Item bei der Lehrkraft ‚Ackermann’ auch der Zentralitätseffekt aufgedeckt werden.127 Für die Profilbildung wird der Zentralitätseffekt dann zum Problem, wenn der neutrale mittlere Bereich zwischen den Polen angekreuzt wird. Allerdings weist eine entsprechende Positionierung im Durchschnittsprofil schon selbst auf ein mögliches Problem mit der Konzeption des Items hin. 126 Kanb, R. (1971). 127 Der Zentralitätseffekt wurde bei Item 4 „Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht – ungerecht“ bei der Lehrkraft ‚Ackermann’ festgestellt. Ackermann war erst seit Beginn des Schuljahres in der Klasse und hatte zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Klassenarbeit geschrieben. - 194 Solange trotz Zentralitätseffekt gleichgerichtete Antworten zu einer Profilaussage führen, mindert der Effekt lediglich die Intensität der Aussage, lässt aber doch Tendenzen erkennen. Der Haloeffekt weist auf den Effekt hin, dass eine Einstellungsaussage zum Untersuchungsobjekt aus der Einstellung zu einem übergeordneten Sachverhalt abgeleitet wird. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 275) Dieser Effekt ist nicht auszuschließen. Im Gegenteil, er muss aus konstruktivistischer Perspektive ein notwendiger Bestandteil der Konstruktionsleistung des Subjekts sein. Auch übergeordnete Sachverhalte sind Perturbationen und nehmen Einfluss auf die Wirklichkeitskonstruktionen des Subjekts. In diesem Sinne ist auch die Aufdeckung entsprechender übergeordneter Sachverhalte ein Erfolg der Untersuchung. Dies geschieht hier über die Einbindung der Aussage zu ‚guten’ Lehrern in einen Mikro-, Meso- und Makrokontext des Schülers. Es wird eine größere Plattform der Schüleraussage gesucht, um Kontextfaktoren aufdecken und übergeordnete Sachverhalte erkennen zu können. 5.1.5.3 Auswertung der Schülerbefragung Die quantitativen Auswertungsmöglichkeiten der Untersuchung richten sich nach dem Skalenniveau128, das der Erhebung zugrunde liegt. Als metrische Skalenniveaus werden Intervallskala und Ratio- bzw. Verhältnisskala, als nichtmetrische Skalen Nominal- und Ordinalskalen unterschieden. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 70-71) Merkmale, die metrisch messbar sind, werden auch als quantitativ, Merkmale, die sich nicht metrisch messen lassen, auch als qualitativ bezeichnet. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 73) Für die vorliegende Studie sind das Ordinal- und das Intervallskalenniveau zu diskutieren. Ordinale Skalen ordnen Ausprägungen eines Merkmals eine Zahl zu, die in ihrer Abfolge die Abstufung der Merkmalsausprägung widerspiegelt. Anhand der Zahlen kann eine Rangfolge der Merkmalsausprägungen gebildet werden. Mathematische Operationen wie Addition, Subtraktion oder Multiplikation bringen jedoch keine sinnvollen Ergebnisse, da die Abstände ordinalskalierter Zahlen nicht eindeutig bestimmt sind. (vgl. Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 9) Ordinalskalen ermöglichen die Interpretation von Ordnungsrelationen im Sinne von ‚Größer’- und ‚Kleiner’- Aussagen. Die Bildung exakter Differenzen zwischen zwei ordinalen Werten ist nicht möglich, da die Intervalle zwischen zwei ordinalen Messgrößen nicht gleich groß sind. Beispiele für Ordinalskalen sind 128 Zu Skalenniveaus vgl. Diekmann, A. (2001) S. 249-260, Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 8-14. - 195 Schwierigkeitsgrade und Rangplätze bei Wettbewerben. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 72-73) Intervallskalen129 zeichnen sich im Gegensatz zu Ordinalskalen dadurch aus, dass die Abstände zwischen zwei Messgrößen bestimmt werden können. Sie erlauben dadurch die Berechnung arithmetischer Mittelwerte und die Bildung sinnvoller Additionen und Differenzen. Beispiele für Ordinalskalen sind Temperaturskalen, Kalenderzeiten und Intelligenzquotienten. (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 252-253, Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S.70-73, Meffert, H. (1992) S. 184) Ratingskalen – zu ihnen zählt auch das Semantische Differential und das Polaritätenprofil – differenzieren qualitative Merkmale. Sie sind ordinal skaliert. In der Praxis wird jedoch üblicherweise die Annahme getroffen, dass die Abstände zwischen den Merkmalen gleich sind oder als gleiche Abstände interpretiert werden können. Diese Annahme überführt die ordinal skalierten Ratingskalen in intervallskalierte Skalen. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 274) Optisch gelingt die Überleitung beim Semantischen Differential, indem die semantischen Abstufungen der zweipoligen Eigenschaftsaussagen in eine numerische Skala mit in der Regel sieben Stufen überführt werden. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 281) Durch die Überführung in eine numerische Skala entsteht für die ordinal skalierte Aussage der Eindruck eines intervallskalierten Charakters der gefundenen Ergebnisse. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 282) Für den Zwischenraum, den die Items der Gegensatzpaare bilden, geht man von der Annahme aus, dass er als Gerade interpretierbar ist. Die beiden Enden der Skala werden als extreme Ausprägungen des Items betrachtet, der mittlere Wert als neutraler Bereich. Zudem wird das Itemkontinuum als intervallskaliert interpretiert. (vgl. Pepels, W. (1995) S. 296297) Bei der Auswertung wird zu jedem Item der arithmetische Mittelwert errechnet. Zeichnet man die Mittelwerte in die Skala ein und verbindet sie untereinander, entsteht ein Profil des Objektes. Das graphische Profil kann nun mit den Profilen anderer Objekte verglichen werden. (vgl. Pepels, W. (1995) S. 297-298) Auch Brosius (1998) weist für statistische Auswertungsprogramme auf die Problematik ordinaler und intervallskalierter Daten hin. Mit dem Hinweis 129 Im Zusammenhang mit der Intervallskalierung wird auch von kardinalen Ergebnissen (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 282) bzw. kardinaler Messung (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 258) gesprochen. Kardinales Skalenniveau ist ein Sammelbegriff für Intervall-, Verhältnis- und Absolutskalen und meint in Abgrenzung zu Nominal- und Ordinalskalen eine quantitativ metrische Fassbarkeit der Merkmalsausprägungen. (vgl. Rinne, H. (1984) S. 14-15) - 196 darauf, dass jeweils nur die extremen Enden der Skala verbal beschrieben seien und daher die Zwischenschritte als intervallskaliert angenommen werden könnten, hält er sowohl die Intervallskalierung als auch die Ordinalskalierung als Grundlage einer Auswertung für möglich. (vgl. Brosius, F. (1998) S. 506-507) Diekmann (2001) hingegen äußert sich eindeutiger. Er weist darauf hin, dass „mit der Likert-Skalierung und der klassischen Testtheorie bis hin zu LISREL-Modellen … einfach angenommen (wird), dass die erhobenen Messwerte die Eigenschaften von Intervallskalen aufweisen.“ (Diekmann, A. (2001) S. 256)130 Überprüft wurde diese Annahme jedoch nicht. Solange jedoch die Intervallskalierung nicht widerlegt sei, bestehe ein Spielraum, ob eine Skala noch als intervallskaliert gelten könne oder doch schon ordinalskaliert sei. (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 256) Für die vorliegende Untersuchung bleibt festzuhalten, dass die in der Schülerbefragung gewonnenen Daten ordinal skaliert sind. Ihre Interpretation als intervallskaliert bleibt zu diskutieren. Zwar ist es aus statistischer Perspektive wünschenswert, möglichst hohe Skalenniveaus anzustreben, um durch erweiterte zulässige Rechenoperationen bedeutsamere Aussagen generieren zu können, doch letztlich muss das Messniveau der Struktur der empirischen Daten entsprechen. (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 254-256) Strukturell sind die Schüleraussagen Nutzenaussagen, die das Merkmalsobjekt vor der Folie einer subjektiven Nutzenperspektive des Probanden einordnet. Die polaren Ausprägungen der Skala stellen ein Kontinuum dar, das in seinen Abständen nicht eindeutig bestimmt ist. Sowohl die Werte der Extremwerte sind subjektiv durch den Probanden festgelegt als auch die Abstände zwischen den einzelnen Bewertungsitems. Ebensowenig muss der Proband einen linearen Zusammenhang zwischen den Werten unterstellen. Er könnte auch exponentielle oder logarithmische Zusammenhänge seiner Bewertung zugrunde legen. Ausgehend von der Datenstruktur ist ein ordinales Skalenniveau zu bevorzugen. Auch für die mathematische Verarbeitung der Daten ist ein ordinales Skalenniveau möglich. Zulässige Auswertungsmöglichkeiten sind hier Median, Quartile und Rangkorrelationen. (vgl. Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 71) Für die intervallskalierte Interpretation eines Semantischen Differentials können der arithmetische Mittelwert und der Korrelationskoeffizient nach Pearson verwendet werden. Auf ordinalem Niveau können der Median und der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman eingesetzt werden. 130 Auslassung und Klammereinfügung im Zitat durch den Autor. - 197 Der Median, auch Zentralwert genannt, halbiert die Reihe der nach Größe geordneten Merkmalswerte. (vgl. Weis, H.; Steinmetz, P. (1995) S. 200201) Für bereits gruppiertes Material gibt es eine Näherungsformel, um den Median zu berechnen.131 Der Median für gruppierte Daten wird auch als Median für gehäufte Daten bezeichnet. (vgl. Bühl, A.; Zöfel, P. (2005) S. 123-125) Der gruppierte Median ist insbesondere dann dem Median vorzuziehen, wenn die Klassenbreite relativ groß ist. (vgl. Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 66) Bei großer Klassenbreite entsteht das Bedürfnis innerhalb der Klasse, die Position des Medians lokalisieren zu können, um Aussagen darüber machen zu können, wie nah oder fern der Median sich zu den umliegenden Klassen befindet. Dadurch werden Tendenzen innerhalb der Klassenbreite sichtbar. Für die vorliegende Untersuchung wird eine siebenstufige Skala verwendet. Dadurch ist die Klassenbreite von 1 bezogen auf die Anzahl der Klassen von 7 sehr breit. Es ergibt sich eine Kumulation von Werten in einer Klasse, so dass die Aussage eines Medians, der sich auf die Klasse beziehen würde, gering ist. Mit Hilfe des gruppierten Medians kann innerhalb der Klassenbreite die Lage des Medians lokalisiert werden. (vgl. Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 65) Die Berechnung des Medians für gruppierte Daten wird bei Bortz (2005) beschrieben. Bei gruppierten Daten kann der Median innerhalb einer Kategorie liegen, jedoch nicht in deren Mitte. Um die genaue Position innerhalb der Gruppe bestimmen zu können, wird die Postition des Medians innerhalb der Gruppe mittels linearer Interpolation ermittelt. Der Median wird dann als gruppierter Median dargestellt. (vgl. Bortz, J. (2005) S. 36-37)132 Diehl (1999) empfiehlt für die Darstellung des gruppierten Medians eine Angabe mit einer Nachkommastelle, um keine Scheingenauigkeit vorzutäuschen. (vgl. Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 66) Zusammenhänge ordinaler Merkmale können mit der Rangkorrelation nach Spearman beschrieben werden.133 (vgl. Bortz, J. (2005) S. 232-233) Die Korrelationskoeffizienten können Werte zwischen -1 und +1 annehmen. Die Vorzeichen geben jeweils die Richtung des Zusammenhangs an. Die 131 Ganz genau genommen existiert er dann jedoch gar nicht. (vgl. Hüttner, M. (1999) S. 50) 132 In statistischen Auswertungsprogrammen ist für gruppierte Mediane eine spezielle Auswertungsroutine vorgesehen. (vgl. Brosius, F. (1998) S. 452, Brosius, F. (2004) S. 473.) 133 Ordinale Korrelationen können auch mit Kendalls Tau-b untersucht werden. Sowohl Kendalls Tau-b als auch Spearmans Rho werden in Auswertungsprogrammen angeboten. (vgl. Brosius, F. (1998) S. 505-511) - 198 Stärke des Zusammenhangs ist aus den absoluten Werten erkennbar. Es ergibt sich jeweils zu den Extremen hin ein starker Zusammenhang. Um den Nullwert ist ein Bereich schwacher Zusammenhänge. Beim Nullwert ist kein Zusammenhang erkennbar. (vgl. Brosius, F. (1998) S. 508) Es können vier mögliche kausale Zusammenhänge interpretiert werden: „1. x beeinflusst y kausal, 2. y beeinflusst x kausal, 3. x und y werden von einer dritten oder weiteren Variablen kausal beeinflusst, 4. x und y beeinflussen sich wechselseitig kausal.“ (Bortz, J. (2005) S. 235) Eine Aussage darüber, welche Interpretation richtig ist, liefert der Korrelationskoeffizient nicht. Die Korrelation beschreibt lediglich die notwendige Bedingung für einen Zusammenhang, nicht jedoch die hinreichende Voraussetzung. Letztere kann nur mit Hilfe von weiteren Informationen erschlossen werden. Eine kausale Interpretation einer Korrelation bedarf daher Zusatzinformationen. (vgl. Bortz, J. (2005) S. 236) Die bis hierhin erfolgte Diskussion des Skalenniveaus hat ergeben, dass die Datenstruktur eine ordinale Interpretation der Daten nahelegt. Auch mathematisch ist diese über die Verwendung gruppierter Mediane und des Rangkorrelationskoeffizenten nach Spearman zu leisten. Es bleibt noch, einen Blick auf den Untersuchungskontext zu werfen. Die Studie zielt auf einen explorativen qualitativen Ansatz. Metrische Aussagen würden hier nur eine Scheingenauigkeit vortäuschen, aber nicht zu einer Verbesserung der Ergebnisse führen, da die Schüleraussagen in Verbindung mit den qualitativen Aussagen der Lehrerinterviews zu interpretieren sind. Metrische Aussagen im Sinne von ‚ein Lehrer sei 20% besser als ein anderer’ sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kontexte bezüglich der Schülerklientel, von Unterschieden in den Ausbildungsberufen und unterschiedlichen Unterrichtsfächern der Lehrer nicht haltbar. Daher ist eine Ordinalskala für das angestrebte Untersuchungsergebnis ausreichend genau, um Zusammenhänge und Richtungen von Zusammenhängen nachweisen zu können. Mit der Verwendung einer Intervallskala würde eine Scheingenauigkeit der Untersuchung vorgetäuscht, die wissenschaftlich problematisch, für die Durchführung der Untersuchung nicht notwendig und dem Ergebnis nicht dienlich ist. 5.1.5.4 Lehrerbefragung als Leitfadeninterview Das Leitfadeninterview ist den qualitativen Forschungsmethoden zuzuordnen. Eine Übersicht qualitativer Interviewformen gibt Helfferich (2004). (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 24-25) Das Leitfadeninterview rechnet Fried - 199 richs (1990) den Tiefeninterviews zu. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 224) Es ist eine Form der mündlichen Befragung mit nichtstandardisierten134 Fragen, die ein relativ geringes Maß an Strukturierung erfordern. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 224) Die geringe Strukturierung erlaubt eine flexible Gesprächsführung, die es ermöglicht, Sinnzusammenhänge und Meinungsstrukturen zu erkennen. (vgl. Atteslander, P. (2003) S. 147) Das Leitfadeninterview eignet sich zur Rekonstruktion von Alltagswissen und für die Untersuchung von Phänomenen, zu denen vorab ein Forschungsinteresse formuliert wurde, zu dem Interviewaussagen generiert werden. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 159) Gegenüber standardisierten mündlichen Befragungsformen und Befragungen mittels Fragebögen erlauben Leitfadeninterviews genauere Informationen von den Befragten zu erhalten und deren Perspektiven, Bedürfnisse und Wünsche zu erfragen. Dadurch können Meinungen, Einstellungsmuster und Motivationen und die sie umgebenden Kontexte entdeckt werden. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 224-226) Die Anlage des Leitfadeninterviews ergibt sich aus dem Forschungsplan, der Stellenwert, Ziele und Inhalte begründet. Aus dem skizzierten Forschungsdesign werden die Frageimpulse entwickelt. Sie bilden dann den strukturierenden Hintergrund der Antworten der Probanden. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 227) Für die Konstruktion des Leitfadens ist aus der Interviewerperspektive darauf zu achten, dass er Offenheit ermöglicht, nicht mit Fragen überladen und gut vom Interviewenden handhabbar ist. Aus der Sicht des Probanden ist es für die Generierung von Antworten wichtig, dass der Leitfaden dem natürlichen Erinnerungsfluss folgt und abrupte Themensprünge vermeidet. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 159-160) Die Ergebnisse des Leitfadeninterviews haben im Vergleich zu den Ergebnissen standardisierter Interviews eine geringere Vergleichbarkeit. Es entsteht eine Datenmatrix zu einem Problem, die einen Beitrag zur Erhellung des Gegenstands liefert. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 236) Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive eignet sich das Leitfadeninterview zur Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 19), die die Grundlage sozialer Wirklichkeit bilden. Soziale Wirklichkeit entsteht als eine interaktiv zwischen den Beteiligten erschaffene Wirklichkeit. Den Interaktionen zwischen den Subjekten kommt daher bei der Untersuchung der Entstehung der Wirklichkeit Bedeutung zu. 134 Friedrich grenzt standardisierte und nichtstandardisierte Interviewformen vonein ander ab. Standardisierte Interviewformen zeichnen sich durch vorgegebene Frage formulierungen und eine starke Strukturierung aus. (vgl. Friedrichs, J. (1990) S. 208) - 200 Neben der sozialen Wirklichkeit, die im Forschungsdesign untersucht wird, gibt es für das qualitative Interview zwei Interaktionszusammenhänge, die bedacht werden müssen. Zum einen steht das Interview im biographischen Kontext der Erzählperson. Zum anderen steht es im Kontext der Interviewsituation. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 20) Aufgrund der Kontextgebundenheit der Interaktionszusammenhänge (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 20) ist die Form des Leitfadeninterviews geeignet, um den Kontext der Interviewsituation zwischen den verschiedenen Erzählpersonen möglichst konstant zu halten. Hierdurch wird dem biographischen Kontext ein möglichst breiter Raum eingeräumt, so dass der darin eingebettete untersuchte Wirklichkeitsbereich des Forschungsdesigns hervortreten kann. Gegenüber freien Interviewformen werden die Einflüsse der Interviewsituation zwischen den Erzählpersonen möglichst egalisiert, ohne sie jedoch ausschalten zu können. Die Interviewsituation selbst ist eine asymmetrische Kommunikationsform, die in ihren komplementären Rollen nicht der natürlichen Gesprächswirklichkeit entspricht. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 30) Der Realsituation am nächsten kommen dialogische Interviewformen, bei denen sowohl Interviewter wie auch Interviewer an einem gemeinsamen Ergebnis arbeiten. Hier ist allerdings auch der Einfluss des Interviewers am größten. Den geringsten Interviewer-Einfluss weisen monologische Redeformen wie im narrativen Interview auf. Allerdings sind diese Interviewformen wieder am weitesten von natürlichen Kommunikationsformen entfernt. Mit der Form des Leitfadeninterviews wird ein Kompromiss angestrebt. Zwar wird die Erzählperson wie im narrativen Interview zum Erzählen aufgefordert, gleichzeitig wird sie jedoch durch den Interviewer thematisch geleitet und im Erzählfluss gestützt, ohne dass der Interviewer Bewertungen vornimmt. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 30-32) Für das vorliegende sozialkonstruktivistische Forschungsdesign, das ‚gute Lehrer’ aus der Schülerperspektive untersucht, ist das Leitfadeninterview mit Lehrern der zweite Bestandteil zur Untersuchung der sozialen Wirklichkeitskonstruktion zwischen Schülern und Lehrern. Im ersten Schritt haben Schüler einer Klasse einen Fragebogen ausgefüllt. Zu Beginn des Fragebogens haben die Schüler einen aus ihrer Perspektive ‚guten’ Lehrer benannt und anschließend zu diesem den Fragebogen ausgefüllt. Darauf folgend wird mit dem am häufigsten genannten Lehrer das Leitfadeninterview durchgeführt. Entsprechend der theoretischen Konzeption ist der Interviewleitfaden am Schülerfragebogen orientiert135. Wie auch der 135 Vgl. in Kapitel 5.1.4 die Abb.: Inhaltlicher Konzeptionsrahmen der Schüler- Lehrerbefragung. - 201 Schülerfragebogen, umfasst er die drei Ebenen Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung. Auf der Externalisierungsebene, d.h. der Ebene der erlebten sozialen Wirklichkeit, hat der Leitfaden des Lehrerinterviews seine engsten Berührungspunkte mit dem Schülerfragebogen. Auf der Internalisierungsebene, d.h. der Ebene der subjektiven Reflexion, und noch mehr auf der Ebene der Objektivierung, d.h. der Perspektive der Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit, streben die Schüler- und die Lehrerperspektive und damit auch die Teiluntersuchungen auseinander. Durch die dem Schülerfragebogen und dem Lehrerinterview zugrunde liegende gemeinsame soziale Situation behalten sie jedoch ihren gemeinsamen Bezugsrahmen und ergeben dadurch zwei Blickwinkel auf die Konstruktion einer gemeinsamen sozialen Wirklichkeit. In der Ausgestaltung führt der Leitfaden des Lehrerinterviews ausgehend von den realen Erfahrungen der Externalisierungsebene über subjektive Reflexionen hin zu Interpretationen der Wirklichkeit. Damit beginnt das Leitfadeninterview mit der konkreten Unterrichtssituation in der Schulklasse, die den Lehrer als ‚guten’ Lehrer bezeichnet hat und erweitert den Fragenkreis hin zu allgemeinen pädagogischen Einstellungen und Orientierungen sowie zu biographischen Aspekten. Auf diese Weise folgt der Leitfaden dem natürlichen Erinnerungsfluss der Probanden und erreicht, von konkreten Situationen ausgehend, abstrakte Ebenen. Der Leitfaden selbst ist in der Form vorformulierter Impulsfragen konzipiert136, die zu einem Erzählfluss führen sollen. Mit knapp dreißig Fragen, d.h. zehn Fragen zu jeder Ebene, ist der Fragenkatalog recht umfangreich. Allerdings sollen nicht alle Fragen abgearbeitet werden. Vielmehr ist eine Flexibilität angestrebt, die es dem Interviewenden erlauben soll, dem Gesprächsfluss entsprechend weitere Impulse setzen zu können. In Vorbereitung auf das Ergebnis der Untersuchung wurden, soweit es die divergierenden Perspektiven erlauben, die Leitfragen des Lehrerinterviews und die Fragen des Schülerfragebogens aufeinander bezogen. Mit dieser Konzeption werden korrespondierende Antwortbereiche zwischen den Schülerfragebögen und den Lehrerinterviews erzeugt, die eine gemeinsame Datenmatrix bilden. Die Datenmatrix ermöglicht es, Aspekte der gemeinsam konstruierten sozialen Wirklichkeit aus den Perspektiven der Beteiligten zu erhellen. 136 Im Gegensatz zu Stichpunkten bieten die Leitfragen die Möglichkeit, in der Interviewsituation öffnende Formulierungen unmittelbar verfügbar zu haben. Dies entlastet den Interviewer und hilft, Impulse setzen zu können. - 202 Mit der gleichen Absicht wird dem Lehrerprobanden am Ende des Interviews das aggregierte Polaritätenprofil137 der Schülerfragebögen138 für seine Person und der gruppierte Median für alle Lehrer vorgelegt und mit ihm besprochen. Hier wird eine Kommentierung der aggregierten Schülereinschätzung angestrebt. Mit der Kommentierung fließt die lehrerseitige Wirklichkeitskonstruktion in die Situationsbetrachtung ein, so dass auch hier ein Zugewinn für die Datenmatrix entsteht. 5.1.5.5 Auswertung der Lehrerinterviews Zur Auswertung von Interviews können inhaltsanalytische Verfahren139 herangezogen werden. Der Begriff ‚Inhaltsanalyse’ leitet sich vom englischen ‚content analysis’ her und beschreibt Verfahren, die Kommunikationsinhalte in Medien untersuchen. Vorwiegend werden inhaltsanalytische Verfahren zur Analyse von Texten herangezogen. Die Verfahren lassen sich jedoch auf vielfältige Kommunikationsträger, z.B. Text, Ton, Bild, Film oder auch Schmuck und Kleidung anwenden. (vgl. Atteslander, P. (2003) S. 215-216, Friedrichs, J. (1990) S. 314-317) Ziel der Inhaltsanalyse ist die Beschreibung der sozialen Wirklichkeit, indem Schlüsse von den Merkmalen des Textes auf die Merkmale des Kontextes gezogen werden. (vgl. Merten, K. (1995) S. 15-16, 59) Inhaltsanalytische Verfahren können in qualitative und quantitative Ansätze unterschieden werden. Quantitative Verfahren zielen auf die Prüfung von Hypothesen, während qualitative Verfahren nach der Erschließung von Bedeutungsinhalten streben. (vgl. Atteslander, P. (2003) S. 215-219) Entsprechend dem Forschungsdesign, das Wirklichkeitskonstruktionen von Schülern bezüglich ihrer Perspektive auf ‚gute’ Lehrer untersucht und einen sozialkonstruktivistischen Ansatz verwendet, liegt ein qualitativ orientierter Forschungszugang vor. Konstruktivistisches Forschen kann mit den herkömmlichen Methoden, Arbeitsschritten und Vorgehensweisen durchgeführt werden. Jedoch ist in der Anlage des Forschungsdesigns und der Auswertung dem konstruktivistischen Paradigma Rechnung zu tragen. 137 Das Polaritätenprofil entsteht aus den gruppierten Medianen der Antworten der Schülerfragebögen. Jeder Median wird durch Striche mit dem darunter dargestellten Median der nachfolgenden Frage verbunden. Es entsteht ein Profil zu dem Frage gegenstand, das mit anderen Profilen verglichen werden kann. 138 Im Polaritätenprofil werden gruppierte Mediane verwandt. D.h., es werden alle Schülerfragebögen, die diesen Lehrer benannten, aggregiert. Eine Rückverfolgung der Daten auf einzelne Schüler ist nicht möglich. 139 Neben den Methodiken der Befragung und Beobachtung wird die Inhaltsanalyse als gleichwertiges Instrument zur Untersuchung sozialer Wirklichkeit betrachtet. (vgl. Mayring, P. (2005) S. 9) - 203 (vgl. Loosen, W. (2004) S. 95) Mit einem qualitativ orientierten Forschungszugang liegt, durch die starke Betonung der Subjektabhängigkeit sowohl im qualitativen Forschungsansatz wie auch im Konstruktivismus (vgl. Loosen, W. (2004) S. 102-103), eine große Nähe zu konstruktivistischen Theorieansätzen vor. Daher sind methodisch qualitative Verfahren der Inhaltsanalyse für konstruktivistische Forschungsansätze quantitativen Verfahren vorzuziehen. In diesem Sinne verwendet die vorliegende Studie einen qualitativen inhaltsanalytischen Ansatz zur Untersuchung der Lehrerinterviews. Ziel des Vorgehens sind dabei inhaltlich strukturierende und typisierende Interpretationen.140 Der inhaltlich strukturierende Interpretationsvorgang extrahiert Material zu bestimmten inhaltlichen Aspekten und fasst es unter diesen Gesichtspunkten zusammen. Beim typisierenden Interpretationsvorgang werden markante Strukturen im Material gesucht und diese näher beschrieben. (vgl. Mayring, P. (2003) S. 58-59, 89-91) Hierfür muss zunächst die Fragestellung der Interpretation im Hinblick auf die Richtung der Interpretation und die theoriegeleitete Präzisierung der Fragestellung zugespitzt werden, um eine Zielorientierung für die Interpretation und daran anschließend die Entwicklung des Kategoriensystems zu ermöglichen. (vgl. Mayring, P. (2003) S. 50-53) Aus konstruktivistischer Perspektive erfolgt die Präzisierung und Bildung des Kategoriensystems jedoch nicht nur theorie-, sondern auch empiriegeleitet, d.h. die Kategorien werden im Untersuchungsmaterial getestet und modifiziert. (vgl. Loosen, W. (2004) S. 100-105) Das Kategoriensystem entsteht in einem rekursiven Prozess.141 Weiter muss aus konstruktivistischer Perspektive konstatiert werden, dass jede Konstruktion eines Kategoriensystems eine „Theorie produzierende Aktivität“ (Kuckartz, U. (1999) S. 202, kursiv im Original) ist, so dass die gefundenen Zusammenhänge und Interpretationen immer Wirklichkeitskonstruktionen aus der Beobachterperspektive darstellen und notwendigerweise von der subjektiven Wirklichkeit der Akteure abweichen müssen. Für das vorliegende Forschungsdesign könnte sich die sozialkonstruktivistische Dialektik aus Externalisierung, Internalisierung und Objektivierung zur theoriegeleiteten Entwicklung des Kategoriensystems anbieten, die auch der Konstruktion des Leitfadens zugrunde liegt. Allerdings liegt schon 140 Mayring 2003 stellt entsprechende Vorgehensweisen vor. (vgl. Mayring, P. (2003) S. 58-59). 141 Die theoriegeleitete Erzeugung von Kategorien wird auch als deduktives Vorgehen, die Entwicklung der Kategorien aus dem Material heraus auch als induktives Vorgehen bezeichnet. (vgl. Kuckartz, U. (1999) S. 202-203) - 204 im prozesshaften Charakter der Dialektik und in ihrer reflexiven Anlage die Problematik begründet, sie nicht direkt im sprachlichen Material lokalisieren zu können.142 Alternativ hierzu bieten sich zur theoriegeleiteten Kategorisierung die an der Wirklichkeitskonstruktion mitwirkenden Akteure und Rahmenbedingungen an. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive entsteht die soziale Wirklichkeit des Subjekts durch die an der Konstruktion beteiligten Akteure. Aus der Perspektive des Subjekts ergeben sich als Akteure der Wirklichkeitskonstruktion die signifikanten Anderen, die großen Einfluss in der Wirklichkeitskonstruktion ausüben und der Chor der sonstigen Anderen, dessen Mitglieder geringeren Einfluss ausüben. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 158-163) Die Wirklichkeitskonstruktion erfolgt im Wege des alltäglichen kommunikativen Austauschs, der sich „vor dem Hintergrund einer Welt, die schweigend für gewiß gehalten wird“ (Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 163)143 vollzieht. Für das inhaltsanalytische Forschungsdesign der Leitfadeninterviews mit den Lehrerprobanden ergeben sich aus der deduktiven Herleitung sieben Leitkategorien zur Beschreibung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses: 1 Schülerbezug 2 Lehrerpersönlichkeit 3 Duale Partner 4 Verlauf 5 Didaktik 6 Fach 7 Wünsche Schulveränderung Die Leitkategorien 1-3 beziehen sich auf die relevanten Akteure der Wirklichkeitskonstruktion. Lehrer wie Schüler sind an der Kommunikation direkt beteiligt und bilden im Rahmen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses jeweils wechselseitig füreinander die signifikanten Anderen. Als relevanter Chor können im Dualen Ausbildungssystem die Dualen Partner fungieren, 142 Die sozialkonstruktivistische Dialektik beschreibt die Konstruktion sozialer Wirklichkeit als Prozess der Internalisierung, d.h. der Interpretation von etwas All gemeinem vor dem persönlichen Hintergrund eines Menschen, der Externalisierung, d.h. der Erzeugung einer Wirklichkeit durch diesen Menschen, die dem von ihm verstandenen Allgemeinen entspricht, und der Objektivierung, d.h. der Bekräftigung bzw. Wahrhaftigkeit des Allgemeinen durch die am persönlich verstandenen Allgemeinen ausgerichtete Handlung des Menschen. So wird wie in einer Spirale die Wirklichkeit jeweils durch die Handlungen des Einzelnen erzeugt und gleichzeitig leitet die erzeugte Wirklichkeit die Handlungen des Einzelnen. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-141) 143 Rechtschreibung nach Original. - 205 da sie wesentlichen Anteil am Ausbildungserfolg des Auszubildenden haben und sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis aus einer Zweckgemeinschaft zur Erreichung des Ausbildungserfolgs konstituiert. Auch die Leitkategorien 4-6 ergeben sich aus dem Ziel der Zweckgemeinschaft zwischen Schüler und Lehrer. Schulische Ausbildungssituationen im Dualen System sind keine alltagssprachlichen Kommunikationssituationen. Sie sind vielmehr zweckorientierte und vom Lehrenden geplante Lernsituationen, die die Entwicklung der Schüler im Hinblick auf ihre Ausbildung und ihre Persönlichkeit im gesellschaftlichen Interesse unterstützten sollen. Vor diesem Hintergrund lotet die Leitkategorie 7 die von den Lehrerakteuren wahrgenommenen Handlungsbegrenzungen der schulischen Lernsituation aus. Schule bildet innerhalb des Dualen Systems den engeren institutionellen Rahmen für die Zweckgemeinschaft der Schüler und Lehrer. Mit der Kategorienbezeichnung ‚Wünsche Schulveränderung’ werden hier die Grenzen des schulischen Rahmens erfasst, um mögliche institutionelle Grenzen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses erkennen zu können. Innerhalb der sieben Leitkategorien wird ein induktives Vorgehen zur Entwicklung von Subkategorien angestrebt. In der späteren Auswertung sind aus dem Material insgesamt 28 Subkategorien erwachsen. Kuckartz 1999 hält für die neunziger Jahre 20-50 Kategorien in inhaltsanalytischen Untersuchungen für realisierbar. Durch den Einsatz von Datenverarbeitungsprogrammen sind heute allerdings deutlich größere Kategoriensysteme handhabbar. (Kuckartz, U. (1999) S. 205-208) Jedoch muss sich die Größe des Kategoriensystems am Zweck des Forschungsdesigns orientieren. Im vorliegenden Fall sucht die Analyse nach Zusammenhängen, die zur subjektiven Konstruktion sozialer Wirklichkeit führen. In explorativen Zusammenhängen wirkt ein atomisierendes Kategoriensystem jedoch kontraproduktiv, da es den Blick auf mögliche Beziehungen mit zunehmender Kategorienanzahl eher verstellt. Größere und detailliertere Kategoriensysteme sind hier erst nach der Erkenntnis von Zusammenhängen zur Detailuntersuchung bzw. hypothesenprüfenden Untersuchung sinnvoll einsetzbar. 5.1.5.6 Zusammenführen von Schülerbefragung und Lehrerinterviews Gegenstand dieser Studie ist die Untersuchung ‚guter’ Lehrer aus der Perspektive von Schülern im Dualen System beruflicher Bildung. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ergibt sich die soziale Wirklichkeit eines Subjekts aus der Interaktion mit der Gesellschaft als ständigem Prozess der Produktion und Reproduktion. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 144-145) Um die subjektive soziale Wirklichkeit - 206 fassen zu können, ist die Betrachtung des Interaktionszusammenhanges, in dem die Wirklichkeit entsteht, notwendig. Für die Schüler-Lehrer-Interaktion ist die Unterrichtssituation der zentrale Interaktionszusammenhang, in dem die subjektive Wirklichkeit ‚guter’ Lehrer entsteht. Mit der perspektivischen Ausrichtung auf ‚gute’ Lehrer richtet sich die Untersuchungsperspektive auf Interaktionszusammenhänge, die im subjektiven Vergleich mit ähnlichen Interaktionen der Schüler mit anderen Lehrern eine subjektiv höhere Signifikanz erreicht haben. Eine hohe subjektiv zugebilligte Signifikanz des ‚guten’ Lehrers führt ihn für die Subjekte in die Rolle eines signifikanten Anderen. Diese nehmen in der Veränderung und Bewahrung der Wirklichkeitskonstruktionen des Subjektes eine zentrale Funktion wahr. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 160-162) Die Signifikanz ergibt sich allerdings nur für die untersuchte Situation. Eine generelle Signifikanz des ‚guten’ Lehrers für Bereiche außerhalb des schulischen Kontextes kann hieraus nicht geschlossen werden. Bedingt durch das Forschungsdesign werden die Schülerprobanden aufgefordert, einen ‚guten’ Lehrer zu benennen. Diese Aufforderung zwingt zu einer Auswahl aus einem beschränkten Kreis von ‚Anderen’, die alle dem Wirklichkeitsbereich Schule zuzuordnen sind. Generalisierende Schlüsse auf Signifikanz in anderen Kontexten sind daher hier noch nicht möglich. Entsprechende Schlüsse könnten sich erst in der Auswertung der Studie ergeben, wenn Ergebnisse zu den Kontexten der subjektiven Auswahlentscheidung vorliegen. Zur Ermittlung der Kontexte ist das Zusammenführen des situationsrelevanten Interaktionszusammenhangs zwischen Schülern und Lehrern aus der jeweils subjektiven Perspektive notwendig. Die subjektive Schülerperspektive ergibt sich als Polaritätenprofile aus den Differentialen der Schülerfragebögen. Aus Korrelationen kann auf Zusammenhänge zwischen einzelnen Aussagen geschlossen werden, die mit Hilfe der Lehrerinterviews auf ihre Plausibilität untersucht werden sollen. Die subjektive Lehrerperspektive ergibt sich aus den Lehrerinterviews. Mittels der Lehrerperspektive soll der Situationseindruck der Schüler-Lehrer-Interaktion vervollständigt werden. Um die Kontexte der Situation erfassen zu können, sind sowohl der Schülerfragebogen als auch das Lehrerinterview in drei Ebenen konstruiert worden, die sich perspektivisch sukzessive erweitern. Auf der Mikroebene – sie entspricht sozialkonstruktivistisch der Externaliserung – wird die konkrete Interaktion in der schulischen Unterrichtssituation betrachtet. Auf der Mesoebene – sie entspricht der Internalisierung – wird die konkrete Situation in einem größeren Kontext der subjektiven Wirklichkeit reflektiert. Mit der Makroebene schließlich – sie entspricht der Objektivierung – werden Kontexte der gesellschaftlichen - 207 Wirklichkeit des Subjekts erschlossen. Über die Perspektiverweiterung, die im Schülerfragebogen und im Lehrerinterview angelegt ist, wird die Unterrichtssituation in den jeweiligen Kontext der Schüler und des Lehrers eingebunden, so dass Hintergründe der konkreten Unterrichtssituation deutlich werden. Aus methodischer Perspektive werden mit der Zusammenführung der Schülerbefragung per Fragebogen und der leitfadengestützten Lehrerinterviews quantitative und qualitative Methoden miteinander verbunden, um explorativ und qualitativ eine soziale Wirklichkeit zu beschreiben. Ein Ziel qualitativer Forschung ist, die Klassifizierung des gefundenen Materials, d.h. eine ordnende deskriptive Beschreibung des Materials vorzunehmen (vgl. Mayring, P. (2003) S. 22), um soziale Wirklichkeit beschreiben zu können. In der Vergangenheit wurde die These einer strikten Trennung quantitativer und qualitativer Forschungsmethodiken vertreten. Mittlerweile jedoch ist, abhängig vom Forschungsvorhaben, eine Kombination beider methodischer Ansätze im Forschungsdesign und eine Kopplung der Methodiken möglich. Ein entsprechendes Vorgehen wird als ‚Mixed Methodologies’ bezeichnet. (vgl. Mayring, P. (2005) S. 7-9) Auch aus konstruktivistischer Perspektive sind Mixed Methodologies mögliche Forschungsstrategien. Loosen (2004) führt aus, dass konstruktivistisches Forschen mit herkömmlichen Methoden und Arbeitsschritten möglich ist, allerdings in der Anlage des Forschungsdesigns und der Auswertung dem konstruktivistischen Paradigma Rechnung zu tragen ist. (vgl. Loosen, W. (2004) S. 95) In gleicher Weise schätzt Hug (2004) die Offenheit konstruktivistischen Forschens für qualitative, quantitative und Mixed Methoden ein. (vgl. Hug, Th. (2004) S. 130) Kennzeichnend für das konstruktivistische Paradigma ist die Forderung nach Mehrperspektivität und Perspektivwechsel (vgl. Reich, K. (2004a) S. 90-94144, Hug, Th. (2004) S. 129, Moser, S. (2004) S. 11-15, Pfeffer, T. (2004) S. 70-78), so dass auch methodisch unterschiedliche Herangehensweisen an einen Forschungsgegenstand zu einem Perspektivwechsel beitragen. Die Möglichkeit des Zusammenführens der beiden Erhebungsteile ist auch aus der Perspektive des Skalenniveaus der erhobenen Daten zu prüfen. Die Daten der Schülerbefragung liegen auf ordinalem, die Informationen aus den Lehrerinterviews auf nominalem Skalenniveau vor. Ziel der Untersuchung ist eine qualitativ explorative Beschreibung der sozialen Wirklichkeit. Qualitative Analysen basieren auf dem Niveau von Nominalskalen, die das Kriterium der Gleichheit bzw. Verschiedenartigkeit beschreiben 144 Reich beschreibt hier die Forderung nach Mehrperspektivität für die Beobachterperspektive. - 208 können (vgl. Mayring, P. (2003) S. 17), so dass die Verwendung ordinaler und nominaler Skalenniveaus möglich ist.145 Qualitative Daten müssen als Forschungsergebnis immer interpretiert werden. Sie sprechen nicht für sich. Die Interpretation der Daten ist ein qualitativer Analyseschritt. (vgl. Mayring, P. (2003) S. 19) Mit den Polaritätsprofilen und Korrelationszusammenhängen, die aus den Schülerfragebögen gewonnen werden können, liegen zunächst ordinale Daten vor. Ihre Interpretation erfolgt mit Hilfe der Ergebnisse der Lehrerinterviews, so dass die gefundenen Phänomene erklärt oder verstanden und möglicherweise Beziehungen zwischen den einzelnen Phänomenen hergestellt werden können. Abschließend wird in der nachfolgenden Übersicht die geplante Vorgehensweise zur Zusammenführung der Ergebnisse aus der Schülerbefragung und den Informationen der Lehrerinterviews skizziert: Abb.: Zusammenführung der Schülerbefragung und der Lehrerinterviews. Schülerfragebögen Lehrerinterviews 1. Ermittlung der häufigsten Lehrernennungen 2. Mittleres Polaritätenprofil für alle genannten Lehrer 7. Reflexion der Profilcharakteristika von ‚mittleren Polaritätenprofilen’ (Nr. 2) durch Lehrerinterviews 3. Polaritätenprofile für die am häufigsten genannten Lehrer 4. Suche nach Auffälligkeiten in den Profilen 8. Reflexion der Auffälligkeiten aus den Auffälligkeiten der Profile (Nr. 4) und den Korrelationen (Nr. 5) durch Lehrerinterviews 5. Suche nach auffälligen Korrelationen im Datenmaterial 6. Aufbereitung der Daten nach Mikro-, Meso-, Makro- Betrachtungsebene 9. Reflexion der Aufbereitung der Betrachtungsebenen (Nr. 6) mittels Lehrerinterviews 10. Fallskizzen / -analysen markanter Phänomene 11. Zusammenfassung der Ergebnisse 145 Eine Zusammenführung von Daten unterschiedlicher Skalenniveaus auf dem niedrigsten Skalenniveau der verwendeten Daten ist möglich, da die höheren Skalenniveaus mit Informationsverlust auch in niedrigere Niveaus eingearbeitet werden können. Der umgekehrte Weg ist nicht möglich, da Daten niedrigen Skalenniveaus keinen Informationsgewinn verzeichnen können. (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 254256, Hammann, P.; Erichson, B. (1994) S. 73) - 209 5.2 Erhebungsverlauf 5.2.1 Fragebogenerhebung bei den Schülern Wie im Forschungsdesign dargestellt146, erfolgt die Schülerbefragung in dritten Ausbildungsjahren handwerklich gewerblich-technischer Berufsausbildungen im Dualen System an einer thüringischen Berufsschule. Im Sinne der Ceteris-paribus-Bedingung konzentriert sich die Studie auf eine Berufsschule, um Unterschiede in den sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Regionen und Faktoren des Schulklimas147, die Einfluss auf die Schüler-Lehrer-Beziehungen ausüben, begrenzen zu können. Die nachfolgende Übersicht zeigt die Ausbildungsberufe und die Verteilung der Schüler auf die Klassen. Entsprechend dem Forschungsdesign werden Ausbildungsberufe erfasst, die einen hohen Anteil männlicher Auszubildender mit geringen Einstiegsqualifikationen aufweisen.148 Für das Jahr 2003, dem Jahr des Ausbildungsbeginns der befragten Schüler, weist der Berufsbildungsbericht 2006 für das Handwerk bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen einen Anteil von 5,0% Auszubildende ohne Hauptschulabschluss, 50,1% mit Hauptschulabschluss und 2,7% Absolventen des Berufsvorbereitungsjahres aus. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 104) Für die an der Studie teilnehmenden Berufsausbildungen nennt der Berufsbildungsbericht 2006149 folgende Anteile von Hauptschülern an den Ausbildungsanfängern des Jahres 2003: Anlagenmechaniker Sanitär, Heizung, Klima (58,2%); Metall 146 Siehe Kapitel 5.1.3.1 Schülerprobanden. 147 Die Untersuchungen von Fend (1977) weisen auf eine hohe Varianz zwischen Schulklimata von Schulen hin und zeigen, dass das Schulklima mit Handlungsbereitschaften und Einstellungen in der Schule korreliert. (vgl., Fend, H. (1977) S. 216-218, Götz, B. (1981) S. 305) In die gleiche Richtung, mit dem Fokus auf abweichendes Verhalten, argumentiert Varbelow (2003). (vgl. Varbelow, D. (2003) S. 163, 361-362) Gleichzeitig zeigt Götz (1981), Luhmann folgend, dass die Eigenkomplexität von Schule durch die Bildung von Sub- und Binnensystemen die Partizipationsmöglichkeiten der Organisationsmitglieder bestimmen. (vgl. Götz, B. (1981) S. 304) Die Problematik der rechtsetzenden Rahmenfaktoren, innerhalb derer sich das Schulklima entwickelt, beschreibt Nicklis (1981). (vgl. Nicklis, W. (1981) S. 872-874) Die Bedeutung der baulichen Gegebenheiten für das Schulklima legt Freitag (1998) dar. (vgl. Freitag, M. (1998) S. 258) 148 Abweichend hiervon der Beruf ‚Mediengestalter/in Digital- und Printmedien’, der bezüglich Frauenanteil und Eingangsqualifikation vom Forschungsdesign abweicht (vgl.: Auswertbare Grundgesamtheit der Fragebögen nach Schulklassen). Auch im Hinblick auf Werbeagenturen ist der Ausbildungsberuf nicht unbedingt originär dem Handwerk zuzuordnen. 149 Angaben soweit verfügbar. - 210 bauer (55,6%); Maler und Lackierer (64,0%). (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 107) Abb.: Auswertbare Grundgesamtheit der Fragebögen nach Schulklassen. Berufsbezeichnung Berufskürzel Fälle (N-Max. = angetroffen) Gültig Fehlend N-Max. (davon weibl.) N- Teil- nehmer % N % N % Anlagenmechaniker/ in AM BS D KM MB MDP ML T VA Z 20 (0) 19 (0) 16 (0) 15 (1) 29 (0) 17 (12) 13 (0) 14 (3) 17 (0) 16 (0) 20 100 19 100 16 100 15 100 22 100 17 100 10 100 13 100 17 100 16 100 17 85 18 95 16 100 15 100 20 91 16 94 9 90 13 100 17 100 12 75 3 15 1 5 0 0 0 0 2 9 1 6 1 10 0 0 0 0 4 25 Beton- und Stahlbetonbauer/ in Dachdecker/in Konstruktionsmechaniker/ in Metallbauer/in Mediengestalter/in Digital-/Printmedien Maler/in und Lackierer/in Tischler/in Verfahrens- u. Aufbereitungsmechaniker/ in Zimmerer/in . 176 (16) 165 100 153 92 12 8 Der Schülerbefragung ist ein Pretest des Fragebogens mit vier Schülern aus Klassen, die dem Forschungsdesign entsprachen, vorangestellt worden. Ziel des Pretests war es, die Verständlichkeit der Items der unechten Semantischen Differentiale des Fragebogens zu überprüfen und die Dauer der Erhebung abschätzen zu können. Entsprechend wurden die Pretest-Pro - 211 banden gebeten, den Fragebogen auszufüllen und an Stellen, die ihnen unverständlich waren, Fragezeichen anzubringen. Am Ende des Pretests, der eine Bearbeitungsdauer zwischen 20 und 30 Minuten ergab, wurde ein Auswertungsgespräch geführt, die Verständnisschwierigkeiten besprochen und nach weiteren Anregungen für das Fragebogendesign gefragt. Aus den Ergebnissen des Pretests ergab sich die Notwendigkeit, fünf Items in den Differentialen bezüglich der Wortwahl und ein Differential bezüglich des angestrebten Sinns zu präzisieren. Der Umfang der Schülerbefragung orientiert sich am explorativ-qualitativen Charakter des Forschungsdesigns. Ein Ziel der Schülerbefragung ist es, die Probanden für die Lehrerinterviews zu ermitteln. Für die Interviews variiert der Stichprobenumfang im Rahmen qualitativer Forschungen zwischen 6 und 30 Interviews. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 153) Mit der Befragung von 10 Schulklassen sollten 10 Interviewpartner für die Lehrerinterviews ermittelt werden, so dass sich das geplante Interviewvolumen der Untersuchung am oberen Ende des ersten Drittels qualitativer Forschungsdesigns orientierte. Tatsächlich wurden im Forschungsverlauf aus der Schülerbefragung 14 Interviewpartner ermittelt, von denen 13 zu einem Interview bereit waren. So ergibt sich, dass sich das Volumen der Lehrerinterviews deutlich im mittleren Volumensegment qualitativer Forschungsdesigns einordnen lässt. Bei der Durchführung der Schülerbefragung im Dezember 2005 sind die Schüler über Sinn und Zweck der Befragung, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Sicherstellung der Anonymität der Daten informiert worden.150 Bei den drei teilnehmenden minderjährigen Schülern hat das Elterneinverständnis zur Teilnahme vorgelegen.151 Zur Wahrung der Anonymität ist auf jede Erhebung personenbezogener Daten verzichtet worden. Die Daten sind nach Schulklassen erhoben und die Anzahl der teilnehmenden Schülerinnen durch Abzählen ermittelt worden. Bei der Rückgabe der Bögen sind sie mit einem Klassenmerkmal versehen worden, so dass die Daten einer Klasse, aber keinem Schüler zugeordnet werden können. Die anschließende Auswertung der Daten erfolgte mit einem Statistikprogramm.152 150 Das Vorgehen entspricht den Genehmigungsauflagen des Schulamtes. 151 Die Feststellung der Minderjährigkeit erfolgte durch Klassenliste. Die Teilnahme erfolgte nach Vorlage der schriftlichen Einverständniserklärung der Eltern. 152 Für die Eingabe der Daten in die vorbereitete Auswertungsdatei darf ich an dieser Stelle Madlen Schuchardt ganz herzlichen Dank aussprechen. - 212 Die Teilnahmequote der Probanden153 liegt mit 165 von 176 angetroffenen Personen (94%) sehr hoch. In der Stichprobe bestätigt sich die im Berufsbildungsbericht 2006 (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 129) beschriebene geschlechtertypische Allokation zu den Ausbildungsberufen. Mit einem Frauenanteil von 9,1%154 entspricht der Frauenanteil der Studie dem Frauenanteil in gewerblich-technischen Berufen (Berufsbildungsbericht 2006 8,3%).155 Von den 165 eingegangenen Fragebögen können 153 in der Studie berücksichtigt werden. Sechs Bögen können nicht berücksichtigt werden, da mehrere Lehrernamen benannt wurden. Diese Bögen können zur Bildung eines Polaritätenprofils für eine Lehrperson nicht verwendet werden. Vier Bögen enthalten keinen Lehrernamen, sind jedoch vollständig ausgefüllt, und lediglich zwei Bögen machen deutlich, dass die beiden Probanden keinen Lehrer, den sie an der Schule kennen gelernt haben, für einen ‚guten’ Lehrer halten156. In einer ersten statistischen Plausibiliätsprüfung konnten drei weitere Bögen identifiziert werden, die im Vergleich zu den anderen Bögen signifikant abweichen, in dem sie in Bezug auf die lehrerbezogenen Fragen in der Regel das Gegenteil der übrigen Bögen ankreuzen und in den auf die eigene Person bezogenen Fragen eine pessimistische, problembeladene Situation mit deutlicher Schulaversion erkennen lassen. Dies scheint bezogen auf die schulische Situation und die benannten Lehrer eine klare Protesthaltung widerzuspiegeln. Aus konstruktivistischer Perspektive sind die Abweichung und der resultierende Schluss einer Protesthaltung gegenüber dem benannten Lehrer ein Eindruck, der aus der Beobachterperspektive entstanden und dieser Perspektive zuzuordnen ist. Auch für den Beobachter sind jedoch die Selbstaussagen der Probanden, bezogen auf 153 An dieser Stelle möchte ich allen Schülern für ihre Teilnahme danken. Besonders gefreut haben mich die kritischen und konstruktiven Gespräche, die gelegentlich der Teilnahme vorausgegangen sind. 154 Der Frauenanteil sinkt in der Studie jedoch beträchtlich auf 2,5%, wenn der Beruf des Mediengestalters, der auch im Berufsbildungsbericht mit vergleichsweise hohem Frauenanteil gekennzeichnet ist (dort 52,7% für 2004) (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 129), aus der Statistik herausgerechnet wird. 155 Eine geschlechtsbezogene Auswertung der Studie ist nach dem Forschungsdesign nicht geplant, könnte jedoch in Gegenüberstellung der Mediengestalterklasse mit den anderen Klassen erfolgen. Hier ist allerdings auf ein erhebliches Missverhältnis des Datenbestandes zu verweisen, das die statistische Signifikanz der Aussagen mehr als zweifelhaft erscheinen lassen würde. Daher wird auf eine entsprechende Auswertung verzichtet. 156 Bei der Information der Schüler zum Fragebogen wurden sie auf diese Möglichkeit zur Antwort hingewiesen. - 213 ihre subjektive Wirklichkeit, ernsthafte und sinnhafte Situationsbeschreibungen. Ein Irrtum des Beobachters bezüglich der lehrerbezogenen Aussagen der Probanden ist daher nicht auszuschließen. Möglicherweise nennen und beschreiben die Probanden aus ihrer Perspektive heraus das kleinste ‚Übel’. In Abwägung des möglichen Fehlerpotentials verbleiben die Fragebögen daher im Datenbestand. Auch aus statistischer Perspektive ist diese Entscheidung zu rechtfertigen. Mit der Verwendung des gruppierten Medians zur Ermittlung der Polaritätenprofile aus ordinalen Daten wird in dieser Studie ein robustes Lagemaß verwendet, das resistent auf Extremwerte reagiert. (vgl. Fahrmair, L. u.a. (2003) S. 55, 58) Nachdem die Werte der Datenreihe nach ihrer Größe geordnet wurden, halbiert der Median die Häufigkeitsverteilung in ihrer Mitte und ergibt sich als Wert des halbierenden Falles. Bei gruppierten Daten wird zusätzlich noch die Lage des Medians innerhalb der Einfallsklasse, in der der die Verteilung halbierende Wert liegt, berücksichtigt. (vgl. Bortz, J. (2005) S. 36-37, Janssen, J.; Laatz, W. (2003) S.180-181) Dadurch reagiert der Median im Gegensatz zum arithmetischen Mittel nicht auf Extremwerte. Gleiches würde für den Korrelationskoeffizienten nach Spearman gelten. Es handelt sich um einen Rangkorrelationskoeffizienten, d.h. er vergleicht nicht die absoluten Werte der Daten miteinander, sondern deren Rangplätze. Die Daten werden zunächst nach ihrem Platz in der Rangfolge geordnet und anschließend werden die Rangplätze der Daten als Rangzahlen miteinander in Beziehung gesetzt, so dass das Maß des monotonen Zusammenhangs zwischen den Rangplätzen ermittelt wird. (vgl. Janssen, J.; Laatz, W. (2003) S. 242-243, Moosmüller, G. (2004) S. 175179, Fahrmair, L. u.a. (2003) S. 139-143) Dadurch ist auch hier die absolute Höhe des Wertes nicht von Bedeutung und auch der Korrelationskoeffizient nach Spearman reagiert robust auf Extremwerte. 5.2.2 Leitfadeninterview mit den Lehrern In den Schülerfragebögen sind zahlreiche Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt worden. Die dort am häufigsten benannten Lehrer sind schriftlich zu einem Interview gebeten worden.157 Das Anschreiben hat die Lehrer über Sinn und Zweck der Studie, die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme, die Anonymisierung ihrer Daten, die Speicherung und Verarbeitung der Daten für die Studie sowie die Möglichkeit der Speicherung der Daten in Forschungsdatenbanken informiert. Die vorbereitete Einverständniserklärung, die mit getrennten Unterschriften das Einverständnis der Interviewpartner für das 157 Das genaue Vorgehen bei der Bestimmung der Interviewpartner wird im Kapitel 6 beschrieben. - 214 Forschungsvorhaben und ein erweitertes Einverständnis für die Speicherung der Daten in Forschungsdatenbanken enthält, hat dem Anschreiben beigelegen. Im Anschreiben und nochmals vor Beginn des Interviews sind die Interviewpartner auf die Problematik einer Bestimmbarkeit der Person trotz Anonymisierung158 ihrer Daten hingewiesen worden. Dennoch haben 13 von 14 angesprochenen Lehrern der Teilnahme an der Studie zugestimmt159 und die Einverständniserklärung, in der Regel direkt vor Interviewbeginn, unterschrieben.160 Die Interviews sind im Zeitraum von Januar bis Mai 2005 durchgeführt worden. Sie haben zeitlich und örtlich nach den Wünschen der Lehrer stattgefunden, so dass die Interviews zumeist in Freistunden oder nach dem Unterricht in der Schule entstanden sind. Zwei Interviews sind außerhalb der Schule erfolgt. Im Vorgespräch zum Interview ist geklärt worden, welche Klasse den Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt hatte. Dies ist notwendig, damit sich die Interviewantworten des Lehrers auf die Interaktion mit dieser Klasse beziehen konnten. Die Interviews sind aufgezeichnet und anschließend transkribiert worden.161 Mit der Transkription ist die Anonymisierung der Daten erfolgt.162 Während der Transkription sind Wortabschleifungen und Mundarteinfärbungen geglättet worden. Gleichfalls sind grammatikalische Richtigstellungen vorgenommen worden. Im Übrigen wurde nichts geändert. Die Auswertung der Interviews ist mittels eines Programms zur computergestützten Analyse qualitativer Daten durchgeführt worden. Sie hat sich zunächst an den im Forschungsdesign ermittelten Leitkategorien orientiert. Im Verlauf der Auswertung konnten innerhalb der Leitkategorien insgesamt 28 Subkategorien gebildet werden. 158 Es besteht das Problem, dass Personen, die die Lebensumstände der Interviewpartner kennen, die Daten trotz Anonymisierung zurückverfolgen können. Dies ist insbesondere bei kleinen Probandengruppen in qualitativen Studien ein Dilemma des Datenschutzes. (vgl. Helfferich, C. (2004) S. 166-167) 159 An dieser Stelle darf ich mich bei allen Teilnehmern sehr bedanken. 160 Eine Unterschrift wurde auf dem Postweg zugesandt. Zwei Interviewteilnehmer haben ihre Bereitschaft für das Interview und die Nutzung der Daten für diese Studie erklärt, aber der Weiterleitung der Daten an Forschungsdatenbanken nicht zugestimmt. 161 Für die Transkription darf ich Angela Pechtold ganz herzlich danken. 162 Die Interviewpartner hatten vor Beginn des Interviews eine Liste mit Pseudonymen, die willkürlich dem Telefonbuch entnommen waren, erhalten und sich ein Pseudonym aus der Liste ausgewählt. Auf diese Weise können die Interviewpartner die Weiterverarbeitung ihrer Daten im Studienergebnis rückverfolgen. - 215 6 Zwischenergebnis der Schülerbefragung im Hinblick auf die Ermittlung der Lehrerprobanden 6.1 Individuelle Präferenzstruktur auf Schülerebene bei der Lehrerbenennung An der Schülerbefragung haben von 176 angetroffenen Schülern 165 aus 10 Klassen teilgenommen. 153 Fragebögen konnten ausgewertet werden. Im Aufforderungstext des Fragebogens sind die Schüler über das Ziel ‚gute’ Lehrer zu finden informiert und gebeten worden, einen Lehrer zu benennen, der für sie besondere Bedeutung erlangt hat (vgl. Abb.: Aufforderungstext zum Schülerfragebogen, S. 217). Die Folgefragen wurden zum benannten Lehrer beantwortet. Die Befragung ist bei den Schülern auf große Resonanz getroffen. 94% der potentiellen Teilnehmer haben an der freiwilligen Befragung teilgenommen. Für das große Interesse der Schüler an diesem Thema spricht, dass alle Teilnehmer den Bogen vollständig ausgefüllt haben.163 Abbrüche bei der Beantwortung der Fragen sind nicht zu verzeichnen. In der Erstauswertung der 153 gültigen Fragebögen nach Lehrernennungen konnten 35 Lehrernamen ermittelt werden, die von den Schülern als ‚gute’ Lehrer bezeichnet wurden. Die Abbildung ‚Lehrernennungen in den befragten Klassen’ veranschaulicht die Schülervoten. Auf der x-Achse sind die befragten Klassen abgetragen. Auf der y-Achse ist die Anzahl der Schülervoten je benanntem Lehrer verzeichnet. Die Höhe des gesamten Balkens stellt die Anzahl der in der Klasse befragten Schüler dar. Jede Grauschattierung symbolisiert einen Lehrer und die auf ihn entfallenden Voten der Schüler. Es wird deutlich, dass mit Ausnahme der Klasse D in jeder Klasse mehrere Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt worden sind. Berücksichtigt man die sechs Bögen, auf denen mehrere Lehrer benannt wurden, können zwei zusätzliche Lehrernamen ermittelt werden.164 Das 163 Hier ist von individuellen Aussetzern bei Einzelitems abstrahiert worden. Ohne Anekdotenempirie betreiben zu wollen, sei an dieser Stelle auf zwei Schülerbemerkungen in den Fragebögen hingewiesen, die die Bedeutung des Themas für die Schüler unterstreichen. Ein Schüler macht darauf aufmerksam, dass der betreffende Lehrer die Schule verlassen hat und empfiehlt über eine Kollegin oder das Sekretariat die Kontaktaufnahme (Fragebogen T38, S. 4). Ein anderer Schüler äußert am Ende des Fragebogens den Wunsch: „Bitte, Bitte, Bitte Macht was draus!!“ (Fragebogen ML05, S. 4). 164 Die sechs Bögen sind für die Auswertung ungültig, da sie keinen Beitrag zur Generierung von Polaritätenprofilen leisten können. - 216 Ergebnis führt zu dem Schluss, dass es ‚den guten Lehrer’ im Sinne eines einheitlichen Vorbilds oder Urtyps für alle Schüler nicht gibt, da verschiedene Lehrer in einer Klasse benannt worden sind. Die Vielzahl der Nennungen, durchschnittlich würde eine Nennung auf vier Schüler entfallen, spricht für eine individuelle Präferenzstruktur der Schüler. Abb.: Aufforderungstext zum Schülerfragebogen. Schülerbefragung zu guten Lehrern Ihre Teilnahme ist freiwillig! Nichtteilnahme hat keine Konsequenzen! Sehr geehrte Auszubildende, sehr geehrter Auszubildender, mit diesem Fragebogen bitten wir Sie an einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universität Erfurt teilzunehmen. Ziel der Untersuchung ist es, besonders gute Lehrer herauszufinden. Es geht uns um gute Lehrer, nicht um Lieblingslehrer. Anschließend wollen wir die guten Lehrer fragen, wie sie Unterricht machen. Damit wollen wir einen Beitrag leisten, künftig Lehrer besser auszubilden. Unterricht macht der/die Lehrer(in) nicht alleine. Sie als Schüler und Ihre ganze Klasse sind dabei sehr wichtig. Deshalb beziehen sich die Fragen im Fragebogen nicht nur auf den/die Lehrer(in), sondern auch auf Sie und Ihre Klasse. Bitte geben Sie uns erst ein paar Tipps. Auf den folgenden Blättern im Fragebogen kreuzen Sie dann bitte Ihre Einschätzung an. Nun geht es los. Denken Sie bitte an die Jahre der Ausbildung in der Berufsschule zurück. Welche Lehrerin oder welcher Lehrer hat für Sie persönlich ganz besondere Bedeutung erlangt? Frau / Herr: Bitte behalten Sie den/die Lehrer(in) im Kopf und beantworten Sie die weiteren Fragen. - 217 05101520 Anzahl -218 - Lehrernennungen in Klassen 25 AM BS D KM MB MDP ML T VA Z Klassen Lehrer 1 Lehrer 2 Lehrer 3 Lehrer 4 Lehrer 5 Lehrer 6 Lehrer 7 Lehrer 8 Lehrer 9 Lehrer 10 Lehrer 11 Lehrer 12 Lehrer 13 Lehrer 14 Lehrer 15 Lehrer 16 Lehrer 17 Lehrer 18 Lehrer 19 Lehrer 20 Lehrer 21 Lehrer 22 Lehrer 23 Lehrer 24 Lehrer 25 Lehrer 26 Lehrer 27 Lehrer 28 Lehrer 29 Lehrer 30 Lehrer 31 Lehrer 32 Lehrer 33 Lehrer 34 Lehrer 35 Abb.: Lehrernennungen in den befragten Klassen.165 165 Eine detaillierte Aufstellung mit Zahlen siehe Kapitel 6.2. Ebenso wenig wie die Studie von Ditton (2002), kann das vorliegende Ergebnis den ‚Dr. Fox’-Effekt bestätigen. Der Effekt besagt, dass sich Lernende von charismatischen Persönlichkeiten blenden lassen und ihre Leistung bei diesen Personen überbewerten. Die Abbildung ‚Leistungseinschätzung der Schüler’ zeigt, dass die gruppierten Mediane der Schüleraussagen, bezogen auf ihre Anstrengungen im Unterricht, die vermutete Fremdeinschätzung des Lehrers zu ihrer Leistung im Unterricht und auch die Einschätzung zum Leistungsverhalten der Klasse bei dem Lehrer lediglich Medianwerte zwischen 2,8 und 3,1 annehmen.166 Mit Frage 18 des Bogens wurden die Schüler gebeten, den Lehrer als leistungsstark (1) oder leistungsschwach (7) einzuschätzen. Bei der Leistungseinschätzung des Lehrers ergibt sich für die gesamte Erhebung ein gewogener Median von 1,5. Die Lehrereinschätzung zeigt, dass die Vermutung, die Schüler könnten vor extremen Bewertungen zurückschrecken, als Erklärung für das beobachtete Ergebnis nahe an der Skalenmitte nicht herangezogen werden kann. Die Werte legen vielmehr den Schluss nahe, dass den Schülern eine abgewogene selbstkritische Einschätzung der Situation möglich ist. Leistungseinschätzung 1234567 Alle Klassen, Gruppierter Median (12) Meine Anstrengungen bei dem/der Lehrer(in) klein (7) im Unterricht sind: groß (1) (16) Wenn der/die Lehrer(in) gefragt leistungs würde, würde er/sie schwach (7) mich einschätzen als: leistungsstark (1) (33) Im Unterricht bei dem/der leistungs- Lehrer(in) finde ich schwach (7) unsere Klasse: leistungsstark (1) Abb.: Leistungseinschätzung Schüler. 166 Die Skala lässt Werte zwischen 1 und 7 zu. Die Skalenmitte liegt bei: (1+7)/2 = 4. - 219 6.2 Mono- und Multipräferenzen auf Klassenebene bei der Lehrerbenennung Die Abbildung ‚Häufigkeit der Lehrernennung in der Klasse’ (S. 221) beschreibt en détail das Ergebnis der Lehrerbenennungen durch die Schüler. Zunächst fällt die Vielzahl von Einzelnennungen auf, die für individuelle Präferenzstrukturen der Schüler sprechen und gegen den Einfluss von Meinungsbildungsprozessen innerhalb der Klassengemeinschaft. Die in der Abbildung ‚Gemeinschaftsbezogene Aussagen’ (S. 223) zusammengefassten Datensätze der Erhebung zeigen in den Frageitems 9, 35, 46 und 47 mit gruppierten Medianen zwischen 2,2 und 2,6 innerhalb und außerhalb des Unterrichts eine Wertschätzung der Gemeinschaftssituation an, so dass die Basis für gemeinschaftliche Meinungsbildungsprozesse gegeben ist. Auf dieser Basis aufbauend, treten jedoch im Unterricht, wie Item 15 mit einem gruppierten Median von 5,2 deutlich macht, die Interaktionen mit dem Lehrer in das Zentrum der Bedeutung und Aufmerksamkeit der Schüler. Auch die Items 49 bis 51, die sich mit den Lernpräferenzen der Schüler auseinandersetzen, zeigen keine Bevorzugung individueller Lernprozesse (gruppierter Median 3,1) gegenüber Lernen in Gruppen (gruppierter Median 3,3). Allerdings ist auch hier eine leichte Präferenz zugunsten der Interaktion mit dem Lehrer festzustellen. Der Item ‚Lernen, wenn der Lehrer vorne steht und erklärt, bringt viel (1) / bringt wenig (7)’ weist einen gruppierten Median von 2,7 aus. Zusammenfassend entsteht der Eindruck, dass zwar Möglichkeiten zu gemeinsamen Meinungsbildungsprozessen gegeben sind und Gemeinschaftssituationen von den Schülern auch geschätzt werden, sie jedoch bei der Einschätzung des Lehrers nicht von zentraler Bedeutung sind. Hierfür erlangt die Interaktion mit dem Lehrer größere Aufmerksamkeit bei den Schülern, so dass bei der Lehrereinschätzung von individuellen Präferenzstrukturen ausgegangen werden kann. - 220 Abb.: Häufigkeit der Lehrernennungen (Teil 1: Häufigkeiten). Häufigkeit der Lehrernennungen in den Klassen (Teil 1: Häufigkeiten) Lehrername als Nummer: Lehrernennungen in den Klassen AM BS D KM MB MDP ML T VA Z 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 3 8 6 1 3 3 1 1 9 16 3 1 4 3 4 1 4 3 12 9 4 1 2 3 6 1 2 5 2 3 3 2 8 1 3 2 1 3 3 1 1 1 Summe Nennungen: 17 18 16 15 20 16 9 13 17 12 - 221 Abb.: Häufigkeit der Lehrernennungen (Teil 2: Auswertungen). Häufigkeit der Lehrernennungen in den Klassen (Teil 2: Auswertungen) Klassen: AM BS D KM MB MDP ML T VA Z Monopräferenzklassen: häufigste Nennung = 50% Anzahl Nennung: 9 16 12 9 6 Anteil in % 50% 100% 60% 56% 67% Multipräferenzklassen: häufigste Nennung deutlich < 50% Anzahl Nennung: 4 5 3 Anteil in % 27% 38% 25% Grenzfälle: häufigste Nennung nahe < 50% Anzahl Nennung: Anteil in % 8 47% 8 47% Interviewauswahl mit Lehrern: bis 50% der Schülernennungen der Klasse kumuliert sind: Lehrer23 24 11 16 nummern: + 34 20 32 + 27 26 3 19 + 33 12 + 21 Kumulierte % 82% 50% 100% 53% 60% 56% 67% 62% 47% 50% Bei gemeinschaftlichen Meinungsbildungsprozessen wären auch Meinungskonzentrationen im Sinne weniger Lehrernennungen innerhalb einer Klasse zu erwarten gewesen. Entsprechend starke Konzentrationen auf wenige Lehrernamen (1-3 Namensnennungen) sind bei drei von zehn Klassen (Klassen D, ML, AM)167 zu beobachten. Bei den übrigen Klassen schwankt die Anzahl der Lehrernennungen jedoch zwischen 4 und 7 Lehrernamen. 167 Hier kann auch Klasse MB hinzugerechnet werden, wenn man von der Einzelnennung zu Lehrer 9 absieht. Möglich erscheint auch die Klasse MDP mit vier Nennungen. Allerdings sprechen hier die Einzelnennung von Lehrer 28 und die Nennung von Lehrer 31 durch zwei Schüler eher für Einzelmeinungen als für Meinungsbildungsprozesse in Gruppen. - 222 Gemeinschaftsbezogene Aussagen 123456 7 Alle Klassen, Gruppierter Median (9) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) herrscht ein Gefühl der: Gemeinschaft (1) (15) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: Mitschüler treffen (1) (34) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß (1) (35) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist "Fun" und "Lockersein" für unsere Klasse: wichtig (1) (46) In der Schule sind für mich Pausen: wichtig (1) (47) In der Schule ist das Treffen von Mitschülern für mich: wichtig (1) (48) Lernen ist für mich: leicht (1) (49) Alleine lernen: bringt viel (1) (50) In Gruppen lernen: bringt viel (1) (51) Lernen, wenn ein Lehrer vorne steht und erklärt: bringt viel (1) Konkurrenz (7) Lehrer zuhören (7) klein (7) unwichtig (7) unwichtig (7) unwichtig (7) schwer (7) bringt wenig (7) bringt wenig (7) bringt wenig (7) Abb.: Gemeinschaftsbezogene Aussagen. - 223 Trotz der breiten Streuung in den Nennungen zeichnen sich zum Teil jedoch eindeutige Konzentrationen bei Einzelpersonen ab. Im zweiten Teil der Übersicht168 werden Klassen mit Meinungskonzentrationen über 50% bei einer Person als Monopräferenzklassen bezeichnet. Dieser Kategorie sind fünf von zehn Klassen zuordenbar. Allerdings liegen auch bei drei dieser Klassen die Meinungskonzentrationen zwischen 50 und 60 Prozent, so dass eher eine schwache Monopräferenz zu konstatieren ist. Deutlich atomistische Strukturen bei der Benennung ‚guter’ Lehrer weisen drei Klassen auf. Sie werden als Multipräferenzklassen bezeichnet. Mit Meinungskonzentrationen zwischen 25% und 38% auf den am häufigsten benannten Lehrer sowie Benennungen von 5 bis 7 unterschiedlichen Lehrern je Klasse, treten hier sehr deutlich individuelle Präferenzstrukturen der Schüler zu Tage. Zwei Klassen (AM und VA) bilden Grenzfälle. Sie lassen sich zunächst nicht der Mono- oder Multipräferenzstruktur zuordnen. Beide weisen eine Meinungskonzentration von 47% bei dem am häufigsten benannten Lehrer aus. Damit liegen sie nahe am 50%-Wert der Multipräferenzstruktur. Allerdings ist in der VA-Klasse eine Konzentration der Nennungen auf Lehrer 12 bei gleichzeitig sehr geringen Konzentrationen von Nennungen auf die übrigen vier nominierten Lehrer zu verzeichnen, wie es für Monopräferenzklassen charakteristisch ist. Bei der AM-Klasse wiederum zeigt sich das Charakteristikum von Multipräferenzklassen, auch wenn nur drei Lehrer nominiert sind. Charakteristisch für Multipräferenzklassen ist die relativ gleiche Verteilung der Nennungen auf die nominierten Personen.169 Für den zweiten Erhebungsteil der Studie, jeweils ein Interview mit dem besonders häufig durch eine Klasse benannten Lehrer, entsteht für die Multipräferenzklassen die Notwendigkeit, mehrere Lehrerinterviews durchzuführen. Ziel ist es, die Mehrheit der Schülermeinungen auch in Lehrerinterviews widerspiegeln zu können. In diesem Sinne sind 14 Lehrer um Interviews gebeten worden. Sie spiegeln 96 von 153 (=62,7%) Schülermeinungen.170 168 Vgl. Abb.: Häufigkeit der Lehrernennungen (Teil 2: Auswertungen), S. 222. 169 Für die AM-Klasse: Lehrer 23 (47%), Lehrer 34 (35%), Lehrer 15 (18%) ähnlich einer typischen Multipräferenzklasse: Z-Klasse: Lehrer 15, 21 je 25%, Lehrer 7 mit 17% und Lehrer 14, 22, 32, 35 mit je 8%. Im Vergleich hierzu eine Monopräferenz klasse: MB-Klasse: Lehrer 26 (60%), 13 (20%), 24 (15%), 9 (5%). Deutlich wird hier das große Gefälle zwischen dem Erstbenannten und dem Nächstfolgenden in den Monopräferenzklassen. 170 Ein Interviewpartner hat der Interviewbitte nicht entsprochen. Aus organisatorischen Gründen – die Anonymität des nachnominierten Lehrers hätte in der Schule nicht gewährleistet werden können – ist auf ein weiteres Interview verzichtet worden. - 224 6.3 Präferenzvermutungen aus personen-, funktions- oder fachbezogenen Merkmalen bei der Lehrerbenennung In den Schülerfragebögen sind 16 (46%) weibliche und 19 (54%) männliche Lehrer von den Schülern als ‚gute’ Lehrer benannt worden. Dabei entfallen 41% der Schülerantworten auf Lehrerinnen. Eine geschlechtsbezogene Präferenz ist in den Schülervoten nicht erkennbar.171 Ebenso wenig kann aus den Schülervoten auf eine Präferenz für jüngere bzw. ältere Lehrer geschlossen werden. Auch für das Dienstalter, das Ausdruck für Erfahrung sein könnte, lassen sich keine Präferenzen erkennen. Bei den 13 interviewten Lehrern sind ein Referendar, zwei jüngere Lehrer und zwei Lehrer nahe dem regulären Pensionsalter interviewt worden. Die übrigen Interviewpartner verteilen sich auf die mittleren Altersgruppen. In den Leitfäden zu den Lehrerinterviews ist eine Ermittlung funktions- oder fachbezogener Merkmale nicht vorgesehen. Während der Auswertung der Interviews hat sich jedoch gezeigt, dass in den Klassen, die die Lehrer benannt hatten, vier Lehrer Klassenlehrer- oder Klassenlehrervertreterfunktion ausüben, ein Lehrer eine Leitungsfunktion für die Berufsgruppe innehat, drei Lehrer keine Zusatzfunktion erfüllen und aus fünf Interviews diesbezüglich keine Information entnommen werden konnte. Fachbezogen unterrichten elf Lehrer in Lernfeldern172, ein Lehrer Wirtschaft und ein Netto sind daher 92 von 153 (=60,1%) der Schülermeinungen in Lehrerinterviews repräsentiert. 171 Durch die Auswahlregel für die Lehrerinterviews, mit der mindestens 50% der Schülermeinungen in Interviews erfasst werden sollen, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen der Anzahl der interviewten Lehrer. Für die Interviews sind aufgrund obiger Auswahlregel vier weibliche und neun männliche Lehrer interviewt worden. Ein männlicher Lehrer hat dem Interviewwunsch nicht entsprochen. 172 Lernfelder werden durch Zielformulierungen, inhaltliche Rahmenformulierungen und Zeitvorgaben als thematische Einheiten beschrieben. In der Formulierung orientieren sie sich an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen. (vgl. KMK (1996) S. 14) 1996 wurde das Lernfeldkonzept für den schulischen Teil der Berufsausbildung durch die KMK für verbindlich erklärt (vgl. KMK (1996)). Die Lernfelder werden durch die Kollegien vor Ort in Lernsituationen präzisiert und umgesetzt. (vgl. zu Umsetzungskonzepten exemplarisch Brandt, M. (2003), Brandt, M. (2005), Buck, J. (2004)) Implementationsstrategien, -realitäten und -probleme des Lernfeldkonzepts reflektiert Clement, U. (2002) auf empirischer Basis anhand von Erfahrungsberichten an gewerblichen Schulen in Baden-Württemberg. Nach der Variantenbeschreibung bei Clement (vgl. Clement, U. (2002) S. 3840) ist die hier untersuchte Schule dem Typ c zuzuordnen, d.h. die Schule übernimmt nicht nur die Lernfeldstruktur in den Stundenplan, sondern teilt auch die Lehrkräfte einzelnen Lernfeldern zu. Fachliche Grundlagen werden so innerhalb der - 225 Lehrer Sozialkunde. Alle befragten Klassen sind in Lernfeldern unterrichtet worden. Lernfelder heben den herkömmlichen Unterricht nach Fächern auf. Sie integrieren die berufsbezogenen Fächer der Ausbildung innerhalb der Lernfelder. Aufgrund des hohen Unterrichtsstundenvolumens der Lernfelder, das in der Regel auch mit großen Zeitvolumina der Lernfeldlehrer einhergeht, könnte ein Anhaltspunkt gegeben sein, dass berufsbezogene Fachlehrer von den Schülern bevorzugt benannt worden sind. Da allerdings alle fünf Funktionsträger auch gleichzeitig berufsbezogene Fachlehrer sind, kann das Schülervotum nicht eindeutig als Auswahl mit Berufsbezug interpretiert werden. Eine zeitliche Präferenz, die sich aus der Dauer des Unterrichtseinsatzes in der Klasse ergeben würde, ist nicht erkennbar. Von den interviewten Lehrern hatten drei Lehrer drei Jahre Unterricht in der sie benennenden Klasse, drei Lehrer zwei Jahre, vier Lehrer ein Jahr.173 Bemerkenswert ist hingegen, dass sowohl der Sozialkundelehrer als auch der Wirtschaftskundelehrer lediglich im zweiten Ausbildungsjahr Unterricht in der sie benennenden Klasse gegeben haben. Die Befragung der Schüler hat jedoch erst im dritten Ausbildungsjahr stattgefunden. Dies spricht zum einen dafür, dass die Voten der Schüler vor einem Horizont stattfinden, der über das aktuelle Schuljahr hinausreicht. Zum anderen liefert die nachhaltige Erinnerung der Schüler an diese Lehrer ein Indiz dafür, dass der Berufsbezug des vertretenen Unterrichtsfachs für das Schülervotum nicht ausschlaggebend ist. Lernfelder vermittelt. In der Regel wird ein Lernfeld von Lehrerteams (2-5) Lehrern unterrichtet (vgl. Clement, U. (2002) S. 36 mit 2-4 Lehrern als Realerfahrung, Szewczyk, M. u.a. (2002) S. 21 mit 2-5 Lehrern als konzeptioneller Idee). 173 Bei drei Lehrern konnte die Dauer des Kontakts aus den Interviews nicht ermittelt werden. - 226 7 Ergebnisse der Schülerbefragung 7.1 Darstellungsstruktur der Ergebnisse der Schülerbefragung Im Thementeil Zwischenergebnis zur Lehrerwahl ist deutlich geworden, dass sich die befragten Klassen in zwei Gruppen einteilen lassen. Dies ist zum einen eine Gruppe von 6 Klassen, die relativ eindeutig einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt haben. Diese Klassen sind als Monopräferenzklassen bezeichnet worden. Zum anderen ist es eine Gruppe von 4 Klassen, die eine Vielzahl von Lehrern als ‚gute’ Lehrer benannt haben. Im Folgenden sind sie als Multipräferenzklassen bezeichnet worden. Multipräferenzklassen ermöglichen die Untersuchung unterschiedlicher Präferenzen innerhalb einer Probandengruppe, für die im schulischen Bereich identische Rahmenbedingungen vorliegen. Schulstandort und -ausstattung, Schulklima, Lernfelder und Fächer, der Lehrereinsatz in der Klasse sowie die Inhalte, Methoden und Medien der Unterrichtsführung etc. sind für die Schüler identisch. Dennoch gelangen sie zu unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich ‚guter’ Lehrer. In der Darstellung der Ergebnisse der Schülerbefragung werden daher zunächst die Multipräferenzklassen untersucht. Anschließend werden die dort ermittelten Ergebnisse mit entsprechenden Ergebnissen der Monopräferenzklassen verglichen. Im Sinne klassischer Forschungsstrategien könnte das Vorgehen ‚bedingt geeignet’ sein, die Reliabilität des Ansatzes zu überprüfen. Lediglich ‚bedingt geeignet’ ist es, da zur Konstruktion der Kontrollsituation im Wahlverhalten der Monopräferenzklassen möglicherweise die Ceteris-paribus- Bedingung durchbrochen ist174. Im Sinne konstruktivistischen 174 Im übertragenen Sinne könnte von einer Reliabilitätsprüfung nach dem Test-Retest- Prinzip gesprochen werden (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 217-219). Abweichend vom Test-Retest-Prinzip wird die Probandengruppe jedoch in eine Versuchs- und Vergleichsgruppe aufgespalten, so dass keine echte Wiederholung des Testes durchgeführt wird. Die Halbierung erfolgt dabei jedoch nicht zufällig, was lediglich die Grundgesamtheit der Stichprobe reduzieren würde, sondern entsprechend dem Kriterium Wahlverhalten (Mono-/Multipräferenz). Durch die gezielte Halbierung könnte eine Testwiderholung simuliert werden und im Vergleich der Teilergebnisse auf die Reliabilität geschlossen werden. Allerdings induziert die gezielte Halbierung anhand des Wahlverhaltens der Probanden einen Verstoß gegen die Ceteris-paribus-Bedingung. Zwar ist das ermittelte Wahlverhalten ein Ergebniskriterium, doch könnte vermutet werden, dass sich das Ergebnis aufgrund spezifischer Ausgangsbedingungen der Schüler ergibt. Es könnte aber auch auf Bedingungen der Lehrer zurück - 227 Forschens ist jedoch gerade aufgrund des unterschiedlichen Wahlverhaltens der Monopräferenzklassen für den Forscher ein Perspektivwechsel bzw. eine Perspektivverschiebung in der Beobachterperspektive möglich. Das Verlassen der Beobachterperspektive hingegen ist für den Forscher unmöglich, so dass eine gewonnene Beobachtung in ihrer Repräsentativität für ähnliche Interaktionszusammenhänge ihre Bedeutung gewinnt. Dadurch können mögliche Wirkungspotentiale der Beobachtung auf Handlungsspielräume bei der Wirklichkeitskonstruktion der handelnden Subjekte hervortreten (vgl. Moser, S. (2004) S. 10-11, 21). (vgl. Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 228,-229, 259-265) zuführen sein. Wäre ersteres der Fall, würde bei der gezielten Halbierung gegen die Ceteris-paribus-Bedingung verstoßen. - 228 7.2 Ergebnisse der Multipräferenzklassen 7.2.1 Ergebnisermittlung und Bildung zweier Lehrergruppen Mit einem Fragebogen sind den Schülern 61 Differentiale vorgelegt worden, die sie, bezogen auf den Unterricht eines von ihnen benannten Lehrers, einzuschätzen hatten. Der Fragebogen folgt konzeptionell einem Drei-Ebenen-Modell, das sich an die sozialkonstruktivistische Dialektik anlehnt und mit unterschiedlicher perspektivischer Distanz die Schülerwirklichkeit und die Interaktion mit dem Lehrer untersucht. In den Multipräferenzklassen sind in einem ersten Auswertungsschritt die beiden von den Schülern am häufigsten benannten Lehrer identifiziert worden. Je Lehrer sind dann aus den Schülerfragebögen, die ihn benannt hatten, für alle Differentiale gruppierte Mediane gebildet worden, so dass je Lehrer ein Profilbild entstanden ist, das Aussagen zum Lehrer und zu den Schülern, die diesen Lehrer benannt haben, enthält. Im zweiten Auswertungsschritt sind für die beiden untersuchten Lehrer einer Klasse für jedes Differential die Spannweiten zwischen ihren gruppierten Medianen ermittelt worden. Hier konnten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Profilen innerhalb einer Klasse beobachtet werden. Unter Hinzuziehung eines Polaritätenprofils, das aus allen Schüleraussagen der Untersuchungsgesamtheit gebildet wurde und quasi einen fiktiven Lehrer aller 153 befragten Schüler darstellt, konnten Besonderheiten in der Klassensituation, im Sinne von größeren Abweichungen vom fiktiven Lehrerprofil, wahrgenommen werden. Im dritten Auswertungsschritt sind die Multipräferenzklassen miteinander verglichen worden. Der graphische Vergleich der Polaritätenprofile hat sich als äußerst unübersichtlich erwiesen. Mit acht Lehrerprofilen und einem fiktiven Lehrerprofil, das aus allen Profilen gebildet wurde, war eine adäquate Darstellung graphisch nicht mehr möglich. Der Vergleich der Spannweiten der gruppierten Mediane hingegen zeigt deutliche Ergebnisse. Aufgrund der verwendeten Ordinalskala ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, dass die Zahlen der Spannweite lediglich die Ausprägung des Merkmals reflektieren. „Gleiche Differenzen zwischen den Zahlen implizieren nicht gleiche Differenzen in den Merkmalsausprägungen“ (Diehl, J.; Kohr, H. (1999) S. 14) Aus diesem Grund sind im Vergleich der Multipräferenzklassen gleichgerichtete Differenzentwicklungen untersucht worden. So konnten zwei Lehrergruppen identifiziert werden, für die in 18 Differentialen gleiche Entwicklungen beobachtet werden konnten. D.h. wenn ein Lehrer der Lehrergruppe A den niedrigeren Wert im Differential gegenüber dem Lehrer der Gruppe B - 229 hatte, so traf dies auch für die übrigen Lehrer der Gruppe A im Vergleich zu den Lehrern der Gruppe B zu.175 Im Vorgriff auf die nachfolgenden Ergebnisdarstellungen kann als wesentliches Unterscheidungskriterium in den Schülervoten für die beiden Lehrergruppen eine unterschiedliche Schülerorientierung konstatiert werden. Für eine Schülergruppe ist ein beruflich-fachliches Interesse feststellbar, für das die von diesen Schülern benannten Lehrer entsprechende Lernangebote bereitstellen. Die andere Lehrergruppe hingegen stellt Informationsangeobte für Interessensgebiete bereit, die dem außerberuflich- persönlichen bzw. privaten Lebensbereich der Schüler zugeordnet werden können und von den Schülern, die diese Lehrer benannt haben geschätzt werden.176 Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick zu der Gruppeneinteilung der Lehrer in den Multipräferenzklassen. Abb.: Multipräferenzklassen, Zuordnung der primär bedeutsamen Lehrerorientierungen. Lehrergruppe Klasse AM Klasse KM Klasse T Klasse Z Außerberuflich- persönliche Orientierung AM 23 Zoll KM 24 Dressel T 33 Franke Z 16 Ackermann Beruflich- fachliche Orientierung AM 34 Lotz KM 27 o.I.177 T 11 Pach Z 21 Blank Die Zuordnung der Lehrer zu den beiden Lehrergruppen nach ihrer primären Bedeutsamkeit aus Schülerperspektive besagt jedoch nicht, dass die Lehrer sich notwendigerweise ausschließlich in dem Bereich engagieren müssen, dem sie in der Tabelle zugeordnet sind. Wie später noch am Beispiel AM 34 (Lotz) zu zeigen ist, ist auch ein großes Engagement in beiden Bedeutungsfeldern möglich. 175 In wenigen Fällen sind auch gleiche Werte eines Lehrers der Gruppe A zu seinem Pendant in der Gruppe B beobachtbar. 176 Die Lehrer mit Informationsangeboten zum außerberuflich-persönlichen Bereich ergänzen in der Regel innerhalb ihres Unterrichts das reguläre Unterrichtsangebot um diese Informationsangebote. 177 Die Tabelle zeigt die verwendeten Lehrerkürzel bei der Auswertung der Schülerfragebögen und die zugehörigen Pseudonyme der Lehrerinterviews. ‚o.I.. bedeutet hier, dass ein Interview nicht vorliegt. - 230 7.2.2 Ergebnisse der Makro-Perspektive – Objektivierung Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive erfolgt die Sozialisation eines Menschen in die Gesellschaft in einem dreischrittigen dialektischen Prozess aus Objektivierung, Internalisierung und Externalisierung. Auf der Ebene der Objektivierung lernt das Subjekt bestehende gesellschaftliche Wirklichkeitsbestimmungen kennen, die es auf der Ebene der Internalisierung in einem individuellen Aneignungsprozess für sich sinnhaft erschließt, um auf der Ebene der Externalisierung entsprechend seinem subjektiv erschlossenen Sinnzusammenhang im gesellschaftlichen Kontext zu handeln. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 65-66, 139-142) Das individuelle Ergebnis der Sozialisation ist dabei eine Mischung aus gesellschaftlich zugewiesener und individuell angeeigneter Identität. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 142) In der Makro-Perspektive der vorliegenden Studie wird die sozialkonstruktivistische Perspektive der Objektivierung untersucht. Für die Schüler-Lehrer-Interaktion als Externalisierung in einer konkreten Situation bedeutet dies, dass die subjektiv sinnhaften gesellschaftlichen Kontexte der Situation erhellt werden. Dies geschieht im Folgenden für die Schülerperspektive. Wie weiter oben beschrieben, konnten in der Schülerbefragung für zwei Lehrergruppen 18 Differentiale mit gleichgerichteter Orientierung in den Schülerantworten identifiziert werden. Davon sind 9 Differentiale der Makro-Ebene zuzuordnen. Die Abbildung ‚Multipräferenzklassen, Makro- Ebene, Schüleraussagen’ zeigt die gruppierten Mediane für die Gruppe der fachorientierten und die Gruppe der sozialorientierten Lehrer sowie einen gruppierten Median, der sich aus beiden Lehrergruppen ermitteln lässt. Besonders signifikant ist die Spannweite der Schüleraussagen bei der Frage nach Problemen im Betrieb (Frage 55). Hier ergibt sich die größte beobachtete Spannweite.178 Schüler, die einen Lehrer mit fachlicher Orientierung als ‚guten’ Lehrer benennen, sehen für sich in der Ausbildungszeit nur wenige Probleme in ihren Betrieben. Schüler, die einen sozialorientierten Lehrer als ‚guten’ Lehrer benennen, sehen für sich deutlich häufiger Probleme während ihrer Ausbildungszeit. Zwar wird auch hier ein mittlerer Wert auf der Ordinalskala erreicht, so dass nicht von einer extremen Belastung des Ausbildungsverhältnisses ausgegangen werden kann, doch fällt die Einschätzung überaus deutlich hinter die Einschätzung der Schüler, die einen fachorientierten Lehrer benennen, zurück. 178 Bezogen auf die 18 Frageitems, bei denen eine gleichgerichtete Orientierung zu beobachten ist. - 231 Makro-Ebene Schüleraussagen zu Lehrern 1234567 (40) Der berufliche Unter- richt in der Schule ist: zu wenig (7) zu viel (1) (44) Für meine Zukunft ist das Schulzeugnis: unwichtig (7) wichtig (1) (45) Für meine Zukunft ist der Gesellenbrief: unwichtig (7) wichtig (1) (46) In der Schule sind für mich Pausen: unwichtig (7) wichtig (1) (48) Lernen ist für mich: schwer (7) leicht (1) (54) Rückblickend gab wenige es für mich in der Schule: Probleme (7) viele Probleme (1) (55) Rückblickend gab wenige es für mich im Betrieb: Probleme (7) viele Probleme (1) (56) Meinen Ausbildungsmusste ich beruf: habe ich mir nehmen (7) gewünscht (1) (57) Meinen Ausbildungsganz anders beruf habe ich mir: vorgestellt (7) genau so vorgestellt (1) Abb.: Multipräferenzklassen, Makro-Ebene, Schüleraussagen. Der Berufsbildungsbericht 2006179 wie auch Rose180 und Schöngen181 benennen als Gründe für Ausbildungsabbrüche in sehr großem Maße in Spannungen im betrieblichen Ausbildungsverhältnis. Hier besteht eine 179 Vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 121. 180 Vgl. Rose, P. u.a. (2003) S. 4. Dort werden 70% der Vertragslösungen auf betriebliche Gründe zurückgeführt. 181 Vgl. Schöngen, K. (2003) S. 36. Auch dort werden in 70% der Fälle betriebliche Gründe als Ursachen für Vertragslösungen benannt. Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median - 232 Parallele zu obigem Ergebnis. Berücksichtigt man den Umstand, dass an der Studie ausschließlich Auszubildende aus dem dritten Ausbildungsjahr teilgenommen haben und dadurch eine Positivselektion in der Studie vorliegt, gewinnt die sozialorientierte Lehrerbenennung der Schüler eine noch größere Bedeutung. Zwar betreffen 60% der Vertragslösungen das erste Ausbildungsjahr, doch ein Viertel der Lösungen berührt das zweite Ausbildungsjahr und knapp 10% der Lösungen finden kurz vor den Abschlussprüfungen statt. (vgl. Schöngen, K. (2003) S. 35) Insbesondere die späten Vertragslösungen führen die Jugendlichen in Probleme. Gerade 30% der Vertragslöser im dritten Ausbildungsjahr münden in einen neuen Ausbildungsvertrag ein. (vgl. Schöngen, K. (2003) S. 36) Besonders betroffen sind Jugendliche mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss, die nach der Vertragslösung ihre Ausbildung zu 35% bzw. 53% endgültig abbrechen182. Hierunter sind wiederum überproportional viele männliche Jugendliche. (vgl. Schöngen, K. (2003) S. 36) Aus der betrieblichen Problemlage der Jugendlichen nun den Schluss zu ziehen, dass die betriebliche Situation ursächlich für die Problemlage ist, scheint zumindest voreilig. (vgl. Bohlinger, S. (2002) S.50) Die Schülerantworten zu den Fragen 54183, 56184 und 57185 zeichnen hier möglicherweise ein anderes Bild. Die Antworten zu Frage 54 zeigen, dass die Schüler, die sozialorientierte Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt haben, neben den betrieblichen Problemen auch größere schulische Probleme für sich sehen als Jugendliche, die einen fachorientierten Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt haben. Dabei scheiden nach Frage 48186 in der Schülerselbsteinschätzung Lernschwierigkeiten als Ursachen für die Problemlagen aus. Hier liegen die Selbstaussagen beider Schülergruppen sehr eng, mit geringem Vorteil für die fachorientierten Schüler, beieinander. Deutliche Differenzen zwischen den Schülergruppen zeigen sich bei den Aussagen zur Berufswahl (Frage 56) und den Vorstellungen über den Beruf (Frage 182 Die Quote der Vertragslösungen erfasst Personen, die ihren Ausbildungsvertrag lösen. Sie unterscheidet jedoch nicht zwischen Personen, die wieder einen neuen Vertrag schließen, und denen, die endgültig ihre Ausbildung abbrechen. ‚Echte Ab brecher’ werden bei 6,6-10% der in einem Jahr neu abgeschlossenen Ausbildungs verträge erwartet. (vgl. Schöngen, K. (2003) S. 38) Zur statistischen Problematik der Berechnung der Vertragslösungen vgl. Althoff, H. (2002) S. 52-54.183 Frage 54: Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme / wenige Probleme. 184 Frage 56: Meinen Ausbildungsberuf: habe ich mir gewünscht / musste ich nehmen. 185 Frage 57: Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt / ganz anders vorgestellt. 186 Frage 48: Lernen ist für mich: leicht / schwer. - 233 57). Bei der Berufswahl machen die Jugendlichen, die einen sozialorientierten Lehrer gewählt haben, deutlich, dass die Berufswahl offensichtlich weniger ihren Wünschen entspricht als die der Jugendlichen, die einen fachorientierten Lehrer präferieren. Auch die Realitäten ihres Ausbildungsberufs entsprechen eindeutig weniger ihren Vorstellungen. In der Gesamtschau ist der Schluss nahe liegend, Schwierigkeiten und Enttäuschungen in der Berufswahl als Ursache für betriebliche und berufsschulische Probleme zu identifizieren. Unter sozialkonstruktivistischer Perspektive betrachtet sind die Jugendlichen mit der Berufsausbildung in einen Prozess der Sekundärsozialisation eingetreten, der die Internalisierung und subjektive Identifikation mit spezifischen Wissensbeständen, Handlungsweisen und Auffassungen von den Jugendlichen verlangt. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 148150) Den Jugendlichen mit fachlicher Lehrerorientierung gelingt aufgrund ihrer positiven Zugangsperspektive eine deutlich intensivere Sozialisation in ihren Beruf. Demgegenüber starten die Jugendlichen mit sozialer Lehrerorientierung mit einer enttäuschten Zugangsperspektive, die zu einer deutlich kritischeren Auseinandersetzung mit dem Beruf führt. Dies kann zu einer Identifikation im Sinne eines Teil-Selbst führen, d.h. die Jugendlichen behalten eine größere Distanz zwischen ihrer beruflichen Wirklichkeit und der Wirklichkeit ihrer privaten Identität. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 153) Entsprechend ihrer jeweiligen primären Sozialisationsperspektive suchen die Jugendlichen nach unterschiedlichen Wissensbeständen, um die neuen Anforderungen internalisieren zu können. Für sie sind daher die Lehrer signifikant, die ihnen bei ihrer subjektiven Sozialisationsaufgabe Unterstützung bieten können. Dass die Schüler einen ausgeprägten Willen zur gesellschaftlichen Integration haben, zeigen die Schülerantworten zu den Fragen 44187 und 45188. Sowohl die außerberuflich-persönlich orientierten als auch die fachorientierten Schüler messen dem Gesellenbrief äußerst große Bedeutung für ihre Zukunft zu. Gleiches gilt mit geringen Abstrichen auch für das Schulzeugnis. Bemerkenswert hierbei ist, dass beim Gesellenbrief und noch deutlicher beim Schulzeugnis die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler beidem eine größere Bedeutung für ihre Zukunft zumessen als die fachorientierten Schüler. Die größere Bedeutung des Schulzeugnisses kann aus einer größeren Distanz der außerberuflich-persönlich orientierten Schüler zu ihrem Ausbildungsberuf herrühren. Neben den oben schon benannten Irritationen in der Berufswahl wird diese Aussage auch 187 Frage 44: Für meine Zukunft ist das Schulzeugnis: wichtig / unwichtig. 188 Frage 45: Für meine Zukunft ist der Gesellenbrief: wichtig / unwichtig. - 234 durch die Antwort auf die Frage 40189 gestützt. Dort geben die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler, im Vergleich zu den fachorientierten Schülern, häufiger an, dass sie die beruflichen Anteile am Schulunterricht für zu groß bemessen halten. In Verbindung mit dem Befund von Grossmann / Meyer190, die ausführen, dass das Handwerk über den eigenen Bedarf ausbildet und in die Funktion eines Zulieferers von Facharbeitern für die Industrie und den Dienstleistungssektor tritt, ist zu schließen, dass die außerberuflich-persönlich orientierten Jugendlichen berufliche Wechselabsichten hegen. Vor dem Hintergrund entsprechender Absichten gewinnt das Schulzeugnis gegenüber dem Gesellenbrief für die Jugendlichen an Bedeutung, da potentielle fach- und branchenfremde Arbeitgeber den fachlichen Aspekten des Gesellenbriefes notwendigerweise geringere Bedeutung zumessen müssen. 7.2.3 Ergebnisse der Meso-Perspektive – Internalisierung Im vorangegangenen Gliederungspunkt wurden aus der Schülerperspektive die subjektiv sinnhaften gesellschaftlichen Kontexte der Schüler-Lehrer- Interaktion untersucht. Dem dreischrittigen dialektischen Prozess sozialkonstruktivistischer Sozialisation folgend, untersucht die Meso-Perspektive die Internalisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit durch das Subjekt. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 140) Grundlegend für die Internalisierung ist das Verstehen der Welt des Anderen. Es entsteht eine gleichgerichtete Wirklichkeitsinterpretation, so dass die Bedeutung von Situationen intersubjektiv verbunden werden kann. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 140) Für die Schüler-Lehrer-Interaktion gilt es hier, die Situation ‚Unterricht’ in ihrer Bedeutung für die Schüler zu untersuchen. Die Situation Unterricht ist das Bindeglied zwischen den gesellschaftlichen Kontexten191 und dem Handeln der beteiligten Personen in der Situation192. In der vorliegenden Studie konnten für die Multipräferenzklassen 18 Differentiale mit gleichgerichteter Orientierung der Schülerantworten identifiziert werden. Davon beziehen sich 4 Differentiale auf die Meso-Perspektive. Die Abbildung ‚Multipräferenzklassen, Meso-Ebene, Schüleraussagen’ auf S. 236 zeigt die gruppierten Mediane für die Gruppe der fachorientierten und die Gruppe der sozialorientierten Lehrer sowie einen gruppierten Median, der sich aus beiden Lehrergruppen ermitteln lässt. 189 Frage 40: Der berufliche Unterricht in der Schule ist: zu viel / zu wenig. 190 Vgl. Grossmann, S.; Meyer, H. (2002) S. 27. 191 Vgl. Makro-Perspektive. 192 Vgl. Mikro-Perspektive. - 235 Aus der Schülerperspektive knüpfen die Einschätzungen der sozial- und der fachorientierten Schüler bei Frage 23193 an die Aussagen beider Schülergruppen auf der Makro-Ebene an. Die fachorientierten Schüler stimmen mit einem extrem deutlichen Votum der Nützlichkeit des Unterrichts bei dem von ihnen präferierten Lehrer für ihre spätere Berufspraxis zu. Damit entsteht eine deutliche Anknüpfung an die zufriedenen beruflichen Einschätzungen dieser Schüler auf der Makro-Ebene.194 Gleichzeitig bedeutet dies, dass der durch den Lehrer gewählte thematische Situationsbezug der fachlichen Orientierung der Schüler, die ihn gewählt haben, entspricht, so dass eine übereinstimmende Situationsbestimmung vorliegt. Meso-Ebene Schüleraussagen zu Lehrern 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter MedianSozialorientierte Lehrer, Gruppierter MedianAlle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere nutzlos (7) Berufspraxis: nützlich (1) (34) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind klein (7) Leistungsunterschiede in der Klasse: groß (1) (35) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist "Fun" und "Locker- unwichtig (7) sein" für unsere Klasse: wichtig (1) (38) Im Unterricht ist das Verhalten des/der streng (7) Lehrer(in): locker (1) Abb.: Multipräferenzklassen, Meso-Ebene, Schüleraussagen. 193 Frage 23: Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich / nutzlos. 194 Vergleiche dort die Einschätzungen der fachorientiert wählenden Schüler zu den Fragen 55-57. - 236 Eine entsprechende Übereinstimmung zwischen Makro- und Meso-Ebene lässt sich auch für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler feststellen. Bei der Einschätzung der berufspraktischen Nützlichkeit des Unterrichts der von ihnen präferierten Lehrer liegen sie in ihrer Einschätzung sehr deutlich hinter der Einschätzung der fachlich orientierten Schüler, so dass für sie ein subjektiver Sinnbezug außerhalb beruflicher Orientierungen deutlich wird. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler einen berufspraktischen Bezug des Unterrichts bei den von ihnen gewählten Lehrern herstellen. Hierfür können zwei Ursachen in Betracht gezogen werden. Zum einen ist auf der Makro-Ebene auch für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler eine herausragende Bedeutung des Gesellenbriefs und des Schulzeugnisses deutlich geworden, so dass berufsfachlichen Unterrichten als Grundlage der Notengebung auch in ihrer Perspektive hohe Bedeutung zukommen muss. Über die Prüfungsleistungen erlangen sie die Chance, ihren Entwicklungsabsichten entsprechende Möglichkeiten zu eröffnen. Die Entwicklungsabsichten sind bei den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern allerdings eher als eine berufliche Wechselabsicht zu konstatieren. Damit erlangen berufliche Unterrichtsinhalte Bedeutung als Mittel für einen Zweck, nicht jedoch als Selbstzweck. Sie werden zum notwendigen Vehikel, um Voraussetzungen für eine Umorientierung schaffen zu können. Zum anderen zeigt ein Blick in das Datenmaterial der Lehrerinterviews, dass zwei der vier sozialorientierten Lehrer in den Klassen im berufsfachlichen Lernfeldunterricht eingesetzt sind. Dies unterstützt die obige Argumentation. Die beiden anderen Lehrer unterrichten Sozialkunde und Wirtschaftslehre in ihren Klassen. Bei den Lehrern im Lernfeld müssen notwendigerweise – rein aus den Vorgaben der Lehrpläne heraus – berufsfachliche Unterrichtsinhalte gegenüber sozialen Orientierungshinweisen im Vordergrund des Unterrichts stehen. Dadurch werden auch die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler eine Nützlichkeit dieser Inhalte in der Berufspraxis wahrnehmen können. Hier entwickelt die Untersuchungsfrage für Fachlehrer mit sozialer Orientierung eine Unschärfe, die zu einer nützlichkeitsbejahenden Antwort der Schüler beitragen kann. Im Vorgriff und in Verbindung zur Mikroebene wird in diesem Zusammenhang auch auf die Antworten auf Frage 14195 verwiesen. Dort konnten die Schüler ihr Interesse am Unterricht zwischen den Polen ‚berufliche Interessen’ und ‚persönliche Interessen’ kenntlich machen. Auch hier sind für die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler persönliche Interessen deutlich 195 Frage 14: Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen / persönliche Interessen (vgl. S. 241). - 237 klarer artikuliert als bei fachlich orientierten Schülern. Allerdings ist auch hier bei den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern ein berufliches Interesse feststellbar. Dieser Befund mindert die Bedeutung der Unschärfevermutung obiger Argumentation ab, zugunsten der Interpretation der Interessenkongruenz zwischen Schulnoten und Entwicklungsabsicht bei den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern. Neben die bisher erfolgte kognitiv-intentionale Beschreibung der Bedeutung der Unterrichtssituation für die Schüler tritt für die Beschreibung einer gemeinsamen Wirklichkeitsinterpretation notwendigerweise auch eine affektiv-emotionale Situationsbeschreibung. Kognition und Emotion sind lediglich für externe Beobachter trennbare Teile der Wirklichkeit. Für das handelnde Subjekt hingegen sind beide Aspekte Bestandteile seiner Wirklichkeitsinterpretation. (vgl. Gergen, K. (2002) S. 143-144, 172-174) Hinweise auf die emotionalen Situationsinterpretationen liefern die Antworten zu den Fragen 34, 35, 38196. Für die fachorientierten Schüler werden im Vergleich mit den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern eher leistungsorientierte emotionale Situationsinterpretationen erkennbar. Die fachorientierten Schüler akzeptieren im Unterricht bei dem von ihnen genannten Lehrern eher Leistungsunterschiede (Frage 34). Die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler hingegen sehen bei den von ihnen benannten Lehrern deutlich kleinere Leistungsunterschiede in den Klassen. Die eher gemeinschaftsorientierte emotionale Position der außerberuflich-persönlich orientierten Schüler wird auch in Rückbezug auf die Makroebene der Untersuchung deutlich. Hier zeigen die außerberuflichpersönlich orientierten Schüler bei Frage 46197 eine Tendenz, Pausen (d.h. Möglichkeiten zu sozialen Kontakten mit anderen Schülern) zu nutzen in ihrer Bedeutung etwas höher einzuschätzen als fachorientierte Schüler. Auch ist für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler ein Gefühl des ‚Lockerseins’ (Frage 35) im Unterricht eminent bedeutsam. Zwar messen auch die fachorientierten Schüler diesem Gefühl eine positive Bedeutung zu, jedoch ist es bezogen auf ihre Lehrerpräferenz im Vergleich zu den Präferenzen der außerberuflich-persönlich orientierten Schüler minder wichtig. In die gleiche Richtung weist die emotionale Bindung zu den Lehrern. Frage 38198 macht deutlich, dass die von den außerberuflich 196 Frage 34: Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß / klein. Frage 35: Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist „Fun“ und „Lockersein“ für unsere Klasse: wichtig / unwichtig. Frage 38: Im Unterricht ist das Verhalten des/der Lehrer(in): locker / streng. 197 Frage 46: In der Schule sind für mich Pausen: wichtig / unwichtig. 198 Frage 38: Im Unterricht ist das Verhalten des/der Lehrer(in): locker / streng. - 238 persönlich orientierten Schülern benannten Lehrer sich durch ein lockeres Verhalten199 auszeichnen. Gleiches gilt auch für die von den fachorientierten Schülern benannten Lehrer, jedoch mit geringerer Ausprägung. Bei beiden Schülergruppen zeichnet sich im Gefühl des ‚Lockerseins’ sowohl im Handeln der Klasse wie auch im Handeln der benannten Lehrer ein gemeinsames bedeutsames Moment für die emotionale Situationsbeschreibung des Unterrichts ab. Sozial- und fachorientierte Schüler unterscheiden sich hier zwar graduell, jedoch nicht in der Eindeutigkeit der Tendenz. Die gemeinsame emotionale Wirklichkeitsinterpretation Unterricht wird jedoch nicht nur von den Schülern, die einen Lehrer benannt haben, und dem benannten Lehrer bestimmt, sondern sie wird von der ganzen Klassengemeinschaft und dem unterrichtenden Lehrer getragen. Diesem Umstand tragen die Fragen 34200 und 35201 Rechnung, da die Schüler hier aufgefordert werden, eine Einschätzung zu ihrer Klasse, bezogen auf den Unterricht des benannten Lehrers, abzugeben. Da das ‚Lockersein’ (Frage35) als für sozial- und fachorientierte Schüler gleichermaßen bedeutsames Moment identifiziert wurde, liegt hier eine gemeinsame Interpretationsrichtung beider Schülergruppen vor. Unterschiede zeigen sich hingegen bei der Leistungseinschätzung. Für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler ergibt sich eine Bevorzugung von leistungsegalitären Unterrichtssituationen. Demgegenüber tolerieren fachorientierte Schüler leistungsdifferenzierende Unterrichtssituationen. 199 An dieser Stelle darf der Begriff ‚lockeres Verhalten’ nicht als Laissez-faire-Stil im Sinne eines Treibenlassens oder eines Duldens interpretiert werden. In der Antwort auf Frage (39): „Der/die Lehrer(in): setzt sich durch / setzt sich nicht durch“ machen die Schüler deutlich, dass sich die Lehrer in ihrem Unterricht sehr wohl durchsetzen. Hier liegt der gruppierte Median für die Multipräferenzklassen bei 1,6. Zwischen den Lehrern, die von außerberuflich-persönlich orientierten Schülern benannt wurden, und denjenigen, die von fachlich orientierten Schülern benannt wurden, zeichnet sich allerdings keine gleichgerichtete Orientierung im Semantischen Differential ab. D.h. es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Lehrer, die von außerberuflich-persönlich orientierten Schülern benannt wurden, ein geringeres Durchsetzungspotential haben als Lehrer, die von fachorientierten Schülern benannt wurden. 200 Frage 34: Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß / klein. 201 Frage 35: Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist „Fun“ und „Lockersein“ für unsere Klasse: wichtig / unwichtig. - 239 7.2.4 Ergebnisse der Mikro-Perspektive – Externalisierung Die beiden vorangegangenen Gliederungspunkte haben die Schüler-Lehrer- Interaktion aus der Schülerperspektive entsprechend dem sozialkonstruktivistischen dreischrittigen dialektischen Sozialisationsprozess betrachtet. Mit der Makro-Perspektive wurden bestehende gesellschaftliche Wirklichkeitsbestimmungen, die subjektiv sinnhafte Kontexte der Schüler- Lehrer-Interaktion bilden, untersucht. Im sozialkonstruktivistischen Kontext entspricht dies der Komponente der Objektivierung (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-141). Anschließend ist mit der Meso- Perspektive, die sozialkonstruktivistisch der Komponente Internalisierung entspricht, die Internalisierung gesellschaftlicher Wirklichkeit, d.h. die subjektive Interpretation der Wirklichkeit durch die Schüler, betrachtet worden. Die Mikro-Perspektive untersucht nun die sozialkonstruktivistische Komponente der Externalisierng. In der Externalisierung handelt das Subjekt entsprechend seinen Wirklichkeitskonstruktionen. Die Handlungen des Subjekts sind dabei vor seinem subjektiven Wirklichkeitseindruck sinnvoll. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 139, 70-71, 97-98, 144, 175-176) Bezogen auf die Schüler-Lehrer-Interaktion bedeutet dies, dass die subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen der Schüler und die des Lehrers in den jeweiligen Handlungen zusammentreffen und die gemeinsame Situation Unterricht erzeugen. Dadurch wird die vergegenständlichte Wirklichkeit ‚Unterricht’ aus den gemeinsamen Handlungen der Beteiligten produziert. Gleichzeitig wird sie für die Beteiligten als Produkt, als objektive Wirklichkeit erfahrbar. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 55-56, 64-65) Für die Mikro-Perspektive konnten in der vorliegenden Studie fünf Differentiale bestimmt werden, in denen die Schülerantworten eine gleichgerichtete Orientierung zeigen.202 Die Abbildung ‚Multipräferenzklassen, Mikro-Ebene, Schüleraussagen’ auf S. 241 zeigt die gruppierten Mediane für die Gruppe der fachorientierten und die Gruppe der sozialorientierten Lehrer sowie einen gruppierten Median, der sich aus beiden Lehrergruppen ermitteln lässt. 202 Über alle drei Ebenen hinweg sind es 18 Differentiale, die eine gleiche Orientierungsrichtung aufweisen. Vgl. hierzu die vorangegangenen Gliederungspunkte. - 240 Mikro-Ebene Schüleraussagen zu Lehrern 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median (1) Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff (1) (3) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) kann/muss ich: viel selbst machen (1) (4) Die Noten im Unter- richt bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht (1) (10) Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) komme, erlebe ich: Verständnis (1) (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) zu wenig Stoff (7) wenig selbst machen (7) ungerecht (7) Unverständnis (7) persönliche Interessen (7) Abb.: Multipräferenzklassen, Mikro-Ebene, Schüleraussagen. In der konkreten Interaktion mit dem von den Schülern als ‚guten’ Lehrer benannten Lehrer ergeben sich für die fachorientierten Schüler wie auch für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler in den Fragen203 1, 4 und 10 bemerkenswert geringe Unterschiede. Bei Frage 1204 wird das Anforderungspotential des Unterrichts von den Schülern abgewogen. Die Einschätzung der Schüler im neutralen Bereich der Wertungsskala macht 203 Frage 1: Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff / zu wenig Stoff. Frage 4: Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht / ungerecht. Frage 10: Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) komme erlebe ich: Verständnis / Unverständnis. 204 Frage 1: Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff / zu wenig Stoff. - 241 deutlich, dass sie sich in den Unterrichten weder unterfordert noch überfordert fühlen. An dieser Stelle lässt sich eine Verbindung zur Makro- Ebene herstellen. Auf der Makro-Ebene wurden die Schüler gebeten, ihr Lernpotential einzuschätzen.205 Auch dort haben sich beide Schülergruppen in ihrer Einschätzung sehr dicht beieinander im neutralen Bereich der Wertungsskala positioniert. Für die Schüler-Lehrer-Interaktion bedeutet dies, dass sich der Erwartungshorizont und das Anforderungsniveau der von den Schülern gewählten Lehrer mit dem Leistungspotential der Schüler in Übereinstimmung befinden. Für das reale Leistungsergebnis bedeutet dies jedoch keineswegs, dass Schüler und Lehrer eine egalitäre Durchschnittsleistung anstreben würden. Auf der Meso-Ebene, der Ebene der subjektiven Wirklichkeitsinterpretation der Schüler, wird in Frage 34206 deutlich, dass fachorientierte Schüler bei den von ihnen gewählten Lehrern größere Leistungsunterschiede in der Klasse sehen als die außerberuflichpersönlich orientierten Schüler bei den von ihnen gewählten Lehrern. Diese Wirklichkeitsinterpretation wendet sich jedoch nicht gegen die Notengebung oder das Handeln der Lehrer. Für die Notengebung weisen beide Schülergruppen ein annähernd gleich hohes Akzeptanzpotential für die Zensuren der von ihnen benannten Lehrer auf. In Frage 4 wird deutlich, dass die Schüler die Notengebung des von ihnen präferierten Lehrers, mit einer Eingruppierung zwischen 1 und 2 auf einer siebenstufigen Skala als äußerst gerecht empfinden. Ebenso zufrieden sind beide Schülergruppen mit dem Verhalten der von ihnen gewählten Lehrer im persönlichen Umgang. Frage 10207 weist darauf hin, dass die Schüler im persönlichen Gespräch für ihre Probleme vom Lehrer in sehr hohem Maße Verständnis erwarten bzw. entgegengebracht bekommen. Dies deutet auf ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis hin. Zusammenfassend lässt sich als Gemeinsamkeit für die Schüler-Lehrer- Interaktion mit ‚guten’ Lehrern aus Schülerperspektive feststellen, dass das Anforderungsniveau des Unterrichts als kongruent zu den persönlichen Leistungspotentialen der Schüler empfunden wird. Zwei weitere Gemeinsamkeiten ergeben sich in den äußerst positiven Einschätzungen zur Notengerechtigkeit und in den ebenso positiven Erwartungshaltungen an das Verständnis des Lehrers bei Schülerproblemen. Für die Unterrichtssituation zeichnen sich damit wichtige Rahmenfaktoren für eine leistungsförderliche 205 Vgl. Makro-Ebene, Frage 48: Lernen ist für mich: leicht / schwer. 206 Frage 34: Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß / klein. 207 Frage 10: Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) komme erlebe ich: Ver ständnis / Unverständnis. - 242 Unterrichtsgestaltung ab. Ein angemessenes Leistungsniveau in den Erwartungshaltungen des Lehrers bildet für die Schüler die Grundlage, um persönlich annehmen zu dürfen, diesen Erwartungen durch eigene Leistung auch gerecht werden zu können. Das Vertrauen in die Notengerechtigkeit lässt die Schüler eine faire Zuerkennung ihrer persönlichen Leistung erwarten und mit der Möglichkeit, bei Problemen zum Lehrer gehen zu können, können die Schüler auch auf Hilfe bei der Leistungsentwicklung vertrauen. In toto legen diese Gemeinsamkeiten nahe, bei den Schülern eine leistungsakzeptierende und leistungsbereite Grundhaltung vorauszusetzen. Dies entspricht auch der sehr großen Bedeutung, die die Schüler dem Schulzeugnis und dem Gesellenbrief zubilligen.208 Die Lehrer wiederum spiegeln diese Haltung, indem sie durch ihre Handlungen einen adäquaten Unterrichtsrahmen ermöglichen. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive treffen auf der Mikro-Ebene die Handlungen der Subjekte in einer Situation zusammen. Entsprechend ihren subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen handeln die Subjekte in der Situation sinnvoll. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 70-71, 9798, 139, 144, 175-176) Dies bedeutet für die Schüler-Lehrer-Interaktion, dass die ‚guten’ Lehrer in ihrer Bedingungsanalyse die Voraussetzungen der Schüler antizipieren bzw. sich im Verlauf der Interaktion auf die Bedingungen der Schüler einstellen können. Umgekehrt akzeptieren die Schüler in ihrer Wirklichkeitsinterpretation allerdings auch gesellschaftliche, leistungsorientierte Wirklichkeitsansprüche, die sie für sich übernehmen und als Rahmenbedingungen für ihre Externalisierungen akzeptieren und internalisieren. Der dargestellte Grundkonsens in der Schüler-Lehrer-Interaktion erklärt jedoch noch nicht das Wahlverhalten der Schüler in den Multipräferenzklassen. Diese Klassen zeichnen sich dadurch aus, dass die Schüler nicht mehrheitlich einen ‚guten’ Lehrer benennen, sondern eine größere Zahl von Lehrern von einer Klasse als ‚gute’ Lehrer bezeichnet werden. Eine Erklärung zeichnet sich ab, wenn man über den Grundkonsens der Rahmenfaktoren hinaus die thematischen Interessen der Schüler an der Unterrichtssituation betrachtet. Für die konkrete Unterrichtssituation, die sich aus den Handlungen der Subjekte entwickelt, werden die größten Unterschiede in den Schüler 208 In Frage 44 bewerten die Schüler die Bedeutung des Schulzeugnisses mit Werten zwischen 1 und 2 auf der siebenstufigen Skala. In Frage 45 bewerten sie die Bedeutung des Gesellenbriefes noch deutlicher in der Nähe von 1 auf der siebenstufigen Skala. - 243 interessen in Frage 14209 deutlich. Fachorientierte Schüler bekunden ein sehr deutliches berufliches Interesse am Unterricht des von ihnen benannten Lehrers. Im Vergleich hierzu ist bei den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern ein stärker persönliches Interesse am Unterricht des von ihnen benannten Lehrers erkennbar.210 Allerdings ist auch bei diesen Schülern ein überwiegend beruflicher Bezug zu konstatieren. Mit dieser Beobachtung lässt sich die im vorangegangenen Kapitel beschriebene Übereinstimmung der Makro- und Meso-Ebene bezüglich der sozialen und fachlichen Orientierung der Schülergruppen auch auf der Mikro-Ebene wiederfinden und findet so schülerseitig Eingang in die konkrete Handlungssituation. Mit diesem Zusammenhang wird das handlungsleitende Motiv der beiden Schülergruppen, das den gemeinsamen Grundkonsens in den Rahmenfaktoren überwölbt, in allen drei Beobachtungsebenen erkennbar (vgl. Abb.: Multipräferenzklassen, thematische Bedingungen der Unterrichtssituation, S 249). Das eher persönliche Interesse am Unterricht des von ihnen benannten Lehrers bei den außerberuflich-persönlich orientierten Jugendlichen, das auf der Mikro-Ebene sichtbar wird, lässt sich in der Schülereinschätzung auf der Meso-Ebene bei der Einschätzung der Nützlichkeit des Unterrichts für die spätere Berufspraxis ebenfalls feststellen.211 Auch hier sehen die außerberuflich-persönlich orientierten Jugendlichen eine geringere berufliche Nützlichkeit des Unterrichts des von ihnen präferierten Lehrers als die fachorientierten Jugendlichen. Auf der Makro-Ebene korrespondieren diese Aussagen mit den außerschulischen berufsbezogenen Wirklichkeitskontexten. Hier ist für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler im Vergleich zu den fachorientierten Schülern eine deutlich problematischere Einschätzung zu ihrer schulischen und betrieblichen Situation zu beobachten.212 209 Frage 14: Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen / persönliche Interessen. 210 Wenn man unterstellt, dass fachorientierte Unterrichtsinhalte handlungsorientiert in Lernfeldern angeboten werden und sich die persönlichen Interessen der Schüler als Interesse an Informationen ausdrücken, die eher rezeptiv aufgenommen werden, stützen auch die Schüleraussagen bei Frage 3 die Beobachtungen zu Frage 14. In Frage 3 bekunden die fachorientierten Schüler, dass bei den von ihnen gewählten Lehrern im Unterricht verstärkt eigene Aktivität gefragt ist. Demgegenüber äußern die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler hier ein geringeres Aktivitäts potential, das auf eher rezeptiv-passive Unterrichtsformen schließen lässt. 211 Vgl. Antwort zu Frage 23.212 Vgl. Antwort zu den Fragen 54-57. - 244 Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive entsteht subjektive Wirklichkeit in einer simultan verlaufenden Dialektik, die aus drei Komponenten besteht, Objektivation, Internalisierung und Externalisierung. (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 65-66, 139-142) Für die subjektive Wirklichkeitsbestimmung der Schüler bedeutet dies, dass sie auf der Ebene der Objektivation213 gesellschaftliche Wirklichkeitsbestimmungen kennen lernen. Dort teilen sich die subjektiven Wirklichkeitsbestimmungen der Schüler. Eine Schülergruppe erlebt ihre subjektive Wirklichkeit in weitgehender Übereinstimmung mit den Objektivationen der Gesellschaft. Sie entwickeln bei der Internalisierung214, d.h. im Aneignungsprozess der Wirklichkeit, eine berufs- und fachbezogene Präferenzstruktur. Die andere Schülergruppe hingegen erlebt Differenzen zwischen ihrer subjektiven Wirklichkeitsbestimmung und den gesellschaftlichen Objektivationen. Während der Internalisierung entwickelt sie eine außerberuflich-persönlich orientierte Präferenzstruktur. Mit außerberuflich-persönlich orientiert ist hier eine Präferenzstruktur umschrieben, die sich suchend mit den Differenzen zwischen subjektiver und gesellschaftlicher Wirklichkeitsbestimmung auseinandersetzt. In der Externalisierung, d.h. im eigenen Handeln, werden dann die subjektiven Wirklichkeitsbestimmungen und die sich daraus entwickelnden Präferenzen zu den Maximen der subjektiven Handlung. In diesem Sinne erlebt die Schülergruppe der fachorientierten Jugendlichen eine Übereinstimmung ihrer subjektiven Wirklichkeit mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, entwickelt eine fachorientierte Präferenzstruktur, die den Konsens der Wirklichkeitsstrukturen unterstützt, und präferiert in ihrer Benennung ‚guter’ Lehrer Personen, die thematische Angebote für ihre fachorientierte subjektive Wirklichkeitskonstruktion bereitstellen. Die Schülergruppe der außerberuflich-persönlich orientierten Jugendlichen wiederum erlebt eine Differenz zwischen ihrer subjektiven Wirklichkeitsbestimmung und der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie erleben, dass Erwartungshaltungen wechselseitig nicht erfüllt werden. Dies drückt sich in schulischen und betrieblichen Problemen sowie Irritationen in der Berufswahl und nicht erfüllten Vorstellungen über den Beruf aus, die im Vergleich zu den fachorientierten Schülern deutlich hervortreten215. Die empfundenen Differenzen zwischen subjektiver und gesellschaftlicher 213 Die Ebene der Objektivation wird in der vorliegenden Studie in der Makro-Ebene untersucht. 214 Die Ebene der Internalisierung wird in der vorliegenden Studie in der Meso-Ebene untersucht. 215 Vgl. die Einschätzungen zu den Fragen 54-57 in der Abbildung: Multipräferenz klassen, Makro-Ebene, Schüleraussagen, S. 232. - 245 Wirklichkeitsbestimmung erzeugen bei den außerberuflich-persönlich orientierten Jugendlichen eine Präferenzstruktur, die subjektiv geeignet ist, mit den Differenzen zwischen den Wirklichkeitskonstruktionen umgehen zu können. In diesem Sinne präferieren sie Lehrer als ‚gute’ Lehrer, die thematisch Angebote zur Klärung von Irritationen zwischen ihrer subjektiven und der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion bereitstellen. Zusammenfassend ergibt sich die unterschiedliche Präferenz der Schüler bei der Benennung ‚guter’ Lehrer als thematisch orientierte Entscheidung, die geeignet ist für die subjektiven Wirklichkeitsbestimmungen der Schüler, relevante Themen zu bearbeiten. Dieser Entscheidung wird schülerseitig eine Prüfung von Situationsparametern vorangestellt, die für die Unterrichtssituation bei dem Lehrer entwicklungsfördernde Bedingungen erwarten lässt. Damit präsentieren sich die Entscheidungen beider Schülergruppen als gesellschaftlich integrative Handlungen, die unter der Voraussetzung unterschiedlicher subjektiver Wirklichkeitskonstruktionen eine Integration in die bestehende gesellschaftliche Wirklichkeit anstreben. 7.2.5 Ergebnisübersicht der Multipräferenzklassen Das Schülervotum für einen ‚guten’ Lehrer ergibt sich in den Multipräferenzklassen aus zwei Bedingungskontexten. Dies sind zum einen die durch den Lehrer geschaffenen Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation und zum anderen die thematische Relevanz seines Unterrichtsangebots für die subjektive Wirklichkeitskonstruktion der Schüler. Die entscheidungsrelevanten Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation sind in der Abbildung ‚Multipräferenzklassen, Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation’ auf S. 247 dargestellt. Die Bedingungen werden im Kontext der direkten Begegnung zwischen Schüler und Lehrer erkennbar, sind jedoch in der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion der Schüler angelegt. Im sozialkonstruktivistischen Sinne handeln die Subjekte in der Begegnungssituation entsprechend ihrer subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen. Für die Schüler offenbart sich in der Akzeptanz und Relevanz des Schulzeugnisses sowie des Gesellenbriefes eine leistungsorientierte und leistungsaffine Grundhaltung, die eine Orientierung an den gesellschaftlich relevanten Wirklichkeitskonstruktionen erkennen lässt. Für die konkrete Unterrichtssituation erwarten die Schüler nun förderliche Rahmenbedingungen, um ihre Leistung entwickeln zu können. Dies manifestiert sich in den Unterrichtssituationen des von den Schülern gewählten ‚guten’ Lehrers in der Feststellung eines angemessenen Anspruchsvolumens, einer gerechten Leistungsfeststellung und in der Erwartung, bei Problemen auf Hilfe vertrauen zu dürfen. - 246 Rahmenbedingungen der Situation 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median (45) Für meine Zukunft ist der unwichtig (7) Gesellenbrief: wichtig (1) (44) Für meine Zukunft ist das unwichtig (7) Schulzeugnis: wichtig (1) (10) Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) Unverständnis (7) komme, erlebe ich: Verständnis (1) (4) Die Noten im Unterricht bei ungerecht (7) dem/der Lehrer(in) sind: gerecht (1) (1) Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu wenig Stoff (7) zu viel Stoff (1) Abb.: Multipräferenzklassen, Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation. Der zweite Bedingungskontext für die Benennung eines ‚guten’ Lehrers ergibt sich aus der Bedeutung des thematischen Unterrichtsangebots für die subjektive Wirklichkeitskonstruktion der Schüler. Die Abbildung ‚Multipräferenzklassen, thematische Bedingungen der Unterrichtssituation’ (S. 249) zeigt die entsprechenden Zusammenhänge. Ausgehend von der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion der Schüler, die in den Fragen 57 bis 54 deutliche Unterschiede zwischen den fachorientierten und den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern offenbart, ist den Schülern die unterschiedliche berufspraktische Eignung der Themen der von ihnen präferierten Lehrer für die Berufspraxis bewusst (Frage 54) und sie orientieren sich bei ihrer Lehrerbenennung deutlich an unterschiedlichen Interessenshorizonten (Frage 14). Fachorientierte Schüler zeichnen sich durch eine relativ problemfreie berufliche Entwicklung aus, die auf einer gelungenen Berufswahl aufbaut. Dies führt zu einer Akzeptanz der beruflichen Orientierung und zu persönlichen Interessen, die geeignet sind, - 247 die berufliche Entwicklung zu unterstützen. Demgegenüber wird bei den außerberuflich-persönlich orientierten Schülern eine vergleichsweise problematische Berufswahlsituation deutlich. Ebenso deutlich sind größere Problemlagen in der beruflichen Entwicklung erkennbar. Dies führt bei den Auszubildenden zu einer Distanz zur beruflichen Orientierung. Bei den Interessen der Schüler werden Suchphänomene deutlich, die aus der subjektiven Perspektive der Schüler geeignet sind, neue Möglichkeiten zu eröffnen. Im Rückbezug auf die Rahmenkontexte ‚guter’ Unterrichtssituationen wird deutlich, dass die Suchphänomene der außerberuflichpersönlich orientierten Jugendlichen keineswegs eine Negation ihrer beruflichen Entwicklung bedeuten. Dies zeigt die auch bei den außerberuflichpersönlich orientierten Jugendlichen außerordentlich hohe Bedeutung, die sie dem Schulzeugnis und dem Gesellenbrief zumessen. Es ist vielmehr ein Anliegen der Jugendlichen, zu konstatieren, dass sie die als problematisch empfundene subjektive Wirklichkeit zu modifizieren wünschen. Sowohl die fachorientierten Schüler als auch die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler präsentieren in ihrer Benennung ‚guter’ Lehrer Personen, deren thematisches Angebot geeignet ist, die für die Jugendlichen relevanten Aspekte ihrer Wirklichkeitskonstruktion zu beeinflussen. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer leistungsorientierten Grundhaltung, die eine Orientierung der Jugendlichen an zentralen gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen erkennen lässt. Damit werden die Schülerentscheidungen zu gesellschaftlich integrativen Handlungen, die unter den jeweiligen subjektiven Bedingungen der Jugendlichen die Absicht zur Integration in die gesellschaftliche Wirklichkeit erschließen lässt. - 248 Thematische Präferenzen des Schülervotums 123456 7 (57) Meinen Aus- bildungsberuf habe ganz anders ich mir: genauso vorgestellt (7) vorgestellt (1) (56) Meinen Ausmusste ich bildungsberuf habe nehmen (7) ich mir: gewünscht (1) (55) Rückblickend gab wenige es für mich im Betrieb: Probleme (7) viele Probleme (1) (54) Rückblickend gab wenige es für mich in der Schule: Probleme (7) viele Probleme (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist nutzlos (7) für die spätere Berufs- praxis: nützlich (1) (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist persönliche für mich wichtig: Interessen (7) berufliche Interessen (1) Abb.: Multipräferenzklassen, thematische Bedingungen der Unterrichtssituation. Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median - 249 7.3 Übertrag der Ergebnisse der Multipräferenzklassen auf Monopräferenzklassen 7.3.1 Übertrag der ‚leistungsfördernden Rahmenbedingungen’ auf die Monopräferenzklassen Die oben dargestellten Ergebnisse sind aus den Aussagen von vier Klassen, die eine Vielzahl von Lehrern als ‚gute’ Lehrer benannt haben, gewonnen worden. Diese Klassen werden als Multipräferenzklassen bezeichnet. Im Sinne der Ceteris-paribus-Bedingung sind die Rahmenbedingungen innerhalb dieser Schulklassen bezogen auf die schulischen Faktoren identisch und bezogen auf persönliche Faktoren der Schüler unterschiedlich. Im Folgenden werden die Ergebnisse mit den Resultaten von sechs weiteren Klassen verglichen. Die sechs Vergleichsklassen haben jeweils mehrheitlich einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt. Daher werden die Klassen als Monopräferenzklassen bezeichnet. Für die Monopräferenzklassen zeichnet sich im Wahlverhalten ein Unterschied zu den Multipräferenzklassen ab, so dass im folgenden Vergleich nur bedingt von einer Validierung der Ergebnisse ausgegangen werden kann. Es ist vielmehr von einem Vergleich der Ergebnisse mit ähnlichen Situationen auszugehen, um im konstruktivistischen Sinne das Wirkungspotential der Ergebnisse auf Handlungsspielräume der handelnden Subjekte erkennen zu können. (vgl. Moser, S. (2004) S. 10-11, 21, Maturana, H.; Varela, F. (1987) S. 228-229, 259-265) An anderer Stelle ist die Bedeutung der Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation für die Wahlentscheidung der Schüler der Multipräferenzklassen hervorgehoben worden. Eine fast identische Perspektive zeichnet sich, wie die Abbildung ‚Vergleich Mono- und Multipräferenzklassen, Rahmenbedingungen der Unterrichssituation’ auf S. 251 zeigt, auch für die Monopräferenzklassen ab. - 250 Rahmenbedingungen der Situation 1234567 Schüleraussagen zu allen interviewten Lehrern in Monopräferenzklassen, Gruppierter Median Schüleraussagen zu allen interviewten Lehrern in Multipräferenzklassen, Gruppierter Median (45) Für meine Zukunft ist der unwichtig (7) Gesellenbrief: wichtig (1) (44) Für meine Zukunft ist das unwichtig (7) Schulzeugnis: wichtig (1) (10) Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) Unverständnis (7) komme, er-lebe ich: Verständnis (1) (4) Die Noten im Unterricht bei dem/ ungerecht (7) der Lehrer(in) sind: gerecht (1) (1) Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu wenig Stoff (7) zu viel Stoff (1) Abb.: Vergleich Mono- und Multipräferenzklassen, Rahmenbedingungen der Unterrichtssituation. Ebenso wie bei den Multipräferenzklassen zeigt sich für die Schüler der Monopräferenzklassen eine extrem große Wertschätzung des Gesellenbriefes und des Schulzeugnisses. Es ist daher auch hier von einer gesellschafts- und leistungsorientierten Grundhaltung der Schüler auszugehen, die sich, wie auch bei den Multipräferenzklassen, in einer Orientierung an leistungsförderlichen Rahmenbedingungen der konkreten Unterrichtssituation wiederfinden lässt. Auch hier bescheinigen die Schüler den von - 251 ihnen gewählten ‚guten’ Lehrern, dass sie ein adäquates Leistungspensum von den Schülern einfordern (Frage 1), die erbrachten Leistungen gerecht bewerten (Frage 4) und Schülerproblemen offen gegenüberstehen (Frage 10)216 . In den sehr extremen Positionierungen wie auch in den sehr übereinstimmenden Aussagen der Multi- und Monopräferenzklassen zeigt sich die Relevanz dieser Bedingungen für die Schüler. Aus konstruktivistischer Sicht ist von einem sehr großen Wirkungspotential dieser Bedingungen auf die Akzeptanz der Situation auszugehen. Umgekehrt bedeutet dies, dass die handelnden Subjekte, Lehrer wie Schüler, ihre Handlungsspielräume im Sinne dieser Bedingungen nutzen und ausgestalten müssen. Den ‚guten’ Lehrern ist dies offensichtlich aus der Perspektive der Schüler, die sie präferieren, gelungen. 7.3.2 Trennschärfe der ‚thematischen Rahmenbedingungen’ für Monopräferenzklassen Mit den leistungsfördernden Rahmenbedingungen sind die unabdingbaren Voraussetzungen für ‚gute’ Lehrer aus der Schülerperspektive gekennzeichnet worden. Sind diese Bedingungen gegeben, kann für die Multipräferenzklassen gezeigt werden, dass eine themenorientierte zweite Präferenzentscheidung durch die Schüler erfolgt. Schüler mit zufriedener Berufswahlentscheidung und geringem Problempotential in Beruf und Schule entwickeln eine beruflich-fachliche Orientierung. Sie benennen Lehrer, die diese Einstellung in ihrem Unterricht thematisch unterstützen, als ‚gute’ Lehrer. Schüler hingegen, die eine geringere Zufriedenheit in der Berufswahl angeben und für sich ein größeres Problempotential in Schule und Betrieb erkennen, entwickeln eine außerberuflich-persönliche Orientierungshaltung. Außerberuflich-persönlich bedeutet hier, dass eine Orientierung an persönlichen Interessen, die dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind, deutlich wird. Es bedeutet jedoch keineswegs eine Abkehr von beruflichen Interessen, da auch diese Gruppe dem Gesellenbrief und dem Schulzeugnis sehr hohe Priorität zumisst. 216 Bezüglich des Verständnisses des Lehrers für Probleme des Schülers ergeben sich zwischen den Multipräferenzklassen und den Monopräferenzklassen geringfügig größere Unterschiede. Die Spannweite zwischen den Werten beträgt 0,3. Der bessere Wert der Multipräferenzklassen könnte sich durch eine deutlichere Spezialisierung der gewählten Lehrer auf die Problemlagen der sie präferierenden Schüler herrühren. - 252 Thematische Präferenzen des Schülervotums 1234567 Schüler mit beruflich-fachorientierter Lehrerpräferenz (Multipräferenzklassen), Gruppierter Median Schüler mit außerb.-persönl. orientierter Lehrerpräferenz (Multipräferenzklassen), Gruppierter Median Schüleraussagen zu allen interviewten Lehrern in Monopräferenzklassen, Gruppierter Median Schüleraussagen zu allen interviewten Lehrern in Multipräferenzklassen, Gruppierter Median (57) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt (1) (56) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: gewünscht (1) (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufs- praxis: nützlich (1) (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrerin ist für mich wichtig: beruf- liche Interessen (1) ganz anders vorgestellt (7) musste ich nehmen (7) wenige Probleme (7) wenige Probleme (7) nutzlos (7) persönliche Interessen (7) Abb.: Vergleich Mono- und Multipräferenzklassen, thematische Bedingungen der Unterrichtssituation. Für den Übertrag dieses Ergebnisses von den Multipräferenzklassen auf die Monopräferenzklassen ist zunächst zu klären, ob die gefundenen Ergebnisse einen Übertrag auf die Monopräferenzklassen möglich scheinen - 253 lassen. Die Abbildung ‚Vergleich Mono- und Multipräferenzklassen, thematische Bedingungen der Unterrichtssituation’ auf S. 253 zeigt, dass sich die gruppierten Mediane für die Multipräferenzklassen und für die Monopräferenzklassen fast identisch gestalten. Die Spannweite zwischen den jeweiligen Werten bewegt sich lediglich zwischen 0,1 und 0,2 auf einer siebenstufigen Skala. Nur für Frage 23217 ergibt sich eine Spannweite von 0,4 zwischen den gruppierten Medianen der Multipräferenz- und der Monopräferenzklassen. Bedingt durch die relativ große Spannweite, reicht der Wert der Monopräferenzklassen auch sehr nah an den Wert für Schüleraussagen mit beruflich-fachorientierter Lehrerpräferenz heran. Es ergibt sich lediglich eine Spannweite von 0,1 zwischen den gruppierten Medianen, so dass hier die Trennschärfe zweifelhaft ist. Die geringe Trennschärfe lässt sich durch Informationen aus den Lehrerinterviews erklären. Dort ist erkennbar, dass alle in den Monopräferenzklassen benannten Lehrer Fachlehrer sind, die in Lernfeldern unterrichten. Da der fachliche Unterricht Kernauftrag dieser Lehrer ist, ergibt sich fast zwangsläufig eine berufliche Nützlichkeit der Unterrichtsinhalte dieser Lehrer für die Schüler, unabhängig von deren persönlichen Interessen an dem Unterricht. Damit ist Frage 23 nur bedingt geeignet, bei den Lehrern in Monopräferenzklassen eine soziale oder fachliche Orientierung erkennen zu können. Generell jedoch zeigt die Betrachtung der gruppierten Mediane der von den Multipräferenzklassen benannten fachorientierten und sozialorientierten Lehrer, dass sie als Extrempositionen die gruppierten Mediane der Monopräferenzklassen umschließen. Dadurch sind die Werte, mit Abstrichen bei Frage 23, geeignet, eine Einordnung einzelner Lehrer der Monopräferenzklassen als fach- oder sozialorientiert zu ermöglichen. Hierfür spricht auch die weiter oben festgestellte, annähernd identische Übereinstimmung der gruppierten Mediane der Multipräferenz- und der Monopräferenzklassen. 7.3.3 Übertrag der ‚thematischen Rahmenbedingungen’ auf die Monopräferenzklassen Für die Multipräferenzklassen sind in sechs Fragen des Schülerfragebogens thematische Rahmenbedingungen festgestellt worden, die bei einem Teil der Schüler auf eine fachlich-berufliche Orientierung in ihrer Präferenzstruktur hinweisen. Für die anderen Schüler konnte vor dem Hintergrund einer ebenfalls leistungsorientierten Grundhaltung eine stärker außerberuflich- persönliche Orientierung in ihren Präferenzen beobachtet werden. Ent 217 Frage 23: Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich / nutzlos. - 254 sprechend unterschiedlich votierten die Schüler dieser Klassen bei der Benennung ‚guter’ Lehrer, so dass eine größere Anzahl von Lehrern als ‚gute’ Lehrer benannt worden sind. Die Schülervoten haben sich dabei recht gleichmäßig auf die benannten Lehrer verteilt. Die Monopräferenzklassen zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass die Schüler mehrheitlich einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt haben und wenige weitere Lehrer mit einer geringen Anzahl Votierungen bedacht worden sind. Hinsichtlich der bei den Multipräferenzklassen beobachteten Schülerorientierungen lassen sich für die Monopräferenzklassen sehr ähnliche Ergebnisse wie bei den Multipräferenzklassen ermitteln. In derÜbersicht ‚Monopräferenzklassen, soziale und fachliche Orientierungen der Schüler bei den Lehrerpräferenzen’ (S. 257) wird deutlich, dass zwei der benannten Lehrer, Henkel (VA 12) und Eichholz (BS 20), vor dem Hintergrund einer außerberuflich-persönlichen Schülerorientierung benannt worden sind. Jeweils fünf von sechs Abgrenzungskriterien weisen auf eine entsprechende Orientierung der Schüler hin. Für drei Lehrer, Menzel (MDP 3), Maier (MB 26) und Arnold (D 32), ergibt sich in den Schülerpräferenzen eine beruflich-fachliche Orientierung. Bei diesen Lehrern bringen vier von sechs Abgrenzungskriterien eine beruflich-fachliche Präferenz in den Schülerorientierungen zum Ausdruck. Lediglich bei Lehrer Tietz (ML 19) wird keine Schülerpräferenz deutlich. Überraschend trennscharf ist Frage 23218, deren Trennschärfe im letzten Gliederungspunkt aufgrund der großen Spannweite (0,4) zwischen dem gruppierten Median der Multipräferenzklassen (1,9) und dem der Monopräferenzklassen (1,5) und der großen Nähe des Wertes der Monopräferenzklassen zum Wert für fachorientierte Lehrer in Multipräferenzklassen (1,4) angezweifelt werden musste. Für alle fünf Lehrer der Monopräferenzklassen, denen entweder eine fachliche oder eine soziale Schülerorientierung zugeordnet werden kann, weist auch Frage 23 die entsprechende Orientierung aus.219 Im Vergleich zu den Schülerorientierungen der Multipräferenzklassen zeigt sich für die Schülerorientierungen der Monopräferenzklassen, dass für fünf von sechs Lehrern eine Präferenzorientierung in den Schülerentscheidungen zugeordnet werden kann. Zwar gelingt der Übertrag nicht eineindeutig, doch zeigen jeweils vier beziehungsweise fünf von sechs Items die Präferenz in der Schülerorientierung an. Damit kann auch für die Mono 218 Frage 23: Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich / nutzlos. 219 Vgl. Abb.: Monopräferenzklassen, soziale und fachliche Orientierungen der Schüler bei den Lehrerpräferenzen, S. 257. - 255 präferenzklassen begründet von thematischen Wahlpräferenzen der Schüler ausgegangen werden. - 256 Abb.: Monopräferenzklassen, soziale und fachliche Orientierungen der Schüler bei den Lehrerpräferenzen. Vergleichswerte, GruppierteMediane für: Monopräferenzklassen, Gruppierte Mediane für die Lehrer: Abgrenzungskriterien des Schülerfragebogens für soziale und fachlicheOrientierungen: Fachorient. Lehrer Sozialorient. Lehrer Multipräf. klassen MDP 3, Menzel VA 12, Henkel ML 19, Tietz BS 20, Eichholz MB 26, Maier D 32, Arnold 3,2 4,0 3,5 4,3 4,0 4,0 3,8 3,4 2,3 (57) Meinen Ausbildungsberuf habeich mir: genauso vorgestellt (1) / ganz anders vorgestellt (7) Fach Sozial Neutral Sozial Sozial Sozial Sozial Fach Fach 2,9 4,2 3,5 2,6 3,8 5,5 4,0 6,3 2,2 (56) Meinen Ausbildungsberuf habeich mir: gewünscht (1) / musste ich nehmen (7) Fach Sozial Neutral Fach Sozial Sozial Sozial Sozial Fach 6,0 3,6 4,5 4,7 6,0 4,5 3,8 5,1 4,3 (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) / wenige Probleme (7) Fach Sozial Neutral Fach Fach Neutral Sozial Fach Sozial 5,0 4,1 4,5 5,5 4,3 3,7 4,9 5,1 4,5 (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) / wenige Probleme (7) Fach Sozial Neutral Fach Sozial Sozial Fach Fach Neutral 1,4 2,7 1,9 1,4 3,0 1,3 2,2 1,5 1,3 (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich (1) / nutzlos (7) Fach Sozial Neutral Fach Sozial Fach Sozial Fach Fach 1,8 2,7 2,2 2,3 2,6 2,0 2,5 2,7 1,7 (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrerin ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) / persönliche Interessen (7) Fach Sozial Neutral Sozial Sozial Fach Sozial Sozial Fach Übersicht: Summe fachorientierte Items: Summe sozialorientierte Items: Summe neutrale Items: 420 150 231 150 420 411 - 257 7.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der Schülerbefragung Für die Schülerbefragung zu ‚guten’ Lehrern aus der Schülerperspektive wurden zehn Klassen der gewerblich-technischen Berufsausbildung im Dualen System befragt, die sich alle im dritten Ausbildungsjahr befanden. Es ergeben sich zwei Gruppen von Schulklassen. Bei einer Gruppe von sechs Klassen benennen die Schüler mehrheitlich einen Lehrer je Klasse als ‚guten’ Lehrer. Diese Klassen werden als Monopräferenzklassen bezeichnet. Bei der anderen Gruppe von vier Schulklassen benennen die Schüler je Klasse eine Vielzahl von Lehrern als ‚gut’, entsprechend werden diese Klassen als Multipräferenzklassen gekennzeichnet. Innerhalb der Multipräferenzklassen sind zwei unterschiedliche Präferenzhaltungen der Schüler bezüglich ihrer Einschätzung ‚guter’ Lehrer erkennbar. Eine Schülergruppe entwickelt beruflich-fachorientierte Präferenzen bei der Benennung ‚guter’ Lehrer. Die andere Schülergruppe hingegen zeigt außerberuflich-persönlich orientierte Präferenzen. Unter dem Blickwinkel der subjektiven Einbindung der Berufsausbildung in den gesellschaftlichen Kontext der Schüler unterscheiden sich beide Schülergruppen deutlich. Für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler sind im Vergleich zu den beruflich-fachlich orientierten Schülern größere Problemlagen in Betrieb und Schule erkennbar, die mit einer problematischen Berufswahlentscheidung einhergehen. Für die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler ergibt sich hieraus eine kritische Distanz zu ihrer beruflichen Entwicklung, die zu einer suchenden und orientierenden Perspektive dieser Schüler führt, ohne die Bedeutung des beruflichen Erfolgs in Frage zu stellen. Demgegenüber identifizieren sich die beruflich-fachorientierten Schüler stärker mit ihrem Beruf und richten ihr Interesse deutlich stärker auf eine Teilhabe am Beruf durch Erlangung von berufsspezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten aus. Die kontextbasierte Orientierungshaltung der Schüler wird von ihnen auch in der Präferenz ‚guter’ Lehrer umgesetzt. Die Qualität des Lehrers bemisst sich für die Schüler nach dem thematischen Angebot, das dieser für ihren jeweiligen Informationsbedarf in seinem Unterricht bereitstellt. Dieses Angebot muss nicht notwendigerweise mit dem fachlichen Lehrplaninhalt des Unterrichts identisch sein. Beide Schülergruppen stimmen jedoch darin überein, dass im Umgang mit dem Lehrer seitens der Klasse wie auch seitens des Lehrers ein ‚lockeres’ Verhalten sehr bedeutsam ist. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass hier ein Laissez-faire-Stil seitens des Lehrers gefordert wird. Im Gegenteil, es wird den ‚guten’ Lehrern ein hohes Durchsetzungspotential bescheinigt. - 258 In der konkreten Interaktion mit dem Lehrer sind für beide Schülergruppen ein angemessenes Anforderungsniveau, eine gerechte Leistungsbewertung und ein Verständnis seitens des Lehrers für Probleme gleichermaßen wichtig. Hieraus lässt sich das ‚lockere’ Verhalten als akzeptierende und wertschätzende Umgangsweisen zwischen Lehrer und Schülern interpretieren. Aus den Teilbefunden ergeben sich für die Multipräferenzklassen zwei Entscheidungskontexte für die Präferenz ‚guter’ Lehrer aus der Schülerperspektive. Zunächst ist dies, ausgehend von einer leistungsakzeptierenden Grundhaltung der Schüler, die Präferenz leistungsförderlicher Rahmenbedingungen im Sinne akzeptierender, wertschätzender und fordernder Unterrichtsgestaltung, die Hilfs- und Fördermöglichkeiten bereithält und in eine gerechte Leistungsfeststellung mündet. Darauf aufbauend orientiert sich die Schülerentscheidung an den thematischen Angeboten des Unterrichts, die entsprechend der jeweiligen Orientierungen der beruflich-fachlichen bzw. der außerberuflich-persönlichen Schülerhaltung zu spezifischen Lehrerpräferenzen führen. Gleiches gilt für die Monopräferenzklassen. Auch dort kann eine leistungsakzeptierende Grundhaltung der Schüler, die zu einer Bevorzugung leistungsfördernder Rahmenbedingungen führt, beobachtet werden. Darauf aufbauend werden hier ebenfalls außerberuflich-persönlich bzw. beruflichfachliche thematische Orientierungen der Schüler in ihren Lehrerpräferenzen deutlich. Die Ergebnisse der Multipräferenzklassen sind in diesen Aspekten mit den Monopräferenzklassen vergleichbar. Es ist von einer gemeinsamen Präferenzstruktur bei der Auswahl ‚guter’ Lehrer auszugehen. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive zeigt sich eine Leitfunktion des subjektiven gesellschaftlichen Kontextes für die Orientierung innerhalb des Berufes. Für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler gilt, dass ihre subjektive Wirklichkeitskonstruktion ihrer Berufswahl und ihres Berufsbildes im Vergleich zu der der beruflich-fachlich orientierten Schüler in geringerer Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion des Berufes steht. Für die Sekundärsozialisation in den Beruf hinein ergibt sich so für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler ein geringeres Identifikationspotential. Es führt zu einer Distanz zwischen dem Selbst und dem Teilselbst, das in der Sekundärsozialisation für den Beruf entwickelt wird (vgl. Berger, P. L.; Luckmann, Th. (2004) S. 153). Dies mündet in eine Orientierungshaltung, die ein breiteres jeweils problemtypisches Themenangebot abseits der Themen der Sekundärsozialisation sucht. Da die Leistungsorientierung als zentrale gesellschaftliche Objektivierung von den außerberuflich-persönlich orien - 259 tierten Schülern nicht in Frage gestellt wird, ist bei ihnen von dem Versuch einer subjektiven Neupositionierung ihrer beruflichen Sekundärsozialisation innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion auszugehen. - 260 8 Ergebnisse der Lehrerbefragung 8.1 Darstellungsstruktur der Ergebnisse der Lehrerbefragung Die in dieser Studie befragten Schulklassen präsentierten sich in zwei Ausprägungsformen, als Multipräferenz- und als Monopräferenzklassen. Kennzeichnend für die Multipräferenzklassen ist die Nennung einer größeren Anzahl von ‚guten’ Lehrern220, die von der Klasse mit ähnlich großen Häufigkeiten benannt werden. Bei den Monopräferenzklassen hingegen wird ein ‚guter’ Lehrer von den Schülern besonders häufig benannt, der in der Regel zwischen 50% und 70% der Nennungen auf sich vereinigen kann. In der Auswertung der Schülerbefragung können für die Multipräferenzklassen zwei unterschiedliche Präferenzmuster bei den Schülern aufgezeigt werden. Dies ist auf der einen Seite eine außerberuflich-persönlich orientierte Präferenz, auf der anderen Seite hingegen eine fachorientierte Wertschätzung. Schüler mit außerberuflich-persönlich orientierter Präferenz finden einen deutlichen Sinnbezug ihrer Lehrerpräferenz außerhalb beruflicher Orientierungen, während Schüler mit fachorientierten Sinnbezügen bei der Nennung ‚guter’ Lehrer klar berufsorientierte Wertschätzungen zeigen. Im Übertrag der Ergebnisse auf die Monopräferenzklassen lassen sich auch dort aus den Schüleraussagen Lehrer bezeichnen, die aus außerberuflich- persönlicher bzw. beruflich-fachorientierter Motivation von den Schülern benannt worden sind. Sowohl fach- als auch sozialorientierte Lehrer zeichnen sich in der Schülerperspektive durch die Schaffung leistungsförderlicher Rahmenbedingungen aus. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der thematischen Schwerpunktsetzung der Lehrer, die den jeweiligen Schülerbedürfnissen entspricht. Hier entwickeln die sozialorientierten Lehrer in den Augen der Schüler Qualitäten, die über berufliche Aspekte hinausweisen, während die fachorientierten Lehrer ihr Zentrum in beruflichen Profilen finden. In der nachfolgenden Darstellung der Ergebnisse der Lehrerbefragung werden die Resultate entsprechend den Erkenntnissen der Schüler 220 Von den Schülern sind Lehrerinnen und Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt worden. Da schülerseitig keine geschlechtsspezifischen Präferenzen von Lehrern erkennbar sind (vgl. Kapitel 6.3), erfolgt die Auswertung der Lehrerbefragung ohne Hinweis auf das Geschlecht und im Folgenden wird lediglich von Lehrer(n) gesprochen. Dadurch entfällt auch im Sinne des Datenschutzes ein Merkmal, das die Reanonymisierung der Lehrerinterviews sehr erleichtern könnte. - 261 befragung strukturiert. Zunächst werden die leistungsförderlichen Rahmenbedingungen diskutiert. Im Anschluss daran werden für sozial- und fachorientierte Lehrer die thematischen Rahmenbedingungen ihres Unterrichts erörtert. Im Rahmen der Darstellung der thematischen Rahmenbedingung wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit der Übertrag der Ergebnisse der Multipräferenzklassen auf die Monopräferenzklassen gerechtfertigt ist, d.h. ob sich die aus den Schülerdaten abgeleiteten Präferenzen in entsprechenden Aussagen der Monopräferenzlehrer in den Interviewdaten feststellen lassen. - 262 8.2 Leistungsfördernde Rahmenbedingungen aus der Lehrerperspektive 8.2.1 Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer Die Schaffung leistungsförderlicher Rahmenbedingungen ist für alle Schüler das wesentliche Kriterium bei der Auswahl ‚guter’ Lehrer. Wie in den Ergebnissen der Schülerbefragung gezeigt werden konnte, messen alle Schüler dem Gesellenbrief und dem Schulzeugnis außerordentlich große Bedeutung für ihre Zukunft zu. Hieraus kann zum einen auf eine Leistungsbereitschaft seitens der Schüler geschlossen werden, zum anderen ist die Forderung an die Lehrer zur Schaffung leistungsförderlicher Rahmenbedingungen für ihren Unterricht daraus erkennbar. Diese Position wird im konkreten Unterrichtsgeschehen gestützt durch die hohe Zustimmung der Schüler bei den von ihnen genannten ‚guten’ Lehrern in Bezug auf das Verständnis des Lehrers bei Problemen und die Gerechtigkeit der Notengebung sowie auf den als sehr angemessen empfundenen Umfang der Unterrichtsinhalte. Auch in den Lehrerinterviews sind zur Leistungsbereitschaft der Schüler und zur leistungsförderlichen Einstellung der Lehrer in den Lehrerinterviews zustimmende Passagen belegbar. Um deutlich zu machen, dass sich die sozial- und fachorientierten Lehrer der Multipräferenzklassen und auch die Lehrer der Monopräferenzklassen in diesem zentralen Punkt nicht nennenswert unterscheiden, sind nachfolgend in den Übersichten die Lehrer entsprechend ihrer Zuordnung gruppiert. Innerhalb der Übersicht wird eine Interviewpassage für jeden Lehrer dargestellt. Bei den Interviewpassagen werden jeweils die vom Lehrer eingeschätzte Leistungsorientierung seiner Schüler und die eigene Leistungsorientierung einander gegenübergestellt. - 263 Abb.: Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer, fachorientierte Multipräferenzlehrer. Fachorientierte Multipräferenzlehrer Schülerorientierung Lehrerorientierung Text: Lehrerinterviews\12Blank Position: 36-36 Blank: … Denn das sind Lehrlinge, die eigentlich einen Beruf erlernen wollen und arbeiten wollen. Und die Berufsschule vielleicht … als … Ausgleich nehmen wollen. Das sollte man also auch nicht vergessen. Text: Lehrerinterviews\12Blank Position: 239-240 Blank: Ja. Der (Betrieb) will natürlich offene Facharbeiter haben, die denken können. Die Projekt(e), die Probleme lösen können. Aber ich denke mir, dazu ist es notwendig, nicht nur soziale Kompetenzen zu entwickeln, sondern auch fachliche Kompetenzen zu haben. Und die muss man erstmal vermittelt bekommen. – Lernen. Heißt das. Text: Lehrerinterviews\03Lotz Position: 6-6 Lotz: Das ist eigentlich eine Klasse, die, sagen wir mal, vom Intellekt her normal begabt ist. Wo wir eigentlich keine Schwierigkeiten haben dürften. Aber letztendlich Schwierigkeiten dahingehend in jeder Stunde eigentlich haben. Aufmerksamkeit. Disziplin. Lerneifer ist nicht vorhanden. Na ja, und noch so einige Dinge. Text: Lehrerinterviews\03Lotz Position: 158-158 Lotz: Soweit ich mich entsinnen kann, waren (es) auch nur zwei, die nicht (die Abschlussprüfung) bestanden haben. Text: Lehrerinterviews\03Lotz Position: 140-141 Lotz: … Also generell wird das Leistungsniveau leider, ich sag jetzt mal, nach dem Mittelmaß bestimmt. … weil wir wieder, wie sagt man? im Urschleim anfangen müssen. Text: Lehrerinterviews\03Lotz Position: 579-579 Lotz: Klasse ist natürlich das, da habe ich jetzt schon einige Rückmeldungen wieder. Wenn sich Jungs von uns im Westen beworben haben, dann stellen die Firmen nach kurzer Zeit fest, dass sie topp ausgebildet sind. Und zahlen auch topp Löhne. Text: Lehrerinterviews\04Pach Position: 12-14 Pach: … ist das Arbeiten in der Klasse eigentlich relativ gut. Weil es da auch ein paar Ausnahmen gibt, mit denen man, na, die von ihrem Niveau her Schwierigkeiten haben. Von den Ausgangsvoraussetzungen. Aber man konnte in der Klasse, oder man kann in der Klasse immer gut arbeiten. … Na ja, gut arbeiten heißt, die hören einem zu. Die sind interessiert. Die stellen Fragen. Text: Lehrerinterviews\04Pach Position: 78-80 Pach: … ich bereite die Leute auf ihre Gesellenprüfung vor. Und deswegen kann ich am Niveau keine Abstriche machen. Also, ich habe durchaus in jeder Klasse etliche, die Fünfen und Sechsen haben. … Und ich kann das auch nicht ändern. Und ich bin auch nicht bereit, das zu ändern, muss ich ganz ehrlich sagen. Denn es ist ein Tischler. Es ist ein Abschluss. Der setzt bestimmte Dinge voraus. Und wenn die nicht gebracht werden, kann ich im Niveau nicht heruntergehen. - 264 Abb.: Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer, sozialorientierte Multipräferenzlehrer, Teil 1. Sozialorientierte Multipräferenzlehrer Schülerorientierung Lehrerorientierung Text: L.interviews\01Ackerm. Position: 27-27 Ackermann: Ja und. Besonderheiten. Ich muss sagen, sie sind sehr, sehr willig und sehr aufgeschlossen der ganzen Geschichte gegenüber. Ich habe in keiner Situation wirklich mal ‚Öh, das interessiert uns nicht. Was brauchen wir das?’ Text: L.interviews\01Ackerm. Position: 191-192 Ackermann: Und ich versuche ihnen das Gefühl zu vermitteln ‚Wir ziehen jetzt an einem Strick. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Ihr wollt eine Prüfung schaffen ...’ Also haben wir ein gemeinsames Ziel und das können wir eigentlich nur dann erreichen, wenn wir den Weg auch gemeinsam bestreiten. Und nicht gegeneinander. Text: L.interviews\09Dressel Position: 152-152 Dressel: Ich habe das Gefühl, dass die Auszubildenden auch stolz drauf sind, irgendwo zu sagen: Also, wir sind daran beteiligt.’ Oder ‚Wir machen dies’ oder ... ‚jenes.’ Ich finde das, doch, das kommt bei den meisten schon rum. Das ist nicht nur, ‚Tja nun habe ich die Ausbildung gemacht. Ich wäre gern Fleischer geworden. Weil ich nichts Besseres gefunden habe.’ Oder sonst irgendwas. Nein. Text: L.interviews\09Dressel Position: 8-12 Dressel: … die ersten Stunden sahen so aus, dass ich versucht habe, erstmal, so wie man so schön sagt, die Dämme zu brechen. … Weil ich denke, im Unterricht braucht man ein gewisses Echo. Und, je besser man oder je mehr man voneinander weiß, umso einfacher geht das dann auch. Und deshalb am Anfang eben, ja ein bisschen Zeit um so ganz allgemeine Dinge zu klären ... Aber ich denke jetzt ist der Deich eigentlich gebrochen. Es geht. Man kann mit ihnen arbeiten. Text: Lehrerinterviews\05Franke Position: 79-79 Franke: Aber ich in der Schule muss hier sagen oder feststellen, dass fast alle Schüler … eigentlich sehr gerne in den Unterricht kommen. Man merkt es an ihrer Teilnahme. Man merkt es an ihrer Mitarbeit. Und letztendlich natürlich auch an den Leistungen. Text: Lehrerinterviews\05Franke Position: 12-21 Franke: Einen bestimmten Bereich ist es mir nicht möglich nachzuholen. Dann würde ich den Stoff nicht schaffen der hier anliegt und den ich zu bewältigen habe ... Aber durch Gemeinsamkeiten in der Klasse. Da ja auch hier, sehr gute Schüler drin sind, schaffe ich Patenschaften ..., die beziehen sich auf den Unterricht. Das ist keine Nebenzeit. Sondern (ich) setze die bewusst so zusammen. Und dann können die wesentlich leistungsstärkeren Schüler den schwächeren sehr, sehr gut helfen ... Diese Schüler so anzubinden, dass sie letztendlich einen solchen Stand mit erreichen, dass die Prüfung geschafft werden kann. - 265 Abb.: Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer, sozialorientierte Multipräferenzlehrer, Teil 2. Sozialorientierte Multipräferenzlehrer Schülerorientierung Lehrerorientierung Text: Lehrerinterviews\02Zoll Position: 6-6 Zoll: Es ist halt so: Ich ging, bin gerne in die Klasse gegangen. Und habe festgestellt, dass diese Klasse, ja durchaus aufmerksam, auch der Sozialkunde gefolgt ist. Und damit meine ich, dass Sozialkunde natürlich erstmal auch so den Ruf hat, Laberei zu sein und vor allen Dingen für Berufsschule immer mit der Frage belegt wird ‚Was bringt uns das? Wozu müssen wir das wissen?’ Text: Lehrerinterviews\02Zoll Position: 91-92 Zoll: … Ganz eindeutig. Also es gab Inhalte, wie zum Beispiel das Regierungssystem. In dem es ganz eindeutig war, dass die Schüler ein Interesse am Unterrichtsstoff nur insofern vorbringen konnten, inwieweit es für ihre Bewertung etwas bringt. Und wo ich weiß, dass diese Themen gerne abgeprüft werden. Und die dann auch ganz klar auch mit dem von mir dazu gesagt, gestellten Satz, ‚Das müsst ihr für die Prüfung wissen. Darum lernt ihr es.’ Abb.: Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer, Monopräferenzklassen, Teil 1. Monopräferenzlehrer Schülerorientierung Lehrerorientierung Text: L.interviews\08Arnold Position: 261-262 Arnold: Die wollen ernsthaft was vermittelt bekommen. … Und ich muss mich immer fragen, bei welcher Unterrichtsform kommt am meisten hinten raus? Text: L.interviews\08Arnold Position: 117-118 Arnold: … Also die Kammerprüfung, das ist letztendlich bestanden oder nicht bestanden. Das ist schon für die so ein Meilenstein. Und über diesen Meilenstein will ich ihnen einfach drüber weghelfen. Oder sie dazu bringen, dass sie das schaffen. Text: L.interviews\13Eichholz Position: 91-91 Eichholz: Das ist jetzt nicht eine herausragende Klasse. Weder im positiven noch im negativen Sinne. Text: L.interviews\13Eichholz Position: 171-172 Eichholz: Klar. Also, ich finde das auch selber faszinierend. Und ich denke, meine Augen leuchten auch dabei, wenn ich das den Schülern erkläre. Und ein Stückchen möchte ich, dass auch deren Augen leuchten. Ja. Weil, so lässt sich Unterricht eigentlich nur machen. Über eine gute Motivation. - 266 Abb.: Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer, Monopräferenzklassen, Teil 2. Monopräferenzlehrer Schülerorientierung Lehrerorientierung Text: L.interviews\10Henkel Position: 449-450 Henkel: Ja. Und deswegen geben sich (die Schüler) auch viel Mühe. Es wird, glaube ich, jetzt sogar noch verstärkt in den ersten beiden Ausbildungsjahren, dass sie sagen: ‚Ich muss gute Leistungen bringen, damit mein Betrieb mich hält.’ Text: L.interviews\10Henkel Position: 206-206 Henkel: … dann sage ich ‚Ich erwarte keinen Musterknaben. Aber was ich erwarte ist, dass Sie einen gewissen Anstand haben. Und eine Bereitschaft da ist. Und alles andere ergibt sich von alleine. Dann schaffen wir das auch.’ Denn mein Ziel ist ja, dass man die zu einer ordentlichen Prüfung führt. Dass sie die Prüfung gut bestehen. Natürlich hat man viele Probleme auf dem Weg bis dahin. Text: Lehrerinterviews\11Maier Position: 214-215 Maier: … im Allgemeinen ist die Entwicklung so, dass sie im dritten Lehrjahr begriffen haben, worum es geht. Der Großteil zumindest. Und sich dann von alleine so ein bisschen anstrengt. Text: Lehrerinterviews\11Maier Position: 16-16 Maier: … Ansonsten müssen die genauso den Unterrichtsstoff behandelt bekommen wie die anderen auch. Müssen genau dieselben Anforderungen erfüllen. Auch ihrer schwachen Leistungen, ihrer Vorleistungen wegen. Text: L.interviews\07Menzel Position: 108-108 Menzel: … Ein, sagen wir mal, zwei Drittel in einer Klasse nehmen das dankend an. Sind froh, dass sie so gefordert und gefördert werden. Ich sage immer: ‚Ihr kriegt von mir alles. Aber ihr müsst wollen. Und ihr müsst machen und kämpfen.’ Text: L.interviews\07Menzel Position: 28-28 Menzel: … es gibt eben so drei, vier, fünf Leute, die eben dann ständig krank sind. Jeden Montag. Eher verschwunden sind. Zu spät kommen. Und dann potenziert sich natürlich was. Wo ich sage ‚Also ich will den Beruf nicht lernen. Also entweder, wir einigen uns jetzt. Und wir versuchen hier was Gutes draus zu machen. … Aber ich verlange eine Gegenleistung. Und das ist ein gerüttelt Maß an Disziplin und Achtung der Dinge, die wir hier machen.’ Text: Lehrerinterviews\06Tietz Position: 200-200 Tietz: … das stellt man ja dann fest. Sie freuen sich ja wie die Schneekönige, wenn sie die Prüfung bestanden haben. Text: Lehrerinterviews\06Tietz Position: 94-96 Tietz: Und da kriegen sie natürlich die entsprechende Note. Und die ist dann schlechter. Man weist darauf hin ‚Na ja, das hätte auch bedeutend besser sein können.’… Ja. ‚Du sagst, dass du es kannst. Zeig es mir.’ Na, und das ... lässt sich dann aber leistungsmäßig erfassen. - 267 Wie es schon in den Zitaten der Lehrerinterviews anklingt, sind die Schüler, auch wenn sie sich selbst als leistungsorientiert einschätzen, längst keine Musterschüler. Die von den Lehrern geschilderten Probleme beschreibt exemplarisch Lotz sehr treffend: „Das ist eigentlich eine Klasse, die, sagen wir mal, vom Intellekt her normal begabt ist. Wo wir eigentlich keine Schwierigkeiten haben dürften. Aber letztendlich Schwierigkeiten dahingehend in jeder Stunde eigentlich haben. Aufmerksamkeit. Disziplin. Lerneifer ist nicht vorhanden. Na ja, und noch so einige Dinge.“ (03Lotz, 6-6) Die ‚einigen Dinge’ können dann von kleineren, aber häufigen Problemen wie Zuspätkommen oder Handyspielen bis zu gravierenden Problemen wie Fernbleiben vom Unterricht oder Mobbing innerhalb der Klasse reichen. Allen Lehrern gemeinsam ist hier, dass sie diese Probleme nicht ignorieren. Vielmehr bemühen sie sich, die Probleme zu klären: „... es gibt da einige, die eben, gerade in Wirtschaftskunde, mehr mit ihrem Handy zu tun hatten als mit dem Unterricht. Und das hat mich gestört. Da habe ich auch einige Mühe drauf verwandt, um das einzudämmen. Ganz ausschließen konnte man das bei der Klasse nie!“ (09Dressel, 16-16) Hier wird auch im Extremfall vor Konfrontationen nicht zurückgeschreckt. „Im vergangenen Jahr … Es gab massive Probleme mit Mobbing von einem Schüler. Und das war im Prinzip der Knackpunkt, wo sich dann auch Lehrer und Schüler zusammen gefunden haben. Wo wir uns einfach aneinander gerieben haben. Massiv gerieben haben. Und was dann eigentlich am Ende mit einem positiven Ausgang abgeschlossen wurde...– die Probleme sind behoben worden.“ (08Arnold, 6-6) Leitend für den Umgang mit den Schülern und auch beim Umgang mit Problemen ist die gegenseitige Wertschätzung. Hier handelt es sich um eine wechselseitige Verpflichtung. Sie wird zum einen von den Schülern als Respekt eingefordert und zum anderen den Schülern entgegengebracht. „Also, ich weiß nicht, mit welcher Einstellung sie hierherkommen. Aber ein Lehrer ist auch nur ein Mensch. Und so sollte er ihnen auch gegenübertreten. Und nur aus dem heraus finde ich, kann man dann auch Anerkennung, ja eine Form der Achtung – und die drückt sich dann aus in Mitarbeit und Zuhören und Disziplin der Klasse – erwerben. Das sind meine ersten Schritte... Und ich gehe grundsätzlich so mit den Jugendlichen um. Erstmal (ist er) für mich ein Mensch, der hier ist, der was wissen will.“ (05Franke, 121-124) Im gleichen Geiste werden auch Regelflexibilisierungen durch die Lehrer vorgenommen und die Schulregelungen pragmatisch ausgelegt. So wird z.B. das Verbot, Handys im Unterricht zu nutzen, im Regelfall durchgesetzt, jedoch mit dem Zusatz, dass die Handys, falls der Betrieb noch anrufen sollte, um die Baustelle mitzuteilen, zu der der - 268 Auszubildende am kommenden Tag erscheinen muss, oder für private Sondertatbestände, die vorher bei dem Lehrer angesagt werden müssen, anbleiben dürfen. (vgl. 01Ackermann, 369-370) Jedoch kann auch dem Schlendrian der Schüler regelflexibel begegnet werden, indem z.B. offensichtlich verschuldetes Zuspätkommen zum Ausschluss aus der Stunde mit Verpflichtung zur Nacharbeit der Inhalte führen kann. (vgl. 03Lotz, 599607) Dies scheint im ersten Moment ein harsches Vorgehen zu sein. Doch der gleiche Lehrer betont: „Tja. Andererseits muss ich auch sagen, dafür habe ich auch schon viel Dresche eingesteckt. Ich halte das erste Vierteljahr immer die Hände so drüber. Wie man so schön sagt. Wie eine Glucke über ihre Küken … Also ich hänge nicht alles an die große Glocke. Was denn passiert ist im ersten Vierteljahr. Wo sie noch, ich sag jetzt mal, leerdrehen. Wo sie einen Flitz haben ... und über das Ziel hinausschießen. … Das muss man dann auch abfangen. Ja. Weil sonst sagt die Firma gleich ‚Tschüss’.“ (03Lotz, 252-256) Insbesondere das letzte Exempel zeigt den Geist der wechselseitigen Verpflichtung sehr deutlich. Offensichtlich ist die Pünktlichkeit der Schüler für diesen Lehrer ein wichtiges Element seiner Wertschätzung. Erkennbar selbstverschuldete Unpünktlichkeit legt er so als mangelnde Wertschätzung aus und reagiert entsprechend frostig. Umgekehrt ist er jedoch ebenso bereit, das Wertschätzungsversprechen einzulösen. Er ist den Problemen junger Erwachsener sehr zugewandt und schützt deren Findungsprozess. Dieser Balanceakt ist den Jugendlichen auch sehr wohl bekannt. In einem Schülerfragebogen heißt es hierzu bei der Frage nach einem Tipp für nachfolgende Schüler, die bei dem Lehrer Unterricht haben werden: „– Pünktlich sein – ihm die Hand reichen, dann reicht er sie … auch.“221 Ein zweites konstitutives Moment zwischen Schülern und ‚guten’ Lehrern ist ein authentisches Interesse der Lehrer an der Welt der Schüler. Dies reicht von Schülererzählungen aus ihrem beruflichen Alltag, die unter Umständen auch gleich als Aufhänger für fachliche Unterrichtsinhalte aufgegriffen werden, über persönliche Hintergründe „Versucht da mal so ein bisschen rauszulocken: ‚Sind Sie mit ihrer Ausbildung zufrieden? Warum haben Sie ausgerechnet diesen Ausbildungsberuf gewählt?’ Und so weiter. Weil ich denke, im Unterricht braucht man ein gewisses Echo. Und, je besser man oder je mehr man voneinander weiß, umso einfacher geht das dann auch.“ (09Dressel, 8-8) über ein Interesse an der Schülerwirklichkeit „Mich interessiert das nicht, ob Schüler mit siebzehn oder achtzehn sich 221 Vgl. Schülerfragebogen Nr.: AM48. Der Schüler benennt Lotz als ‚guten’ Lehrer. Die Schülerantwort bezog sich auf die offene Aufforderung: Ein Tipp für alle Schüler, die nach mir bei diesem/dieser Lehrer(in) Unterricht haben. - 269 einen neuen Spoiler an das Auto machen. Dementsprechend würde ich darüber zum Beispiel nie eine Frage stellen. … Mich interessiert es, was heute ein siebzehn-/achtzehnjähriger Azubi über sich und die Welt so denkt. Das interessiert mich wirklich.“ (02Zoll: 100-100, 112-112) bis hin zu kurzen Fachsimpeleien über Hobbys. (vgl. 08Arnold, 90-98) In den Lehreraussagen wird ein für die Schüler glaubwürdiges Interesse an ihren Lebensumständen deutlich, das persönlichem Interesse des Lehrers entspringt. Gleichwohl bleibt dies lehrerseitig berufliches Interesse. Zoll macht dies deutlich: „Um es auch gleich zu sagen, um fünfzehn Uhr, wenn dann die Schule vorbei ist, dann interessiert es mich erstmal auch nicht mehr.“ (02Zoll, 112-112) In der Verbindung beider Aspekte, dem Aspekt des persönlichen Interesses und dem Aspekt der Grenzen dieses Interesses wird ersichtlich, dass es sich bei den Lehrern um interessierte Persönlichkeiten handelt, die beruflich auch an den Kontexten der Schülerpersönlichkeit interessiert sind, ohne sich jedoch in die Rolle von ‚Überpädagogen’ zu manövrieren. Vielmehr steht das Interesse im engen Kontext zur Wertschätzung, die weiter oben diskutiert wurde, und zeigt lehrerseitig die Würdigung der Schülerpersönlichkeit an. Möglicherweise stattet die deutliche Grenze des Interesses das Interesse auch mit Glaubwürdigkeit aus, da die beruflich motivierte Basis dem schulischen Kontext der Interaktion entspricht. Neben den konstitutiven Elementen der wechselseitigen Wertschätzung und des authentischen (Lehrer-)Interesses in der Schüler-Lehrer-Interaktion wird in den Lehrerinterviews noch eine zeitliche Dynamik deutlich. Die Schüler-Lehrer-Interaktion entwickelt bzw. verändert sich im Verlauf der drei Ausbildungsjahre. „Das ist so, das erste Lehrjahr ist der Schule gegenüber aufgeschlossen. Das ist eine neue Situation. Das ist ein neuer Klassenverband. Und so weiter. Und das sind halt, das sind ganz neue Inhalte. Das zweite Lehrjahr emanzipiert sich in gewisser Weise. Und im dritten Lehrjahr kommen die Schüler wieder zurück. Zur Schule. Also dann ist es nicht mehr dieses gegenseitige Austesten. Sondern dann sind die Rollen einfach auch verteilt. Die wissen Bescheid. Welchen Stellenwert sie haben. … sie wissen, dass sie was können. Haben ja schon eine Zwischenprüfung im zweiten Lehrjahr abgelegt. Und im dritten Lehrjahr haben sie auf der Baustelle auch schon Erfahrungen gemacht. Erfahrungen gesammelt. Die sie … in den Unterricht mit einfließen lassen können. Das ist dann schon eine andere Stellung als gegenüber den anderen Lehrjahren.“ (13Eichholz, 38-42) Die Lehrer sind hier gefordert, dieser Dynamik Rechnung zu tragen. Im ersten Ausbildungsjahr müssen sie zum Teil mit Frustphänomenen umgehen, die daraus resultieren, dass die Jugendlichen unter Umständen ihren Wunschberuf nicht erreichen konnten oder ihre voran - 270 gegangenen problematischen Schulerfahrungen auf die Berufsschule übertragen. (vgl. 01Ackermann, 183-186; 06Tietz, 178-193; 04Pach, 412-421; 03Lotz, 252-256, 260-260; 02Zoll, 259-259) Das zweite und insbesondere das dritte Ausbildungsjahr sind durch eine zunehmende Identifikation der Jugendlichen mit den Inhalten ihres Ausbildungsberufs geprägt. „Ich habe das Gefühl, dass die Auszubildenden auch stolz drauf sind, irgendwo zu sagen: ‚Also, wir sind daran beteiligt.’ Oder ‚Wir machen dies’ oder … ‚jenes.’“ (09Dressel, 152-152) In der beruflichen Praxis und in der Übernahme eigener Verantwortung in der Praxis erwächst den Jugendlichen eine Motivationsbasis für die beruflichen Inhalte des Ausbildungsberufes. Im dritten Ausbildungsjahr schließlich tritt die Abschlussprüfung hinzu, die von den Jugendlichen als Schlüssel für ihre Lebenszukunft verstanden wird. (vgl. 11Maier, 214-215) Resümierend ist die Leistungsorientierung im Lehrerhandeln getragen von einem Anspruch auf wechselseitige Wertschätzung zwischen den Schülern und dem Lehrer sowie authentischem Interesse an der Persönlichkeit und der Lebenswirklichkeit der Schüler. Hinzu tritt ein zeitliches Verlaufsphänomen in der Interaktion, die dadurch Wandlungen unterworfen ist. Für die Lehrer bedeutet dies, dass sie sich den Zugang zu den Schülern mit adäquatem Interaktionshandeln erarbeiten und im zeitlichen Verlauf erhalten müssen. Die ‚gute’ Schüler-Lehrer-Interaktion ist ein gemeinsames Produkt der Schüler und des Lehrers. 8.2.2 Leistung und Unterrichtsinhalte Die Schülerbefragung offenbarte, dass die Schüler bei den von ihnen als ‚gut’ benannten Lehrern den Eindruck hatten, sich einen sehr angemessenen Stoffumfang aneignen zu können.222 Der gruppierte Median der Schülerantworten aller Klassen liegt bei 3,6 auf einer Skala von 1 bis 7. Die exakte Skalenmitte liegt bei 4,0, so dass die Schüler einen eher leistungsfördernden Anspruch konstatieren, ohne Überforderung befürchten zu müssen. Mit dem Begriff ‚Stoff’ wird umgangssprachlich der Inhalt des Unterrichtes bezeichnet. (vgl. Meyer, H.; Jank, W. (2006) S. 52-53) In Abgrenzung zum pädagogischen Begriff des Themas, der den Unterrichtsgegenstand im Hinblick auf die Zielsetzungen des Unterrichts konkretisiert, beschreibt der Inhaltsbegriff den Unterrichtsgegenstand im Handlungsprozess, d.h. in der gemeinsamen Erarbeitung zwischen Lehrer und Schülern im Unterricht. (vgl. Meyer, H.; Jank, W. (2006) S. 53) In diesem 222 Die Frage des Schülerfragebogens lautet: Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff / zu wenig Stoff. Der gruppierte Median bezieht sich auf alle Lehrer, die im zweiten Teil der Studie an einem Lehrerinterview teilnehmen sollten. - 271 Sinne sind aus der Lehrerperspektive nicht nur die Unterrichtsgegenstände, sondern auch die längerfristigen Absichten und die Anknüpfungspunkte der Gegenstände an die Schülerwirklichkeit zu betrachten. Die längerfristigen Absichten der Lehrer konzentrieren sich auf die Kammerprüfung. „Ich bereite die Leute auf ihre Gesellenprüfung vor. Und deswegen kann ich am Niveau keine Abstriche machen. … Denn es ist ein Tischler. Es ist ein Abschluss. Der setzt bestimmte Dinge voraus. Und wenn die nicht gebracht werden, kann ich im Niveau nicht heruntergehen. … Dann schaffen sie keine Gesellenprüfung mehr.“ (04Pach, 77-84) Hier decken sich die Lehreraussagen mit den Aussagen der Schüler, die auch dem Gesellenbrief und dem Schulzeugnis eine überragende Bedeutung zumessen. In der Handlungskonsequenz führt dies auch zu Leistungsfeststellungen, die den Jugendlichen die Realitäten vor Augen führen. Gleichwohl treten die Lehrer den Schülern nicht als Sachwalter externer Leistungsforderungen gegenüber. In der Handlungssituation verstehen sie sich vielmehr als Leistungspartner der Schüler. „Die müssen ja erst mal den Mist, den sie vorher gelernt haben, lassen. Und feststellen, dass hier was ganz anderes ist. Das es hier Hand in Hand geht. Und nur für sie gearbeitet wird. Und wenn sie das verstanden haben, läuft das alles.“ (03Lotz, 260-260) „Ja. In der Endkonsequenz … die Kammerprüfung, das ist letztendlich bestanden oder nicht bestanden. Das ist schon für die so ein Meilenstein. Und über diesen Meilenstein will ich ihnen einfach drüber weghelfen. Oder sie dazu bringen, dass sie das schaffen. Jetzt nicht drüber weghelfen in dem Sinne, dass … es jeder schaffen muss. Also wir haben eine Durchfallerquote von etwa dreißig Prozent.“ (08Arnold, 116-120) Neben diese zentrale Absicht treten verschiedene Formulierungen, die auf die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler abzielen. Sie reichen von „Verständnis entwickeln“ (13Eichholz, 113-116) über „denkfähig machen“ (08Arnold, 119-130) und das Lebensgefühl der „Berufsehre“ (07Menzel, 38-38, 100-100) hervorbringen bis hin zu der lapidaren Feststellung, dass der Lehrer nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Erziehungsauftrag hat (vgl. 12Blank, 108-120). Mit dieser Situationsdefinition seitens der Lehrer ist zum einen eine hohe Übereinstimmung mit der Situationsbestimmung der Schüler festzustellen. Zum anderen bewirkt die gemeinsame Konzentration der Bemühungen von Schülern und Lehrern auf die Kammerprüfung eine Externalisierung des Bezugspunktes der gemeinsamen Bestrebungen. Die Kammerprüfung steht als staatlich anerkannte Prüfung berufsständischer Organisationen außerhalb der schulischen Wirklichkeitskonstruktion, so dass der Leistungsanspruch des Lehrers von ihm selbst und auch von den Schülern als schulexterner Anspruch wahrgenommen werden kann. Dies ermöglicht eine - 272 partnerschaftliche Herangehensweise an die Situation, so dass der Lehrer ganz im Sinne des ‚Schonraums Schule’ als Trainer für die Bewältigung von Wirklichkeit das ganze Potential des Schonraums ausschöpfen kann.223 Die Gegenstände des Unterrichts ergeben sich aus den Lehrplänen und werden nur in den gegebenen engen Grenzen des Anforderungsniveaus der Gesellenprüfung an die Leistungsfähigkeit der Schüler angepasst. (vgl. 11Maier, 16-16; 02Zoll, 33-34; 04Pach, 77-84, 435-436; 12Blank, 22-25) In der konkreten Auswahl und bei der Schwerpunktsetzung innerhalb der Rahmenvorgaben werden jedoch die Interessen der Schüler berücksichtigt. „Der Lehrplan gibt für Sozialkunde ziemlich deutlich vor, was zu machen ist. … Zusammengestellt habe ich dann mit der Überlegung ‚Was könnte Schüler an diesem Lehrplan interessieren’.“ (02Zoll, 33-34) Häufig, insbesondere bei den Fachlehrern, werden die Praxiserfahrungen und -erwartungen der Schüler zum Ansatzpunkt für die Vermittlung der Unterrichtsgegenstände. „Solche Sachen wie dieser technische oder dieser Gestaltungsbereich. Das ist etwas, was sie noch verhältnismäßig interessiert. Aber sobald irgendwie mathematisch irgendwas berechnet werden muss. Nicht. Und wie gesagt … das, womit sie auch … in der Praxis dann zu tun haben.“ (06Tietz, 158-158) „Also immer praktische Bezüge. Das wollen die, das wollen die wissen. Ja. Sie wollen ja mit ihrem erworbenen Wissen was in der Praxis anfangen.“ (08Arnold, 26-26) Ebenso wie bei der Auswahl und Schwerpunktsetzung der Unterrichtsgegenstände ergeben sich in der konkreten Unterrichtssituation insbesondere aus dem Praxisbezug die Anknüpfungspunkte an die Schülerwirklichkeit. Dies fängt an mit Fragen, was in der vergangenen Woche auf der Baustelle los war, geht über das Aufgreifen von Schülerfragen, die dann zu einer ganzen Unterrichtsstunde werden können, bis hin zur Einplanung von unterschiedlichen Wirklichkeitserfahrungen der Schüler in die Konzeption des Unterrichts. „Das liegt auch in der Natur der Dinge, dass es in der Praxis viele Varianten, Möglichkeiten gibt. Und es gibt nicht nur eine. … Die der Lehrer vorgibt. Sondern es gibt viele Möglichkeiten. Und hier sollte man auch eine bestimmte Konfliktsituation erzeugen, wo der Lehrling also auch entscheiden – selber entscheiden kann, was ist richtig oder was ist falsch.“ (12Blank, 240-246) Ein weiteres Feld für Anknüpfungspunkte an die Schülerwirklichkeit sind die privaten Lebensumstände der Schüler bzw. etwas weiter gefasst die Lebensumstände von Jugendlichen. In der Untersuchung fällt auf, dass 223 Dieser Herangehensweise steht weder schüler- noch lehrerseitig die Mitgliedschaft der Lehrer in den Kammerprüfungsausschüssen entgegen, die vielfach von den Lehrern im Interview erwähnt wurde. - 273 diese Anknüpfungspunkte sehr viel häufiger von Lehrern benannt wurden, denen in der Studie eine soziale Orientierung zugeordnet worden ist. „Und andere Themen, wo jetzt viel, wo die Jungs und Mädels viele Möglichkeiten sehen, ihre eigenen Dinge aus dem Leben noch mit einzubuttern, Fragen zu stellen, ganz konkret zu werden. Das dauert dann, und dann tut es einem … eigentlich … Leid, wenn man da abbrechen muss. … Auf der anderen Seite sind gerade solche konkreten Sachen – ‚Ja was ist denn mit Versicherung? Brauche ich die? Was kann ich da machen?’ – … Ja dann könnte man schon mal ein bisschen ausholen. ... Da finde ich, ist die Zeit zu wenig.“ (09Dressel, 101-108) Dabei sind die privaten Anknüpfungspunkte keineswegs spezifische Domänen sozialaffiner Fächer wie Wirtschaftslehre oder Sozialkunde. So wird Baustoffkunde bei Zimmerern mit dem Hinweis auf den Eigenheimbau der Schüler verknüpft (vgl. 01Ackermann, 175-176) und Funktionsweisen und Kräfte von Tischlermaschinen anhand der Fahrzeuge der Schüler besprochen und auf die Maschinen übertragen. (vgl. 05Franke, 55-56) Für das Anknüpfen an die Schülerwirklichkeit ist es für die Lehrer von besonderer Bedeutung, authentisch und glaubwürdig zu sein, um diese Anknüpfungspunkte auch erreichen zu können. (vgl. 11Maier, 371-379; 08Arnold, 89-104) Als weitere Anknüpfungspunkte ergeben sich für die Lehrer zum einen die allgemeingültige Verwendbarkeit von Wissensbeständen am Arbeitsmarkt und zum anderen die Prüfungsrelevanz bestimmter Unterrichtsinhalte für die Abschlussprüfung. Letztere wird jedoch von den Lehrern als pädagogischer Notnagel verstanden, der verminderte Zugkraft entwickelt. (vgl. 08Arnold, 29-34; 02Zoll, 81-92) Im Überblick betrachtet, werden die Unterrichtsinhalte auf der Basis der Lehrpläne von den Lehrern mit der Intention eines deutlichen Schülerbezugs im Sinne einer Hilfestellung für die Abschlussprüfung ausgewählt. In der Konkretisierung werden schülerorientierte Schwerpunkte gesetzt, die in der Umsetzung offen sind für Anregungen durch die Schüler. Besonders wichtig ist in der Umsetzung der Schülerbezug, der vorwiegend aus einem Praxisbezug oder Lebensbezug zur Schülerwirklichkeit hergeleitet wird. Dabei wird lehrerseitig ein partnerschaftlicher Umgang mit authentischem Interesse am eigenen Tun und an der Wirklichkeit der Schüler gesucht, der jedoch den Leistungsaspekt nicht negiert, sondern im Sinne einer Förderung betont. In diesem Sinne tragen die von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer dem zentralen Schülerinteresse an dem Erfolg ihrer Abschlussprüfung Rechnung. Dadurch entsteht im Hinblick auf den ‚Stoff’ eine gleichgerichtete Wirklichkeitskonstruktion zwischen Schülern und Lehrern, so dass eine Interessenskongruenz für die Schüler deutlich wird. - 274 8.2.3 Leistung und Lernschwierigkeiten Zur Einführung in die Problematik der Lernschwierigkeiten wird dem Kapitel ein längeres Beispiel der Alltagspraxis vorangestellt. „Na ja … wo man dann auch sagt ‚Mensch, ich habe das doch vorher erklärt.’ Aber nein! Es wird immer wieder gefragt. Und da kommt man dann auch; es ist zwar nicht konsequent von Seiten des Lehrers. Man sagt ‚Ok. Ich habe sie aber so weit, dass sie etwas machen.’ Also, obwohl ich das vorher gesagt habe, ich gehe trotzdem noch mal auf sie ein. Und sage ‚Ok. Jetzt mache es aber so und so.’ … Da ist ein Schüler dabei, der neigt dazu, gerade wenn etwas erklärt wird … da beschäftigt er sich … mit anderen Sachen oder hört überhaupt nicht zu. Und dann aber, wenn er selbständig arbeiten soll und er steht vor dem Problem, was vorher erläutert wurde, dann auch ganz aggressiv die Frage stellt ‚Sie sind Lehrer. Sie müssen mir das jetzt erklären.’ Ja. Und solche Argumente, ‚es ist vorher erklärt worden’ das … kann … schon manchmal einen Nerv rauben. Aber man kommt dann wie schon gesagt, man kommt dazu ‚Ok. Jetzt habe ich ihn wenigstens ein Stückchen.’ Also versuche ich da noch ein bisschen. Ja. Da kann man sich natürlich auch ein bisschen zum Clown machen. Wenn man das ständig (macht); also ständig macht man es nicht. Aber man macht es dann mal. Ja. Also nur immer ignorieren, das … würde dann auch nichts bringen. … Das ist eine Gratwanderung. … Wo man dann auch manchmal herausgeht und sagt, ‚Ja Mensch, hast du das richtig gemacht?’, oder ‚Warum hast du das jetzt gemacht? Du(!) opferst … auch deine Nerven und setzt dich dann noch auseinander damit.’ Obwohl eigentlich das gar nicht nötig gewesen wäre. Wenn man konsequent wäre. … Wo zwar vorher der Inhalt und so alles schon erläutert wird. Es wird dann auch noch geholfen. Und das sollten sie auch merken. Also dass sie auch merken, ‚Es wird nicht nur jetzt von euch gefordert.’ Sondern ja, und das ist dann vielleicht in der Persönlichkeitsentwicklung auch gut. Dass sie merken ‚Ja, sie werden nicht allein gelassen.’“ (06Tietz, 30-40) Das Beispiel ist sehr lang, jedoch in seiner Pointierung der Summe alltäglicher Schwierigkeiten und Bemühungen auf dem Weg zum Lernerfolg sehr aussagekräftig. Schülerseitig werden die Lernschwierigkeiten von den Lehrern in sehr vielfältigen Ursachen verortet. Die Bandbreite reicht von Wissensdefiziten (vgl. 03Lotz, 164-173, 139-142) über Handlungsdefizite, die insbesondere mangelnde Fähigkeiten bei der Herangehensweise und Strukturierung von Aufgabenstellungen (vgl. 04Pach, 58-62; 05Franke, 1121; 08Arnold, 119-130; 10Henkel, 122-130, 145-148) sowie den sinnvollen Einsatz von Hilfsmitteln wie Mitschriften, Bücher oder Formelsammlungen betreffen (vgl. 05Franke, 11-21; 11Maier, 14-14). Sie erstreckt sich über - 275 mangelnde Motivation, die sich aus betrieblichen oder privaten Gründen speisen kann (vgl. 06Tietz, 12-12; 01Ackermann, 183-186; 03Lotz, 279288), bis hin zum Fehlen von Grundfertigkeiten in Lesen und Schreiben (vgl. 04Pach, 70-74; 09Dressel, 43-54). Letztlich wird auch das Fehlen von Fertigkeiten, die es den Schülern z.B. ermöglichen würden pünktlich zu sein, weil sie dies nie gelernt haben, konstatiert (vgl. 06Tietz, 12-15). Neben die individuellen Problemlagen der Schüler treten strukturelle Probleme der Institution Schule. Sie ergeben sich aus zum Teil auch im dritten Ausbildungsjahr noch sehr großen Schülerstärken in den Klassen (vgl. 11Maier, 10-10) sowie aus der Strukturlogik dualer Berufsausbildung. Die Strukturlogik Dualer Ausbildung, keinerlei schulische Eingangsvoraussetzung zur Erlangung eines Berufes vorzusehen, führt in den Klassen zu einer sehr großen Bandbreite der Eingangsvoraussetzungen, so dass in der gleichen Klasse gute Abiturienten und Schüler ohne allgemeinbildenden Schulabschluss, d.h. lediglich mit Abgangszeugnis, gemeinsam unterrichtet werden. (vgl. 02 Zoll, 163-163; 12Blank, 151-153, 246-250; 03Lotz, 139142; 04Pach, 10-12; 08Arnold, 110-113) Ebenso breit ist dann auch die Altersspanne der Schüler innerhalb einer Klasse. In Gänze sieht sich der Lehrer zunächst mit der Situation konfrontiert: „Ich stelle nur immer wieder fest, wir kümmern uns ja gar nicht um die stärkeren Schüler. Weil wir in Klassen von dreißig immer mehr auf Disziplinlosigkeiten achten müssen. Einfach durch die Enge der Situation. Wir kümmern uns eigentlich immer mehr um die schwächeren Schüler. Oder um die disziplinlosen Schüler, weil sonst das Aufrechterhalten von Unterricht gar nicht möglich ist.“ (02Zoll, 135-135) Vor diesem Hintergrund vollzieht sich auf Seiten der Schüler ein Entwicklungsprozess, der schon weiter oben als Verlaufsphänomen der Interaktion beschrieben wurde und im dritten Ausbildungsjahr in eine Leistungsorientierung der Schüler bzw. in eine Abschlussorientierung der Schüler mündet. Dies kann dazu führen, dass die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Schüler nicht zu dem erwarteten Ergebnis führen müssen, d.h. dass schlechte Eingangsbedingungen auch in schlechten Berufsabschlüssen münden müssten. Für gute Schüler zeichnet sich vielmehr das Gefahrenpotential ab, dass „die Guten bei der Masse an Schülern … sich dem Niveau nach unten leichter an(gleichen) wie welche nach oben. Es fällt ja leichter, nichts zu machen, als mich anzustrengen.“ (11Maier, 22-30) Im Resultat kann sich die Situation ergeben, dass „auch Hauptschüler … mit - 276 dem Abiturienten gut mithalten können. Wenn sie wollen. Und wenn sie die Förderung, die man bietet, auch annehmen.“ (12Blank, 246-250)224 Mit dem Fördergedanken richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Handlungen der Lehrer. Dies ist jedoch nicht ohne die Voraussetzung des Fördergedankens zu erörtern. Tietz drückt dies im Eingangszitat mit den Worten aus: „Jetzt habe ich ihn wenigstens ein Stückchen. Also versuche ich da noch ein bisschen.“ (06Tietz, 30-40) Grundgedanke der Förderung ist die Freiwilligkeit der Schüler im Sinne ihres Wollens und ihrer Initiative. Blank drückt sich in dieser Richtung sehr deutlich aus: „Aber wir müssen das auch dazu sagen, dass diejenigen, die nicht wollen, ja die sollen dort bleiben, wo sie sind.“ (12Blank, 52-52) Hier zeigt sich eine Facette der eingangs schon beschriebenen wechselseitigen Wertschätzung zwischen Schülern und Lehrern. Auf der einen Seite respektiert der Lehrer die Wirklichkeit des Schülers. „Was ich nicht mache ist, Schüler vorzuführen. Also wenn ein Schüler offensichtlich aus dem Fenster guckt, dann guckt der gerade aus dem Fenster. Und dann gilt es für mich nicht, noch ihn zu fragen, was wir gerade gesagt haben. Weil ich weiß ja schon, dass keine Antwort kommt.“ (02Zoll, 21-24) „Das Beispiel mit dem Fenster. Jemand hat sich bereits entschieden, zu sagen ‚Das, was der da vorne macht, ist langweilig, nicht interessant. Ich habe andere Probleme. Meine Freundin ist mir weggelaufen.’ Und so weiter. Dann hat der sich ja aus einem guten Grund dafür … entschieden, sich jetzt in dem Moment so zu verhalten. Er stört niemanden. Das heißt, er hat sich entschieden, sich aus diesem Unterricht zurückzuziehen. Aber mir die Chance zu geben, oder auch seinen Mitschülern die Chance zu geben, dem Lehrer da vorne zu folgen.“ (02 Zoll, 340-341) Die Grenze des Respekts für die Wirklichkeit des Schülers bildet sich hier an der Grenze zur Wirklichkeit der Mitschüler. Wird die gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion der Schüler und des Lehrers, d.h. das gemeinsame Interesse an der Möglichkeit Unterricht durchzuführen, verletzt, endet auch die Wirklichkeitstoleranz. Kehren die Schüler jedoch zurück und wollen, dann steht ihnen das Hilfspotential auch wieder offen. „Warum soll man denn so eine Chance verderben? Und vor allen Dingen dann, wenn ich merke, der Knoten ist geplatzt. Jetzt geht's los. Jetzt dreht der sich plötzlich. Na, da gebe ich dem doch auch die Chance.“ (03Lotz, 308-316) Umgekehrt gilt aus der Lehrerperspektive natürlich auch, dass die Hilfestellung erst durch die Wertschätzung dieser Leistung sinnvoll ihren Effekt entfalten kann. Tietz macht dies im Eingangszitat mit dem Metapher der Grenzsituation deutlich. Erst wenn der 224 Ähnlich: vgl. 05Franke, 26-32. - 277 Schüler die Hilfestellung wertschätzen kann, ist er bereit für die Hilfe. Ansonsten macht sich der Lehrer „zum Clown“ (06Tietz, 30-40). Für das Lehrerhandeln im Zusammenhang mit Lernschwierigkeiten sind vier handlungsleitende Momente erkennbar. Diese können schlagwortartig mit den Begriffen Anschaulichkeit, Offenheit, Aktivierung und Chance bezeichnet werden. Das Moment der Anschaulichkeit korrespondiert mit dem weiter oben beschriebenen Praxisbezug der Unterrichtsinhalte. „Man versucht dieses Wissen, was man an die Schüler weitergeben sollte … mit praktischen Dingen … gleich zu verknüpfen. Und da sind sie ja gerade in aktuellen Sachen ... eigentlich ziemlich schnell dabei dann.“ (09Dressel, 12-12) Die Anknüpfungspunkte werden in der Schülerwirklichkeit gesucht (vgl. 08Arnold, 25-28, 164-166, 287-294; 13Eichholz, 398-416, 07Menzel, 34-38; 04Pach, 187-188; 05Franke, 55-56), so dass die Inhalte an Beispielen, die den Schülern vertraut sind, diskutiert werden können. Aus konstruktivistischer Perspektive spannt sich für die Schüler mit dem Anknüpfen an ihre Schülerwirklichkeit ein vertrauter Reflexionshintergrund in Bezug auf die Lerngegenstände auf, so dass sie nicht nur leichter Zugang zu den Inhalten finden, sondern auch auf Widersprüche stoßen können. Widersprüche zwischen erlebter Schülerwirklichkeit und postuliertem Lerngehalt eines Lerngegenstandes, der an die Schülerwirklichkeit angelehnt ist oder ihr entspringt, offenbaren für den Schüler sichtbare Schwierigkeiten. Gestützt auf die eigene Wirklichkeitserfahrung, kann der Schüler diesen Widerspruch artikulieren, in seiner Wirklichkeit dem Lehrer erfahrbar machen und in einen Diskussionsprozess eintreten. Für die Schüler bedeutet dies, dass sie aus eigenem Vermögen heraus Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen können. Gleichzeitig befinden sie sich bei der Artikulation möglicher Probleme in der ihnen vertrauten Wirklichkeit, so dass sie sich bei der Artikulation auf vertraute Bezüge stützen können. Dies kann zu einer klareren Problembeschreibung und zu einem größeren Mut, das Problem offenzulegen, führen. Im Umkehrschluss steigt für den Lehrer wiederum die Chance Lernschwierigkeiten zu erkennen und in der Interpretation der Schülerwirklichkeit mögliche Ursachen für die Schwierigkeiten entdecken zu können. In dieser Wechselwirkung liegt ein Ansatz zur Lösung von Schwierigkeiten, der von den Lehrern auch bewusst als Schülerleistung erwartet wird. „Eigenverantwortung und auch ein gewisses Echo. Dass … das auch von den Schülern kommt. Also, ja. Wenn sie was nicht verstehen … da halten sie nicht das Blatt vor den Mund. Und sagen ‚Also hier, das habe ich nicht kapiert.’ Ich sage ‚Gut, Ok.’ Man … fühlt ja auch mit den Jahren an den Blicken ‚Och da nein. Die gucken so komisch, da stimmt irgendwas (nicht)’ oder aber ich habe einen Fehler gemacht. … Man erwartet, denke ich mal, schon - 278 auch von den Schülern oder Auszubildenden, dass sie an gewissen Stellen auch ihren Mund aufmachen. Das sollen sie. Und das, das möchte (ich) auch gern.“ (09Dressel, 288-292) Das letzte Zitat leitet unmittelbar in das Moment der Offenheit über. Offenheit für Lernschwierigkeiten bedeutet zum einen, dass Lernschwierigkeiten lehrerseitig als Normalzustand akzeptiert und erwartet werden. „Also, leistungsstarke, leistungsschwache. Das ist … eigentlich immer ähnlich. … Ja, da gibt es sicherlich ein paar Schüler, oder immer mal einen Schüler, der auffällig ist. Aber das ist ganz normal.“ (08Arnold, 110-113) Ebenso betont wird, dass es „bei mir den Satz – auch im Kopf – ‚dafür ist der sowieso zu blöd’ … nicht geben (wird).“ (02Zoll, 305-305) Dadurch verlieren die Lernschwierigkeiten ihren stigmatisierenden Charakter. Lehrer wie Schüler rechnen damit. In der Folge bedeutet dies zum anderen, dass die Lehrer in ihrem Handeln Möglichkeiten für die Schüler schaffen, um Schwierigkeiten zu artikulieren. Dies reicht von der Unterstützung beim Aufgabenlösen, wie es Tietz im Eingangsbeispiel beschreibt, über die spontane Bereitstellung von Unterrichtszeit (vgl. 04Pach, 99-102; 08Arnold, 287-294) bis zu institutionalisierten Möglichkeiten wie der Gelegenheit, lehrerseitig zu Beginn einer Blockwoche eine Chance zu eröffnen, über fachliche Probleme an der Arbeit zu sprechen (vgl. 03Lotz, 210-219) oder der gesonderten Besprechung von Klassenarbeiten mit schwächeren Schülern und dem damit einhergehenden erneuten Durchrechnen der Aufgaben mit Hilfe des Lehrers (vgl. 05Franke, 21-27). Das dritte handlungsleitende Moment ist mit dem Begriff Aktivierung gekennzeichnet worden. Aktivierung bedeutet hier Aktivierung der Schüler hin zu einer eigenen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. In der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand können die Schüler aktiv Erfahrungen sammeln, so dass der Lerngegenstand individuell in die Schülerwirklichkeit eingebunden wird und Lernschwierigkeiten produktiv in der Auseinandersetzung mit der eigenen Lernsituation hervortreten können. Dies geschieht zum einen über methodische Unterrichtsentscheidungen, die problemlösende Lernensituationen begünstigen, wie den Bau von Modellen und die Durchführung von Berechnungen am selbst durchgeführten Aufmaß (vgl. 08Arnold, 29-34; 06Tietz, 109-126). Auch gruppenorientierte Verfahren finden Anwendung wie Expertenlernen (vgl. 13Eichholz, 113-116), oder das Arbeiten in Teams. „Es gibt vier verschiedene Aufgabenbereiche ... zu einem Thema, (die dann) von den Teams … abgearbeitet werden müssen. Ob das nun eine Fragestellung ist oder ein paar Begriffe, die aus dem Fachbereich kommen, die sie erläutern müssen. … Als Endkonsequenz steht immer ein Beleg, nach Abschluss des Themas muss ein Beleg fertig sein. Und der wird dann direkt auch als Team in die - 279 Wertung eingehen. ... Und einer … vom Team muss ein(en) Vortrag dadrüber halten. Da kommen ganz tolle Sachen raus. Mit PowerPoint und so.“ (03Lotz, 76-76) Ebenso hilfreich sind zum anderen Situationen, in die die Schüler eigene Erfahrungen einbringen können. (vgl. 09Dressel, 101108; 02 Zoll, 35-40) In den gruppenorientierten Verfahren sind Möglichkeiten zur Lösung von Lernschwierigkeiten schon angelegt. Zum einen gewinnt der Lehrer Zeit zur individuellen Förderung und zum anderen können die Schüler im Kontakt mit ihren Mitschülern in eigenen Worten225, ohne die Konsultation des Lehrers, entstehende Schwierigkeiten lösen. Auf diese Möglichkeit weist Franke dezidiert hin und verwendet sie institutionell in seinem Unterricht. „Da ja auch hier, sehr gute Schüler drin sind, schaffe ich Patenschaften …, die beziehen sich auf den Unterricht. Das ist keine Nebenzeit. Sondern (ich) setze die bewusst so zusammen. Und dann können die wesentlich leistungsstärkeren Schüler den schwächeren sehr, sehr gut helfen. … Und das Resultat ist, nach einer gewissen Zeit ist der zumindest auf einem Niveau, wo er mitkommt. … Vielleicht muss man auch noch dazu sagen, dass die schwachen Schüler auch gar nicht in der Lage sind, richtig mit ihren Büchern umzugehen. … Also ich muss sagen, das Formelbuch ist ausgezeichnet. … Und ihnen fehlt es einfach zu erkennen, von der Aufgabenstellung, um was geht es eigentlich? Welche Seite muss ich aufschlagen? Und das bringt ihnen der gute Schüler mit bei. Denn der blättert drin. Man sieht es da ganz offensichtlich. Und dann stellen sie auf einmal fest, wenn ich das erkannt habe, stehen die Formeln, diese sind sogar alle umgestellt in dem, in Formelbüchern.“ (05Franke, 11-21) Für das vierte handlungsleitende Moment ist der Begriff Chance verwendet worden. Im Eingangszitat zu diesem Abschnitt formuliert Tietz es so: „Na ja … wo man dann auch sagt ‚Mensch, ich habe das doch vorher erklärt.’ Aber nein! Es wird immer wieder gefragt. Und da kommt man dann auch; es ist zwar nicht konsequent von Seiten des Lehrers. Man sagt ‚Ok. Ich habe sie aber so weit, dass sie etwas machen.’ Also, obwohl ich das vorher gesagt habe, ich gehe trotzdem noch mal auf sie ein. Und sage ‚Ok. Jetzt mache es aber so und so.’ (06Tietz, 30-40) Im Kern geht es darum, den Schülern immer wieder Rückkehrmöglichkeiten und Anschlussmöglichkeiten zu eröffnen. Aus welchen Gründen auch immer die Schüler den Anschluss verpasst haben, sobald sie wollen, wird ihnen eine Rückkehr ermöglicht. (vgl. 13Eichholz, 100-101; 03Lotz, 292-316; 04Pach, 99-102; 225 Auf die Möglichkeit, Verständnisschwierigkeiten durch die schülerseitige Beschrei bung in eigenen Worten lösen zu können, weist Eichholz auch für Situationen im Plenum hin. (vgl. 13Eichholz, 17-28) - 280 09Dressel, 68-68; 11Maier, 383-397; 07Menzel, 28-28, 42-48; 02Zoll, 305305) „Es gibt Schüler wiederum in der Gruppe, die wollen, und welche, die wollen nicht. Die nicht wollen, mit denen kann man nichts machen. Die wollen, das liegt im Ureigensten des Lehrers, die bekommen auch dann vom Lehrer die Unterstützung, die sie brauchen. Und werden auch dann dorthin geführt. … Aber wir müssen das auch dazu sagen, dass diejenigen, die nicht wollen, ja die sollen dort bleiben, wo sie sind.“ (12Blank, 51-53) Die Rückkehrmöglichkeit ist die Chance der Schüler, die jedoch nur aus ihrem eigenen Wollen heraus entwickelt werden kann. Für die Schüler, die dem Lehrer gegenüber Lernschwierigkeiten artikulieren, bedeutet dies, dass sie auf einen akzeptierenden Umgang mit den Schwierigkeiten vertrauen dürfen. Ebenso dürfen sie auf Hilfestellungen zur Rückkehr bzw. zur Klärung von Schwierigkeiten rechnen. Für den Lehrer selbst, der sich der Intention des Schülers nie sicher sein kann, ergibt sich die von Tietz geschilderte Gratwanderung zwischen notwendiger und erwünschter Chance bei den Schülern, die ‚wollen’, auf der einen Seite und der Problematik sich bei Schülern, die ‚nicht wollen’, „zum Clown (zu) machen“ (06Tietz, 30-40). Hinter den handlungsleitenden Momenten des Lehrerhandelns können zwei Lehrereinstellungen gefunden werden, die bei Lernschwierigkeiten zum Tragen kommen. Dies sind zum einen die Achtung vor der Person des Schülers und zum anderen die Akzeptanz einer Orientierungsfunktion, die über das Konkret-Fachliche hinausreicht. Die Achtung vor der Person des Schülers bedeutet im Umgang mit Lernschwierigkeiten, dass eine gewisse Diskretion erzeugt wird. Sie verhindert, dass die Schüler sich bloßgestellt fühlen. „Bei den Auswertungen (einer Klassenarbeit), also ich handhabe das so, mit diesen Schülern spreche ich getrennt noch einmal. Ich gebe die Arbeit erstmal grundsätzlich zurück. Gebe eine Allgemeineinschätzung der Arbeit. Und nehme mir dann die schwächeren Schüler zum Schluss oder nach einer Pause und gehe mit ihnen das noch einmal durch. Das heißt, innerhalb der Pause rechnen wir dann die Aufgaben noch einmal. Und damit machen sie eine Art … Korrektur der Arbeit.“ (05Franke, 21-27) Gleiches gilt für Lernschwierigkeiten im Unterrichtsprozess. Auch dort werden bloßstellende Situationen im Klassenplenum vermieden. (vgl. 02Zoll, 21-24, 340-341; 09Dressel, 6868, 48-54; 08Arnold, 6-6) Gleichfalls bedeutsam ist die Akzeptanz der Schülerpersönlichkeiten als selbstbestimmte Persönlichkeiten erwachsener Lernender, die für ihr Handeln Verantwortung tragen. „Es gibt ja immer diese Schülerunterlagen, die wir dann mit an die Hand bekommen. Wo das letzte Zeugnis mit dabei ist. Und wo Noten drinstehen. Das hat für mich überhaupt keine Relevanz. Das interessiert mich gar nicht. Erstens macht - 281 es mir zu viel Arbeit, das durchzulesen. Und zweitens … fangen die alle bei mir mit einer Eins an. … So, und sie können mich vom Gegenteil überzeugen. Oder sie können das beweisen. Und das ist mir … auch völlig egal, ob das ein Abiturient ist. Oder ob das einer ist mit Achte-Klasse-Abschluss. Oder so. Das ist also völlig uninteressant.“ (08Arnold, 37-40) Verantwortung bedeutet hier eine Verantwortung der Ursachen in dem Sinne, dass nach Begründungen für das Schülerhandeln gefragt wird (vgl. 08Arnold, 304-306) und dass eine lehrerseitige Offenheit besteht, die individuellen Situationen der Schüler kennen zu lernen (vgl. 11Maier, 383-397; 06Tietz, 230-232). Verantwortung bedeutet hier jedoch nicht eine Verantwortung für ein Scheitern im Sinne einer Schuldzuweisung an die Schüler und daran anschließender Verweigerung des Lehrers. „Man darf dann … auch nicht vorbelastet wieder reingehen. So nach dem Motto ‚Na du! Letzte Woche’. Also … da muss man – es kostet manchmal viele Nerven. Aber, es ist aber auch eine Lebenseinstellung. – … Also, diese Achtung muss man Ihnen auch entgegenbringen.“ (06Tietz, 234-238) Die Achtung vor der Persönlichkeit des Schülers als verantwortlichem Lernenden kann zu kooperativen und selbstreflektierenden Einstellungen der Lehrer führen. Kooperative Einstellungen führen die Lehrer dazu, sich als Teil eines Teams zu betrachten, das einen gemeinsamen Erfolg anstrebt. (vgl. 07Menzel, 126-132, 350-354; 06Tietz, 68-72, 382-397) „Wie das eben so auch auf dem Bau war, hatten wir auch einen anderen Ton. Auch gegenüber den Schülern. Das hat sich aber inzwischen alles schon gelegt, weil das sowieso nichts bringt. Im Gegenteil heutzutage, ist das ja, wie soll ich den sagen? Keil treibend. Also man erreicht es ja nicht mehr. … Schärferer Ton. … Das habe ich mir abgewöhnt. … Also das von oben herab. Ja. Das ist Schulmeister. … Ich bin jetzt an dem Punkt angekommen, wo ich mehr oder weniger mich als teamintegriert betrachte. Die Klasse als Team sozusagen.“ (03Lotz, 60-71) „Und die Harmonie klappt eben. Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll. Ja also, die hören mir zu. Und … wir machen das gemeinsam. Wir haben etwas Gemeinsames angefangen und führen das gemeinsam zum Ende. Das über drei Jahre. … Ist mein Ziel. Und soll ja denen ihr Ziel ja auch sein.“ (10Henkel, 263-273) Selbstreflektierende Einstellungen führen den Lehrer zur Annahme und auch Anregung konstruktiver Kritik seitens der Schüler, die dann zur Überprüfung der eigenen Haltung beitragen. (vgl. 13Eichholz, 398-416, 172187; 10Henkel, 179-182; 09Dressel, 288-292; 11Maier, 259-265) „Ich (möchte) letztendlich in der Situation nicht stecken, dass ich einem Schüler in Sozialkunde in seinem Abschlusszeugnis eine fünf geben muss und er eventuell deswegen die Prüfung nicht schafft. Betone gleich dazu, ich würde nie schummeln. … Niemals. Aber ich würde alles dafür tun, wenn - 282 ich den Eindruck hätte, ein Schüler fällt nur in Sozialkunde ab, würde ich alles dafür tun, ihn zu fragen, woran es liegt. Vielleicht liegt es ja auch schlicht und ergreifend an meiner Person. Das kann ja auch alles sein. Und bin dann auch bereit, sozusagen mit dem Schüler zu diskutieren oder darüber zu reden, wenn es denn in meiner Person liegt, was ich denn ändern kann. Was er ändern muss.“ (02Zoll, 325-327) Hier wird deutlich, dass die Lehrer im Team eine leitende Funktion übernehmen, jedoch zur Erreichung der Teamziele sich um die Belange der übrigen Teammitglieder kümmern müssen. Aus der Teamperspektive ergibt sich eine Interdependenz der Handelnden. Die Lehrer schaffen die Strukturen und inhaltlichen Rahmenbedingungen zur Zielerreichung und die Schüler erbringen die inhaltliche Teamleistung. Beide sind aufeinander angewiesen. So dass es „im Ureigensten des Lehrers“ (12Blank, 51-53) liegt, die schwächeren Schüler zu unterstützen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Ebenso wie es das ureigenste Interesse der Schüler sein muss, bei Schwierigkeiten die Teamleitung zu Rate zu ziehen, um das Teamziel weiter verfolgen zu können. Die zweite handlungsleitende Einstellung der Lehrer ergibt sich aus der Übernahme einer Orientierungsfunktion, die sich auf den Erziehungsauftrag der Schule zurückführen lässt. Der Erziehungsbegriff, dem umgangssprachlich eine stark fremdbestimmte, reglementierende und anleitende Diktion innewohnt, trifft jedoch die vorgefundene Situation nicht, so dass an dieser Stelle von einer Orientierungsfunktion gesprochen wird. Sie setzt sich aus den Komponenten Fürsorge und Information zusammen. Die Fürsorge betrifft den schulischen bzw. ausbildungsnahen Bereich der Schüler und dient zur Erleichterung des Alltags bzw. zur Erreichung des Ausbildungsziels der Schüler. Dies reicht von der Optimierung der Lernsituation (vgl. 08Arnold, 116-120, 257-264) und Bearbeitung kleinerer Probleme (vgl. 03Lotz, 252-256, 279-288; 05Franke, 97-101), über Probleme mit dem Schülerwohnheim (vgl. 10Henkel, 7-25) bis hin zu unterrichtsorganisatorischen Optimierungen (vgl. 10Henkel, 211-216). „Ja. Die sind mir sehr wichtig. Und ich bin auch oftmals … dann von der Schulleitung angegangen (worden) so nach dem Motto ‚Stelle dich nicht immer vor deine Schüler. Und nehme die nicht immer in den Schutz.’ Weil ich dann auch sage ‚Also, die haben ein Recht. Und die müssen. Und das mache ich nicht mit meinen Schülern.’“ (07Menzel, 350-354) Der Informationsaspekt der Orientierungsfunktion umfasst die klassische Auseinandersetzung mit Normen und Werten. Disziplin, Pünktlichkeit, Kappe absetzen, einander zu grüßen etc. (vgl. 12Blank, 108-120; 10Henkel, 521526, 310-314; 11Maier, 253-255; 07Menzel, 112-116) Die Auseinandersetzung wird jedoch nicht klassisch im Sinne von Machtausübung geführt. - 283 Vielmehr werden die Schüler in persönlichkeitsakzeptierender Weise über die Regeln informiert und die Regelungen als gemeinsamer wertschätzender Umgang miteinander eingeübt. (vgl. 12Blank, 108-120; 11Maier, 214215; 01Ackermann, 369-370; 09Dressel, 15-16; 07Menzel, 470-472; 06Tietz, 40-48) „Nein, wenn die mal so über den Flur gehen und so. Es ist eben so eine Sache. Man muss manchmal dem einen oder anderen erst angewöhnen, dass er grüßt und so. Das sind alles Kleinigkeiten. Die genieren sich. Wir machen da immer mal so einen Spaß. Ja. … Wenn man sagt ‚Ach, der schon wieder.’ So aus Spaß. Das wissen die ganz genau. Ja. … Aber das ist ja – solche Sachen, die sind manchmal da so notwendig, und dann haben die auch ein bisschen mehr Freude, ein bisschen mehr Spaß. Nicht so eintönig alles.“ (10Henkel, 521-526) „Viele Kollegen sind per du. Und manchmal sagen die Jungs ‚Ja, … Sie können uns ruhig mit du anreden.’ Da sage ich immer ‚Nein. Das ist auch ein bisschen Respekt und ein bisschen Achtung vor ihrer Persönlichkeit. Und umgedreht erwarte ich das auch.’ Sage ich dann.“ (10Henkel, 186-198) Es wird deutlich, dass die Orientierungsfunktion eine wechselseitige Verpflichtung zwischen den Schülern und den Lehrern bewirkt. Im Aspekt der Fürsorge drückt sich das Hilfsangebot des Lehrers aus. Im Aspekt der Information wiederum wird der Anspruch des Lehrers auf wechselseitige Wertschätzung durch die Akzeptanz gesellschaftlicher Normen artikuliert. Dadurch wird die Schüler- Lehrer-Interaktion nicht zu einer Einbahnstraße. Sie wird vielmehr zu einem Austausch. Hilfe und Wertschätzung werden lehrerseitig im Tausch für schülerseitiges Bemühen und Wertschätzung angeboten. Dabei sind Hilfe und Bemühen Tauschobjekte, die in einem längeren Prozess ausgetauscht und erwartet werden, während die Wertschätzung ein situatives Tauschobjekt darstellt. Tietz deutet diesen Zusammenhang im Eingangszitat an, als der Schüler seinen Erklärungen zur Aufgabenstellung nicht folgt und später aggressiv nachfragt. „Das ist eine Gratwanderung. … Wo man dann auch manchmal herausgeht und sagt, ‚Ja Mensch, hast du das richtig gemacht?’, oder ‚Warum hast du das jetzt gemacht? Du(!) opferst … auch deine Nerven und setzt dich dann noch auseinander damit.’ Obwohl eigentlich das gar nicht nötig gewesen wäre. Wenn man konsequent wäre.“ (06Tietz, 30-40) Für Tietz ergibt sich eine Konfliktsituation. Die ‚Gratwanderung’ zeigt sich hier, da der Schüler mit der aggressiven Frageform den situativen Aspekt der Wertschätzung für Tietz zweifelhaft erscheinen lässt. Ebenso zweifelhaft erscheint ihm das Bemühen des Schülers, da dieser nach Tietz’ Beobachtung diese Handlungsweise häufig an den Tag legt. So ist Tietz an dieser Stelle im Zweifel, ob das Tauschgeschäft zustande kommt, da die erwarteten Schülersignale situativ wie nachhaltig ausbleiben. - 284 Das Ziel aller pädagogischen Bemühungen der Lehrer ist, über das Bestehen der Abschlussprüfung hinaus die Selbständigkeit der Schüler im Sinne eigenständiger und selbstbestimmter Herangehensweisen an Problemstellungen und Schwierigkeiten zu fördern. (vgl. 13Eichholz, 113-116, 172-187; 06Tietz, 12-12; 12Henkel, 239-240; 09Dressel, 288-292) „Vom Grundsatz her ist für mich eigentlich erstmal das Wichtigste, zu sagen, also, ‚Das hat Bedeutung dahingehend, dass ihr das vielleicht in der Praxis brauchen könnt. Und einfach, dass ihr denkfähig gemacht werdet.’ … Weil das kommt oftmals aus den vorangegangenen Schulformen nicht, die sind nicht denkfähig gemacht worden. Sondern die haben gelernt, nach Schemata zu lernen und Aufgaben zu lösen. Und hier ist nun plötzlich einer, der will keine Schemata. … Also … ich hasse dieses schematische Abarbeiten. Die setzen am Ende irgendwelche, im mathematischen Bereich, irgendwelche Zahlen in Formeln ein, wo sie eigentlich den Hintergrund gar nicht verstehen. … Also, mir geht es darum, dass sie immer den Hintergrund haben, dass sie … den Hintergrund verstehen. Dass sie also wissen, wie ist das zustande gekommen. Dass sie fragen, warum. Dass sie nicht einfach irgendwas hinnehmen und stupide einsetzen.“ (08Arnold, 119-130) Diese Zielstellung ist auch in Aspekten, die schon weiter oben beschrieben worden sind, erkennbar. So im Aspekt der Aktivierung der Schüler, der als handlungsleitendes Moment der Lehrerhandlungen vorgestellt worden ist. Im Sinne der Aktivierung werden Unterrichtsformen bevorzugt, die den Schülern eine aktive und möglichst selbständige Teilhabe am Unterricht eröffnen. Das Gleiche gilt für die Freiwilligkeit der Leistungserbringung durch die Schüler, die als Voraussetzung einer Förderungleistung seitens der Lehrer weiter oben schon beschrieben worden ist. Dort ist betont worden, dass die Förderleistung des Lehrers erst durch das ‚Wollen’ der Schüler die notwendige Grundlage erfährt, um eine Verbesserung der Schülersituation anstreben zu können. In die gleiche Richtung weist die teamartige Herangehensweise an die pädagogische Situation seitens der Lehrer, die es ihnen ermöglicht den Schülern Entscheidungsspielräume und Verantwortung für ihren Lernprozess zu übertragen. Betrachtet man die Zielstellung eigenständiger und selbstbestimmter Herangehensweise aus einer Distanz heraus bzw. bezieht man die geschilderte Wirklichkeitskonstruktion des Unterrichtes auf die private und berufliche Lebenswirklichkeit der Schüler, so können zum privaten Leben der Schüler und auch zu deren Tätigkeit in einer handwerklichen Produktion Parallelen gezogen werden. Privat entwickeln sich die Jugendlichen zu selbstverantwortlichen, erwachsenen Persönlichkeiten, die in zunehmender Selbständigkeit für ihr Leben Verantwortung übernehmen. Beruflich - 285 befinden sich die Jugendlichen in handwerklichen Produktionsprozessen. Typisch für diese Produktionsprozesse ist die Zuweisung von Arbeiten als Auftrag. D.h., Gesellen und Lehrlingen wird als Auftrag das gewünschte Ergebnis mitgeteilt, ohne in der Regel Mittel und Wege dezidiert vorzugeben. So sind die Ausführenden gezwungen, auch hier für ihre Produktionsleistung Verantwortung zu übernehmen. Dies kann vom Aufmaß über den Einkauf der benötigten Materialen, die Bereitstellung der Werkzeuge, die Leistungserstellung selbst bis hin zur Übergabe der Leistung an den Kunden reichen. Folgt man diesem Gedankengang weiter, kann man auch im Handwerk Parallelen zur teamartigen Unterrichtsgestaltung seitens der Lehrer finden. Typisch ist hier für das Handwerk bei größeren Aufträgen die Leistungserbringung in kleinen Teams.226 Die Lehrlingsausbildung selbst folgt häufig dem Prinzip der Beistelllehre, d.h. der Lehrling wird einem Gesellen zugeordnet und arbeitet mit diesem zusammen Aufträge ab.227 Hier folgt die Wirklichkeitskonstruktion schulischen Lernens, die gemeinsam von Schülern und Lehrern modelliert wird, den außerschulischen Bedingungen, in die die Jugendlichen eingebunden sind. Dies schafft zum einen Vertrautheit und Lebensnähe für die Schüler und eröffnet zum anderen den Lehrern die Möglichkeit, die Schülerrealität in der Schule pädagogisch aufgreifen, reflektieren und in erweiterte Kontexte stellen zu können. Zusammenfassend kann ein sehr konstruktiver Umgang der Lehrer mit Lernschwierigkeiten der Schüler konstatiert werden. Ausgehend von einem Fördergedanken, der die freiwillige Mitwirkung der Jugendlichen als Voraussetzung impliziert, werden Lernschwierigkeiten als normaler Bestandteil von Lernprozessen akzeptiert. Neben der Offenheit für Lernschwierig 226 Eine deutliche Parallele zeigt dazu das Lehrerinterview mit Lotz: „Die Klasse als Team sozusagen. Ich teile sie auch vorneweg in vier Teams. Mit jeweils einem Teamleiter. … Es gibt vier verschiedene Aufgabenbereiche, die dann zu einem Thema von den Teams … abgearbeitet werden müssen. Ob das nun eine Fragestellung ist, oder ein ein paar Begriffe, die aus dem Fachbereich kommen, die sie erläutern müssen dann am Ende, das ist erstmal Wurst. Als Endkonsequenz steht immer ein Beleg, nach Abschluss des Themas muss ein Beleg fertig sein. Und der wird dann direkt auch als Team in die Wertung eingehen. … einer von den(en), vom Team muss ein(en) Vortrag dadrüber halten. Da kommen ganz tolle Sachen raus. Mit PowerPoint und so.“ (03Lotz, 70-76) 227 Ähnlich Franke mit Lernpatenschaften: „Da ja auch hier, sehr gute Schüler drin sind, schaffe ich Patenschaften. Und das mache ich übrigens immer. … die beziehen sich auf den Unterricht. Das ist keine Nebenzeit. Sondern (ich) setze die bewusst so zusammen. Und dann können die wesentlich leistungsstärkeren Schüler den schwächeren sehr, sehr gut helfen. ... Und das Resultat ist, nach einer gewissen Zeit ist der zumindest auf einem Niveau, wo er mitkommt.“ (05Franke, 11-21) - 286 keiten sind die Anschaulichkeit im Sinne einer Anknüpfung an die Schülerwirklichkeit und die Aktivierung der Schüler zu eigenem Handeln kennzeichnende handlungsleitende Momente der Situationskonstruktion seitens der Lehrer. Dies geht einher mit der Verantwortungsübernahme der Schüler für ihren eigenen Lernprozess. Lehrerseitig wird dies verknüpft mit der prinzipiellen Chance und Offenheit zum Wiedereinsteigen in den Lernprozess für Schüler, die sich bisher selbst ausgeschlossen hatten bzw. phasenweise selbst ausschließen. Getragen wird die konkrete Situationskonstruktion lehrerseitig von zwei Einstellungen. Dies ist zum einen die Achtung vor dem Schüler als entwickelte Persönlichkeit und zum anderen, eng verbunden mit ersterem, die Übernahme einer Orientierungsfunktion, die die Schüler in ihrer Entwicklung begleiten will. In diesem Sinne heißt Begleitung zum einen Hilfe, zum anderen aber auch Einforderung gesellschaftlich üblicher, wertschätzender Verhaltensweisen. Das Ziel der pädagogischen Anstrengungen ist in der Selbständigkeit der Schüler zu eigenverantwortlicher Problemlösungsfähigkeit zu bestimmen. Hier wie auch in der gemeinsamen Konstruktion der Unterrichtssituation durch Schüler und Lehrer sind Anknüpfungspunkte an die schulexterne Wirklichkeit der Schüler erkennbar, so dass der Unterricht für die Schüler zu einem Reflexions- und Erprobungsrefugium für ihre Wirklichkeit werden kann. Der Begriff Refugium, im Sinne des Wortes eine Zufluchtsstätte, trifft die durch Schüler und Lehrer gestaltete Wirklichkeitskonstruktion in hohem Maße, wenn man die Zuflucht produktiv, im Sinne eines Vorbereitungs- und Entwicklungsraumes interpretiert, der sich an den Schülerbedürfnissen orientiert. 8.2.4 Leistung und Notengebung Schulnoten koppeln sehr unmittelbar die schulische Wirklichkeit mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Aus gesellschaftlicher Perspektive kommen der Schule im Sinne der strukturfunktionalistischen Theorie zwei Funktionen zu, deren Zielerreichung über Noten dokumentiert werden kann. Dies ist zum einen die Qualifikationsfunktion, d.h. die Funktion, den Jugendlichen die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, und zum anderen die Selektions- bzw. Allokationsfunktion, d.h. die Ermöglichung oder Verweigerung von Positionen im Erwerbsleben, im Sinne der Zuweisung der Startposition im Arbeitsleben. (vgl. Gudjons, H. (1994) S. 241-243) Dieser Zusammenhang wird auch von den Schülern hergestellt. In der Schülerbefragung der vorliegenden Studie messen die Schüler der - 287 Wichtigkeit des Gesellenbriefes228 für ihre Zukunft einen Medianwert229 von 1,2 und der Bedeutung des Schulzeugnisses230 für ihre Zukunft einen Wert von 1,6 auf einer siebenstufigen Skala zu. In der Arbeitsteilung der Ausbildungspartner im Dualen System ist der Berufsschule deutlich der theorievermittelnde Part und den Betrieben die Praxisvermittlung zuzuordnen, so dass dem schulischen Unterricht sowohl für die Schulnoten wie auch für die Prüfungsnoten in der Kammerprüfung entscheidende Bedeutung zuwächst. Dabei bilden einzelne Schulnoten lediglich Gradmesser und Rückmeldungen, die die Schüler über ihren aktuellen Leistungsstand im Hinblick auf die Erreichung der Abschlussziele informieren. Eine Versetzung in das folgende Schuljahr wie im allgemeinbildenden Schulsystem ist im Dualen System nicht vorgesehen.231 Die Schüler durchlaufen die Ausbildungszeit ohne Versetzungsdruck. Dies gilt auch für die Zwischenprüfung der Kammer, die in ihrer Funktion einer Zwischenbilanz schulisch ohne Folgen bleibt. In diesen Kontext ist die generelle Forderung von Schülern nach der Gerechtigkeit von Lehrern (vgl. Meyer, H.; Jank, W. (2006) S. 129) und entsprechend auch der Gerechtigkeit von Noten einzuordnen. Die ‚guten’ Lehrer der vorliegenden Studie zeichnen sich in diesem Punkt besonders aus. Auf der siebenstufigen Skala erreichen sie bei der Notengerechtigkeit232 einen Median von 1,7. Aufgrund der Positivselektion, die durch das Untersuchungsdesign der vorliegenden Studie innewohnt, d.h. der Nennung subjektiv ‚guter’ Lehrer durch die Schüler, könnte der Gedanke naheliegen, dass Lehrer, die gute Noten verteilen, auch subjektiv als ‚gute’ Lehrer empfunden werden. Aus diesem Grund sind neben der Notengerechtigkeit weitere Fragen in den Schülerfragebogen aufgenommen worden, die das subjektive Leistungsempfinden der Schüler ermitteln. Die gewonnenen Informationen sind in der Übersicht ‚Gruppierte Mediane zur Leistungseinschätzung aus der 228 Die Frage des Schülerfragebogens lautet: "Für meine Zukunft ist der Gesellenbrief: wichtig / unwichtig." 229 Die gruppierten Mediane bezieht sich auf alle Lehrer, die im zweiten Teil der Studie an einem Lehrerinterview teilnehmen sollten. 230 Die Frage des Schülerfragebogens lautet: "Für meine Zukunft ist das Schulzeugnis: wichtig / unwichtig." 231 Schulische ‚Versetzungsfolgen’ könnten sich lediglich auf Wunsch des Auszubildenden einstellen, indem er bei der zuständigen Stelle (der Kammer, in deren Lehrlingsrolle sein Ausbildungsverhältnis eingetragen ist) einen Antrag auf Verlängerung der Ausbildungszeit stellt. (vgl. BBiG §8 (2) in der Fassung vom 23. März 2005) 232 Die Frage des Schülerfragebogens lautet: "Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht / ungerecht." - 288 Schülerbefragung’ zusammengefasst. Graphisch hervorgehoben und namentlich benannt sind dabei Lehrer, zu denen im Folgenden weitere Ausführungen gemacht werden. Abb.: Gruppierte Mediane zur Leistungseinschätzung aus der Schülerbefragung. Lehrername Frage-Nr. (4) Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht / ungerecht (16) Wenn der/die Lehrer(in) gefragt würde, würde er/sie mich einschätzen als: leistungsstark / leistungsschwach (29) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) schätze ich mich ein als: leistungsstark / leistungsschwach (33) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) finde ich unsere Klasse: leistungsstark / leistungsschwach (34) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß / klein Pach Ackermann Blank Maier Arnold 2,5 3,3 2,8 3,3 3,5 2,0 4,3 4,0 4,0 2,5 1,4 2,3 2,0 2,5 4,3 4,0 3,3 3,3 3,7 3,3 1,5 3,8 3,2 3,5 4,0 2,2 3,8 3,6 3,0 3,7 2,0 3,0 3,0 2,7 2,7 1,4 3,0 2,4 2,5 4,5 1,5 2,7 3,0 2,0 5,5 1,5 3,4 3,3 4,4 1,6 1,0 3,5 3,0 1,8 5,3 1,5 3,0 2,5 2,5 4,3 2,0 4,0 4,0 4,0 4,0 1,2 2,2 2,6 2,6 3,6 Insgesamt 1,7 3,2 2,9 2,9 3,7 Zunächst sticht Ackermann aus der Einschätzung der Notengerechtigkeit hervor. Mit einem Medianwert von 4,0 liegt Ackermann sehr deutlich außerhalb der übrigen Wertungen. Dies klärt sich im Interview mit Ackermann. Dort wird deutlich, dass Ackermann neu in der Klasse ist und zum - 289 Zeitpunkt der Schülerbefragung noch keine Leistungsfeststellungen durchgeführt hatte (vgl. 01Ackermann, 8-8, 274-285). Mit diesem Umstand kalibriert sich in gewisser Weise die Skala. Der mittlere Skalenwert liegt bei 4,0 und diese Einschätzung drückt hier eine neutrale, abwartende Schülerhaltung aus. Entsprechend zurückhaltend und deutlich am mittleren Skalenwert orientiert positionieren sich die Schüler auch in den Items des Fragebogens, die Leistungsparameter sondieren. Interessant ist hier, dass die Selbsteinschätzung der eigenen Leistung mit der vermuteten Fremdeinschätzung durch den Lehrer deckungsgleich ist und leicht über dem mittleren Skalenwert liegt. Zumindest für diese Schulklasse handelt es sich um die Darstellung der Ausgangsposition eines neuen Lehrers bei Übernahme eines neuen Unterrichtsfachs in der Klasse. Für eine darüber hinausgehende Interpretation und Verallgemeinerung auf alle Klassen ist die Datenbasis jedoch nicht stark genug. Unterstellt man jedoch die Zulässigkeit einer Verallgemeinerung, fällt in den übrigen Datensätzen auf, dass die Selbsteinschätzung der eigenen Leistung und die vermutete Fremdeinschätzung der eigenen Leistung durch die Lehrer (Fragen 16 und 29) lediglich um maximal 0,6 Skalenpunkte differiert. Offensichtlich gelingt es hier den Schülern und den Lehrern zu sehr ähnlichen Wirklichkeitseinschätzungen zu gelangen, so dass sie zu einer gemeinsamen Situationsbestimmung gelangen. Im Ergebnis führt dies bei den Lehrern schülerseitig zu der Einschätzung, dass sie eine gerechte Notengebung praktizieren. Für die Lehrereinschätzung seitens der Schüler ist dies äußerst bedeutsam, da über die Notengebung die schulische Wirklichkeit im Sinne der Allokations- und Selektionsfunktion in die gesellschaftliche Wirklichkeit hineinwirkt. Als zweites Phänomen soll der Lehrer Arnold diskutiert werden. Arnold ist es als einzigem Lehrer gelungen, alle abgegebenen Schülervoten auf sich zu vereinigen. Die Schüler selbst stellen die Leistungsbreite in der Klasse als relativ klein dar und sie schätzen sich selbst und auch ihre ganze Klasse als leistungsstark ein. So ergibt sich schülerseitig das Gesamtbild einer leistungsorientierten, leistungsstarken und homogenen Klasse, das sich dann auch in einer gerechten Beurteilung widerspiegelt. Arnold selbst sieht eine normale, größere Leistungsspanne in der Klasse, die vom Schüler ohne Abschluss bis zum Abiturienten reicht (vgl. 08Arnold, 37-40, 110113). Perspektivisch sieht er die Kammerprüfung als „Meilenstein“ (08Arnold, 116-120), über den er den Schülern hinweghelfen will, jedoch „Jetzt nicht drüber weghelfen in dem Sinne, dass … es jeder schaffen muss. Also wir haben eine Durchfallerquote von etwa dreißig Prozent.“ (08Arnold, 117-117) Die zunächst scheinbar bestehende Diskrepanz zwischen Schüler- und Lehrerperspektive löst sich auf, wenn Arnold auf - 290 die Leistungsgrundlage seines Unterrichts zu sprechen kommt: „Wir haben ja vom Abiturienten bis zum Schüler ohne Abschluss alles drin sitzen. Ja. Die haben eigentlich alle das gleiche Ziel, den Gesellenbrief zu schaffen. – Es gibt ja immer diese Schülerunterlagen, die wir dann mit an die Hand bekommen. Wo das letzte Zeugnis mit dabei ist. Und wo Noten drinstehen. Das hat für mich überhaupt keine Relevanz. Das interessiert mich gar nicht. Erstens macht es mir zu viel Arbeit, das durchzulesen. Und zweitens … fangen die alle bei mir mit einer Eins an. … So, und sie können mich vom Gegenteil überzeugen. Oder sie können das beweisen. Und das ist mir ... auch völlig egal, ob das ein Abiturient ist. Oder ob das einer ist mit Achte-Klasse-Abschluss. Oder so. Das ist also völlig uninteressant.“ (08Arnold, 38-40) Es wird deutlich, dass das von Arnold geschaffene positive Leistungsklima, das den Schülern Chancen eröffnet, bei den Schülern gewirkt hat und eine gemeinsame leistungsorientierte Wirklichkeitskonstruktion in der Klasse ermöglichen konnte. Fehleinschätzungen der Schülerleistungen und ungerechtfertigte Bevorzugungen bei der Notengebung hingegen hätten bei einigen Schülern zu Unzufriedenheit führen müssen. Dies wiederum hätte sich unmittelbar in der Bewertung der Notengerechtigkeit von Arnold widerspiegeln müssen. Dort erhält er jedoch mit einem Skalenwert von 1,5 einen für ‚gute’ Lehrer leicht über dem Gesamtmedian von 1,7 liegenden Wert. In einer dritten Perspektive werden die Lehrer Pach, Blank und Maier miteinander verglichen. Gemeinsam ist allen drei Lehrern, dass die Schüler eine große Leistungsbereite233 im Unterricht konstatieren und den Lehrern gleichzeitig Notengerechtigkeit234 attestieren. Die Schülereinschätzungen divergieren jedoch deutlich bei der Selbst- und Fremdeinschätzung der individuellen eigenen Leistung. Bei Pach sehen sich die Schüler in Selbst- und Fremdwahrnehmung als eher leistungsschwach, bei Maier stufen sie sich selbst in einer mittleren Leistungsperspektive ein und bei Blank schätzen sich die Schüler in der Eigenperspektive wie auch in der vermuteten Lehrerperspektive als relativ leistungsstark ein. Im Vergleich der drei Schülerwahrnehmungen wird deutlich, dass das Votum für einen ‚guten’ Lehrer auch in einem leistungsdifferenzierenden Umfeld nicht von den individuellen Leistungspositionen und den damit verbundenen Noten der Schüler abhängig ist. 233 Frage 34 lautet: „Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß / klein.“ Pach (2,5); Blank (2,7); Maier (1,6) Gesamt aller Lehrer (3,7). 234 Frage 4 lautet: „Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht / un gerecht.“ Pach (2,0); Blank (2,0); Maier (1,5) Gesamt aller Lehrer (1,7). - 291 Summarisch zeigen die drei dargestellten Perspektiven, dass die These ‚gute Noten machen gute Lehrer’ nicht zutreffend ist. Es wird vielmehr deutlich, dass eine übereinstimmende Wirklichkeitsperspektive zwischen Schülern und Lehrern, ein positives Leistungsklima im Unterricht und eine leistungsdifferenzierende, aber gleichzeitig auch leistungsadäquate Notengebung Grundlagen für die Schülereinschätzung einer ‚gerechten’ Notengebung bilden. Für das Handeln der Lehrer steht die Qualifikationsfunktion von Schule im Vordergrund ihrer Aktivitäten. Dabei sind die Anforderungen und Notwendigkeiten der Kammerprüfung wichtige Orientierungen, um Schwerpunkte bei der Auswahl der Unterrichtsinhalte aus den Rahmenlehrplänen setzen zu können. (vgl. 09Dressel, 120-128; 02Zoll, 81-92; 08Arnold, 4848, 116-120) Wichtiger noch als die inhaltliche Orientierung an den Kammerprüfungen ist die Orientierung am Prüfungsniveau der Kammerprüfung. (vgl. 08Arnold, 116-120; 11Maier, 16-20; 12Blank, 239-240) „Ich bereite die Leute auf … ihre Gesellenprüfung vor. Und deswegen kann ich am Niveau keine Abstriche machen. Also, ich habe durchaus in jeder Klasse etliche, die Fünfen und Sechsen haben einfach. … Und ich kann das auch nicht ändern. Und ich bin auch nicht bereit, das zu ändern, muss ich ganz ehrlich sagen. Denn es ist ein Tischler. Es ist ein Abschluss. Der setzt bestimmte Dinge voraus. Und wenn die nicht gebracht werden, kann ich im Niveau nicht heruntergehen. … Dann schaffen sie keine Gesellenprüfung mehr.“ (04Pach, 77-84) Über diesen Mechanismus bewirkt die Kammerprüfung nicht nur einen heimlichen Lehrplan für den Unterricht. Darüber hinausgehend steuert sie auch das Allokations- bzw. Selektionsniveau innerhalb der Schule. In Bezug auf die Interaktion von Schülern und Lehrern zeigt sich dabei eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion. Beide bewerten die Kammerprüfung als äußerst bedeutsam und orientieren die Maßstäbe ihres Handelns in diesem Sinne, so dass eine gemeinsame Grundlage für die schulische Wirklichkeitskonstruktion gegeben ist. Mit der Festlegung des Maßstabs zur Leistungsmessung ist ein absolutes Orientierungsniveau für die Leistungsfeststellung gewonnen worden. Diese Bedingung ist jedoch noch nicht hinreichend, um die Gerechtigkeit der Notengebung ausreichend beschreiben zu können. Mit Sicherheit können und werden absolute Maßstäbe zur Leistungsfeststellung eingesetzt, doch auch die individuelle Leistungsfähigkeit bzw. die individuelle Leistungsbereitschaft könnten Ausgangspunkte für die Leistungsmessung bilden. Gerade im Hinblick auf schulische Lernumgebungen, die Entwicklungen fördern und anregen wollen, ist die Berücksichtigung individueller Leistungsmöglichkeiten ein mögliches Motivations- und Förderinstrument. - 292 Für die Notengebung bedeutet dies, dass nicht nur absolute, sondern auch relative Maßstäbe in die Notengebung einfließen und Teilaspekte der Notengerechtigkeit bilden. In diesem Sinne ergänzen die ‚guten’ Lehrer den absoluten Maßstab ihrer Notengebung um Aspekte relativer Gerechtigkeit, die lehrerseitig mit der Absicht, den Schülern Chancen zu eröffnen, eingesetzt werden. Ein Instrument hierfür ist die Eröffnung ergänzender Möglichkeiten zur Leistungserbringung. (vgl. 03Lotz, 292-307; 13Eichholz, 94-99, 100-101; 09Dressel, 68-72; 02Zoll, 30-30) „Es gibt ja so eine Situation, wo ich einen Realschulabschluss bekommen kann, wenn ich alles Zweien habe. … Warum soll man denn so eine Chance verderben? Und vor allen Dingen dann, wenn ich merke, der Knoten ist geplatzt. Jetzt geht's los. … Jetzt dreht der sich plötzlich. Na, da gebe ich dem doch auch die Chance. Oder nicht? … Besser ist es natürlich, wenn er vor dem Abschluss kommt. Und sagt: ‚Ich habe das und das vergeigt. Ich möchte es noch mal machen.’ … Bevor wir … den Abschluss des Lernfeldes machen. Das ist natürlich weitaus günstiger. … Manchmal muss auch ein Lehrer, sage ich mal, nicht nur Punkte vergeben für Leistungen, sondern einfach auch Punkte geben, vergeben für, was weiß ich? Tendenzen. Wie auch immer. … Ein positives Gefühl verschaffen, ein(en) Minderwertigkeitskomplex abbauen. Das ... sind doch alles die Dinge, die wir brauchen. … Ich muss doch … dem Jungen auch mal in irgendeiner Form ein Erfolgserlebnis gönnen. Dass der von seiner Leistung überzeugt ist. Das alles auch ordentlich und alleine zu schaffen. – Muss ich machen. Das ist ganz wichtig.“ (03Lotz, 308-324) Aspekte relativer Gerechtigkeit ergeben sich auch aus der Vermeidung von negativen Rahmendaten für die Leistungserbringung. (vgl. 02Zoll, 286289) Klassenarbeiten werden nicht unangekündigt geschrieben und inhaltlich grob umrissen, so dass eine Leistungserbringung möglich wird (vgl. 09Dressel, 68-68; 02Zoll, 286-289). Bekannte Schwächen der Schüler, wie Leseschwächen (vgl. 09Dressel, 48-54), die Peinlichkeit, vor der Klasse eine mündliche Prüfung ablegen zu müssen (vgl. 09Dressel, 68-68) oder bei Unaufmerksamkeit aufgerufen und mündlich geprüft zu werden (vgl. 02Zoll, 21-24), werden vermieden. Auch die Honorierung individueller Leistungsbereitschaft gehört zu den Instrumenten relativer Gerechtigkeit. (vgl. 07Menzel, 28-28) „Fangen wir mal bei denen an, wo man sieht, dass die die Schwierigkeiten haben. Dann ist es zumindest so, dass man hiermit anerkennt, dass sie sich bemüht haben. … Ja, also selbst wenn die Leistungen jetzt zwischen Fünf und Sechs schwanken, würde man dann immer sich noch für die Fünf (entscheiden), würde anerkennen ‚Er hat sich insofern bemüht’. Ja. Also, das ist (es) dann bei der Leistungsfeststellung. Und den anderen sagt man ganz einfach ‚Du hast gute Ansätze. Du hast - 293 gute Ideen gehabt. Aber du hättest hier weitermachen müssen.’ … Und manchmal sagen sie auch so ganz offen ‚Ich weiß, dass das gut ist, was ich da mache.’ Ja. Aber sie führen es dann nicht weiter. Weil dann irgendwie … die Faulheit mit reinkommt. … Und da kriegen sie natürlich die entsprechende Note. Und die ist dann schlechter. Man weist darauf hin ‚Na ja, das hätte auch bedeutend besser sein können.’ … Ja. ‚Du sagst, dass du es kannst. Zeig es mir.’ Na, und das … lässt sich dann aber leistungsmäßig erfassen.“ (06Tietz, 87-96) Für die Notengebung ist bei ‚guten’ Lehrern als dritte Säule neben der Entwicklung des Notenmaßstabs und dem Bemühen um Gerechtigkeit die Kommunikation über die Leistungsfeststellung relevant. Sie umfasst zum einen präventiv die Information der Schüler über die Art der Leistungserbringung (vgl. 03Lotz, 76-86; 09Dressel, 68-68; 02Zoll, 24-31, 286-291, 341-345) und den geforderten absoluten Leistungsmaßstab235 (vgl. 08Arnold, 48-50, 116-120; 10Henkel, 263-273; Blank, 64-64). Zum anderen beinhaltet die Kommunikation über die Leistungsfeststellung auch retrospektiv die Reflexion der erbrachten Leistungen. Dies geschieht im Sinne von Kritik, Einordnung der Leistung in das geforderte Spektrum und nachvollziehbarer Darstellung des individuellen Leistungsergebnisses als Soll-Ist-Vergleich von geforderter und erbrachter Leistung, Letzteres insbesondere bei Klassenarbeiten. (vgl. 04Pach, 317-322; 10Henkel, 105-114; 254-259; 05Franke, 21-27; 11Maier, 54-83) Besonders der Soll-Ist-Vergleich ermöglicht den Schülern eine Teilhabe am Prozess der Leistungsbeurteilung, die die Notengebung transparent und nachvollziehbar macht. Darüber hinaus kann Vertrauen zwischen den Schülern und den Lehrern wachsen und die Schüler erhalten eine Gelegenheit, selbst ein Gefühl für ihre Leistung im Vergleich zur Leistung anderer entwickeln zu können. Ein letzter wichtiger Punkt muss im Zusammenhang mit der Notengebung an dieser Stelle diskutiert werden. Die Selektions- und Allokationsfunktion der Schule wird über die Schulnoten bewirkt. Dadurch reichen die Schulnoten aus der Schulwirklichkeit in die Alltagswirklichkeit der Schüler hinein und bestimmen deren Lebenschancen. Es ist daher verführerisch, die schulische Leistungsdokumentation in ein disziplinierendes Druckmittel umzuwandeln, um schülerseitiges Wohlverhalten einzufordern. Dies lehnen die von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer ab. (vgl. 09Dressel, 100100; 13Eichholz, 94-99) „…also (ich) setze Noten überhaupt nicht als 235 Der Leistungsmaßstab erschließt sich den Schülern in der Regel auch aus der Prüfungsorientierung des Unterrichts (vgl. 04Pach, 77-84) oder sehr konkret im Üben alter Abschlussprüfungen (vgl. 09Dressel, 120-128). - 294 Drohgebärde ein. ‚Wenn du das jetzt nicht machst, dann kriegst du eine Sechs.’ … gar nicht. Oder Note, Note als Druckmittel, habe ich zum Anfang gemacht, überhaupt nicht. … manche Kollegen nutzen das auch als Druckmittel. ‚Da kommst du nach vorne zur Leistungskontrolle!’ Und dann wird der erstmal richtig zur Schnecke gemacht. Also, das kann ich nicht leiden.“ (08Arnold, 56-62) Allenfalls die Einhaltung mit der Klasse vorher vereinbarter Regelungen, die dazu dienen, die Arbeitsfähigkeit der Klasse sicherzustellen, werden durch individuelle oder kollektive Drohgebärden mittels Noten quasi als Notnagel eingefordert. „Ja. Wir haben eine Regelung, die müssen viel zeichnen. Das ist ein Prüfungsfach. Und wer kein Zeichenbrett mit hat, der hat zwei Fehlstunden. Die sind unentschuldigt. Und kriegt für die Zeichnung, wenn er die nicht nachreicht, noch eine Sechs. … Aber damit haben wir uns die erzogen. Ja. Weil ansonsten hat man nämlich immer zwei, drei Leute drin, die, – die haben kein Zeichenbrett mit und gammeln nur rum.“ (04Pach, 470-475) „Also, ich … verspreche, zumindest wenn das Lehrjahr beginnt, da keine linken Sachen so aufkommen zu lassen. Halte mir aber immer die Option auf, sollte es aus disziplinarischen oder anderen Gründen Probleme geben mit den Klassen, dass ich dann auch natürlich aus dem Kalten Arbeiten schreiben lasse und so weiter. Also … ich denke, ich bin da ausrechenbar. Wenn ein vernünftiges Verhältnis entsteht zwischen mir und der Klasse oder der Klasse und mir.“ (09Dressel, 68-68) Im zusammenfassenden Überblick zeigt sich für die Notengebung, dass schülerseitig, ausgehend von einer Akzeptanz der Selektions- und Allokationsfunktion der Schule, eine leistungsdifferenzierende, aber gleichzeitig auch leistungsadäquate Notengebung auf der Grundlage eines positiven Leistungsklimas und vor dem Hintergrund einer für die Schüler nachvollziehbaren Leistungsfeststellung angestrebt wird. Lehrerseitig tritt zunächst die Qualifikationsfunktion im Sinne des Erreichens der Gesellenprüfung in den Vordergrund. Aus dem Qualifikationsziel wird der absolute Maßstab für die Notengebung hergeleitet und an die Schüler herangetragen. Flankiert wird der absolute Maßstab durch Elemente relativer Gerechtigkeit, die im Sinne einer Chance Leistungsfähigkeit und Leistungswillen der Schüler berücksichtigen. Gleichzeitig gelingt es den Lehrern, den Leistungsmaßstab und die Leistungsfeststellung mit den Schülern zu kommunizieren, so dass diese durch die Reflexion ihrer Leistung nachvollziehbar am Zustandekommen ihrer Note teilhaben können. Vertrauensbildend wirkt in diesem Zusammenhang auch, dass die Notenbildung nicht zur Ahndung von Disziplinverstößen herangezogen wird. In der Zusammenschau der Schüler- und der Lehrerposition wird die wechselseitig übereinstimmende Wirklichkeitskonstruktion deutlich. Für beide Seiten ist - 295 die Akzeptanz der Selektions- und Allokationsfunktion von Schule die Grundlage der gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion. Aus dem gemeinsamen Ziel, dem Bestehen der Abschlussprüfung, leitet sich logisch der Maßstab für eine leistungsdifferenzierende und -adäquate Notengebung ab. Verbunden wird der Maßstab mit Chancen-Elementen, die im Interesse der Schüler und auch der Lehrer beiden Parteien Handlungsspielräume einräumen, um Leistungsschwächen ausgleichen und das gemeinsame Ziel der Kammerprüfung über drei Jahre im Auge behalten zu können. Mit der Kommunikation und Reflexion der individuellen Leistung unterwerfen die Lehrer ihre Notengebung einer für die Schüler nachvollziehbaren Kontrolle. Umgekehrt gilt aber auch, dass die Schüler so Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen müssen und die Verantwortung nicht länger auf die Lehrer abwälzen können. Mit dem Verzicht auf die disziplinarische Nutzungsmöglichkeit von Noten fokussieren die Lehrer die Notenfunktion auf den Leistungsmechanismus. Dies wird insbesondere bei den oben geschilderten einschränkenden Bedingungen deutlich, die in ihrer Kernfunktion den leistungsorientierten Unterrichtsrahmen absichern sollen – also auch nur vordergründig disziplinierenden Charakter aufweisen. Im Ganzen entsteht so zwischen Schülern und Lehrern eine gemeinsame, leistungsorientierte, chancenoffene Wirklichkeitskonstruktion, die von wechselseitigen Pflichten und Verantwortungen getragen ist. - 296 8.3 Thematische Rahmenbedingungen aus der Lehrerperspektive 8.3.1 Ausgangssituation auf der Basis der Schülerperspektive Hinsichtlich der thematischen Rahmenbedingungen, d.h. des Themenspektrums, das von den Schülern bei den von ihnen als ‚gut’ benannten Lehrern wahrgenommen wird, können in der Schülerbefragung zwei thematische Orientierungen festgestellt werden. Fachorientierte Schüler, die eine relativ problemfreie berufliche Orientierung aufweisen, suchen thematische Angebote, die ihre berufliche Entwicklung unterstützen. Außerberuflich-persönlich orientierte Schüler hingegen weisen eine im Vergleich zur ersten Gruppe etwas problematischere berufliche Integration auf, so dass Suchphänomene in ihrem Interessensspektrum deutlich werden. Abb.: Zuordnung thematischer Lehrerorientierungen aus den Schülerfragebögen. Lehrerorientierung Multipräferenzklassen Monopräferenzklassen (4 Klassen) (6 Klassen) Sozialthematisch Ackermann Dressel Franke Zoll Eichholz Henkel Fach- thematisch Blank Lotz Pach N.N. Arnold Maier Menzel Nicht zuzuordnen Tietz N.N. = kein Interview zustande gekommen. Von dieser Beobachtung ausgehend, kann auch eine entsprechende Benennung von ‚guten’ Lehrern durch die Schüler in den Multipräferenzklassen nachgewiesen werden. Multipräferenzklassen zeichnen sich bei der - 297 Benennung ‚guter’ Lehrer dadurch aus, dass mehrere Lehrer mit relativ gleich starken Voten bedacht worden sind. Für die beiden jeweils in den Klassen am häufigsten benannten Lehrer kann aus der Schülerbefragung je eine soziale bzw. eine fachliche Orientierung ermittelt werden. Monopräferenzklassen hingegen zeichnen sich bei der Benennung ‚guter’ Lehrer dadurch aus, dass ein Lehrer mit einer sehr großen Anzahl von Voten sehr deutlich herausragt. Werden die bei den Multipräferenzklassen ermittelten Abgrenzungskriterien für Lehrer mit sozialer bzw. fachlicher Orientierung auf die Monopräferenzklassen übertragen, so können auch in den Monopräferenzklassen Lehrer mit sozialer bzw. Lehrer mit fachlicher Orientierung identifiziert werden (vgl. Abb.: Zuordnung thematischer Lehrerorientierung aus den Schülerfragebögen, S. 297). In den nachfolgenden Ausführungen wird die Schülereinschätzung aus der Lehrerperspektive reflektiert. Zunächst wird die Eigenperspektive der Lehrer mit zugeordneter sozialthematischer Orientierung in den Multipräferenzklassen entwickelt. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob die Eigenperspektive auch für die Lehrer der Monopräferenzklassen, für die aus dem Datenmaterial eine sozialthematische Orientierung abgeleitet worden ist, nachgewiesen werden kann. Im Anschluss daran wird die gleiche Methodik zur Untersuchung der Eigenperspektive Lehrer, die aus der Schülerperspektive eine fachthematische Orientierung aufweisen, herangezogen. 8.3.2 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer 8.3.2.1 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer in den Multipräferenzklassen Schüler mit einer sozialthematischen Orientierung weisen in den Aspekten der Berufsfindung und -wahl eine geringere Identifikation mit ihrem Beruf auf als ihre Mitschüler mit einer fachthematischen Orientierung. Bei der Berufsfindung geben die sozialthematisch orientierten Schüler mit einem gruppierten Median von 4,0 gegenüber einem gruppierten Median von 3,2 bei den fachthematisch orientierten Schülern an, dass sie sich den Ausbildungsberuf eher anders vorgestellt haben. Gleichfalls zeigt sich eine geringere Zustimmung zum Beruf in der Berufswahl. Der Aussage ‚Den Beruf habe ich mir gewünscht’ stimmen die fachorientierten Schüler mit einem gruppierten Median von 2,9 zu. Die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler hingegen, die sozialorientierte Lehrer präferieren, stimmen der Aussage lediglich mit einem gruppierten Medianwert von 4,2 zu (vgl. Abb.: Berufsfindung und -wahl in Multipräferenzklassen, S. 299). - 298 Berufsfindung und -wahl 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter (57) Meinen Ausbildungsberuf ganz anders habe ich mir: vorgestellt (7) genauso vorgestellt (1) (56) Meinen Aus- musste ich bildungsberuf nehmen (7) habe ich mir: gewünscht (1) Abb.: Berufsfindung und -wahl in Multipräferenzklassen. Die sozialthematisch orientierten Lehrer der Multipräferenzklassen kennen die Berufsfindungs- und -wahlproblematik der Schüler. „… vielfach haben wir es ja mit Schülern zu tun. Vor allen Dingen im Bauwesen. Nach dem Motto ‚Wirst du nichts, gehst du auf den Bau’. Manche kamen, ich habe das in den letzten Jahren festgestellt, wirklich mit einer Frustblase. Und haben gesagt: ‚Ich habe nichts anderes gekriegt. Ich musste hierher’ … Und ich versuche, ihnen klarzumachen, … dass es nicht irgendwie ein Absteigeberuf ist. Sondern dass sie natürlich mit ihrer Hände Arbeit ganz wichtige Sachen schaffen. Dass sie selber nicht Minderwertigkeitsgefühle dabei haben. Sondern eigentlich stolz sein können auf dass, was sie haben.“ (01Ackermann, 183-189; vgl. 02Zoll, 74-74, 256-259) Gleichzeitig konstatieren die sozialorientierten Lehrer jedoch auch eine Akzeptanz der Situation bei den Schülern. „… die generelle Einstellung ist halt die, ‚Ich bin froh dass ich was habe’, und ‚Das gehört sich auch so’. Also, sie empfinden das jetzt nicht als innere Qual: ‚Eigentlich werde ich hier zu etwas gezwungen, was ich gar nicht machen will’, sondern sie akzeptieren diese Einstellung. Auch, wenn sie am Einzelbeispiel immer mal wieder zu zweifeln beginnen.“ (02Zoll, 78-80) Aus der Akzeptanz der Situation her - 299 aus entwickeln die Schüler zum einen eine Identifikation mit ihrer Arbeitsleistung und deren Werthaltigkeit. „Ich habe das Gefühl, dass die Auszubildenden auch stolz drauf sind, irgendwo zu sagen: Also, wir sind daran beteiligt.’ Oder ‚Wir machen dies’ oder … ‚jenes.’ Ich finde das, doch, das kommt bei den meisten schon 'rum. Das ist nicht nur, ‚Tja nun habe ich die Ausbildung gemacht. Ich wäre gern Fleischer geworden. Weil ich nichts Besseres gefunden habe.’ Oder sonst irgendwas. Nein.“ (09Dressel, 146-152, 397-400; vgl. 01Ackermann, 335-335) Zum anderen wird von den Schülern die Entwicklung einer Eigenverantwortung für sich und ihre schulischen Problemlagen erwartet (vgl. 09Dressel, 289-292). Von der Berufswahl ausgehend, zeigt die Schülerbefragung für die Schüler mit sozialthematischer Orientierung auch hinsichtlich schulischer und betrieblicher Probleme deutliche Unterschiede im Vergleich zu den fachthematisch orientierten Jugendlichen. Gerade bezüglich betrieblicher Probleme sind extreme Unterschiede zu beobachten. Die fachthematisch orientierten Jugendlichen geben mit einem gruppierten Median von 6,0 an, sehr wenige Probleme im Betrieb zu haben. Demgegenüber weist der gruppierte Median von 3,6 für die sozialthematisch orientierten Jugendlichen auf eher problematische betriebliche Situationen hin, wenngleich der Wert eine mittlere Position im möglichen Wertespektrum einnimmt und daher nicht von gravierenden Problemlagen auszugehen ist. Bei schulischen Problemsituationen nähern sich die Werte beider Schülergruppen einander an, wenngleich auch hier die Schüler mit fachthematischer Orientierung mit einem gruppierten Median von 5,0 gegenüber einem Wert von 4,1 bei den sozialthematisch orientierten Jugendlichen eine vergleichsweise positivere schulische Situation konstatieren (vgl. Abb.: Probleme während der Ausbildung in Multipräferenzklassen, S. 301). Eine besondere Affinität zu betrieblichen Problemen findet sich in den Interviews mit den sozialthematisch orientierten Lehrern hingegen nicht. Weder in Bezug auf die persönlichen Probleme von Schülern noch in der thematischen Schwerpunktsetzung des Unterrichts treten betriebliche Bezüge deutlich in den Vordergrund. Interviewäußerungen236 legen jedoch die Kenntnis entsprechender Probleme nahe (vgl. 05Franke, 97-101; 02Zoll, 68-70), die aber eher der Einzelberatung zugehörig sind denn als Unterrichtsthema aufgearbeitet werden. Auf der unterrichtlichen Ebene hingegen wird eine Art Nichteinmischungsstrategie in betriebliche Belange verwendet. „Ich meine, letztendlich ist es ja so, ich werde mich schwer 236 Im Interview mit 05Franke (vgl. 05Franke, 363-372) wurde auf Frankes Wunsch das Aufnahmegerät abgeschaltet. Erst dann kamen betriebliche Probleme der Jugend lichen zur Sprache. - 300 hüten, … den Betrieben ins Handwerk zu pfuschen. Denn das ist ja auch mein täglich Brot. Wenn die Betriebe ständig Probleme mit uns als Schule hätten, dann würden sie irgendwann sagen, ich kann das einfach haben. Ich hole mir vom Arbeitsamt ein paar Leute, die arbeiten, dann brauche ich mich mit dem Lehrling nicht ärgern.“ (01Ackermann, 449-449; ebenso vgl. 01Ackermann, 136-137; 02Zoll, 68-70; 09Dressel, 89-91) Letztlich gründet diese Zurückhaltung auch in der Kooperationsbeziehung zwischen Schule und Betrieben, die die Grundlage dualer Ausbildung bildet. (vgl. 01Ackermann, 125-126, 218-220, 451-452; 09Dressel, 135-140; 05Franke, 129-141) Probleme während der Ausbildung 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) wenige Probleme (7) wenige Probleme (7) Abb.: Probleme während der Ausbildung in Multipräferenzklassen. Die thematische Bandbreite sozialorientierter Lehrer entwickelt sich vielmehr entlang den persönlichen Lebenslagen der Jugendlichen.237 Ziel ist es, 237 An dieser Stelle wird an die generelle Aussage von weiter oben erinnert, dass sich die Gegenstände des Unterrichts aus den Lehrplänen ergeben und sich am Ziel des Erreichens der Kammerprüfung orientieren. Die hier dargestellte Orientierung ergibt sich als Schwerpunktsetzungen innerhalb von Themen, durch besondere Zugänge zu - 301 die Jugendlichen zu befähigen „sich nicht gleich … über den Hobel ziehen (zu lassen).“ (09Dressel, 196-196) Die Themenbreite reicht von fachbezogenen Ratschlägen zu privaten Bauvorhaben der Jugendlichen (vgl. 01Ackermann, 136-137) über Aspekte ökonomischer Zusammenhänge wie den Umgang mit Geld, Verträgen und Versicherungen (vgl. 09Dressel, 187-188, 190-196) bis zu politischen Thematiken wie Ausländer oder Drogen (02Zoll, 35-40). Auch betriebliche Themen finden Eingang in das Repertoire. Jedoch ohne persönliche Implikationen. Betriebliche Anknüpfungspunkte ergeben sich hier aus Theorie-Praxis-Differenzen, die als Fundus bzw. Aufhänger für die Aufbereitung der Thematiken genutzt werden. (vgl. 09Dressel, 141-144; 05Franke 64-64) Die betrieblichen Thematiken werden dann eher allgemein und ohne dezidierten betrieblichen oder persönlichen Problemkontext besprochen (vgl. 05Franke, 277296). Im Ganzen begleitet lehrerseitig die Intention der persönlichen Entwicklung die Aufarbeitung der Thematiken. „Es geht nicht immer darum, dass einer jeden Morgen die Brötchen holt. Sondern es geht auch mal darum, dass sie in der Lage sind zu sagen, ‚Du holst heute die Brötchen’.“ (01Ackermann, 415-415) Die Schülerbefragung zeigt neben den oben beschriebenen Unterschieden in der Berufsfindung und der Problemwahrnehmung während der Ausbildung einen weiteren Unterschied zwischen sozialthematisch und fachthematisch orientierten Schülern. Dieser Unterschied betrifft die Einschätzung der beruflichen Relevanz der Unterrichte des von dem Schüler als ‚gut’ eingeschätzten Lehrers. Für sozialthematisch orientierte Schüler zeigt sich, ausgehend von einer geringeren Identifikation mit dem Beruf in der Berufsfindung und größeren Problemen während der Ausbildungszeit, eine geringere berufliche Verwertungsorientierung in den Unterrichten der von ihnen präferierten Lehrer. Sozialthematisch orientierte Schüler geben für die berufliche Nützlichkeit238 der Unterrichtsinhalte der von ihnen benannten ‚guten’ Lehrer einen gruppierten Medianwert von 2,7 an. Im Vergleich hierzu bescheinigen fachthematisch orientierte Schüler den Unterrichtsinhalten der von ihnen benannten ‚guten’ Lehrer eine berufliche Nützlichkeit von 1,4. In gleicher Weise divergiert das Interesse der Schüler an den Unterrichten. Schüler mit fachlicher Orientierung zeichnet ein deut den Themen oder durch Themen, die sich zwischen Lehrer und Schülern im Unterrichtsfluss ergeben und entwickeln. 238 Die Skala reicht von 1 bis 7. Je kleiner der Wert, desto höher ist die wahrgenommene berufliche Nützlichkeit. - 302 lich größeres berufliches Interesse239 an den Unterrichten der von ihnen benannten Lehrer aus. Sie erreichen einen gruppierten Median von 1,8, während das Interesse der außerberuflich-persönlich orientierten Schüler mit einem Wert von 2,7 deutlich stärker persönliches Interesse an den Unterrichten der von ihnen präferierten Lehrer erkennen lässt (vgl. Abb.: Thematische Assoziationen der Schüler in Multipräferenzklassen). Thematische Assoziationen der Schüler 1234567 Fachorientierte Lehrer, Gruppierter Median Sozialorientierte Lehrer, Gruppierter Median Alle interviewten Multipräferenzlehrer, Gruppierter Median (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich (1) (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) nutzlos (7) persönliche Interessen (7) Abb.: Thematische Assoziationen der Schüler in Multipräferenzklassen. Ausgehend von den Lehrplanthemen des Unterrichts finden die sozialthematisch orientierten Lehrer unterschiedliche Zugänge zu ihren sozialthematischen Schwerpunkten. Lehrer, die berufsfachliche Themen vertreten, nutzen fachverbundene, jedoch auf das private Lebensumfeld der Schüler zielende Anknüpfungspunkte und Zugänge, die sich von privaten Bauvorhaben (vgl. 01Ackermann, 177-179, 306-311) über die Fahrzeuge der Jugendlichen (vgl. 05Franke, 55-56) erstrecken können. Lehrer mit eher sozialaffinen Lehrplanthemen finden schon in den Themen An 239 Die Skala reicht von 1 bis 7. Je kleiner der Wert, desto höher ist das berufliche Interesse. - 303 knüpfungspunkte für sozialthematische Unterrichtsaspekte, die sie dann schülerorientiert auswählen und zuspitzen können (vgl. 02Zoll, 33-34). Beiden Lehrergruppen gemeinsam stehen Theorie-Praxis-Differenzen, die sich aus der Realpraxis der Betriebe ergeben, als Anknüpfungspunkte offen (vgl. 09Dressel, 141-144; 05Franke 64-64)240. Für die Lehrer problematisch ist die Rückmeldung des Schülerinteresses. Dies gilt insbesondere für das Interesse an möglichen persönlichen Problemthemen der Schüler. Hier sind die Lehrer insbesondere auf ihre Erfahrung im Umgang mit den Jugendlichen und in der Interpretation der Schülerreaktionen verwiesen. „Das hält sich … sehr bedeckt. Also dort hört man wenig. Die haben sicherlich auch andere Problemchen. Also mit, mit Auto. Und mit Familie. Und … also das muss ich auch sagen, da kommt man schlecht auch ran. Also … selten, dass man da erfährt: ‚Ja, da habe ich auch schlechte Erfahrungen gemacht.’ Das ist eigentlich eher selten. Fragen stellen zu bestimmten Dingen. Und dann: ‚Meine Oma hat’ 241 Und das ja. Keine Frage. Aber so, sie lassen da meines Erachtens nach schlecht so hinter die persönliche Kulisse gucken.“ (09Dressel, 197-200) Weiter kann auch der Lehrer seine biographischen Erfahrungen einbringen, um mittels authentischer Realerfahrungen, die im positiven wie auch negativen Sinne thematisiert werden können, einen öffnenden Zugang zu sozialthematischen Unterrichtsaspekten zu gewinnen. „Ich stelle mich so dar, wie ich eigentlich bin. Auch mit … Fehlern und Schwächen. Und auch von meinem Leben, was durchgeht. Und ich denke, es (ist) nichts wichtiger zu sagen, als ihnen zu sagen, was wirklich realistisch passiert. Und was man machen muss, um zu bestehen. Ja, … beruflich zu bestehen. Und auch menschlich.“ (05Franke, 277-281) Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Offenheit und Zugänglichkeit der Lehrer. Sie gelangen hier in eine ‚Informationsbroker’-Funktion, über die für sie Schülerinteressen erreichbar werden. „Ich sage auch: ‚Kann ich nicht. Weiß ich nicht.’ Aber ich schreibe es mir auf und sage ‚Nächste Stunde hoffe ich Ihnen weiterhelfen zu können.’ Und das ist, meines Erachtens nach, auch, ja wie man sich mit der Aufgabe als Lehrer identifiziert. Wir (sind) ja nicht nur, sage ich mal, Lehrstoffüberbringer. … 240 Theorie-Praxis-Differenzen können sich z.B. bei der Handhabung von Sicherheits vorschriften (Helmpflicht, aber niemand trägt einen Helm) oder bei der kauf männischen Kalkulation (Abschätzen versus Aufmaß) etc. ergeben. 241 ‚Meine Oma hat’ meint hier, dass ein Stellverteter vorgeschoben wird, dem etwas zugestoßen ist oder der etwas gesagt hat. Dadurch wird die Exponierung der eigenen Person vermieden. - 304 Und da ist es auch egal, ob das nun zum Thema gehört oder ob es eine private Geschichte ist. Warum soll man da nicht weiterhelfen? Alles weiß man nicht. Alles kann man auch nicht beantworten. Das ist ganz klar, aber ich denke, wir sind doch Anlaufstelle. Wir haben die Jugendlichen vierzig Stunden um uns. Und ich denke, es ist legitim, wenn dann jemand eine Frage hat, dass man sich dem auch nicht entzieht. … Und das sollen sie auch wissen. Wenn es da Problemchen gibt, und ich Hilfestellung geben kann, klar. Kein Thema.“ (09Dressel, 279-282) „Ja, und der private Aspekt. … Da habe ich überhaupt kein Problem mit. Zu den Themenbereichen, wo es passt, auch, sich den Rat oder den, ‚Was ist da möglich’ rauszufragen. Und das ist ja o.k. Bevor sie zu einer Verbraucherberatungsstelle gehen. Oder so. Vielleicht denken sie: ‚Der würde es vielleicht auch wissen.’“ (09Dressel, 302-302) Der persönliche Zugang zu privaten Problemen erfolgt dann am Rande des Unterrichts und im Vertrauen. (vgl. 02Zoll, 78-80) Hier zeichnet sich eine Vielfalt möglicher Problemlagen ab. „Auch wenn sie im alltäglichen Leben so das eine oder andere erleben, was sie schon an ihrem Beruf zweifeln lässt. Um es vorsichtig zu formulieren.“ (02Zoll, 78-78) „Und die andere Seite wäre die, dass ich vielleicht auch von Schülern genannt worden bin, die eher schwächer sind. Also wenn mehr Privatprobleme … (da sind), dass die das Gefühl hatten ‚Ja, mit dem Zoll kann man wenigstens reden’. Also ... das wäre eine mögliche Interpretation. Das also ich sozusagen gerade für schwächere Schüler durchaus eine Ansprechperson bin. … Nun ist das immer sehr schwierig, das über sich also selbst zu sagen. Nur … denke ich schon, wenn ich meine Telefonanrufe bei Schwangerschaftsberatungs- (und) Drogenberatungsstellen zusammenzähle, dann komme ich auf einen exorbitant hohen Wert. Wo mich Schüler gebeten haben, eigentlich, in Notsituationen ihnen (ein) Stück weit zu helfen. Was ich auch gerne mache. Sage aber auch gleich dazu, bis fünfzehn Uhr.“ (02Zoll, 247-251) Gerade der letzte Satz ‚bis fünfzehn Uhr’ ist für das professionelle Lehrer- Schüler-Verhältnis der sozialthematisch orientierten Lehrer von Bedeutung. Zoll schließt im Folgenden sein Engagement auch nach fünfzehn Uhr nicht aus (vgl. 02Zoll, 251-253), doch drückt sich in der Einschränkung der professionelle Zugang im Sinne eines Aspekts der beruflichen Tätigkeit aus, (vgl. 02Zoll, 112-114) so dass der interpretierende Eindruck sozialthematisch orientierter Lehrer als engagierter ‚Überlehrer’ nicht entstehen kann, sondern vielmehr ein besonderes Berufsverständnis sichtbar wird. „Die wissen, das ist der Dressel und so weiter. Und mir ist es auch wirklich dran gelegen, dass da sich ein bisschen (ein) Verhältnis aufbaut. Ich kann mich auch schlecht raushalten. Ich versuche auch so, im außerunterrichtlichen Geschehen mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Also ich - 305 versuche schon, ihnen auch (zu sagen) ‚Da ist jemand, der würde mir vielleicht auch helfen. Oder an den kann ich mich wenden.’“ (09Dressel, 206206) Zusammenfassend lässt sich die pädagogische Position der Lehrer in den Multipräferenzklassen, die von den Schülern in einer sozialthematischen Orientierung wahrgenommen werden, charakterisieren als inhaltlich fachgebunden mit klarem, themenoffenem Akzent im Hinblick auf Schülerwünsche und -bedürfnisse. Der themenoffene Akzent geht unverkennbar über die rein fachgebundene Thematik hinaus und ist offen für Themen, die lehrerseitig bei den Schülern vermutet, erwartet oder beobachtet werden bzw. von den Schülern selbst eingebracht werden. Ihre Grundlegung findet das thematische Angebot lehrerseitig in der Kenntnis und im Aufgreifen von Aspekten jugendlicher Lebenssituationen, die insbesondere deren beruflichen Lebensaspekt, aber auch Bereiche der privaten Lebensführung umspannen. Die Lehrer vermitteln den Schülern dabei das Gefühl, in professioneller Distanz ein den Interessen der Jugendlichen entsprechendes, informierendes Angebot bereitzustellen, ohne sich aufzudrängen. 8.3.2.2 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer in den Monopräferenzklassen In den Monopräferenzklassen wurde schülerseitig mehrheitlich ein Lehrer als ‚guter’ Lehrer benannt. Daher ist die Zuordnung des Lehrers als sozialthematisch orientiert bzw. fachthematisch orientiert anhand eines Kriterienkatalogs erfolgt, der aus den Schüleraussagen der Multipräferenzklassen entwickelt worden ist. Anhand des Kriterienkatalogs konnten die Lehrer Eichholz und Henkel der Gruppe der sozialthematisch orientierten Lehrer zugeordnet werden. Nun gilt es, in der Eigenperspektive der beiden Lehrer zu prüfen, ob im Vergleich zur Eigenperspektive der sozialorientierten Multipräferenzlehrer ähnliche Aspekte auffindbar sind. Auf diesem Wege ergeben sich Hinweise zur Gültigkeit der Zuordnung der Lehrer zu den Themengruppen, die auch auf die Validität des Kriterienkataloges schließen lassen. 8.3.2.2.1 Fallskizze: Sozialthematisch orientierter Lehrer Eichholz Für den Lehrer Eichholz können in den Interviewpassagen zunächst keine Aussagen zur Berufswahl und -findung der Schüler identifiziert werden. Allerdings hat Eichholz Kenntnis der gegenwärtigen Tätigkeiten der Schüler in ihren Betrieben und auf den diversen Baustellen, die er auch aktiv in seinen Unterricht mit einbezieht. (vgl. 13Eichholz, 10-14, 20-24) Der Unterricht von Eichholz ist Teil eines Lernfelds, so dass berufsfachliche Thematiken den Kern seines Unterrichts bilden. (vgl. 13Eichholz, 26 - 306 26, 77-77, 158-161) Über die fachlichen Themen hinaus greift Eichholz keine Themen auf, die im privaten Umfeld der Schüler anzusiedeln wären, und hat hier auch keine Kenntnis von individuellen Problemlagen der Schüler. (vgl. 13Eichholz, 142-151, 418-424) Allerdings erfährt er von Schülerproblemen mit anderen Lehrerkollegen, vermeidet Parteinahmen (vgl. 13Eichholz, 142-151), ist jedoch bereit, inhaltlichen Aufforderungen wie „Ein anderer Lehrer hat das nicht richtig erklärt. Machen Sie das noch mal. “ (Eichholz, 138-139) nachzukommen. Aus der vorstehenden Skizze deutet zunächst wenig auf eine soziale Orientierung von Eichholz hin. Das Bild gewinnt erst im Rückgriff auf die Schülerdaten Konturen, aus denen die besondere Situation der Klasse deutlich wird. Nachfolgend werden die Untersuchungsfragen ‚Leistungsförderlichen Rahmenbedingungen der Situation’, ‚Besondere Rahmenbedingungen der Situation’ und die ‚thematischen Rahmenbedingungen der Situation’ für die Klasse in drei Graphiken dargestellt. Aus der Abbildung ‚Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz’ (S. 308) wird deutlich, dass die wichtigen leistungsförderlichen Rahmenbedingungen242 sich bei Eichholz nicht wesentlich von den Bedingungen in anderen Klassen unterscheiden. Wie für die anderen Klassen, so auch in der BS-Klasse243, steht das Erreichen des Gesellenbriefs im absoluten Zentrum des Schülerinteresses. Allerdings ist die Bedeutung des Schulzeugnisses in den Augen der BS-Schüler, die Eichholz als ‚guten’ Lehrer benannt haben, im Vergleich zum gruppierten Median aller Klassen etwas geringer. Leistungsanforderung im Sinne von Stoffvolumen und Hilfsangebot des Lehrers (Frage 10) korrespondieren sehr eng mit dem gruppierten Median für alle Klassen. Etwas unter dem Wert für alle Klassen244 liegt die Einschätzung der Notengerechtigkeit (Frage 4), die aber immer noch mit einem gruppierten Medianwert von 2,2 eindeutig sehr positiv von den Schülern eingeschätzt wird. 242 Als wesentliche Rahmenbedingungen der Situation sind in der Schülerbefragung die Fragen 1, 4, 10, 44, 45 identifiziert worden. 243 Es handelt sich um eine Klasse Beton- und Stahlbetonbauer. 244 Der gruppierte Median für alle Klassen liegt für Frage 4 bei 1,6. - 307 Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz 1234567 Lehrer Eichholz, Gruppierter Median BS- Klasse, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (1) Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff (1) (4) Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht (1) (10) Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) komme, erlebe ich: Verständnis (1) (44) Für meine Zukunft ist das Schulzeugnis: wichtig (1) (45) Für meine Zukunft ist der Gesellenbrief: wichtig (1) zu wenig Stoff (7) ungerecht (7) Unverständnis (7) unwichtig (7) unwichtig (7) Abb.: Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz. Besonderheiten ergeben sich für die BS-Schüler, die Eichholz als ‚guten’ Lehrer einschätzen, hinsichtlich der Einschätzung ihres Leistungsvermögens (vgl. Abb.: Besondere Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz, S. 310). Sowohl in der Selbsteinschätzung (3,6) als auch in der vermuteten Fremdeinschätzung durch den Lehrer (3,8) liegen die Werte unter dem gruppierten Median für alle Klassen und auch deutlich unter dem gruppierten Median für die ganze BS-Klasse (vgl. Abb.: Leistungseinschätzung der BS-Schüler, S. 309). - 308 Abb.: Leistungseinschätzung der BS-Schüler. Gruppierte Mediane für: Schüler, die Eichholz präferieren Ganze BS- Klasse Alle Klassen (16) Wenn der/die Lehrer(in) gefragt würde, würde er/sie mich einschätzen als: leistungsstark (1) / leistungsschwach (7) 3,8 3,3 3,1 (29) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) schätze ich mich ein als: leistungsstark (1) / leistungsschwach (7) 3,6 3,3 2,8 In der Folge artikulieren die Schüler für sich persönlich in Frage 48245 Lernschwierigkeiten, die deutlich von den üblichen Einschätzungen abweichen (vgl. Abb.: Besondere Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz, S. 310). Die Schüler schätzen sich um einen ganzen Wertungspunkt246 schlechter ein als der gruppierte Median für alle Klassen. Ausgehend von dieser Einschätzung gelangen die Schüler auch zu besonderen Beurteilungen hinsichtlich ihres Lernerfolgs in unterschiedlichen Lernformen. Weder Einzellernen (Frage 49) noch Lernen in der Gruppe (Frage 50) wird positiv bewertet.247 Lediglich das ‚Lernen, wenn der Lehrer vorne steht und erklärt’ (Frage 51), erfährt Zustimmung. Für den Situationsrahmen bedeutet dies, dass die Schüler zwar vehement am Ziel der Gesellenprüfung festhalten, jedoch bezüglich ihres Leistungsvermögens und damit in der direkten Konsequenz auch an ihrem Vermögen, das Ziel zu erreichen, starke Zweifel hegen. Insbesondere die BS-Schüler, die Eichholz präferieren, sehen sich daher vermutlich in der für sie beängstigenden Situation, das Erreichen ihres Primärziels aus eigener Kraft in Zweifel ziehen zu müssen. 245 Frage 48 lautet: „Lernen ist für mich: leicht / schwer.“ 246 Es ergibt sich eine Spannweite von 1,0 zwischen dem Wert der Schüler, die Eichholz präferieren und dem Wert des gruppierten Medians für alle Klassen. Dies ist auf einer Skala von 1 bis 7 ein erheblicher Unterschied. 247 In der Graphik nicht dargestellt, findet lediglich das Lernen, wenn der Lehrer vorne steht und erklärt, Zustimmung. Sie liegt mit 2,2 über dem gruppierten Median bei allen Klassen von 2,7. - 309 Lehrer Eichholz, Gruppierter Median BS- Klasse, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median Besondere Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz 1234567 (16) Wenn der/die Lehrer(in) geleistungs fragt würde, würde er/sie mich schwach (7) einschätzen als: leistungsstark (1) (29) Im Unterricht bei dem/der leistungs- Lehrer(in) schätze ich mich ein schwach (7) als: leistungsstark (1) (48) Lernen ist für mich: schwer (7) leicht (1) (49) Alleine lernen: bringt wenig (7) bringt viel (1) (50) In Gruppen lernen: bringt wenig (7) bringt viel (1) (51) Lernen, wenn ein Lehrer vorne steht und bringt wenig (7) erklärt: bringt viel (1) Abb.: Besondere Rahmenbedingungen der Situation bei Lehrer Eichholz. Wie sieht nun das Klassenumfeld im Bereich der thematischen Rahmenbedingungen248 der Situation für die Schüler aus? Zunächst zeigt sich für die konkrete Unterrichtssituation ein Interesse an fachlichen Themen. Dies zeigen die Einschätzungen zu den Fragen 14 sowie 20 bis 24. Allerdings 248 Vgl. Abb.: Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Eichholz, S. 313. - 310 fällt für Lehrer Eichholz besonders auf, dass die berufliche Nützlichkeit seines Unterrichts sich eher auf die Abschlussprüfung (siehe Frage 21) denn auf die Praxisverwertbarkeit seiner Unterrichtsinhalte (siehe Frage 20, 22, 23) richtet. Deutlich abgelehnt wird schülerseitig eine private Nützlichkeit der Unterrichtsinhalte (siehe Frage 24). Im erweiterten Kontext des thematischen Rahmens zeigen sich Schwierigkeiten der Schüler in den Ausbildungsbetrieben (Frage 55), die sich deutlich negativ249 vom gruppierten Median aller Klassen unterscheiden. Gleiches gilt für den Berufswunsch (Frage 56), wobei hier der Wert für die gesamte BS-Klasse noch weit schlechter ist als für die Schüler, die Eichholz als ‚guten’ Lehrer präferieren. Obwohl der Beruf offensichtlich den Vorstellungen der Jugendlichen im üblichen Maße entsprochen hat (Frage 57), zeigt die Antwort auf Frage 58 mehr als deutlich den Wunsch der Schüler, den Beruf zu wechseln. Auch ein möglicher Verbleib im Betrieb (Frage 59) wird negativer beurteilt als im Gesamtbild aller Klassen. Im Ganzen lässt der erweiterte Kontext des thematischen Rahmens eine sozialthematische Orientierung der Schüler erwarten. Dies schlägt sich offensichtlich in dieser Klasse jedoch nicht in der Benennung sozialorientierter Lehrer als ‚guter’ Lehrer nieder, da mehrheitlich ein Lehrervotum mit fachlicher Orientierung ergangen ist. Der Schlüssel für diese vermeintliche Diskrepanz liegt in der Leitfunktion der leistungsorientierten situativen Rahmenbedingungen. Hier zeigen die Schüler starke Selbstzweifel am Erreichen des Primärziels ‚Gesellenprüfung’. Aufgrund dieses Selbstzweifels erfolgt eine Orientierung an Lehrern, die das Erreichen des Primärziels wahrscheinlicher machen.250 Ein weiterer Schlüssel liegt im Unterricht von Eichholz verborgen. Zwar gibt es für Eichholz im sozialthematischen Sinne keine Hinweise auf Themenaspekte, die auf die private Sphäre der Jugendlichen zielen, doch bezogen auf das Erreichen des Primärziels Gesellenprüfung liest sich das Handeln von Eichholz anders. Zum einen hört er bei Schüler-Lehrer- Problemen zu. „Also wenn man sich einmal dem annimmt, ja. Allerdings artet das auch aus. Also, beziehungsweise ufert dann aus. Wenn die – wenn die Schüler mitbekommen, der hört zu. Wenn ich über einen anderen Lehrer meckere. Dann kommen sie auch ständig damit. Und dann kann es auch passieren, dass der Unterricht in (den) Hintergrund tritt. Dass die Schüler dieses auch ausnutzen.“ (13Eichholz, 142-143) Zum anderen – und dies könnte noch wichtiger sein – scheint er auch bereit zu sein, fremden 249 Es zeigt sich eine Negativabweichung von 0,9 Wertungspunkten. 250 Theoretisch besteht auch die Möglichkeit, dass kein sozialorientierter Lehrer in der Klasse unterrichtet hat. - 311 Unterrichtsstoff, d.h. Themen von Kollegen wieder aufzugreifen. „Also, es geht eigentlich nur um Praxiserfahrung, die die Schüler mit einbringen. Ja. Aber ansonsten, Impulse dahingehend, dass die nachfragen: ‚Ja, wir haben da was nicht verstanden’ oder ‚Können Sie das noch mal machen?’, ist eigentlich nicht der Fall. Höchstens von einem anderen Lehrer. ‚Ein anderer Lehrer hat das nicht richtig erklärt. Machen Sie das noch mal.’“ (13Eichholz, 138-139) Beides führt zu Problemerleichterungen für die Jugendlichen und lässt das Erreichen ihres Ziels wahrscheinlicher werden. Im eigenen unterrichtlichen Handeln setzt Eichholz auf verstehende Lernsituationen, die deutliche Handlungsorientierungen für die Schüler aufweisen. „Allerdings kommt es auch vor, dass ich einen Unterricht mache, in dem … man nicht wirklich wesentlich weiterkommt, in dem zwar ein Verständnis in den Schülern erreicht wurde, aber man kommt stofflich nicht weiter. Wobei ich dieses Verständnis als wesentlich wichtiger empfinde als Stofffülle. Wenn ich jetzt nur im Stoff vorwärts gehe. Die Schüler haben es nicht verstanden, sondern lernen es nur auswendig für die Arbeit. Und haben es dann auch vergessen. Das bringt nicht wirklich was. … Also die Schüler sollen auch das Lernen lernen, aus Verstehen lernen, um dann wesentlich tiefer in die Materie eindringen zu können. Und das ist eben das Schöne meines Erachtens am Expertenlernen. Ein Schüler, der sich intensiv mit dem Stoff auseinandersetzt, der lernt das Lernen. Ja. Der weiß einfach, wo er sich Texte her beschaffen muss. Wie er Texte bearbeiten muss. Wie er es auch den anderen präsentiert. Und er wird wirklich zum Experten.“ (13Eichholz, 113-116) Im weiteren Verlauf führt er das Beispiel näher aus und beschreibt auch selbständige Internet-Recherchen durch die Schüler als Teil seines Unterrichtskonzepts. (vgl. 13Eichholz, 175-187) Eingedenk der von den Schülern empfundenen eigenen Lernschwierigkeiten ist das Konzept von Eichholz geeignet, den Schülern offene Situationen anzubieten, in denen sie entsprechend dem Konzept der vollständigen Handlung Lernsituationen durchlaufen. Dadurch können sie ihre Lern- und Selbstlerntechniken verbessern, so dass Eichholz hier am zweiten kritischen Punkt der Schüler ansetzt. Möglicherweise ist darüber hinaus das Erlernen von Arbeitstechniken im Sinne von Techniken der Informationsbeschaffung, -beurteilung und -auswertung auch für das selbständige Lösen von Problemen im privaten Umfeld der Schüler hilfreich. - 312 Lehrer Eichholz, Gruppierter Median BS- Klasse, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Eichholz 123456 7 (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) (20) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die Aus- bildung: praxisnah (1) (21) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die Abschlussprüfung: wichtig (1) (22) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist im Moment außerhalb des Berufs: nützlich (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich (1) (24) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist später außerhalb des Berufs: nützlich (1) (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) (56) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: gewünscht (1) (57) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt (1) (58) Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Beruf bleiben (1) (59) Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Betrieb bleiben (1) persönliche Interessen (7) praxisfern (7) unwichtig (7) nutzlos (7) nutzlos (7) nutzlos (7) wenige Probleme (7) wenige Probleme (7) musste ich nehmen (7) ganz anders vorgestellt (7) den Beruf wechseln (7) den Betrieb wechseln (7) Abb.: Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Eichholz. - 313 Zusammenfassend stellt sich die Klassensituation als kritisch dar. Sie ist zum einen kritisch für die Schüler im Hinblick auf das Erreichen des Primärziels ‚Gesellenprüfung’ und zum anderen kritisch im Sinne der prekären beruflichen Gegenwartsperspektive der Schüler. Da das Bestehen der Gesellenprüfung den möglichen Schlüssel zur Lösung der beruflichen Gegenwartsproblematik der Schüler darstellt, hat die Gesellenprüfung trotz deutlich sozialthematischer Problematiken der Situation Vorrang. Eichholz Beitrag in der kritischen Situation ist zunächst ein eigener unterrichtlicher Fachbeitrag, der die Erreichung des Primärziels ermöglicht, ferner das Aufgreifen von nichtverstandenen Unterrichtsinhalten von Kollegen. Darüber hinaus ist seine handlungsorientierte Unterrichtsmethodik geeignet, das Selbstlernpotential der Schüler zu stärken. Mit dem Aufgreifen von fremden Unterrichtsthematiken und dem Ansatz, die Methodik der Schüler zu stärken, greift Eichholz für die Schüler in deren zentralen Problembereich über die üblichen unterrichtsfachlichen Beschränkungen hinaus. Gerade diese beiden Aspekte sind in der besonderen Situation die relevanten sozialthematischen Ansatzpunkte. Genau hier wird Eichholz als ‚Informationsbroker’ tätig, greift Rückmeldungen der Schüler zu möglichen Themen als Verständnisprobleme auf. Damit begleitet er die Schüler bei der Lösung ihrer gegenwärtig zentralen privaten Problematik ‚Gesellenprüfung’, ohne deren Lösung auch die prekäre berufliche Situation nicht produktiv zu lösen ist. 8.3.2.2.2 Fallskizze: Sozialthematisch orientierter Lehrer Henkel Die Klasse, die Henkel als ‚guten’ Lehrer benannt hat, wird im Beruf des Verfahrens- und Aufbereitungsmechanikers ausgebildet. In der Bundesrepublik gibt es drei Standorte für die schulische Ausbildung in diesem Beruf. Für die Schüler bedeutet dies, dass sie im fünfwöchigen Rhythmus für eine Woche am Berufsschulstandort zusammengezogen und ausgebildet werden. (vgl. 10Henkel, 6-6, 44-44, 94-94) Besonderheiten lassen sich in der Abbildung ‚Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel’ (S. 316) für die Klasse insoweit feststellen, als dass die ganze Klasse sich durch sehr wenige betriebliche Probleme auszeichnet (Frage 55). Gleichzeitig zeigen die Schüler eine sehr hohe berufliche Zufriedenheit (Frage 58) und ein großes Interesse, in ihren Ausbildungsbetrieben auch nach der Ausbildung weiter arbeiten zu können (Frage 59). Gleichfalls zeigen der Berufswunsch (Frage 56) und die Vorstellungen zum Beruf (Frage 57) keine Auffälligkeiten. Sie liegen nahe am gruppierten Median aller Probanden, so dass auch aus der Perspektive der - 314 Berufswahl keine soziale Orientierung in der Benennung ‚guter’ Lehrer seitens der Schüler zu erwarten ist. Lediglich die eher schulbezogenen Fragen der thematischen Rahmenbedingungen könnten auf Problemzusammenhänge deuten, die auf eine sozialthematische Orientierung der Schüler hinweisen. Generell verweist Frage 54 auf Problemzusammenhänge der ganzen Klasse mit der Schule. Der gruppierte Median der Klasse liegt hier bei 4,0 und zeigt damit größere schulische Problemlagen als der Wert für die gesamte Untersuchung, der bei 4,6 liegt.251 Hinweise in die gleiche Richtung liefern auch die Fragen zur beruflichen Nützlichkeit des Unterrichts (Frage 23) und zur Interessenlage der Schüler am Unterricht (Frage 14). In beiden Fällen deutet der Klassenwert und im Fall der beruflichen Nützlichkeit auch der Lehrerwert für Henkel auf Schülerinteressen, die außerhalb der beruflichen Lebenssphäre zu suchen sind. Die besondere Problemlage der Schüler zeigt die Abbildung ‚Besondere Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel’ (S. 318). Zunächst wird in Frage 43 deutlich, dass die Schüler mit dem zeitlichen Gesamtvolumen ihrer Ausbildung zufrieden sind. Dann allerdings zeigt sich massive Schulkritik. Sie richtet sich gegen den Umfang der schulischen Ausbildungszeit im Vergleich zum betrieblichen Anteil. Hier wird der schulische Anteil, wie Frage 42 zeigt, als sehr unangemessen erachtet. Der Klassenwert weist hier eine Spannweite von 1,6 Wertungseinheiten zum Wert für alle Klassen auf. Bezogen auf die Schüler, die Lehrer Henkel als ‚guten’ Lehrer benannt haben, ergibt sich eine noch größere Spannweite von 2,1 Wertungseinheiten. Dabei richtet sich die Kritik generell gegen den Unterrichtsumfang und nicht gegen allgemeinbildende oder berufsbildende Fächer252, wie die gleiche Verteilung der Voten in den Fragen 40 und 41 zeigen. 251 Frage 54 lautet: „Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) / wenige Probleme (7).“ 252 In der Klasse kann noch von Fächern gesprochen werden, da noch kein Lernfeldunterricht erteilt wird. (vgl. 10Henkel, 51-52) - 315 Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel 123456 7 Lehrer Henkel, Gruppierter Median VA-Klasse, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich (1) (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) (56) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: gewünscht (1) (57) Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt (1) (58) Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Beruf bleiben (1) (59) Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Betrieb bleiben (1) persönliche Interessen (7) nutzlos (7) wenige Probleme (7) wenige Probleme (7) musste ich nehmen (7) ganz anders vorgestellt (7) den Beruf wechseln (7) den Betrieb wechseln (7) Abb.: Thematische Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel. - 316 Henkel ist diese Problematik bekannt. „Und … dann muss ich auch sagen, also, in unserer Berufsgruppe ist es so, dass sie ziemlich wenig Ausfall haben. … Aber die sind mit siebenunddreißig achtunddreißig Wochenstunden gut dabei. Das haben andere Klassen nicht. … Na, die (acht Stunden) haben sie fast jeden Tag. Und freitags wollen sie nach der fünften weg. Deswegen haben wir eine nullte. Und haben wir eine neunte. Das heißt, die haben jeden Tag ihre acht Stunden fast.“ (10Henkel, 339-347) Hier setzt auch das sozialthematische Engagement von Henkel an, das sich nicht nur auf mögliche sozialthematische Aspekte im Unterricht beschränkt (vgl. 10Henkel, 28-28, 179-182), sondern real und praktisch als soziales Engagement für die Schüler erfahrbar wird. Unmittelbar konkret fassbar wird es für die Schüler, da Henkel die zeitliche Unterrichtsplanung vornimmt, dabei auf die weiten Heimwege der Schüler Rücksicht nimmt und hierfür auch persönliche Opfer bringt. „Also, eigentlich haben wir schon vieles getan für die Jungs. Dass sie, dass es hier relativ gut geht. Denn sie haben Freitagmittag schon Feierabend. … Dafür habe ich mich eingesetzt. Aufgrund ihrer Heimfahrtswege. … Ich mache manchmal nullte, neunte Stunde. Damit sie … also am Freitagmittag um zwölf fertig sind. Das habe ich für sie verändert.“ (10Henkel, 211-216) Über den Unterricht hinaus vertritt Henkel ein umfassend sozialthematisches Konzept. „Ich betreue diese Klasse und auch die anderen Klassen253 über drei Jahre hinweg nicht nur … in meinem Unterrichtsfach, sondern über das Fach hinaus. Weil, diese Berufsgruppe ist uns, als Standort Erfurt, zugeordnet worden. Es gibt nur drei Standorte. Und dadurch ist (es) auch so, dass die alle im Wohnheim sind. Und die brauchen also bisschen eine rundum Betreuung. … Über das Fach hinaus. … Immer für sie da bin. … Das heißt also mit allen ihren Problemen, die sich über das Wohnheim ergeben. Über die überbetriebliche Ausbildung, (die) viele in Erfurt machen. Bis zum Fachunterricht. Organisation des Unterrichtes. Organisation der Prüfungen. Da bin ich also für die immer eigentlich so der Ansprechpartner. Und bin auch in allen Fragen für sie da. … Genau. Das heißt also, ich nehm' manchmal … viele Dinge, (die) … nicht immer in Ordnung (sind), vorweg. Helfe ihnen in allen Lebenslagen, was eben notwendig ist. Weil sie eben von zuhause … vom Elternhaus, vom Betrieb weit entfernt sind. Dass sie also hier in diesen drei Jahren gut über die Runden kommen. … Das heißt also, man … man übernimmt bald eine Mutterrolle. [lacht]“ (10 Henkel, 6-20) 253 Gemeint sind die Klassen der Berufsgruppe. - 317 Besondere Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel 1234567 Lehrer Henkel, Gruppierter Median VA-Klasse, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (6) Für den/die Lehrer(in) sind die Schüler: unwichtig (7) wichtig (1) (9) Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) herrscht ein Konkurrenz (7) Gefühl der: Gemeinschaft (1) (40) Der berufliche Unterricht in der Schule ist: zu wenig (7) zu viel (1) (41) Der allgemeine Unter- richt in der Schule ist: zu wenig (7) zu viel (1) (42) Im Vergleich zur betrieb- lichen Ausbildung ist der zu wenig (7) Schulunterricht: zu viel (1) (43) Die Ausbildung in Schule und Betieb insgesamt: ist zu lang (7) ist zu kurz (1) Abb.: Besondere Rahmenbedingungen bei Lehrer Henkel. Die ‚Mutterrolle’ wird auch an anderer Stelle im Interview deutlich. Dort zeigt sich, dass Henkel über den normalen unterrichtlichen Kontext hinausgehende Gemeinschaftsaktivitäten organisiert und auch in privaten Zusammenhängen als Ansprechpartner akzeptiert ist. (vgl. 10Henkel, 3542, 487-517) Ebenso deutlich wird allerdings auch, dass Henkel professionelle Distanz wahrt. „Viele Kollegen sind per du. Und manchmal sagen die Jungs ‚Ja, … Sie können uns ruhig mit du anreden.’ Da sage ich immer ‚Nein. Das ist auch ein bisschen Respekt und ein bisschen Achtung vor ihrer Persönlichkeit. Und umgedreht erwarte ich das auch.’ Sage ich dann. … Aber ich finde das eigentlich so … der richtige Weg. Dann wissen sie irgendwo, ist … die Grenze. Die Grenze ist ja immer da. … Ja. Dass die - 318 Achtung … Aber es würde dann zu schnell noch mehr ins Kameradschaftliche gehen. Und das, das soll ja auch nicht sein. … Bin ich auch dagegen. … Ich bin der Lehrer. Das müssen sie merken. Ich bin zwar für sie da. Aber irgendwo muss dann die Anerkennung, die Achtung bleiben. … Wenn es auch bei dem Wörtchen ‚Sie’ bleibt.“ (10Henkel, 186-198) Summarisch betrachtet wird deutlich, dass in diesem Kontext nicht der Berufswahl-oder -findungskontext bzw. betriebliche Problemlagen ursächlich für die sozialthematische Orientierung der Schüler sind. Vielmehr rührt die Belastung aus dem schulischen Umfeld, das mit Blockunterricht, langen Heimwegen und wochenweiser Wohnheimunterbringung für die Jugendlichen zu besonderen Problemen führt. Hier setzt Henkel an und bringt im fachlichen Unterricht themenoffen sozialthematische Aspekte ein. Vor allen Dingen aber greift Henkel weit über den direkten Unterricht hinaus. Dort ist Henkel nicht nur ‚Informationsbroker’, sondern auch Teammanager und Ansprechpartner für private Probleme – allerdings mit der notwendigen professionellen Distanz. 8.3.2.2.3 Fazit der Fallskizzen Eichholz und Henkel Sowohl bei Eichholz als auch bei Henkel zeigen sich zunächst Schwierigkeiten, die Ansatzpunkte der sozialthematischen Schülerorientierung aufzuklären. Zwar zeigen die Schüler bei Eichholz Irritationen in der Berufsfindung und -wahl und damit einhergehende Schwierigkeiten im Betrieb, die dann in eine erhebliche Berufs- und Betriebsaversion münden, so dass bei Eichholz ein sozialthematisch orientierter Lehrer vermutet werden darf. Dies ist er jedoch auf den ersten Blick nicht. Vielmehr gibt er sich fachthematisch orientiert. Erst unter Berücksichtigung der Lernschwäche der Schüler und der daraus folgenden existenziellen Gefährdung des Berufsziels zeichnet sich Eichholz als themenoffener ‚Informationsbroker’ aus, dem es gelingt, über handlungsorientierte methodische Ansätze die Schüler im Erreichen ihres Primärziels Gesellenprüfung zu unterstützen. Bei Henkel hingegen zeigen sich im Berufswahl- und -findungskontext sowie auch in der beruflichen Zufriedenheit und Entwicklungsperspektive keine Hinweise, die auf eine sozialthematische Orientierung der Schüler schließen lassen könnten. Hier entstehen die sozialthematischen Belastungen für die Schüler aus dem schulorganisatorischen Umfeld, das dann von Henkel umfassend betreut wird. Gemeinsam ist beiden Situationen, dass sich für die Schüler außergewöhnliche Belastungssituationen ergeben. Ebenso gemeinsam ist beiden Konstellationen, dass es den von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrern gelingt, die Belastungen abzubauen. Es wird deutlich, dass Schüler und Lehrer auf der Grundlage einer gleichgerichteten Wirklichkeitsinterpreta - 319 tion eine gemeinsame Arbeitsgrundlage entwickeln, die den Zielen der Schüler zugute kommt. In beiden Fällen liegen die Ziele der Schüler nicht unmittelbar im berufsfachlichen Lebensumfeld. Bei Eichholz ist für die Schüler das Erreichen des Berufsziels sehr deutlich lediglich Mittel zum Zweck. Es ist das Mittel, um Erfolg versprechend einen betrieblichen und beruflichen Wechsel in die Wege leiten zu können. Bei Henkel hingegen streben die Schüler eine Entlastung der sozialproblematischen Alltagssituation in der Schule an. Ebenso gemeinsam ist beiden Situationen, dass den Lehrern eine ‚Informationsbroker-Funktion’ zukommt, die die problemtypischen Informationsdefizite der Schüler abzubauen hilft. Während nun hier die Funktion von Eichholz endet, wächst Henkel mehr als deutlich über diese Funktion hinaus. Dies ist der Situation und Problematik der Klasse geschuldet, deren Interessen sich auf den Kontext und Zeitraum der schulischen Ausbildungssituation erstreckt. Die Schüler von Eichholz hingegen orientieren ihre Interessen an der Gesellenprüfung, d.h. einem Ereignis bzw. Zeitpunktphänomen, von dem sie sich die Lösung ihrer gegenwärtigen Problematik erhoffen. Die Reflexion der Schülerpräferenzen, die in der Analyse der sozialthematisch orientierten Multipräferenzlehrer auf berufliche Indikatoren für Problemlagen der Schüler rekurriert, ist bei Berücksichtigung der Analyse der Monopräferenzlehrer nun, um schulische Indikatoren zu erweitern, die Belastungen für die Schüler bewirken. Darüber hinaus stützen die Erkenntnisse in den Monopräferenzklassen die für die Multipräferenzklassen gefundenen Ergebnisse bezüglich der Funktion der sozialthematisch orientierten Lehrer. Auf der Basis adäquater Bedingungsanalysen und einer gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion mit den Schülern bezüglich deren Problemlagen gelingt es den sozialthematisch orientierten Lehrern, über ihre Fachthematiken hinausgehend thematische Angebote zu machen, die geeignet sind, die Problemlagen der Schüler aufzuarbeiten. Dabei wahren sie eine professionelle Distanz, die einen offenen Rahmen für persönliche Problematiken bereithält, aber beide Seiten vor einer vermeintlichen Vereinnahmung durch die jeweils andere schützt. - 320 8.3.3 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer 8.3.3.1 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer in den Multipräferenzklassen 8.3.3.1.1 Aspekte fachthematischer Orientierung von Lehrern in Multipräferenzklassen Schüler mit fachthematischer Orientierung in den Multipräferenzklassen weisen in den Aspekten der Berufsfindung und Berufswahl eine höhere Identifikation mit dem Beruf auf als ihre Mitschüler mit sozialthematischer Orientierung. Auch signalisieren sie weniger Probleme im Betrieb und in der Berufsschule als ihre Kommilitonen. Für den Unterricht bei den von ihnen präferierten ‚guten’ Lehrern bescheinigen sie den Lehrern eine hohe Nützlichkeit des Unterrichts für die spätere Berufspraxis und geben berufliche Interessen als für sie persönlich bedeutsam am Unterricht der von ihnen benannten ‚guten’ Lehrer an.254 Zusammenfassend weisen die fachthematisch orientierten Schüler eine hohe Integration in die beruflichen Kontexte auf und suchen in diesen Kontexten Entwicklungsperspektiven. Die fachthematisch orientierten Lehrer deuten eher pauschalierende ungenaue Kenntnisse möglicher Problematiken im soziokulturellen Hintergrund ihrer Schüler an. „Weil sie immer nur betuddelt wurden. – Und die Eltern … entweder sind die arbeitslos und sitzen zu Hause, wir haben ja die Fälle dann, dann sind die Schüler … geschädigt, … weil die Eltern nur zu Hause sitzen. Wenn sie Pech haben, trinken die Eltern auch noch. … Ja. Oder die anderen, das andere Extrem. Die arbeiten. Die können sich auch nicht um ihre Kinder kümmern.“ (04Pach, 264-268) In die gleiche Richtung weist Lehrer Blank. „Der gute Schüler, der Leistungsträger. Der wird sicher eine gewisse Einsicht in die Notwendigkeit mitbringen. Und wird innerlich wenig Probleme haben. Derjenige, der aber nicht gefestigt ist und hierherkommt, der natürlich auch gewisse Widersprüche hier erfahren (wird), in der Schule. Die hat er aber schon vorher gehabt. Nur, die Widersprüche sind ja nicht auf die Schule bezogen. Die sind ja auch auf das Elternhaus bezogen. … Wo wir natürlich zu wenig wissen.“ (12Blank, 275-278) Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass fachthematisch orientierten Lehrern Schuleingangsproblematiken beim Eintritt in die Ausbildung oder Adoleszenzproblematiken völlig fremd wären. (vgl. 04Pach, 169-171; 12Blank, 151-153) Allerdings vertreten die fachthematisch orientierten 254 Zu den Zahlen vgl. Kapitel 8.3.2.1 Perspektive sozialthematisch orientierter Lehrer in Multipräferenzklassen. - 321 Lehrer an dieser Stelle deutlich gesellschaftliche Anspruchs- und Wertperspektiven, die nicht das Verständnis und die Hilfe für die Jugendlichen in den Vordergrund rücken. „Ja und, ich denke mir, der Lehrer hat nicht nur eine Bildungs-, sondern auch, (das) vergisst man manchmal, eine Erziehungsfunktion. Und hier muss man eben erziehen. … Und warum sollte ich einen zukünftigen Werktätigen oder Facharbeiter nicht erziehen zur Pünktlichkeit. Zur Disziplin. Denn sonst wird er später in seinem Arbeitsleben auch nicht zurechtkommen. … Und wenn ich alles durchgehen lasse, dann wird (er) es nie lernen.“ (12Blank, 108-120) Genauso positioniert sich Pach. „Diese Kuschelpädagogik255, die da gefahren wird, das ist Ansichtssache. Ja. Finde ich unmöglich. Wie sollen die lernen, mit Druck umzugehen? Die können überhaupt nicht mit Druck umgehen.“ (04Pach, 264-264) Folgerichtig treten die Schüler vor oder im Unterricht im Wesentlichen mit fachlichen Problematiken oder Fragen an die Lehrer heran. Auch betriebliche Probleme256 erscheinen am Rande der Interviews mit den fachthematisch orientierten Lehrern, individuelle private Problemlagen der Schüler hingegen nicht. (vgl. 04Pach, 99-102, 151-158; 12Blank, 40-46) Vor diesem Hintergrund entwickeln die fachthematisch orientierten Lehrer ein fach- und leistungsaffines Schülerbild für ihren Unterricht. „Denn das sind Lehrlinge, die eigentlich einen Beruf erlernen wollen und arbeiten wollen.“ (12Blank, 36-36) „Die theoretische Kenntnis aber, darüber zu vermitteln, warum, wieso, weshalb. Das erfordert doch erstmal … ein Verständnis des Lehrlings. (Das) setzt … voraus, dass er die Erfahrung sammeln will …“ (12Blank, 89-92) Ebenso sieht es Pach. „Und ich sage ihnen das auch jede Woche. Nicht dass ich sage, die sind blöd oder so. Ja. Aber, wenn ich dann eine Arbeit korrigiere und da sind die Leistungen so schlecht, dass ich da was dazu sagen muss. Und ich habe eigentlich mit anderen Ergebnissen gerechnet. Dann ja. … Dann dokumentier ich das auch. Das sage ich ihnen auch.“ (04Pach, 317-322) „Nein. (Für Schüler), die aus Gründen, aus welchen Gründen auch immer, den Unterricht nicht für voll nehmen. Und die bummeln. Auch in der Klasse gibt es das. Und für die habe ich dann kein Verständnis. … Also denke ich mal … da reagiere ich dann vielleicht auch nicht immer so tolerant, wie ich es vielleicht sein 255 Kuschelpädagogik bezieht sich im Interview auf die Grundschule. 256 Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Blank, dass er im Aus tausch mit den Betrieben und der überbetrieblichen Ausbildung von Schüler problemen erfährt, nicht jedoch von den Schülern selbst. (vgl. 12Blank, 75-84) - 322 sollte. … Also wenn ich merke, dass die dann doch anders wollen Und dass sie sich ein bisschen berappelt haben dann257 …“ (04Pach, 304-310) Der Unterricht selbst konzentriert sich ganz auf die Vermittlung der fachlichen Unterrichtsinhalte. Dabei erfolgt die Schwerpunktsetzung sehr prüfungsorientiert. (vgl. 12Blank, 6-10, 66-68, 74-74, 106-108, 132-138; 04Pach, 77-84, 145-148, 279-282) „Na ja, was die Klasse haben möchte, das soll eigentlich mich nicht allzusehr interessieren. Sondern ich habe meinen Lehrplan, und das muss die Klasse interessieren. Und das muss ich auch verkaufen. Und nicht, was die Klasse will.“ (12Blank, 17-22) „Der (Betrieb) will natürlich offene Facharbeiter haben, die denken können. Die … Probleme lösen können. Aber ich denke mir, dazu ist es notwendig, nicht nur soziale Kompetenzen zu entwickeln, sondern auch fachliche Kompetenzen zu haben. Und die muss man erstmal vermittelt bekommen. – Lernen heißt das.“ (12Blank, 239-240) Mit der Vermittlung werden jedoch keineswegs rein theoretische Aspekte verfolgt, die auf die Prüfung hinführen. Vielmehr wird die Fachlichkeit sehr praxisbezogen rückgekoppelt und auf die Aktualität der Themenaspekte geachtet. Dies reicht vom Einbringen eigener Praxiserfahrungen bis hin zur Verwendung aktueller fachbezogener Zeitschriftenliteratur. (vgl. 12Blank, 213-216, 233-238; 04Pach, 87-98, 113-118, 187-188, 190-191, 345-362) „Ja, also ich versuche, die Theorie und die Praxis schon miteinander zu verknüpfen. … Wenn man mal in dem Beruf oder in dem Bereich tätig war, dann versucht man sich auch, in gewissem Sinne dort hineinzuversetzen, in den Lehrling. Irgendetwas zu zeigen. Das muss jetzt nicht unbedingt der praktische Handgriff sein. Aber wenn der Lehrling das Gefühl bekommt, dass der Lehrer eben nicht nur der Theoretiker ist, sondern auch mit seinen Händen noch was tun kann, dann ist das sicher nicht schlecht.“ (12Blank, 220-224) Zusammenfassend zeigt sich ein wechselseitiger perspektivischer Bezug zwischen fachthematisch orientierter Schüler- und Lehrerperspektive. Schülerseitig werden fachbezogene Informationen erwartet, die eine berufliche Entwicklung forcieren. Lehrerseitig wird dieser Erwartung praxisnah und prüfungsbezogen entsprochen. Im Gegenzug erwarten die Lehrer fachliches Interesse und schülerseitige Leistungsbereitschaft. Dem entsprechen wiederum die Schüler, die ihre Ausbildungszeit in Betrieb und Schule als relativ problemfrei einschätzen.258 Damit decken sich die Schüler- und 257 „Dann“ deutet im Kontext des Zitates an, dass Pach dann auch wieder eine Chance gibt. 258 Damit nicht der Eindruck leistungsstarker Eliteschüler entsteht, sei hier auf die Leistungsproblematik und die vielfach von den Lehrern geschilderten Lernproble - 323 Lehrererwartungen in der fachthematischen Orientierung, die als erfolgsorientierte berufliche Entwicklung mit klarem Praxisbezug charakterisiert werden kann. 8.3.3.1.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Lotz Bisher sind die thematischen Orientierungen der Lehrer klar dem sozialthematischen oder dem fachthematischen Profil zugeordnet worden. Im Folgenden wird deutlich werden, dass die Orientierungen keine Entweder- oder-Positionierungen darstellen müssen, sondern vielmehr Sowohl-alsauch- Optionen sind, d.h. dass es Lehrern möglich ist, auch beide Orientierungen in einer Person zu vereinigen. Nachfolgend wird dies am Beispiel von Lehrer Lotz skizziert. Lotz unterrichtet in einer Multipräferenzklasse in den berufsbezogenen Lernfeldern. Typisch für Multipräferenzklassen ist, dass die Schüler mehrere Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt haben. Neben Lehrer Lotz ist Lehrer Zoll von der Klasse als ‚guter’ Lehrer benannt worden. Zoll unterrichtet Gesellschaftslehre außerhalb der Lernfelder. Über den Lernfeldunterricht wird Lotz zunächst auf berufliche Themenaspekte vom Lehrplan verwiesen. Wie alle ‚guten’ fachthematisch orientierten Lehrer öffnet er Möglichkeiten, um an die Schülerwirklichkeit anzuknüpfen. (vgl. 03Lotz, 207-208) „Ich frage zum Beispiel grundsätzlich, ja: ‚Wie war es auf der Arbeit? Gab es Probleme? Müssen wir über irgendetwas sprechen?’ … Da kommt schon ab und zu was … Wenn es ein privates Problem ist, ein, was weiß ich, Heizkessel oder sonst was. … Oder … die haben jetzt gearbeitet eine ganze Woche, an einem bestimmten Gerät. Und haben irgendwas nicht verstanden dadran. … Dann fragen sie mich schon.“ (03Lotz, 210-219) Darüber hinaus entwickelt er in den fachlichen Themen einen engen Praxisbezug für die Jugendlichen. Dies gelingt ihm durch eigene Firmenpraktika in den Ferien (vgl. 03Lotz, 358-374), durch Einbringen aktueller beruflicher Entwicklungen in den Unterricht (vgl. 03Lotz, 507-514), durch Abstimmung von Unterrichtsinhalten mit den beteiligten Ausbildungsbetrieben (vgl. 03Lotz, 179-182), durch schülerorientierte Schwerpunktsetzung im Rahmen des Lehrplans (vgl. 03Lotz, 184-184) und durch praxisnahe Reduzierung der fachlichen Komplexität für die Schüler. „zum matiken der Schüler verwiesen (vgl. hierzu das Kapitel 8.2.3 Leistung und Lernschwierigkeiten). Entsprechende Äußerungen zu Lern- und Leistungsproblematiken finden sich auch bei Pach (vgl. 04Pach, 10-12, 58-62, 317-322) und Blank (vgl. 12Blank, 52-52, 151-153, 249-249). - 324 Beispiel Funktionsabläufe. … Es gibt hundertsechzig Brenner ungefähr. Jeder hat einen Funktionsablauf. Wenn sie die hundertsechzig auswendig lernen wollten, das wäre ein bisschen müßig. Ja. Da habe ich zwei draus gemacht. Einen für Öl und einen für, für Gas.“ (03Lotz, 114-116) Methodisch setzt Lotz dies in handlungsorientierte Aufgabenstellungen um, die in Teams zu erarbeiten sind. Fächerübergreifend sind dabei die Ergebnisse mit den Officeprogrammen aufzubereiten und den übrigen Schülern zu präsentieren. (vgl. 03Lotz, 76-76, 80-88, 124-130, 516-522) Gleichberechtigt neben der Fachthematik sind sozialthematische Anliegen zentrale Aspekte in der Schüler-Lehrer-Interaktion von Lotz. Seinen Schwerpunkt findet er dort in den privaten Problematiken jugendlichen Erwachsenwerdens. (vgl. 03Lotz, 12-12) „ … mit mir können sie über alles Mögliche reden. Ja. Und da muss man dann auch mal, und das mache ich auch, mal vom Stoff eine Stunde abzwacken. Und mal mit ihnen über ihre Probleme reden. … Es ist schwierig. Die Situation. Weil es ist nicht nur für sie schwierig (ist), sondern für uns auch. Und die lebenswichtigen Dinge, die da so in Familie oder im Freundeskreis sich abspielen, sind teilweise so ernst, dass sie eigentlich, na viel zu wenig Nerven für die Schule haben, sage ich jetzt mal. Ob nun Freunde gestorben sind durch einen Unfall, oder was weiß ich? Die Eltern auseinandergehen, oder – das tragen ja die Kinder alles mit sich rum.“ (03Lotz, 16-18) In diesem Sinne finden Themen von Eifersucht bis Drogen ihren Platz im Unterrichtsgeschehen. (vgl. 03Lotz, 20-22, 24-44, 479-501) Daneben werden auch individuelle Probleme beraten (vgl. 03Lotz, 279-288) und angenommen. „Und da gehört das auch dazu, dass man ihnen zur Hand gehen kann, … die Jungs, auch die großen, starken Jungs, mal hernimmt an die Hand und sagt: ‚Los, setz dich mal hin, erzähl mir mal, was du für einen Scheiß am Bein hast.’ Auf Deutsch gesagt. … Wenn ich dazu keine Zeit mehr habe, wo geht der Junge dann hin, wenn er ein Problem hat?“ (03Lotz, 272-274) Wie das Beispiel Lotz nachdrücklich zeigt, ist es lehrerseitig möglich, sich in fach- und sozialthematischen Feldern gleichermaßen zu positionieren. Im Falle von Lotz, der in einer Multipräferenzklasse zusammen mit dem sozialthematisch positionierten Lehrer Zoll von den Schülern benannt worden ist, kann auch die Schülerperspektive auf zwei sozialthematische Interaktionsangebote gespiegelt werden. Unter Zugrundelegung der bisher verwendeten Abgrenzungskriterien deutet die Abbildung ‚AM-Klasse, thematische Präferenzen’ für diese Klasse eine Teilung in einen sozialthematisch orientierten Lehrer und einen fachthematisch orientierten Lehrer an. Die Abbildung zeigt die normale - 325 Kriterienverteilung für fach- und sozialthematische Lehrer. Damit wird die sozialthematische Orientierung von Lotz zunächst nicht sichtbar. AM-Klasse, thematische Präferenzen 123456 7 Lehrer Zoll, Gruppierter Median Lehrer Lotz, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufs- praxis: nützlich (1) (54) Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme (1) (55) Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme (1) (56) Meinen Ausbil- dungsberuf habe ich mir: gewünscht (1) (57) Meinen Ausbil- dungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt (1) persönliche Interessen (7) nutzlos (7) wenige Probleme (7) wenige Probleme (7) musste ich nehmen (7) ganz anders vorgestellt (7) Abb.: Thematische Präferenzen in der AM-Klasse für die Lehrer Lotz und Zoll. Untersucht man jedoch detaillierter die Wirksamkeit der Unterrichte beider Lehrer aus der Schülerperspektive, zeigen sich die Besonderheiten der Klassensituation. Die Abbildung ‚AM-Klasse, Besonderheiten der Lehrer - 326 Zoll und Lotz’ (S. 328) zeigt zuerst, dass beide Lehrer im positiven Sinne vom gruppierten Median für alle Klassen abweichen. Dies gilt insbesondere für die Zugänglichkeit beider Lehrer, die die Items 11 und 19 im Sinne von Offenheit und Hilfe beschreiben. Neben der Offenheit und der Hilfe, bei denen Lotz noch bessere Ergebnisse erzielt als sein sozialthematisch positionierter Kollege Zoll, ergeben sich Hinweise auf die schülerseitige Akzeptanz und Aufnahme der sozialthematischen Aspekte von Lotz bei der Frage nach der Übertragbarkeit des Unterrichts auf den Freizeitbereich (Frage 27), wie auch bei der Frage nach vorbildlichen Aspekten, die die Schüler übernehmen könnten (Frage 28). Eingedenk der lernfeldtypischen Fachthemen des Lehrplans erzielt Lotz bei der Frage nach der Übertragbarkeit seines Unterrichts auf den Freizeitbereich der Schüler sehr bemerkenswerte Ergebnisse. Dies ist im Vergleich mit Zoll umso beachtlicher, als dieser mit dem Fach Gemeinschaftskunde einen viel direkteren Zugang zum privaten Lebensumfeld der Schüler finden kann. Gleiches gilt für die vorbildhaften Aspekte, die die Schüler bei beiden Lehrern gleichermaßen sehen und die für beide besser eingeordnet werden als der Wert für alle Klassen. Im Ganzen betrachtet zeigt sich, dass lehrerseitig ein gleichzeitiges Angebot im sozial- und auch im fachthematischen Kontext der Schüler möglich ist und auch von den Schülern wahrgenommen und angenommen wird. Ebenso zeigt sich für diesen Fall, dass bei einer deutlichen Doppelbesetzung des sozialthematischen Angebotes durch einen rein sozialthematisch positionierten und einen sozial- und fachthematisch orientierten Lehrer wieder eine Aufteilung der Schüler entsprechend ihrer Grundorientierung erfolgt. Dies ist naheliegend, da die fachthematisch orientierten Schüler nur bei fachthematischen Angeboten ihre Interessen wiederfinden können. Im Umkehrschluss hat der rein sozialthematisch positionierte Lehrer wiederum größere zeitliche Ressourcen für sein Angebot. Wichtig ist jedoch, dass auch das sozialthematische Engagement des doppelt positionierten Lehrers durch die Schüler sehr wohl wahrgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt wird. Ein Schüler meint hierzu: „Das Zusammenarbeiten als Gemeinschaft, er ist offen und ehrlich, zwar auch streng, aber der Unterricht ist so wie er ist, einfach topp. Bei Problemen unterstützt er jeden Einzelnen und probiert Lösungen und Wege zu finden.“ (Schülerfragebogen AM58)259 259 Es handelt sich um eine von drei offenen Fragen des Fragebogens. Die Frage lautet: „Ein Tipp, was dieser/diese Lehrer(in) unbedingt weitermachen sollte:“. Recht schreibung und Grammatik wurde im Zitat unwesentlich korrigiert. - 327 AM-Klasse, Besonderheiten 1234567 Lehrer Zoll, Gruppierter Median Lehrer Lotz, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (11) Ein Problem mit dem/der Lehrer(in) zu hilft nicht (7) besprechen: hilft (1) (19) Den/die Lehrer(in) ver schätze ich ein als: schlossen (7) offen (1) (27) Den Unterricht konnte ich auf Pro- schwer (7) bleme in meiner Freizeit übertragen: leicht (1) (28) Vom Unterricht konnte ich für mich wenig (7) persönlich was ab- schauen: viel (1) Abb.: AM-Klasse, Besonderheiten der Lehrer Zoll und Lotz. 8.3.3.2 Perspektive fachthematisch orientierter Lehrer in den Monopräferenzklassen 8.3.3.2.1 Aspekte fachthematischer Orientierung von Lehrern in Monopräferenzklassen Monopräferenzklassen votieren mehrheitlich für einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer, so dass eine klare Abgrenzung von Schülerpräferenzen im Sinne von ‚deutlich sozialthematisch orientiert’ und davon unterscheidbar ‚deutlich fachthematisch orientiert’ nicht möglich ist. Aus den Schüleraussagen der Multipräferenzklassen kann jedoch ein Kriterienkatalog abgeleitet werden, der eine Zuordnung der Lehrer bezüglich einer sozialthematischen bzw. fachthematischen Orientierung erlaubt. Anhand des Kriterienkatalogs konnte in den Monopräferenzklassen für die Lehrer Maier und Menzel eine fachthematische Orientierung ermittelt werden. Im Folgenden ist anhand der Eigenperspektive der beiden Lehrer zu prüfen, ob im Vergleich zur Eigenperspektive der fachthematisch orientierten Lehrer der Multi - 328 präferenzklassen übereinstimmende Aspekte auffindbar sind. Übereinstimmungen würden die Validität des Kriterienkatalogs stützen und Rückschlüsse auf eine eher fachthematische Präferenzstruktur der Schüler in den Klassen von Maier und Menzel zulassen. Für die fachthematisch orientierten Lehrer der Multipräferenzklassen konnte gezeigt werden, dass sie über den soziokulturellen Hintergrund ihrer Schüler eher pauschalierend-kursorische Aussagen treffen. Gleichwohl sind ihnen Zugangsproblematiken zum Beruf wie auch Adoleszenzproblematiken bekannt. In der Interaktion mit den Schülern vertreten sie allerdings deutlich gesellschaftliche Anspruchs- und Wertperspektiven. Auch für Maier und Menzel, die fachthematisch orientierten Lehrer der Monopräferenzklassen, können ähnliche Positionen festgestellt werden. Als wichtiges auslösendes Moment für den Zugang zum soziokulturellen privaten und betrieblichen Hintergrund der Schüler kann ein Leistungsdefizit der Schüler ausgemacht werden. (vgl. 07Menzel, 274-284) „Ich rufe auch Eltern an. Wo die Jungs ganz schwach sind. Es gibt ja Familienverhältnisse, Vater, Mutter leben getrennt. Das nutzt der Junge natürlich aus.“ (11Maier, 187-187) „Vor allen Dingen die Mütter sind ja da sehr rührig. Ja. Die rufen an ‚Wie steht mein Junge? Besteht für die Prüfung Gefahr?’ Und so weiter. Oder ich rufe umgekehrt an. Ich sage: ‚Hier, jetzt haben wir viertes Lehrjahr. Der Junge hat nur Fünfen geschrieben. Es besteht Gefahr, dass er jetzt abrutscht. Hat er eine neue Freundin?’“ (11Maier, 201-201) Daneben sind Beobachtungen im Unterricht bedeutsam. (vgl. 11Maier, 79-91, 208-211; 07Menzel, 20-22) Die Schüler selbst bieten keine (vgl. 11Maier, 208-211) oder wenige Zugangsmöglichkeiten (vgl. 07Menzel, 188-194) an.260 Gleichwohl entwickelt sich daraus für die Lehrer ein Bild von beruflichen Zugangsschwierigkeiten und Orientierungsproblemen der Jugendlichen. (vgl. 11Maier, 124-131, 139148; 07Menzel, 110-110, 417-422) Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Lehrer in völliger Unkenntnis von Problematiken der Jugendlichen bleiben und diesen verschlossen gegenüberstehen würden. Es besagt vielmehr, dass sich der Fokus der fachthematisch orientierten Lehrer auf Schwierigkeiten im engeren beruflichen Umfeld der Schüler konzentriert, sie dort auch angesprochen 260 Menzel sieht Zugangsmöglichkeiten am Rande des Unterrichts im privaten Gespräch. Hier eignen sich für Menzel Exkursionen, die dann gemütlich ausklingen. Im kleinen Kreis können sich die Schüler öffnen. Das an dieser Stelle geschilderte Einzelbeispiel bezieht sich dann auf eine im Fachlichen verankerte Problematik einer anstehenden Studienwahlentscheidung. - 329 werden, dort Kenntnisse von Problemlagen erlangen und dort auch für die Schüler aktiv werden, soweit schulische Belange direkt betroffen sind (vgl. 07Menzel, 182-182, 274-284) oder die Betriebe ihre Funktion nicht weiter erfüllen können. „Das geht jetzt sogar so weit, dass die vorige Woche gekündigt worden (sind), weil der Herr Y pleite gegangen ist. Und nun die in der Luft hingen. Ich habe gesagt ‚Ihr kommt erst mal alle ganz schön, ganz ruhig.’ Und dann haben wir uns an die IHK Suhl gewandt …, dass es doch nicht sein kann, jetzt die jungen Leute im dritten Lehrjahr hängen zu lassen. Ob es da nicht eine Lösung gibt. Und jetzt gibt es Lösungen.“ (07Menzel, 12-12, ebenso vgl. 11Maier 184-187, 07Menzel, 436-436) Dies bedeutet ebenso wenig, dass die Lehrer keinerlei sozialthematische Position vertreten würden. Wie die fachthematisch orientierten Lehrer der Multipräferenzklassen auch, vertreten Menzel und Maier klare soziale Positionen, die den Schülern deutlich gesellschaftliche Anspruchs- und Wertperspektiven nahebringen und ihnen Orientierung ermöglichen. (vgl. 11Maier, 253-259, 383-397; 07Menzel, 251-252) „Die persönliche Einstellung. Und dass man so ein bisschen auch das Nachdenken anregt bei den Jugendlichen. Ja. Dass sie nicht ganz losgelöst sind. Und gerade dieser, dieser Wahn, der ja momentan läuft, man könnte da so ein paar Stichpunkte sagen. Dieser, dieser Schönheitswahn. Diese Magersüchtigkeit. Und …, dass die Jungs wirklich sehen, dass das Leben nicht nur aus so was besteht. Sondern ganz einfach Geld verdienen. Irgendwann einmal Familie ernähren und sich was schaffen. Ein ordentliches Standbein. Ja. Da arbeite ich ganz stark. Das finde ich eigentlich ganz wichtig.“ (11Maier, 256-257) Im Vergleich mit sozialthematisch orientierten Lehrern werden von den fachthematisch orientierten Lehrern jedoch keine Anknüpfungspunkte in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen gewählt. Vielmehr wird die eigene Person im Sinne eines Vorbilds bzw. in Repräsentanz für einen gesellschaftlichen Anspruch oder Lebensentwurf in die Waagschale geworfen. (vgl. 11Maier, 276-277, 327-333; 07Menzel, 150-151, 248-248) „Also für meine Person kann ich das sagen. Und ich denke, auch für meine zwei Kollegen. Uns macht das, was wir tun, so viel Spaß. Wir leben das. Und ich sage, also ich denke, ich bin der Gestalter. Und ich kann mir auch was anderes nicht vorstellen. Ich habe dreizehn Jahre lang Kunsterzieher ausgebildet. Und für mich ist das ein Lebensinhalt. Und das lebe ich vor. Und da brauche ich nicht viel Motivation. Also ich bin so. … Und das spüren die Schüler.“ (07Menzel, 124-125) Über die Vorbildfunktion entwickeln Menzel und Maier auch einen wechselseitigen fachlichen Leistungsanspruch für ihren Unterricht. Er - 330 wendet sich zum einen an die Schüler. „Ein, sagen wir mal, zwei Drittel in einer Klasse nehmen das dankend an. Sind froh, dass sie so gefordert und gefördert werden. Ich sage immer: ‚Ihr kriegt von mir alles. Aber ihr müsst wollen. Und ihr müsst machen und kämpfen. Aber das ist nur ein Stückchen. Ihr selbst (müsst) wollen. Ihr müsst euch selbst motivieren.’ Und wenn manche noch nicht mal ihre Literatur, die sie sich anschaffen müssen, drei Bücher nutzen. Und im Register mal nachgucken, was unter Typographie oder unter Farbe steht. Dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.“ (07Menzel, 108-108) Ähnlich sieht es Maier. „Ja, was viele so vergessen, dass sich mit dem Eintritt in die Berufsschule, also in die Lehre, ... sich die Bedeutung der Schule etwas ändert. Denn das ist jetzt bezahlte Arbeitszeit. Und damit kann man sie auch so ein bisschen greifen. Ja. Man kann also sagen ‚Mein Freund. Hiermit … verdienst (du) dein Geld im Schlaf.’ Ja. Wenn sie ihren Kopf runtermachen in der Stunde. Aber, im Allgemeinen ist die Entwicklung so, dass sie im dritten Lehrjahr begriffen haben, worum es geht. Der Großteil zumindest. Und sich dann von alleine so ein bisschen anstrengt. … Wenn sie vor allen Dingen im dritten Lehrjahr schon mit auf Baustelle genommen werden. Teilweise verantwortungsbewusste Aufgaben kriegen. … Müssen dieses Geländer einbauen. Oder dieses Fenster einbauen. Und das muss dann auch stimmen. Und dann merken sie schon, aha, jetzt muss ich doch ein bisschen Ahnung … haben von der ganzen Sache. Und strengen sich dann auch enorm an.“ (11Maier, 215-215) Zum anderen verpflichtet der fachliche Anspruch aber auch Menzel und Maier selbst. „Und ich hätte gerne, dass ich eben gerade in drei Programmen ganz gut wäre. In Photoshop, in einem Zeichenprogramm. Ob nun Corel Freehand oder Illustrator. Und auch in einem Satzprogramm. Weil (wir) das von unserem Schüler verlangen. Und sage ich immer ‚Also das, was man von den Schülern verlangt, muss man selbst auch können.’ … Aber eben das Bemühen, Fachmann zu sein. Ich beziehe es jetzt auf meine Gestaltung. Das bin ich. Und da besuche ich auch alles an Fortbildungen, was sich bietet. Und bilde mich selbst weiter. Also ich kann nur an der Kunst dranbleiben, indem ich zur Kunst gehe. Um überhaupt meinen Schülern wieder was berichten zu können.“ (07Menzel, 248-248) In gleicher Weise betont Maier den fachlichen Selbstanspruch. „Also wichtig ist, dass man von dem, was man erzählt, dass man das selber schon gemacht hat. … Da … werden immer Weiterbildungen angeboten. Fachliche, selbst bei größeren Firmen. … Und da macht man direkt vor Ort fachliche Weiterbildung. Und hat Einblick über das Fachliche. Oder man macht selber Schweißlehrgänge. … Und daran sollte man sich beteiligen. … dass man auch von dem, was man erzählt, theoretisch, auch die fach - 331 liche Ahnung hat.“ (11Maier, 279-279) Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Maier und Menzel den fachlichen Anspruch nicht nur aus dem Blickwinkel der Theorie entwickeln, sondern auch für sich selbst den fachlichen Anspruch mit einem Entwicklungsfokus wählen, der Theorie und Praxis verbindet. Der fachliche Anspruch von Menzel und Maier ist in quantitativer und qualitativer Beziehung auf den Lehrplan gestützt und prüfungsorientiert. Ausgehend von dem Anspruch, auf die Prüfung so vorbereiten zu wollen, dass die Prüfung auch bestanden werden kann, orientieren sich die Lehrer inhaltlich und in ihrem Anspruchsniveau am Prüfungsniveau. (vgl. 11Maier, 106-113; 07Menzel, 104-104, 166-166, 148-149, 220-224) Niveaudefizite der Schüler bleiben ihnen jedoch nicht verborgen, sie beeinflussen das Primärziel aber nicht. (vgl. 11Maier, 16-16) Allerdings wird auf einer sekundären Ebene möglichen Leistungsproblemen der Schüler entgegengekommen, indem Themenaspekte, die geringe Prüfungsrelevanz aufweisen, zugunsten von relevanteren Themen sowohl zeitlich als auch in ihrer Komplexität abgeschmolzen werden. „Also, und man geht auch mit den Anforderungen nicht runter. Denn das würde ja wieder bedeuten, ich erfülle den Plan nicht. Und auch im Hinblick auf die Prüfung. Da werden ja auch keine Abstriche gemacht. … Also … muss ich stofflich alles schaffen. Muss ich stofflich alles gemacht haben. Ja. Um die Garantie zu haben, dass der Junge die Prüfung dann voll beantworten kann. … Man kann Schwerpunkte setzen. … Dann kommt zum Beispiel das Thema Jalousien. Das kommt ganz selten dran. Und dann … kann ich (mich) … in diesem Thema auf Dinge konzentrieren, die schwerpunktmäßig behandelt werden müssen. Und kann Details weglassen.“ (11Maier, 93-101; ebenso vgl. 11Maier, 16-18) Neben der inhaltlichen Fokussierung auf die Kammerprüfung bildet die Praxisorientierung der Unterrichtsinhalte ein ergänzendes zweites Zentrum der Unterrichtsgestaltung. Die Praxis schöpfen Menzel und Maier aus zwei Quellen. Zum einen ist dies das breite Themenspektrum, das sie den Schülern anbieten können. Inhaltlich sind sie in der Lage, alle fachlich relevanten schulischen Aspekte für ihre Schülerklientel selbst unterrichten zu können. Im Gegensatz zum Fachspezialisten, der tief in Teilprobleme eindringt, gelingt es ihnen, über die generalistische Ausrichtung ihres Profils Verbindungen zwischen Teilinhalten herzustellen und diese auch zu kommunizieren, so dass die Inhalte für die Schüler in größeren Zusammenhängen erscheinen. (vgl. 07Menzel, 217-224) „Und da decken wir alles ab. Also fachlich machen wir, egal welches Lernfeld oder welches Fach. Ja. Das wird von jedem Kollegen, der hier unterrichtet, verlangt. Damit (er) auch diese, diese Querverbindungen hat. Dieses Querwissen. Nicht dass er - 332 so diese Spezialstrecken und … diese … Schienenausbildung hat. Ja. Also er muss alles können. … Also weg von dem Fachunterricht zum Lernfeldunterricht. Und da ist es ja so, dass man an einem Projekt theoretisch alles abbehandelt. So wie es … in der Praxis ist.“ (11Maier, 239-241) Zum anderen schöpfen Maier und Menzel aus unterschiedlichen Quellen eigene Praxiserfahrungen, die sie in ihren Unterricht einfließen lassen. Dabei reichen die Quellen von Betriebsbesichtigungen bis hin zu adäquaten Praxiserfahrungen, die sich im Freizeitbereich als Hobbyerfahrungen einstellen. (vgl. 11Maier, 279-279, 367-381; 07Menzel, 248-248) „Also wir hatten uns am Anfang auf die höheren Fahnen geschrieben … ‚Wir brauchen den absoluten Kontakt zu den Betrieben.’ … Und dann haben wir ab und an den freien Tag genutzt und sind die Betriebe abgefahren. Haben uns vorgestellt. ‚Wir machen das jetzt.’ Aus ihrer Sicht: Was ist wichtig. Davon zehren wir heute noch.“ (07Menzel, 178-178) Besonders hilfreich im Sinne der Praxisorientierung ist der Lernfeldunterricht. Durch die Auflösung der Fächer gelingen Projektunterrichte, die fachthemenübergreifend ein Probleme aufwerfen und diese handlungsorientiert einer konkreten Lösung zuführen. (vgl. 07Menzel, 100-100; 11Maier, 230-231) „Und da ist es ja so, dass man an einem Projekt theoretisch alles abbehandelt. So wie es im, in der Praxis ist. … Man sagt also: ‚Hier der Kunde will das und das haben.’ Ja. ‚Und jetzt geht's los. Also machen wir zuerst Kosten.’ Also ein Angebot. Ja. Ich muss Material (beschaffen). ‚Was kostet das Material? Was kosten meine Arbeitsstunden?’ Und so weiter. Ja. Die Nebenkosten. Dann geht's weiter. Jawohl, wenn ich, wenn das Angebot stimmt. Bezeichnung. Also zeichne ich mit den Jungs. Ja. Wenn die Zeichnung steht: ‚Los geht's, Fertigungsplanung.’ Welche Schritte? Zuschnitt. Umformen. Fügen. Ja. Und zum Schluss dann noch mal eine Berechnung. Was hält das Bauteil aus? Wie kann ich es belasten? Und so weiter. … Und dann die Präsentation. Also vorm Kunden erklären kurz.“ (11Maier, 241-245) Im Lernfeldprojekt wandelt sich die Aufgabe des Lehrers zu einer Ratgeberfunktion (vgl. 07Menzel, 64-72), so dass ein individuellerer Zugang zu den Schülern und eine eng an die Praxis angelehnte Vermittlung von Kenntnissen möglich werden. Allerdings sehen Maier und Menzel auch die Problematik, dass die Schülerhandlungen erst auf der Basis von erarbeiteten Grundlagen sinnvoll in Lernfeldern umgesetzt werden können. Dadurch entfalten und gewinnen die Lernfelder erst im zweiten und dritten Ausbildungsjahr ihr aktivierendes Praxispotential. (vgl. 07Menzel, 100-100; 11Maier, 283-287) Demgegenüber bietet die Rückkopplung der Theorie mit der betrieblichen Praxis oder mittels Fachexkursionen (vgl. 07Menzel, 34-38, 154-158; 11Maier, 116 - 333 119) eine Möglichkeit zum Anknüpfen an die Schülerrealität, die themenspezifisch über die ganze Ausbildungszeit genutzt werden kann. Resümierend kann festgehalten werden, dass die fachthematisch orientierten Lehrer in den Monopräferenzklassen einen fachgebundenen Zugang zu den Schülern wählen, der sich an den Notwendigkeiten des Lehrplans und den spezifischen Anforderungen der Berufspraxis orientiert. Im Sinne der fachlichen Orientierung erschließen sich den Lehrern die Hintergründe der Lebensumstände der Schüler vorwiegend über Leistungsproblematiken. Insbesondere im nahen beruflichen Umfeld bieten sie bei Bedarf ihre individuelle Unterstützung an. Genereller im Unterricht beziehen die Lehrer über das Fachliche hinaus, d.h. im gesellschaftlichen Rahmen, mit ihrer Person Stellung und vertreten gesellschaftliche Anspruchs- und Wertperspektiven. Im Vergleich zu den fachthematisch orientierten Lehrern der Multipräferenzklassen ist die Übereinstimmung im fachlichen und praxisorientierten Zugang zu den Schülern festzustellen, so dass beide Lehrergruppen Schülern, die eine berufliche Entwicklungsperspektive erwarten, adäquate Angebote offerieren können. Ebenso ist beiden Lehrergruppen die Repräsentanz gesellschaftlicher Anspruchs- und Wertperspektiven gemeinsam, die den Schülern eine Gelegenheit zur Orientierung ermöglichen können. Im Unterschied zu sozialthematisch orientierten Lehrern erfolgt jedoch kein Orientierungsangebot, das seine Themen in den Problemen und Bedürfnissen jugendlicher Lebensentwürfe schöpfen würde. 8.3.3.2.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Arnold Wie schon in der Fallskizze Lotz für Multipräferenzklassen gezeigt, ist die fach- bzw. sozialthematische Positionierung eines Lehrers keine Entweder- oder-Positionierung, sondern vielmehr eine Sowohl-als-auch-Option. Mit der nachfolgenden Fallskizze Arnold kann dies auch für Monopräferenzklassen gezeigt werden. Arnold ist der einzige Lehrer, für den alle Schüler seiner Klasse als ‚guter’ Lehrer votiert haben. In der Klasse unterrichtet Arnold in den berufsbezogenen Lernfeldern, so dass er zunächst vom Lehrplan auf die beruflichen Themenaspekte verwiesen wird. Dort ergeben sich für Arnold zwei zentrale Anknüpfungspunkte. Dies sind zum einen die Kammerprüfung und zum anderen der Praxisbezug der Unterrichtsinhalte. „Die Kammerprüfung, das ist letztendlich bestanden oder nicht bestanden. Das ist schon für die (Schüler) so ein Meilenstein. Und über diesen Meilenstein will ich ihnen einfach drüber weghelfen. Oder sie dazu bringen, dass sie das schaffen. Jetzt nicht drüber weghelfen in dem Sinne, dass … es jeder schaffen muss. Also wir haben eine Durchfallerquote von etwa dreißig - 334 Prozent. … Aber nicht ausschließlich, also vom Grundsatz her ist für mich eigentlich erstmal das Wichtigste, zu sagen, also, ‚Das hat Bedeutung dahingehend, dass ihr das vielleicht in der Praxis brauchen könnt. Und einfach, dass ihr denkfähig gemacht werdet’." (08Arnold, 116-120) Das Lernfeldkonzept ermöglicht Arnold, die Unterrichtsthemen fachübergreifend anzulegen, so dass eine Problematik zeichnerisch, rechnerisch und fachlich erschlossen werden kann. (vgl. 08Arnold, 14-14, 65-66) Das pädagogische Ziel Arnolds ist dabei die geistige Durchdringung der Problematiken durch die Schüler, um sie perspektivisch zur selbständigen Lösung von Problemen zu befähigen. (vgl. 08 Arnold, 67-70) „Also, mir geht es darum, dass sie immer den Hintergrund haben. Dass sie … den Hintergrund verstehen. Dass sie also wissen, wie ist das zustande gekommen. Dass sie fragen, warum. Dass sie nicht einfach irgendwas hinnehmen und stupide einsetzen. Ja. Und möglichst auch vielleicht noch Kreuze machen.“ (08Arnold, 125-125)261 Über den schulischen Unterricht hinaus koordiniert Arnold seine Unterrichtsinhalte mit dem Ausbildungsplan der überbetrieblichen Ausbildung, um auch hier eine Verknüpfung von Theorie und Praxis herstellen zu können. (vgl. 08Arnold, 82-88) Im gleichen Sinne setzt Arnold den Praxisbezug auch methodisch um. „Wir machen Gruppenarbeit. Wir machen Partnerarbeit. Wir machen Einzelarbeit. Ich sage mal, in der Praxis draußen ist es ja auch so. Die müssen in Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen zusammenarbeiten. Das ist also auch ein praktischer Anspruch, der sich … aus der täglichen Arbeit ergibt.“ (08Arnold, 139-139) „Wir gehen also auch teilweise … raus. (Wir) machen Exkursionen. … Wir gehen nachher zum Beispiel, (da) nehmen wir uns ein Dach. Das wird aufgemessen. Und das wird dann hier gerechnet, im Unterricht.“ (08Arnold, 30-30) Den engen Praxisbezug knüpft Arnold jedoch nicht nur für seine Schüler. Auch in seinen Weiterbildungsaktivitäten bezieht er sich auf aktuelle Fachzeitschriften (vgl. 08Arnold, 15-18), baut eigene Praxiserfahrungen durch wochenweise praktische Weiterbildungen aus (vgl. 08Arnold, 152-152) und hält vielfältige Kontakte zu den Betrieben vor Ort (vgl. 08Arnold, 7780). Doch nicht nur im außerschulischen Umfeld birgt der Praxisbezug für Arnold eine Wechselseitigkeit, die sich auf ihn selbst und auf seine Schüler 261 ‚Kreuze machen’ bezieht sich auf die Kammerprüfungen, bei denen in der Vergangenheit häufig Ankreuzfragen verwendet wurden. Im örtlichen Kammerbezirk, in dessen Prüfungsausschuss Arnold mitwirkt, werden jedoch Prüfungssachverhalte als praxisorientierte Problemstellungen an die Auszubildenden herangetragen, die in Grenzen kreativ zu bearbeiten und zu lösen sind. (vgl. 08Arnold, 126-136) - 335 bezieht. Auch schulisch ist er offen für schülerseitige Impulse, so dass eine mögliche Lehrerdominanz in der Schüler-Lehrer-Interaktion zugunsten eines partnerschaftlichen Ansatzes zurücktritt. „Ja, die bringen CDs mit Bildern mit. Die bringen Materialien mit. Also alle Ziegel, die sie hier sehen, als Sammlung, das sind alles Geschenke von Schülern. … Die bauen Modelle. Bringen ihre Praxiserfahrung mit ein.“ (08Arnold, 71-76) Dabei ist es für Arnold auch möglich, auf Schülerimpulse eine Unterrichtsstunde oder einen ganzen Unterrichtstag zu verwenden. (vgl. 08Arnold, 287-297) Schülerseitig wird dies auch geschätzt. Als Tipp an mögliche nachfolgende Schüler schreibt ein Schüler: „… Eigene Ideen zum Unterrichtsstoff mit einbringen …“ (Schülerfragebogen D140)262 Der Zugang zu den Schülern bleibt für Arnold nicht auf die fachliche Ebene beschränkt. Vielmehr umfasst er die ganze Lebenswirklichkeit seiner Schüler, so dass Arnold einen deutlich sozialthematischen Zugang zu den Schülern wählt und dieser auch von den Schülern honoriert wird. „Also, ich kann Ihnen nennen, wer eine Freundin hat. Ich kann Ihnen sagen, wo eine Großmutter gestorben ist. Was es für Probleme im Elternhaus gibt. Welche … Eltern Alkoholiker sind. Und so weiter. … Also, … damit kommen die schon. … Die (haben) oftmals keinen anderen, dem sie es erzählen können. … Ich sage: ‚Wenn … es euch nicht gelingt, das Herz der Schüler aufzuschließen, dann könnt ihr alles andere vergessen.’ … Wenn dieser Zugang nicht da ist, dann gibt es immer eine Sperre. Dann gibt es immer eine Blockade. Und das funktioniert dann nicht. Also es funktioniert nur bis zu einem gewissen Punkt. Und nur mit Zwang. Und, also lernen soll mir eigentlich Freude machen. Und wenn es aus Freude geschieht und aus Vertrauen heraus. Auf Vertrauen basiert. Dann ist eigentlich, denke ich, so der Acker bereitet für die Samen, die darauf folgen sollen. … Das ist so mein Ansatz. Also, so ein bisschen, – die Persönlichkeit achten. Und ein bisschen mit Liebe dort rangehen. Und nicht stur nach Lehrplan.“ (08Arnold, 321-330) Das Zitat zeigt zum einen die Offenheit Arnolds für die Probleme seiner Schüler. Die Offenheit ist für ihn ein grundlegender Bestandteil seines Interaktionsangebots an die Schüler. (vgl. 08Arnold, 316-316) Gleichzeitig zeigt es auch, dass sich Schüler am Rande des Unterrichts mit privaten Problemen an ihn wenden. Dies impliziert, 262 Im Schülerfragebogen sind drei offene Fragen vorgesehen, die freiwillig zu beantworten sind. Obiger Antwort liegt die Frage: „Ein Tipp für alle Schüler, die nach mir bei diesem/dieser Lehrer(in) Unterricht haben:“ zugrunde. Häufig sind die Fragen von den Schülern nicht beantwortet worden. Bei Arnold trifft das Gegenteil zu. Von 16 Schülern haben 13 stichwortartige Antworten eingetragen. - 336 dass das Angebot für die Schüler glaubwürdig ist und schülerseitig eine tragfähige Vertrauensbasis existiert. Im Unterricht selbst werden am Rande neben den Fachthemen vielfältige fachfremde Themen im Schülerinteresse besprochen. „Also, die wollen schon was wissen. Also, wir haben uns vorhin gerade über Motorräder unterhalten. Oder über Sport. Es ist gerade Olympia. Ja. Also, da laufen schon viele Dinge nebenher. … Das ist ganz normal. Das gehört zum täglichen Leben dazu. … Ich lasse mich dann eher auch beraten. Aber das strahlt natürlich auch wieder ab. Weil die merken, man hat Interesse für ihre Dinge. Und nimmt Anteil an den Dingen, … man ist nicht nur ein Fachidiot. … Ja. Das ist schon wichtig auch. … Wenn man so … andere Lebensbereiche mit einbezieht.“ (08Arnold, 89-104) Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen sozialthematisch orientierten Lehrern nimmt Arnold den Schülern gegenüber im Unterricht nicht die Funktion eines ‚Informationsbrokers’ wahr, der auch Informationen über fachfremde Themen bereithält. Sein sozialthematisches Zentrum liegt vielmehr im Interesse an der Lebenswirklichkeit der Schüler. „Also, zum Beispiel … wenn die bei mir zu spät kommen, dann frage ich erstmal warum. Und dann gibt es nicht gleich einen Strich rein. Dass … sie da eine Fehlstunde haben. Oder ich lass die nicht wie ein paar Idioten vor der Tür draußen stehen. Die kommen von hinter Eisenach bei dem Wetter. Kommen fünf Minuten zu spät.“ (08Arnold, 304-306) Der hier für Arnold beschriebene sozialthematische Zugang lässt sich auf zwei konstitutive Momente zurückführen, die im Kapitel ‚Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer’ als Grundlage leistungsförderlicher Rahmenbedingungen beschrieben worden sind. Dort sind sie gekennzeichnet als gegenseitige Wertschätzung zwischen Schülern und Lehrer sowie als authentisches Interesse des Lehrers an der Lebenswelt der Schüler. Arnold bereichert diesen Zugang um eine große Offenheit für fachbezogene und fachfremde Schülerthemen, die Platz in seinem Unterricht finden können – allerdings ohne direkt als Themenführer oder ‚Informationsbroker’ hervorzutreten. Gleichwohl gelingt es ihm, über diesen Weg das Vertrauen der Schüler zu gewinnen und am Rande des Unterrichts für private Sorgen und Nöte der Schüler zur Verfügung zu stehen. „Die (haben) oftmals keinen anderen, dem sie es erzählen können“ (08Arnold, 324-324), deutet diskret auf das Potential hin, das Arnold am Rande des Unterrichts erwächst. Im Ganzen betrachtet, zeigt sich für Arnold ein sowohl fachthematisch als auch gleichzeitig sozialthematisch ausgerichtetes Profil. Fachthematisch orientiert sich Arnold am Prüfungserfolg und am Praxiserfolg seiner Schüler mit dem Ziel, eine selbständige Problemlösefähigkeit bei den - 337 Schülern zu entwickeln. Sozialthematisch räumt Arnold fachbezogenen und auch fachfremden Schülerimpulsen Raum in seinem Unterricht ein. An diesem Forum nimmt er als Primus inter Pares teil, ohne eine Steuerungsfunktion zu übernehmen. Dies öffnet ihm einen persönlichen Zugang zu den Schülern, so dass vertrauliche informelle Gespräche am Rande des Unterrichts möglich werden. 8.3.3.3 Vergleich der Perspektive von Lehrern mit gleichzeitig sozial- und fachthematischer Orientierung Für die Lehrer Arnold263 und Lotz264 konnte festgestellt werden, dass beide nicht nur fachthematische Angebote an die Schüler herantragen, sondern darüber hinaus auch sozialthematische Interaktionsmöglichkeiten für die Schüler eröffnen. Es stellt sich hier die Frage, wie das Angebot schülerseitig aufgenommen wird und wo Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in den Herangehensweisen von Arnold und Lotz zu finden sind. Die Abbildung ‚Thematische Rahmenbedingungen der Lehrer Arnold und Lotz’, auf S. 339 lässt zunächst weder für Arnold noch für Lotz einen sozialthematischen Zugang zu den Schülern erkennen. Vielmehr tritt in dieser Abgrenzung zunächst das fachliche Teilangebot der Lehrer in den Vordergrund. Dies zeigt sich im Spiegel der Schülerinteressen, die deutlich berufliche Interessen artikulieren (Frage 14) und die Nützlichkeit des Unterrichts für die spätere Berufspraxis betonen (Frage 23). Allenfalls eine geringfügig über dem Median aller Klassen liegende Bewertung der Probleme im Betrieb deutet schülerseitig bei Arnold auf ein sozialthematisches Potential hin (Frage 55), wird aber durch die sehr große berufliche Zufriedenheit, die sich in den Aussagen zu den Fragen 56 bis 59 äußert, deutlich negiert. Gleiches gilt für Lotz. Allerdings mit deutlichem Unterschied in der beruflichen Zukunftsperspektive der Schüler, die in den Fragen 58 und 59 beruflichen Orientierungsbedarf erkennen lässt. 263 Vgl. das Kapitel 8.3.3.2.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Arnold. 264 Vgl. das Kapitel 8.3.3.1.2 Fallskizze: Fach- und sozialthematisch orientierter Lehrer Lotz. - 338 Lehrer Arnold, Gruppierter Median Lehrer Lotz, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median Thematische Rahmenbedingungen der Lehrer Arnold und Lotz 1234567 (14) Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für persönliche mich wichtig: berufliche Interessen (7) Interessen (1) (23) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist nutzlos (7) für die spätere Berufs- praxis: nützlich (1) (54) Rückblickend gab wenige es für mich in der Probleme (7) Schule: viele Probleme (1) (55) Rückblickend gab wenige es für mich im Betrieb: Probleme (7) viele Probleme (1) (56) Meinen Ausbildungsmusste ich beruf habe ich mir: nehmen (7) gewünscht (1) (57) Meinen Ausbildungsganz anders beruf habe ich mir: vorgestellt (7) genauso vorgestellt (1) (58) Nach der Ausbildung den Beruf würde ich gerne: wechseln (7) im Beruf bleiben (1) (59) Nach der Ausbildung den Betrieb würde ich gerne: wechseln (7) im Betrieb bleiben (1) Abb.: Thematische Rahmenbedingungen der Lehrer Arnold und Lotz. Eine genauere Analyse, die vom betrieblichen Kontext abstrahiert, der der Abbildung ‚Thematische Rahmenbedingungen der Lehrer Arnold und - 339 Lotz’ zugrunde liegt, und die deutlicher auf die konkrete Interaktion zwischen Schülern und Lehrern fokussiert, gibt Hinweise auf die sozialthematischen Angebote von Arnold und Lotz. Bei beiden Lehrern sehen die Schüler ein deutliches Hilfsangebot (Frage 11), das augenfällig ausgeprägter ist als der gruppierte Median aller Lehrer. Auch hinsichtlich der Nützlichkeit der Unterrichtsinhalte außerhalb des Berufs (Frage 24) heben sich beide deutlich vom gruppierten Median aller Lehrer ab. Gleiches gilt für die empfundenen persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Schüler (Frage 28). Unterschiede zwischen Arnold und Lotz ergeben sich hinsichtlich der aktuell gegenwartsbezogenen Einschätzung der Unterrichte. Während für Lotz eine Übertragbarkeit der Inhalte auf Probleme im Freizeitbereich der Schüler eher hervorgehoben (Frage 27) wird, dabei allerdings keine außergewöhnliche aktuelle Eignung der Inhalte außerhalb von Problemsituationen seitens der Schülern gesehen wird (Frage 22), ist die Situation bei Arnold umgekehrt. Hier greifen die unterschiedlichen sozialthematischen Zugänge von Arnold und Lotz. Während Arnold Schülerthemen im Unterricht Raum einräumt, ohne als Themenführer die Themen zu starten, und auch nicht deutlich als ‚Informationsbroker’ hervortritt, gelingt es ihm, ein Forum zu schaffen, das die Schüler ausfüllen können. Daraus entwickelt sich der Eindruck einer Nützlichkeit außerhalb des Unterrichts, jedoch keiner Nützlichkeit im Sinne eines Übertrags auf Probleme im Freizeitbereich. Zu berücksichtigen ist, dass Frage 27 auf den Unterricht zielt. Aufgrund der Formulierung sind daher hilfreiche Gespräche am Rande der Unterrichtssituation von der Frage nicht erfasst, so dass die diesbezüglichen Aktivitäten Arnolds wie auch die von Lotz in Frage 27 keinen Niederschlag finden können. Hinweise auf diese Aktivität liefert vielmehr Frage 11. Lotz hingegen räumt Krisenthemen des Privatlebens von Eifersucht bis Drogen ihren Platz im Unterrichtsgeschehen ein und ist dabei selbst auch als ‚Informationsbroker’ aktiv. (vgl. 03Lotz, 1618, 20-22, 24-44, 479-501) Hieraus ergibt sich in der Schülerperspektiveeine Übertragbarkeit der Inhalte auf potentielle Krisensituationen (Frage 27), nicht jedoch für den aktuellen privaten Alltag (Frage 22). Dieser Eindruck korrespondiert mit der Aussicht auf eine mögliche spätere Nützlichkeit der Inhalte (Frage 24). In dieser Erwartung konvergieren in der Schülerperspektive wieder die sozialthematischen Ansätze von Arnold und Lotz. - 340 Sozialthematische Aspekte der Lehrer Arnold und Lotz 123456 7 Lehrer Arnold, Gruppierter Median Lehrer Lotz, Gruppierter Median Alle Klassen, Gruppierter Median (11) Ein Problem mit dem/der Lehrer(in) besprechen: hilft (1) (19) Den/die Lehrer(in) schätze ich ein als: offen (1) (22) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist im Moment außerhalb des Berufs: nützlich (1) (24) Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist später außerhalb des Berufs: nützlich (1) (27) Den Unterricht konnte ich auf Probleme in meiner Freizeit übertragen: leicht (1) (28) Vom Unterricht konnte ich für mich persönlich was abschauen: viel (1) hilft nicht (7) verschlossen (7) nutzlos (7) nutzlos (7) schwer (7) wenig (7) Abb.: Sozialthematische Aspekte der Lehrer Arnold und Lotz. Vergleichend betrachtet, ist für Lotz und Arnold festzustellen, dass sie beide fach- und sozialthematische Angebote für ihre Schüler bereitstellen. Gemeinsam ist beiden Lehrern, dass der fachthematische Zugang in den Schüleraussagen vordergründig überwiegt und erst bei genauerer Untersuchung der Interaktion das sozialthematische Angebot sichtbar wird. Im Rahmen ihrer sozialthematischen Angebote unterscheiden sich beide Lehrer in der Art und Weise, wie sie das Angebot platzieren. Während Arnold ein Forum bietet, an dem er teilnimmt und dessen Themen durch die Schüler initiiert werden, stößt Lotz Themen aktiv an und bietet für die Themen selbst ein Informationsangebot an. - 341 Im Sinne einer Metakritik des Untersuchungsdesigns, die später ausführlicher zu leisten ist, ist aus dem Vergleich von Lotz und Arnold zu schließen, dass das Untersuchungsdesign der Schülerbefragung bei gleichzeitigem Auftreten von sozialer und fachlicher Orientierung der Lehrer zu einem Overrapporting fachthematischer Orientierungen neigt. Die sozialthematischen Orientierungen von Lotz und Arnold sind erst in einer erweiterten Analyse unter Berücksichtigung der Lehrerinterviews erkennbar. - 342 8.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der Lehrerbefragung Ausgehend von der Schülerbefragung können in der Lehrerbefragung zwei zentrale Aspekte beschrieben werden, die ‚gute’ Lehrer kennzeichnen. Dies ist zum einen die Gestaltung der Unterrichtssituation im Sinne einer leistungsförderlichen Rahmenbedingung. Zum anderen ist es die inhaltliche Ausgestaltung der Unterrichtssituation. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Unterrichtssituation können wiederum drei Zugänge unterschieden werden. Es handelt sich zum einen um ein sozialthematischen, zum anderen um einen fachthematischen und zum Dritten um einen fach- und sozialthematisch gemischten Zugang. Zentrale Ergebnisse der Lehrerbefragung sozialthematisch lebenspraktische Orientierung ermöglichen • ‚Gute’ Lehrer aus der Schülerperspektive sind: Lehrer, die leistungsförderliche Rahmenbedingungen für die (Lern-)Situation schaffen und fachthematisch praxisnahe Orientierung ermöglichen oder (und) Abb.: Zentrale Ergebnisse der Lehrerbefragung. Für die Gestaltung der leistungsoffenen Rahmenbedingung sind vier Teilaspekte wesentlich. Sie ergeben sich aus der Gestaltung der Lernsituation selbst, der Fokussierung der Unterrichtsinhalte, dem Umgang mit Lernschwierigkeiten und der Notengebung. Für die Gestaltung der Lernsituation kommt der Gestaltung der Schüler- Lehrer-Beziehung wesentliche Bedeutung zu. Sie ruht bei Schülern und Lehrern auf einer wechselseitigen Wertschätzungsverpflichtung der - 343 Persönlichkeit. In der Konnotation etwas konservativer könnte auch von Achtung und Respekt gesprochen werden. Zentral bedeutsam ist hier die Wechselseitigkeit der Verpflichtung, die Schüler und Lehrer bindet. Zur lehrerseitigen Wertschätzung tritt ein authentisches Interesse an der Schülerwirklichkeit hinzu, so dass lehrerseitig die Schülerpersönlichkeit in einen Kontext zurückgebunden werden kann und schülerseitig ein Eindruck von Lehrerinteresse an der Wirklichkeit der Schüler entsteht. In ihrem Verlauf ist die Schüler-Lehrer-Interaktion zeitlicher Dynamik und sozialen Konfliktsituationen ausgesetzt, mit denen die Lehrer umgehen müssen. Bezüglich der zeitlichen Dynamik konstatieren die Lehrer eine zunehmende Leistungsorientierung der Schüler im Verlauf der Ausbildung. Eine zunächst geringe schülerseitige Leistungsaffinität wird lehrerseitig jedoch nicht mit einer Reduzierung des Anspruchsniveaus beantwortet. Vielmehr orientieren sich die Lehrer am Niveau der Kammerprüfung. Aus diesem anfänglichen Dissens und aus anderen Ursachen können Interaktionsprobleme während der Ausbildungszeit entstehen, die lehrerseitig aktiv zu klären sind. Vordergründig werden dabei lediglich Hindernisse für den Unterricht beseitigt. Dahinter jedoch können eine Verletzung der wechselseitigen Wertschätzungsverpflichtung oder Problematiken in der Schülerwirklichkeit liegen, die für den Unterricht ausgeräumt oder im Falle von Problematiken der Schülerwirklichkeit zumindest erkannt werden müssen, um adäquat wertschätzend handeln zu können. Der zweite Parameter für die Gestaltung leistungsoffener Rahmenbedingungen ist die Fokussierung der Unterrichtsinhalte im Sinne der Schülerinteressen. Das zentrale Interesse der Schüler, wie es in der Schülerbefragung deutlich wurde, besteht in dem Wunsch, die Abschlussprüfung der Berufsausbildung zu bestehen. Diesem Wunsch entsprechen auch die Lehrer in der Ausgestaltung der Unterrichtsinhalte. Hierbei sind quantitative und qualitative Fokussierungen zu beachten. Quantitativ ist das Inhaltsvolumen entsprechend der Möglichkeiten der Schüler so zu gestalten, dass sie sich gefordert, aber nicht überfordert fühlen. Qualitativ ist, ausgehend vom Lehrplan, eine inhaltliche Schwerpunktsetzung im Sinne der Inhalte der Kammerprüfung von besonderer Bedeutung. Dabei ist, wie oben schon benannt, das Anspruchsniveau am Niveau der Kammerprüfung zu orientieren. Unterhalb dieser zentralen Momente sind die ausgewählten Inhalte entsprechend sekundärer Schülerinteressen, die sich in der Regel aus der beruflichen oder privaten Lebenswirklichkeit der Schüler ergeben, auszugestalten. Insbesondere Letzteres bietet kurzfristige Basen für die tägliche Motivation, während die Kammerprüfung als Zielpunkt eines erfolgreichen Berufsabschlusses die langfristige Klammer des Ganzen darstellt. - 344 Als dritter Parameter für die Gestaltung leistungsoffener Rahmenbedingungen ist der Umgang mit Lernschwierigkeiten von Bedeutung. Deren Ursachen sind äußerst vielfältig. Dem müssen auch die Lösungen im konkreten Einzelfall Rechnung tragen. Im Gesamtkontext lassen sich jedoch einige Aussagen treffen. Grundlegend ist auch hier wieder die wechselseitige Wertschätzung. Sie mündet lehrerseitig in einen Fördergedanken, der schülerseitig auf Freiwilligkeit beruht. Dies bedeutet, dass der Schüler nur, wenn er selbst den Wunsch zur Förderung hat, auch die fördernde Lehrerleistung honoriert und aktiv unterstützt. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Lehrer bei seinen erwachsenen und mündigen Schülern auch die persönliche Entscheidung, Lern- und Fördermöglichkeiten abzulehnen, respektiert, gleichzeitig aber auch die Chance für die Schüler zu einer freiwilligen gedanklichen Rückkehr in die Lernsituation offenhält.265 Neben der Wertschätzung gibt es eine zweite Grundlage für den Umgang mit Lernschwierigkeiten – Lernschwierigkeiten sind normal. Dies bedeutet, dass Lernschwierigkeiten alltägliche Bestandteile von Lernsituationen sind, die sich als Normalität aus der Situation ergeben, akzeptiert und erwartet werden. Die offene Perspektive führt zu einer Entstigmatisierung der Probleme. Für den Lehrer bedeutet dies, dass er schülerseitig die Selbständigkeit im Umgang mit Lernschwierigkeiten fördern kann. Ausgehend von einer Präsentation der Lerngegenstände, die anschaulich an die Schülerwirklichkeit anknüpft, ermöglicht er den Schülern eine an ihre Wirklichkeit gebundene, eigene Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen, die es den Schülern ermöglicht, selbst Schwierigkeiten zu erkennen und diese dann auch, gestützt auf ihre Wirklichkeitsperspektive, artikulieren zu können. Dadurch übernehmen die Schüler Verantwortung für ihren Lernprozess, so dass der Lehrer gezielt auf Probleme aufmerksam gemacht wird, aus der Schülerartikulation Schlüsse auf mögliche Ursachen ziehen und adäquate Förderungen einleiten kann.266 Auch hier wird wieder das Prinzip der wechselseitigen Wertschätzung deutlich. 265 Grenzen des Respekts ergeben sich, wenn sich aus dieser Situation schülerseitig Störungen des Unterrichts ergeben. Dann verstößt der Schüler gegen die Grundlage wechselseitiger Wertschätzung, die für die ganze Klasse eine leistungsorientierte Unterrichtssituation herbeiführen soll. Dies führt in eine Konfliktsituation, die wie weiter oben schon benannt ausgetragen werden muss. 266 Mit der sehr allgemeinen Darstellung aufgrund der Vielzahl möglicher Lern schwierigkeiten, Ursachen und Lösungen soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass als Fördermöglichkeit Komplexangebote, ganze Förderpläne etc. ge meint wären. Sicher bestehen diese Möglichkeiten in größeren Zusammenhängen auch. Ebenso sind die kleinen, in ihrem alltäglichen Vorkommen viel häufigeren - 345 Der vierte Parameter für die Gestaltung leistungsoffener Rahmenbedingungen betrifft die Notengebung. Schülerseitig besteht das primäre Interesse im erfolgreichen Bestehen der schulexternen Kammerprüfung. In diesem Sinne sind die Schulnoten nicht länger ein schulinterner Leistungsmaßstab, sondern erfüllen ebenso die Funktion, den potentiellen Erfolg oder Misserfolg in der Kammerprüfung einschätzen zu können. Aus diesem Grund orientieren sich nicht nur die Unterrichtsinhalte in ihren Schwerpunkten und in ihrem inhaltlichen Anspruch an der Kammerprüfung. Auch für die Notengebung bildet das Niveau der Kammerprüfung den absoluten Leistungsmaßstab. Dadurch werden die Schulnoten für die Schüler entsprechend ihrem Primärziel zu einem leistungsdifferenzierenden und leistungsadäquaten Maßstab, der es ihnen ermöglicht, ihre Potentiale und Defizite zu erkennen. Ergänzend zum absoluten Notenmaßstab der Kammerprüfung treten Elemente relativer Gerechtigkeit hinzu. Sie ermöglichen es dem Lehrer, Leistungsfähigkeit und Leistungswillen der Schüler in der Notengebung im Sinne der Gewährung von zusätzlichen Chancen zu berücksichtigen, so dass die Schüler Gelegenheiten erhalten, kurzzeitige Leistungsschwächen wieder aufholen zu können. Damit die Note ihre Funktion als Leistungsmaßstab erfüllen kann, müssen der Leistungsmaßstab und die Leistungsfeststellung den Schülern kommuniziert werden. Mit der Kommunikation und Offenlegung ermöglicht der Lehrer den Schülern zum einen eine Kontrolle seiner Leistungsfeststellung, zum anderen eröffnet er ihnen eine Möglichkeit der Selbstkontrolle, so dass die Schüler selbst eine Standortbestimmung ihrer Leistung vornehmen können. Es wird deutlich, dass Noten und Leistung auf das engste miteinander gekoppelt sind, so dass die Noten in keiner Weise geeignet sind, als Disziplinierungsinstrument bei Konfliktsituationen oder Disziplinschwierigkeiten eingesetzt zu werden. Die Schaffung leistungsoffener Rahmenbedingungen ist eine notwendige Voraussetzung, um aus der Perspektive der Schüler Lehrer als ‚gute’ Lehrer bezeichnen zu können. Darüber hinaus konnten in der der Lehrerbefragung vorangegangenen Schülerbefragung zwei lehrerbezogene Profilskizzen gewonnen werden, die sich in der Lehrerbefragung zu einem fachthematischen und einem sozialthematischen Orientierungsprofil bei den Lehrern verdichtet haben. Neben diesen beiden Profilen ist ein weiteres, verbindendes Lehrerprofil sichtbar geworden, das die fachthematische mit der sozialthematischen Orientierung kombiniert. In der Schülerbefragung Hilfen gemeint, die z.B. ausgehend von der Rückfrage eines Schülers zu einem Sachverhalt zu einem erneuten, veränderten Erklärungsansatz seitens des Lehrers führen. - 346 selbst konnten sich die lehrerbezogenen Profilskizzen der Schüler nur auf die Aussagen der Multipräferenzklassen stützen. In den Multipräferenzklassen haben die Schüler mehrere Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt, so dass ein Profilvergleich zwischen den Schüleraussagen innerhalb einer Klasse möglich wurde. Neben den Multipräferenzklassen sind in der Schülerbefragung auch Monopräferenzklassen festgestellt worden. In den Monopräferenzklassen haben die Schüler mehrheitlich einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer benannt, so dass innerhalb dieser Klassen keine Vergleiche möglich waren. Daher ist aus den Ergebnissen der Profilskizzen der Multipräferenzklassen, im Sinne einer Hypothese, auf die potentiellen Lehrerprofile der Lehrer der Monopräferenzklassen geschlossen worden. Im Rahmen der Auswertung der Lehrerbefragung hat sich deshalb die Frage gestellt, ob sich die Hypothese, d.h. Schlussfolgerungen von den Profilskizzen der Multipräferenzklassen auf die Lehrer der Monopräferenzklassen, in den Lehrerinterviews bestätigen lassen. Dies kann im Wesentlichen bejaht werden. Wie einige der Fallskizzen zeigen, ist es jedoch in Zweifelsfällen geboten, die spezifischen Bedingungen der Schüler-Lehrer- Interaktion zu würdigen, um die Stichhaltigkeit der Zuordnung begründen zu können. Im Ganzen konnten sowohl für die Lehrer der Multipräferenzklassen als auch für die Lehrer der Monopräferenzklassen drei thematische Orientierungen festgestellt werden, die ihnen die Zugänge zu den Schülern eröffnen. Dies ist zum einen eine sozialthematische, zum anderen eine fachthematische und zum Dritten eine sozial- und fachthematisch kombinierte Orientierung. Für Lehrer mit sozialthematischer Orientierung bildet die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen den Schlüssel für den Zugang zu ihren Schülern. Sie sind informiert über typische Jugendproblemlagen und jugendliche Berufswahl- und -findungsprobleme. Dies ermöglicht es ihnen, neben den Lehrplanthemen Aspekte jugendlicher Lebenswirklichkeit und jugendlicher Problemlagen in ihren Unterricht mit aufzunehmen. Dabei wird eine Trennung von Lehrplan und Themen der jugendlichen Lebenswirklichkeit nicht angestrebt. Vielmehr vermischen sich die Themen, so dass ‚Abschweifungen’ aus den Lehrplanthemen zu den Sozialthemen und zurück möglich sind, aber auch größere Zeiteinheiten den sozialen Themen gewidmet werden können. Dies bewirkt eine Offenheit im Unterricht, die es den Schülern und auch dem Lehrer erlaubt, bei Bedarf Sozialthemen einzubringen und zu besprechen. Unter dem Begriff Sozialthemen ist eine ganze Bandbreite von Themen zu subsumieren. Gemeinsam ist den Themen, dass sie im Interesse der Jugendlichen stehen bzw. aus ihrer Erfahrungswelt kommen, und in der Regel einen Informationsbedarf oder Diskussionsbedarf signalisieren. Es - 347 wäre hier jedoch zu kurz gegriffen, die Themen als Jugendthemen zu apostrophieren. Selbstverständlich werden Themen jugendlicher Entwicklung angesprochen, doch auch aktuelle politische Themen wie zum Beispiel das Thema ‚Ausländer’267 werden reflektiert. Für die Jugendlichen ergibt sich das Entwicklungspotential der Themen als Potential zur Entwicklung der Persönlichkeit und als ‚Lebensklugheit’ im Sinne eines ‚How to do’ für Lebensumstände des privaten und beruflichen Umfeldes. Im beruflichen Umfeld betrifft das ‚How to do’ jedoch weder fachliche Praxisratschläge noch werden direkte Bezüge zu den Ausbildungsbetrieben hergestellt. Vielmehr werden hier Wissensbestände diskutiert, die im Sinne Berger / Luckmanns268 allgemein eine Sozialisation in berufliche Sinnwelten fördern, d.h. Wertbestimmungen, Routineauffassungen und -verhaltensweisen sowie Wissensbestände, die die Grundlagen beruflichen Handelns bilden. Dem Lehrer erwächst in den sozialen Themen die Funktion eines ‚Informationsbrokers’. Dies bedeutet, dass er nicht belehrend im Sinne eines Aufnötigens unumstößlicher Wissensbestände und Wahrheiten tätig wird. Die Funktion des Lehrers ist hier mehr einem Informationsmedium vergleichbar, das – je nach Interesse des Nutzers – in Anspruch genommen werden kann. Dies ermöglicht zum einen dem Lehrer, authentisch und persönlich Stellung zu beziehen, erlaubt es zum anderen aber auch den Schülern, die Informationen des Lehrers anzunehmen oder abzulehnen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Authentizität des Lehrers in der Annahme und Aufnahme von Schülerproblemen im sozialen Themenrahmen des Unterrichts. Die Authentizität ermöglicht es ihm, in normativen Fragen glaubwürdig Stellung beziehen und eine Meinung äußern zu können. Diese muss schülerseitig nicht akzeptiert werden, sondern fordert die Schüler lediglich zur persönlichen Auseinandersetzung auf. Damit wird für die Schüler eine zwangfreie Orientierungsperspektive eröffnet, in die sie selbst die relevanten Themen einbringen können. Individuelle Schülerprobleme werden allerdings nicht in den öffentlichen Diskussionsraum der Klasse eingebracht. Sie erreichen den Lehrer vor, nach oder am Rande des Unterrichts im diskreten persönlichen Gespräch. Dort verbleiben sie auch. In Abgrenzung zu den Lehrern mit sozialthematischer Orientierung finden die Lehrer mit fachthematischer Orientierung ihren Zugang zu den Schülern nicht zentral über die Lebenswirklichkeit der Schüler. Die soziokulturellen Hintergründe der Schüler im Sinne privater Lebenswirklich 267 Vgl. 02Zoll, 36-50. 268 Vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 148-149. - 348 keiten sind den fachthematisch orientierten Lehrern im Vergleich zu den sozialthematisch orientierten Lehrern eher allgemein, unspezifisch und flüchtig bekannt. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass sie in völliger Unkenntnis dieser Hintergründe wären und sozialthematische Aspekte völlig aus ihrem Unterricht ausschließen würden. Anders als bei den sozialthematisch orientierten Lehrern werden, wenn soziale Themen angesprochen werden, diese von den fachthematischen Lehrern mit deutlichem Hinweis auf die gesellschaftlichen Anspruchs- und Wertperspektiven artikuliert und vertreten, so dass hier kein Entwicklungsforum für Schülerproblematiken geschaffen wird, sondern eine Erziehungs- und Leitungsabsicht klar artikuliert wird. Die Lehrer mit fachthematischer Orientierung finden ihren Zugang zu den Schülern über die Fachthemen des Berufes. Hier zeichnet sie ein breit angelegtes Wissensspektrum rund um den fachlich relevanten Teil des Ausbildungsberufes der Schüler aus, so dass sie als Generalisten Anknüpfungen und Verbindungen zwischen fachlichen Themenaspekten herstellen können. Gestützt auf die Lehrplanthemen zentriert sich der Unterricht um zwei Schwerpunkte. Diese sind zum einen die Kammerprüfung und zum anderen die Berufspraxis der Schüler. Die Themen der Kammerprüfung leiten quantitativ das Zeitvolumen der Schwerpunktsetzungen innerhalb der Lehrplanthemen. Gleichzeitig gibt das Prüfungsniveau der Kammerprüfung auch den Maßstab des Anspruchsniveaus der Leistungserbringung vor. Hier trifft sich die fachthematische Orientierung der Lehrer mit dem primären, zentralen Ziel der Schüler am Bestehen der Gesellenprüfung. Mit dem zweiten Schwerpunkt, der fachthematischen Orientierung, dem Bezug auf die Berufspraxis, verbinden die Lehrer die fachlichen Inhalte mit praktischen Berufsbezügen. Die Anknüpfung richtet sich dabei auf die unmittelbare Umsetzbarkeit der Inhalte in die alltägliche Berufspraxis der Schüler. Dies bedeutet, dass die fachthematisch orientierten Lehrer ihre Inhalte unmittelbar an die berufliche Erfahrungswelt der Schüler im Sinne einer Handlungspraxis anschließen. Mit dem Anknüpfen an die Handlungspraxis des Berufs gelingt es den Lehrern, für die Schüler einen wichtigen Beitrag zur Sozialisation in die Wirklichkeit des Berufes zu leisten. Ihre konkreten Praxishinweise ermöglichen den Jugendlichen Handlungserfolge innerhalb ihrer beruflichen Alltagswirklichkeit. Diese Erfolge verhelfen ihnen dort zu Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung, so dass sie den beruflichen Novizenstatus verlassen und ein respektiertes Mitglied der Berufsgruppe werden können. Einer dritten Gruppe von Lehrern gelingt es, deutlich fachthematische und sozialthematische Aspekte gleichermaßen in den Unterricht einzubringen. - 349 Ihnen gelingt sowohl ein Zugang zu den Schülern über die Handlungspraxis des Berufes als auch über die Lebenswirklichkeit außerhalb dieser Handlungspraxis mit den schon oben jeweils einzeln beschriebenen Implikationen und Entwicklungspotentialen. In der Studie konnten zwei Lehrer dieser Gruppe zugeordnet werden, so dass angesichts dieser kleinen Zahl weitere Schlussfolgerungen zu dieser Gruppe mit besonderer Vorsicht zu ziehen sind. Gemeinsam ist beiden Lehrern, dass sie aus dem Lehrplan heraus berufliche Fachthemen zu unterrichten haben und dort auch erhebliches fachliches Engagement im Unterricht zeigen. Gleiches Engagement offenbaren sie auch in der eigenen praxisnahen Weiterbildung. Im Unterricht selbst verwenden sie partizipative Formen der Unterrichtsführung und behandeln die Themen handlungsorientiert und dem Lernfeldkonzept entsprechend fachübergreifend. Sozialthematisch verbindet sie eine themenoffene, tolerante Perspektive, die um Schwierigkeiten jugendlicher Lebenswirklichkeiten weiß. Zusammenfassend lassen sich die Ergebnisse der Lehrerbefragung dahingehend konzentrieren, dass die lehrerseitige Schaffung leistungsoffener bzw. leistungsförderlicher Rahmenbedingungen eine notwendige Voraussetzung ist, um in den Augen der Schüler als ‚guter’ Lehrer wahrgenommen zu werden. Zentrale Elemente der Schaffung leistungsförderlicher Rahmenbedingungen sind die wechselseitige Wertschätzung zwischen Lehrer und Schülern, die die Grundlage der Gestaltung der Lernsituation bilden, die schülerbezogene Fokussierung der Unterrichtsinhalte, der förderliche Umgang mit Lernschwierigkeiten und die leistungsorientierte Notengebung. Diese Bedingungen sind jedoch noch nicht hinreichend, um schülerseitig als ‚guter’ Lehrer angenommen zu werden. Hinzutreten muss eine sozialthematische, fachthematische oder sozial- und fachthematische Orientierung des Lehrerhandelns. Eine sozialthematische Orientierung des Lehrerhandelns ermöglicht es dem Lehrer, an die Lebenswirklichkeit der Schüler anzuknüpfen und Themen jugendlicher Lebenswirklichkeit in seinem Unterricht zu integrieren, so dass er den Jugendlichen eine lebenspraktische Orientierung ermöglicht. Mit einer fachthematischen Orientierung des Lehrerhandelns knüpft der Lehrer an der berufspraktischen Lebenswirklichkeit der Schüler an, bietet berufspraktische Handlungsorientierung an und eröffnet den Jugendlichen dadurch Chancen auf berufliche Erfolge in der Praxis. Eine lehrerseitige Orientierung, die sozialthematisch und gleichzeitig fachthematisch ausgerichtet ist, kombiniert für die Schüler lebenspraktische und berufspraktische Erfahrungsmöglichkeiten. - 350 9 ‚Gute’ Schüler-Lehrer-Interaktion an berufsbildenden Schulen 9.1 Ergebnisse der Schüler- und der Lehrerbefragung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ist die soziale Wirklichkeit der Alltagswelt eine Konstruktion, die aus übereinstimmenden subjektiven Wirklichkeitsvorstellungen der an ihr teilhabenden Menschen entsteht. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 24-26) Aus der subjektiven Wirklichkeitsperspektive des Einzelnen heraus entwickelt dieser sinnvolle Handlungen, die zusammen mit den sinnvollen Handlungen anderer Subjekte eine gemeinsame soziale Wirklichkeit erschaffen. Die gemeinsame Wirklichkeit wirkt mittels der sinnvollen Handlungen der Anderen auf den Einzelnen zurück und bestärkt dadurch dessen Wirklichkeitseindruck. So entsteht für den Einzelnen die soziale Wirklichkeit nicht nur als subjektiver Eindruck, sondern vielmehr auch als soziale Tatsache, die durch gleichgerichtete Eindrücke der teilhabenden Subjekte entsteht und auf diese zurückwirkt. Der Prozess der Wirklichkeitsgenese besteht dabei aus drei simultanen Schritten. Dies sind die Objektivierung, die Internalisierung und die Externalisierung. Bei der Objektivierung trifft der Einzelne auf bestehende gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen, die er auf dem Wege der subjektiv sinnhaften Interpretation internalisiert, d.h. in seine bestehende subjektive Wirklichkeitskonstruktion sinnvoll einfügt. In der Externalisierung schließlich handelt der Mensch entsprechend der subjektiv internalisierten Wirklichkeit. Seine sinnvolle Handlung wiederum stützt die bestehende Wirklichkeitskonstruktion, indem sie den anderen Individuen als Teil der subjektiven Wirklichkeit erscheint. Im Sinne eines hermeneutischen Zirkels269 hat der Einzelne selbst Anteil an der Entstehung der sozialen Wirklichkeit, die ihm als Ganzes jedoch als quasi vorgegebene naturgesetzliche Tatsache erscheint. Allerdings besteht auch die gesellschaftliche Wirklichkeit aus einer Vielzahl von Facetten. Eine erste prägende Sozialisation des Menschen geschieht in der familialen Primärsozialisation. Später folgen Sekundärsozialisationen in anderen Bereichen der Gesellschaft. Auch die Sozialisation in einen Beruf ist in diesem Sinne eine Sekundärsozialisation. Für eine 269 Besser wäre es hier, von einer Spirale zu sprechen, da sich Gesellschaft entwickelt. - 351 Vielzahl von Berufen regelt die Duale Berufsausbildung den Sozialisationsprozess. Er wird von den beiden Partnern des Dualen Systems, dem Ausbildungsbetrieb und der Berufsschule, getragen. Hinzu tritt auf betrieblicher Seite die Überbetriebliche Ausbildungsstätte. Ihre Aufgabe ist es, stellvertretend für die Betriebe berufliche Inhalte, die die Betriebe nicht selbst ausbilden können, zentral für alle Auszubildenden dieses Berufes zu vermitteln. Für die Konstruktion sozialer Wirklichkeit und die Bestätigung der sozialen Wirklichkeit sind für den Einzelnen die Handlungen der Mitmenschen bedeutsam. In der Primärsozialisation sind dies die Eltern. Sie bilden für das Kind ‚signifikante Andere’. Signifikante Andere sind Menschen von hoher Bedeutung für seine Wirklichkeitskonstruktion. Daneben gibt es weitere Andere – den Chor – die ein geringeres Potential haben an der Wirklichkeitskonstruktion des Einzelnen mitzuwirken. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 141-143, 160-163) In der Dualen Berufsausbildung erfolgt die Sozialisation in den Beruf als Sekundärsozialisation. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 148-149) Sie erfolgt seitens des Betriebes durch dessen Mitarbeiter, seitens der Schule durch die Lehrer. Die Lehrer sind aus gesellschaftlicher Perspektive zunächst austauschbare Funktionsträger. Für die Schüler jedoch sind sie Teil eines individuellen Sekundärsozialisationsprozesses, der für die Schüler in den Erwerb einer beruflichen Qualifikation mündet. Daher ist für die Schüler die Qualität der Sozialisationsleistung der Lehrer von Bedeutung und kann zu einer besonderen Signifikanz der Lehrer im beruflichen Sozialisationsprozess führen. Hier haben Lehrer, die aus der Schülerperspektive ‚gute’ Lehrer sind, ein entsprechend höheres Signifikanzpotential als andere Lehrer. In der vorliegenden Studie sind zehn Klassen gewerblich-technischer Berufe des Dualen Ausbildungssystems im dritten Ausbildungsjahr befragt worden. Die Klassen benannten 35 ‚gute’ Lehrer. Schon hier wird deutlich, dass es den ‚guten’ Lehrer nicht gibt. Gerade die Vielzahl von Einzelvoten, d.h. von Benennungen eines Lehrers durch lediglich einen Schüler, macht die Unterschiede und mögliche Kriterienvielfalt bei der Entscheidung, wer subjektiv ein ‚guter’ Lehrer ist, deutlich. Gestützt wird diese Beobachtung auch dadurch, dass lediglich ein Lehrer alle Schülervoten auf sich vereinigen konnte. Schon der Lehrer mit der zweithöchsten Zustimmungsrate erreicht in seiner Klasse nur noch eine Zustimmung von 67% der Voten. Auch der Umstand, dass sich häufig drei bis vier Stimmen auf einen Lehrer vereinigen und sich daraus in einer Klasse eine recht gleichmäßige Verteilung der Voten auf mehrere Lehrer ergibt, stützt das Ergebnis, dass es den ‚guten’ Lehrer aus subjektiver Schülerperspektive nicht gibt. - 352 Gleichwohl sind, abgesehen von einer Vielzahl von Einzelnennungen, zwei Ausprägungen in den Klassen erkennbar. Eine Gruppe, die Monopräferenzklassen, haben mehrheitlich einen Lehrer als ‚guten’ Lehrer bezeichnet. Die übrigen dort benannten Lehrer sind häufig von einzelnen Schülern oder sehr wenigen benannt worden. Die andere Gruppe, die Multipräferenzklassen, votierten relativ gleichmäßig für mehrere ‚gute’ Lehrer. In diesem Stadium zeigt das Ergebnis zunächst eine beeindruckende Vielfalt unterschiedlicher Präferenzstrukturen. Konzentriert man sich nun auf den am häufigsten genannten Lehrer der Monopräferenzklassen und die beiden am häufigsten genannten Lehrer der Multipräferenzklassen, so versammeln 14 Lehrer 63% aller Schülervoten auf sich. Für diese Lehrer können weder alters- noch geschlechtsbezogene Präferenzen festgestellt werden. Ebenso wenig ist aus dem aktuellen Stundenvolumen oder einem Lehrereinsatz über mehrere Schuljahre hinweg eine Signifikanz für das Schülervotum erkennbar. Da die Klassen in Lernfeldern unterrichtet werden, kann das Schülervotum auch nicht mit einer Fächerpräferenz erklärt werden. Allerdings gelingt es, aus den Schüleräußerungen auf zwei verschiedene Schülerperspektiven zu schließen, die mit entsprechenden Lehrerperspektiven korrespondieren. Eine Gruppe Jugendlicher orientiert ihre Schülerperspektive an ihren außerberuflich-persönlichen Bedürfnissen, d.h. sie knüpft ihre Perspektive an Lebenswirklichkeiten außerhalb des Berufes an. Entsprechend dieser Orientierung präferieren sie Lehrer, die ihnen entsprechende Orientierungsangebote bieten. Die andere Gruppe Jugendlicher orientiert ihre Perspektive an beruflich-fachlichen Bedürfnissen, d.h. sie knüpft an Lebenswirklichkeiten des Berufes an und votiert für Lehrer, die diesbezügliche Orientierungsangebote offerieren. Gemeinsam ist beiden Schülergruppen eine Leistungsperspektive. Bezogen auf die Benennung ‚guter’ Lehrer bedeutet dies, dass alle Lehrer den Leistungsanspruch der Schüler unterstützen und ergänzend hierzu für die eine oder die andere der beiden Perspektiven der Jugendlichen Orientierungsangebote bereitstellen. Daneben gelingt es einigen Lehrern auch über den Leistungsanspruch hinaus, für beide Schülerperspektiven Orientierungen zu ermöglichen. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive werden in den Orientierungen der Jugendlichen, aufbauend auf die Primärsozialisation, unterschiedliche Schwerpunkte in den Sozialisationsbedürfnissen der Jugendlichen erkennbar. Das gemeinsame Entwicklungsziel der Schüler manifestiert sich im Leistungsmotiv. Vordergründig steht für die Jugendlichen das Erreichen der beruflichen Abschlussprüfung im Zentrum ihres Bemühens. Allgemeiner jedoch erlangen sie mit dem beruflichen Zertifikat die Basis für eine eigenständige, unabhängige und gesellschaftlich akzeptierte Lebens - 353 führung, die auf Erwerbsarbeit basiert. Damit können sie sich endgültig aus ökonomischen Unterstützungsverbänden270 lösen und eine unabhängige Position in der Gesellschaft einnehmen. Auf diese Weise verschafft den Jugendlichen der Berufsabschluss persönlich ein hohes Maß an selbstbestimmter Handlungsfreiheit. Umgekehrt, d.h. aus gesellschaftlicher Perspektive, weist das persönlich motivierte Einfinden in die gesellschaftlichen Strukturen auf deren Akzeptanz durch die Jugendlichen hin. Für die Gesellschaft bedeutet dies, dass eine gelungene Integration in die bestehende Lebenswirklichkeit der Gesellschaft erfolgt ist. Die Jugendlichen akzeptieren die bestehende leistungs- und erwerbsorientierte Gesellschaftsstruktur, haben sie in ihr persönliches Lebenskonzept sinnvoll integriert und richten ihr Handeln entsprechend aus. In diesem Sinne bewirkt die Ausbildung im Dualen System bei den Jugendlichen eine Internalisierung271 bestehender zentraler gesellschaftlicher Lebenswirklichkeiten. Diese externalisieren die Jugendlichen, indem sie in ihren Wertvorstellungen und Handlungen den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen. Gleichzeitig stützen sie mit ihren Handlungen die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit, so dass sie zu deren Objektivation beitragen. Im Ganzen betrachtet leistet das Duale Ausbildungssystem einen Beitrag über den dreischrittigen dialektischen Prozess aus Internalisierung, Externalisierung und Objektivation, die Jugendlichen in die soziale Lebenswirklichkeit der Gesellschaft zu integrieren und gleichzeitig die bestehende gesellschaftliche Lebenswirklichkeit in ihrem Bestand zu sichern. In diesem Prozess ist es eine Funktion der von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer, orientierend zu einer konstruktiven Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit beizutragen. Schüler und Lehrer treffen dabei auf der Prozessebene der Externalisierung aufeinander. Die persönlichen subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen der Jugendlichen, d.h. die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Internalisierungen, treffen auf dem Wege der Externalisierung auf die Externalisierungen des Lehrers. Die Externalisierungen des Lehrers sind zum einen konkrete Rückkopplungen für die Externalisierungen der Schüler, so dass eine Orientierungsrichtung für deren Internalisierungen entsteht. Zum anderen obliegt es dem Lehrer, gesellschaftliche Objektivationen als Unterrichts 270 Häufig ist dies die Familie. Allerdings bestehen hier auch staatliche Stützsysteme, die ersatzweise die ökonomischen Notwendigkeiten der Jugendlichen absichern. 271 Internalisierung, Externalisierung und Objektivation bilden den dreischrittigen dialektischen Prozess der Aneignung von gesellschaftlicher Lebenswirklichkeit bzw. der Generierung von subjektiver Wirklichkeit. Die Prozesse laufen simultan ab. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-144) - 354 gegenstände an die Schüler heranzutragen, so dass sich eine zweite Rückkopplung für die bestehenden Internalisierungen der Schüler ergibt. In Bezug auf die Akzeptanz des gesellschaftlichen Leistungsprinzips durch die Schüler tritt der von den Schülern als ‚guter’ Lehrer benannte Lehrer den Schülern selbst mit einem Leistungsanspruch entgegen. In der Unterrichtskonzeption orientiert er sich in der Auswahl der Unterrichtsinhalte wie auch im Anspruchsniveau an der Kammerprüfung, d.h. am für das Schülerziel relevanten Maßstab der sozialen Lebenswirklichkeit. Im Volumen der Unterrichtsinhalte vermittelt er gleichzeitig den Schülern den Eindruck, das avisierte Prüfungsziel auch erreichen zu können, so dass schülerseitig die Zuversicht entsteht, die Anforderungen bewältigen zu können. Lernschwierigkeiten der Schüler begegnet er mit einem Forder- und Förderkonzept. Zunächst fordert er den Leistungswillen der Schüler heraus. In diesem Sinne fördert er nur auf freiwilliger Basis, so dass die Förderleistung des Lehrers erst im Zusammenhang mit dem Förderinteresse, das heißt einem Leistungswillen des Schülers erbracht wird. Dadurch entsteht eine Chancensituation für den Schüler, in denen die Lehrerbotschaft wirksam wird, dass Schwierigkeiten mittels eigener Leistung überwunden werden können. Ein ähnliches Chancenkonzept ergibt sich für die Notengebung. Sie orientiert sich in ihrem Niveau am Anspruchsniveau der Kammerprüfung und wird gegenüber den Jugendlichen auch so kommuniziert, dass die Jugendlichen Gelegenheiten zur persönlichen Standortbestimmung erhalten. Gleichzeitig ermöglichen die Lehrer den Schülern individuelle Chancen, indem sie Gelegenheiten erhalten, schlechte Leistungen durch zusätzliche erneute Leistungsanstrengungen auszugleichen. Im Ganzen betrachtet unterstützen die Externalisierungen des Lehrers den Schülern gegenüber das Leistungsprinzip. Gleichzeitig orientiert er sich dabei in Umfang und Niveau an der relevanten gesellschaftlichen Orientierungsgröße, so dass die Kammerprüfung das Prozessziel der Objektivation bildet. - 355 Abb.: Leistungsorientierte Interaktion zwischen Schülern und Lehrern. 1 Gemeinsame Perspektiven der Interaktion zwischen Schülern und ‚guten’ Lehrern im Dualen System 1.1 Gemeinsame Perspektive aller Schüler: Schüler sind: . Leistungsorientiert / zukunftsorientiert Schüler suchen: . Adäquates Anforderungsniveau . Leistungsgerechte Benotung . Chancenöffnende Situationsgestaltung 1.2 Gemeinsame Orientierung aller Lehrer: Lehrer schaffen leistungsförderliche Rahmenbedingungen: . Leistungsgrundlagen: . Wechselseitige Wertschätzungsverpflichtung . Authentisches Interesse an Schülerwirklichkeit . Probleme aktiv klären . Dynamik der Interaktionsentwicklung beachten . Leistung und Unterrichtsinhalte: . Ziel: Erreichen der Kammerprüfung! . Schwerpunktsetzung nach Kammerprüfung . Konkretisierung der Schwerpunktinhalte anhand der Schülerinteressen . Leistung und Lernschwierigkeiten: . Ziel: Selbständigkeit . Mittel: Fördern – aber freiwillig . Offenheit: (Lern-)Schwierigkeiten sind normal . Anschaulichkeit: Anknüpfen an Schülerwirklichkeit . Aktivierung: Schüler übernehmen Verantwortung (für sich) . Chance: Rückkehr zum Lernen immer offen halten . Leistung und Notengebung: . Noten: Leistungsdifferenzierend und leistungsadäquat . Primat: Absoluter Maßstab: Kammerprüfung . Ergänzung: Relativer Maßstab: Chance geben . Offenlegung: Maßstab und Leistungsfeststellung . Basis: Leistung – Noten sind kein Disziplinmittel - 356 In der Akzeptanz und Förderung des Leistungsprinzips finden die Schüler und die von ihnen benannten ‚guten’ Lehrer eine gemeinsame Basis, die in der Abbildung ‚Leistungsorientierte Interaktion zwischen Schülern und Lehrern’ (S. 356) als Übersicht zusammengefasst dargestellt ist. Der Hinweis auf das Förder- und Forderkonzept macht dabei deutlich, dass Lernschwierigkeiten und Defizite im Leistungsniveau alltägliche Begleiterscheinungen des Leistungsprinzips sind. Aufgrund dieser Entwicklungssituation und des lehrerseitig glaubhaft verkörperten Entwicklungsziels ergibt sich für die von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer ein erhebliches Potential, für ihre Schüler eine wichtige Orientierungsperson darzustellen. Im sozialkonstruktivistischen Sinne haben sie die Chance, ‚signifikante Andere’ für den Entwicklungszeitraum der beruflichen Sozialisation zu sein. Neben dem gemeinsamen leistungsorientierten persönlichen Emanzipationsziel der Jugendlichen, das über die erfolgreiche berufliche Sozialisation in die gesellschaftliche Mündigkeit führen soll, sind zwei Sozialisationsperspektiven deutlich geworden. Dies ist zum einen eine beruflichfachliche und zum anderen eine außerberuflich-persönliche Perspektive. Für die Jugendlichen mit beruflich-fachlicher Perspektive kann eine gelungene Sekundärsozialisation in den Beruf konstatiert werden. Auf der Prozessebene der Objektivation272 zeigen diese Jugendlichen im Vergleich zu den Jugendlichen mit außerberuflich-persönlicher Perspektive ein geringes Problempotential in Schule und Betrieb und geben vermehrt an, sich den Beruf so vorgestellt zu haben, wie er sich ihnen tatsächlich präsentiert. Ebenso zeigen sie auch bei der Berufswahl, dass diese viel stärker ihren Wünschen entspricht, als dies bei den Jugendlichen mit außerberuflich- persönlicher Orientierung der Fall ist. Mit dieser Perspektive befinden sich die Jugendlichen subjektiv in weit stärkerer Übereinstimmung mit ihrer vorgefundenen beruflichen Wirklichkeit, als dies bei den Schülern mit außerberuflich-persönlicher Orientierung der Fall ist. Jugendliche mit außerberuflich-persönlicher Perspektive artikulieren verstärkt Probleme in Schule und Betrieb, geben in deutlich geringerem Maße an, sich den Beruf so vorgestellt zu haben, wie er sich ihnen tatsächlich darstellt, und zeigen schon bei der Berufswahl eine geringere Affinität für den Beruf als die beruflich-fachlich orientierten Schüler. Im Ganzen zeigt 272 Im Sinne des sozialkonstruktivistischen dreischrittigen Prozesses der Konstruktion von Wirklichkeit bezieht sich die Konstruktionsleistung des Einzelnen auf die vorgefundene soziale Wirklichkeit. Im Prozessschritt Objektivation entwirft der Einzelne seine subjektive gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion. - 357 sich für die Schüler mit außerberuflich-persönlicher Perspektive eine vergleichsweise geringere Identifikation mit der vorgefundenen beruflichen Wirklichkeit. Der für die Prozessebene der Objektivation erkennbare Identifikationsunterschied mit der beruflichen Wirklichkeit zwischen den beiden Schülergruppen zeigt sich auch auf der Prozessebene der Internalisierung. Auf dieser Ebene setzt sich der Einzelne mit der vorgefundenen Wirklichkeit auseinander und integriert mittels eines subjektiven Verstehensprozesses diese Wirklichkeit in die bisher bei ihm bestehende subjektive Wirklichkeitskonstruktion. Schüler mit beruflich-fachlicher Perspektive präferieren dabei Unterrichte, deren Inhalten sie ein hohes späteres berufliches Verwertungspotential zubilligen. Entsprechende Inhalte unterstützen berufliche Praxiserfolge, ermöglichen den Auszubildenden273 darüber die Anerkennung innerhalb des beruflichen Sozialisationsumfeldes und fördern dadurch die Integration in die spezifische Wirklichkeitskonstruktion des Ausbildungsberufes. Für Schüler mit außerberuflich-persönlicher Orientierung hingegen steht bei der Benennung ‚guter’ Lehrer das erwartete künftige berufliche Verwertungspotential der Unterrichtsinhalte weniger im Zentrum ihrer Entscheidung. Ihr Interesse richtet sich vielmehr auf subjektive Verstehensprozesse von Lebenswirklichkeiten außerhalb ihres beruflichen Umfeldes. In diesem Sinne ist ein Orientierungsbedarf bei den Jugendlichen zu konstatieren, der es ihnen ermöglicht, Handlungspotential für Aspekte gesellschaftlicher Wirklichkeit zu entwickeln, die außerhalb des Ausbildungsberufes liegen. Aus der weiter oben beschriebenen, vergleichsweise geringen Identifikation mit dem Ausbildungsberuf ist in Verbindung mit dem Orientierungsverhalten jenseits beruflicher Inhalte auch auf ein latentes Potential beruflicher Umorientierung zu schließen. Für diese Schüler wird der angestrebte Gesellenbrief damit nicht zu einem Symbol erfolgreicher Sozialisation in den Ausbildungsberuf. Er wird vielmehr zu einem Symbol für den erfolgreichen Eintritt in das Erwerbsleben, das den Jugendlichen eine Möglichkeit zur Umorientierung innerhalb ihrer beruflichen Perspektive ermöglicht. Die Unterschiede im Orientierungsverhalten der beiden Schülergruppen artikulieren sich auch auf der Prozessebene der Externalisierung. In der 273 In der Dualen Berufsausbildung sind die Jugendlichen gleichzeitig Schüler an der Berufsschule und Auszubildende in ihrem Ausbildungsbetrieb. An dieser Stelle ist die Formulierung ‚Auszubildender’ der Formulierung ‚Schüler’ vorzuziehen, da die Internalisierungsabsicht des Jugendlichen hier klar auf die Integration in die berufliche Wirklichkeit gerichtet ist. - 358 Externalisierung macht das Subjekt seine in der Objektivation und Internalisierung erworbene subjektive Wirklichkeitsperspektive zur Grundlage seiner realen Handlungen. Seine realen Handlungen erzeugen Reaktionen anderer Menschen, so dass das Subjekt aus deren Reaktionen Schlussfolgerungen für die Übereinstimmung seiner subjektiven Wirklichkeit mit der Wirklichkeitsperspektive anderer ziehen kann, die als wahrgenommene Objektivationen wiederum die Grundlage für einen erneuten Zyklus von Objektivation, Internalisierung und Externalisierung bilden. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 139-144) Für die Benennung ‚guter’ Lehrer können für die Schüler mit beruflichfachlicher Orientierung als Grundlage der Externalisierung berufliche Interessen am Unterricht festgestellt werden. Schüler mit außerberuflichpersönlicher Orientierung hingegen äußern sich bezüglich beruflicher Interessen deutlich zurückhaltender.274 Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass das Erreichen der Kammerprüfung das Primärziel der Jugendlichen ist und beide Schülergruppen auf diesem Ziel ihre Zukunft aufbauen werden, so kann ein – wenn auch zurückhaltendes – berufliches Interesse der außerberuflich-persönlich orientierten Schüler nicht verwundern. Bedeutsam ist hier jedoch der signifikante Unterschied zwischen den beiden Schülergruppen. Er macht wieder die unterschiedliche Interessenlage deutlich. Im Ganzen wird sichtbar, dass im Prozess der Objektivation, Internalisierung und Externalisierung für beide Gruppen von Jugendlichen die individuelle Perspektive auf ihre subjektive Lebenswirklichkeit ihre schulischen Interessen prägt. Entsprechend diesen Interessen orientieren die Schüler ihre schulischen Präferenzen. Die Schule ist schülerseitig daher keineswegs losgelöst von der Lebenswirklichkeit als Schon- und Ruheraum zu betrachten. Vielmehr hat sie Orientierungsangebote zu unterbreiten, die entsprechend dem Orientierungsbedarf den Jugendlichen entweder berufliche Integrationserfolge oder soziale Orientierungserfolge in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen ermöglicht. 274 Konkret wurden in der Fragestellung (Nr. 14) die beiden Pole „berufliche Interessen“ und „private Interessen“ aufgespannt. Während die beruflich-fachlich orientierten Schüler dem Pol berufliche Interessen mit einem Wert von 1,8 auf einer Skala von 1 bis 7 zuneigen, liegt der Wert für die außerberuflich-persönlich orientierten Schüler bei 2,7. Da die Unterrichtsinhalte aller 13 untersuchten Lehrer berufliche Bezüge haben (auch die Fächer Wirtschaftslehre und Gesellschaftslehre sind Bestandteile der Kammerprüfung), darf hier die Zustimmung für „berufliche Interessen“ nicht verwundern. - 359 Abb.: Interessenorientierte Interaktion zwischen Schülern und Lehrern. 2 Unterschiedliche Perspektiven der Interaktion zwischen Schülern und ‚guten’ Lehrern im Dualen System 2.1 Schüler mit außerberuflich- persönlicher Perspektive 2.2 Schüler mit beruflich-fachlicher Perspektive . Soziale Orientierungsperspektive . Geringere berufliche Identifikation Î Suchperspektive . Orientierungsinteressen . Erweiterung des lebenspraktischen Wissens Î Orientierungserfolg . Berufspraktische Perspektive . Identifikation mit Beruf Î Integrationsperspektive . Berufliche Interessen . Erhöhung des Praxiswissens Î Praxiserfolg 3.1 Lehrer mit sozialthematischer Orientierung 3.2 Lehrer mit fachthematischer Orientierung . Grundlagen: . Kenntnis von Berufswahl- und Berufsfindungsproblemen . Kenntnis von ‚typischen’ Jugendproblemlagen . Lehrerfunktion: . Authentische Annahme der Schüler . Lehrer als ‚Sozialinformationsbroker’ . Diskretion, Persönliche Schülerprobleme nie im Unterricht . Zeit vor und nach dem Unterricht – aber nicht open end . Umsetzung: . Lehrplanthemen mit sozialthematischer Schwerpunktsetzung . Offenheit für Schülerthemen . Förderlichkeit der Themen: . Für außerberufliche (und eher allgemeinberufliche) Lebensbereiche . ‚Lebensklugkeit’ . Entwicklung der Person . Grundlagen: . Vertiefte Fachpraxiskenntnis . Vertretung gesellschaftlicher Anspruchs- und Wertperspektiven . Lehrerfunktion: . Lehrer als Fachspezialist mit hohem Praxisbezug . Lehrer als Ansprechpartner für fachliche Probleme . Vorbildfunktion gesellschaftlicher Anspruchs- und Wertperspektiven . Umsetzung: . Lehrplanthemen mit fachpraktischer Schwerpunktsetzung . Aktualität der Fachthemen . Förderlichkeit der Themen: . Für berufliche Lebensbereiche, speziell Fachpraxis . Entwicklung beruflicher Handlungsfähigkeit . Integration in die Lebenswirklichkeit des Berufs - 360 Entsprechend der außerberuflich-persönlichen und der beruflich-fachlichen Präferenzperspektive der Schüler erfolgt auch ihr Votum für ‚gute’ Lehrer. Lehrerseitig, jeweils korrespondierend zur Schülerperspektive, lassen sich zwei interessenorientierte Zugangsmöglichkeiten für die Interaktion mit den Schülern erkennen, die auch kombiniert auftreten können. Dies ist zum einen ein sozialthematischer und zum anderen ein fachthematischer Ausgangspunkt des Lehrerhandelns. Aufbauend auf der weiter oben dargestellten leistungsorientierten Grundlage des Lehrerhandelns, die dort in der Abbildung ‚Leistungsorientierte Interaktion zwischen Schülern und Lehrern’ (S. 356) zusammenfassend dargestellt ist, zeigt die Abbildung ‚Interessensorientierte Interaktion zwischen Schülern und Lehrern’ (S. 360) die Unterschiede in den thematischen Zugangsorientierungen der Lehrer auf. Lehrer mit sozialthematischer Orientierung knüpfen an der außerberuflichen Lebenswirklichkeit der Jugendlichen an und gestalten in Kenntnis aktuell typischer Jugendproblemlagen und auch Problemlagen der Berufswahl und -findung ihre Lehrplanthemen mit entsprechenden Schwerpunkten und Abschweifungen entsprechend den Interessen der außerberuflich- persönlichen Schülerperspektive275. Dabei sind sie offen für Signale und Aspekte, die schülerseitig eingebracht werden, um aktuellen Entwicklungen Raum geben und folgen zu können. In der Interaktion vermitteln sie den Schülern ein Gefühl der authentischen Annahme in dem Sinne, dass die Schüler sich mit ihrer Lebensperspektive von ihnen akzeptiert und respektiert fühlen können, wenngleich die Lehrer diese Perspektive nicht teilen müssen und sie dies auch artikulieren können. In der Sache selbst, d.h. in den sozialthematischen Orientierungsbedürfnissen der Schüler, agieren die sozialthematisch orientierten Lehrer als ‚Informationsbroker’. Als ‚Informationsbroker’ bieten die Lehrer themenrelevante Informationen, ergänzende oder alternative Perspektiven, eigene Erfahrungen und Meinungen oder auch ein Forum, innerhalb dessen die Schüler Meinungen und Perspektiven austauschen können, an. Wesentlich hierbei ist der Angebotscharakter. Überzeugungs- und Erziehungsversuche unterbleiben, so dass Informationen als Möglichkeiten behandelt werden, aus denen sich 275 Die Ausgangslage der Jugendlichen mit außerberuflich-persönlichem Orientierungsbedarf ist eine geringe Identifikationskraft des Berufes, die zu einer Suchperspektive führt. Mit der distanzierten Sozialisation in den Beruf entsteht für die Jugendlichen ein anderer Zugang zur beruflichen Wirklichkeit. Berger / Luckmann beschreiben die Sozialisation in widersprüchliche Wirklichkeiten als „eine Art „kühle“ Verwandlung.“ (Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 183, Hervorhebung im Original) Sie führt zu einem distanzierten, bewussten und willentlich wie eine Rolle verfügbaren Wirklichkeitskonzept, das situationsadäquat vom Subjekt aufgerufen und praktiziert werden kann. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 153, 183-185) - 361 der Jugendliche die für ihn relevanten Aspekte selbst herausfiltern kann. Auf dieser Basis erhalten die Lehrer diskret am Rande des Unterrichtes, d.h. außerhalb der Plenumssituation der Klasse, Zugang zu persönlichen Problemen einzelner Schüler, die individueller Ratschläge und Hilfen bedürfen. Im Ganzen betrachtet fördert die sozialthematische Lehrerorientierung die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft, indem außerberufliche Themen und Themen mit allgemeinem Bezug zum Erwerbsleben aufgegriffen und erörtert werden können, so dass die Jugendlichen Gelegenheiten erhalten, Informationen und Meinungen zu sammeln und daran ihre Lebensperspektive weiter zu entwickeln. Lehrer mit fachthematischer Orientierung hingegen knüpfen an die berufliche und – spezieller noch – an die berufspraktische Lebenswirklichkeit der Jugendlichen an. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass sie keine gesellschaftliche Perspektive vertreten würden. Im Gegenteil, die fachthematisch orientierten Lehrer beziehen hier Position. Im Vergleich zu den sozialthematisch orientierten Lehrern vertreten sie jedoch eine gesellschaftliche Anspruchs- und Wertperspektive, für die sie sich selbst auch vorbildhaft in die Pflicht nehmen. Dies und die Praxisorientierung ihres Unterrichts entsprechen den Orientierungsinteressen der beruflich-fachlich orientierten Schüler. Diese suchen mit einer beruflichen Integrationsperspektive Praxiserfolge, um sich mittels Anerkennung und Akzeptanz in ihrem Beruf etablieren und entwickeln zu können. Die fachthematisch orientierten Lehrer entsprechen dieser Intention, indem sie die Lehrplanthemen mit fachpraktischer Schwerpunktsetzung aufbereiten und dabei auf die Integration aktueller Fachinhalte und fachlicher Entwicklungen achten. Die Lehrer selbst fungieren als Fachspezialisten mit hohem Praxisbezug, die auch als Ansprechpartner für berufliche Praxisprobleme zur Verfügung stehen. In diesem Sinne agieren die Lehrer nicht als ingenieurwissenschaftliche Fachspezialisten, sondern vielmehr als fachliche Spezialisten der beruflichen Alltagspraxis der Schüler. Im Ganzen betrachtet fördert die fachthematische Lehrerorientierung die Integration der Jugendlichen in die Lebenswirklichkeit ihres Ausbildungsberufes. Dies zum einen, indem gesellschaftliche Wertperspektiven mit beruflichen Aspekten verknüpft werden, so dass die Entwicklung beruflicher Wertorientierungen bei den Jugendlichen möglich wird. Zum anderen, indem berufspraktische Themen Verbindungen zwischen schulischer Theorie und Alltagspraxis schaffen, so dass schülerseitig berufliche Handlungsfähigkeit entwickelt wird. Beides unterstützt das Ansinnen der Jugendlichen nach Integration in die Lebenswirklichkeit des Berufes. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive treffen im Unterricht die Externalisierungen der Schüler und die des Lehrers zusammen. Im Unterricht - 362 präferieren die Schüler ein leistungsförderliches Umfeld, um den Berufsabschluss schaffen und damit die Möglichkeit zu einer erwerbsgesicherten selbständigen Lebenswirklichkeit für sich gestalten zu können. Die von den Schülern als ‚gute’ Lehrer benannten Lehrer entsprechen der Schülerpräferenz und ermöglichen ihrerseits eine leistungsförderliche Lernsituation, so dass eine gleichgerichtete Handlungsbasis in der Situation entsteht. Darauf aufbauend entwickeln die Schüler zwei unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Wirklichkeitsperspektiven. Dies sind zum einen die außerberuflich-persönliche und zum anderen die beruflich-fachliche Perspektive. Entsprechend dieser Sekundärperspektive erfolgt aufbauend auf die Leistungsperspektive das Schülervotum für einen ‚guten’ Lehrer, der dann eine entsprechend gleichgerichtete Lehrerperspektive aufweist. Mit der Leistungsperspektive akzeptieren und internalisieren die Schüler grundsätzlich das gesellschaftliche Wertekonzept für sich und orientieren daran die Entwicklungsperspektive ihrer persönlichen Lebenswirklichkeit. Hier ergeben sich allerdings individuelle Unterschiede, die sich aus der beruflichen und privaten Lebenswirklichkeit der Schüler speisen. Daraus resultiert ein adäquates Orientierungsbedürfnis der Jugendlichen, das sich handlungsleitend in entsprechenden Lehrerpräferenzen widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund ist die von Berger / Luckmann aus gesellschaftlichem Blickwinkel vertretene Position, dass Lehrer austauschbare Funktionsträger seien (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 152), zwar aus gesellschaftlicher Funktionsperspektive und unter Reduzierung des Lehrauftrags auf die reine Tätigkeit der Fachvermittlung vertretbar, allerdings ist sie aus der Perspektive der Interaktion der Beteiligten anders zu bewerten. Hier unterscheiden Berger / Luckmann ‚signifikante Andere’ als Menschen hoher Bedeutsamkeit für die Wirklichkeitskonstruktion des Subjekts vom ‚Chor’, d.h. Menschen mit deutlich geringerem Potential, an der Wirklichkeitskonstruktion des Subjekts mitzuwirken. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 141-143, 160-163) Als gesellschaftlich austauschbare Funktionsträger wären Lehrer eher dem Chor zuzurechnen. In der Interaktion zwischen den Schülern und den von ihnen benannten ‚guten’ Lehrern wird jedoch die individuelle Relevanz des Lehrers für das Orientierungsbedürfnis des Schülers deutlich. Hier wächst vielmehr fachthematisch orientierten Lehrern aus der wertorientierten Vorbildfunktion und dem Angebot fachpraktisch relevanter Informationen eine Signifikanz als berufliches Orientierungsmodell zu, das schülerseitig eine erfolgreiche Integration in die Subwirklichkeit des Ausbildungsberufes ermöglicht. Sozialthematisch orientierten Lehrern obliegt es, Orientierung in der außerberuflichen Lebenswirklichkeit der Schüler zu ermöglichen. Eingedenk der Lebenswirklichkeit in der Adoleszenzphase, die mit umfangreichen Orien - 363 tierungsprozessen einhergeht, gelingt es den sozialthematischen Lehrern, Angebote an die Schüler heranzutragen, die diese als sehr relevant einschätzen. Mithin ist die Relevanz für ihre Lebenssituation größer als die Relevanz eher fachthematisch orientierter Unterrichtsangebote. In diesem Sinne gelingt es sowohl den fachthematisch wie auch den sozialthematisch orientierten Lehrern, subjektiv relevante Orientierungen anzubieten. Auch im umgekehrten Gedankenexperiment wird die wirklichkeitsabsichernde Bedeutung der ‚guten’ Lehrer deutlich. Signifikante Andere leisten hierfür einen sehr relevanten Beitrag, während der Chor nur kleine semirelevante Beiträge zur Absicherung der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion leisten kann. (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 162) Das primäre Wirklichkeitsziel der Schüler liegt im erfolgreichen Bestehen der Kammerprüfung. Mit der Gestaltung leistungsförderlicher Lernsituationen und der damit verbundenen leistungsdifferenzierenden und -orientierenden Notengebung ermöglichen die Lehrer den Schülern eine Gelegenheit zur Standortbestimmung. Damit erhalten die Schüler, ausgehend von ihrer aktuellen Wirklichkeitskonstruktion, ein Feedback, aus dem sie relevante Schlüsse für ihr Potential zur Zielerreichung ziehen können. Darüber hinaus ermöglichen die Lehrer über die chancenoffene Notengebung einen positiven Regelkreis, um negative Konsequenzen abwenden zu können. Es wird deutlich, dass die Interaktion der Schüler mit den ‚guten’ Lehrern klar über die Interaktion mit Elementen des Chors hinausragt. Berger / Luckmann behalten allerdings den Begriff des ‚signifikanten Anderen’ sehr engen, quasi-familialen Interaktionspartnern vor (vgl. Berger, P.; Luckmann, Th. (2004) S. 161), so dass bei einer entsprechenden Zuordnung hier die Schüler-Lehrerinteraktion überinterpretiert würde. In ihrem Status ist sie vielmehr vergleichbar mit einem Klientenverhältnis. Im Vergleich zu klassischen Klientenverhältnissen wie ‚Arzt – Patient’ und ‚Anwalt – Klient’ ist die Schüler-Lehrer-Interaktion allerdings eingebunden in eine Schüler-Schulklassen- und eine Lehrer-Schulklassen-Interaktion. Dadurch ist die Schüler-Lehrer-Interaktion im Plenum der Klasse öffentlich und eingebunden in einen sozialen Raum. Die individuelle Relevanz der ‚guten’ Lehrer für ihre Schüler ist daher nicht vollständig mit Begriffen der Individualinteraktion, wie sie Berger / Luckmann mit den Begriffen des ‚signifikanten Anderen’ und dem des ‚Chors’ prägen, einzuschätzen. Im Ganzen betrachtet lassen die vorliegenden Ergebnisse ein relevantes individuelles Signifikanzpotential der ‚guten’ Lehrer für ihre Schüler erkennen, so dass die ‚guten’ Lehrer zwischen ‚signifikanten Anderen’ und ‚Chor’ mit deutlicher Tendenz zu den ‚signifikanten Anderen’ einzuordnen sind. Berücksichtigt man hier zum einen, dass die private Lebenswirklich - 364 keit der Jugendlichen ihr vorhandenes Sozialisationsfundament ist und imÜbergang in die berufliche Lebenswirklichkeit ihr zentrales Anliegen besteht, so bieten die sozialthematisch und die fachthematisch orientierten ‚guten’ Lehrer für die beiden zentralen Lebenswirklichkeiten der Jugendlichen Orientierung an. Berücksichtigt man zum anderen die positive Neutralität der Lehrer im Sinne eines typischen Klientenverhältnisses, d.h. einer am Wohle des Jugendlichen orientierten Interaktion, ohne dass aus der Interaktion ein Eigennutzen für die Lehrer entstehen kann276, gewinnt der ‚gute’ Lehrer einen Vertrauensvorschuss, der die Akzeptanz seines lebenswirklichkeitsbezogenen Interaktionsangebotes durch die Jugendlichen unterstützt. Berücksichtigt man zum Dritten die adoleszenzbedingten Orientierungsbedürfnisse und Notwendigkeiten der Jugendlichen, die im Verhältnis zu den Partnern der Primärsozialisation zu Ablösungsprozessen und gleichzeitig zur Öffnung der Jugendlichen für neue ‚signifikante Andere’ führen, findet der ‚gute’ Lehrer ein Bedürfnis und eine Bereitschaft seitens der Jugendlichen vor, seine fach- und sozialthematischen Angebote aufzugreifen. Alle drei Aspekte unterstreichen das hohe Signifikanzpotential der fach- und sozialthematisch orientierten ‚guten’ Lehrer, das ihnen in der Begleitung der Jugendlichen auf ihrem Weg zu Selbstbestimmung und Mündigkeit innerhalb von Beruf und Gesellschaft zuwächst. 276 Sicherlich entsteht ein Eigennutzen für den Lehrer aus beruflicher Zufriedenheit und gelingendem Unterricht. Jedoch ein Eigennutzen im Sinne finanzieller Vorteile etc. entsteht nicht. - 365 9.2 Kritik und Reichweite der Studie Mit der vorliegenden Studie ist der Versuch unternommen worden auf sozialkonstruktivistischer Basis die Wirklichkeitsperspektive von Schülern des Dualen Systems bezüglich subjektiv ‚guter’ Lehrer und die Perspektive dieser Lehrer auf ihre Schüler aufzuhellen. In diesem Sinne hat die Studie explorativen Charakter, bleibt notwendigerweise deskriptiv und kann in ihrer analytischen Tiefe nicht über die Unterscheidung und Beschreibung unterschiedlicher Wirklichkeitszugänge von Schülern und Lehrern sowie deren wechselseitiger Übereinstimmung hinausgehen. Mit der Entscheidung für einen sozialkonstruktivistischen Horizont der Studie ist notwendigerweise eine interaktionistische Perspektive verbunden, die den Fokus des Forschungszugangs leitet und sich auch in den Studienergebnissen bestätigt sieht. Schüler- wie auch Lehrerbefragung rücken zunächst die schulische Lebenswirklichkeit der Beteiligten in das Zentrum der Betrachtung. Schülerseitig wird ferner die Lebenswirklichkeit im Beruf und im privaten Umfeld berücksichtigt. Im Ergebnis zeigt sich dann die Bedeutung der außerschulischen Lebenswirklichkeiten der Schüler für deren schulischen Kontext und deren Votum für einen ‚guten’ Lehrer. Hier liegt der Wert der Studie. Allerdings schließt das Ergebnis schon aufgrund der selektiven Fokussierung auf die subjektiven Lebenswirklichkeiten keineswegs aus, dass weitere Faktoren bei der Benennung ‚guter’ Lehrer eine Rolle spielen könnten. Entsprechende Faktoren könnten möglicherweise mit einem psychologischen oder einem fachdidaktischen Forschungsfokus erkannt werden. In ihrer Anlage ist die Studie zwangsläufig eine Zeitpunktbetrachtung. Sie ist dies notwendigerweise, da sich im Expertenparadigma die Expertise erst im Handlungserfolg oder vergangenem Handlungserfolg zeigt. Für die Schüler-Lehrer-Interaktion bedeutet dies, dass sich das Schülervotum auf die Interaktionserfahrung mit dem Lehrer stützen muss, um einen Expertiseeindruck erkennbar zu machen und um den ‚Dr. Fox’-Effekt vermeiden zu können. Dieser beschreibt die Blendung des subjektiven Eindrucks durch charismatische Persönlichkeiten. Entsprechende Untersuchungen erfassten jedoch nur kurzfristige Effekte. (vgl. Ditton, H. (2002) S. 264) Ebenso wie bei Ditton konnte der Effekt in der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden.277 Als Forschungsinstrument ist die Befragung ausgewählt worden. Dies ergibt sich aus dem Ex-post-Forschungsansatz und 277 So haben z.B. Schüler Lehrer als ‚gute’ Lehrer benannt, die zum Befragungszeitraum schon gar nicht mehr in der Klasse unterrichtet haben (Lehrer Zoll). Die charismatische Blendung hätte über einen längeren Zeitraum wirken und auch ohne weitere Interaktion bestehen bleiben müssen. - 366 schließt eine Reihe von Beobachtungsproblemen, wie z.B. die Änderung des Verhaltens der Probanden entsprechend der sozialen Erwünschtheit oder subjektive Eigenperspektiven der Beobachter auf die Situation (vgl. Seltmann, K. (1986) S. 403-404), aus.278 Als weiterer Vorteil ergibt sichdie Möglichkeit der Überprüfbarkeit des Instrumentariums und des Ergebnisses durch die Dokumentation der Instrumente und Erhebungsergebnisse. Allerdings ist auch hier eine Beantwortung der Fragen entsprechend einer vermuteten sozialen Erwünschtheit nicht ganz auszuschließen. Ebenso wenig auszuschließen ist eine potentielle subjektive Eigenperspektive des Fragebogens und der Leittextfragen, die allerdings durch die Dokumentation einer Überprüfung zugänglich sind. In diesem Sinne ist in Kenntnis und in Reflexion des Studienergebnisses kritisch festzuhalten, dass in der Anlage der Schüler- und Lehrerbefragung die außerschulische und außerbetriebliche Lebenswirklichkeit der Schüler in zu geringem Umfang in der Studie Berücksichtigung gefunden hat. Allerdings ist im Ergebnis der Studie erkennbar, dass das Feld sehr breit ist und es sich auch den sozialthematisch orientierten Lehrern, die in diesem Feld aktiv tätig sind, nur mühsam erschließt. Hier zeichnet sich ein Bereich für weiteren Forschungsbedarf ab. In der Durchführung bedient sich die Studie quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden mit der Absicht einer qualitativen Eruierung des Forschungsfeldes. Ein rein qualitativer Zugang, der auch die Schülerperspektive mittels Leitfadeninterviews aufhellen würde, ist zwar theoretisch denkbar, jedoch vor dem Hintergrund der vorhandenen zeitlichen und personellen Kapazitäten nicht realisierbar.279 Auch diese forschungsmethodische Notwendigkeit begründet das oben schon aufgezeigte Erweiterungspotential der Studie im Hinblick auf die außerberuflichpersönliche Lebenswirklichkeit der Schüler, der für die Benennung sozialthematisch orientierter Lehrer große Bedeutung zukommt. Im Hinblick auf die Validität des Forschungsinstruments folgt die Studie in ihrer Anlage dem Vorschlag von Campbell und Fiske (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 226227). Campbell und Fiske orientieren sich an der Grundidee, dass die 278 Ein alternatives Forschungsdesign könnte z.B. aufbauend auf Schülervoten Unterrichtsbesuche bei den am häufigsten genannten Lehrern vorsehen. Dort könnten Beobachtungen durchgeführt werden mit der Absicht die aktuelle Inter aktionssituation zu untersuchen. 279 Für den gewählten Forschungszugang können aus Gründen des Datenschutzes die Fragebögen auch nicht auf den einzelnen Schüler zurückverfolgt werden, so dass eine Nacherhebung von Schülern, die für einen bestimmten Lehrer votiert haben, nicht möglich ist. - 367 Messergebnisse des verwendeten Instruments möglichst methodenunabhängig sein sollten, und schlagen daher zur Messung maximal differierende Methoden vor. Als Gütekriterium ihrer „convergent validity“ (Diekmann, A. (2001) S. 226) verwenden sie die Korrelationen zwischen den Messergebnissen der verschiedenen Methoden. Im Übertrag dieses Ansatzes auf das qualitativ orientierte Forschungsdesign der vorliegenden Studie sind im Sinne maximal differierender Methoden in der Schülerbefragung Differentiale und für die Lehrerbefragung leitfadengestützte Interviews verwendet worden. Inhaltlich beziehen sich beide Instrumente auf die gleiche Situation, berücksichtigen dabei allerdings den jeweils eigenen Situationszugang der beiden Probandengruppen. Als Gütekriterium können allerdings keine mathematischen Korrelationen verwendet werden. Zwar wären Korrelationen nach Spearman (vgl. Mosler, K.; Schmid, F. (2005) S. 175-179) für die ordinalen Daten der Differentiale280 möglich, doch könnten diesen keine mathematischen Vergleichsdaten der Lehrerbefragung gegenübergestellt werden. Aus diesem Grund ist als Gütekriterium der Studie die inhaltliche Aufeinanderbezogenheit der Ergebnisse beider Forschungsinstrumente geplant worden, so dass aus zwei unterschiedlichen subjektiven Perspektiven mit zwei unterschiedlichen Instrumenten Ergebnisse erzielt werden, deren Bezug zueinander eine Aussage zur Qualität des Messinstruments möglich macht. Mit Blick auf das Forschungsergebnis zeigt der wechselseitige Bezug zwischen außerberuflich- persönlich orientierten Schülern und sozialthematisch orientierten Lehrern auf der einen Seite und ein gleichartiger Bezug zwischen fachpraktisch orientierten Schülern und fachthematisch orientierten Lehrern auf der anderen Seite sowie die inhaltliche Plausibilität dieser Wirklichkeitsperspektiven, dass der verwendete Forschungsansatz Anspruch auf valide Ergebnisse erheben kann.281 280 Im Zuge der Auswertung sind in den Schülerdaten auch zwei Schülergruppen mit unterschiedlichen Kriterien bei der Votierung für einen Lehrer ermittelt worden. Entsprechend wären für die Validitätsprüfung Korrelationen der Teilgruppen als Gütekriterien zugrunde zu legen. Ein entsprechendes Vorgehen könnte jedoch zur Verfälschung der Gütekriterien führen, da selektive Partialkorrelationen im Ver gleich zur Korrelation in der Gesamtheit der Erhebung zu veränderten Messergeb nissen führen müssen. Im vorliegenden Fall würde die Gruppe der Schüler in zwei homogenere Untergruppen aufgeteilt. Aufgrund der jetzt homogeneren Stichprobe ist ein Absinken des Korrelationswertes zu erwarten. (vgl. Stelzl, I. (2005) S. 144 148) 281 Ein Hinweis auf die Validität der Ergebnisse ergibt sich auch innerhalb der Studie. Zunächst konnte im Sinne einer Kriteriumsvalidität (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 224) der wechselseitige Bezug zwischen Schüler- und Lehrerperspektive für die - 368 Um die Reichweite der Ergebnisse der Studie einschätzen zu können, muss zunächst bedacht werden, dass an der Studie Schüler im dritten Ausbildungsjahr des Dualen Berufsausbildungssystems in männerdominierten gewerblich-technischen Ausbildungsberufen mitgewirkt haben. Für diese Schüler ist festgestellt worden, dass ihr Votum für einen ‚guten’ Lehrer sich entsprechend dessen Beitrag zur Förderung ihrer zentralen Interessen ergibt. Die Schülerinteressen wiederum ergeben sich aus den Bereichen der Lebenswirklichkeit, die für die Schüler hohe Bedeutsamkeit erlangt haben. Allen Schülern gemeinsam ist das zentrale Interesse am Bestehen der Abschlussprüfung, so dass für alle Schüler eine Leistungsorientierung feststellbar ist. Darauf aufbauend unterscheiden sich die Schülerinteressen in zwei Interessengruppen. Eine Interessengruppe, die beruflich-fachlich orientierten Schüler, strebt vertiefte Fachpraxiskenntnisse an und sucht berufliche Erfolgsperspektiven. Diese Schüler votieren für Lehrer, die im Rahmen einer leistungsförderlichen Lernsituation fachthematische Praxisorientierung anbieten. Eine zweite Interessengruppe, die außerberuflichpersönlich orientierten Schüler, strebt nach sozialem Orientierungswissen, um private oder berufliche Orientierungsinteressen realisieren zu können. Sie votieren für Lehrer, die im Rahmen einer leistungsförderlichen Lernsituation sozialthematischen Orientierungsperspektiven Raum in ihrem Unterricht gewähren. Das Studienergebnis zeigt damit inhaltlich keine geschlechtstypischen Besonderheiten, so dass die Reichweite des Ergebnisses sich auch auf weibliche Auszubildende erstreckt. Aufgrund der zentralen Fokussierung der Schüler auf die berufliche Abschlussprüfung ist eine Verallgemeinerung des Ergebnisses über das Duale System hinaus nur für schulische Aus- Multipräferenzklassen festgestellt werden. Anhand von Kriterien der Multipräferenzklassen und den dort ermittelten Werten konnte für die gleichen Kriterien der Monopräferenzklassen und der dort ermittelten Werte auf die zu erwartende Lehrerorientierung geschlossen werden. In der Auswertung der Lehrerinterviews konnte die prognostizierte Orientierung unter Berücksichtigung der jeweiligen Fallspezifika bestätigt werden. Dies könnte als Vorhersagevalidität (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 224) der spezifizierten Items interpretiert werden. Dadurch ergibt sich innerhalb der Probandengruppe ein Hinweis auf die Gültigkeit der Ergebnisse des Forschungsansatzes. Im übertragenen Sinne nähert sich das Design der Studie einer Reliabilitätsmessung nach dem Test-Retest-Prinzip (vgl. Diekmann, A. (2001) S. 217-219) an, wobei hier jedoch die Messung nicht wiederholt wurde, sondern die Probandengruppe mittels eines Kriteriums gezielt in Versuchs- und Vergleichsgruppe aufgespalten worden ist und dadurch im übertragenen Sinne eine Testwiederholung simuliert wurde. Im Vergleich der Teilergebnisse konnte auf die Reproduzierbarkeit der Messergebnisse durch den zweiten Teil der Probandengruppe geschlossen werden. - 369 bildungen, die die Schüler auf eine berufliche Abschlussprüfung orientieren, möglich. Denkbar sind hier z.B. Assistentenbildungsgänge mit Abschlussprüfungen nach Landesrecht oder Ausbildungen in Pflegeberufen. In Ermangelung einer beruflichen Abschlussprüfung ist ein Übertrag des Ergebnisses auf Berufsschulklassen im Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr oder auf Klassen von Jungarbeitern nicht möglich. Innerhalb der verallgemeinerbaren Reichweite des Studienergebnisses auf Berufsausbildungen, die zu berufsqualifizierenden Abschlüssen führen, ist auf drei potentielle Grenzen bzw. resultierende Forschungsbedarfe aus dem Studienergebnis hinzuweisen. Ein Forschungsbedarf ergibt sich aus dem Befund, dass sozialthematisch orientierte Lehrer als ‚Informationsbroker’ für außerberuflich-persönliche Schülerinteressen fungieren. Eingedenk der Allokationswirkung am Ausbildungsmarkt sind für die Studie bewusst Ausbildungsberufe mit einer hohen Affinität für Schüler mit Hauptschulabschlüssen bzw. Schüler ohne Schulabschlüsse ausgewählt worden, um die Bedeutung der Schüler-Lehrer-Interaktion in einer Lernsituation pointiert herausarbeiten zu können. Bei der Würdigung der Ergebnisse muss daher berücksichtigt werden, dass die ‚Informationsbroker-Funktion’ der sozialthematisch orientierten Lehrer möglicherweise mit einem Defizit der Schüler in Bezug auf die eigenständige Fähigkeit zur Beschaffung und Auswahl relevanter Informationen einhergeht. Es ist daher denkbar, dass die Bedeutung sozialthematisch orientierter Lehrer für die Schüler mit zunehmenden eigenen Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung zurückgeht. Ein zweiter Forschungsbedarf zeichnet sich aufgrund des Forschungsdesigns ab, so dass sich das Forschungsergebnis als Zeitpunktbetrachtung, die die Situation im dritten Ausbildungsjahr, d.h. relativ nahe an der Abschlussprüfung, darstellt, ergibt. Lehrerseitig ist in den Interviews im Sinne einer Zeitraumbetrachtung ein Entwicklungsverlauf skizziert worden, der auf Wandlungen in der Schülerperspektive über den Verlauf der Ausbildungszeit hindeutet. (vgl. 03Lotz, 252-256; 13Eichholz, 38-42; detaillierter siehe Kapitel ‚Leistungsorientierung der Schüler und Lehrer’). Zwar weist der Verlauf auf eine zunehmende Identifikation mit dem Beruf und auf die Entwicklung beruflicher Interessen hin, doch ist die Studie in ihrer Anlage – und daher notwendigerweise auch in den gefundenen Ergebnissen – nicht zur Untersuchung von Verlaufsphänomenen konzipiert, so dass lediglich auf mögliche Wandlungen im Schülerinteresse und daraus resultierenden Perspektivänderungen beim Votum für einen ‚guten’ Lehrer im Verlauf der Ausbildungszeit hingewiesen werden kann. - 370 Ein dritter Forschungsbedarf resultiert ebenfalls aus dem Verlaufsphänomen. Mit dem Fokus auf das dritte Ausbildungsjahr rückt die Studie Auszubildende in das Zentrum der Betrachtung, die potentiell kurz vor ihrem erfolgreichen Ausbildungsabschluss stehen. Allerdings lösen 21%282 der Jugendlichen ihr Ausbildungsverhältnis vorzeitig (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 120), ohne die Abschlussprüfung zu erreichen. Mit Blick auf das Studienergebnis, d.h. auf potentiell erfolgreiche Auszubildende, kann dort der Schülergruppe mit außerberuflich-persönlichem Orientierungsinteresse ein Anteil von 36%283 der Probanden zugeordnet werden. Bedeutsam für diese Gruppe ist im Vergleich zu den Jugendlichen mit beruflich-fachlicher Orientierung eine geringere Identifikation mit dem Beruf, die sich schon in einer geringeren beruflichen Affinität während der Berufswahl zeigt und sich auch in der Ausbildung im Hinblick auf vermehrte Schwierigkeiten im Ausbildungsbetrieb widerspiegelt. In diesem Zusammenhang muss sich die Frage nach dem potentiellen Orientierungsinteresse der Schüler, die die Berufsausbildung vorzeitig lösen, stellen. Als Abbruchgründe benennen diese Jugendlichen besonders häufig Spannungen zwischen Ausbilder und Auszubildendem. (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 121) Dies korrespondiert mit der außerberuflich-persönlichen Schülerperspektive der vorliegenden Studie, so dass vermutet werden kann, dass sich auch bei den Vertragslösern erheblicher sozialer Orientierungsbedarf manifestiert. Bilanzierend deutet dies darauf hin, dass das pädagogische Gewicht der sozialthematisch orientierten Lehrer im Rahmen Dualer Ausbildungsverhältnisse in der vorliegenden Studie unterrepräsentiert sein könnte. Zusammenfassend betrachtet, erstreckt sich die tragfähige Reichweite der Studie auf Ausbildungsberufe im Dualen Berufsbildungssystem. Tenden 282 Die Lösungsquote bezieht sich auf Verträge in allen Branchen. 283 Die Basis der Prozentzahl bezieht sich auf die Anzahl der Schüler, die für die 14 in der Studie interviewten Lehrer votiert haben. In der Studie konnte 6 Lehrern eine sozialthematische, 5 Lehrern eine fachthematische, den Lehrern Lotz und Arnold eine fach- und sozialthematische und einem Lehrer keine Orientierung zugeordnet werden. In die Prozentangabe selbst sind lediglich die 6 rein sozialthematisch orientierten Lehrer eingeflossen. Für die fachthematisch orientierten Lehrer votieren 26% der Schüler, und den beiden sozial- und fachthematisch orientierten Lehrern können 23% der Schülervoten zugeordnet werden. Da bei den beiden letzteren die Schülermotivation nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ist es geboten diese nicht einer der beiden eindeutigen Votierungen zuzurechnen und daher auch nicht im Text auszuweisen. In Umkehrung des Gedankenganges muss jedoch auch auf diese Schülerklientel hingewiesen werden, um dem Leser das verdeckte Potential vor Augen führen zu können. - 371 ziell erstreckt sich das Ergebnis auch auf andere Ausbildungsberufe mit anerkannter berufsqualifizierender Abschlussprüfung. Inhaltlich sind die ermittelten Ergebnisse geschlechts- und berufsneutral. Mögliche Forschungsinteressen, die an das Ergebnis anknüpfen, könnten sich innerhalb des Dualen Systems auf die Verlaufsperspektive der Entwicklung der Schüler-Lehrer-Interaktion und auf die Bedeutung sozialorientierter Lehrer für Schüler mit erweiterten eigenständigem Informationspotential richten. Gegebenenfalls ebenso dem Dualen System zurechenbar ist ein Forschungsinteresse, das die lehrerbezogenen Orientierungen von Vertragslösern thematisiert. In die gleiche Richtung weisend könnte, über das Duale System hinausgehend, ein Forschungsinteresse bezüglich der lehrerbezogenen Schülerorientierungen in Schulformen, die berufsbildend ausgerichtet, jedoch nicht berufsqualifizierend im Sinne eines Berufsabschlusses ausgestaltet sind, formuliert werden. - 372 9.3 Reflexion des Studienergebnisses in unterschiedlichen Theoriepositionen Im konzeptionellen Teil dieser Studie sind neben dem Konstruktivismus bzw. dem sozialen Konstruktivismus weitere Forschungsstrategien zur Beschreibung ‚guter’ Lehrer erörtert worden. Dies sind die Experten-, die Kompetenz- und die Professionsforschung. Im Folgenden wird das vorliegende Forschungsergebnis in seiner Bedeutung für diese Forschungsansätze diskutiert. Zunächst richtet sich der Blick auf die Expertenforschung. Die Expertenforschung zeichnet sich durch einen psychologisch-experimentellen Zugang aus, der zur Erklärung von Expertenleistungen auf einen spezifischen Wissenskorpus bzw. eine spezifische Anordnung284 und Abrufbarkeit von Wissensbeständen bei den Experten rekurriert. Sie geht mit einer intuitiven Wahrnehmung und Entscheidungsfindung einher, die Entscheidungsprozesse abkürzt und routinisiert. (vgl. Terhart, E. (2001) S. 48-49, Bromme, R. (1992) S. 49-51) In der Forschungslogik des Ansatzes werden in der Regel Außenkriterien verwendet, um die Experten zu identifizieren, und Settings konstruiert, die Lehrerhandlungen in einzelnen Unterrichtsstunden erfassen oder die Lehrer auffordern, zu vorgegebenen Materialien285 Einschätzungen zu äußern. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 45-49, 5258) Mit der Konstruktion der Settings und der Auswahl der Experten einher geht die Fokussierung der Studien auf bestimmte Wissensaspekte, die in dem jeweiligen Setting thematisiert und untersucht werden.286 Die vorliegende Untersuchung verändert gegenüber der Expertenforschung die Auswahl der Experten, das Setting und den zeitlichen Bezug. Mit der Benennung ‚guter’ Lehrer durch die Schüler wird eine Innenperspektive auf die Problematik gewählt, die zeitlich den Endpunkt eines Verlaufes widerspiegelt und im Setting eine Mehrperspektivität, d.h. eine Schüler- und eine Lehrerperspektive, erfasst. Gleichzeitig wird durch die Gestaltung 284 Bromme spricht hier von Schemata und Skripts, die im Bedarfsfall schnell abgerufen werden können. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 150-152) 285 Dies können z.B. Bilder einer Unterrichtssituation sein oder eine Problemsituation, die hypothetisch gelöst werden soll. (vgl. Bromme, R. (1992) S. 53-55) 286 Für das Setting besonders relevant ist die Messgröße, anhand derer die Expertise festgestellt werden soll. Hier ergibt sich für die Bestimmung von Experten in sozialwissenschaftlichen Berufen die Problematik der Multiperspektivität, die eine eindeutige Bestimmung relevanter Erfolgsgrößen aufgrund völlig unterschiedlicher, jedoch dennoch plausibler sozialwissenschaftlicher Theorieansätze quasi unmöglich macht. (vgl. Walter-Busch, E. (1994) S. 83-91) Einen Einblick in wissensbasierte Theorieansätze für den Lehrerberuf gibt Drechsel. (vgl. Drechsel, B. (2001) S. 4560) - 373 des Settings eine frühzeitige Fokussierung auf bestimmte Wissensbestände vermieden. Im Ergebnis und im Unterschied zur Expertenforschung wird deutlich, dass das für die Unterrichtssituation relevante Expertenwissen neben fachtypischen Wissensbeständen aus der jeweiligen Problemlage der Schüler und deren spezifischen Wissensbedürfnissen herrührt. Darüber hinaus sind bestimmte Interaktionsformen eine zweite wesentliche Grundlage, um aus der Perspektive der Beteiligten eine gelingende Interaktion, d.h. eine von beiden Seiten akzeptierte und respektierte Interaktionssituation, herstellen zu können. Offensichtlich kann sich die fachliche oder problemorientierte Expertise der Lehrer erst auf der Basis einer lehrerseitigen ‚Interaktionsexpertise’ entfalten, der es gelingt, den Interaktionsinteressen der Schüler und denen des Lehrers eine gemeinsam akzeptierte Grundlage zu verschaffen. Als zweite Perspektive wird an dieser Stelle die Kompetenzdiskussion aufgegriffen. Mit der Zuschreibung einer Kompetenz wird einem Menschen ein Möglichkeitspotential zuerkannt, bestimmte Arten von Situationen erfolgreich bewältigen zu können. Die Kompetenz selbst kann von externen Beobachtern jedoch nicht erkannt werden. Sie müssen sich vielmehr an der Performanz, d.h. der erfolgreichen Handlung der Person orientieren und aus dem Handlungserfolg auf die zugrunde liegende Kompetenz der Person zurückschließen. (vgl. Chomsky, N. (1970) S. 14) Aus diesem Zusammenhang ist der Begriff des ‚kompetenten Handelns’ entwickelt worden. (vgl. Vonken, M. (2005) S. 170-174) Kompetentes Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass es einer Person gelingt, „selbständig, selbstverantwortlich, kreativ, selbstorganisierend und flexibel Entscheidungen zur Reduktion von Komplexität zu treffen.“ (Vonken, M. (2005) S. 170) Auch hier wird der Handlungserfolg durch einen Beobachter der Situation zuerkannt. Dadurch ist immer die Beobachterperspektive die relevante Perspektive für die Zuschreibung von Kompetenz bzw. die Bewertung einer Handlung als kompetente Handlung. Gleichzeitig führt Vonken allerdings auch aus, dass eine konkrete Situation erst auf dem Wege eines Aushandlungsprozesses der Beteiligten für diese in ihren Bedingungen und Definitionen bestimmt wird (vgl. Vonken, M. (2005) S. 178-179), so dass in der Handlungssituation auch die Beteiligten ihre Handlungen als relevante Beobachter bewerten. Hier zeigt die vorliegende Studie für die Schüler-Lehrer-Interaktion an berufsbildenden Schulen Besonderheiten auf. Zum einen wird in der Herausarbeitung zweier Schülerperspektiven, der außerberuflich-persönlichen und der beruflich-fachlichen, deutlich, dass schülerseitig unterschiedliche Zuschreibungskriterien kompetenten Handelns vorliegen, die sich aus der jeweiligen relevanten Wirklichkeitsperspektive der Schüler speisen. Dies - 374 führt schülerseitig im Aushandlungsprozess der Situation notwendigerweise zu Differenzen287, die sich innerhalb der gleichen Klasse in unterschiedlichen individuellen Voten für ‚gute’ Lehrer, d.h. in unterschiedlichen Kompetenzzuschreibungen äußern. Zum anderen werden auch lehrerseitig zwei Lehrergruppen deutlich, die in ihren Situationsdefinitionen, als sozialthematisch und fachthematisch, korrespondierend zu den Schülerperspektiven das Gestaltungspotential der Situation nutzen. Lehrerseitig allerdings muss die Situationsdefinition auf die ganze Klasse zielen, so dass keine individuelle Rückbindung in die Schülerwirklichkeit entstehen kann, sondern vielmehr eine kollektive Rückbindung an die Klasse erfolgt. Zusammenfassend ergeben sich aus den schüler- wie lehrerseitig unterschiedlichen Zugangsperspektiven zur Wirklichkeit verschiedenartige Definitionen und Bewertungskriterien kompetenten Lehrerhandelns. Gemeinsam ist den Beteiligten der Lernsituation dabei der sinnhafte Rückbezug der Lernsituation auf die subjektive gesellschaftliche Wirklichkeit der Lernenden im Sinne einer Entwicklungssituation, die eine mündige Teilhabe an der subjektiven Wirklichkeit ermöglichen soll. Dieser Situationsdefinition der ‚Handlungsbeteiligten’ steht die gesellschaftliche Situationsdefinition für kompetentes Lehrerhandeln an berufsbildenden Schulen gegenüber, die ebenfalls auf die Sozialisation der Schüler in die Gesellschaft zielt, jedoch im Unterschied zu den Beteiligten einen gesellschaftlichen Fokus auf die Handlungssituation anwendet (vgl. Bader, R. (2005) S. 80, Bader, R. (1995) S.319-326, Bader, R. (1995a) S. 37, Deutscher Bildungsrat (1970) S. 217-218, Pätzold, G. (1995) S. 157-159, KMK (1996) S. 9) und daraus die Kriterien für kompetentes Lehrerhandeln ableitet. Im Unterschied zur subjektiven Perspektive gewinnt die gesellschaftliche Perspektive ihre Kriterien aus erwünschten Sollzuständen und leitet ihre Kriterien daher von erwünschten Normen ab. „Mit dem Begriff ‚Kompetenz’ bezeichnet die Kommission288 das Verfügen über Wissensbestände, Handlungsroutinen und Reflexionsformen, die aus der Sicht einschlägiger Professionen und wissenschaftlicher Disziplinen zweck- und situationsangemessenes Handeln gestatten.“ (Terhart, E. (2000) S. 54) Die subjektiven Perspektiven hingegen berücksichtigen die individuellen Istzustände bei der Situationsdefinition. Im Sinne einer Entwicklungs 287 Soweit nicht von kongruenten Zielhorizonten ausgegangen werden kann. In der vor liegenden Arbeit sind Kongruenzen für die Leistungsorientierung der Schüler fest stellbar. Unterschiede ergeben sich in den thematischen Schwerpunktsetzungen. 288 Bei der Quelle handelt es sich um den Abschlussbericht der von der Kultusminister- konferenz eingesetzten Kommission, die Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland untersucht hat. - 375 situation ist das Lehrerhandeln daher als Vermittlung zwischen gesellschaftlicher und individuell-subjektiver Wirklichkeitsdefinitionen zu fassen, so dass der Bewertung des Lehrerhandelns als kompetentes Handeln sowohl eine gesellschaftliche als auch eine handlungssituative Komponente zuwachsen muss. Mit der Problematisierung der Pädagogik als Profession findet die Beschreibung ‚guter’ Lehrer einen weiteren Bezugspunkt. Das Phänomen der Professionalisierung beschreibt die exklusive Entwicklung und Abgrenzung einer Berufsgruppe, der – gesellschaftlich legitimiert – ein besonderer und für die Gesellschaft bedeutsamer Aufgabenbereich übertragen worden ist. Innerhalb des Aufgabenbereiches entwickelt die Profession ein besonderes Fachwissen sowie professionsspezifische Herangehens- und Handlungsweisen für die ihr übertragenen Aufgabenbereiche. 289 In ihrer Funktion sind Professionen Dienstleister, die für ihre Mandanten in kritischen Situationen Vermittlungsdienste anbieten, damit diese krisenhafte Situationen bewältigen können.290 Fasst man die Pädagogik als Profession auf291, so erwächst ihr als gesellschaftliches Mandat der Bildungs- und Erziehungsauftrag. Das Mandat selbst erstreckt sich auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in gesellschaftliche Lebensbereiche mit der Perspektive der Entwicklung zur gesellschaftlichen Vollmitgliedschaft im Sinne einer individuellen gesellschaftlichen Mündigkeit. Innerhalb der Profession wächst der Teildisziplin der Berufs- und Wirtschaftspädagogik die Zuständigkeit für die Sozialisation in berufliche Lebenswirklichkeiten zu292, die diese mit der Postulierung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung auf gleiche Augenhöhe mit anderen Bildungsprozessen der Sekundarstufe II hebt. (vgl. Stratmann, K. (1994) S. 45-49) Durch den spezifischen Auftrag zur Sozialisation in berufliche Lebenswirklichkeiten kann die berufs- und wirtschaftspädagogische Teilprofession nicht die Wissensbestände dieser 289 Zur Verknüpfung bzw. Abgrenzung von Profession und der weiter oben darge stellten Expertenforschung vgl. Mieg, H. (1994). 290 Eine Abgrenzung unterschiedlicher Zugangsperspektiven zum Professionsbegriff findet sich bei Combe, A.; Helsper, W. (1997), Dewe, B. u.a. (1992), Nickolaus, R. (2001). Kritisch zur Professionalisierung und zur Abgrenzung von Professionellen, Experten und Laien: Hitzler, R. (1998) S. 37-43.291 Der Professionalisierungsprozess der Pädagogik gilt im Vergleich zu etablierten Professionen als nicht abgeschlossen. (vgl. Tietze, H. (1989) S. 1270-1272; Schulz, W. (1998) S. 8-12) 292 Zur berufs- und wirtschaftspädagogischen Professionsdiskussion vgl. Backes- Hasse, A. (2001). Zur politischen Dimension der Professionsdiskussion vgl. Strat mann, K. (1994) S. 45-49. - 376 Lebenswirklichkeiten als Sonderwissensbestände der Profession reklamieren, da ihr Aufgabenbereich die Lebenswirklichkeiten nicht umfasst, sondern lediglich in sie hineinwirkt. Vielmehr reklamiert sie als signifikante Wissensbestände der Profession für sich spezifisches Fachwissen um die Sozialisation in die beruflichen Lebenswirklichkeiten, die in den Fachdidaktiken subsumiert werden, und Wissensbestände um pädagogische berufliche Sozialisationssituationen. (vgl. Jenewein, K. (2005) S. 119, Pätzold, G.; Wortmann, E. (1999) S. 485-487, Bader, R. (2005) S. 80) Stellt man vor diesem Hintergrund die Frage nach ‚guten’ Lehrern, können aus drei unterschiedlichen Perspektiven Antworten gewonnen werden. Dies ist zum einen die Perspektive der pädagogischen Profession, deren Antwort sich entsprechend den professionsspezifischen Kriterien und Wissensbeständen ergibt, zum anderen die gesellschaftliche Perspektive, deren Antwort sich aus dem Sozialisationserfolg im Sinne der gesellschaftlichen Kriterien ergibt, und zum Dritten die Perspektive der ‚Schülermandanten’. Letztere ist Gegenstand dieser Studie. Aus der Perspektive der Schülermandanten konnten zwei Kriterienbereiche ermittelt werden, die die Relevanz der Lehrer für die Schüler kennzeichnen. Dies ist zum einen eine beruflich-fachliche Relevanz, die fachpraktische Aspekte der beruflichen Entwicklung in das Zentrum des Schülerinteresses rückt, so dass die Schüler über berufliche Erfolge eine Identifikation mit dem Beruf und eine Sozialisation in den Beruf anstreben. Neben dieser Integrationsperspektive kann für eine zweite Schülergruppe eine Orientierungsperspektive skizziert werden. Diese Schüler zeichnet eine deutlich geringere Identifikation mit dem Ausbildungsberuf, verbunden mit vermehrten Problemen während der Ausbildung aus. Sie entwickeln eine Perspektive, die zwar weiterhin das Ausbildungsziel als Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe am Arbeitsmarkt anstrebt, darüber hinaus aber in Fragen, die außerhalb des Berufes liegen, lehrerseitige Orientierungsangebote erwarten. Die Fragen außerhalb des Berufes resultieren aus der außerberuflich-persönlichen Lebenswirklichkeit der Schüler, so dass sich hier ein äußerst breites Themenspektrum aufspannt. Quantitativ ist das außerberuflich-persönliche Orientierungsinteresse der Schüler auch keineswegs ein Randphänomen. In der vorliegenden Studie, die die Situation am Ende der Dualen Ausbildung reflektiert, konnten 36% der Schüler der Gruppe mit außerberuflichpersönlichem Orientierungsinteresse zugeordnet werden. Berücksichtigt man hier, dass während der Ausbildungszeit ca. 21%293 Vertragslöser die 293 Die Lösungsquote bezieht sich auf Verträge in allen Branchen. - 377 Ausbildung vorzeitig ohne Abschluss verlassen (vgl. Berufsbildungsbericht (2006) S. 120) und sich notwendigerweise neu orientieren müssen, so ist das Potential dieser Schülergruppe noch größer zu veranschlagen. Vergleicht man das vorliegende Ergebnis mit dem Kerncurriculum der berufs- und wirtschaftsberuflichen Profession, das zur Ausbildung der Lehrer im ersten Staatsexamen Verwendung finden soll (vgl. Basiscurriculum (2003)), wird deutlich, dass im Bereich der außerberuflichpersönlichen Lebenswirklichkeit der Schüler ein erhebliches ungenutztes Professionalisierungspotential vorhanden ist. In der pädagogisch sinnvollen Begleitung der Jugendlichen in erwachsene Lebenswirklichkeiten über den Beruf hinaus ergibt sich für die Profession eine Chance, einen innerhalb der Profession bisher bildungspolitisch ungenutzten Raum294 für die Entwicklung der Schüler und für die gelingende Integration der Schüler in die Gesellschaft aufschließen zu können. 294 In ähnlicher Weise argumentiert Terhart. (vgl. Terhart, E. (1997)) - 378 10 Kurzzusammenfassung Die vorliegende Arbeit hat sich der Frage nach dem ‚guten’ Lehrer aus der Schülerperspektive an berufsbildenden Schulen zugewandt. Unterricht entsteht als Interaktionsprozess zwischen den Schülern und ihrem Lehrer vor dem Hintergrund von Rahmenbedingungen, die insbesondere der Lehrer planend bei der Gestaltung der Situation berücksichtigt. Die Schüler haben an der Planung des Unterrichts in der Regel nur geringen Anteil, im Unterricht selbst jedoch entsteht aus ihrem Handeln in Verbindung mit dem Lehrerhandeln eine Unterrichtswirklichkeit, die von den Schülern und ihrem Lehrer reflektiert werden kann. Die Schülerperspektive als Perspektive derjenigen, die im schulischen Unterricht einen für sie förderlichen Entwicklungsprozess durchlaufen sollen, ist daher eine relevante Perspektive, um die Qualität von Unterricht einschätzen zu können. Für die Schüler ist dabei der Lehrer als planender Akteur295 und als Handlungspartner in der Situation von besonderer Bedeutung. Als forschungsmethodischer Ansatz könnte zum einen ein Ideal-Ansatz, zum anderen ein Real-Ansatz verwendet werden. Beim Ideal-Ansatz würden die Schüler nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu einem besonders guten Lehrer befragt. Bei den hieraus entwickelten Idealbildern besteht jedoch die Problematik, dass schon in der Entstehungssituation von den realen Rahmenbedingungen schulischer Unterrichtswirklichkeit abstrahiert würde. Zwar könnten so Wunschbilder entstehen, doch ihre Relevanz im Sinne einer Praxisorientierung für reale Lehrer wäre kaum gegeben. Beim Real-Ansatz, der für diese Studie verwendet wird, werden die Schüler gebeten, ihnen bekannte ‚gute’ Lehrer zu benennen und einzuschätzen. Um nicht nur die erlebte Unterrichtssituation aus der Schülerperspektive einzufangen, werden zusätzlich die von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer befragt. Auf diesem Wege gelingt es, auch den Planungs- und Reflexionshintergrund der real benannten Lehrer in die Studie mit einfließen zu lassen. Auch hier entstehen, wie im Ideal-Ansatz, idealisierte Lehrerbilder. Im Unterschied zu Lehrerbildern, die aus Ideal- Ansätzen entstehen, zeichnen sich die Lehrerbilder aus dem Real-Ansatz aber dadurch aus, dass sie vor dem Hintergrund real erfahrener Rahmenbedingungen schulischer Unterrichtswirklichkeit entstehen. Aus der Konzentration von ‚guter’ Alltagspraxis entwickelt sich eine Abbildung realer Wirklichkeit, die dann in die Beschreibung von Charakteristika 295 Planende Akteure im Sinne einer Unterrichtsplanung. - 379 idealisierter Reallehrer mündet und dadurch konzentriert den Möglichkeitsraum für reales ‚gutes’ Lehrerhandeln aufzeigt. Aus der Verwendung des Real-Ansatzes für die vorliegende Studie ergeben sich als Teilfragen der Untersuchung zunächst für die Schülerbefragung folgende Fragestellungen: ‚Wer sind für die Schüler die ‚guten’ Lehrer?’, und ‚Was bewegt die Schüler, diese Lehrer zu benennen?’ Für die Lehrerbefragung ist dann die Frage nach der schülerbezogenen pädagogischen Alltagspraxis leitend, um den Möglichkeitsraum ‚guten’ Lehrerhandelns erörtern zu können. Im ersten Zwischenfazit der Schülerbefragung in zehn Schulklassen verschiedener Ausbildungsberufe des dritten Ausbildungsjahres in einer gewerblich-technischen Berufsschule sind 35 verschiedene Lehrer von den Schülern als ‚gute’ Lehrer genannt worden. Es wird schon an dieser Stelle deutlich, dass es den ‚guten’ Lehrer aus subjektiver Schülerperspektive nicht gibt. Neben vielen Einzelnennungen, bei denen jeweils ein Lehrer von einem Schüler benannt worden ist, votiert in sechs Klassen eine Mehrheit von Schülern für jeweils einen Lehrer. Diese Klassen können als Monopräferenzklassen charakterisiert werden. In den übrigen vier Klassen, die als Multipräferenzklassen bezeichnet werden, verteilen sich neben den Einzelnennungen die hervorstechenden Voten relativ gleichmäßig auf mehrere Lehrer. Jedoch repräsentiert hier keine Lehrernennung die Mehrheitsmeinung der Klasse. In der weiteren Analyse sind in den Multipräferenzklassen die Schüleraussagen im Hinblick auf die beiden am häufigsten benannten Lehrer der Klasse untersucht worden. Als Ergebnis konnten in den Klassen je zwei Schülergruppen gebildet werden, die jeweils einen spezifischen Lehrer präferieren, der einer charakteristischen Kategorie zugeordnet werden kann. Anschließend sind die Schüleraussagen der sechs Monopräferenzklassen mit den Ergebnissen der Schüleraussagen der Multipräferenzklassen verglichen worden und daraus wurde eine Hypothese zum Charakteristikum des dort präferierten Lehrers gebildet. Anhand der Lehrerinterviews der Monopräferenzklassen ist die Hypothese überprüft und in fünf von sechs Fällen bestätigt worden. Die beiden in den Klassen erkennbaren Schülergruppen zeichnen sich durch ein gemeinsames Charakteristikum und durch ein unterschiedliches Charakteristikum aus. Gleiches gilt auch für die von den Schülern präferierten ‚guten’ Lehrer. Das gemeinsame Charakteristikum beider Schülergruppen ist eine Leistungsorientierung, die auf das Erreichen des Berufsabschlusses abzielt. In diesem Sinne messen beide Schülergruppen dem Gesellenbrief und auch dem Schulzeugnis für ihre Zukunft sehr hohe Bedeutung zu. Für den konkreten Unterricht ist erkennbar, dass sie von - 380 ‚guten’ Lehrern ein angemessenes Stoffpensum, eine gerechte Notengebung sowie Verständnis für Probleme erwarten. Dieser Erwartungshaltung entsprechen alle von den Schülern benannten ‚guten’ Lehrer. Auch sie fassen das Bestehen der Abschlussprüfung als gemeinsames Ziel ihrer Zusammenarbeit mit den Schülern auf und orientieren ihren Unterricht entsprechend. Gleichzeitig gelingt es ihnen, den Schülern den Eindruck zu vermitteln, dass das im Unterricht geforderte Leistungspensum auch für die Schüler zu bewältigen ist. Dies geht einher mit einer adäquaten Rückmeldung des erreichten Leistungsstandes und, im Falle von (Lern-) Schwierigkeiten, mit dem Bereitstellen von Fördermöglichkeiten. Gerade das Bereitstellen von Fördermöglichkeiten ist geeignet, um ein sehr wesentliches Moment der Interaktion zwischen Schülern und ‚guten’ Lehrern hervorzuheben. Es ist das Moment des wechselseitigen Respekts und damit einhergehend der Freiwilligkeit. Lehrerseitig wird auch die Nichtleistung eines Schülers respektiert, allerdings auch klar zurückgemeldet. Wenn der Schüler selbst zur Leistungsbereitschaft zurückfindet und damit das Lernangebot des Lehrers respektieren kann, dann steht ihm auch die Förderung offen. Vereinfacht könnte man es auf die Formel bringen: ‚Wer nicht will, der soll bleiben, wo er ist. Wer will, kann auf den Lehrer bauen und bekommt seine Chance.’ Ausgehend von der Leistungsorientierung der Schüler und der leistungsförderlichen Unterrichtsgestaltung durch die Lehrer ergeben sich dann Unterschiede in den Schülerperspektiven und -interessen. Dies sind zum einen beruflich-fachliche und zum anderen außerberuflich-persönliche Interessen. Beruflich-fachliche Interessen zielen auf berufliches Praxiswissen, das geeignet ist die persönliche Leistung und Leistungsfähigkeit im beruflichen Alltag zu entwickeln. Außerberuflich-persönliche Interessen hingegen zielen auf ein Orientierungswissen, das ein Potential bereitstellt, persönliche Lebenslagen meistern zu können. Der Hintergrund dieser Orientierungen ergibt sich aus den Lebenslagen der Schüler. Beruflichfachlich orientierte Schüler haben im Vergleich zu den Schülern mit außerberuflich- persönlichen Interessen eine höhere Zufriedenheit mit ihrem Ausbildungsberuf. Der Ausbildungsberuf entspricht auch deutlich mehr ihren Wünschen, als dies bei den anderen Schülern der Fall ist. Gleiches gilt für die Vorstellungen der Schüler über den Ausbildungsberuf. In der Ausbildung selbst sehen die Jugendlichen mit beruflich-fachlichem Interesse für sich ein eher geringes Problempotential mit dem Ausbildungsbetrieb. Schüler mit außerberuflich-persönlichem Interessenshintergrund hingegen sehen für sich erheblich mehr Probleme im Ausbildungsbetrieb als die beruflich-fachlich orientierten Schüler. Allerdings bleibt auch für diese Schüler der Wert im mittleren Bereich der Skala, so dass nicht von - 381 einer extremen Belastung des Ausbildungsverhältnisses ausgegangen werden kann. Das gleiche Ergebnis stellt sich für den schulischen Teil der Ausbildung ein, jedoch mit deutlich kleineren Spannweiten zwischen den Werten für die beiden Schülergruppen. Vor diesem Hintergrund ist das beruflich-fachliche Interesse als Wunsch zum Verbleib im erlernten Ausbildungsberuf zu interpretieren, so dass der Gesellenbrief und das fachpraktische Wissen als Startpunkte einer Karriere im erlernten Beruf dienen sollen. Demgegenüber ist den Schülern mit außerberuflich-persönlichem Interesse ein Orientierungsinteresse zuzuordnen, so dass der Gesellenbrief und das gewünschte Orientierungswissen diesen Schülern als Basis für eine Neujustierung ihrer Lebenslage dienen können. Entsprechend der persönlichen Lebenslagen und den daraus entwickelten Interessen votieren die Schüler in unterschiedlicher Weise für ‚gute’ Lehrer. Während die beruflich-fachlich orientierten Schüler für Lehrer votieren, die fachliches Wissen und hier vorzugsweise praxisnahe Wissensbestände vermitteln, bevorzugen außerberuflich-persönlich orientierte Schüler Wissensbestände, die eher lebenspraktischen Charakter haben und geeignet sind, für persönliche Interessen oder Probleme der Schüler Orientierungswissen bereitzustellen. Lehrerseitig müssen sich allerdings eine fachliche Orientierung und eine soziale Orientierung in der Anlage der Unterrichtsangebote nicht ausschließen. In der Lehrerbefragung wird vielmehr deutlich, dass sich eine fachliche und eine soziale Orientierung des Lehrers auch gemeinsam in einer Person vereinen können. Fach- und sozialorientierte Lehrer vereint, wie oben schon kurz skizziert, dass sie in ihrem Unterricht leistungsfördernde Rahmenbedingungen für die Schüler schaffen. Auf der Grundlage einer wechselseitigen Wertschätzungsverpflichtung zwischen Schülern und Lehrern gelingt es den Lehrern, ein authentisches Interesse für die Schüler aufzubauen und gegebenenfalls Probleme in der Schüler-Lehrer-Interaktion aktiv anzugehen. Die Auswahl der Unterrichtsinhalte orientiert sich in ihrer Schwerpunktsetzung am Erreichen der Abschlussprüfung und wird anhand der Schülerinteressen konkretisiert. Die im Verlauf des Lernprozesses entstehenden Lernschwierigkeiten werden als normale Aspekte des Lernens von den Lehrern fördernd aufgegriffen. Bedingung der Förderung ist allerdings das eigene Förderinteresse des Schülers. Dies ist im Sinne der wechselseitigen Wertschätzung zwischen Schüler und Lehrer immer eine Chance und ein Angebot zur Teilhabe am Lernprozess, aber kein Zwang. Die Rückmeldung der Schülerleistung erfolgt leistungsdifferenzierend und leistungsadäquat am Maßstab der Abschlussprüfung. In kritischen Situationen wird der - 382 Maßstab um Möglichkeiten ergänzt, die dem Schüler zusätzliche Chancen zur freiwilligen Leistungserbringung und -beurteilung einräumen sollen. Fach- und sozialorientierte Lehrer unterscheiden sich hinsichtlich ihrer thematischen Schülerorientierung. Lehrer mit fachlicher Orientierung agieren als Fachspezialisten mit hohem Praxisbezug, die als Ansprechpartner für fachliche Probleme zur Verfügung stehen und ihre Lehrplanthemen mit hoher fachlicher Aktualität sowie fachpraktischer Schwerpunktsetzung vertreten. In diesem Sinne fördern sie die berufliche Handlungsfähigkeit der Schüler und deren Integration in die Lebenswirklichkeit des Berufs. Lehrern mit sozialer Orientierung hingegen gelingt ihr Schülerbezug über die Kenntnis jugendlicher Berufswahl- und Berufsfindungsprobleme sowie ‚typischer’ Jugendproblemlagen. Entsprechende thematische Angebote integrieren sie in ihre Unterrichtsplanung und sind offen für einschlägige Schülerfragen. Von Schülern eingebrachten Themen wird dann während des Unterrichts Raum gegeben, wobei die Lehrer sich hier in der Funktion eines ‚Informationsbrokers’ befinden, der themenbezogenes Orientierungswissen bereitstellt. Die sprachliche Figur des ‚Informationsbrokers’ weist hier auf eine besondere Charakteristik des Handelns sozialorientierter Lehrer hin. Die Informationen werden lehrerseitig bereitgestellt, ohne bei den Schülern einen belehrenden, bevormundenden oder erziehenden Eindruck zu hinterlassen. Der Lehrer wirkt vielmehr wie ein Partner mit Wissensvorsprung, der die Schüler daran teilhaben lässt und ihnen in ihren Fragen und Interessen wie auch in dem, was sie aus seinen Informationen machen, die Entscheidungsfreiheit überlässt. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum sozialorientierter Lehrer ist die authentische Annahme der Schüler, die ihnen, zusammen mit der sozialen Orientierung der Themen in ihrem Unterricht, Einblick in persönliche Schülerprobleme ermöglicht. Dabei wirken die sozialorientierten Unterrichtsthemen als Signale für die Schüler, dass sie bei diesem Lehrer eine Anlaufstation finden können. Der Kontakt selbst geschieht dann auch in diskreten und vertraulichen Gesprächen abseits des Unterrichts, in denen einzelne Schüler den Rat des Lehrers suchen. In diesem Sinne gelingt den Lehrern mit sozialthematischer Orientierung in der Einzelberatung wie auch im Klassenkontext die förderliche Entwicklung der Schülerpersönlichkeit in außerberuflich-persönlichen Lebensbereichen. Die Ergebnisse der Untersuchung können dahingehend interpretiert werden, dass die Schüler ein leistungsförderliches Umfeld präferieren, um ihren Berufsabschluss erreichen zu können. Mit dem Berufsabschluss intendieren die Schüler jedoch unterschiedliche Zielrichtungen. Während beruflich-fachlich orientierte Jugendliche eine relativ hohe Berufszufriedenheit und Identifikation mit dem Beruf zeigen und über die Präfe - 383 renz fachorientierter Lehrer eine hohe Affinität für beruflich-praktische Bezüge deutlich machen und damit ein Verbleib im Beruf zu erwarten ist, kann den Jugendlichen mit außerberuflich-persönlicher Orientierung eine Suchperspektive zugeordnet werden. Bei ihnen zielt der Berufsabschluss eher auf das Erreichen einer günstigen Ausgangssituation, um eine berufliche oder auch private Umorientierung zu ermöglichen. Entsprechend den spezifischen Lebensinteressen der Jugendlichen ergeben sich deren Präferenzen für die thematischen Angebote der Lehrer, und das führt zu entsprechenden Voten für ‚gute’ Lehrer. Den ‚guten’ Lehrer im Sinne einer Blaupause oder eines Urtyps kann es daher nicht geben. Vielmehr hat jeder Lehrer eine Chance, für seine Schüler Bedeutung zu erlangen. Die in der vorliegenden Arbeit skizzierten Lehrerorientierungen, d.h. die fach- und die sozialorientierte Lehrerhaltung, können den Lehrern in ihrer Arbeit mit den Schülern Horizonte aufzeigen, um täglich und in jeder Klasse aufs Neue für die Schüler subjektiv bedeutsame Handlungssituationen zu schaffen. Im Hinblick auf zukünftige Forschungspotentiale sind in der vorliegenden Studie die Ergebnisse zu den sozialorientierten Lehrern von besonderem Interesse. Die Schülervoten für sozialorientierte Lehrer haben in der Studie, die am Ende der Berufsausbildung ansetzt, einen Anteil von 36%.296 Daraus könnte eine Perspektive auf die Lehrerbildung und -fortbildung entwickelt werden. Es wäre hier zu prüfen, inwieweit eine mögliche soziale Orientierung schon Gegenstand der Lehrerbildung ist bzw. werden kann. In Bezug auf die Schüler zeichnet sich ein Forschungspotential im Hinblick auf die Problematik der Vertragslöser ab. Hier könnte es lohnend sein zu untersuchen, ob und wie eine Unterstützung der Schüler durch sozialorientierte Lehrer in der Lage wäre, das Abbruchrisiko zu reduzieren. Ein zweites Forschungsfeld könnte sich im Übergang der zweiten Schwelle, d.h. im Übergang von der Ausbildung in den Beruf, ergeben. Hier wäre das Orientierungshandeln der Jugendlichen und ihr Orientierungserfolg zu untersuchen, um gegebenenfalls Unterstützungsangebote entwickeln zu können, die den Jugendlichen neue Chancen eröffnen oder mögliche Schwierigkeiten im Übergang an der zweiten Schwelle abfedern könnten. 296 Es ist allerdings begründet zu vermuten, dass der Anteil außerberuflich-persönlich orientierter Schüler zu Beginn der Ausbildung höher sein könnte, da die außerberuflich- persönlich orientierten Schüler ein deutlich größeres betriebliches Problempotential verbunden mit einer geringeren Berufsaffinität aufweisen als beruflichfachlich orientierte Schüler. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sie einen überproportionalen Anteil an der Schülergruppe der vorzeitigen Vertragslöser haben. - 384 Literaturverzeichnis 01Ackermann – 13Eichholz Es handelt sich hier um Verweise auf die 13 Lehrerinterviews der Studie. Achtenhagen, F. u.a. (1979) Achtenhagen, Frank; Sembill, Detlef; Stein- hoff, Erwin: Die Lehrerpersönlichkeit im Urteil von Schülern, in: Zeit- schrift für Pädagogik, 25. Jg., H. 2, 1979, S. 191-208. Aeschbacher, U. (1989) Aeschbacher, Urs: Unterrichtsziel: Verstehen: über die psychischen Prozesse beim Denken, Lernen und Verstehen, 2. Aufl., Stuttgart, 1989. Aibauer, R. (1954) Aibauer, Rosa Barbara: Die Lehrerpersönlichkeit in der Vorstellung des Schülers, Regensburg, 1954. Althoff, H. (2002) Althoff, Heinrich: Vertragslösungen und Ausbildungs- abbruch – Berechnung der Lösungsraten und der betrieblichen Berufs- ausbildung, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 31. Jg. Nr. 3, 2002, S. 52-54. Amidon, E.; Flanders, N. 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Anschließend wollen wir die gutenLehrer fragen, wie sie Unterricht machen. Damit wollen wir einenBeitrag leisten, künftig Lehrer besser auszubilden. Unterricht macht der/die Lehrer(in) nicht alleine. Sie als Schüler undIhre ganze Klasse sind dabei sehr wichtig. Deshalb beziehen sich die Fragen im Fragebogen nicht nur auf den/die Lehrer(in), sondern auchauf Sie und Ihre Klasse. Bitte geben Sie uns erst ein paar Tipps. Auf den folgenden Blättern im Fragebogen kreuzen Sie dann bitte Ihre Einschätzung an. Nun geht es los. Denken Sie bitte an die Jahre der Ausbildung in der Berufsschulezurück. Welche Lehrerin oder welcher Lehrer hat für Sie persönlichganz besondere Bedeutung erlangt? Ein Tipp für alle Schüler, die nach mir bei diesem/dieser Lehrer(in) Unterricht haben: Ein Tipp, was dieser/diese Lehrer(in) unbedingt ändern sollte: Ein Tipp, was dieser/diese Lehrer(in) unbedingt weitermachen sollte: Frau / Herr: Bitte behalten Sie den/die Lehrer(in) im Kopf und beantworten Siedie weiteren Fragen. Jetzt bitte auf den weiteren Seiten die Ankreuzfragen beantworten. Nr. Frage Bitte im freien Feld ankreuzen, was eher zutrifft. Je stärker der Begriff zutrifft, desto näher am Begriff ankreuzen. -413 1 Der/die Lehrer(in) macht im Unterricht: zu viel Stoff O O O O O O O zu wenig Stoff 2 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist: leicht verständlich O O O O O O O schwer verständlich 3 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) kann/muss ich: viel selbst machen O O O O O O O wenig selbst machen 4 Die Noten im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind: gerecht O O O O O O O ungerecht 5 Für den/die Lehrer(in) ist sein/ihr Unterricht: wichtig O O O O O O O unwichtig 6 Für den/die Lehrer(in) sind die Schüler: wichtig O O O O O O O unwichtig 7 Im Unterricht ist der Umgang mit dem/der Lehrer(in) für alle Schüler: gleich O O O O O O O ungleich 8 Bei Lern- und Verständnisschwierigkeiten reagiert der/die Lehrer(in): geduldig O O O O O O O ungeduldig 9 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) herrscht ein Gefühl der: Gemeinschaft O O O O O O O Konkurrenz 10 Wenn ich mit einem Problem zum/zur Lehrer(in) komme, erlebe ich: Verständnis O O O O O O O Unverständnis 11 Ein Problem mit dem/der Lehrer(in) zu besprechen: hilft O O O O O O O hilft nicht 12 Meine Anstrengungen bei dem/der Lehrer(in) im Unterricht sind: groß O O O O O O O klein 13 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich: interessant O O O O O O O uninteressant 14 Am Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: berufliche Interessen O O O O O O O persönliche Interessen 15 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für mich wichtig: Mitschüler treffen O O O O O O O Lehrer zuhören 16 Wenn der/die Lehrer(in) gefragt würde, würde er/sie mich einschätzenals: leistungsstark OOO OOO Oleistungsschwach Nr. Frage Bitte im freien Feld ankreuzen, was eher zutrifft. Je stärker der Begriff zutrifft, desto näher am Begriff ankreuzen. -414 17 Wenn der/die Lehrer(in) gefragt würde, würde er/sie mich einschätzenals: still OOO OOO Ovorlaut 18 Den/die Lehrer(in) schätze ich ein als: leistungsstark OOO OOO Oleistungsschwach19 Den/die Lehrer(in) schätze ich ein als: offen O O O O O O O verschlossen 20 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die Ausbildung: praxisnah O O O O O O O praxisfern 21 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die Abschlussprüfung: wichtig O O O O O O O unwichtig 22 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist im Moment außerhalb des Berufs: nützlichOOO OOO Onutzlos 23 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist für die spätere Berufspraxis: nützlich O O O O O O O nutzlos 24 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist später außerhalb des Berufs: nützlich O O O O O O O nutzlos 25 Der Unterricht bei dem/der Lehrer(in): zeigt neue Wege O O O O O O O bringt nichts Neues 26 Den Unterricht konnte ich auf berufliche Probleme übertragen: leicht O O O O O O O schwer 27 Den Unterricht konnte ich auf Probleme in meiner Freizeit übertragen: leicht O O O O O O O schwer 28 Vom Unterricht konnte ich für mich persönlich was abschauen: viel O O O O O O O wenig 29 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) schätze ich mich ein als: leistungsstark O O O O O O O leistungsschwach 30 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) mag ich lieber: theoretische Dinge O O O O O O O praktische Dinge 31 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) mag ich lieber: gemeinsam arbeiten O O O O O O O alleine arbeiten 32 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) können wir: viel mitentscheiden O O O O O O O wenig mitentscheiden Nr. Frage Bitte im freien Feld ankreuzen, was eher zutrifft. Je stärker der Begriff zutrifft, desto näher am Begriff ankreuzen. -415 33 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) finde ich unsere Klasse: leistungsstark O OOO OOO leistungsschwach 34 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) sind Leistungsunterschiede in der Klasse: groß O O O O O O O klein 35 Im Unterricht bei dem/der Lehrer(in) ist „Fun“ und „Lockersein“ für unsere Klasse: wichtigO OOO OOO unwichtig 36 Die Fachkenntnisse des/der Lehrer(in) sind: groß O O O O O O O klein 37 Die Praxiskenntnisse des/der Lehrer(in) sind: groß O O O O O O O klein 38 Im Unterricht ist das Verhalten des/der Lehrer(in): locker O O O O O O O streng 39 Der/die Lehrer(in): setzt sich durch O O O O O O O setzt sich nicht durch 40 Der berufliche Unterricht in der Schule ist: zu viel O O O O O O O zu wenig 41 Der allgemeine Unterricht in der Schule ist: zu viel O O O O O O O zu wenig 42 Im Vergleich zur betrieblichen Ausbildung ist der Schulunterricht: zu viel O O O O O O O zu wenig 43 Die Ausbildung in Schule und Betrieb insgesamt: ist zu kurz O O O O O O O ist zu lang 44 Für meine Zukunft ist das Schulzeugnis: wichtig O O O O O O O unwichtig 45 Für meine Zukunft ist der Gesellenbrief: wichtig O O O O O O O unwichtig 46 In der Schule sind für mich Pausen: wichtig O O O O O O O unwichtig 47 In der Schule ist das Treffen von Mitschülern für mich: wichtig O O O O O O O unwichtig 48 Lernen ist für mich: leicht O O O O O O O schwer Nr. Frage Bitte im freien Feld ankreuzen, was eher zutrifft. Je stärker der Begriff zutrifft, desto näher am Begriff ankreuzen. -416 49 Alleine lernen: bringt viel O O O O O O O bringt wenig 50 In Gruppen lernen: bringt viel O O O O O O O bringt wenig 51 Lernen, wenn ein Lehrer vorne steht und erklärt: bringt viel O O O O O O O bringt wenig 52 Rückblickend war die Zeit in der Schule: leicht O O O O O O O schwer 53 Rückblickend war die Zeit im Betrieb: leicht O O O O O O O schwer 54 Rückblickend gab es für mich in der Schule: viele Probleme O O O O O O O wenige Probleme 55 Rückblickend gab es für mich im Betrieb: viele Probleme O O O O O O O wenige Probleme 56 Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: gewünscht O O O O O O O musste ich nehmen 57 Meinen Ausbildungsberuf habe ich mir: genauso vorgestellt O O O O O O O ganz anders vorgestellt 58 Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Beruf bleiben O O O O O O O den Beruf wechseln 59 Nach der Ausbildung würde ich gerne: im Betrieb bleiben O O O O O O O den Betrieb wechseln 60 Für meine Zukunft im Arbeitsleben erwarte ich: viele Chancen O O O O O O O viele Risiken 61 Für mein künftiges Leben erwarte ich: viele Chancen O O O O O O O viele Risiken Vielen, vielen Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortet haben. Ihre Antworten werden zur Grundlage unserer Forschung. Für Ihre Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Erfolg. Ihr Team von der Universität Erfurt Anhang 2: Leitfaden für die Lehrerinterviews - 417 Lehrerfragebogen – Leitfragen 1. Intro -Ziel der Arbeit -Freiwilligkeit - Anonymisierungsproblem (Rückverfolgung für Insider möglich) - Kein Antwortzwang -Aufbau / Ablauf (3 Ebenen der Nähe / Schülerergebnisse) 2. Formales -Lehrer:_______________ -Klasse:_______________ -Gegenwärtige Kodierung:_________________ -Einverständniserklärung: ja (__) nein (__) -Fach in der Klasse:________________ Aufnahmegerät starten!!! 3. Mikroebene Nr. Frage Mikroebene (Externalisierung) 1 Berichten Sie doch bitte über Ihre Zeit mit der Klasse. 2 Gab es Situationen in der Klasse, an die Sie sich besonders erinnern? 3 Wie schätzen Sie das Verhältnis der Schüler untereinander ein? 4 Wie sieht eine normale Stundenplanung für diese Klasse aus? 5 Wie war Ihr Kontakt zu den Schülern? Gab es Besonderheiten? Gab es Unterschiede zu anderen Klassen? - 418 6 Wie ist die Schüleraktivität in der Klasse? 7 Wie versuchen Sie die Klasse „bei der Stange“ zu halten? (Motivation) 8 Wie gehen Sie mit Leistungsunterschieden in der Klasse um? 9 Wie erfolgt die Leistungsbewertung in der Klasse? 4. Mesoebene Nr. Frage Mesoebene (Internalisierung) 1 Wie erfolgt die Auswahl der Unterrichtsinhalte? Zeitbezug (Gegenwart / Zukunft / Exemplarität) Kognitiver Bezug (Wissen, Fertigkeiten, Können ...) Theorie-Praxisbezug 2 Wie wird mit der „Stoff-Fülle“ umgegangen? 3 Wie werden Wünsche und Bedürfnisse der Schüler in den Inhalten berücksichtigt? 4 Welche Zusammenarbeit mit den Betrieben gibt es? 5 Wie schätzen Sie das Schülerinteresse an den Unterrichtsinhalten ein? 6 Wie schätzen Sie die Schülererwartungen bezüglich des Unterrichts ein? 7 Wie werden die Inhalte den Schülern präsentiert? Methodik (Fälle, Übungen, Leittext ...) Sozialformen (Einzel / Gruppen / Plenum) 8 Wie fördern Sie die Mitarbeit und das Interesse der Schüler? 9 Wie ist das Leistungsniveau dieser Klasse im Vergleich zu anderen? 10 Wie ist das Verhalten dieser Klasse im Vergleich zu anderen? - 419 5. Makroebene Hinweis: Die Fragen der Makroebene korrespondieren am wenigsten mit dem Schülerfragebogen. Nr. Frage Makroebene (Objektivierung) 1 Wie sind Sie Lehrer geworden (Berufswahlentscheidung, Werdegang)? 2 Wie sehen Sie das Verhältnis der Schule zu den Ausbildungsbetrieben? 3 Welche Rolle spielt die Abschlussprüfung der Kammer für Ihren schulischen Unterricht? 4 Welche Bedeutung hat der schulische Unterricht aus Ihrer Sicht für die berufliche oder private Zukunft der Schüler? 5 Was ist für Sie im Umgang mit Schülern besonders wichtig? 6 Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Schülern beschreiben? 7 Welche Sozialformen (Plenum, Gruppen, Einzel) bevorzugen Sie für Ihren Unterricht? 8 Wie würden Sie ihr Lehrerbild zwischen den Begriffen Fachmann, Pädagoge, Wissenschaftler einordnen? 9 Für den Lehrerberuf gibt es verschiedene Versinnbildlichungen, zum Beispiel die des Gärtners, der hegt, oder die des Bildhauers, der formt. Welcher fühlen Sie sich näher? 10 Was würden Sie für die Schüler an Schule verändern wollen? 6. Vergleichsebene - Einsicht in Verlaufskurven (aggregierte Schülerfragebögen) -Einsicht in die offenen Antworten Vielen Dank. Aufnahmegerät ausschalten!!! - 420 Lebenslauf 1965 Geburt in Gießen 1985 Abitur in Gießen 1985 - 1990 Diplom-Kaufmann, Universität Gießen 1991 – 1993 Berufliche Tätigkeit in Hamburg 1993 – 1995 Diplom-Handelslehrer, Universität Frankfurt am Main 1994 – 1996 Zweites Staatsexamen Sek. II, Studienseminar Potsdam 1996 – 1997 Berufliche Tätigkeit in Finsterwalde 1997 – 2002 Berufliche Tätigkeit in Duisburg 2002 – 2007 Berufliche Tätigkeit in Erfurt - 421 Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskripts habe ich Unterstützungsleistung von folgenden Personen erhalten: 1. Schuchardt, Madlen (Eingabe der Schülerfragebögen in eine vom Autor vorbereitete Maske im Programm SPSS) 2. Pechtold, Angela (Transkription der Lehrerinterviews) Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertation stehen. Die Arbeit oder Teile davon wurden bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde als Dissertation vorgelegt. Ferner erkläre ich, dass ich nicht bereits eine gleichartige Doktorprüfung an einer Hochschule endgültig nicht bestanden habe. Hans-Peter Holl - 422